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Versetzung - Allgemeines
Inhaltsübersicht
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Allgemeines
Versetzungsbegriff
Versetzungsprobleme
Versetzungsmöglichkeiten
Versetzungsfolgen
Rechtsprechungs-ABC
6.1 Abbedingung
6.2 Arbeitsbereich
6.3 Auswärtstätigkeit
6.4 Betriebsratsmitglied
6.5 Indizien für eine Versetzung
6.6 Mitarbeiterkonflikte
6.7 Proteste Dritter
6.8 Tätigkeitsänderung - 1
6.9 Tätigkeitsänderung - 2
6.10 Umsetzung - 2
6.11 Versetzungsschutzklage
6.12 Vorsorgliche Änderungskündigung
Information
1. Allgemeines
Der Arbeitsalltag verläuft für viele Arbeitnehmer oft in festen, unveränderbar scheinenden Bahnen. Die
Mitarbeiter verlassen sich einfach darauf, dass auf sie nichts Anderes und nichts Neues zukommt. Das ist
für einen Arbeitgeber, der immer flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren muss, natürlich ein
echtes Handicap. Er muss aber nicht alles beim Alten lassen. Er kann versetzen: entweder einvernehmlich
oder einseitig via Weisungsrecht oder Änderungskündigung.
Praxistipp:
Für Versetzungen gibt es - anders als für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in § 623 BGB - keine
gesetzliche Formvorschrift. Aber auch wenn eine Versetzung nicht über eine Änderungskündigung in
Schriftform erfolgen muss: Es ist immer ratsam, sie schriftlich vorzunehmen. Das kann mit einer
Änderungsvereinbarung oder der Anweisung eines neuen Arbeitsbereichs geschehen. Eine schriftlich
dokumentierte Versetzung lässt sich im Streitfall eindeutig besser beweisen.
Ein Arbeitsbereich kann sich nach Inhalt, Ort und Zeit ändern. Nur unerhebliche Änderungen sind keine
Versetzung. Die Änderung des Arbeitsbereichs muss schon ein gewisses Gewicht haben. Neben der
individualrechtlichen Zulässigkeit muss eine Versetzung auch kollektivrechtlich wirksam sein. Ist sie es
nicht, braucht ihr der "versetzte" Arbeitnehmer - wie bei einer individualrechtlich unwirksamen Versetzung keine Folge zu leisten. Er behält in diesem Fall seinen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung - und
kann nicht mal wegen "Arbeitsverweigerung" abgemahnt oder gekündigt werden.
2. Versetzungsbegriff
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Das ZEIT-Lexikon definiert "Versetzung" so: "arbeitsvertragsrechtlich die Änderung des Aufgabenbereichs
des Arbeitnehmers nach Art, Ort und Zeit der Tätigkeit". Diese Umschreibung wird als allgemeiner
individualrechtlicher Versetzungsbegriff verstanden. Das BAG verlangt für eine Versetzung, dass sich
"Art, Ort und Umfang der bisherigen Tätigkeit" ändern ( BAG, 13.03.2007 - 9 AZR 362/06 ). Eine
"Versetzung an einen anderen Arbeitsort setzt in der Regel einen dauerhaften Wechsel auf
einen Arbeitsplatz in einer anderen Dienststelle/in einen anderen Betrieb desselben
Arbeitgebers voraus. Dem Versetzungsbegriff ist immanent, dass mit dem Wechsel auch eine
Änderung des Tätigkeitsbereichs, d.h. der Art, des Orts oder des Umfangs der Tätigkeit
verbunden ist" ( BAG, 21.07.2009 - 9 AZR 471/08 ).
Eine Änderung des Einsatzortes muss nicht ohne Weiteres und nicht unmittelbar zu einer Änderung des
Arbeitsorts führen. Der Einsatzort hat eine andere Bedeutung als der Arbeitsort ( BAG, 21.07.2009 - 9 AZR
471/08 ).
Der kollektivrechtliche Versetzungsbegriff ist differenzierter. § 95 Abs. 3 BetrVG sagt:
"Versetzung im Sinne dieses Gesetzes ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs,
die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet, oder die mit einer
erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.
Werden Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht
ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt, so gilt die Bestimmung des jeweiligen
Arbeitsplatzes nicht als Versetzung".
Ein Arbeitsbereich ist nicht nur funktionell zu verstehen, sondern hat auch eine räumliche Komponente.
"Der Begriff des Arbeitsbereichs wird ... durch die Aufgabe und Verantwortung sowie die Art der Tätigkeit und
ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs umschrieben. Arbeitsbereich ist danach der konkrete
Arbeitsplatz und seine Beziehung zur betrieblichen Umgebung in räumlicher, technischer und
organisatorischer Hinsicht. Die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs ist etwa anzunehmen, wenn der
Arbeitsort sich ändert, der Arbeitnehmer aus einer betrieblichen Einheit herausgenommen und einer anderen
betrieblichen Einheit zugeordnet wird oder sich die Umstände ändern, unter denen die Arbeit zu leisten ist" (
BAG, 27.06.2006 - 1 ABR 35/05 ).
3. Versetzungsprobleme
Es gibt für Arbeitnehmer keinen besonderen gesetzlichen Versetzungsschutz. Selbst schwerbehinderte
Arbeitnehmer und schwangere Mitarbeiterinnen sind vor einer Versetzung nicht besonders geschützt.
Sachlich ist das gerechtfertigt - immerhin bleibt das Arbeitsverhältnis bei einer Versetzung ja bestehen (nur
eben in einem anderen Arbeitsbereich).
Das Fehlen eines besonderen gesetzlichen Versetzungsschutzes bedeutet nicht, dass Arbeitnehmer mit
besonderen Merkmalen einer Versetzung schutzlos ausgeliefert sind. Können sie sich mit dem Arbeitgeber
nicht einvernehmlich auf die Änderung ihres Arbeitsbereichs verständigen, müssen diese besonderen
Merkmale
• bei Ausübung des Weisungsrechts beim billigen Ermessen und
• bei einer Änderungskündigung bei der Sozialwidrigkeit
berücksichtig werden. § 106 Satz 3 GewO sagt sogar extra, "Bei der Ausübung des Ermessens hat der
Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen". Und § 1 Abs. 3
Satz 1 KSchG zählt eine Schwerbehinderung zu den Gesichtspunkten, die der Arbeitgeber bei der
Sozialauswahl zu berücksichtigen hat.
Billiges Ermessen ist ausgeübt, wenn die Versetzung der Billigkeit entspricht, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB .
Das setzt voraus, dass der Arbeitgeber
• die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abwägt und
• die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt ( BAG, 25.08.2010 - 10 AZR 275/09 ).
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Um eine Versetzung über die - ohnehin schon weit gezogenen - Grenzen des § 106 Satz 1 GewO hinaus
durchsetzen zu können, verwenden viele Arbeitgeber in ihren Formulararbeitsverträgen so genannte
Versetzungsklauseln. Diese Versetzungsklauseln sind seit der Schuldrechtsreform Allgemeine
Geschäftsbedingungen im Sinn des § 305 BGB und unterliegen damit der AGB-Kontrolle des BGB (mehr
dazu im Stichwort Versetzung - Versetzungsklauseln ).
4. Versetzungsmöglichkeiten
Der Arbeitgeber kann eine Versetzung grundsätzlich über drei Wege gehen:
• Änderungsvertrag
• Weisungsrecht
• Änderungskündigung
Die Änderungsvereinbarung ist die erste Möglichkeit und der schonendste Weg - setzt aber voraus, dass
der Arbeitnehmer mit der Änderung seines Arbeitsbereichs einverstanden ist.
Die zweite Möglichkeit für eine Versetzung bietet das Weisungsrecht. Nach § 106 Satz 1 GewO kann der
Arbeitgeber
• den Inhalt der Arbeitsleistung ,
• den Ort der Arbeitsleistung und
• und die Zeit der Arbeitsleistung
nach billigem Ermessen näher bestimmen - immer vorausgesetzt, diese Arbeitsbedingungen sind nicht
bereits durch
• den Arbeitsvertrag,
• Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung,
• Bestimmungen eines Tarifvertrags oder
• gesetzliche Vorschriften
festgelegt.
Kommt eine Versetzung via Weisungsrecht wegen des Arbeitsvertrags nicht in Frage, muss der Arbeitgeber
die dritte Möglichkeit wählen: die Änderungskündigung . Hier muss eine Versetzung nach §§ 1 Abs. 2 ,
2 KSchG sozial gerechtfertigtsein. Dabei hat der Arbeitgeber - wenn die Versetzung wegen dringender
betrieblicher Erfordernisse erfolgt - auch eine Sozialauswahl vorzunehmen.
5. Versetzungsfolgen
Ist der Arbeitnehmer mit seiner Versetzung einverstanden, ist die Versetzung durch das Weisungsrecht
gedeckt oder in Folge einer sozial gerechtfertigten Änderungskündigung wirksam, muss der Arbeitnehmer ab
dem vereinbarten oder vom Arbeitgeber vorgesehenen Zeitpunkt in dem geänderten Arbeitsbereich
arbeiten. Der Arbeitnehmer braucht bei einer Versetzung via Direktionsrecht keine geringwertigere Tätigkeit
mit einer geringeren Vergütung hinnehmen.
Praxistipp:
Eine Versetzung per Änderungskündigung ist wegen der damit verbundenen Bestandsgefährdung
unverhältnismäßig, wenn das gleiche Ziel auch über eine Versetzung mithilfe des Direktionsrechts erreicht
werden kann ( BAG, 06.09.2007 - 2 AZR 368/06 ).
Die Änderung des Arbeitsentgelts allein ist keine Versetzung. Es kann aber passieren, dass mit der
Änderung des Arbeitsbereichs auch eine Änderung des Arbeitsentgelts eintritt. Vor allem, wenn die
Versetzung über eine Änderungskündigung erfolgt und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten - schlechteren - Bedingungen anbieten kann (dazu mehr
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im Stichwort Versetzung - Arbeitsentgelt ).
Ist eine Versetzung unwirksam, kann das gleich aus zwei Gründen sein:
• individualrechtlich ist eine Versetzung unwirksam, wenn sie weder durch das Weisungsrecht noch
durch eine sozial gerechtfertigte Änderungskündigung gedeckt ist;
• kollektivrechtlich ist eine Versetzung unwirksam, wenn der Arbeitgeber die Mitbestimmung des
Betriebsrats nach § 99 BetrVG missachtet und den Betriebsrat vor einer Änderungskündigung nicht
angehört hat ( § 102 BetrVG ).
Arbeitnehmer müssen eine unwirksame Versetzung nicht befolgen. Der Arbeitgeber kommt in diesem Fall
in Annahmeverzug . Der Arbeitnehmer behält seinen Vergütungsanspruch auch dann, wenn er nicht arbeitet.
Der Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer bei einer widerrechtlichen Versetzung weder rechtswirksam
abmahnen noch wegen "Arbeitsverweigerung" kündigen. Schließlich behält der Arbeitnehmer auch seinen
Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung (weitere Informationen zu diesem Thema gibt es in den
Stichwörtern Versetzung - Rechtsschutz und Versetzung - Unwirksamkeitsfolgen ).
BetrVG -widrige Versetzungen sind individualrechtlich ebenfalls unwirksam. Zudem hat der Betriebsrat die
Möglichkeit, den Arbeitgeber auf Unterlassung der Versetzung und Durchführung des
Zustimmungsverfahrens nach den §§ 99 ff. BetrVG zu verklagen. Der Arbeitgeber kann eine
mitbestimmungswidrige Versetzung rechtlich nicht durchführen. Ist die beabsichtigte Versetzung "aus
sachlichen Gründen dringend erforderlich", kann er sie nach § 100 BetrVG vorläufig vornehmen. Verweigert
der Betriebsrat seine Zustimmung zur Versetzung aus einem der in § 99 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 BetrVG
hinterlegten Gründe, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung beantragen,
§ 99 Abs. 4 BetrVG . Im Übrigen wird wegen der betriebsverfassungsrechtlichen Fragen auf das Stichwort
Versetzung - Mitbestimmung verwiesen).
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zu allgemeinen Fragen bei einer
Versetzung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
6.1 Abbedingung
Eine tarifliche Versetzungsbefugnis kann im Arbeitsvertrag abbedungen werden. Eine Abbedingung liegt
aber nicht schon darin, dass in Ziffer 1. eines Formulararbeitsvertrags zunächst ein konkreter Arbeitsort und
erst danach in Ziffer 2. dieses Vertrags die Geltung eines bestimmten Tarifvertrags vereinbart wird. Das
Abbedingen verlangt von den Vertragsparteien eine eindeutige Absprache ( BAG, 21.01.2004 - 6 AZR
583/02 - zu § 12 Abs. 1 MTA-O).
6.2 Arbeitsbereich
Eine BetrVG -Versetzung ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die "voraussichtlich die Dauer von
einem Monat überschreitet, oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter
denen die Arbeit zu leisten ist ( § 95 Abs. 3 BetrVG )." Dabei muss sich das Gesamtbild der bisherigen
Tätigkeit - und zwar mehr als gewöhnlich - so verändern, dass sich die neue vom Standpunkt eines mit den
betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere darstellt. Maßgeblich dabei ist ein
Vergleich zwischen der bisher tatsächlich ausgeübten Tätigkeit und der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer nach
Maßgabe der Anweisungen des Arbeitgebers künftig tatsächlich verrichten soll ( BAG, 28.08.2007 - 1 ABR
70/06 ).
6.3 Auswärtstätigkeit
Arbeitnehmer dürfen nach Maßgabe des § 9 EStG von ihren Einnahmen die so genannten Werbungskosten
abziehen. Zu diesen Werbungskosten gehören nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG "Aufwendungen des
Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte im Sinne des Absatzes 4." Der
sagt in Satz 1: "Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines
verbundenen Unternehmens ( § 15 des Aktiengesetzes ) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten,
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dem der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist." Für befristete Arbeitsverhältnisse gilt: "Der in einer
dauerhaften, ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers beschäftigte Arbeitnehmer ist nicht
allein deshalb auswärts tätig, weil er eine Probezeit vereinbart hat, unbedingt versetzungsbereit oder befristet
beschäftigt ist" ( BFH, 06.11.2014 - VI R 21/14 ).
6.4 Betriebsratsmitglied
Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG unzulässig. Wird jedoch
eine Betriebsabteilung stillgelegt, so ist das Betriebsratsmitglied in eine andere Abteilung zu übernehmen (
§ 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG ). Ist zur Versetzung eine Änderungskündigung notwendig, ist der Arbeitgeber
grundsätzlich nicht verpflichtet, einen örtlich näher gelegenen und deshalb für das Betriebsratsmitglied
weniger belastenden Arbeitsplatz freizukündigen ( BAG, 28.10.1999 - 2 AZR 437/98) . Wird ein Mitglied
des Betriebsrats kraft Direktionsrechts von einem Unternehmensbetrieb in einen anderen versetzt, ist
§ 103 BetrVG - außerordentliche Kündigung in besonderen Fällen - auch analog nicht anzuwenden ( BAG,
11.07.2000 - 1 ABR 39/99) .
6.5 Indizien für eine Versetzung
Als Indiztatsache für eine Versetzung kann der Umstand angesehen werden, dass der Wechsel in die neue
Tätigkeit auch eine Umgruppierung zur Folge hat. Die Versetzung ist eine gestaltende personelle
Maßnahme, die Umgruppierung vom Ansatz her ein Rechtsakt. Beide sind insoweit zu unterscheidende
Personalmaßnahmen. So ist es beispielsweise nicht zwingend, dass eine Umgruppierung infolge geänderte
Aufgaben gleich eine Versetzung ist oder eine Versetzung immer gleich zu einer Umgruppierung führt. Auf
der anderen Seite ist es aber nicht auszuschließen, dass die Umgruppierung die rechtliche Folge einer
Versetzung ist. Insoweit kann eine Umgruppierung dann doch für eine Änderung des Arbeitsbereichs iSe.
Versetzung sprechen ( BAG, 09.10.2013 - 7 ABR 12/12 ).
6.6 Mitarbeiterkonflikte
Eine Versetzung kann auch ein geeignetes Mittel sein, Mitarbeiterkonflikte am Arbeitsplatz zu lösen. Dabei
muss der Arbeitgeber im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nicht nur die Interessen der
unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer berücksichtigen, sondern auch die Belange der übrigen Mitarbeiter, die
von einer Versetzung betroffen sind, in seine Entscheidung einbeziehen. Selbstverständlich darf eine
Versetzung nur im arbeitsvertraglich zulässigen Rahmen erfolgen. Trotzdem kann sich eine vertraglich
zulässige Versetzung als unzulässig erweisen, wenn sie nur den Zweck hat, den Mitarbeiter durch Einsetzen
einer Zermürbungstaktik auf diskriminierende Weise dazu zu bringen, dass er seinen Arbeitsplatz von selbst
aufgibt ( LAG Schleswig-Holstein, 12.02.2002 - 5 Sa 409 c/01 ).
6.7 Proteste Dritter
Protestieren Eltern gegen die Beschäftigung einer Erzieherin, deren Ehemann NPD-Mitglied ist, reicht das
nicht für eine Versetzung der Erzieherin, die nach ihrem Arbeitsvertrag als Erzieherin eingestellt ist, wenn
deren Arbeitsvertrag keine Versetzung zulässt. Dann wird die Maßnahme des Arbeitgebers nicht von seinem
Weisungsrecht gedeckt. Der Arbeitgeber darf der als Erzieherin eingestellten Mitarbeiterin auch mit der
Begründung "Fürsorgeverpflichtung" keine andere Arbeit zuweisen. Die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht
führt nicht zu einer Ausweitung seines Direktionsrechts ( ArbG Lüneburg, 11.10.2012 - 4 Ca 239/12 ).
6.8 Tätigkeitsänderung - 1
Nicht jede Veränderung eines Arbeitsbereichs stellt gleich eine Versetzung dar: Bagatellfälle und
Änderungen innerhalb der üblichen Schwankungsbreite werden arbeitsrechtlich nicht als Versetzung erfasst.
Das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers muss sich ändern ( BAG, 23.11.1993 - 1 ABR 34/93 ). Das
kann z.B. dadurch erfolgen, dass eine neue Teilfunktion übertragen oder ein Teil der bisher
wahrgenommenen Funktionen entzogen wird ( BAG, 19.02.1991 - 1 ABR 33/90 ).
6.9 Tätigkeitsänderung - 2
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Bei einer Versetzung wird nicht vorausgesetzt, dass der neue Teil oder der entzogene Teil der Tätigkeit
überwiegt. Vielmehr ist maßgeblich, dass die Funktion der Gesamttätigkeit ein solches Gepräge gibt, dass
nach ihrem Wegfall bzw. Hinzutreten insgesamt von einer anderen Tätigkeit gesprochen werden kann. Dabei
muss es sich um Ergebnis um eine erhebliche Änderung der Teilfunktion handeln ( BAG, 02.04.1996 -1 AZR
743/95 ).
6.10 Umsetzung - 2
"Die Unwirksamkeitsfolge des § 7 Abs. 2 AGG gilt für Vereinbarungen aller Art und damit auch für Betriebsund Dienstvereinbarungen. Verfolgt eine Dienstvereinbarung über Umsetzungen das Ziel, Arbeitnehmer vor
möglicherweise altersbedingt steigenden Belastungen zu schützen, stellt dies ein legitimes
sozialpolitisches Ziel iSv. § 10 Satz 1 AGG dar. Es ist zweifelhaft, ob ein Erfahrungssatz besteht, wonach es
Arbeitnehmern mit zunehmendem Alter wegen sinkender Flexibilität regelmäßig schwerer fällt, nach
Versetzungen unter veränderten Umständen zu arbeiten. In der Rechtsprechung ist lediglich anerkannt, dass
die physische Belastbarkeit mit zunehmendem Alter abnimmt" ( BAG, 13.10.2009 - 9 AZR 722/08 - hier zu
einer nach Lebensalter steigenden Punktevergabe).
6.11 Versetzungsschutzklage
Will ein Arbeitnehmer seine Versetzung nicht hinnehmen, muss er dagegen klagen. Er ist dabei allerdings
nicht verpflichtet, seine "Versetzungsschutzklage" innerhalb der durch §§ 2 , 4 , 7 KSchG vorgezeichneten
3-Wochen-Frist zu erheben. Er wendet sich hier nicht gegen eine Kündigung, sondern gegen eine
Maßnahme des Direktionsrechts. Auf der anderen Seite muss eine Klage schon zeitnah erfolgen. Der
Arbeitnehmer darf also nicht jahrelang untätig bleiben. Irgendwann ist sein Recht, gegen eine Versetzung
vorzugehen, nämlich verwirkt ( LAG Nürnberg, 06.07.2005 - 9 (6) Sa 120/03 ).
6.12 Vorsorgliche Änderungskündigung
Es gibt Fälle, in denen es nicht sicher ist, ob der Arbeitgeber die Versetzung eines Arbeitnehmers an einen
anderen Arbeitsort nach den Abmachungen im Arbeitsvertrag im Wege des Direktionsrechts vornehmen
darf oder eine Änderungskündigung angezeigt ist. Der Arbeitgeber kann bei dieser Sachlage vorsorglich von
beiden Gestaltungsmitteln Gebrauch machen. Die vorsorglich erklärte Änderungskündigung ist dann
dadurch auflösend bedingt, dass die Versetzung doch keine Änderung der Vertragsbedingungen erfordert.
"Der Arbeitgeber, der erklärt, er spreche die Änderungskündigung vorsorglich im Sinne von hilfsweise nur für
den Fall aus, dass seine Rechtsauffassung, er könne die beabsichtigte Änderung auch ohne Kündigung
herbeiführen, in einem Rechtsstreit von den Arbeitsgerichten nicht geteilt werden sollte, bekundet damit, die
Kündigung solle nur gelten, wenn er nicht schon einseitig zu der von ihm beabsichtigten Veränderung
berechtigt ist, es dazu vielmehr einer Vertragsänderung bedarf" ( BAG, 17.12.2015 - 2 AZR 304/15 - mit
Hinweis auf BAG, 11.03.1998 - 2 AZR 325/97 - und BAG, 27.03.1987 - 7 AZR 527/85 - und der Auffassung,
dass die Kündigung hier lediglich "an eine auflösende sog. Rechtsbedingung geknüpft, was zulässig ist").
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