Jacob Kleinow - TU Bergakademie Freiberg

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Jacob Kleinow - TU Bergakademie Freiberg
Jacob Kleinow
Erfahrungsbericht
Auslandssemester WS 2009 in Indien, University of Hyderabad
Indien, Hyderabad und die Universität
Die University of Hyderabad (auch Hyderabad Central University HCU genannt) liegt am
westlichen Rand der 4 Millionen Hauptstadt des Bundesstaates Andhra Pradesh. Ihr Campus
erstreckt sich über eine Fläche von 70 ha und kann als eine Oase (kein Lärm, keine
Luftverschmutzung, Sauberkeit, Natur) am Rande des Stadtgetümmels Hyderabads
bezeichnet werden. Unter den 3.800 Studierenden sind nahezu ein Drittel PhD-Studenten;
zwei Drittel sind Master-Studenten. Der Fokus der Universität liegt bei der Forschung auf den
Ingenieurs- und Naturwissenschaften. Sie ist darin eine der führenden Universitäten in Indien.
Neben Englisch im Lehralltag wird auf dem Campus Hindi und in der Stadt Telugu
gesprochen. Die Uni bietet Sprachseminare an.
Hyderabad ist entweder direkt von Frankfurt (zweimal wöchentlich mit der Lufthansa) oder
indirekt über Delhi/Mumbai in ~20 Stunden von Deutschland für 600-900 Euro (Hin- und
Rückflug) zu erreichen. Vereinzelt und mit sehr viel Glück sind Sonderangebote im Bereich
von 400€ für Hin- und Rückflug zu finden. Ein Visum muss im Voraus besorgt werden.
Die Semester beginnen Anfang August (Monsoon Semester) bzw. Anfang Januar (Winter
Semester) und gehen bis Ende November bzw. April. Am Ende des letzten Monats jedes
Semesters werden Klausuren von jeweils 180 Minuten pro Fach geschrieben. Dazu kommen
zwei bis vier Zwischenprüfungen von 90-180 Minuten oder ersatzweise Präsentationen pro
Semester und Fach, die ebenso in die Endnote einfließen. Pro Semester muss mit ca. acht
(religiösen) Feiertagen gerechnet werden. (Siehe Anhang: Academic Calendar)
Die University of Hyderabad ist Indiens Nummer 1 (Stand Sept. 2009) in Forschung und
Publikationen und dafür im ganzen Land bekannt. Eine Besonderheit ist, dass die Universität
(wie 16 weitere) der indischen Union (Zentralregierung) und nicht einem indischen
Bundesstaat unterstellt ist. Sie genießt dadurch einige (finanzielle) Privilegien die u.a. in der
Infrastruktur sichtbar werden. Auch erhalten Studenten beispielsweise Zugtickets bei der
staatlichen Bahn wesentlich vergünstigt. Das Preissystem der Indischen Staatsbahn beinhaltet
neben fünf Reiseklassen weitere 65 Sonderregelungen für spezifische Personengruppen.
Staatliche (Bildungs-)Einrichtungen stehen in Indien im Gegensatz zu den meisten privaten
für ein Maß an Qualität und Vertrauenswürdigkeit. Als Student einer staatlichen Universität
wird man von Mitarbeitern anderer staatlicher Institutionen (Polizei, Zoll, Krankenhaus,
Bank) mit Rücksicht behandelt.
Jeder indische Student an der University of Hyderabad bekommt ein Stipendium, das
wesentlich höher als die Semestergebühr selbst ist. Die Studenten kommen aus allen Teilen
Indiens, wodurch man als Ausländer mit der Zeit vieles über den Subkontinent Indien lernen
kann. Meist haben die indischen Studenten an gesamtindischen Auswahlverfahren
teilgenommen und dadurch die Erlaubnis für eine Bewerbung an der HCU bekommen. In
meiner MBA-Seminargruppe waren die Kommilitonen ausschließlich über den Common
Admission Test (CAT) ausgewählt worden. Sie waren stets unter den 20% besten der ca.
300.000 Teilnehmer. Ein befreundeter Chemiedoktorand erkämpfte in einem ähnlichen
Auswahlverfahren mit über 45.000 Teilnehmern einen der 50 verfügbaren Studienplätze an
der HCU in seinem Fach.
Mein Semester an der University of Hyderabad
Ich selbst studierte im Monsoon Semester vom 18.8.2009 bis zum 2.12.2009 an der HCU.
Zwar kam ich auf Grund der überlappenden Semester- und Prüfungstermine an der
Heimat-Uni Freiberg erst 3 Wochen nach Semesterbeginn an, konnte aber mit etwas Mühe
den Stoff recht gut nachholen. Die gewählte Aufenthaltsdauerdauer eines vollen Semesters
schätze ich darüber hinaus auch als genau richtig ein.
Während meines Aufenthaltes studierten neben den ca. 3700 Indern, 150 ausländische
Studenten (~35 Nordamerikaner, 5 Europäer [davon 3 Deutsche], Iraner, Iraker, Afghanen,
der Rest aus Nachbarländern Indiens) and der University of Hyderabad. Die Ausländer
werden sämtlichst im Tagore International Hostel untergebracht. Es ist das beste Wohnheim
auf dem Campus (15 Fußminuten vom Campuskern entfernt). Ein Platz in diesem Wohnheim
kostet allerdings ~200 Euro/Monat. Dafür bekommt man neben einem eingerichteten
Einzelzimmer von 10m² mit Klimaanlage, Internetanschluss und sauberen
Gemeinschaftsbädern drei vielfältige, reichhaltige Mahlzeiten in der Mensa im Haus.
Zu meiner Zeit in Hyderabad war jeden Tag aufgrund von mindestens zwei
Stromabschaltungen für rund zwei Stunden kein Strom/Internet im Wohnheim verfügbar.
Vereinzelt häuften sich die Ausfälle auf bis zu 10 pro Tag. Zum Ende meins Aufenthaltes
wurden die Ausfälle allerdings weniger. Die Energieindustrie kommt dem Bedarf nach
Elektroenergie bei weitem nicht nach.
Die Infrastruktur auf dem Campus ist für indische Verhältnisse sehr gut. Wenn auch weit
voneinander entfernt, sind auf dem Campus eine Bibliothek, ein kleiner Marktplatz mit
Läden, Copy-Shops, eine Post, eine Bank, ein Sportzentrum und ein kleines Krankenhaus für
Studenten und zu finden. Grundbedürfnisse werden befriedigt.
Insgesamt zehn Fakultäten (Schools) gehören zur Uni: Mathematics & Computer/Information
Sciences, Physics, Chemistry, Life Sciences, Humanities, Social Sciences, Sarojini Naidu
School of Perfoming Arts, Fine Arts & Communication, Engineering Sciences & Technology
and Medical Sciences, Management Studies.
School of Management Studies
Die School of Management Studies (SMS) setzt sich aus den Lehrstühlen Marketing, Finance,
Human Resources, Operations zusammen. Daneben geben Gastlektoren gute
Einzelvorlesungen oder ganze Kurse. Insgesamt studieren an der SMS ~200 Studenten. Diese
sind in vier Seminargruppen zu je 50 Studenten (zwei Jahrgänge MBA sowie zwei in MBA
mit der Spezialisierung Healthcare and Hospital Management) pro Semester eingeteilt.
Ich durfte als Ausländer an fünf Kursen des dritten Semesters vom MBA (Marketing of
Services, New Venture Management, Merchant Banking and Financial Services, Strategic
Financial Management, International Business Strategies) teilnehmen. Durchschnittlich
belegten meine indischen Kommilitonen sieben Kurse. Vor meiner Ankunft wurden mir (nur
bedingt hilfreiche) Kursbeschreibungen und das Vorlesungsverzeichnis zugeschickt. Auf
Grund von Veränderungen konnte ich mich dann erst vor Ort für die zu belegenden Kurse
endgültig entscheiden. Das hat zwar eine Absprache mit den deutschen und den indischen
Professoren bezüglich der Anerkennung der Studienleistungen in Freiberg im Voraus
erschwert; eine bedingungslose Wahl sollte/kann man aber vor der Ankunft sowieso nicht
treffen.
Das indische Bildungssystem hat den Ruf auf unkritischem Auswendiglernen und häufigen
Wiederholungen zu basieren. Nachhaken, Diskussion seien unerwünscht. Laut Berichten
einiger Kommilitonen mag das für bestimmte ingenieurwissenschaftliche Studiengänge auch
an der University of Hyderabad tatsächlich zutreffen. An der SMS ist dies nicht der Fall.
Abgesehen von den Vor- und Nachteilen des alten und neuen indischen Lehrstils und des
neuen wird in der SMS mehr als in Freiberg auf Aktion und Präsentation der Studenten
gesetzt. Das half mir und zwang mich in besonderem Maße mein Englisch zu verbessern.
Irritierend ist: nur in seltenen Fällen meldet sich der Student beim Stellen oder Beantworten
einer Frage, meist wird einfach hineingerufen.
Nach etwa zwei Wochen hatte ich kaum noch Probleme das Englisch der Inder zu verstehen.
Meine Seminargruppe hatte mich sofort und ohne jegliche Vorurteile als einen ihrer
Kameraden aufgenommen. Das war eine der schönsten und überraschendsten Erfahrungen.
Inder sind sehr herzlich. Die meiste Zeit verbrachte ich mit ihnen. Davon abgesehen sind
Deutsche auch in Indien sehr beliebt und man brüstet sich gern mit einer Freundschaft mit
einem europäischen oder nordamerikanischen Besucher. Bewusst habe ich zu den
amerikanischen Gaststudenten weniger Kontakt gesucht.
Bei einigen Professoren/Dozenten ist zu bemängeln, dass sie für meine Begriffe teils
willkürlich oder zumindest viel zu kurzfristig und zu häufig Vorlesungen ausfallen ließen. So
fiel bei einem Professor in Marketing nahezu regelmäßig jede vierte Veranstaltung aus. Die
Studenten erfuhren im Allgemeinen dann frühestens zwei Stunden vorher oder gar erst bei
Ankunft in der Fakultät davon.
Skripte wurden in keinem Kurs ausgegeben. Die Vorbereitung auf die kommende Vorlesung
wurde dadurch erschwert. Lediglich im Nachhinein geben einige Professoren ihre
Powerpoint-Präsentationen an die Studenten weiter. Die Teilnahme an Lehrveranstaltungen
auf der anderen Seite wird akribisch kontrolliert.
Wichtig: Für BWL-Studenten aus Freiberg lohnt sich ein Auslandssemester nur im
Wintersemester und bevorzugt nach dem Vordiplom/während des Bachelors. Denn im
Sommersemester werden nur Vorlesungen für die Zweitsemester gegeben. Die Viertsemester
sind in dieser Zeit im Rahmen eines zugewiesenen Pflichtpraktikums in einer Firma tätig und
kommen in diesem Semester lediglich an zwei oder drei Tagen in der Woche in die Fakultät.
Im Wintersemester werden Vorlesungen für die Erstsemester und die Drittsemester gehalten.
Aufgrund des anzustrebenden Niveaus kommen für Freiberger BWL-Studenten nur die
Vorlesungen für die Drittsemester, nicht aber Erstsemester in Frage.
Wer sein BWL-Studium so schnell wie möglich absolvieren möchte, sollte nicht ins Ausland
gehen. Ein Semester im Ausland verlängert das Studium in Regelfall genau um ein Semester.
So ist es auch in Indien. Schließlich ist die Anerkennung indischer Studienleistungen
praktisch nicht möglich und es werden logischerweise zur selben Zeit Vorlesungen an der
Heimat-Uni verpasst. Das fachliche Niveau der Lehre liegt auch an der im Vergleich sehr gut
abschneidenden University of Hyderabad unter dem, was ein Freiberger Student kennt – so
zumindest meine persönliche Einschätzung.
Da nicht in der Muttersprache sondern in English gehalten, verlangen die Vorlesungen
höchste Konzentration. Viele Vorlesungsinhalte sind einem völlig neu, manche geradezu
fremd, und andere erscheinen möglicherweise wie eine Wiederholung von Teilen des
Freiberger Curriculums. Oft werden in der Vorlesung Bezüge zur Praxis hergestellt und
Diskussionen entfacht, Als Mangel sah ich allerdings immer wieder, dass Tiefgründigkeit und
exaktes Arbeiten allgemein in Indien nur selten obere Priorität haben.
Freiberger BWL-Studenten dürften ggf. auch Kurse in Economics (wohl eher vergleichbar
mit VWL) and der School of Social Sciences belegen; was allerdings im Vorfeld zu eruieren
und organisieren bliebe. Helfen kann dabei Shahid Ali ([email protected]). Er ist zur
Zeit an dieser Fakultät Student und hat mir versichert, auch nach seinem Studium für Fragen
zur Verfügung zu stehen.
Die Lebenserhaltungskosten sind äußerst niedrig. Hier ein paar Preisbeispiele:
Rikschafahrt (20km, 45 min)
2,30 €
Mittagessen
0,30-0,75 €
Tässchen Tee
0,045 €
Handygespräch nach Deutschland
0,14 €/Min.
Handygespräch innerhalb Indiens
0,015 €/Min.
neues Fahrrad
30 €
Geburtstagsfeier im Restaurant
mit 15 Gästen
40 €
Trotz aller Schönheit der Kultur und Menschen dürften vielen Deutschen so manche Tage in
Indien Kopfzerbrechen und Kopfschmerzen bereiten. Geduld und große Frustrationsresistenz
sind in Indien überlebensnotwendig. Zum Verständnis: von beispielsweise fünf im Freiberger
Studienalltag gewohnten Vorhaben, die man sich in Indien zur Erledigung an einem Tag
vornimmt, erreicht man nicht selten mit größter Mühe geradeso eines. So musste ich zum
Beispiel für das Verschicken eines Paketes nach Deutschland viermal zur Post gehen. Der
Postbeamte sprach konsequent hindi mit mir, redete aber mit meinem indischen
Kommilitonen englisch, der mir das dann in der englischen Übersetzung weitergab.
Ein befreundeter Inder sagte mal zu mir: „Everything is possible in India!“. Wir Deutschen
suchen meist eine Logik – wer das in Indien nicht ablegen kann, wird schnell frustriert und
entmutigt sein. Man muss das Unlogische als Gegebenheit verstehen und sein Handeln daran
ausrichten.
Verlass ist nur auf Freunde. Alles dauert in Indien im Regelfall wesentlich länger als in
Deutschland. Als Ausländer in Indien sollte man sich so unabhängig wie möglich machen.
Falls man doch in die Lage kommt in einer konkreten Sache abhängig vom Handeln anderer
zu sein, bzw. wenn allein Vertrauen hilft, so ist immer ein Plan-B zur Überbrückung der
Wartezeit und ein Plan-C für den unerwarteten Ausgang notwendig. Alles was schief gehen
kann, geht in Indien üblicherweise schief.
Nichtsdestotrotz ist ein Auslandssemester an der University of Hyderabad für Freiberger
BWL-Studenten sehr empfehlenswert und das Leben in Indien erfahrenswert. Genau diese
Erfahrungen können im späteren Berufsleben und besonders bei Ambitionen auf einen
zeitweiligen Arbeitsplatz im Ausland wertvoll sein.
wichtige Adressen für die erste Kontaktaufnahme:
Seite der Universität (www.uohyd.ernet.in)
Seite der Fakultät (www.smsuoh.in)
Prof. Venkata Ramana - Dekan School of Management Studies ([email protected],
[email protected])
Mr. Krishna Ram – Koordinator für Ausländische Studenten
([email protected])
Ich stehe selbstverständlich auch gern zur Verfügung ([email protected]....)
Wohnheimzimmer
Rückweg zum Wohnheim
International Business Strategies
SMS-Gebäude
Shopping Complex
Kommilitonen beim „Fotoshooting“
Gruppenarbeit im Innenhof der SMS
Einkaufsgegend in Hyderabad