Lehren und Lernen für die Zukunft

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Lehren und Lernen für die Zukunft
33303.book Seite 1 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Beiträge zu "Selbstständige Schule"
Herausgegeben von Projektleitung: "Selbstständige Schule"
Wilfried Lohre, Ulrich Kober, Petra Madelung, Detlev Schnoor, Katrin Weisker (Hrsg.)
Christoph Höfer
Petra Madelung
Lehren und Lernen für die Zukunft
Unterrichtsentwicklung in selbstständigen Schulen
1. Auflage
Bestellnummer 33303
33303.book Seite 2 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Selbstständige Schule.nrw ist das gemeinsame Projekt des Ministeriums für Schule und
Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bertelsmann Stiftung.
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Sieglarer Straße 2, 53842 Troisdorf
ISBN 978-3-427-33303-6
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„[…] da es sich so verhält, dass die Wissenschaften, recht betrieben, uns letzten Endes
nichts anderes als Lebensklugheit, Redlichkeit und Entschlußkraft lehren können,
wollte man die Kinder von Anfang an befähigen, sie auf dem Boden der Wirklichkeit
zu erlernen: nicht übers Hörensagen, sondern kraft Erprobung im Handeln. So wurden
die Zöglinge auf lebendige Art geformt und zurechtgebogen, weniger durch Weisungen und Worte als durch Vorbilder und Taten, damit das Wissen kein bloßer Ankauf
ihrer Seele bleibe, sondern ihr zum natürlichen, ihr ganzes Wesen und Wirken prägenden Eigentum werde.“
Michel de Montaigne (1533–1592), Essais, Frankfurt a. M. 1998, S. 77.
„Von klein auf schreit man uns die Ohren voll, als ob man unablässig in einen Trichter
nachschütte, und nichts anderes haben wir zu tun, als immer wieder nachzusprechen,
was man uns vorgesprochen hat. Ich möchte, dass der Erzieher es besser mache und
von Anfang an die seinen Händen anvertraute Seele je nach Leistungskraft ihr Können
vorführen und selber die Gegenstände richtig einschätzen, unterscheiden und wählen
lasse: manchmal mit und manchmal ohne seine Wegweisung. Ich will nicht, dass er
allein sich etwas ausdenke und davon rede, ich will, dass er seinem Zögling zuhöre,
wenn der seinerseits redet. […]
Bei den Schulmeistern, die unserem heutigen Brauch getreu mit ein und demselben
Unterrichtstoff und nach ein und demselben Maß eine Vielzahl junger Geister von so
unterschiedlichen Maßen und Begabungen unter ihre Fuchtel nehmen, ist es kein Wunder, wenn sich in der ganzen Herde Kinder kaum zwei oder drei finden, die aus solcher
Erziehung einen nennenswerten Gewinn davontragen.“
Michel de Montaigne (1533–1592), Essais, Frankfurt a. M. 1998, S. 83
„Unsere pedantische Lehrsucht bemüht sich fortwährend, die Kinder das zu lehren,
was sie allein viel besser lernen, übersieht aber dasjenige, was wir allein sie lehren können.“
„Darf ich es wagen, hier die oberste, wichtigste und nützlichste Regel aller Erziehung
darzulegen? Sie heißt nicht: Zeit gewinnen, sondern: Zeit verlieren!“
Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Emile ou de l’education, zitiert nach Scheuerl, H.,
Hrsg., Lust an der Erkenntnis: Die Pädagogik der Moderne, München 1992, S. 52 bzw.
S. 54
„§12 Durch langes Belehren, dem kein Schritt des Schülers abgemessen genug ist,
können Schulleute von Verstand auf die Frage kommen: ‚Wie will der arme Scholar einmal ohne unser Lenken recht gehen, da er schon bei demselben irreläuft?‘ […]“
Jean Paul (1763–1825), Antrittsrede im Johanneum-Paulinum; oder Erweis, dass Erziehung wenig wirke, zitiert nach Scheuerl, H., Hrsg., Lust an der Erkenntnis: Die Pädagogik der Moderne, München 1992, S. 122
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„Er ist […] auf doppelte Weise, einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen
des Lernens beschäftigt. […] Der Schüler ist reif, wenn er so viel bei andern gelernt hat,
dass er nun für sich selbst zu lernen im Stande ist.“
Wilhelm von Humboldt (1767–1835), Königsberger Schulplan, zitiert nach Scheuerl, H.,
Hrsg., Lust an der Erkenntnis: Die Pädagogik der Moderne, München 1992, S. 142
„Dem Kind gehört der erste Platz, und der Lehrer folgt ihm und unterstützt es. Er muß
auf seine eigene Aktivität zugunsten des Kindes verzichten. Er muß passiv werden,
damit das Kind aktiv werden kann.“
Maria Montessori (1870–1952), Grundgedanken der Montessori-Pädagogik, Hrsg.:
Oswald, P./Schul-Benesch, G., 15. Aufl., Freiburg 1997, S. 40
„Guter Unterricht ist ein Unterricht, in dem mehr gelernt als gelehrt wird.“
Titel eines Aufsatzes von Franz E. Weinert (1930–2001) in: Freund, J., u. a. (Hrsg.),
Guter Unterricht – Was ist das? Aspekte von Unterrichtsqualität, Wien 1998, S. 7–18
„Bildungsreformen schlagen hauptsächlich aus zwei Gründen fehl:
Zum einen sind die Probleme komplex und hartnäckig. Es ist schwer, sich wirksame
Lösungen einfallen zu lassen, und noch schwerer sie tatsächlich in die Praxis umzusetzen.
Der zweite Grund ist, dass die verwendeten Strategien nicht die Dinge in Angriff nehmen, die wirklich wichtig wären. Sie sind weder auf eine grundlegende Unterrichtsreform noch auf die damit verbundene Entwicklung einer neuen pädagogischen
Teamkultur ausgerichtet.“
Michael Fullan (geb. 1940), Die Schule als lernendes Unternehmen: Konzepte für eine
neue Kultur in der Pädagogik, dt., Stuttgart 1999, S. 85
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Warum dieses Buch und für wen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bildungsherausforderungen an die Schule
und die Entwicklung guten Unterrichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was uns bleibt: lebenslang lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bildungsziele der Schule: Wissen und Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Was wir über Lernen wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lernen und Unterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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15
20
23
27
2.1
2.2
2.3
2.4
3
3.1
3.2
Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Worum es geht: Lernkompetenz erwerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ursprungskonzepte und ihre Weiterentwicklung in den Projekten
"Schule & Co." und "Selbstständige Schule" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.1 Grundlagentrainings für Schülerinnen und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3.2 Selbstständigkeit: Über Lernspiralen zum selbst gesteuerten Lernen (SegeL) . . .
3.4
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.1 Lehrerinnen und Lehrer als Lernende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4.2 Lehrerinnen und Lehrer brauchen ein neues Rollenverständnis
und vielfältige Kompetenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
4.1
Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lehrerteams: Fach, Klasse, Jahrgang, Bildungsgang
(Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2
Die schulische Steuergruppe
(Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.1 „Fahrplan“ zur Unterrichtsentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.2 Fortbildung für Steuergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3
Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.1 Fortbildung für Schulleiterinnen und Schulleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung
im Projekt "Selbstständige Schule" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Besonderheiten der Schulstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Aufbau des Fortbildungsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Trainerinnen und Trainer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ausbilderinnen und Ausbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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34
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42
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95
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98
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101
107
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6 | Inhalt
6
6.1
6.2
6.3
6.4
6.4.1
6.4.2
6.4.3
6.4.4
6.4.5
Regionale Unterstützung und Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Die regionale Steuergruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Das regionale Bildungsbüro . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schulgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KURS als Beispiel für einen Baustein der regionalen Bildungslandschaft . . . . .
Kooperationsvereinbarungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kooperationsmanager oder -berater und Steuergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
KURS im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unterrichtsentwicklung und beruflicher Erfolg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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116
119
119
120
121
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124
127
128
7
7.1
7.2
7.3
7.4
Anschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unterrichtsentwicklung und Neue Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unterrichtsentwicklung und Sprachförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unterrichtsentwicklung und individuelle Förderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Unterrichtsentwicklung, fachliche Fortbildung und standardorientierte
Unterrichtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
129
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131
8
8.1
8.1.1
8.1.2
8.2
8.2.1
8.2.2
8.2.3
8.3
Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schulen evaluieren intern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Evaluationsberaterinnen und -berater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
SEIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Schulen werden extern evaluiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Lernstandserhebungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kernlehrpläne und standardisierte Abschlussprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Qualitätsanalyse bzw. Schulinspektion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Regionale und landesweite Qualitätssicherung der Trainings . . . . . . . . . . . . . . .
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135
135
136
139
139
143
145
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Schlussbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
133
10
10.1
10.2
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Lehren und Lernen für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
Kooperationsvertrag vom 22.8.2001
Anlage zum Kooperationsvertrag vom 13.12.2005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
10.3 Kompetenzprofil für Schulleiterinnen und Schulleiter selbstständiger Schulen 187
10.4 Module für Schulleiterfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
10.5 Module für Steuergruppenfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
10.6 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort | 7
Vorwort
Auf die Frage, worauf es ankomme, hat Bill Clinton die berühmte Antwort
gegeben: „It’s the economy, stupid!“ Für die Schule ließe sich das übersetzen mit: „Der Unterricht ist das Entscheidende!“ Menschen lernen überall:
in der Familie, im Beruf, im Spiel, im Kindergarten, in der Musik, in der
Kirche … – aber die Schule ist der Ort, wo die gesamte nachwachsende
Generation systematisch und (hoffentlich) nachhaltig das lernt, was sie für
das Leben in unserer demokratischen Gesellschaft nach deren Maßgabe
braucht. Und Unterricht ist das Kerngeschäft von Schule!
Deshalb ist das zentrale Ziel des Projektes “Selbstständige Schule“ die Verbesserung der Qualität schulischer Arbeit und insbesondere des Unterrichts. Schulen verbessern ihr internes Management, sie entwickeln eine
neue Führungskultur, sie lernen sich selbst zu evaluieren, sie bewirtschaften ihre Ressourcen eigenverantwortlich, sie organisieren ihren Unterricht neu, sie verändern die Mitwirkungs- und Partizipationsstrukturen,
sie bilden sich fort. Das alles aber macht nur Sinn, wenn es dazu dient, dass
Schülerinnen und Schüler besser lernen können. Im Zentrum der gesamten Anstrengungen steht deshalb die Weiterentwicklung des Unterrichts.
Die empirische Schulforschung, seit PISA auch in Deutschland anerkannt, zeigt, dass Schule nicht dann automatisch besser wird, wenn sich
die Rahmenbedingungen ändern.
Was aber ist guter Unterricht? Darüber hat es im Projekt einen intensiven
Diskussionsprozess gegeben, in dem die schulpolitischen Vorgaben
ebenso eine Rolle gespielt haben wie die Erkenntnisse der Unterrichtsforscher, das Wissen der Schulpraktiker und die Erfahrungen der Fortbildner. Die Ergebnisse wurden in der Broschüre „Lehren und Lernen für die
Zukunft – Guter Unterricht und seine Entwicklung im Projekt ‘Selbstständige Schule‘“ zusammengefasst und gehen auch in den Qualitätsrahmen
der Qualitätsanalyse NRW ein. Dazu wurde ein Trainingsprogramm weiterentwickelt und erprobt, das seine Wurzeln im Vorläuferprojekt “Schule
& Co.“ hatte und die wichtigsten aktuellen Fortbildungsansätze auf diesem
Gebiet integriert. Es geht dabei darum, Unterricht auf allen Schulstufen
und in allen Schulformen so zu gestalten, dass die Kinder und Jugendlichen intelligentes Wissen und Lernkompetenz erwerben. Sie sollen am
Ende ihrer Schulzeit so selbstständig und motiviert lernen, dass sie das ihr
Leben lang tun können und wollen; denn nur so werden sie in der Wissensgesellschaft bestehen können.
Erste Erfahrungen, die in Nordrhein-Westfalen und in fast allen anderen
Bundesländern mit Schulinspektionen bzw. Qualitätsanalysen gewonnen
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8 | Vorwort
werden konnten, zeigen, dass in folgenden Bereichen schulischer Qualitätsarbeit Fortbildungsbedarf besteht:
z
z
z
z
z
z
Diagnosefähigkeit
Differenzierung im Unterricht und individuelle Förderung
selbst gesteuertes Lernen
Formen der Schüleraktivierung
Lehrerkooperation und Teamarbeit
Führungsverantwortung und Qualitätsmanagement
Diese ersten Erfahrungen haben die beiden Projektträger, das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen und
die Bertelsmann Stiftung, in ihrer gemeinsamen Überzeugung bestätigt,
dass das im Projekt erarbeitete und erprobte Konzept der Unterrichtsentwicklung ein wichtiger zukunftsorientierter Baustein in der Umgestaltung
des nordrhein-westfälischen Schulsystems ist. Die mit diesem Konzept
verbundenen Fortbildungen werden im Rahmen eines neuen Unterstützungssystems den seit August 2006 eigenverantwortlichen Schulen in
NRW sukzessive angeboten. Dabei ist die Einführung eines „Lernzeitbudgets“ für die Schulen, die sich im Rahmen von Pädagogischen Tagen mit
dem gesamten Kollegium in die Fortbildung begeben wollen, eine wichtige Voraussetzung, um die großen Anstrengungen auch mit Unterstützung der Eltern in Angriff nehmen zu können.
Ein fundiertes Konzept liegt vor, ausgebildete Trainerinnen und Trainer
stehen zur Verfügung, organisatorische Voraussetzungen wurden
geschaffen und das Land NRW stellt entsprechende Ressourcen für Moderatorinnen und Moderatoren zur Verfügung. Damit wurden in der ersten
Projekthälfte wesentliche Entwicklungsarbeiten für eine systematische
und nachhaltige Unterrichtsentwicklung geleistet, sodass nach und nach
alle Schulen des Landes in diesen Prozess einbezogen werden können.
Das Projekt wird in seiner zweiten Hälfte an der Absicherung des Erreichten arbeiten, indem es sich schwerpunktmäßig der Gestaltung regionaler
Bildungslandschaften widmet und erprobt, wie diese gesteuert und finanziert werden können.
Der vorliegende Band beschreibt und begründet das Konzept der Unterrichtsentwicklung und stellt das dazugehörige Trainingsprogramm für
Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler detailliert dar.
Er erläutert aber auch, was eine Schule organisatorisch verändern muss,
damit nach und nach wirklich alle Schülerinnen und Schüler von den Qualitätsverbesserungen profitieren, und wie solche Entwicklungen im regionalen Umfeld der Schule unterstützt werden können. Grundlage für die
dargestellten Praxiserfahrungen in diesem Buch ist eine reflektierte Erfah-
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Vorwort | 9
rung in mehr als 450 Projekt- und Korrespondenzschulen des Landes
Nordrhein-Westfalen und zahlreichen Schulen in anderen Bundesländern.
Heribert Brabeck
Wilfried Lohre
Düsseldorf und Gütersloh, im Juli 2006
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1
Warum dieses Buch und für wen?
Bauchfrei … zap … gepierct … zap … der neueste Anastacia-Song im Hintergrund … zap … voll coole Dialoge … zap … rasante Schnitte ... zap … zap
… zap … und jetzt ist Montagmorgen: keine Hintergrundmusik, ein voll
uncool gekleideter Lehrer, keine schnellen Schnitte, sondern 45-MinutenTakt, keine Fernbedienung zum Wegzappen.
Es geht aber um die gleiche Anstrengung: Da versucht jemand, die Aufmerksamkeit seines Publikums zu gewinnen, sie möglichst lange zu fesseln und bei seinen Zuhörern etwas zu erreichen. Nur tut der Akteur des
Montagmorgens das mit Mitteln, die seinen Zuhörern in ihrem sonstigen
Leben eher fremd geworden sind. Er erzählt, trägt vor, schreibt an die
Tafel, führt ein „gelenktes“ Gespräch (in dem jede/r Einzelne der etwa 30
Teilnehmerinnen und Teilnehmer – wenn überhaupt – nur minuten- oder
manchmal sogar nur sekundenlang reden darf). Im Vergleich zu seinem
Konkurrenten vom Sonntag oder auch vom Montagnachmittag ist er ein
eher schlechter Entertainer. Der Zuhörer kann ihn aber nicht wegzappen.
Als Flucht bleibt nur das Weghören, Wegträumen, die Unaufmerksamkeit, die Ablenkung, das Stören.
Eine Karikatur? Aber sicher! Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die begnadete Unterhalter sind, und es gibt Schülerinnen und Schüler, die konzentriert zuhören und auf diese Weise intensiv lernen können. Aber die
Karikatur zeigt in ihrer Zuspitzung zweierlei: Die Schülerinnen und Schüler sind anders als vor 25 Jahren, vielleicht sogar anders als vor zehn Jahren. Sie sind von den Medien geprägt. Sie sind vielfach ebenso verwöhnt
im Sinne von overprotected und hedonistisch wie andererseits oft sozial vernachlässigt. Die Schule funktioniert aber häufig noch in Routinen, die vor
vielen Jahren ausgebildet, seitdem tradiert und sicher auch perfektioniert
wurden. Unterricht ist – in seiner Hochform – ein komplexes, fein ziseliertes Werk, das auf einer wissenschaftlich fundierten Sachanalyse
basiert, auf einigen Vermutungen über die Lerngruppe und auf fachdidaktischen bzw. -methodischen Überlegungen. Ein kleines Kunstwerk des
Lehrens und der Lehrer als Unterrichtskünstler. Aber wie das so ist mit
Kunstwerken! Sie gefallen oder gefallen nicht, sie sprechen an oder stoßen
auf Ablehnung, sie lösen im Betrachter oder Zuhörer etwas aus oder lassen
ihn unberührt. Sie zwingen ihn aber nicht unbedingt zur eigenen Aktivität. Der Zuhörer oder Betrachter konsumiert die Kunst. Um zurück zum
Unterricht zu kommen: Der Belehrte wird nicht unbedingt zum Lerner.
Und hier beginnt das Problem. Unsere Gesellschaft wird als Wissensgesellschaft bezeichnet. Es wird gesagt, in ihr habe nur derjenige eine
Chance, der motiviert ist sich Wissen anzueignen, der weiß, wie man sich
33303.book Seite 12 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
12 | Warum dieses Buch und für wen?
Wissen aneignet, der mit Wissen umgehen kann, der Techniken kennt,
einzelne Wissenselemente zu verknüpfen, der bereit ist, das alles immer
wieder zu tun – kurz jemand, der selbstständig und eigenverantwortlich
lernen kann, dies gerne tut und bereit ist, es ein Leben lang zu tun.
Johannes Rau, der Initiator der immer noch zukunftweisenden Empfehlungen der nordrhein-westfälischen Bildungskommission von 1995, sagte
zu diesem Thema als Bundespräsident 2004: „Die alte Volksweisheit ‚Was
Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr‘ erhält angesichts des
rasanten Wandels eine ganz neue Bedeutung. Heute könnte man sagen:
,Hänschen muss lernen, damit Hans weiterlernen kann.‘“1
Hänschen muss also das Lernen lernen. Wo sollte es diese Ausbildung
erwerben, wenn nicht dort, wo die Fachleute für Lernen arbeiten (sollten?),
in der Schule also? Neben Deutsch, Englisch, Mathematik, Französisch,
Physik, Biologie, Chemie, Geschichte, Sozialwissenschaften, Religion,
Sport, Musik, Kunst, Friedenserziehung, Umwelterziehung, Gesundheitserziehung, Benimmschule … nun noch ein weiteres Fach? Die Länge
der – bei Weitem nicht vollständigen – Aufzählung allein ist schon Beleg
dafür, dass das kein sehr erfolgreiches Unterfangen sein dürfte. Es muss
um ein training on the job gehen, man muss das Lernen sozusagen beim
Lernen lernen. Das geschieht aber nicht automatisch; denn sonst hätte
Schule viel mehr autonome Lerner hervorbringen müssen und nicht so
viele, die in der Schule eher widerwillig oder mit geringem Einsatz um
eines Abschlusses willen pauken oder andererseits meinen, das Lernen
höre glücklicherweise nach der Schule oder spätestens nach der Ausbildung auf. Um das Lernen zu lernen bedarf es einer Systematik, die alle
Fächer und Lernarrangements in einer Schule einbezieht und – in einer
regionalen Bildungslandschaft – alle Schulen einer Region. Auf diese
Weise entsteht für den einzelnen Schüler ausreichend Zeit (9, 10, 12 oder
gar 13 Jahre) für Übung und Reflexion, um Routinen ausbilden zu können,
die ein Leben lang tragfähig sind.
In dem vorliegenden Band wird ein Konzept beschrieben, wie Unterricht
so entwickelt werden kann, dass er den neuen Anforderungen gerecht
wird, die aus veränderten gesellschaftlichen Bedingungen entstanden
sind. Dieses Konzept wird allen Schulen im Projekt "Selbstständige
Schule" angeboten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches
stehen in Nordrhein-Westfalen ca. 400 Trainerinnen und Trainer dafür
zur Verfügung, über die Hälfte der 278 Projektschulen haben das Angebot
dieser systematischen Unterrichtsentwicklung angenommen. Darüber
hinaus arbeiten bereits einige hundert so genannte Korrespondenzschu-
1
Rau, J., Den ganzen Menschen bilden – wider den Nützlichkeitszwang. Plädoyer für
eine neue Bildungsreform, Weinheim und Basel 2004, S. 12
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Warum dieses Buch und für wen? | 13
len2 mit dem gleichen Ansatz – ebenso wie die "Schule & Co.-Schulen" im
Kreis Herford. Das Konzept soll Eingang in den neuen Qualitätsrahmen
des Landes finden; die Fortbildungen sollen im neuen Unterstützungssystem des Landes allen Schulen zugänglich gemacht werden.3
Das Leitbild ist das Individuum, das sich kompetent im persönlichen und
gesellschaftlichen Alltag bewegt, das gelernt hat, Probleme zu lösen und
dazu bereit und motiviert ist, die erlernten Problemlösungsstrategien in
allen denkbaren Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll zu nutzen. Dazu werden in Basistrainings Fertigkeiten und Fähigkeiten erworben, die anschließend in allen möglichen Unterrichts- und
Lernsituationen gepflegt und weiterentwickelt werden (sei es im Fachunterricht oder im fächerübergreifenden Unterricht, sei es in Freier Arbeit
oder in der Wochenplanarbeit, sei es in einer Arbeitsgemeinschaft oder im
Selbstlernzentrum, sei es allein oder im Team, sei es in der Bibliothek oder
vor dem Computer). In ihrem Zusammenwirken untereinander und vor
allem in Verbindung mit den fachlichen Kompetenzen machen sie das
eigenständige Lernen aus.
Dieses Buch bietet Anregungen für alle, die mit der Verbesserung von
Unterricht zu tun haben:
z
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z
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z
2
3
Lehrerinnen und Lehrer finden Ausführungen zu einem systematischen Trainingsprogramm und dessen Umsetzung in der Schule.
Schulische Steuergruppen finden „Fahrpläne“, wie sie einen systematischen Prozess der Unterrichtsentwicklung in ihrer Schule in Gang setzen und gestalten und dessen Qualität sichern können.
Eltern finden Ideen, die sie in ihre Arbeit in den schulischen Mitwirkungsgremien einbringen können.
Schulleiterinnen und Schulleiter finden z. B. Anregungen zur Teambildung an ihrer Schule.
Regionale Steuergruppen finden Vorschläge, wie Unterrichtsentwicklung zur Basis für die Entstehung einer regionalen Bildungslandschaft
werden könnte.
Die Projektträger haben im Mai 2004 vereinbart, dass möglichst viele Schulen einer
Region die neuen Möglichkeiten und Wege einer regionalen Schulentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule" nutzen und in die regionalen Qualifizierungsprozesse eingebunden werden sollen, damit sich regionale Schul- und Bildungslandschaften
entwickeln können. Diese Korrespondenzschulen nehmen an den Qualifizierungsprogrammen teil, erwerben aber nicht den Status von Projektschulen. Die Entscheidung
obliegt der regionalen Steuergruppe, ob und zu welchem Zeitpunkt die Zusammenarbeit mit weiteren Schulen in der Region kontraktiert wird. Vgl. www.selbststaendigeschule.nrw.de/RegionaleBildungslandschaften/Transfer_in_die_Region
Vgl. „Anlage zum Kooperationsvertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NordrheinWestfalen und der Bertelsmann Stiftung vom 21. August 2001“, unterzeichnet am 13.
Dezember 2005 (s. Anhang)
33303.book Seite 14 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
14 | Warum dieses Buch und für wen?
Evaluationsberaterinnen und -berater finden Ansatzpunkte, wie sie die
interne Evaluation in Schulen auf dem Weg der Qualitätssicherung
begleiten können.
z Schulaufsichtsbeamte finden Anregungen für einen neuen Blick auf
systemische Schulentwicklung sowie deren Akteure.
z
Schülerinnen und Schüler fehlen in dieser Aufzählung von möglichen
Adressaten. Um sie geht es eigentlich – und zwar darum, dass jede/r Einzelne von ihnen Lernkompetenz erwirbt. Eine Schule kann erst dann
behaupten, sie habe den Unterricht systematisch verbessert, wenn sie
sicher sein kann, dass alle Schülerinnen und Schüler dieser Schule davon
profitieren: nach und nach – denn um Blitzerfolge kann es dabei nicht
gehen, wohl aber um nachhaltige Wirkungen, und die brauchen Zeit und
Unterstützung. Aus der Perspektive von Schülerinnen und Schülern
bedeutet Nachhaltigkeit auch, dass sie nicht nur in der Grundschule Fähigkeiten ausbilden, sondern dass die Schule der Sekundarstufe I und die
darauf folgende Schule in ähnlicher Weise arbeitet und diese Fähigkeiten
immer weiter entwickelt. Wenn Schulen in einer Region so zusammenarbeiten, dass „Bildungsbiografien ohne Brüche“4 möglich werden, dann
stehen Schülerinnen und Schüler wirklich im Zentrum aller Bemühungen, so zu lehren, dass sie lernen können und wollen … in der Gegenwart
und in der Zukunft.
4
Titel eines Vorhabens in einer Modellregion; vergleichbare Arbeitsschwerpunkte
haben mehrere Regionen.
33303.book Seite 15 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
2
Bildungsherausforderungen an die Schule
und die Entwicklung guten Unterrichts
Die Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts wird als Wissensgesellschaft beschrieben, eine Kennzeichnung, die auf den ersten Blick
suggeriert, dass Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen bestens auf
das Leben in dieser Gesellschaft vorbereitet werden, denn genau das war
der Auftrag von Schule, seitdem es sie gibt: die Vermittlung von Wissen.
Bei genauerem Hinsehen gerät die Vorstellung der optimalen Passung ins
Wanken.
Der Übergang vom Industriezeitalter zum Zeitalter des Wissens findet
weltweit statt. In der Industriegesellschaft war Deutschland gut positioniert und ist deshalb auch heute noch Exportweltmeister. In der sich entwickelnden neuen Gesellschaft spielen Wissensgüter die entscheidende
wirtschaftliche Rolle – und da ist Deutschland bereits heute oft auf Importe
angewiesen. Die Arbeitsmärkte brauchen viel mehr Hochqualifizierte als
noch in der Industriegesellschaft – aber in Deutschland studieren nur 35 %
der Jugendlichen im Vergleich zu 51 % im OECD-Durchschnitt. Zudem
leistet sich Deutschland, dass ein erheblicher Teil eines Altersjahrgangs
die Schulen als nicht berufsbildungsfähig und damit chancenlos für den
veränderten Arbeitsmarkt verlässt.
Wenn hier von Arbeitsmärkten die Rede ist, soll allerdings nicht eine der
unsinnigen Antinomien im Bildungswesen bedient werden. Spätestens
wenn das Weinert’sche Kompetenzmodell als wichtiger Bezugspunkt für
Unterrichtsentwicklung beschrieben wird, wird deutlich werden, dass es
nicht um bessere Verwertbarkeit von Wissen oder bloße Effizienzsteigerung geht, nicht um den „Nützlichkeitszwang“, gegen den Rau argumentiert.
2.1
zu wenig Hochqualifizierte und zu viele
Berufsbildungsunfähige
Rau: … wider den
Nützlichkeitszwang
Was uns bleibt: lebenslang lernen
Es gibt drei hervorstechende Kennzeichen dieser Wissensgesellschaft. Die
gegenwärtige Halbwertzeit des Wissens macht jegliche Gewissheit
zunichte, einmal Gelerntes sei über Jahrzehnte hinweg tragfähig. Zunehmend, so betont Hartmut von Hentig1, stehen Lehrerinnen und Lehrer vor
der großen Herausforderung, Kinder für eine Welt vorbereiten zu müssen, die sie selbst noch nicht kennen. Die Anforderungen der Arbeitswelt
sind andere als noch vor zehn Jahren, und der demografische Wandel
1
Übergang vom
Industriezeitalter in
die Wissensgesellschaft
Hentig, H. von, Ach, die Werte, Weinheim und Basel 2001, S. 21 ff.
drei Merkmale der
Wissensgesellschaft:
Halbwertzeit des
Wissens
33303.book Seite 16 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
16 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
Anforderungen
der Arbeitswelt
gefährdet nicht nur unsere Sozialsysteme, sondern wird auch die Bildungssysteme deutlich verändern.
Die veränderten Anforderungen der Arbeitswelt bilden sich beispielsweise
ab in den Kriterien, nach denen ein Konzern wie Shell, der weltweit
100.000 Mitarbeiter beschäftigt, neue Mitarbeiter, sogenannte High
Potentials, im Assessment Centre auswählt2 (– und viele dieser Kompetenzen sind sicherlich nicht nur für zukünftige Führungskräfte relevant):
“Capacity: Do you have the analytic ability to place problems in a wide but
relevant perspective?
z the ability to analyse data quickly and learn fast, basing judgement on
fact not sentiment
z the ability to analyse outside existing boundaries to identify implications
and learn from others
z the creativity to propose innovative solutions
z the ability to manage uncertainty within complex environments to produce workable solutions
Achievement: Do you have the ability to get things done?
z the drive and enthusiasm to set yourself and others challenging unambiguous targets
z the resilience to deliver
z the courage and self-confidence to tackle unfamiliar problems and go
against the crowd when necessary
Relationships: Do you have the ability to work efficiently with others in a
team?
z genuine respect and concern for people
z valuing contributions from others regardless of culture or status
z demonstrating honesty and integrity in all actions
z creating trust through open and direct communications
z persuading others through the inspiration, sensitivity and clarity of their
argument
z arranging clear means of communication and decision making”
Werden Kinder und Jugendliche in unseren Schulen oft genug angeleitet,
unbekannte Probleme mutig und selbstbewusst anzugehen und sich,
wenn nötig, non-konform zu verhalten? Lernen sie Schwung und Begeisterung dafür zu entwickeln, sich selbst und anderen klare Ziele zu setzen,
die eine Herausforderung darstellen? Lernen sie von anderen zu lernen?
Lernen sie, die Beiträge anderer wertzuschätzen – unabhängig von deren
Kultur oder Status?
2
http://www.shell.com
33303.book Seite 17 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Was uns bleibt: lebenslang lernen | 17
Bildungsökonomen wie Klaus Klemm erläutern3, welches Umdenken der
demografische Wandel im Bildungswesen erfordern wird. Wenn – wie
prognostiziert – die Zahl der Erwerbstätigen in der Bundesrepublik bis
2030 bei deutlich verschobenen Altersgewichten um 5 Millionen sinken
wird, bedeutet das womöglich, dass wir länger arbeiten müssen. Es bedeutet aber sicher, dass wir uns während dieser Arbeitszeit mit verschiedensten Aufgaben werden auseinandersetzen müssen. Auf diese steigende
Anforderung an Flexibilität wird sich Schule einstellen müssen.
Eine weitere riesige Herausforderung, die auf die Schulen zukommt, liegt
darin, verstärkt auch denjenigen Kindern und Jugendlichen die optimalen
Entwicklungschancen zu eröffnen, die aus den sogenannten bildungsfernen Schichten stammen. Dieser Anteil wird allen Prognosen zufolge steigen. Das Brachliegen großer Potenziale ist volkswirtschaftlicher Unsinn,
den sich Deutschland nicht leisten kann. Die OECD kritisiert regelmäßig,
dass in Deutschland der Anteil der Schulabsolventen mit Hochschulreife
im Vergleich zu anderen Industrienationen geradezu niederschmetternd
gering ist. Gleichzeitig gibt es eine „Risikogruppe“ junger Menschen, die
den Anforderungen moderner Berufe kaum noch gerecht wird und die in
Deutschland größer ist als in anderen vergleichbaren Ländern. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Jürgen Baumert,
stellt fest: „Interpretiert man die Leistungsergebnisse der Reading-Literacy
Study und von TIMSS und PISA im unteren Kompetenzbereich inhaltlich
und vergleicht diese mit den Ansprüchen zukunftsfähiger Berufsausbildungen, so lässt sich eine Risikogruppe junger Menschen identifizieren,
die in Deutschland im Vergleich zu anderen modernen Dienstleistungsund Wissensgesellschaften ungewöhnlich groß ist und fast ein Viertel
einer Altersgruppe ausmacht. Die Wahrscheinlichkeit, dieser Risikogruppe anzugehören, ist nicht gleich verteilt. Besonders betroffen sind
Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien und aus sozial schwachen und bildungsfernen Elternhäusern.“4 Der Bildungsbericht 2006 der
Kultusministerkonferenz belegt, dass wiederum mehr als ein Viertel der
Kinder und Jugendlichen bis 25 Jahre einen Migrationshintergrund aufweist.5 Ein Land, das auf lange Sicht auf Einwanderung angewiesen sein
wird, wenn es seine Wirtschaftskraft erhalten will, muss sich auch in sei3
4
5
Klemm, K., „Bildungsinvestition – Grundlage für Wirtschaftswachstum“ in: Berger, R. /
Wüst, K., Hrsg., Innovation durch Partnerschaft. Dokumentation einer Tagung am
27. Mai 2004 in Neuss, veranstaltet von der Stiftung Partner für Schule NRW, Düsseldorf
2004, S. 48–59
Baumert, J., „Was wissen wir über die Entwicklung von Schulleistungen?“ in: PÄDAGOGIK, Heft 4, April 2006, S. 46
Konsortium Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung, Hrsg., Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter
Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Bielefeld 2006, S. 142; auch als Volltext im Internet: www.bildungsbericht.de/daten/gesamtbericht.pdf
demografischer
Wandel
ein Viertel der unter
25-Jährigen hat
Migrationshintergrund
33303.book Seite 18 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
18 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
Kompetenzen für ein
befriedigendes
privates und
berufliches Leben
Weinerts Definition:
Kompetenzen
Nicht in der Schule
für das Leben,
sondern lebenslang
lernen!
nen Schulen der Anforderung der Integration und bestmöglichen Förderung stellen.
Aber hier sollte nicht nur volkswirtschaftlich argumentiert werden. Das
Menschenrecht auf bestmögliche Bildung für jeden Einzelnen und jede
Einzelne so gut wie möglich einzulösen, steht einem Land wie Deutschland mit seinen Bildungstraditionen gut zu Gesicht.
Teilweise unter erschwerten Bedingungen, „mit geringerem familiärem
Kapital“6 werden Kinder und Jugendliche bis zum Erwachsenenalter ein
ganzes Bündel von Kompetenzen erworben haben müssen, um – woher
auch immer sie kommen und mit welchen Potenzialen auch immer sie
ausgestattet sein mögen – privat und beruflich ihren ganz persönlichen
Weg in dieser Gesellschaft gehen zu können. Diese Erkenntnis spiegelt
sich auch in dem Literacy-Konzept wider, von dem die PISA-Studie ausgeht. Es geht um Kompetenzen, „die in modernen demokratischen Gesellschaften für eine befriedigende und selbst verantwortete Lebensführung
in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht sowie für die aktive Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben notwendig sind.“7 Unter Kompetenzen versteht man nach Weinert „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie
erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte
Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen8 und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll
nutzen zu können.“9 Mit anderen Worten: Kompetenz ist die funktionale
Verbindung von Wissen, Verstehen, Können und Wollen.
Die veränderten Anforderungen der Wissensgesellschaft bedingen, dass es
nicht mehr genügt, in der Schule für das Leben zu lernen, sondern dass die
Menschen ihr ganzes Leben lang lernen müssen. Deshalb – so Klafki – ist
die Fähigkeit, selbstständig lernen zu können, bedeutsam. Zudem konstatiert er, „dass die Fähigkeit zum selbstständigen Lernen zu einer reich entwickelten Persönlichkeit gehört, zur Freiheit des Menschen […].“10
6
Baumert, J., (2006), S. 57
Deutsches PISA-Konsortium, Hrsg., PISA 2000, Opladen 2001, S. 16
8 vom eigenen Willen gesteuert
9 Weinert, F. E., „Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit“ in: Weinert, F. E., Hrsg., Leistungsmessung in Schulen, 2. Aufl., Weinheim und Basel 2002, S. 27 f.
10 Klafki, W., „Selbstständiges Lernen muss gelernt werden!“ in: Stübig, F., Hrsg. Selbstständiges Lernen in der Schule, Beiträge zur Gymnasialen Oberstufe, 5, Universität Kassel, Kassel 2003, S. 20 ff.; er fährt fort: „Drittens: Im Grunde ist alles spezifisch
menschliche Lernen so angelegt, dass es von Beginn an Momente der individuellen
Selbstständigkeit enthält. […] Schließlich viertens: […] Erziehung durch Selbsttätigkeit
zur Selbstbestimmungsfähigkeit enthält also immer auch eine politische Komponente.“
7
33303.book Seite 19 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Was uns bleibt: lebenslang lernen | 19
Dem lebenslangen Lern- und Bildungsprozess liegt also das Leitbild einer
„selbstständigen Lernerin“ bzw. eines „selbstständigen Lerners“
zugrunde. Nur wer selbstständig lernen kann, wird auch ohne das stützende Korsett einer Institution wie der Schule weiterlernen. Selbstständig
Lernende sind in der Lage, „ihr eigenes Lernen [zu] regulieren, [...] sich
selbstständig Lernziele zu setzen, dem Inhalt und Ziel angemessene Techniken und Strategien auszuwählen und sie auch einzusetzen. Ferner halten sie ihre Motivation aufrecht, bewerten die Zielerreichung während und
nach Abschluss des Lernprozesses und korrigieren – wenn notwendig –
die Lernstrategie.“11 Sie sind in der Lage, ihre Lernziele und Lernstrategien
auch in komplexeren sozialen Beziehungen gemeinsam mit anderen Personen zu entwickeln, umzusetzen und kritisch zu hinterfragen.12
Kinder und Jugendliche, Junge und Alte, alle Menschen lernen in unterschiedlichen schulischen und außerschulischen Kontexten. Ihre Lernprozesse sind höchst individuell und komplex. Bei aller Unterschiedlichkeit –
so belegt die neuere Hirnforschung – ist allem Lernen jedoch eines
gemeinsam: Man lernt vor allem durch Handeln in als relevant empfundenen Kontexten, durch langsames „Können-Lernen“13, wobei geistiges
Handeln eingeschlossen ist.
Es kann davon ausgegangen werden, dass es wesentlich von der Lernerfahrung in der Schule abhängt, wie gut oder wie schlecht dieses lebenslange Lernen „funktioniert“, nicht nur im Sinne von „wissen wie“, sondern
auch im Sinne von „wissen wollen“. Auch wenn quantitativ der Anteil
schulischen Lernens am Lernen überhaupt nicht sehr hoch ist, so ist
Schule doch „der einzige gesellschaftliche Ort, der darauf spezialisiert ist,
kulturelle Lerngelegenheiten, die unter den Gesichtspunkten der Lehrund Lernbarkeit ausgewählt und geplant sind, der gesamten nachwachsenden Generation zugänglich zu machen. […] Durch die Bereitstellung
stabiler Lernumwelten kann langfristig, systematisch und kumulativ gelernt
werden.“14
Schulische Bildung wird von Schülerinnen und Schülern in unterrichtlichen und außerunterrichtlichen Zusammenhängen erworben, aber in
erster Linie erfolgt ein systematischer Erwerb von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen innerhalb des schulischen Unterrichts.
11
Deutsches PISA-Konsortium (2000), S. 271
Zur Genese der Zielsetzung des selbstständigen Lernens vgl. Stübig, F. „Selbsttätigkeit
als Weg zur Selbstständigkeit – ein Rückblick“ in: Stübig, 2003, S. 9–18
13 Spitzer, M., Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens, Heidelberg und Berlin
2002, S. 65
14 Baumert, J., (2006), S. 40
12
Nur selbstständig
Lernende können
lebenslang lernen!
Schulische Lernerfahrungen
sind prägend.
Unterricht ist das
Kerngeschäft von
Schule.
33303.book Seite 20 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
20 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
Der Bildungsgang einer einzelnen Schülerin oder eines einzelnen Schülers, der mehrere Unterrichtsfächer über mehrere Jahrgangsstufen
umfasst, sollte dabei in Gänze betrachtet werden: in der Einzelschule und
über mehrere Schulstufen bzw. -formen hinweg, sowohl horizontal
(gleichzeitig innerhalb mehrerer Fächer) als auch vertikal (über mehrere
Jahrgänge hinweg).
Dass die einzelne Schülerin oder der einzelne Schüler Bildung auch in
weiteren institutionellen Zusammenhängen erhält und wie diese mit dem
schulischen Unterricht verknüpft werden können, davon wird in Kap. 6
die Rede sein.
Wenn Schülerinnen und Schüler heute entscheidende Grundlagen für das
lebenslange Lernen im schulischen Unterricht erwerben sollen, dann
muss der herkömmliche Unterricht sich verändern. Das führt zu den Fragen, welchen Zielen sich Schule verpflichten muss und was „guten Unterricht“ ausmacht.
2.2
Bildungsziele der Schule: Wissen und Lernen
Im Wesentlichen lassen sich aus dem Leitbild einer „selbstständigen Lernerin“ bzw. eines „selbstständigen Lerners“ zwei Forderungen ableiten,
die als Ziele eines guten Unterrichts gelten können. Er muss den systematischen Erwerb fachlicher Kompetenzen und die Ausbildung überfachlicher Kompetenzen unterstützen und gleichzeitig einfordern. Beide Ziele
hängen eng miteinander zusammen und werden hier nur aus analytischen und pragmatischen Gründen getrennt.
Das bekannteste und einflussreichste Leitbild einer Lernkultur hat Weinert vorgelegt.15 An ihm orientiert sich das Konzept von Unterrichtsentwicklung, das in diesem Buch vorgestellt wird und in der im März 2004
erstmals veröffentlichten Broschüre der Projektleitung „Lehren und Lernen für die Zukunft – Guter Unterricht und seine Entwicklung im Projekt
’Selbstständige Schule’“16 präsentiert wurde. Weinert beschreibt sechs
fundamentale fachliche und überfachliche Bildungsziele, die sich aus dem
Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule ergeben:
15
Weinert, F. E., Lehren und Lernen für die Zukunft – Ansprüche an das Lernen in der
Schule. Vortrag am 29.03.2000 im Pädagogischen Zentrum in Bad Kreuznach, in: Pädagogische Nachrichten Rheinland-Pfalz 2/2000, S. 5 ff.
33303.book Seite 21 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Bildungsziele der Schule: Wissen und Lernen | 21
z
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16
Erwerb intelligenten Wissens
Intelligentes Wissen ist nicht reines Faktenwissen, sondern ein gut
organisiertes, fachlich und überfachlich und auch lebenspraktisch vernetztes System von flexibel nutzbaren Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnissen und metakognitiven Kompetenzen.17
Erwerb anwendungsfähigen Wissens
Wissen gut geordnet im Kopf gespeichert zu haben, bedeutet noch
nicht, dass man es anwenden kann. Die Schule muss deshalb dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler lernen, ihr Wissen in unterschiedlichen, möglichst auch fachübergreifenden Anwendungssituationen zu
nutzen.
Erwerb variabel nutzbarer Schlüsselqualifikationen
Schlüsselqualifikationen sind wichtige Kenntnisse und wichtiges Können, die nicht nur in einer Situation, sondern in möglichst vielen Situationen anwendbar sind. Dazu gehören beispielsweise die
Lesekompetenz und die Medienkompetenz, aber auch die nachfolgend
genannten Kompetenzen.
Erwerb des Lernen Lernens (Lernkompetenz)
Damit werden die Lernprozesse selbst zum Gegenstand des Unterrichts. Es geht darum, mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam
nicht nur zu reflektieren, was sie gelernt haben, sondern auch, wie sie
es gelernt haben. Das bedeutet, für jedes Fach und jeden Lernenden die
erfolgreichen Lernwege und Lernstrategien zu erfassen und bewusst zu
machen. Das Ziel ist, Expertise für das eigene Lernen zu gewinnen.
Erwerb sozialer Kompetenzen
Hier geht es um soziales Verstehen, soziale Geschicklichkeit, soziale
Verantwortung und Konfliktlösungskompetenz.
Erwerb von Wertorientierungen
Gemeint ist der Aufbau einer Schulkultur, durch die soziale, demokratische und persönliche Werte vermittelt werden können.
Das in dieser Broschüre vorgelegte Konzept beruht auf einer Verständigung von Vertretern des Schulministeriums, den Koordinatoren der Bezirksregierungen und Vertreterinnen und Vertretern der Bertelsmann Stiftung sowie der Projektleitung auf eine
gemeinsame Vorstellung der Qualität von Unterricht und von Unterrichtsentwicklung
und – zur Unterstützung dessen in einem wichtigen Sektor – auf ein Programm zur Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern. Das gemeinsame Verständnis, das dort formuliert wird, berücksichtigt Ergebnisse neuerer Forschung zum Lehren und Lernen,
schulpolitische Grundlagen und Entscheidungen des Landes Nordrhein-Westfalen
sowie Erkenntnisse zur Unterrichtsentwicklung, insbesondere zur Entwicklung überfachlicher Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern, und zur die Qualifizierung von
Lehrerinnen und Lehrern aus dem Projekt "Schule & Co.".
Die Broschüre befindet sich im Anhang; sie kann per Mail angefordert werden über:
[email protected]; sie steht auch als Download im Internet zur
Verfügung unter: www.selbststaendige-schule. nrw.de. (Zur Entwicklung und
Geschichte dieses Konzeptes und zu entsprechenden Veröffentlichungen vgl. Kap. 3.2)
17 Der Begriff „metakognitive Kompetenz“ wird in Kap. 2.3 erklärt.
Weinerts Leitbild
einer Lernkultur
33303.book Seite 22 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
22 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
Die wichtigste Aufgabe des Bildungs- und Ausbildungssystems und des lebenslangen Lernens besteht darin, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene intelligentes Wissen erwerben. „Es gibt keine herausragende
Kompetenz auf anspruchsvollen Gebieten ohne ausreichendes inhaltliches Wissen. Nach dem gegenwärtigen Forschungsstand der Kognitionswissenschaften kann es keine Zweifel geben, dass es zum Scheitern
verurteilt ist, wenn man durch formale Techniken des Lernen Lernens oder
mit Hilfe einiger weniger Schlüsselqualifikationen fehlendes oder mangelhaftes inhaltliches Wissen kompensieren wollte.“18 Die wichtigste Voraussetzung für anspruchsvolle Lernprozesse ist zweifelsohne eine solide
und gut organisierte Wissensbasis, aber es bedarf der Schlüsselqualifikationen und anderer Kompetenzen, um das Wissen fruchtbar zu machen.
Bildungsziele der Schule
Erwerb
intelligenten Wissens
Erwerb
anwendungsfähigen Wissens
Erwerb variabel nutzbarer
Schlüsselqualifikationen
Qualifizierung
Unterrichtsentwicklung
Erwerb
der Lernkompetenz
Erwerb
sozialer Kompetenzen
Erwerb von
Wertorientierungen
nach: Weinert 2000
© Selbstständige Schule
Abb. 1: Bildungsziele der Schule
Erkenntnisse
aus PISA
Auch durch die PISA-Studie weiß man um diesen Zusammenhang. Darin
wird vor allem im Bereich der Lesekompetenz nachgewiesen, dass die
Selbstregulierung des Lernens insbesondere vor dem Hintergrund lebenslanger Lernprozesse wichtig ist und auch das fachliche Lernen befördert.
„Lesekompetenz im Sinne effektiver Informationsverarbeitung“, heißt es
dort, „bedarf einer intentionalen und strategischen Steuerung des Lern18
Weinert, F. E., (2000), S. 5
33303.book Seite 23 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Was wir über Lernen wissen | 23
und Leseprozesses.“19 Genau hier setzt das in diesem Buch beschriebene
Konzept der Unterrichtsentwicklung an.
Schülerinnen und Schüler können den Anspruch an Schule erheben, dass
fachliches und überfachliches Lernen im Sinne der Bildungsziele Weinerts und der Erkenntnisse der PISA-Studie in einen methodisch variabel
und vielfältig gestalteten Unterricht integriert werden und zum Erwerb
komplexer Handlungskompetenzen führen, bei denen „intellektuelle
Fähigkeiten, bereichsspezifisches Vorwissen, Fertigkeiten und Routinen,
motivationale Orientierungen, metakognitive und volitionale Kontrollsysteme sowie persönliche Wertorientierungen“20 zusammenwirken.
2.3
fachliches und
überfachliches
Lernen
Was wir über Lernen wissen
Die Fähigkeit zur Selbstregulierung des eigenen Lernens spielt zur Erreichung der dargelegten Bildungsziele eine bedeutsame Rolle. Es handelt
sich bei der Selbstregulierung um ein „dynamisches Wechselspiel zwischen kognitiven, metakognitiven und motivationalen Aspekten des Lernens.“21 Den Ausführungen im 6. Kapitel der PISA-Studie folgend22,
können diese Aspekte wie folgt gekennzeichnet werden:
Was heißt Selbstregulierung des
Lernens?
Auf der kognitiven Ebene geht es um die Kenntnis, Auswahl und
Anwendung von bereichsspezifischen und allgemeinen Lernstrategien
zur Informationsverarbeitung und Problemlösung, verbunden mit
Wissen um deren Wert und Nutzen. Dabei versteht man unter einer
Strategie eine bewusst einsetzbare, häufig aber automatisierte Folge
von Handlungsschritten, die in einer bestimmten Situation aus dem
Handlungsrepertoire abgerufen und situationsadäquat eingesetzt wird,
um Lern- oder Leistungsziele zu erreichen. Dazu gehören insbesondere
Lern- und Problemlösungsstrategien.
z Auf der metakognitiven Ebene handelt es sich um Strategien zur Steuerung des Lernprozesses. Hierzu zählen die Planung (z. B. des Lernziels und der Mittel, die zur Zielerreichung notwendig sind), die
Überwachung (z. B. des Lernfortschritts), die Steuerung (z. B. durch die
Veränderung der Mittel), die Kontrolle und Bewertung der Zielerreichung sowie die Kenntnis eigener Stärken und Schwächen beim Lernen.
z Auf der motivationalen Ebene zeichnen sich selbst regulierte Lerner
dadurch aus, dass sie in der Lage sind, sich selbstständig Ziele zu set-
kognitive Ebene
z
19
Deutsches PISA-Konsortium (2000), S. 76
Deutsches PISA-Konsortium (2000), S. 22
21 Ebd., S. 271
22 Ebd., S. 272 f.
20
metakognitive Ebene
motivationale Ebene
33303.book Seite 24 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
24 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
zen, sich selbst zu motivieren, Lernvorgänge gegenüber konkurrierenden Handlungswünschen abzuschirmen und Erfolge und Misserfolge
angemessen zu verarbeiten.
Selbstständige Lernerinnen und Lerner
Lernstrategie
korrigieren
Steuerung
des eigenen
Lernens
fachliche
Kompetenzen
Selbstständiges
Lernen
Lernziele
setzen
Zielerreichung
bewerten
Techniken und
Strategien
auswählen
Motivation
aufrechterhalten
nach: PISA 2000
© Selbstständige Schule
Abb. 2: Selbstständige Lernerinnen und Lerner
Die Fähigkeit zur Selbstregulierung ist nicht abstrakt erlernbar, sondern
nur in der konkreten, reflektierten Auseinandersetzung mit spezifischen
Gegenständen. Sie kann u. a. dadurch gefördert werden, dass nach dem
Ablauf bestimmter Lernsequenzen eine metakognitive Phase eingelegt
wird, um mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsam den bisherigen
Lernprozess und die Lernergebnisse zu reflektieren.
Sie kann auch dadurch erheblich gefördert werden, dass die Lernangebote,
auf die der oder die Einzelne im Laufe der individuellen Lernbiografie
trifft, miteinander verknüpft werden; denn das macht Lernen wesentlich
effektiver. Eine systematische Unterrichtsentwicklung innerhalb einer
Schule sowie der Aufbau regionaler Bildungslandschaften unterstützen
insofern die Entwicklung des Individuums (vgl. Kap. 4 und 6).
33303.book Seite 25 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Was wir über Lernen wissen | 25
In Zeiten des PISA-Schocks erhofft man sich neue, gesicherte Antworten
auf die alten Fragen, wie Lernen am besten funktioniert, und fragt die Neurowissenschaftler, wie das menschliche Gehirn arbeitet. Die Debatte, ob
die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung einen wesentlichen
Beitrag dazu leisten kann, das Lehren und Lernen an den Schulen zu verbessern, ist in vollem Gange. Kritiker sind mit der Kognitionspsychologin
Elsbeth Stern der Meinung, dass die Gehirnforscher keine Antwort geben
können auf die Frage, wie Lernen gestaltet werden muss, und dass sie
(noch) keine vollständigen, in sich schlüssigen Angebote machen können,
die Lehrerinnen und Lehrern bei der Verbesserung ihres Unterrichts helfen.23 Aber es ist – jenseits aller Verklärung der Hirnforschung als neuer
Leitwissenschaft – doch erstaunlich, dass die Forscher z. B. aus den Gruppen um Wolf Singer in Frankfurt oder um Manfred Spitzer in Ulm zwar
„bis jetzt noch keine Ergebnisse erzielt haben, die uns zwingen, Erkenntnisse der Unterrichtsforschung anders zu sehen“24, dennoch aber den
Pädagogen neue, erstmals naturwissenschaftlich untermauerte Argumente an die Hand geben, das umzusetzen, was sie – oft schon seit langer
Zeit – als richtig erkannt haben.25
Wenn es z. B. aus der Hirnforschung Hinweise darauf gibt, dass Ähnliches,
kurz hintereinander gelernt, sich gegenseitig auflöst, dann ist das ein
Anlass dafür, erneut über die Gestaltung der Stundenpläne an vielen unserer Schulen und den gängigen 45-Minuten-Rhythmus nachzudenken –
und über die Verantwortung von Klassenkonferenzen für die Vernetzung
der Angebote der unterschiedlichen Fächer. Davon wird noch einmal die
Rede sein, wenn es um die Organisation der Unterrichtsentwicklung und
um die Schaffung von Lernarrangements für selbstständiges Arbeiten geht
(vgl. Kap. 3.3 und 4).
Wenn es aus der Hirnforschung Hinweise darauf gibt, dass der Neurotransmitter Dopamin, der für angenehme Gefühle verantwortlich ist,
immer dann ausgeschüttet wird, wenn der Lernende ein Erfolgserlebnis
hat, dann ist das ein Anlass dafür, noch einmal darüber nachzudenken, ob
in der Schule oft und systematisch genug individuelle Erfolgserlebnisse
ermöglicht werden, um daraus neue Motivation zu gewinnen für weiteres
Lernen. Davon wird u. a. im Kap. 7.3 die Rede sein, wenn es um den Zeitbedarf für individuelle Förderung geht.
23
Vgl. Stern, E., „Wie viel Hirn braucht die Schule? Chancen und Grenzen einer neuropsychologischen Lehr-Lern-Forschung“ in: Zeitschrift für Pädagogik 50 (4), 2004,
S. 531–538
24 Kerstan, T./Thadden, E. von, „Wer macht die Schule klug?“ Interview mit Manfred Spitzer und Elsbeth Stern in: DIE ZEIT Nr. 28, 01.07.2004, http://www.zeit.de/2004/28/CSpitzer_2fStern2?page=all
25 Eine Einführung in die Erkenntnisse der Gehirnforschung für das Lernen liefert Manfred Spitzer in seinem bereits zitierten Werk: Lernen. Gehirnforschung und die Schule
des Lebens, Heidelberg und Berlin 2002
Wie funktioniert
Lernen am besten?
Fragen an die Neurowissenschaftler
Hirnforscher unterstützen Pädagogen.
33303.book Seite 26 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
26 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
Erkenntnisse der
subjektiven Didaktik
Wenn es aus der Hirnforschung Hinweise darauf gibt, dass die Emotionen
eine entscheidende Rolle beim Lernen spielen, dass emotionale Zustände
zusammen mit Inhalten gespeichert werden, dann ist das ein Anlass
dafür, der Lernatmosphäre und der Lernumgebung erneut Aufmerksamkeit zu schenken. Lehrerinnen und Lehrer sowie Erzieherinnen und Erzieher, die nach der Methode von Maria Montessori arbeiten, werden diese
Erkenntnisse in ihrem Handeln nur bestätigen. Davon wird die Rede sein,
wenn es um die Gestaltung guten Unterrichts geht.
Wenn die Hirnforschung Hinweise darauf gibt, dass Wissen nicht so ohne
Weiteres übertragbar ist, sondern im Gehirn eines jeden neu geschaffen
werden muss und dieses Erschaffen am besten durch Handeln geschieht,
dann muss wieder darüber nachgedacht werden, wie Unterricht so gestaltet werden kann, dass Schülerinnen und Schüler so aktiv wie irgend möglich handelnd ihr eigenes Wissen erschaffen können. In direkter
Verbindung damit steht die Frage, welche Rolle der Lehrerin oder dem
Lehrer dann zukommt. Davon wird immer wieder die Rede sein, wenn es
um eine neue Lehrkultur geht.
Das Verständnis vom Lernen als einer von jedem Individuum zu leistenden eigenständigen Konstruktion ist auch ein Leitgedanke der „Subjektiven Didaktik“. Edmund Kösel gehört zu den schulpädagogischen
Forschern, die schon lange vor TIMSS und PISA die Illusion von der flächendeckenden Effizienz des lehrergeleiteten Großgruppenunterrichts in
Schule und Hochschule zerstört haben. Vor dem Hintergrund der internationalen Vergleichsstudien werden seine Arbeiten auf neue Weise aktuell. Er verwertet interdisziplinär Forschungsergebnisse aus der
Neurobiologie, aus der Evolutionstheorie, aus der Physik und aus der
Kommunikationswissenschaft und lässt sich bei der theoretischen Fundierung seiner „Subjektiven Didaktik“ von der „Neueren Systemtheorie“
und vom „Radikalen Konstruktivismus“ leiten.26
Grundlegend für jedes Lernen ist demnach das Prinzip der Selbstorganisation und Selbststeuerung. „Alle Lernprozesse des Menschen sind als ein
in sich geschlossenes Netzwerk anzusehen, das sich autonom verhält und
in dem die ablaufenden Prozesse rekursiv voneinander abhängen.“27 Das
führt bei Kösel zu einer radikalen Ablehnung „eines falschen Mythos von
Didaktik als ‚Input-Output-Didaktik‘“28. „Wir glaubten, die didaktischen
Maßnahmen eines Lehrenden hätten direkten und linearen Einfluß auf
das Lernverhalten eines jeden Schülers, meist sogar in gleicher Weise. Es
wurde so getan, als ob jedes Element in einem System sich in vorhersehbarer Weise zu den anderen verhalten und sich selbst verändern würde. Es
26
Kösel, E., Die Modellierung von Lernwelten. Ein Handbuch zur subjektiven Didaktik, 3.
Aufl., Elztal-Dallau 1997
27 Ebd., S. 198
28 Ebd., S. 222
33303.book Seite 27 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lernen und Unterricht | 27
wurde ferner angenommen, daß durch didaktische Interventionen jedes
System zu einem bestimmten Ziel-Zustand hinmanövriert werden
könnte.“29 Kösels Paradigmenwechsel in der Didaktik führt zur „Modellierung von Lernwelten“ – so der Titel seines Buches. Ohne ihm im Einzelnen bei Verfahren wie „Chreoden-Analyse“ folgen zu müssen, lohnt
sich die Auseinandersetzung mit seinen Gedanken zur Didaktik in der
Postmoderne, weil sie die Lehrende oder den Lehrenden immer wieder
verweisen auf das, was auch das ultimative Ziel der in diesem Buch dargestellten Unterrichtsentwicklung ist: Die Lernende oder den Lernenden
in ihren/seinen individuellen Zugriffen auf die Gegenstände zu stärken
und in ihrer/seiner Selbstständigkeit zu fördern und sie/ihn damit letztlich autonom zu machen.
Welcher Argumentation auch immer man sich am ehesten anschließen
mag, ob der volkswirtschaftlichen oder der das aufklärerisch-humanistische Bildungsideal vertretenden, ob man die neueste Hirnforschung heranzieht oder die Lernpsychologie, ob man sich auf die Erkenntnisse der
Pädagogik insgesamt oder bestimmte Richtungen beruft oder die internationalen Schulleistungsvergleiche bemüht, ob man ein stark oder schwach
gegliedertes Schulsystem vorzieht – eines ist ganz klar: Unterricht ist der
Ort, an dem systematisches schulisches Lernen stattfindet. Unterricht ist
demzufolge der Ort, wo die Forderung nach möglichst großen Lernerfolgen umgesetzt werden muss. Eine Verständigung darauf ist trotz vieler
(unsinniger) Antinomien im Bildungsstreit nicht schwierig. Ein möglicher Weg, wie Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützt werden können,
dieser Anforderung gerecht zu werden, wird in diesem Band dargestellt.
2.4
Lernen und Unterricht
„Ob Unterricht gut oder schlecht ist, ob Lehrkräfte erfolgreich oder erfolglos sind, hängt entscheidend davon ab, welche Zielkriterien man zugrunde
legt“30, betont der Schulforscher Andreas Helmke mit Bezug auf die Bildungsziele Weinerts und fügt erläuternd hinzu: „Um das Lernen zu lernen
oder um soziale Kompetenzen zu erwerben, sind andere Lehr-Lern-Szenarien angemessen als für den systematischen sachlogischen Wissensaufbau“31, der nach Weinert eine Unterrichtsmethode erfordert, die
lehrergesteuert, aber schülerzentriert ist32. Die Unterschiedlichkeit der
29
Ebd., S. 221
Helmke, A., Unterrichtsqualität – erfassen, bewerten, verbessern, Seelze 2003, S. 44.
Dieser Band ermöglicht einen guten Überblick über die Ergebnisse neuerer Forschung
zum Lehren und Lernen.
31 Helmke, A. (2003), S. 46
32 Weinert, F.A. (2000), S. 6
30
Warnung vor jeder
Dogmatik
33303.book Seite 28 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
28 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
Aber: Perspektivenwechsel ist nötig!
Schülerinnen und
Schüler sind heute
anders als vor 10
oder 20 Jahren.
von Weinert eingeforderten Kompetenzen, die mehrdimensionale Zielsetzung, die sich daraus für Unterricht ergibt, bedingt, dass Unterricht in der
Schule nicht eindimensional konstruiert sein kann. Daraus folgt: Den
guten Unterricht, die ideale Lehrmethode gibt es nicht. Sinnvoll ist, fasst
man die sechs genannten Bildungsziele ins Auge, eine Balance zwischen
lehrergesteuerten und schülergesteuerten Unterrichtsformen. Dabei können und müssen z. B. Lehrgänge und Trainings genauso zur Anwendung
kommen wie Routine bildende Phasen und projektartiges Arbeiten.
Die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchende Frage:
„Selbstgesteuertes Lernen – der Tod des Frontalunterrichts?“ ist nur mit
„Keineswegs!“33 zu beantworten. In einem Interview zu den Ergebnissen
der zweiten PISA-Studie und den „Klischees des Lehrens“34 stellt Helmke
fest, dass man aus der Studie nicht ableiten könne, welcher Unterricht zu
besseren Leistungsergebnissen führt. Schlechte Ergebnisse können weder
mit Frontalunterricht noch mit Gruppenunterricht korreliert werden:
„Vom Leistungsgefälle kann man keinesfalls auf die Unterrichtsqualität
rückschließen.“35 Auf die Frage, ob also die Gegenüberstellung von Frontalunterricht und Gruppenarbeit Unsinn sei, antwortet Helmke: „Genau.
Ich warne vor jeder Dogmatik. Es kommt immer auf den guten Methodenmix an. Denn unterschiedliche Lernziele erfordern unterschiedliche
Lehr- und Lernmethoden. Schule muss nicht nur Kenntnisse vermitteln,
sondern auch lehren, wie man sich selbstständig Wissen aneignet.“36
Der Frontalunterricht – so Gudjons im Basisartikel des Heftes der Zeitschrift PÄDAGOGIK, das selbst gesteuertes Lernen zum Thema hat –
„wird allerdings von der traditionellen, nahezu alleinigen Unterrichtsform
mit Allzweckcharakter zu einer Unterrichtsphase, die in ein Gesamtkonzept schüleraktiven (und in großen Teilen selbst gesteuerten) Unterrichts
integriert ist und dort ebenso begrenzte wie unverzichtbare Funktionen
hat.“37 Es geht also nicht um den Tod des Frontalunterrichts, aber eben
auch nicht um eine bloße Akzentverschiebung, sondern um einen grundlegenden Perspektivenwechsel.
Damit trägt man auch am ehesten der Tatsache Rechnung, dass Schülerinnen und Schüler heute anders sind als vor 40, 30, 20 oder sogar 10 Jahren. Die Generation der heute 60-Jährigen mag sich wundern, dass aus
Klassen mit 45 Schülerinnen und Schülern in den fünfziger Jahren in Niederbayern oder Ostfriesland oder der Eifel, in denen das Pult vorne und auf
33
Gudjons, H., „Selbstgesteuertes Lernen der Schüler: Fahren ohne Führerschein? in:
PÄDAGOGIK, Heft 5, Mai 2003, S. 8
34 Spiewak, M., „Vibrierende Pädagogen“, Interview mit Andreas Helmke in: DIE ZEIT Nr.
30, 21.07.2005,
http://www.zeit.de/2005/30/B-Helmke-Interview?page=all
35 Ebd., S. 1
36 Ebd.
37 Gudjons, H., (2003), S. 8
33303.book Seite 29 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lernen und Unterricht | 29
einem Podest stand und der Lehrer oder die Lehrerin von dort „frontal“
unterrichtete, doch auch promovierte Physiker und (sehr selten) Physikerinnen oder erfolgreiche Rechtsanwälte und (manchmal) Rechtsanwältinnen hervorgegangen sind. Doch – um nur ein Merkmal herauszugreifen –
Dutzende von Fernsehkanälen und der bezahlbare Zugang zu Computern
und Mobiltelefonen haben zunehmend z. B. die Aufmerksamkeitsspanne
der Kinder und Jugendlichen deutlich verändert. Aber sie sind nicht nur
anders, sie sind vor allem unterschiedlicher. Die Lebensverhältnisse der
einzelnen Familien und Regionen in Deutschland klaffen immer weiter
auseinander, die Familienstrukturen haben sich verändert, die Menschen
mussten mobiler werden bis hin zu Migrationszwängen. Da sind unterschiedliche Muttersprachen noch der offensichtlichste Unterschied, mit
dem man am ehesten umgehen können sollte. Doch selbst davon sind
viele unserer Schulen noch ein ganzes Stück entfernt. Helmke bezeichnet
den Umgang mit Heterogenität sogar als die „zentrale Herausforderung
dieses Jahrzehntes“. Er hält „Passung“ im umfassenden Sinn für das
Schlüsselmerkmal für guten Unterricht, ein „Metaprinzip“38.
Die PISA-Studie hat mit Zahlen belegt, dass die fehlende Lesekompetenz
der 15-Jährigen in Deutschland sowie die wenig ausgeprägte mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenz auf der mangelnden Förderung durch die Schule beruhen. Die Schul- und Bildungssysteme anderer
Länder schaffen es entschieden besser, diese Kompetenzen früh zu fördern, Schwächen der Schülerinnen und Schüler zu erkennen und sie
unabhängig von deren Herkunft auszugleichen. Sie schaffen es außerdem, mehr Spitzenleistung zu fördern.
Hilfe im Umgang mit „Heterogenität und Differenzierung“39 ist deshalb
eine gefragte Dienstleistung, die jedoch nicht in ein- oder mehrtätigen
Fortbildungen angeboten werden kann. Nur wenn Lehrerinnen und Lehrer ihren Unterricht systematisch und gemeinsam weiterentwickeln und
dabei eine zuverlässige und längerfristige Unterstützung erhalten, werden
sie dazu befähigt, in ihrem Unterricht heterogenen Zielsetzungen, die aus
sich wandelnden gesellschaftlichen Ansprüchen erwachsen, gerecht zu
werden, und das bedeutet dann auch heterogenen Voraussetzungen, die
diese Kinder mitbringen, und heterogenen Verhältnissen, in denen diese
Kinder heute leben und in Zukunft leben werden, angemessen zu begegnen.
Dass eine hohe Individualisierungskultur zu guten Leistungen führen
kann, hat im Rahmen von PISA Schweden bewiesen. Integration (bis hin
zur Integration von Behinderten in das Regelsystem) hat dort einen hohen
38
Helmke, A., „Was wissen wir über guten Unterricht? Über die Notwendigkeit einer
Rückbesinnung auf den Unterricht als dem ,Kerngeschäft‘ der Schule“ in: PÄDAGOGIK,
Heft 2, Februar 2006, S. 45
39 So z. B. der Titel von Heft 9, September 2003, der Zeitschrift PÄDAGOGIK
Umgang mit
Heterogenität lernen
33303.book Seite 30 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
30 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
„Lehren und Lernen
für die Zukunft“
Merkmale guten
Unterrichts
Stellenwert ebenso wie der Umgang mit schwachen Schülerinnen und
Schülern.40 Dass die stärkere Orientierung am Individuum nur geleistet
werden kann, wenn Lehrerinnen und Lehrer die Chance bekommen,
anders zu arbeiten und dafür auch qualifiziert zu werden, ist dabei eine
wichtige Erfahrung. Davon wird in Kapitel 4 die Rede sein.
Im Projekt "Selbstständige Schule" hat es mit dem Papier „Lehren und
Lernen für die Zukunft – Guter Unterricht und seine Entwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"“ eine konzise Darstellung dessen gegeben,
was als gemeinsame Zielvorstellung von Unterricht verstanden werden
kann. Diese Schrift ist der Referenzrahmen für alle Projektschulen und
aus dem Wissen heraus entstanden, dass die Verständigung auf ein
gemeinsames Leitbild in einer Schule zu erheblichen Synergieeffekten für
das Lernen der Schülerinnen und Schüler führt.
Trotz der Gefahr der Verselbstständigung, die solche „Listen“ in sich bergen und auf die Helmke hinweist41, sollen hier im Sinne einer Handlungsbasis (nicht einer Handlungsvorschrift) wichtige Merkmale „guten“
Unterrichts mit dem Fokus des selbstständigen Lernens in einer praxisorientierten Form zusammengefasst werden. Dabei sind aktuelle Kenntnisse aus der Forschung über Unterrichtsentwicklung sowie
schulpolitische Grundlagen und Entscheidungen des Landes NordrheinWestfalen berücksichtigt.
Unterrichtsplanung
z Orientierung an Planungen im Team der Lehrerinnen und Lehrer,
wobei die unterschiedlichen Ausgangssituationen und Dispositionen
der Lernenden analysiert und vertikale Transfers zum Aufbau zunehmend anspruchsvollen fachlichen Lernens (durch das Fachteam) und
horizontale Transfers in ähnliche fachliche oder fachübergreifende
Kontexte (durch das Klassen-, Jahrgangs- oder Bildungsgangteam)
berücksichtigt werden.
z Orientierung an fachlich bedeutsamen Standards (insbesondere an Kernlehrplänen), wobei die Unterschiede in den Lernständen und im Leistungsvermögen der Lernenden analysiert und berücksichtigt sowie vorhandenes
Wissen und erworbene Kompetenzen gezielt einbezogen werden.
40
Vgl. Eikenbusch, G., „Alle sind gleich – aber jeder ist anders…“ in: PÄDAGOGIK, Heft
9, September 2003, S. 10 ff.; vgl. auch Bos, W., Schwippert, K., „Leitthemen im Länderbericht“ in: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Hrsg., Vertiefender Vergleich der Schulsysteme ausgewählter PISA-Staaten. Kanada, England, Finnland,
Frankreich, Niederlande, Schweden, Bonn 2003, S. 73–75; zu einem schwedischen Konzept des lebenslangen Lernens vgl. auch Madelung, P./Götte, Z., „Von den Schweden
lernen? Lebenslanges Lernen als regionales Programm in der schwedischen Kommune
Örebro“ in: Projektleitung, Hrsg., Regionale Bildungslandschaften. Grundlagen einer
staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft, Troisdorf 2004, S. 98 ff.
41 Helmke, A., (2006), S. 44
33303.book Seite 31 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lernen und Unterricht | 31
Orientierung an den Bedürfnissen und Interessen der Lernenden im
Rahmen curricularer Vorgaben durch die Einbeziehung der Schülerinnen und Schüler in die Planung und Gestaltung der Lernprozesse,
wobei die Themen, Probleme und Sachverhalte altersangemessen und
für die Lernenden sinnstiftend und bedeutsam und die thematischen
und methodischen Ziele und Schwerpunkte sowie die Anforderungen
transparent sind.
z In Abhängigkeit von Altersstufe, Schulform und Fach ist der Unterricht
stärker in Form von Unterrichtsvorhaben, d. h. in offenen und komplexen Lernsituationen so organisiert, dass sie Folgendes ermöglichen,
erfordern und unterstützen:
– mehrere Perspektiven auf ein Thema,
– selbst Probleme definieren und Aufgaben formulieren,
– eine gemeinsame Arbeitsplanung,
– unterschiedliche Leistungsniveaus,
– individuelle Lernwege,
– selbstständige Auswahl erlernter Methoden und Strategien,
– den Blick über die Grenzen des Faches,
– kooperatives Lernen,
– ganzheitliches Lernen sowie
– die Reflexion der Lernwege und -ergebnisse.
z Auswahl eines gut aufbereiteten, anregenden, gehaltvollen und mehrperspektivischen Materials und kognitiv anspruchsvoller, klar definierter, nach Möglichkeit problemhaltiger divergenter Aufgaben, d. h. von
Aufgaben, deren Bearbeitung möglichst wenig durch festgelegte Vorgaben eingeengt ist und die verschiedene Lösungs- und individuelle
Bearbeitungswege ermöglichen.
z
Unterrichtsdurchführung
z Die fachlichen Standards sind Orientierungspunkte im Lernprozess.
z Das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler wird gezielt aktiviert und
als Grundlage der weiteren Arbeit genutzt.
z Der Arbeitsprozess ist in allen Phasen für die Lernenden transparent:
Zeitplan, Arbeitsschritte, Produkte und deren Qualität, Präsentation.
z Arbeitspläne werden durch einen begleitenden Reflexionsprozess
gemeinsam überprüft, weiterhin eingehalten oder begründet revidiert.
z Offene Lernformen, die selbstständige Entscheidungen der Schülerinnen und Schüler über das methodische Vorgehen ermöglichen, Formen der direkten Instruktion sowie Lehrgangs- und Trainingslernen
sind in den Lernprozess funktional integriert.
z Für systematisches individuelles und kooperatives Arbeiten und Lernen steht ausreichend Zeit zur Verfügung, die optimal genutzt wird.
33303.book Seite 32 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
32 | Bildungsherausforderungen an die Schule und die Entwicklung guten Unterrichts
z
z
z
z
z
z
z
z
z
z
z
Begriffe, Sachverhalte, Zusammenhänge und Verstehensprobleme
werden rechtzeitig und gründlich geklärt.
Lehrende und Lernende lassen Fehler und Lernumwege zu und lernen
aus ihnen.
Neue Medien werden sinnvoll eingesetzt.
Arbeitsergebnisse werden angemessen präsentiert.
Der Unterricht enthält im notwendigen Umfang klar ausgewiesene
Leistungssituationen für Einzelne oder für Gruppen.
Das Gelernte wird durch intelligente und anspruchsvolle Formen des
Übens in variablen Anwendungskontexten gefestigt, bei denen horizontale und vertikale Transfers möglich sind.
Leistungen werden anerkannt und gewürdigt.
Die Lernprozesse und Lernergebnisse werden von den Lernenden kontinuierlich reflektiert und eingeschätzt.
Der Umgang zwischen den Lernenden sowie zwischen Lernenden und
Lehrenden ist von Respekt und Fairness geprägt.
Eine offene Lernatmosphäre sowie klare Regeln und Vereinbarungen
unterstützen die Arbeit der Lerngruppe.
Sitzordnung, Raumgestaltung und -ausstattung ermöglichen den Lernenden anforderungsgerechtes Arbeiten.
Leistungsbewertung und Unterrichtsevaluation
z Die Leistungsbewertung ist transparent und berücksichtigt Leistungen
in allen Kompetenzbereichen.
z Die Formen der Leistungsmessung sind vielfältig und der Komplexität
des Kompetenzerwerbs angemessen.
z Zur Selbstvergewisserung der Lehrenden über den Erfolg ihrer Arbeit
und zur Qualitätssicherung im Unterricht kommen variable, aber
methodisch kontrollierte Feedbackverfahren zur Anwendung, die nützliche Informationen über Lernerfolge, Lernbarrieren und Lernschwierigkeiten einzelner Lernender oder von Lerngruppen liefern und die
Grundlage für individuelle Beratung und Unterstützung bilden.
z Von den Lehrenden gezielt eingeholte Feedbacks der Lernenden sind
darüber hinaus eine Grundlage für eine Verbesserung der Unterrichtsplanung und -durchführung.
Lehrerinnen und
Lehrer brauchen
Expertise für die
Vermittlung von
Lernkompetenz.
Aufgrund der universitären Einbindung der ersten Phase der deutschen
Lehrerausbildung hat bisher niemand Zweifel angemeldet an der fachwissenschaftlichen Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern, die sie als
Grundvoraussetzung für die Planung von Unterricht benötigen. Die
Expertise für die Vermittlung von Lernkompetenz wird dagegen nicht mit
der gleichen Sicherheit und Systematik erworben.42 Nun ist die Förderung
von Lernkompetenz nicht trennbar von Inhalten und muss fachlich, didak-
33303.book Seite 33 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lernen und Unterricht | 33
tisch-methodisch und schulorganisatorisch eingebettet werden. Insofern
bleibt die Trennung von fachlicher und Lernkompetenz ein analytisches
Konstrukt, das sich aber als nützlich erweist, wenn es darum geht, Hilfe für
Lehrerinnen und Lehrer zu gestalten, die ihren Unterricht verbessern und
weiterentwickeln wollen.
42
Im Rahmen einer internationalen Vergleichsstudie stellt Reuter fest: “The following
competences are central to discourse on the teaching ideal […]: (1) competency in a discipline […], (2) competency related to a broader learning area […], (3) didactic competency […], (4) leadership qualities (for classes and learning groups) […], (5) diagnostic,
advisory and evaluative competencies […], (6) media competency […], (7) metacognitive competency [...]. Even though there seems to be a consensus that these competencies are desirable for professional employment as a teacher, they are not systematically
developed in the current teacher-training courses. To put it more pointedly: the subjectrelated qualification is geared towards the standards of the respective discipline; the
subject-related didactic training is marginalized; and the pedagogical-psychological
qualification is very arbitrary. Discussions of national (examination) standards for teacher training are only just beginning to appear.” Reuter, L.R., „Teacher training“ in:
Döbert, H., Klieme, E., Sroka, W., eds., Conditions of School Performance in Seven Countries. A Quest for Understanding the International Variation of Pisa Results, Münster
2004, S. 319 f.
33303.book Seite 34 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
3
Eine Antwort auf
PISA, IGLU etc.
Standard und
Anpassung
Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Trainingsmaßnahmen erheben nicht den Anspruch, das einzig mögliche Konzept zur Unterrichtsentwicklung zu sein. Sie basieren auch nicht auf einem vollständig entfalteten
theoretischen Konzept. Vielmehr handelt es sich um ein Lernkonzept, das
auf den bisher dargestellten theoretischen Grundlagen fußt und neu
erkannte schulische Anforderungen wie auch bildungspolitische Rahmensetzungen konstruktiv aufnimmt und aktiv in seine inhaltliche Weiterentwicklung einbezieht. Es kann verstanden werden als eine mögliche
Antwort auf die Evaluationsergebnisse, die die Leistungsvergleichsstudien
von TIMSS über PISA und IGLU bis zu DESI, von LAU über KESS zu
VERA geliefert haben und liefern; denn: „Wir wissen immer besser
Bescheid über fachliche Schwächen und Stärken von Schülern. Wenn es
darum geht, aus den Ergebnissen der großen Evaluationsstudien unterrichtliche Konsequenzen für die systematische Verbesserung des Lehrens
und Lernens, für den Ausgleich von Kompetenzdefiziten abzuleiten, sieht
die Lage schlechter aus.“1
Die Trainingsmaßnahmen wollen und dürfen kein Korsett sein, sondern
ein in sich stimmiges, plausibles und deshalb „verführerisches“ Angebot,
das einerseits interessante Ausgangspunkte für eine gemeinsame Praxis
in einer Schule und darüber hinaus in einer Bildungsregion bietet, andererseits aber die Anpassung an die Besonderheiten der Einzelschule
ermöglicht, ja sogar erfordert. Die angestrebte Selbstständigkeit und
Eigenverantwortung jeder mit dem Konzept arbeitenden Schule werden
auch im Prozess ernst genommen.
3.1
überfachliche plus
fachliche
Kompetenzen
Worum es geht: Lernkompetenz erwerben
„Jetzt komme ich zum Kern des ‚guten‘ Unterrichts, nämlich zu fachübergreifenden Merkmalen, die seine Qualität ausmachen.“2 In diesem Sinn
setzen die Trainingsmaßnahmen bei der Förderung von Methoden-,
Team- und Kommunikationskompetenzen an, beschränken sich aber
nicht darauf, sondern sind immer auf die Verzahnung mit den fachlichen
Kompetenzen angelegt. Sie werden also in ihrem Gesamtzusammenhang
den Anforderungen gerecht, die sich aus einer umfassenden Definition
von Lernkompetenz ergeben, wie sie Weinert geliefert hat (vgl. Kap. 2.1
1
2
Helomke, A. (2006), S. 42
Ebd., S. 44
33303.book Seite 35 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Worum es geht: Lernkompetenz erwerben | 35
und 2.2). Er unterscheidet im Kontext des schulischen Unterrichts folgende Kompetenzen:
fachliche Kompetenzen (z. B. physikalischer, fremdsprachlicher, musikalischer Art),
z fachübergreifende Kompetenzen (z. B. Problemlösen) sowie
z Handlungskompetenzen, „die neben kognitiven auch soziale, motivationale, volitionale und oft moralische Kompetenzen enthalten und es
erlauben, erworbene Kenntnisse und Fertigkeiten in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen erfolgreich, aber auch verantwortlich zu nutzen“.3
z
Dieser Kompetenzbegriff schließt fachliche und überfachliche kognitive
sowie metakognitive Strategien der Steuerung des Lernprozesses ein und
ist über die Ebene der Handlungskompetenz als Lernkompetenz zu
bezeichnen.
Zu fachübergreifenden Kompetenzen gehören z. B. Arbeits-, Zeit- und
Lernplanung, also so scheinbar einfache Dinge wie einen Schreibtisch einrichten und so komplizierte Dinge wie den eigenen Lerntyp kennen und
beachten. Dazu gehören die so vielfältig und auch komplex gewordenen
Methoden der Informationsgewinnung und -erfassung, also schnell und
Sinn entnehmend lesen ebenso wie eine Website entschlüsseln. Dazu
gehören dann auch Informationsverarbeitung und -aufbereitung, also
z. B. ein Protokoll schreiben und eine Filmmitschrift machen. Eng damit
verbunden sind kommunikative Kompetenzen wie z. B. freies Sprechen
bei der Präsentation von Arbeitsergebnissen.
Zu sozialen Kompetenzen gehören Kooperationsfähigkeit, also z. B.
andere als Arbeitspartner akzeptieren und gemeinsam Entscheidungen
treffen, ebenso wie Regelverhalten und Konfliktfähigkeit, also z. B. sachlich-konstruktiv Kritik üben. Eng damit verbunden sind kommunikative
Kompetenzen, die unter der Überschrift „miteinander reden“ zusammengefasst werden können, also z. B. gezielt Fragen stellen und aktiv zuhören.
Handlungskompetenz umfasst Lernmotivation, also neugierig sein, offen
sein, Freude am Lernen und an der Arbeit entwickeln, Forscherdrang stärken, ebenso wie die Fähigkeit der Selbsteinschätzung, also z. B. eigene
Stärken und Schwächen wahrnehmen, aber auch Selbstbewusstsein fördern, dazu die Fähigkeit, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen und Frustrationstoleranz aufzubauen.
Um diese Kompetenz-Ziele auch nur annähernd zu erreichen, brauchen
wir einen Perspektivenwechsel in unseren Schulen unter dem Motto
„Vom Lehren zum Lernen“. Wilfried Bos hat dies bei einer Veranstaltung
3
Weinert, F. E., (2002), S. 27 f.
Was heißt das
eigentlich:
fachübergreifende
Kompetenzen?
Was heißt das
eigentlich: soziale
Kompetenzen?
Was heißt das
eigentlich:
Handlungskompetenz?
Vom Lehren zum
Lernen!
33303.book Seite 36 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
36 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
des Projektes "Selbstständige Schule" in Herford im März 2005 auf den
Punkt gebracht, indem er betonte, in Deutschland müsse endlich
Abschied genommen werden von der noch immer weithin vorhandenen
Monokultur des „fragend-entwickelnden“ Unterrichts in Form von Frontalunterricht.4 Bei diesem Abschied sollen den Lehrerinnen und Lehrern
die in den nächsten Kapiteln beschriebenen Trainings helfen.
Dass diese Überlegungen nicht erst in der aktuellen Debatte um die sogenannte neue Lernkultur relevant sind, mag ein Zitat von Humboldt belegen, das aus dem Jahr 1809 stammt: „Der Zweck des Schulunterrichts
ist die Übung der Fähigkeiten und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne
welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist …
Der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchem sich
alles eigene Schaffen immer anschließen muss, teils schon jetzt wirklich
zu sammeln, teils künftig nach Gefallen sammeln zu können, und die
intellektuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist also auf doppelte
Weise, einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens
beschäftigt.“5
3.2
Vorläuferprojekt
"Schule & Co."
Ursprungskonzepte und ihre Weiterentwicklung in den
Projekten "Schule & Co." und "Selbstständige Schule"
Das Projekt "Selbstständige Schule" kann sich auf Erfahrungen stützen,
die in einem anderen Projekt gesammelt wurden. „Stärkung von Schulen
im kommunalen und regionalen Umfeld“, kurz "Schule & Co.", hieß das
vom nordrhein-westfälischen Schulministerium und von der Bertelsmann Stiftung initiierte und von 1997 bis 2002 in der Stadt Leverkusen
und im Kreis Herford durchgeführte Projekt.6 Ziele waren die qualitätsorientierte Selbststeuerung an Schulen und die Entwicklung regionaler
Bildungslandschaften – insofern kann es heute als Vorläuferprojekt von
"Selbstständige Schule" angesehen werden. Es basierte einerseits auf
4
5
6
www.selbststaendige-schule.nrw.de/ /service/News/Prof._Bos_Mythen_ueber_Schulqualitaet, Stand Juli 2005. Nebenbei bemerkt: Bos „zerstörte“ mit seinen Untersuchungen verschiedene „Mythen der Schulqualität“, so z. B. dass es für den Lernerfolg auf die
Zahl der Unterrichtsstunden, die Zahl der Schuljahre oder die Größe der Lerngruppen
ankomme. Diese Faktoren seien zwar wichtig, aber nicht entscheidend. Entscheidend
sei vielmehr die Qualität des Unterrichts und die pädagogische Teamkultur. Für die
Teamarbeit – so ergebe der internationale Vergleich – wendeten deutsche Lehrerinnen
und Lehrer weniger Zeit auf als ihre Kolleginnen und Kollegen im Ausland.
Humboldt, W. von, Königsberger Schulplan in: Flitner, A./Giel, K., Hrsg., Wilhelm von
Humboldt: Werke in fünf Bänden, Darmstadt 1996, Band IV, S. 169 f., zitiert nach
Helmke (2003), S. 23
www.schule-und-co.de. Im Kreis Herford wird das Projekt seit 2002 in Kooperation zwischen dem Kreis Herford und der Bezirksregierung Detmold mit 83 von den insgesamt
98 Schulen des Kreises fortgesetzt und weiterentwickelt; vgl. www.regionales–bildungsbuero.de
33303.book Seite 37 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Ursprungskonzepte und ihre Weiterentwicklung | 37
Anregungen der Bildungskommission NRW7 und andererseits auf Erfahrungen, die in Kanada in der Schulregion von Durham (Toronto) gemacht
wurden. Für ihren innovativen Weg der Schulreform war die Schulbehörde von Durham 1996 mit dem Carl Bertelsmann-Preis ausgezeichnet
worden. "Schule & Co." hatte beim Start kein fertiges Konzept für die
Umsetzung seiner Ziele. Vielmehr wurden zu Beginn des Projektes alle
Schulen befragt, worin denn die wesentlichen Schwierigkeiten und Probleme ihres schulischen Alltags bestünden, um Unterstützung für die
Bewältigung dieser Probleme bereitzustellen. Die Befragung aller 52
Schulen ergab, dass Schulen sich Unterstützung für vier Bereiche erhofften:
Carl BertelsmannPreis 1996
Verbesserung der pädagogischen Arbeit,
z Verbesserung der internen Kooperation und Führung,
z Verbesserung der Kooperation im Umfeld und
z Verbesserung des Ressourceneinsatzes.
z
Diesen Bedürfnissen entsprechend, wurden kontinuierlich Qualifizierungsangebote und Unterstützungsmaßnahmen aufgebaut, sodass am
Ende des Projektes vielfältige Erfahrungen vorlagen und ein in der Praxis
erprobtes Konzept für die Entwicklung von Schulen evaluiert werden
konnte.8 Ein zentrales Ergebnis war, dass Unterricht sowie das eigenverantwortliche Lernen und Arbeiten der Schülerinnen und Schüler der ultimative Bezugspunkt von Schulentwicklung sind – eine Bestätigung des
kanadischen Schulforschers Michael Fullan, der postuliert, dass die meisten Reformprojekte im Bildungsbereich scheitern, weil „die verwendeten
Strategien nicht die Dinge in Angriff nehmen, die wirklich wichtig wären.
Sie sind weder auf eine grundlegende Unterrichtsreform noch auf die
damit verbundene Entwicklung einer neuen pädagogischen Teamkultur
ausgerichtet.“9
7
8
9
Bildungskommission NRW, Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft, Neuwied 1995
Vgl. Bastian, J./Rolff, H-G., Abschlussevaluation des Projektes "Schule & Co.", Gütersloh
2002
Herrmann, J., Unterrichtsentwicklung im Projekt "Schule & Co." – Interne Evaluation,
Gütersloh 2002
Holtappels, H. G./Leffelsend, S., Entwicklung überfachlicher Kompetenzen durch Schülertrainings und Unterrichtsentwicklung: Ergebnisse einer Schülerbefragung des Projektes "Schule & Co." – Forschungsbericht, Gütersloh 2003
Fullan, M., Die Schule als lernendes Unternehmen: Konzepte für eine neue Kultur in der
Pädagogik, Stuttgart 1999, S. 85
Warum scheitern
Schulprojekte?
33303.book Seite 38 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
38 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Heinz Klippert:
Pädagogische
Schulentwicklung
Risters/Cwik:
Angebot für die
Grundschulen
Weiterentwicklungen
Als Qualifizierungsprogramm zur Verbesserung des Unterrichts konnten
die Projektschulen in "Schule & Co." in der ersten Phase die „Pädagogische Schulentwicklung“ wählen.10 Sie bot zu diesem Zeitpunkt zuerst für
Lehrerinnen und Lehrer und dann für Schülerinnen und Schüler Trainings zum eigenverantwortlichen Arbeiten, Methodentrainings, Kommunikationstrainings und Trainings zur Teamentwicklung im Klassenraum.
Heinz Klippert, der Entwickler dieses Programms zur Lehrerfortbildung,
schulte Trainerinnen und Trainer für beide Modellregionen, die bald an
Projektschulen zu arbeiten begannen. Da Klippert selbst zu diesem Zeitpunkt vorrangig Erfahrungen in der Sekundarstufe I besaß, wurden Trainerinnen und Trainer für Grund- und Förderschulen ergänzend durch
Willi Risters und Gabriele Cwik weiterqualifiziert. Zusätzlich zu Klipperts
Grundausbildung arbeiteten alle ausgebildeten Trainerinnen und Trainer
in Praxisworkshops an Verfahren zur Selbstevaluation ihres eigenen
Unterrichts.11 In allen Projektschulen waren Steuergruppen gebildet und
im Schulentwicklungsmanagement geschult worden, kurze Zeit später
wurde nach einer umfassenden Bedarfserhebung die Fortbildung der
Schulleiterinnen und Schulleiter begonnen; außerdem wurden zeitversetzt auch Evaluationsberaterinnen und -berater ausgebildet.
Bereits 1999, also vor Mitte der Laufzeit des Projektes, wurde deutlich,
dass dieses Grundkonzept von Klippert den bis dahin beteiligten Schulen
eine wirksame Unterstützung bot. Da erstmals eine so große Zahl von
Schulen verschiedener Schulformen parallel mit diesem Programm arbeitete, wurde aber gleichzeitig deutlich, in welchen Bereichen es der Weiterentwicklung bedurfte12:
10
Klippert, H., Methodentraining. Übungsbausteine für den Unterricht, Weinheim und
Basel 1994 (inzwischen 15. Aufl., 2005)
Klippert, H., Kommunikationstraining. Übungsbausteine für den Unterricht, Weinheim
und Basel 1995 (inzwischen 10. Aufl., 2005)
Klippert, H., Teamentwicklung im Klassenraum, Übungsbausteine für den Unterricht,
Weinheim und Basel 1998 (inzwischen 7. Aufl., 2005)
Lohre, W., Hrsg./Klippert, H., Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur, Gütersloh 1999
Inzwischen liegen weitere Bände vor, die dieses Programm darstellen:
Klippert, H., Pädagogische Schulentwicklung. Planungs- und Arbeitshilfen zur Förderung einer neuen Lernkultur, 2. Aufl., Weinheim 2000
Klippert H., Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen. Bausteine für den Fachunterricht, 4. Aufl., Weinheim und Basel 2004
Klippert, H./Müller, F., Methodenlernen in der Grundschule. Bausteine für den Unterricht, 2. Aufl., Weinheim und Basel 2004
Klippert, H., Planspiele, 4. Aufl., Weinheim und Basel 2002
Klippert, H., Lehrerbildung. Unterrichtsentwicklung und der Aufbau neuer Routinen,
Weinheim und Basel 2004
Klippert, H., Lehrerentlastung, Weinheim und Basel 2006
11 Vgl. Herrmann, J., Höfer, C., Evaluation in der Schule – Unterrichtsevaluation. Berichte
und Materialien aus der Praxis, Gütersloh 1999
12 Vgl. Höfer, C., Unterrichtsentwicklung im Projekt "Schule & Co.", Gütersloh 2002
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Ursprungskonzepte und ihre Weiterentwicklung | 39
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Schulstufen- bzw. schulformspezifische Differenzierungen erleichterten die Akzeptanz in den Kollegien und verringerten die notwendige
Adaptionsleistung des Kollegiums für die eigene Schule.
Die Verzahnung mit dem Fachunterricht wurde systematischer angegangen.
Die gezielte Arbeit an der Lehrerrolle unterstützte die Ausbildung
neuer Routinen.
Systematische Selbstreflexion und Elemente der Selbstevaluation
begleiteten den Veränderungsprozess bei Lehrerinnen und Lehrern
sowie Schülerinnen und Schülern.
Neue Medien mit ihren besonderen Möglichkeiten wurden einbezogen.
Aufgrund der Vorerfahrungen von Risters/Cwik13 wurden den Grundund Förderschulen von Anfang an nur Wochentrainings angeboten, in
denen die Vorbereitung von Unterricht im Lehrerteam, die Durchführung
und die Reflexion im Team integriert sind (s. Kap. 5.3). Andere Aspekte
wurden schon während der Ausbildung der ersten Trainerinnen und Trainer in das Programm eingebaut und später nach ihrer Erprobung in der
Praxis zu festen Bestandteilen erklärt. Als ein Beispiel seien die Lerntagebücher genannt, mit denen gute Erfahrungen auch bei der Thematisierung der Lehrerrolle gemacht werden konnten.14
Parallel zu kontinuierlichen eigenen theoretischen Überlegungen und
den aus der nun vielfältigeren Praxis abgeleiteten Veränderungen wurde
gezielt nach ergänzenden Konzepten und elaborierten Erfahrungen mit
ähnlichen programmatischen Zielsetzungen gesucht.
Wichtige Impulse konnten von der Schulentwicklerin Kerstin Tschekan
gewonnen werden, die sich mit den Gelingensbedingungen von Lernen
aus konstruktivistischer Sicht auseinandergesetzt hat. Sie hat auch die sich
verändernde Lehrerrolle im Prozess der Unterrichtsentwicklung systematisch dargestellt und die Notwendigkeit erläutert, diesen Prozess bewusst
und kontinuierlich zu steuern. Vom lehrergesteuerten Unterricht hin zu
einem „Unterricht des schülerverantwortlichen Lernens“ wird die begleitende Rolle des Lehrers und der Lehrerin immer wichtiger, während die
vorgebende und aktivierende reduziert werden.15 Tschekan stellt – in
Anlehnung an amerikanische Studien – als ein Kernziel von Unterricht
13
Risters und Cwik haben inzwischen außerhalb des Projektes unter der Überschrift „Lernen von Anfang an“ Adaptionen des Klippert’schen Modells für die Grundschule erarbeitet und bieten Trainings speziell für Grundschulen; vgl. Cwik, G./Risters, W., Lernen
von Anfang an, Berlin 2004
14 Vgl. Tolksdorf, R., „Lernjournale an der Sonderschule für Lernbehinderte“, in: Buchen,
H./Horster, L./Rolff, H.-G., Hrsg., Schulleitung und Schulentwicklung, E 2.32., Berlin
2002, S. 1–17
15 Vgl. Tschekan, K., „Guter Unterricht und der Weg dorthin“ in: Buchen, H./Horster, L./
Rolff, H.-G., Hrsg., Schulleitung und Schulentwicklung, E 2.31, Berlin 2002, S.1–16
Kerstin Tschekan:
Veränderungen der
Lehrerrolle
33303.book Seite 40 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
40 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Norm Green:
Cooperative
Learning
neben selbstständigem und effizientem Lernen das kooperative Lernen
heraus und postuliert den Mehrwert des gemeinsamen gegenüber dem
individuellen Lernen.
Der Blick richtete sich auch nach Kanada, wo der Name Norm Green für
das Herzstück des preisgekrönten kanadischen Reformansatzes auf
Unterrichtsebene steht. Greens Überlegungen zum „Cooperative Learning“16,
seine u. a. von Maslow (Bedürfnishierarchie), Bruner (Reziprozität),
Gardner (Multiple Intelligenzen), Borba (Selbstvertrauen) und Bloom
(Lerntaxonomie) abgeleiteten Begründungen,
z seine vielfältigen Angebote für die Praxis im Klassenraum,
17
z die durch amerikanische Untersuchungen von Joyce und Johnson/
18
Johnson belegten Erfolge dieser Methoden
z und nicht zuletzt seine überzeugende Trainingsarbeit auch mit deutschen Lehrerinnen und Lehrern sowie Trainerinnen und Trainern
z
haben dazu geführt, dass Elemente seines Trainingsprogramms auch Eingang gefunden haben in die Trainings, die heute im Projekt "Selbstständige Schule" angeboten werden. Weidner definiert: „Kooperatives Lernen ist
eine besondere Form von Kleingruppenunterricht, der – anders als der traditionelle Gruppenunterricht – die sozialen Prozesse beim Lernen besonders thematisiert, akzentuiert und strukturiert. Der Entwicklung von der
losen Gruppe zum ,echten‘ Tun mit erkennbarer Identität kommt hohe
Bedeutung zu. Durch vielfältige Maßnahmen und Aktivitäten wird die
Eigenverantwortlichkeit für die Gruppenlernprozesse angebahnt und ausgebaut. Durch sensibel geplante Prozesse wird eine positive gegenseitige
Abhängigkeit der Gruppenmitglieder erzeugt, was sich sowohl auf die sozialen Interaktionsprozesse als auch auf die Arbeitsergebnisse oder -pro16
Ein „Trainingsbuch“ zu Greens Programm liegt inzwischen vor: Green, N./Green, K.,
Kooperatives Lernen im Klassenraum und im Kollegium, Seelze-Velber 2005. Eine
Adaption für die eigene Schule wurde vorgelegt von Margit Weidner, Kooperatives Lernen im Unterricht. Das Arbeitsbuch, Seelze-Velber 2003. Ebenfalls auf der Basis der
Arbeit an der eigenen Schule ist entstanden: Brüning, L., Saum, T., Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen. Strategien zur Schüleraktivierung, Essen 2006; eine
kurze Darstellung der Prinzipien und Ziele kooperativen Lernens ist auch nachzulesen
in: Fink, M., Tschekan, K., Hilbig, I., „Schüler aktivieren – kooperativ arbeiten“ in: Lernende Schule, Heft 33, 2006, S. 4–8 (Dieses Heft ist komplett dem Thema „Kooperatives
Lernen“ gewidmet.)
17 Joyce, B., Models of Teaching, 7th ed., Boston 2003
18 Johnson, D./Johnson, R. Circles of Learning: Cooperation in the Classroom, Edina, Minnesota 1986; dies., Cooperation and Competition – Theory and Research, Edina, Minnesota 1989; inzwischen wurde eine der zahlreichen Arbeiten der amerikanischen
Geschwister, die zu den Wegbereitern des kooperativen Lernens gehören, ins Deutsche
übersetzt: Johnson, D./Johnson, R., Johnson Holubec, E., Kooperatives Lernen – Kooperative Schule. Tipps, Praxishilfen, Konzepte, Mülheim a.d. Ruhr 2005
33303.book Seite 41 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Ursprungskonzepte und ihre Weiterentwicklung | 41
dukte günstig auswirkt. Hervorzuheben ist: Die Gruppenprozesse beim
Kooperativen Lernen sind mindestens genauso wichtig wie das Arbeitsprodukt.“
[Hervorhebungen im Original]19 Aus Greens kreativen Arrangements
stammen wichtige Impulse für den Trainingsbaustein „Teamentwicklung
im Klassenraum“, der heute sowohl deutlicher theoretisch begründet ist
als auch in höherem Maße prozessorientiert. Teamentwicklung bezieht
sich darin stärker auf längerfristig arbeitende Schülerteams denn auf
kurze Gruppenarbeitsphasen im Unterricht. Damit wird die Notwendigkeit der Reflexion automatisch generiert. Green benennt als Basiselemente kooperativen Lernens: positive Abhängigkeit, individuelle
Verantwortlichkeit, Interaktion von Angesicht zu Angesicht, Sozial- und
Teamkompetenz sowie Gruppenstrategien20 und betont: „Eine gelungene
Teambildung und Teamentwicklung ist eine der entscheidenden Grundlagen für erfolgreiche Gruppenarbeit. […] Dazu bedarf es elementarer
Kenntnisse von Gruppenorganisation und Gruppendynamik sowie darauf
basierender methodischer Kompetenzen.“21 Für die Teambildung sowohl
im Lehrerzimmer als auch im Klassenraum bietet Green eine Vielzahl von
Ideen an.
Deutliche Veränderungen hat auch der sogenannte EVA-Baustein erfahren. EVA steht für „Eigenverantwortliches Arbeiten“ und war im
Ursprungskonzept Klipperts ein Qualifizierungsbaustein wie die Bausteine zu Methode, Kommunikation und Teamentwicklung. Nach der Einarbeitung von Teilen der Konzepte Tschekans und Greens war daraus
bereits in "Schule & Co." ein „Anwendungsbaustein“ geworden. Er wird
Lehrerinnen und Lehrern als letzter der vier angeboten und richtet sich
nicht mehr an Klassenteams (vgl. Kap. 4.1), sondern an Fachteams derselben Schule. Um die noch weitergehenden Veränderungen in "Selbstständige Schule" zu markieren wurde der Baustein umgetauft und heißt heute
„SegeL“, „Selbst gesteuertes Lernen“ im Fachunterricht (im fächerübergreifenden, fächerverbindenden Unterricht, im Projektunterrricht etc.)
(vgl. Kap. 4.2.1).
Zusammenfassend lassen sich folgende Kennzeichen der heute angebotenen Trainings nennen:
ausgerichtet am Leitbild des selbstständigern Lerners bzw. der selbstständigen Lernerin in einem lebenslangen Lernprozess,
z theoriegeleitet,
z ausdifferenziert für Schulstufen und -formen (Es gibt Trainings für die
Primarstufe, die Sekundarstufe I, die Sekundarstufe II, Förderschulen,
Berufskollegs),
z
19
Weidner, M., (2003), S. 29
Vgl. Green, N.,/Green, K., S. 76
21 Ebd., S. 49
20
von EVA zu SegeL
Kennzeichen
heutiger Trainings
33303.book Seite 42 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
42 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
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systematisch an den Fachunterricht angebunden (SegeL),
orientiert an komplexen Aufgaben und Lernarrangements,
ausgerichtet auf Reflexion und Metakognition,
verbunden mit kontinuierlicher Arbeit zur Veränderung der Lehrerrolle sowie
adaptionsfähig und anschlussfähig (z. B. Neue Medien, Lesekompetenz).
Es ist wichtig hervorzuheben, dass diese Trainings und die damit induzierte Form der Unterrichtsentwicklung mit vielen Schulen gemeinsam
erarbeitet und in der Praxis weiterentwickelt wurden.22
3.3
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen
3.3.1 Grundlagentrainings für Schülerinnen und Schüler
Grundlagen- oder
Sockeltrainings
An Klipperts grundsätzlicher Gliederung der Trainings in mehrere Bausteine wird auch in den Trainings im Projekt "Selbstständige Schule"
sowohl für die Primarstufe als auch für die Sekundarstufe I festgehalten.
Trotz anderer möglicher Kategorisierungen von Lernkompetenz hat sich
dieses erfahrungsgestützte Vorgehen bewährt.
Aufbau, Ausbau und die möglichst eigenständige Anwendung von Lernkompetenzen sollen bei den Schülerinnen und Schülern zunächst durch
Grundlagen- oder Sockeltrainings angebahnt werden. Diese Entscheidung geht davon aus, dass diese Lernkompetenzen insofern als überfachliche bezeichnet werden können, als sie einen methodischen Kern haben
(Funktion, Schrittfolgen, Regeln), der in allen Fächern Gültigkeit beanspruchen und variabel angewendet werden kann.23 Die Entscheidung wird
durch die Erfahrung gestützt, dass Schülerinnen und Schüler umso effektiver lernen können, je klarer die Lernangebote, die ihnen gemacht werden, auch für sie erkennbar miteinander verknüpft sind.
22
160 Projektschulen und 95 Korrespondenzschulen in den verschiedenen Projektregionen sowie ca. 200 Korrespondenzschulen im Regierungsbezirk Detmold befinden sich
im Prozess. Darüber hinaus begann im Jahr 2004 der Transfer in Regionen der Bundesländer Niedersachsen und Brandenburg. Gerade diese Schulen haben mit ihren konkreten Erfahrungen nicht nur das Konzept in der Fläche bestätigt, sondern durch ihre
Rückmeldung, Kritik und Verbesserungsvorschläge die Weiterentwicklung maßgeblich
beeinflusst. In NRW gibt es inzwischen ca. 400 Trainerinnen und Trainer aller Schulformen, die nach diesem Konzept an Schulen arbeiten können.
23 Vgl. Tschekan, K. (2002), S. 15
33303.book Seite 43 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 43
Trainings zur Unterrichtsentwicklung
anwendungsfähiges
Wissen
intelligentes
Wissen
variabel
einsetzbare
Schlüsselqualifikationen
Wertorientierung
selbst gesteuertes Lernen
Methodentraining
Kommunikationstraining
Teamentwicklung
soziales Lernen
© Selbstständige Schule
Abb. 3: Trainings zur Unterrichtsentwicklung
Die Lernarrangements, die für solche Grundlagentrainings gestaltet werden, heißen „Trainingsspiralen“ – so wie die entsprechenden sich
anschließenden Arrangements für den Fachunterricht „Lernspiralen“
(vgl. Kap. 3.3.2) genannt werden. Das Bild der Spirale soll das mehrstufige
Sich-Hineinarbeiten der Lernenden in eine bestimmte Methode, in ein
bestimmtes (fachliches) Thema veranschaulichen. Anders ausgedrückt:
Die Schülerinnen und Schüler durchlaufen unterschiedliche, sich ergänzende Übungen bzw. Arbeitsphasen, die ihnen Gelegenheit geben, sich
sukzessive mit dem betreffenden Gegenstand vertraut zu machen. Redundanzen sind vor allem bei den Trainingsspiralen nicht nur zulässig,
sondern sogar erwünscht, damit alles hinreichend durchdrungen und begriffen werden kann.
Das vorrangige Ziel einer Trainingsspirale ist der Aufbau ausgewählter
Methoden-, Kommunikations- und Teamkompetenzen, also überfachlicher Kompetenzen, sowie häufig auch bestimmter sozialer Kompetenzen (social skills). In der Regel werden sie an einem der Jahrgangsstufe
angemessenem fachlichen Inhalt trainiert. Jede Trainingsspirale beginnt
damit, dass Voreinstellungen zum Lerngegenstand aufgebaut werden und
vorhandenes Vorwissen bei jedem einzelnen Mitglied der Lerngruppe
rekonstruiert wird. Die darauf folgende Erarbeitung neuen Wissens wird
Trainingsspiralen
03.fm Seite 44 Dienstag, 10. Oktober 2006 1:44 13
44 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
systematisch reflektiert, das neu Gelernte vielfältig geübt und angewendet.
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten nach vorgegebenen Arrangements, die der Lehrer oder die Lehrerin allein verantwortet.
Abb. 4: Trainingsspirale
In einer Reihe von Trainingsspiralen der Primarstufe werden bestimmte
Teilkompetenzen selbst zum Inhalt des Grundlagentrainings. Handwerkliche Grundfertigkeiten wie z. B. das präzise Ausschneiden von Formen
33303.book Seite 45 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 45
im ersten Schuljahr werden ausprobiert, durch Reflexion werden Schwierigkeiten und günstige Vorgehensweisen erkannt, die dann in selbst
erstellten Regelplakaten fixiert werden. Die jeweilige Problemstellung entspricht möglichst einer fachlichen Anforderung des Jahrgangs.
Vergleichbares gilt auch für Trainingsspiralen der Sekundarstufe. Teilkompetenzen oder Strategien werden so weit wie möglich an exemplarischen fachlichen Inhalten erarbeitet.
Wie Lehrerinnen und Lehrer dafür qualifiziert werden, solche Trainingsund Lernspiralen zu gestalten, davon soll in Kap. 4.2.1 die Rede sein.
Es gibt immer wieder neue Entwicklungen und Anregungen für die
Gestaltung von Trainingsspiralen, aber keine Blaupausen, da sie von den
Lehrerinnen und Lehrern einer Klasse oder einer Klassenstufe gemeinsam konzipiert werden müssen. Dabei spielen die besonderen Erfordernisse ihrer Schule ebenso eine wichtige Rolle wie die Charakteristika der
Lerngruppen, die trainiert werden sollen, der eigene fachliche Hintergrund der Lehrerinnen und Lehrer genauso wie der Bezug zum aktuellen
Fachunterricht.
Die Trainingsspiralen wie auch die späteren Lernspiralen für den Fachunterricht folgen einer bestimmten Systematik. Es handelt sich nie um die
wahllose Aneinanderreihung einzelner Methoden, wie gelegentlich kritisch unterstellt wird. Vielmehr geht es letztendlich immer auch darum,
erfahrbar zu machen, wie durch bestimmte Methodenarrangements
Inhalte systematisch und reflektiert erschlossen werden können. Lernspiralen sind damit qualitativ etwas anderes als herkömmliche Unterrichtsreihen.
Das Bild der Spirale ist auch geeignet, den systematischen Aufbau von
Lernkompetenz von Klasse 1 (oder womöglich schon vom Vorschulalter
an) bis zur Stufe 12 oder 13 zu verdeutlichen. Die Trainingsspiralen sind
– das versteht sich eigentlich von selbst – den Anforderungen einer altersgemäßen Vermittlung und den jeweils zu erreichenden Zielen angepasst.
Wie die einzelne Trainingsspirale in sich spiralförmig aufgebaut ist, so ist
auch der gesamte Trainingsprozess einer Lerngruppe so gestaltet, dass der
nächstfolgende Baustein jeweils die im vorhergehenden Training erlernten Methoden aufgreift, sie in neue Lernarrangements einfädelt und dann
weiter ausbaut. Wie die Trainingsspiralen in der Sekundarstufe I auf den
Trainings der Primarstufe aufbauen, so setzen die Trainings in der Sekundarstufe II den Kompetenzausbau im Sinne eines Spiralcurriculums stufengemäß fort. Dieser Gedanke wird im Kap. 6 beim Thema
Bildungsregion noch einmal aufzugreifen sein.
Keine Blaupausen!
Spiralcurriculum
von 1 bis 12
33303.book Seite 46 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
46 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Missverständnis:
Unterrichtsentwicklung ist nicht
gleich Methodentraining
Warum komplexe
Lernarrangements
oft scheitern…
…und wie sie
gelingen können.
Methodenkompetenz: Grundlagenbaustein I (MT)
Es sei an dieser Stelle, bevor die einzelnen Bausteine der Schülertrainings
genauer beschrieben werden, vorsorglich noch einmal betont: Unterrichtsentwicklung im hier beschriebenen Sinn grenzt sich bewusst vom reinen
Methodentraining ab und orientiert sich an den hohen Ansprüchen der
Entwicklung einer Fähigkeit zur Selbstregulierung des Lernens. Im Verständnis vieler Schulpraktiker wurde in den vergangenen Jahren Klipperts
Ansatz immer wieder auf ein solch reines Methodentraining reduziert.
Damit ist man ihm nicht gerecht geworden, denn er hat sein Programm
selbst als „Pädagogische Schulentwicklung“ viel umfassender angelegt.
Der erste Grundlagenbaustein ist in der Regel ein Methodenbaustein, bei
dem elementare Lern- und Arbeitstechniken trainiert werden.
Freie Arbeit oder Projektwochen, Selbstlernzentren oder Stationenarbeit
sind inzwischen weit verbreitete Arrangements. Sie sind allerdings komplex und stellen so hohe Anforderungen an die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, dass diese häufig überfordert sind. Dann werden
nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt und die scheinbar die Selbstständigkeit fördernden Szenarien bleiben bloße Spielwiesen. Das bestätigt
dann wiederum diejenigen, die meinen, nur im „eigentlichen“ – und das
meint dann im lehrerzentrierten – Unterricht seien vernünftige Resultate
zu erzielen. Einen anderen Effekt beschreiben Tschekan/Herrmann,
wenn sie konstatieren, dass Schülerinnen und Schüler in solchen Arrangements oft „[…] in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht ausreichende
Lernergebnisse vorweisen können. Dies führt dann wieder dazu, dass die
Lehrperson den Schülerinnen und Schülern durch Hinweise und Vorgaben behilflich sein muss, die entsprechenden Aufgaben zu lösen. Durch
eine solche nachträgliche Hilfestellung übernimmt aber wieder die Lehrkraft die Steuerung der Lernprozesse, obwohl es gerade Ziel offener Unterrichtsformen war, die Steuerung bei den Schülerinnen und Schülern zu
belassen. Selbstständiges Lernen wird paradoxerweise durch eine Unterrichtsgestaltung, die es ermöglichen soll, verhindert.“24
Ein wichtiger Grund für das Scheitern ist, dass der selbstständige Lerner
bzw. die selbstständige Lernerin eine Fülle von Mikrokompetenzen
beherrschen muss, um solche Makromethoden wie Referat, Facharbeit,
Wochenplanarbeit oder die oben genannten bewältigen zu können. Er
oder sie muss geeignete Arbeitsmaterialien auswählen und eine Dokumentation anlegen können, einen Arbeitsplan erstellen und Termine einhalten, eine Lernkartei anlegen und Mindmapping nutzen, schnell oder
selektiv lesen, eine Bibliothek nutzen und im Internet recherchieren,
einen Text markieren und strukturieren, protokollieren und kommentie24
Tschekan, K./Herrmann, J., „Unterrichtsentwicklung im System am Beispiel des Hamburger ‚Regionalprojekts‘“ in: Journal für Schulentwicklung, Heft 2, 2004, S. 20
33303.book Seite 47 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 47
ren, eine Tabelle anlegen und ein Diagramm gestalten … und diese Liste
erhebt keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit. Dass man solche Methoden sozusagen en passant lernt, ist eher unwahrscheinlich. Die nötige
Methodenbeherrschung stellt sich in der Regel nicht von selbst ein, wenn
man Schülerinnen und Schüler nur gewähren und selbstständig arbeiten
lässt. Sie stellt sich auch nicht ein, wenn die Methoden „gelehrt“ werden.
Sie müssen durch intensives Methodenlernen erworben werden – experimentell im Wege des learning by doing. Und dieses Tun muss immer wieder reflektiert werden. Vor allem die unsicheren, unselbstständigeren,
phlegmatischeren Schülerinnen und Schüler sind darauf angewiesen,
dass die methodischen Fähigkeiten grundlegend geübt werden. Aber auch
leistungsstärkere und -willigere Schülerinnen und Schüler gestalten mit
solchem Handwerkszeug ihren Lernprozess effektiver.
Je nach Alters- und Schulstufe werden in diesem Baustein u. a. trainiert:
Inhalte des Trainingsbausteins
verschiedene Methoden der Arbeits-, Zeit- und Lernplanung,
verschiedene Methoden der Informationsgewinnung und -erfassung
sowie
z verschiedene Methoden der Informationsverarbeitung und -aufbereitung.
z
z
Die erwähnten Makromethoden lassen erahnen, dass selbst die Bündelung aller Mikromethoden aus diesem Bereich nicht ausreichen würde,
um komplexe Aufgaben zu bewältigen. Andere Lernstrategien müssen
hinzukommen.
Kommunikationskompetenz: Grundlagenbaustein II (KT)
Im zweiten Baustein werden die Grundlagen für die Argumentations- und
Gesprächskompetenz der Schülerinnen und Schüler gelegt.
Es ist eine weit verbreitete Klage in Schulen und in der Arbeitswelt, dass
die Kommunikationsfähigkeit vieler Kinder und Jugendlicher nicht ausreichend ausgeprägt sei. Über die Gründe lässt sich trefflich streiten, aber
die Auswirkungen sind eindeutig. Das soziale Miteinander im Klassenraum, in der Schule, in der Familie und in größeren gesellschaftlichen
Zusammenhängen leidet. Ein demokratisches Gemeinwesen ist aber in
besonderer Weise auf die Argumentations- und Diskussionsfähigkeit seiner Mitglieder angewiesen. Teamarbeit, unabdingbar heute an fast jedem
Arbeitsplatz, setzt voraus, dass die Kommunikation der Teammitglieder
funktioniert. Das gilt natürlich auch für die in Schule praktizierten Formen der Teamarbeit: Partner- und Gruppenarbeit. Wenn die Kommunikation mit anderen nicht funktioniert, berührt das in ganz erheblichem
Maße auch Kompetenzen, die häufig unter Selbstkompetenzen zusammengefasst werden. Das Selbstbewusstsein leidet mit allen Konsequenzen
Auswirkungen
mangelnder Kommunikationsfähigkeit
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48 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Erkenntnisse der
DESI-Studie
Nicht allein der
Deutschunterricht ist
zuständig!
Inhalte des Trainingsbausteins
für die Freude an der und den Erfolg mit der Arbeit – von der Freude am
Leben ganz zu schweigen.
Es ist also allen klar: Die kommunikativen Potenziale der Kinder und
Jugendlichen müssen stärker herausgefordert und konsequenter entwickelt werden. Dass dafür der Frontalunterricht zu wenig Gelegenheit bietet, ist hinreichend beschrieben. Einen interessanten Aspekt beleuchtet
z. B. die im März 2006 vorgelegte DESI-Studie (Deutsch Englisch Schülerleistungen International). Sie belegt anhand einer Videostudie in 105
Englischklassen, dass „die Lehrkraft im Durchschnitt doppelt so viel
spricht wie alle Schüler zusammen. Auf Fragen der Lehrkraft erfolgt in der
Hälfte der Fälle innerhalb von 3 Sekunden die Schülerantwort – wenn
nicht, wird nur selten länger gewartet.“25 Positiv gewendet: Die Studie
zeigt, dass ein hoher Sprechanteil von Schülerinnen und Schülern und
geduldigeres Warten auf Schülerantworten – neben anderen fachspezifischen und überfachlichen Faktoren der Unterrichtsqualität – nachweislich mit einem besonders starken Zuwachs im Hörverstehen
zusammenhängt.
Dass es nicht ausreicht, eine solch grundlegende und umfassende Aufgabe allein dem Deutschunterricht zuzuweisen, also sie allein zu einem
Teilziel eines in manchen Jahrgangsstufen nur dreistündig (d. h. 3 x 45
Minuten pro Woche) unterrichteten Faches zu machen, liegt auf der Hand.
Selbst wenn der Deutschunterricht sich ausschließlich auf die Förderung
der kommunikativen Kompetenz konzentrieren würde, könnte der einzelne Schüler bzw. die einzelne Schülerin in einer „normal“ großen Lerngruppe nur etwa 180 Minuten, also 3 Stunden pro Jahr, an Übungszeit für
sich beanspruchen. Natürlich ist diese Rechnung Unsinn, weil solche Zeiten nicht einfach per Division zu ermitteln sind. Sie zeigt aber bei aller Vereinfachung doch, dass Kommunikationskompetenz in ihrem
überfachlichen Kern sozusagen vor die Klammer gezogen werden und
dann in vielfältigen fachlichen Zusammenhängen geübt werden muss.
Schließlich wird kommunikative Kompetenz (wie die anderen überfachlichen Kompetenzen auch) in allen Fächern als notwendig zugrunde
gelegt – also müssen auch alle für ihren Erwerb verantwortlich sein.
Im Grundlagenbaustein II werden – wieder spiralförmig aufbauend möglichst über mehrere Jahrgangsstufen bis hin zum Training für das mündliche Abitur in Stufe 12 oder 13 – u. a. geschult:
25
Klieme, E., „Zusammenfassung zentraler Ergebnisse der DESI-Studie“, www.dipf.de/
desi/DESI_Ausgewaehlte_Ergebnisse.pdf, S. 7
33303.book Seite 49 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 49
nonverbale Elemente (Sprechangst überwinden, Blickkontakt halten,
Körpersprache und Mimik deuten und einsetzen, zuhören, Nähe aushalten, vor größeren Gruppen stehen etc.) und paraverbale Elemente
(Lautstärke und Tonhöhe variieren, deutlich artikulieren etc.),
z verbale Elemente:
– frei sprechen (zusammenhängend und strukturiert erzählen, berichten, darstellen; vollständige Sätze formulieren und Satzmuster variieren können, Fachsprachen verwenden etc.),
– miteinander reden (Gesprächsregeln kennen und anwenden, sich
aktiv beteiligen, überzeugend argumentieren, eigene Meinung verbalisieren und begründen, gezielte Fragen stellen, auf Fragen eingehen, aktiv zuhören, Gehörtes wiedergeben, zusammenfassen, fair
und sachlich bleiben, in Rollen schlüpfen und Positionen anderer
übernehmen, provozieren ohne zu verletzen etc.).
z
Auf die Reflexion als wichtiges Element eines Lernprozesses wurde bereits
mehrfach hingewiesen. Sie ist bei diesem Training besonders wichtig, weil
Schülerinnen und Schüler gelegentlich dazu neigen, solche Übungen als
Spielereien zu betrachten. Das entsprechende Problembewusstsein muss
oft erst geweckt und die Bereitschaft entwickelt werden, sich auf einem
Gebiet auf einen systematischen Lernprozess einzulassen, wo scheinbar
Persönliches tangiert wird. Dazu ist es vor allem wichtig, dass Schülerinnen und Schüler lernen, mit Rückmeldungen zu ihrem eigenen Kommunikationsverhalten konstruktiv umzugehen und anderen ein
konstruktives Feedback zu geben.
Auch und gerade für diese Trainings gilt, dass sie ihre Wirkung erst dann
dauerhaft entfalten können, wenn die Schülerinnen und Schüler in möglichst vielen Situationen in den verschiedenen Unterrichtsfächern die
Möglichkeit zur Übung erhalten und damit gleichzeitig zur Anwendung
herausgefordert werden. Es ist nämlich ganz unbestritten ein sehr langwieriger Prozess für das Subjekt, sein Kommunikationsverhalten dauerhaft und sicher zu verbessern. Die Trainings in der Sekundarstufe I bauen
deshalb auch hier systematisch auf den Grundschultrainings auf.
Teamkompetenz: Grundlagenbaustein III (TT)
Dass in der Wirtschaft Teamfähigkeit ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und damit für beruflichen
Erfolg ist, braucht nicht mehr ausgeführt zu werden. Es lohnt sich aber
vielleicht daran zu erinnern, dass die Zusammenarbeit mit anderen seit
Jahrzehnten von Reformpädagogen als ein wichtiges Element ganzheitlichen Lernens und damit der Persönlichkeitsentwicklung verstanden
wird. Wirtschaftliche und pädagogische Argumente treffen sich hier also.
Reflexion
Wie erzeugt man
Nachhaltigkeit?
Wirtschaft und
Reformpädagogik
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50 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Partner- und
Gruppenarbeit: alte
Hüte?
Was heißt eigentlich
Teamfähigkeit?
Teamkompetenz bei
Schülerinnen und
Schülern, aber auch
bei Lehrerinnen und
Lehrern
Partner- und Gruppenarbeit sind doch nun wirklich feste Bestandteile des
didaktisch-methodischen Repertoires an unseren Schulen – mag man da
einwenden. Schülerinnen und Schüler führen sie täglich durch. Das ist
sicher richtig, aber sie werden von ihnen (ebenso wie von Lehrerinnen und
Lehrern) nicht selten als nicht zielgerichtet und effizient genug empfunden: Da wird Zeit vergeudet, weil man viel zu lange über die Arbeitsorganisation diskutiert. Da arbeiten immer dieselben, andere drücken sich.
Schwächere werden untergebuttert, Stillere kommen nicht zu Wort. Konflikte kochen hoch, deren Lösung mehr Arbeitszeit einnimmt als die
Arbeit an der Sache. Keiner fühlt sich wirklich verantwortlich für das
Ergebnis, das sowieso immer von den geborenen Entertainern präsentiert
wird. Die Klassenräume sind zu klein, die Lautstärke wird unerträglich.
Die Mängelliste ließe sich beliebig verlängern.
Wie auch für andere Kompetenzen gilt für die Teamfähigkeit, dass sie sich
aus vielen Mikroelementen zusammensetzt, die bewusst gemacht, gezielt
erarbeitet und eingeübt werden müssen. Nicht wenige davon könnten
auch als Bestandteile der emotionalen Intelligenz beschrieben werden. Da
geht es darum, andere (auch des anderen Geschlechts, auch mit anderer
Herkunft) als Arbeitspartnerinnen oder Arbeitspartner zu akzeptieren.
Nicht immer ist es einfach, andere Ideen zuzulassen oder zu entscheiden,
wann es gilt, sich selbst einzubringen oder sich zurückzunehmen. Toleranz und Rücksichtnahme gehören unabdingbar dazu, Unterstützung zu
geben und anzunehmen, einen einmal erreichten Konsens zu respektieren, aber auch zu Empathie fähig zu sein und im Konfliktfall zu vermitteln.
Konflikt- und Kooperationsfähigkeit könnte man zusammenfassend
sagen, aber das darf nicht dazu führen, dass Trainings zur Förderung der
Teamfähigkeit im Klassenzimmer reine gruppendynamische Übungen
und Befindlichkeitsklärungen sind. Die in diesem Band vorgestellten Trainings verstehen sich so, dass Schülerinnen und Schüler in der Lerngruppe
gemeinsame Regeln erarbeiten und vereinbaren, dass sie Standards für
Arbeitsabläufe festlegen und Interaktions- und Kooperationsroutinen
schaffen. Dazu gehören dann z. B. Funktionen wie Gruppenleiter, Regelbeobachter und Zeitwächter zu verteilen und zu übernehmen, einen
gemeinsamen Arbeitsplan zu erstellen, gängige Melderegeln zu beachten,
das Wort gezielt weiterzugeben, die Gesprächsleitung übernehmen zu
können, beim gestellten Thema zu bleiben u. v. a. m.
Hier ist besonders augenfällig, dass solche Regeln nur dann zu einem
Erfolgsfaktor für Teamarbeit werden, wenn sie immer wieder reflektiert
werden, wenn sie langfristig eingeübt werden und sozusagen in Fleisch
und Blut übergehen und wenn sie Gültigkeit in allen Lernzusammenhängen dieser Lerngruppe haben – nicht nur für ein Fach, nicht nur für ein
Schuljahr, nicht nur bei einem Lehrer oder einer Lehrerin. Die vorherige
Verständigung aller Lehrerinnen und Lehrer nicht nur der Lerngruppe,
33303.book Seite 51 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 51
sondern der Schule auf gemeinsame Zielvorstellungen trägt wesentlich
zum Erwerb der Teamfähigkeit bei ihren Schülerinnen und Schülern bei.
Die Teamkompetenz der Lehrerinnen und Lehrer ist nicht nur wichtige
Voraussetzung, weil sie möglicherweise Vorbildcharakter hat, sondern sie
ist auch aus inhaltlichen Gründen wichtig.
In einer Schule ist – um dies an einem Beispiel zu erläutern – das Zufallsprinzip bei der Auswahl derjenigen, die Arbeitsergebnisse präsentieren,
zur Regel gemacht geworden. Das führt nicht nur zu Hitlisten der witzigsten „Zufallsgeneratoren“ in der Schülerzeitung, sondern nach und nach
zu dem Effekt, dass es für jeden Schüler und jede Schülerin zur Selbstverständlichkeit wird, Arbeitsergebnisse vor kleinen und größeren Gruppen
zu präsentieren, und sich die Qualität der Präsentation schulweit allmählich deutlich verbessert. (Natürlich wird das durch andere Trainingsmaßnahmen unterstützt.) Außerdem steigt der Grad an Verantwortung, die
jeder bzw. jede Einzelne für Arbeitsergebnisse von Gruppen übernimmt,
erkennbar und damit das Engagement für die Arbeit; denn es könnte einen
ja jederzeit treffen …!
Zwei weitere Effekte können erzielt werden. Teamfähigkeit als wesentliche Teilkompetenz der Selbstständigkeit schafft Raum für Differenzierung und individuelle Betreuung im Klassenraum. Sind die Schülerinnen
und Schüler zuverlässig und für längere Zeiträume in der Lage in Teams
zu arbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen, kann die Lehrerin bzw.
der Lehrer sich gezielt mit den Problemen Einzelner beschäftigen und sie
in der besonderen Weise fördern, derer sie zu diesem Zeitpunkt vielleicht
bedürfen. Er/sie kann den gewonnenen Freiraum aber auch für gezielte
Beobachtungen und Diagnose nutzen. Zudem leistet Teamfähigkeit
ebenso wie die untrennbar damit verbundene Kommunikationsfähigkeit
einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Gewaltprophylaxe.26
Die beiden folgenden Abbildungen verdeutlichen zusammenfassend den
Aufbau von Lernkompetenz über die drei Grundlagentrainings:
26
Gewaltprophylaxe ist damit kein Thema mehr, das quasi als Insel irgendwo platziert
werden muss, sondern wird zum integrativen Bestandteil schulischer Arbeit.
ein Beispiel aus
der Praxis
zwei weitere Effekte
33303.book Seite 52 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
52 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Trainingsspiralen im Bereich
der Grund- und Sonderschulen
Methodentraining
TS
TS
Handwerkliche
Grundtechniken
– Schneiden
Effizientes Lesen
Kommunikationstraining
TS
Nonverbale
Kommunikation
Teamentwicklung
TS
Für Teamarbeit
sensibilisieren
TS
Gruppenprozesse
reflektieren und
Regeln anbahnen
Schwerpunkt: Blickkontakt
TS
Paraverbale
Kommunikation
Schwerpunkt: Arbeit mit der Stimme
TS
TS
Markieren
Visualisieren
Schwerpunkt:
Heftgestaltung
TS
Verbale Kommunikation
Freies Sprechen und
aktives Zuhören
Kommunikation
TS VerbaleMiteinander
Reden
Regeln zur Teamarbeit
TS entwickeln und einüben
TS
Alternative Formen
der Gruppenarbeit
durchspielen
© Selbstständige Schule
Abb. 5: Trainingsspiralen im Bereich der Grund- und Sonderschulen
Methodentraining
Kommunikationstraining
Teamentwicklung
TS
Markieren &
Strukturieren
TS
Für GA
sensibilisieren
Nachdenken über
TS
Effektiver
Lernen & Behalten
TS
GA – Regeln
anbahnen & klären
TS
Angstfreies Sprechen
& Argumentieren üben
TS
Rasch Lesen &
Nachschlagen
TS
Regelgebundene
GA durchführen
TS
Miteinander
Reden lernen
TS
Visualisieren &
Gestalten
TS
Kleines 1 x 1
der Rhetorik
TS
Klassenarbeiten
vorbereiten
TS
Zeitmanagement
TS
Sinn erfassend
Lesen
TS Kommunikation(sängste)
Trainingsspiralen
im Bereich
der Sekundarschulen
© Selbstständige Schule
Abb. 6: Trainingsspiralen im Bereich der Sekundarschulen
33303.book Seite 53 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 53
3.3.2 Selbstständigkeit:
Über Lernspiralen zum selbst gesteuerten Lernen (SegeL)
Selbstverständlich generieren auch mehrere solcher Grundlagentrainings
in verschiedenen Schulstufen noch nicht den selbstständigen Lerner oder
die selbstständige Lernerin. Viel zu oft geben sich Schulen der Illusion hin,
dass mit einigen Trainings an wichtigen Schnittpunkten der Schullaufbahn das selbstständige Lernen zu bewältigen sei. Man kann aber nicht
davon ausgehen, dass eine solch komplexe Kompetenz nach mehreren
Trainingstagen – mögen diese auch noch so gut gestaltet sein und das
praktische Kennenlernen ermöglichen – verankert ist. Wenn die Trainingsmaßnahmen nicht eng mit dem Fachunterricht (dem fächerübergreifenden, dem fächerverbindenden Unterricht) verzahnt sind, wird
ihnen kein nachhaltiger Erfolg beschieden sein. Das Gelernte muss im
Fachunterricht systematisch „gepflegt“ werden, damit Routine entsteht.
Ziel ist es, dass Schülerinnen und Schüler immer eigenständiger Entscheidungen über individuell zu benutzende Methoden treffen können. Zur
Bearbeitung einer Aufgabe im Fachunterricht wählen sie aus der ständig
wachsenden Zahl zur Routine gewordener Methoden aus, werden aufgefordert, diese Wahl zu begründen und später die Angemessenheit ihrer
Entscheidung und den Erfolg zu reflektieren. Erkenntnisse aus der Diskussion nach PISA haben den Wert systematischer Reflexion für den Aufbau metakognitiver Kompetenzen deutlich gemacht. Es geht auf Dauer
um Lernarrangements im Alltagsunterricht, die die Selbstständigkeit der
Schülerinnen und Schüler phasenweise immer stärker fordern und fördern. Nur auf der Grundlage von systematischen Trainings und Pflegemaßnahmen haben aber auch die mehrfach genannten hoch
anspruchsvollen und komplexen Szenarien wie Projektarbeit, Wochenplan- oder Freiarbeit, Jahres- oder Facharbeiten eine bessere Chance, zu
erfolgreichen Arbeitsformen zu werden.
Wie die Schülerinnen und Schüler den Aufbau der Kompetenzen in den
Grundlagenbausteinen in den sogenannten Trainingsspiralen erleben, so
bilden sie Routinen durch die Pflege im Fachunterricht in den sogenannten Lernspiralen. Das Ziel einer Lernspirale ist die Weiterentwicklung
fachlicher Kompetenzen. Der Inhalt ist in der Regel durch die Lehrerin
oder den Lehrer vorgegeben und entspricht dem Lehrplan oder Kernlehrplan oder dem schuleigenen Lehrplan, kann aber auch von der Lerngruppe
mit bestimmt sein.
Grundlagentrainings
allein reichen nicht!
Pflege im
Fachunterricht
Lernspiralen
03.fm Seite 54 Dienstag, 10. Oktober 2006 1:52 13
54 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Abb. 7: Lernspirale
Dabei bekommen die Schülerinnen und Schüler im Fachunterricht die
Gelegenheit, sich in ein Thema regelrecht „hineinzubohren“, weil ihnen
Aufgaben angeboten werden, die unterschiedlich komplex sind, unterschiedliche Zugänge ermöglichen und verschiedene methodische
Zugriffsweisen herausfordern. Der Lehrer oder die Lehrerin wird den
Schülerinnen und Schülern innerhalb eines bestimmten Korridors Gestaltungsmöglichkeit und Verantwortung zugestehen. Sie nutzen die Metho-
33303.book Seite 55 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 55
den-, Kommunikations- und Teamkompetenzen, die sie bereits
beherrschen, „pflegen“ sie dabei und entwickeln Routine.
Dabei wird – ähnlich wie in den Trainingsspiralen – nach einem dreischrittigen Verfahren gearbeitet. Zuerst aktivieren die Lernenden ihr Vorwissen, dann erarbeiten sie sich neue Kenntnisse und Verfahrensweisen,
um sich zuletzt an komplexeren Anwendungs- und Transferaufgaben zu
versuchen.
Kein revolutionär neuer Aufbau von Unterricht! – mag da mancher denken.
Oberstes Prinzip bei einer Lernspirale ist allerdings, dass die Schülerinnen
und Schüler so häufig und intensiv wie möglich selbst tätig werden, ihren
eigenen Lernweg selbst finden und so viel Verantwortung wie möglich tragen.
Je sicherer Schülerinnen und Schüler sind und je umfangreicher ihr Repertoire an Teilkompetenzen ist, umso eher kann der Lehrer oder die Lehrerin
Entscheidungen den einzelnen Lernenden überlassen. Der bzw. die Einzelne
muss möglichst bald wissen, ob er oder sie z. B. für eine Darstellung neuen
Wissens als Form ein Struktogramm, eine Mindmap, einen Ablaufplan oder
eine lineare Darstellung bevorzugt. Und er oder sie muss die Wahl begründen, die damit gemachten Erfahrungen reflektieren und bewerten können.
Je nach Entwicklungsstand ist der Lehrer oder die Lehrerin dann stärker in
der vorgebenden, aktivierenden oder begleitenden Rolle (vgl. Kap. 3.4.2)
In diesem Zusammenhang soll auch kurz vom Üben die Rede sein, vom
„intelligenten“ Üben allerdings. H. Meyer spricht vom Negativ-Image des
Übens und davon, dass Üben dann Spaß mache (und damit Erfolg versprechend sei), „wenn freiwillig geübt wird, wenn Spielräume für Selbsttätigkeit gegeben sind, wenn der Übungserfolg unmittelbar einsichtig ist
und selbst kontrolliert werden kann und wenn ein sachliches Interesse am
Lerngegenstand besteht“.27 Zu den Merkmalen „intelligenten“ Übens
gehören nach Meyer u. a., dass „die Schüler Überkompetenz entwickeln
und die richtigen Lernstrategien benutzen“ und dass der Lehrer oder die
Lehrerin die Möglichkeit hat, „gezielte Hilfestellungen“ zu geben.28 Diese
Art von Üben passt also gut in Lernspiralen im Fachunterricht, in denen
der Lehrer oder die Lehrerin zunehmend Verantwortung auf die selbstständiger werdenden Schülerinnen und Schüler überträgt und damit die
Rolle des Lernberaters bzw. der Lernberaterin übernehmen kann.
Lernspiralen schließen selbstverständlich den gut platzierten Lehrervortrag oder das gut geführte (sogenannte gelenkte) Unterrichtsgespräch
nicht grundsätzlich aus, sind aber ein neuer Fokus.29
27
Meyer, H., Was ist guter Unterricht?, Berlin 2004, S. 105
Ebd.
29 Die Grundlage des fachlichen Lernens in den Phasen einer Lernspirale wird von Taeger
und Lagoda, zwei schulischen Praktikern, die nicht im Modellversuch arbeiten, mit
aktuellen neurobiologischen Erkenntnissen in Verbindung gebracht, vgl. Taeger, K.,
Lagoda, R.-J., „Lernen – ein Prozess in sieben Phasen“ in: SchulVerwaltung NRW, 4/2006,
S. 108–111
28
„intelligentes“ Üben
33303.book Seite 56 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
56 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Ziel: SegeL
Das hohe Lied des handlungsorientierten Unterrichts haben schon die
Reformpädagogen gesungen – mag der Kritiker wiederum einwerfen.
Aber nicht zuletzt PISA hat gezeigt, dass nicht alles, was Reformpädagogen gepredigt haben, schon überall Gehör gefunden hat. Zudem ist ein
zweites wichtiges Prinzip solcher Trainings- und Lernspiralen, dass Schülerinnen und Schüler immer wieder das, was sie tun, und wie sie es tun,
reflektieren.30 Das „Ineinander von Denken und Tun“31 ist das Entscheidende.
Ziel der Arbeit in den Trainingsspiralen (vgl. Abb. 4) und in den Lernspiralen (vgl. Abb. 7) in möglichst allen Unterrichtsfächern ist das zunehmend selbst gesteuerte Arbeiten im Fachunterricht, ein Ziel, das nur über
viele Zwischenschritte zu erreichen ist (vgl. Abb. 9).
Unterrichtsentwicklung
Perspektive der Schülerinnen und Schüler
Sockeltraining
Umsetzung
Ziel
Pflege im
Unterricht
Eigenständige
Anwendung
Baustein 1/2/3:
Baustein 1/2/3:
• Methoden
• Kommunikation
• Team
Wiederholen und
Üben im Fachunterricht
Offene Lernarrangements, fachbezogen,
fächerübergreifend
Material, Auswertung,
Evaluation
Material, Evaluation
Routine im Einsatz
und Anwendung
in verschiedenen
Fächern
zunehmende Selbstverantwortung für die
Lernwege
Selbstkontrolle
Selbststeuerung der
Lernprozesse
Kennenlernen und
Erproben grundlegender Methoden
und Verfahren
selbst
gesteuertes
Lernen
© Selbstständige Schule
Abb. 8: Unterrichtsentwicklung – Perspektive der Schülerinnen und Schüler
30
Ein Instrument dazu ist z. B. PAUL, das Persönliche Arbeits- und Lernbuch, dargestellt
in: Herrmann, J., Höfer, C., Weisker, K., Handbuch zur Basisqualifizierung von schulischen Beraterinnen und Beratern für Evaluation im Rahmen des Projektes "Selbstständige Schule", Projektpublikation, Gütersloh 2004, erhältlich über die Projektbüros
Gütersloh und Düsseldorf
31 Gudjons, H., „Handlungsorientierter Unterricht. Begriffskürzel mit Theoriedefizit? in:
PÄDAGOGIK, Heft 1, 1997, S. 6, zitiert nach Klippert, Eigenverantwortliches Arbeiten
und Lernen, S. 56
03.fm Seite 57 Dienstag, 10. Oktober 2006 1:52 13
Schülerinnen und Schüler lernen das Lernen | 57
Abb. 9: Spirale SegeL
33303.book Seite 58 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
58 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
3.4
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen
3.4.1 Lehrerinnen und Lehrer als Lernende
Neues im Team
lernen und
reflektieren
systematisches
Lernen und Verlernen
Das Leitbild des selbstständig und lebenslang Lernenden wurde bisher als
Leitbild für Schülerinnen und Schüler expliziert. Es kann in Schulen aber
nur zu einer den Alltag tragenden und bestimmenden Zielvorstellung
werden, wenn es ein korrespondierendes Selbstverständnis der Lehrerinnen und Lehrer gibt. Das bedeutet, dass Lehrerinnen und Lehrer, die den
Unterricht für selbstständiger arbeitende Schülerinnen und Schüler planen, durchführen und evaluieren, selbst wieder – immer wieder – zu Lernenden werden. Die Trainings zur Unterrichtsentwicklung basieren auf
der Annahme, dass Lehrerinnen und Lehrer am ehesten den vielfältigen
Ansprüchen an eine zeitgemäße Lehrerrolle gerecht werden und zudem
mit ihrer Arbeit und sich selbst zufriedener sind, wenn sie im Sinne eines
kontinuierlichen Lernprozesses Neues lernen, diesen Lernprozess systematisch reflektieren und dies am besten gemeinsam mit anderen im Team
tun.
Sie müssen aber auch die Chance dazu erhalten. Häufig sind Veränderungsanforderungen an Schule mit der Illusion verbunden, dass ein Erlass
genüge, um eine Veränderung sicherzustellen. Da aber Veränderungen
von den Menschen realisiert werden müssen, die am Ort dieser Veränderungen arbeiten, müssen diese Menschen die Gelegenheit haben, die
Kenntnisse und Kompetenzen zu erwerben, die für diese Veränderungen
nötig sind. Dabei müssen noch die besonderen Bedingungen des Arbeitsfeldes Schule berücksichtigt werden. Haenisch erläutert – unter Berufung
auf Frey – dazu, „dass der Lehrerberuf einer der wenigen Berufe ist, bei
dem durch die Dauer der Praxis kein Qualitätsfortschritt entsteht. Das
wird damit erklärt, dass Lehrkräfte mit der Zeit Amalgame ausformen, das
heißt, dass sich Verhaltensmuster bilden, die sehr resistent sind. Der gute
Wille hat sich dabei als Veränderungsbemühung als wirkungslos erwiesen
und allein Wissen beeinflusst das Verhalten praktisch auch nicht. Aus diesen Analysen kann gefolgert werden, dass wahrscheinlich in erheblichem
Umfang systematisches Lernen und Verlernen erforderlich ist, wenn sich
im Unterricht etwas verändern soll. Das wenige, was sich bisher an Befunden in dem recht neuen Forschungsgebiet ,Lernen der Lehrkräfte‘ finden
lässt, scheint dies zu bestätigen. Vieles was wir über das Lernen von Schülerinnen und Schülern wissen, scheint danach auch für Lehrkräfte zu gelten, […].“32 Das bestätigt auch Helmke, wenn er von „stabilen Routinen
32
Haenisch, H., „Was Lehrkräfte benötigen, um ihren Unterricht zu verändern“ in: SchulVerwaltung NRW, Heft 5/2004, S. 136; er bezieht sich auf Frey, K., „Kann man Lehrpersonen so qualifizieren, dass sie Gelerntes in die Praxis transferieren?“ in: Bildung und
Erziehung 53, 2000, S. 247–255
33303.book Seite 59 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen | 59
und Gewohnheiten“ spricht und für die Unterrichtsentwicklung folgert,
„[…], dass Veränderungen an einer einzelnen Stellschraube des gesamten
Wirkungsgeflechtes kaum geeignet sind, den ‚Output’ des Systems deutlich und nachhaltig zu beeinflussen.“33
Trainings zur Unterrichtsentwicklung wenden sich deshalb, noch bevor
sie Schülerinnen und Schülern angeboten werden können, zuerst an
deren Lehrerinnen und Lehrer. Sie können im Laufe der Grundlagentrainings für Lehrkräfte, der Workshops und der gemeinsamen Weiterarbeit
in Teams
Lehrertrainings vor
Schülertrainings
durch eigene Erfahrungen in der „Schülerrolle“ für Neues sensibilisiert
und motiviert werden,
z zugleich die Sicherheit gewinnen, dass Verbesserungen möglich sind,
z ihre eigene Rolle als Lehrer bzw. Lehrerin reflektieren und weiterentwickeln,
z durch Selbstreflexion und im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen
die Umsetzung in der täglichen Unterrichtsarbeit absichern.
z
Damit berücksichtigen die Trainings zwei wichtige Aspekte, die Haenisch
für Veränderungen in Schule beschreibt:
„Wenn Lehrkräfte zur Veränderung ihres Unterrichts motiviert werden
sollen, müssen sie die Erfahrung machen können, dass es ihnen etwas
nützt, sie müssen die Erwartung einer Verbesserung damit verbinden.
Dafür müssen Lernumgebungen geschaffen werden, die vielfältige Gelegenheiten geben, eigene Erfahrungen in Erinnerung zu rufen sowie
eigene Interessen und Probleme einzubringen, um auf diese Weise das
kritische Überdenken der eigenen Position in die Wege zu leiten. […] Eine
interessante Möglichkeit zur Selbstreflexion besteht darin, sich in die
Schülerrolle zu versetzen. Lernen mit den Augen der Schülerinnen und
Schüler zu sehen und Erfahrungen darüber zu sammeln, wie Schüler/
innen behandelt werden, sensibilisiert für Schülerbedürfnisse und fördert
das Verständnis dafür, warum bestimmte Lehraktivitäten bei den Schülern ankommen und warum andere nicht von Erfolg gekrönt sind.“34
Die Trainings für Lehrerinnen und Lehrer sowie die dazugehörigen schulorganisatorischen Veränderungen werden systematisch in Kap. 4 dargestellt.
33
34
Helmke, A. (2006), S. 44
Haenisch, H. (2004), S. 136 f.
zwei wichtige
Aspekte für Lehrertrainings
33303.book Seite 60 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
60 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
3.4.2 Lehrerinnen und Lehrer brauchen ein neues Rollenverständnis
und vielfältige Kompetenzen
Es kann im Rahmen eines Buches über Unterrichtsentwicklung nicht
darum gehen, ein vollständiges Kompetenzprofil für Lehrerinnen und
Lehrer darzustellen. Auf der Grundlage dessen, was insgesamt Lehrerexpertise ausmacht35, sollen jedoch bestimmte Merkmale von Lehrenden
akzentuiert werden, die im Hinblick auf das Leitbild des selbstständigen
Lernens für die Gestaltung „guten“ Unterrichts besonders wichtig sind
und in den Trainings aufgegriffen werden.
direkte und indirekte
Steuerung
Neues Rollenverständnis
Die differenzierten Formen eines „guten“ Unterrichts erfordern eine differenzierte Wahrnehmung von Rollen, die Lehrerinnen und Lehrer einnehmen und beherrschen müssen. Ihnen obliegt als Kernaufgabe die „gezielte
und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle
Bewertung und systematische Evaluation“36. Sie können sich also – auch
wenn die Schülerinnen und Schüler selbstständiger arbeiten – aus Verantwortung für die Steuerung der Lernprozesse auf keinen Fall zurückziehen.
Sie können diese Steuerung aber direkter oder indirekter ausüben. Wenn
Schülerinnen und Schüler selbstständiger arbeiten (sollen), wird sich auch
die Rolle des bzw. der Lehrenden verändern (müssen). Das Verhältnis
von vorgebender Rolle, die z. B. im fragend-entwickelnden Unterricht
dominant ist,
z aktivierender Rolle, die in Trainings die vorrangige ist,
z und begleitender Rolle, die auf Lehrerseite dem von Schülerinnen und
Schülern stärker selbst verantworteten Lernen entspricht,
z
wird sich zunehmend zugunsten der begleitenden Rolle verändern.37 Wo
diese Veränderungsnotwendigkeit nicht akzeptiert wird, wird Unterrichtsentwicklung mit dem Ziel der erhöhten Selbstständigkeit bei Schülerinnen und Schülern nicht funktionieren. Lehrerinnen und Lehrer müssen in
dieser Rolle ebenso einen Prozess moderieren können wie eine effiziente
individuelle Lernberatung durchführen. Sie müssen dabei oft lernen, mit
hoher Selbstdisziplin einen Teil der Verantwortung bewusst und gezielt an
Schülerinnen und Schüler abzugeben, die Ampel gelegentlich gegen ihre
35
Hier sei verwiesen auf Helmke, A. (2003), Kapitel 3: Lehrerexpertise, Kontext und Unterrichtsqualität
36 Arnold, K.-H., „Beurteilungskompetenz“, in: unterrichten/erziehen, 20 (1), S. 12–15;
zitiert nach Helmke (2003), S. 86
37 Vgl. Tschekan, K. (2004)
33303.book Seite 61 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen | 61
eigenen zu voreiligen Interventionen auf „Rot“ zu stellen38, da sich über
lange Jahre ihre Einstellung verfestigt hat, dass nur sie selbst ihren Schülerinnen und Schülern beim Lernen helfen können. Und dennoch dürfen
sie, da der Erwerb sozialer und persönlicher Kompetenz in der Schule
immer wichtiger wird, die Rolle der Erzieherinnen und Erzieher nicht vernachlässigen. Wenn nun dazu noch einmal betont wird, dass nichts gegen
einen gut vorbereiteten und gut dargebotenen Lehrervortrag spricht, dagegen viel gegen eine Monokultur frontalen Unterrichts (wie gegen jede Art
von Monokultur), dann klingt das alles wie die Quadratur des Kreises.
Die Lehrerin bzw. der Lehrer soll ihre bzw. seine traditionellen Rollen weiterhin ausfüllen und die neuen gleichzeitig entwickeln, die Verhaltensänderungen und oft geradezu eine Veränderung von Persönlichkeitsmerkmalen erfordern. Das ist nur in einem Lernprozess vorstellbar, der dem
Einzelnen nicht allein zugemutet wird. Nur im Team entsteht der Rückhalt
für so weit gehende Veränderungen. Ebenso wichtig ist es, dass einem solchen Lernprozess ausreichend Zeit eingeräumt wird und die Leitung einer
Schule ihn wirklich unterstützt. Die für die Trainings als notwendig erachteten schulorganisatorischen Maßnahmen werden in Kap. 4.2 beschrieben.
Vom Einzelkämpfer zum Teamarbeiter
Aus der empirischen Forschung über Schulqualität ist bekannt, dass in
guten Schulen überdurchschnittlich häufig eine systematische Zusammenarbeit zwischen Lehrerinnen und Lehrern festzustellen ist. Sie drückt
sich vor allem in einem starken Konsens in didaktisch-methodischen Fragen, in der beständigen Abstimmung des Unterrichts und in einer ständigen gemeinsamen Erörterung und Festlegung von übergreifenden
Verhaltensregeln aus.39 Es gehört demnach zum wohlverstandenen
Selbstverständnis von Lehrerinnen und Lehrern, sich als Lehrende und
Lernende im Team zu verstehen. Das bedeutet, bereit und fähig zu sein,
Unterricht und Erziehung gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen im
Zusammenwirken der Unterrichtsfächer zu planen, zu evaluieren und
weiterzuentwickeln. Eine aufgabenbezogene und effiziente Teamarbeit
erfolgt im Klassen-, Jahrgangs-, Bildungsgang- und Fachteam.40
38
Vgl. Ziegler, A., „Wir dachten, die Ampel zeigt rot!“ in: PÄDAGOGIK, Heft 7/8 2000,
S. 17–21
39 Vgl. Haenisch, H., „Gute und schlechte Schulen im Spiegel der empirischen Schulforschung“ in: Tillmann, K.-J., Hrsg., Was ist eine gute Schule, Hamburg 1989, S. 35
40 Interessant ist, dass auch Autoren, die von einem anderen Verständnis von Unterrichtsentwicklung ausgehen, als es in diesem Band beschrieben wird, immer die Notwendigkeit von Teamarbeit betonen. (vgl. Horster., L., „Was tun mit der neuen Freiheit?
Kernlehrpläne als Anlass für Unterrichtsentwicklung“ in: Schulleitung und Schulentwicklung, E 2.44, 8/2005, S. 1–12 oder Kerl, G., u. a., „Kleine Konferenz mit großer Wirkung. Fachjahrgangskonferenzen sorgen für Unterrichtsentwicklung und Entlastung“
in: Schulleitung und Schulentwicklung, D 4.10, 8/2005, S. 1–13)
Quadratur
des Kreises?
Teamarbeit und
ausreichend Zeit!
33303.book Seite 62 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
62 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Warum Unterrichtsentwicklung in
Teamarbeit besser
gelingt.
professionelle
Lerngemeinschaften
An einem Beispiel sei die Bedeutung von Teamarbeit für das Gelingen der
Unterrichtsentwicklung illustriert. Wenn es in einer bestimmten Lerngruppe um die Pflege der in den Grundlagentrainings erworbenen Kompetenzen geht, besteht die Gefahr, dass Arrangements „kaputt gepflegt“
werden, weil einzelne Lehrerinnen und Lehrer nicht wissen, dass alle
anderen die gleichen Pflegeschwerpunkte legen. Die Pflege, der Auf- und
Ausbau der Kompetenzen bedürfen deshalb immer wieder der abgestimmten Planung und des Austausches über Erreichtes in der Gruppe der
Lehrerinnen und Lehrer, die gemeinsam eine Lerngruppe unterrichten.
Es kann allerdings auch nicht darum gehen, den Fachunterricht nach den
Erfordernissen einer wie auch immer gearteten (nicht existierenden)
Didaktik der überfachlichen Kompetenzen auszurichten. Spätestens bei
der Planung von Pflegemaßnahmen ist der einzelne Fachlehrer bzw. die
einzelne Fachlehrerin auf seine bzw. ihre fachliche Kompetenz verwiesen.
Er bzw. sie trägt weiterhin die Verantwortung für die Erreichung der curricularen Lernziele und muss dem jeweiligen Fachinhalt angemessene
methodische und didaktische Entscheidungen treffen, kann sich aber z. B.
bei der gemeinsamen Gestaltung von Lernspiralen Rückhalt in der Fachgruppe holen. Davon wird in Kap. 4.1 die Rede sein. Durch Teamarbeit
kann also der Gefahr begegnet werden, dass der Fachunterricht in „Methodenhuberei“ ausarten könnte – ein gelegentlich von Kritikern vorgebrachter Einwand.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass Veränderungen in Schulen besonders
dann dauerhaft wirksam werden, wenn die Teams bereits gemeinsam lernen. Damit wird die notwendige Sicherheit gewährleistet, die man
braucht, wenn man das Neue gegen alte Strukturen und Routinen im Alltag verankern möchte. Da es in der Regel in den Teams der beteiligten Lehrerinnen und Lehrer bei den Fortbildungsmaßnahmen zu positiven Lernund Arbeitserfahrungen kommt, ist es effizient, wenn ein solches Team
auch im Alltag zusammenarbeitet. Durch eine solch enge Verzahnung von
Fortbildung und dauerhaftem gemeinsamem Arbeitszusammenhang entstehen die „professionellen Lerngemeinschaften“41, die als so wirksam für
Veränderungen beschrieben werden. In ihnen ist auch das „Verlernen“
alter Routinen, das mit dem „Erlernen“ des Neuen unabdingbar verbunden ist, am ehesten möglich. Von bloßen Lehrerteams unterscheiden sich
professionelle Lerngemeinschaften darin, dass ihr ultimativer Bezugspunkt die Entwicklung des Unterrichts ist. Sie teilen Haltungen und
Werte, die für ihre Arbeit relevant sind, begreifen sich selbst als lebenslange Lerner und sind professionell in dem Sinne, dass sie zielorientiert
arbeiten, ihre Praxis deprivatisiert haben und sich ständig in einem reflek41
Haenisch, H. 2004, S. 136; vgl. Gathen, J. van, „Was macht die Arbeit einer „Professionellen Lerngemeinschaft“ aus?“ in: SchulVerwaltung Nr. 3/2005, S. 88–90
33303.book Seite 63 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen | 63
tierenden Dialog befinden. In angloamerikanischen Studien ist der positive Effekt ihrer Arbeit auf Schülerleistungen bereits nachgewiesen42, aber
auch für Deutschland gibt es vergleichbare Erkenntnisse.43 Der Praxisbericht von Homeier „Kooperatives Lernen und Schulentwicklung“ bestätigt
ebenfalls: „Auf Dauer kann eine Veränderung nur dann tragfähig und
effektiv gestaltet werden, wenn Lehrkräfte regelmäßig aus innerer Überzeugung kooperieren und ihren Platz in festen Teams finden. Im Mittelpunkt muss dabei die Unterrichtsqualität stehen, denn alle Schülerinnen
und Schüler haben das Recht auf einen Unterricht gleichmäßig hoher
Qualität.“44
Schließlich soll auch erwähnt werden, dass Kooperation entlastend ist und
der Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer dient.45
Intensivierung der Reflexion von Unterricht
Die kontinuierliche Reflexion des eigenen Unterrichts ist nicht nur ein
Kennzeichen der Professionalität des Lehrerhandelns, sondern nach
Helmke eine „Schlüsselbedingung“ der Verbesserung des eigenen Unterrichts. Er führt aus: „Die Fähigkeit und Bereitschaft, den eigenen Unterricht in seiner Gesamtheit jederzeit selbstkritisch zu hinterfragen,
verfügbare Methoden und Werkzeuge (beispielsweise Schülerfeedback,
kollegiale Rückmeldung und Supervision zum Unterricht, oder Messung
unterrichtlicher Wirkungen) zur Selbstdiagnose und -verbesserung einzuholen, ist ein zentrales und für den Unterrichtserfolg unabdingbares
Merkmal der Lehrperson.“46
Diesen Überlegungen wird in den drei Grundlagenbausteinen, besonders
aber im SegeL-Baustein Rechnung getragen.
42
Vgl. Gathen, J., S. 89; Pionierarbeit auf diesem Gebiet haben geleistet Susan Rosenholz
mit ihrem Buch Teachers’ Workplace: The Social Organisation of Schools, New York
1991, und Donald Schön mit Teachers as reflecting Practitioners, London 1983; zum
aktuellen Forschungsstand vgl. Bonsen, M., Rolff, H.-G., „Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrerinnen und Lehrern“ in: Zeitschrift für Pädagogik, 52. Jahrgang
2006, Heft 2, S. 167–184
43 Eine zurzeit laufende Studie von Petra Herzmann an der Universität des Saarlandes zur
Kooperation von Lehrerinnen und Lehrern scheint interessante Ergebnisse zu erbringen zum Zusammenhang zwischen langfristiger Professionalisierung des Lehrerhandels und der Verbesserung von Schülerleistungen; vgl. www.uni-saarland.de/fak5/ezw/
fp-herzmann_lesekompetenz.htm
44 Homeier, W., „Kooperatives Lernen und Schulentwicklung“ in: Lernende Schule. Für die
Praxis pädagogischer Schulleitung in der Lernenden Schule, Heft 33/2006, S. 1
45 Ein Projekt des rheinland-pfälzischen Kultusministeriums unter der Leitung von Helmut
Heyse hat Hinweise dazu erbracht, vgl. auch www.interconnections.de/id_9273.html
46 Helmke, A. (2003), S. 53
Schlüsselbedingung
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64 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Gegenseitige Hospitationen
Klassentüren sind in der Regel noch immer geschlossen. Lehrerinnen und
Lehrer als Lernende brauchen aber die systematische Rückmeldung anderer Professioneller zur Reflexion ihres Unterrichts. So gängig die Forderung nach regelmäßigen kollegialen Hospitationen auch sein mag, eine
innerschulische Kultur dazu ist selten anzutreffen. Aber gerade diese
Form der Zusammenarbeit ist hilfreich, wenn es um die konstruktive
Arbeit an der Weiterentwicklung der Lehrerrolle gehen soll. „Auch bei
gegenseitigen Unterrichtsbesuchen arbeiten Lehrkräfte zusammen, aber
diese Strategie hat eine besondere Qualität. Es werden nicht nur Gespräche über Unterricht geführt oder Erfahrungen ausgetauscht, sondern es
werden konkret die unterrichtlichen Aktivitäten und Verhaltensweisen in
den Blick genommen.
Hospitationen
Arbeitsphasen für Lehrerteams
LehrerIn 1
LehrerIn 2
LehrerIn 3
Absprache zur Umsetzung in ihren Fächern: Zeitraum, Materialien etc.
Absprachen zur Hospitation: Inhalte, Zeitpunkte, Auswertung
Unterrichtspraxis gemäß Absprachen
Hospitation gemäß Absprachen
gemeinsame Reflexion der Unterrichtspraxis
Feedback zur Hospitation
gemeinsame Bewertung
Diskussion/Austausch mit anderen LehrerInnenteams über die jeweilige Praxis
© Selbstständige Schule
Abb. 10: Kollegiale Hospitationen: Arbeitsphasen für Lehrerteams
konkrete Fragen und
Beobachtungen
Dabei geht es nicht um Kontrolle, sondern darum, Rückmeldungen zu
erhalten, um gegebenenfalls auf ,blinde‘ Flecken des Unterrichts aufmerksam zu werden. Diejenigen, die andere Kolleginnen und Kollegen in ihren
Unterricht einladen, haben dabei konkrete Fragen und Beobachtungsaufträge und wollen ehrliche Rückmeldung. Deshalb funktioniert diese Strategie von Unterrichtsentwicklung am besten, wenn eine Vertrauensbasis
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Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen | 65
zwischen den Beteiligten besteht.“47 Diese Vertrauensbasis kann in
Teams, die bereits gemeinsam trainieren, leichter entstehen. In Wochentrainings sind solche Hospitationen fester Bestandteil des Programms
und deshalb besonders interessant, weil der Unterricht vorher gemeinsam
vorbereitet und anschließend im Team reflektiert wird. (vgl. Abb. 19) Allerdings dürfen solche Ansätze nicht einmalige Aktionen bleiben oder nur
auf ein Team in der Schule begrenzt sein. Es gehört zu den Aufgaben der
Steuergruppe, nach pragmatischen, im Stundenplan fest verankerten Formen für viele Teams zu suchen. Auch hier gilt es neue Rollen einzuüben
– für den Einladenden ebenso wie für den Hospitierenden. Um allen Beteiligten zu helfen, alte „Bewertungsreflexe“ zu vermeiden, wurde ein sogenannter Hospitationsleitfaden entwickelt.48
Ausbau der diagnostischen Kompetenzen
Mit der Reflexion des eigenen Unterrichts korrespondieren diagnostische
Kompetenzen, um Lernvoraussetzungen, Lernfortschritte und Leistungsprobleme der einzelnen Schülerinnen und Schüler fortlaufend beurteilen
und darauf aufbauend weitere Lernschritte und Lernaufgaben sowie Fördermaßnahmen planen und organisieren zu können. Die diagnostische
Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern ist vielfach, zuletzt in der PISAStudie, als defizitär bezeichnet worden. Die PISA-Studie zeigt das am Beispiel der Einschätzung der Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern durch ihre Lehrerinnen und Lehrer. DESI hat andererseits gezeigt,
wie wichtig es ist, dass an der richtigen Stelle angesetzt wird – und mit den
richtigen Mitteln. „Wird die Gestaltung des Unterrichts in sinnvoller
Weise an den Lernvoraussetzungen der Schüler ausgerichtet, z. B. wenn in
Klassen mit vergleichsweise niedrigem Leistungsstand mit vielfältigeren
Methoden gearbeitet und die sprachliche Basisfähigkeit dort verstärkt trainiert wird, zeigen sich positive Effekte.“49
In den Trainings gibt es bisher zur Diagnosefähigkeit zwar einzelne Elemente (z. B. Beobachtungsbögen), aber noch kein gesondertes Arbeitspaket. Fertiggestellt sind bereits die Beschreibungen der Kompetenzen, die
nach Einführung in einer Trainingsspirale und bei angemessener Pflege
im Fachunterricht erreicht werden können. Sie sind beobachtbar und können sowohl in Beobachtungsbögen zu diagnostischen Zwecken für Lehrerinnen und Lehrer als auch in Selbstbeobachtungsbögen für
Schülerinnen und Schüler umgesetzt werden. Offen ist zurzeit noch, ob
47
Haenisch, H., „Schulpraktische Ansätze zur Entwicklung von Unterricht“ in: SchulVerwaltung NRW, Heft 1/2006, S. 4
48 S. Herrmann, J., Höfer, C., Weisker, K. (2004), S. 110
49 KMK-Pressemitteilung: Stellungnahme der Kultusministerkonferenz zu den Ergebnissen der Studie „Deutsch Englisch Schülerleistungen International“ (DESI), S. 5; vgl.
Abschnitt „Merkmale von erfolgreichem Unterricht in Deutsch und Englisch“
Vertrauen schaffen
Verankerung im
Stundenplan
zusätzliches Modul?
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66 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Grenzen des
überfachlichen
Ansatzes
komplexe Aufgaben
ein zusätzliches Modul entwickelt werden soll, wie das z. B. bereits für den
Einsatz Neuer Medien geschehen ist (vgl. Kap. 7.1).
Mit dem vorliegenden Ansatz der Unterrichtsentwicklung, der auf die systematische Entwicklung überfachlicher Lernkompetenzen setzt, können
nicht alle Probleme gleichzeitig gelöst werden. Das anzunehmen hieße,
ihn zu überfordern und oder ihn für allmächtig zu erklären. Es wird notwendig sein, die diagnostische Kompetenz der Lehrkräfte in ihrem Unterrichtsfach außerhalb dieses Ansatzes zusätzlich zu schulen. Hier hat der
überfachliche Ansatz seine Grenze.
Veränderte didaktisch-methodische Kompetenzen
Um die Selbstständigkeit von Schülerinnen und Schülern in ihren Lernprozessen zu stärken, müssen Lehrerinnen und Lehrer über bestimmte
didaktisch-methodische Fähigkeiten verfügen. Sie vermitteln ihren Schülerinnen und Schülern schrittweise die notwendigen Kompetenzen und
planen und organisieren altersgemäße, zunehmend offenere Lehr- und
Lernszenarien, in denen die Schülerinnen und Schüler diese Kompetenzen in fachlichen und überfachlichen Zusammenhängen einsetzen können. Was die Kompetenzen anbetrifft, geht es einerseits um
fachspezifische Methoden und Strategien (z. B. das Experimentieren im
naturwissenschaftlichen Unterricht, das Problemlösen im Mathematikunterricht, die Textanalyse und Interpretation im Deutsch- oder das Hörverstehen im Fremdsprachenunterricht). Fachliche Expertise ist z. B.
gefragt, um passende Themen, Problemstellungen oder Inhalte auszuwählen, damit Schülerinnen und Schüler schon vorhandene Kompetenzen anwenden können und müssen. Andererseits geht es um die
überfachlichen Fähigkeiten, Methoden und Strategien sowie Arbeits-,
Lese- und Lerntechniken, die beispielsweise mithilfe der vorgestellten
Trainings erworben werden können.
Der Formulierung angemessen komplexer Aufgaben im Fachunterricht
kommt eine hohe Bedeutung für selbstständiges Lernen zu. Bevor sich
Expertengruppen im Vorfeld von TIMSS und PISA mit der Frage auseinandersetzten, wie Kompetenzen erhoben und dafür angemessene Aufgaben kreiert werden können, waren Aufgabenstellungen im Unterricht in
deutschen Schulen sicherlich eher eindimensional. Sie bezogen sich häufig auf Inhalte, die gerade aktuell im Unterricht behandelt wurden;
Lösungswege waren eher vorgezeichnet und sollten von den Schülerinnen
und Schülern genau so beschritten werden, wie sie das gelernt hatten. Mit
der Ausnahme von offenen Unterrichtsformen (wie z. B. der Projektarbeit)
war im alltäglichen Fachunterricht die Aufgabenstellung oft so gewählt,
dass in der Regel damit eine einzige richtige Lösung erreicht werden
konnte. Die Aufgabe selbst sollte sicherstellen, dass der Bestand an abfragbarem Wissen größer wurde. Die in PISA entwickelten Aufgabentypen
33303.book Seite 67 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen | 67
und die neuen bundesweit gültigen Standards mit ihrer klaren Orientierung an Kompetenzen haben dazu geführt, dass heute in verschiedensten
Arbeitszusammenhängen an neuen Aufgabentypen gearbeitet wird.50 Im
Rahmen der in diesem Buch beschriebenen Konzeption wird an einer
neuen Aufgabenkultur vor allem in den Workshops zum selbst gesteuerten Lernen (SegeL) für Lehrerinnen und Lehrer gearbeitet. Damit diese
neue Aufgabenkultur der neuen Lehr- und Lernkultur angemessen ist, setzen sich Lehrerinnen und Lehrer dabei intensiv damit auseinander, wie
bedeutungsvolle und komplexe Aufgaben für Schülerinnen und Schüler
gestaltet sein müssen, und üben deren Konstruktion. Aufgabenstellungen, die weniger auf das passgenaue Abrufen von Wissensständen abzielen, sondern durch zunehmende Komplexität das eigene planerische
Denken jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers herausfordern, sind „Lernaufgaben“, bei deren Erledigung jede und jeder auch
viel über sich selbst und ihr/sein Lernen erfahren kann.
Erweiterte Kompetenzen zur Klassenführung
Von hoher Bedeutung für den Lernerfolg ist eine effiziente störungspräventive Klassenführung, d. h. die Fähigkeit, die Schülerinnen und Schüler
einer Lerngruppe „zu motivieren, sich möglichst lange und intensiv auf
die erforderlichen Lernaktivitäten zu konzentrieren, und – als Voraussetzung dafür – den Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten oder auftretende Störungen schnell und undramatisch beenden zu können“, damit
im Rahmen vorgegebener Zeiteinheiten die aktive Lernzeit ein hohes Ausmaß annimmt.51 Dazu bedarf es der Vereinbarung und Durchsetzung von
Regeln, Routinen und Ritualen.
Hilbert Meyer beantwortet mit „Zehn Merkmalen“52 die Frage, was guter
Unterricht sei. Auf der Ebene der Indikatoren (nicht allerdings hinsichtlich
der gewählten Systematik) weisen diese Merkmale eine hohe Affinität zu
dem in diesem Buch beschriebenen Konzept auf. Allein zwei dieser Merkmale zielen auf Voraussetzungen für guten Unterricht, die zum Thema
„Klassenführung“ gehören: „Lernförderliches Klima“ und „Vorbereitete
Umgebung“. Meyer belegt, „dass ein positives Unterrichtsklima nachhaltige, allerdings nicht sonderlich starke positive Auswirkungen auf die folgenden Dimensionen hat: Leistungsbereitschaft und Leistungsverhalten,
50
In NRW haben Arbeitsgruppen im Landesinstitut für Schule in Soest mit Bezug auf die
in den Kernlehrplänen ausgewiesenen Kompetenzen konkrete Aufgaben veröffentlicht. Diese Aufgabentypen sollen helfen, eine neue Aufgabenkultur zu entwickeln, die
ihre Entsprechung in den Aufgaben der Lernstandserhebungen und der kommenden
zentralen Prüfungen am Ende der Sekundarstufe I finden soll.
51 Weinert, F. E., Hrsg., Psychologie des Lernens und der Instruktion (Enzyklopädie der Psychologie. Pädagogische Psychologie, Bd. 2), Göttingen 1996, S. 124, zitiert nach
Helmke, A. (2003), S. 78
52 Meyer, H. (2004), S. 17
Hilbert Meyer:
lernförderliches
Klima und vorbereitete Umgebung
33303.book Seite 68 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
68 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
[…], Einstellungen zu Schule und Unterricht, […], Sozialverhalten, […], Interessenentwicklung, […].53
Die vorgestellten Trainings bieten zur effektiven Klassenführung eine Vielzahl von Varianten zu erprobten Verfahren und von neuen Anregungen.
Bewertung reflexiver
Leistungen
neue Kultur der
Bewertung
Ausbau des Repertoires zur Leistungsmessung
Eine neue Lernkultur bedingt auch eine veränderte Form der Leistungsbewertung54, die einhergeht mit der modifizierten Lehrerrolle. Eine
höhere Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schülerinnen und
Schüler bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben führt notwendigerweise
zur zusätzlichen Orientierung des Unterrichts auf die Prozesse des Lernens und deren Reflexion. Damit stellt sich unter anderem die Frage nach
der Abbildung und auch Bewertung von reflexiven Leistungen, die wichtiger Bestandteil eines Unterrichts sind, der Schülerinnen und Schüler als
selbstbewusste Partner einer Lerngemeinschaft ernst nimmt.
In Gesprächen mit Lehrkräften, die an der Weiterentwicklung ihres Unterrichts arbeiten, werden immer wieder zwei Probleme benannt: zum einen
die Unsicherheit, neben der fachbezogenen Leistung des Einzelnen auch
Leistungen von Gruppen und soziale Kompetenzen zu bewerten; zum
anderen die Schwierigkeit, Prozesse in Bewertungszusammenhänge einzubeziehen, wo es doch eine langjährige Kultur der Bewertung von Produkten gibt. Häufig wird in diesen Gesprächen nicht zwischen Fragen der
Bewertung und dem Problem der Benotung differenziert. Lehrerinnen
und Lehrer sehen aber häufig auch aus formalen Gründen Schwierigkeiten beim Ermitteln von Zensuren und haben hier nur selten den Mut, tradierte Wege zu verlassen.
Beschäftigt man sich konsequent mit den Fragen der Bewertung und lässt
die Benotung zunächst außer Acht, sind Lösungen der beiden oben
genannten Probleme erreichbar. Am Beispiel der nordrhein-westfälischen
Richtlinien und Lehrpläne der Grundschule wird deutlich, dass Lehrkräfte, die sie als verbindliche Vorgabe ernst nehmen, nicht nur zu entsprechendem Handeln legitimiert, sondern genau dazu aufgefordert sind.
In den Richtlinien wird grundsätzlich festgestellt: „Sie [die Leistungsbewertung]) berücksichtigt auch die individuelle Lernentwicklung der einzelnen Kinder.“55 Im Lehrplan Deutsch z. B. wird konkretisiert: „Als
53
Ebd., S. 51
Zur Diskussion neuer Formen der Leistungsbewertung vgl. Bohl, T., Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht, Weinheim und Basel 2005, und Bohl, T., Leistungsbeurteilung in der Reformpädagogik, Weinheim und Basel 2005
55 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes NRW, Hrsg., Deutsch, Sachunterricht, Mathematik, Musik, Kunst, evangelische Religionslehre, katholische Religionslehre – Grundschule. Richtlinien und Lehrpläne zur Erprobung, Frechen 2003, S. 12
54
33303.book Seite 69 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehrerinnen und Lehrer lehren das Lernen | 69
Leistungen werden nicht nur Ergebnisse, sondern auch Anstrengungen
und Lernfortschritte bewertet. Auch in Gruppen erbrachte Leistungen und
soziale Kompetenzen sind zu berücksichtigen.“56 Damit sich eine andere
Kultur der Bewertung entwickeln kann, sind Instrumente der Selbst- und
Fremdbewertung sowohl zwischen Schülerinnen und Schülern als auch
mit Lehrerinnen und Lehrern ein fester Bestandteil der Trainings zur
Unterrichtsentwicklung.57
Traditionelle Leistungssituationen sind häufig gekennzeichnet durch von
der Lehrerin bzw. dem Lehrer gestellte Aufgaben, begrenzte Zeit, Einzelarbeit (häufig ohne Hilfsmittel); es sind also in der Regel Tests oder Klassenarbeiten. Sie sind als Leistungssituationen nach wie vor berechtigt,
entsprechen aber oft nicht komplexen und reflexiven Anforderungen. Eine
Leistungssituation, wie sie zum Beispiel ein Vorhaben oder eine andere
komplexe Arbeitsform darstellen, erzeugt eine Vielzahl von Reflexions-,
aber auch Bewertungsanlässen. Wenn auch die Lernenden sich ihrer individuellen Leistungen bewusst werden sollen, dann ist es in komplexeren
Arbeitsvorhaben angemessen, vor Beginn des Vorhabens am besten
gemeinsam zwischen Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und
Schülern Bewertungskriterien zu erarbeiten und festzulegen. Darüber
hinaus lohnt es sich, offen zu bleiben für weitere Kriterien, die sich erst
durch systematische Kommunikation über Leistungen während der Phasen eines Vorhabens ergeben. Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer ist es
also, möglichst komplexe und offene Leistungssituationen zu organisieren.
Sicherlich geht die Ehrlichkeit und Offenheit eines Schülers in seinem
Lerntagebuch verloren, wenn es von der Lehrerin oder dem Lehrer benotet
wird. Deshalb muss die Beurteilung von Reflexionsprozessen und -produkten notenfrei bleiben. Und trotzdem ist es möglich, viele Teile eines
Lernprozesses zu bewerten und danach auch in ein Notenraster zu bringen – vor allem dann, wenn mit den Schülerinnen und Schülern differenziert vereinbart wurde, welche Teile einer Leistung zensiert werden und
welche nicht. Jedes Produkt, das in einem Lernprozess entsteht, kann zensiert werden, zum Beispiel kann nach entsprechender Vereinbarung das
verschriftlichte Ergebnis einer Recherche im Internet im Rahmen eines
Projekts benotet werden, ohne dass die anderen Leistungsbereiche in diesem Fall benotet werden müssten. Genauso können Protokolle, Berichte
und andere Teilprodukte eines Gesamtprozesses nach üblichen Kriterien
56
57
Ebd. S. 22
Interessante Anregungen zum Thema finden sich in: Buschmann, R., „Selbstwirksam
lernen, leisten, bewerten (Projekt des Landes Schleswig-Holstein)“ in: Brackhahn, B.
u. a., Hrsg., Lernen – leisten – bewerten & Anschlüsse – Übergänge. Qualitätsverbesserung in Schulen und Schulsystemen QUISS, Bd. 4, München 2004, S. 7–100
neue Leistungssituationen
33303.book Seite 70 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
70 | Unterrichtsentwicklung – das Trainingskonzept
Projektprüfung
Absicherung
im Team
bewertet werden. Die in Baden-Württemberg eingeführte Projektprüfung
legitimiert zusätzlich zur Benotung des fachlichen Könnens die Benotung
nicht nur der Projektmappe und der Präsentation, sondern auch der Teamfähigkeit, der Planungskompetenz und der Fähigkeit zur Reflexion und
Selbsteinschätzung, aber eben nicht der Reflexionsinhalte und deren Qualität.
Welche konkreten Schritte auf einem neuen Weg der Leistungsbewertung
die einzelne Lehrerin bzw. der einzelne Lehrer auch gehen will, sie tun gut
daran, sie gemeinsam mit den anderen im Team zu erarbeiten und zu verabreden. Das sichert ab, schützt vor Missverständnissen und „Angriffen“
durch andere, seien es Kolleginnen oder Kollegen oder auch Eltern, die nur
auf ihre persönliche Schulerfahrung zurückgreifen können. Neben den
Teamkolleginnen und -kollegen erweisen sich die beteiligten Schülerinnen und Schüler nach den bisherigen Erfahrungen häufig als konstruktive
Mitstreiter auf einem neuen Weg, wenn man sie ernst nimmt und intensiv
beteiligt.
33303.book Seite 71 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
4
Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Vergleicht man Wandlungsprozesse in der Wirtschaft mit denen in der
Schule, so kann man feststellen, dass wir es in der Schule „mit einer besonders hohen Komplexität und einer herausgehobenen Bedeutung des
menschlichen Faktors zu tun haben.“1 Böttcher und Brohm erläutern, dass
die Erkenntnisse der Betriebswirtschaft zu den psychologischen, soziologischen und ökonomischen Komponenten des „Change Management“ für
das besondere System Schule fruchtbringend angewendet werden können, weil auch im System Schule deren Grundannahmen bestätigt werden. Es gibt zwar nicht das Change Management, sondern konkurrierende
Modelle, aber allen Modellen gemeinsam ist die Erkenntnis, dass Reformen wahrscheinlich dann am ehesten scheitern, „wenn Wandlungsprozesse Mängel in der systematischen und/oder methodischen Kohärenz
aufweisen sowie die Integration der Mitarbeiter in die Prozesse und ihre
Gestaltung unzureichend ist.“2 Der Organisation und Gestaltung des
Reformprozesses „Unterrichtsentwicklung“ muss also besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Schulentwicklung erfolgt im Zusammenwirken von Organisationsentwicklung, Personalentwicklung und Unterrichtsentwicklung. Es war ein
zentrales Ergebnis des Projektes "Schule & Co.", dass weder Organisationsentwicklung noch Unterrichtsentwicklung allein zur nachhaltigen
Verbesserung der Qualität schulischer Arbeit und insbesondere des
Unterrichts einer ganzen Schule führt.3 Unterrichtsentwicklung ist die
zentrale Aufgabe, aber ohne die Weiterentwicklung der Schule als Organisation und ohne die Weiterentwicklung des Personals wird Unterrichtsentwicklung nicht nachhaltig zum „Eigentum“ der Schule und aller darin
Lehrenden und Lernenden. Die Steigerung der Unterrichtsqualität kann
nicht allein die Aufgabe einer einzelnen Lehrerin oder eines einzelnen
Lehrers sein, sondern eine Schule muss sich als ganzes System von Lehrenden, Lernenden und Erziehenden auf den Weg machen.
Fortbildungen sind in diesem Sinne nicht effizient, wenn sie sich nur an
einzelne Lehrerinnen und Lehrer richten. Sie führen auch nicht zur Entwicklung der gesamten Schule, wenn sie auf einzelne Lehrerteams zielen,
sondern nur, wenn die Fortbildungen von Teams eingebettet sind in den
Aufbau von Strukturen, die eine lernende Organisation ausmachen:
1
2
3
Böttcher, W./Brohm, M., „Die Methodik des Change Management und die aktuelle
Schulreform. Über das gebrochene Verhältnis von Chancen und Realität.“ in: Die deutsche Schule, Heft 3, 2004, S. 271
Ebd.
Bastian, J./Rolff, H.-G. (2002), S. 62 f.
Change
Management
Unterrichtsentwicklung + Personalentwicklung +
Organisationsentwicklung =
Schulentwicklung
Wann sind Fortbildungen effizient?
33303.book Seite 72 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
72 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Schulentwicklung als Lernprozess
teamorientiert – systematisch – die ganze Schule erfassend
individuell
zielgerichtetes
zielgerichtetes
Lernen
Lernen
teamorientiert
Trainings und
Fortbildungen
Trainings
und Fortbildungen
(intern/extern)
(intern/extern)
&
Aufbau
von (Lern-)
Strukturen
(intern)
individuelle
Entwicklung
individuelle
Entwicklung
Schule als lernende
Organisation
führt nicht zur
führt nicht zwingend zur
führt zur
Schulentwicklung
Schulentwicklung
Schulentwicklung
© Selbstständige Schule
Abb. 11: Schulentwicklung als Lernprozess
Diese Forderung ist gegründet auf vielfältigen Erfahrungen mit Fortbildungen in der Vergangenheit. Sie wurden häufig von Lehrerinnen und
Lehrern als Einzelnen wahrgenommen. Selbst wenn sie in einer sehr
guten Veranstaltung Neues erfahren und für sich individuell gelernt hatten, fehlten ihnen zur Umsetzung in der gesamten Schule aktive Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die auch an der Maßnahme teilgenommen und
mitgelernt hatten. Sie blieben also allein mit ihrer Absicht und ihrem
Wunsch, etwas zu verändern, und konnten maximal die Arbeit in der eigenen Klasse verbessern – oft war das im Alleingang auch schon schwierig.
Nicht ganz selten führte das Scheitern letztlich zu Frustrationen und der
abnehmenden Bereitschaft sich auf weitere Veränderungsprozesse einzulassen.
Wie in allen Bundesländern wurden aus dieser Erfahrung auch in Nordrhein-Westfalen Konsequenzen gezogen. Fortbildungen wurden nun z. B.
im Rahmen von sogenannten SCHILF-Maßnahmen (Schulinterne Lehrerfortbildung) ganzen Kollegien oder größeren Gruppen in oder außerhalb der Schule angeboten. Obwohl Lernprozesse von einer Teilgruppe
des Kollegiums gemeinsam gemacht wurden, die ganze Gruppe vielleicht
mit viel Schwung und Euphorie in die Schule zurückkam und damit bessere Voraussetzungen für eine Umsetzung in der Schule bestanden,
brachten auch diese weiter gehenden Anstrengungen häufig keine nachhaltigen Erfolge in der Schulentwicklung, weil die Implementationsversu-
33303.book Seite 73 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern | 73
che sowohl an Rahmenbedingungen, wie z. B. dem 45-MinutenRhythmus, der Unterrichtsverteilung oder dem Stundenplan, scheiterten
als auch an Details, wie z. B. fehlenden Materialien oder langfristig wirksamen Absprachen zwischen beteiligten Kolleginnen und Kollegen.
Ein Beispiel aus der Wirtschaft soll die Konsequenzen veranschaulichen,
die aus diesen Erkenntnissen für Schulentwicklung gezogen werden können. Wenn ein großer Automobilhersteller seine Produktion von Fließband- auf Gruppenprozesse umstellen will, ist klar, dass es im Sinne eines
Erfolg versprechenden Change Managements nicht ausreicht, das
Management zu qualifizieren. Jeder einzelne Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin, der bzw. die an den Prozessen und Produkten beteiligt
ist, muss geschult werden, Neues im Probehandeln erfahren, einen eigenständigen Lernprozess im Team durchlaufen. Verändertes sicheres Handeln wird weder durch Gelesenes oder Gehörtes noch durch Anweisungen
oder Aushänge erzeugt. Nehmen wir einmal an, ganze Belegschaftsteile
seien dafür trainiert worden, zukünftig in Gruppen zu produzieren und
hätten in der Qualifizierung gelernt, diese Prozesse eigenverantwortlich
zu gestalten. Wenn nach einer Woche diese Gruppen wieder an dieselben
Fließbänder wie vor dieser Woche gestellt würden, wäre die gesamte Investition in die Qualifizierungsmaßnahme umsonst gewesen. Für die Schule
bedeutet das: Wenn Veränderung in eine Erprobungs- und Stabilisierungsphase gehen soll, ist es notwendig, Strukturen aufzubauen, die das
ermöglichen. Aus diesem Grund ist Fortbildung im Sinne von Schulentwicklung nur gewinnbringend, wenn sie in die entsprechenden Strukturveränderungen eingebettet ist.
Im Projekt "Selbstständige Schule" wurden deshalb Steuergruppen als
„Sorgeträger“ für den Prozess der Unterrichtsentwicklung eingeführt.
Eine konzertierte Aktion von zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmten Qualifizierungsmaßnahmen (für Lehrerinnen und Lehrer, für
Steuergruppen, für Schulleiterinnen und Schulleiter, für Evaluationsberaterinnen und -berater, für Schülerinnen und Schüler) sorgt dafür, dass
der Weg zum Ziel führen kann. Auf die Bedeutung der Verschränkung
von solchen Qualifizierungsangeboten weisen auch die Ergebnisse der
von Holtappels und Leffelsend durchgeführten, auf die Entwicklung überfachlicher Kompetenzen durch Schülertrainings gerichteten Schülerbefragung als Teil der Abschlussevaluation des Projektes "Schule & Co."
hin.4
4
Holtappels, H.G./Leffelsend, S. (2003), S. 61 ff.; s. auch www.schule-und-co.de; Kategorie Presse & Publikationen; Abschlussevaluation
33303.book Seite 74 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
74 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Strukturen einzelschulischer Entwicklung
Qualifizierung:
Leitung und Führung
Schulleitung
Qualifizierung:
Schulentwicklungsmanagement
Qualifizierung:
Klassenteams
Fachteams
Qualitätsarbeit
Steuergruppe
Evaluation
(Methoden/Prozesse)
Evaluationsberater
Trainings zur Unterrichtsentwicklung
© Selbstständige Schule
Abb. 12: Strukturen einzelschulischer Entwicklung
aufeinander
abgestimmte Fortbildungen für alle
Mitglieder der
lernenden Organisation Schule
Die Abbildung zeigt, dass im Zentrum der Arbeit einer Schule die Teams
stehen, die unmittelbar an der Verbesserung des Unterrichts arbeiten.
Schulleitung, Steuergruppen und schulinterne Evaluationsberaterinnen
und -berater sind sozusagen Dienstleister, die alles dafür tun, dass die
Teams in der Unterrichtsentwicklung optimale Unterstützung erhalten.
Aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler bedeutet das, dass sie
alle nur dann gleichermaßen eine Chance haben, von den neuen Entwicklungen zu profitieren, wenn sich die Schule insgesamt entwickelt und es
nicht mehr vom Zufall der Lehrerzuweisung zu einer Lerngruppe
abhängt, ob ein Schüler oder eine Schülerin profitieren oder nicht. Es
bedeutet aus der Schüler-Perspektive aber auch, dass sie unterschiedliche
Lernangebote, auf die sie im Laufe ihrer individuellen Lernbiografie treffen, umso effektiver verknüpfen können, je besser diese Lernangebote
selbst systematisch verbunden sind. Weiter gedacht bedeutet das dann
allerdings, dass es nicht genügt, dass die gesamte Schule sich weiterentwickelt, sondern dass es eine abgestimmte Entwicklung in der Region
geben muss (vgl. Kap. 6). Eine systematische, auf die Verbesserung des
Unterrichts ausgerichtete innerschulische Entwicklung sowie der Aufbau
regionaler Schul- und Bildungslandschaften unterstützen insofern die
individuelle Lernbiografie von Schülerinnen und Schülern.
33303.book Seite 75 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern | 75
Will eine Einzelschule so verstandene Unterrichtsentwicklung betreiben,
so muss sie einen Verständigungsprozess aller innerhalb des Kollegiums,
mit den Schülerinnen und Schülern und mit den Eltern, d. h. mit allen
Beteiligten eines ganzen Systems herbeiführen. Wird die Entscheidung
auf der Basis fundierter Vorinformationen getroffen, so ist damit erfahrungsgemäß eine Prioritätensetzung für die Entwicklung der ganzen
Schule erfolgt. Die Verbesserung des Unterrichts als eines zielgerichteten
Entwicklungsprozesses für alle Beteiligten bindet viele Kräfte, sodass
andere Entwicklungen zumindest für eine gewisse Zeit zurückgestellt
oder mit verminderter Intensität betrieben werden, bis sie zu einem späteren Zeitpunkt integriert werden können. Diese Überlegungen müssen
ihren Niederschlag auch im Schulprogramm finden (wenn auch umgekehrt die Schulprogrammarbeit nicht immer als Instrument zu einer systematischen Verbesserung des Unterrichts funktioniert hat). Mit der
Festschreibung im Schulprogramm, die das Ergebnis der Arbeit aller Mitwirkungsorgane sein muss, ist auch eine Verbindlichkeit für alle an der
Schularbeit Beteiligten gegeben. Dabei ist es allerdings wichtig, dass das
Gespräch über den Sinn der Maßnahmen bei Lehrerinnen und Lehrern,
aber auch Schülerinnen und Schülern nicht nur in der Anfangsphase des
Verständigungsprozesses geführt, sondern ständig in Gang gehalten wird.
Tschekan/Herrmann nennen das die „anthropologische Dimension“ der
Unterrichtsentwicklung, die neben der „methodisch-strategischen“, der
„inhaltlichen“, der „organisatorischen“ und der „evaluierenden Dimension“ wichtig sei: „Das bedeutet, in der Schule/im Unterricht gibt es
Gespräche darüber, warum z. B. kooperatives Lernen besser ist als individuelles Lernen, warum es zunächst von der Lehrkraft strukturiert wird und
wohin das Ganze führen soll.“5
Ownership ist ein anderer Begriff, mit dem dieses Phänomen umschrieben
wird: „Um dies [Verbesserung der Unterrichtsqualität] zu erreichen, müssen Lehrkräfte in ihrer Kompetenz breit gestärkt werden und sie müssen
diesen Prozess zu ihrer Sache machen (Ownership). Ownership kann man
nicht anordnen, es muss sich aus den Diskussionsprozessen in den den
Prozess tragenden Individuen entwickeln. Das setzt eine breite Beteiligung und Kooperation aller an Entscheidungsfindungen über inhaltliche
Veränderungen voraus […].“6
Besonders offensichtlich wird dieser Anspruch auch aus der Elternperspektive. Wenn sich eine Schule mit hoher Elternzustimmung z. B. vor
zwei Jahren für die Unterrichtsentwicklung entschieden hat, müssen
nicht nur die in jedem folgenden Schuljahr neu aufgenommenen Schülerinnen und Schüler in das Qualifizierungssystem eingebunden werden,
5
6
Tschekan, K./Herrmann, J. (2004), S. 21 f.
Homeier, W., „Kooperatives Lernen und Schulentwicklung (2006), S. 1
Verständigung aller
auf das gemeinsame
Ziel
Ownership
33303.book Seite 76 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
76 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
So erfasst die
Entwicklung die
gesamte Schule.
jährlich neu müssen auch deren Eltern intensiv informiert und mit auf den
Weg genommen werden.
Unterrichtsentwicklung im Sinne eines gesamtschulischen Entwicklungsprozesses ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
z
z
z
z
z
z
z
drei Merkmale
gelingender Unterrichtsentwicklung:
systematisch
teamorientiert
nach und nach die
ganze Schule
erfassend
Lehrerinnen und Lehrer verstehen sich als Lernende in einer lernenden
Organisation.
Angemessene (überfachliche und fachliche) Teamstrukturen werden
aufgebaut, gepflegt und abgesichert.
Eine schulische Steuergruppe koordiniert professionell den gesamtschulischen Entwicklungsprozess.
Die Schulleitung fordert und fördert diesen Entwicklungsprozess auf
der Basis von Leitbild und Schulprogramm und trägt die Verantwortung für die Qualität; sie ist in der Lehrerrolle selbst Vorbild.
Die erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen erfolgen sukzessive
auf der Grundlage einer gesamtschulischen Fortbildungsplanung.
Die Schule nutzt dabei die ihr zur Verfügung stehenden Gestaltungsfreiräume und erschließt sich – wenn erforderlich – neue Möglichkeiten.
Die Maßnahmen werden auf Wirksamkeit und Nachhaltigkeit intern
evaluiert.
Eine so verstandene Unterrichtsentwicklung genügt wesentlichen Forderungen: Sie ist systematisch und teamorientiert und erfasst nach und nach
die ganze Schule.
Die Unterrichtsentwicklung muss systematisch sein, dies meint in dem
genannten Kontext, dass die einzelne Schule ihre Entwicklungsgeschwindigkeit zwar selbst festlegt und in realisierbare Entwicklungsschritte einteilt, dabei aber den Lernprozess der Schülerinnen und Schüler als Ganzes
berücksichtigt, d. h. dass sie die über alle Unterrichtsfächer einer Jahrgangsstufe gehende Entwicklung genauso im Blick hat wie die über alle
Jahrgangsstufen (der jeweiligen Schulform) gehende Entwicklung in
einem Fach. Dabei berücksichtigt sie die Schnittstellen zu den Herkunftsschulen und den Anschlussschulen (vgl. Kap. 6).
Die Unterrichtsentwicklung muss teamorientiert sein, meint demnach,
dass die Lehrerinnen und Lehrer sowohl in der vertikalen als auch in der
horizontalen Betrachtung des Entwicklungs- und Lernprozesses unbedingt dauerhaft kooperieren müssen, damit bei den einzelnen Schülerinnen oder Schülern vergleichbare Kompetenzen entstehen können.
Die Unterrichtsentwicklung muss nach und nach die ganze Schule erfassen, bedeutet dann, dass alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig
davon, von welchen Lehrerinnen und Lehrern sie unterrichtet werden –
die Sicherheit haben müssen, von und in diesem Entwicklungsprozess
33303.book Seite 77 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehrerteams: Fach, Klasse, Jahrgang, Bildungsgang (Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung) | 77
profitieren zu können. Das heißt, sie müssen ihren Lernprozess wirklich
als ganzheitliche Strategie erfahren können.
Die Rollen und Aufgaben der einzelnen Gruppen bei der Steuerung eines
solch komplexen Systems werden in den folgenden Abschnitten beschrieben.
4.1
Lehrerteams: Fach, Klasse, Jahrgang, Bildungsgang
(Unterrichtsentwicklung und Personalentwicklung)
Die Notwendigkeit von Teamarbeit auch bei Lehrerinnen und Lehrern und
die Besonderheiten von professionellen Lerngemeinschaften wurden in
Kap. 3.4.2 erläutert. Als organisierte Arbeitszusammenhänge sind in
Schulen, insbesondere Sekundarstufen-Schulen, grundsätzlich Fachkonferenzen (oder Fachgruppen) und Klassenkonferenzen (resp. Jahrgangsstufenkonferenzen oder Bildungsgangkonferenzen) etabliert.
Das Team von Lehrerinnen und Lehrern, das einer bestehenden Lerngruppe auf Schülerseite korrespondiert und das Lernen dieser Gruppe
gemeinsam verantwortet, ist jedoch die Klassenkonferenz (resp. Jahrgangsstufenkonferenz oder Bildungsgangkonferenz). In ihr ist am ehesten der schnelle Wechsel auf die Schülerperspektive möglich, wenn es
darum geht, die verschiedenen Angebote, die der Schüler oder die Schülerin im Laufe eines Schultages, einer Schulwoche, eines Schuljahres oder
im Verlauf einer oder mehrerer Jahrgangsstufen erhält, zu vernetzen. So
können Schülerinnen und Schüler darin unterstützt werden, dass sie die
vielen „Puzzlesteine“ von Bildung in ein stimmiges Bild zusammenfügen.
Fächerverbindendes oder fächerübergreifendes Arbeiten und transversales Denken werden so erheblich vereinfacht.
Wenn Unterrichtsentwicklung im Interesse der Schülerinnen und Schüler bei den überfachlichen Kompetenzen ansetzt, sind Klassenkonferenzen die geeignete fächerübergreifende Arbeitsstruktur, um diese
Entwicklung zu planen, umzusetzen und zu reflektieren. Aus ihnen können sich am ehesten Teams im Sinne von professionellen Lerngemeinschaften herausbilden, die als gemeinsames Ziel die bestmögliche
Entwicklung der Lernkompetenz aller Schülerinnen und Schüler der
gemeinsamen Lerngruppe haben. Der einzelne Lehrer bzw. die einzelne
Lehrerin kann selbstverständlich nicht für alle Klassen, in denen er/sie
unterrichtet, solchen Teams angehören.
In der Primarstufe sind statt der Klassenteams oft Jahrgangsstufenteams
sinnvoll, wenn nur wenige Lehrerinnen und Lehrer in einer Klasse eingesetzt sind, oder in kleinen Grund- oder Förderschulen sogar Doppeljahrgangsteams. In den Berufskollegs hat sich die Arbeit in Bildungsgangteams bewährt.
Fachkonferenzen
oder Klassenkonferenzen?
Grundschulen:
Jahrgangsstufenkonferenzen
Berufskollegs:
Bildungsgangteams
33303.book Seite 78 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
78 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
ganze Kollegien oder
mehrere
Lerngruppen?
Bedeutung der
Fachkonferenzen
Die Trainingsangebote für Lehrerinnen und Lehrer richten sich entsprechend immer an solche Klassen-, Jahrgangsstufen- oder Bildungsgangteams. In Grund- und Förderschulen werden die Fortbildungen sogar
grundsätzlich für ganze Kollegien durchgeführt, innerhalb der Fortbildungen arbeiten die Lehrerinnen und Lehrer aber wieder in den Klassen- oder
Jahrgangsstufenteams. In Sekundarschulen werden die Trainings in der
Regel für Teilgruppen angeboten, die zusammen eine Lerngruppe in sinnvoller Größe bilden (20 bis 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer). Das sind
dann z. B. mindestens alle Lehrerinnen und Lehrer, die im Jahrgang 5
unterrichten, wenn – aus guten Gründen – auch mit den Schülertrainings
in 5 begonnen werden soll. In den Folgejahren werden dann die Lehrerteams des jeweils nächsten fünften Jahrgangs trainiert, sodass – je nach
Zeitplan der Schule – in einigen Jahren große Teile des Kollegiums erreicht
werden. (zur Implementation vgl. Kap. 4.2.1)
Doch auch Fachteams spielen für die Unterrichtsentwicklung eine wichtige
Rolle; denn Unterricht materialisiert sich außerhalb der Sockeltrainings
nach wie vor als Fachunterricht, das heißt die Pflege des Gelernten vollzieht
sich in jeweils fachlich angemessenen Ausprägungen im Unterricht der einzelnen Fächer und die eigenständige Anwendung in – aus den Einzelfächern
heraus organisierten – Lernarrangements wie Freiarbeit, Projektarbeit,
Wochenplanarbeit, fächerübergreifendem bzw. fächerverbindendem
Unterricht, Facharbeit, Selbstlernzentren etc. Die Erfahrung hat gezeigt,
dass die hier vorgestellten Trainings zur Unterrichtsentwicklung, die doch
bei überfachlichen Kompetenzen ansetzen, auch die Arbeit in den (insbesondere in Sekundarschulen traditionell wichtigen) Fachteams neu beleben
können. Die gemeinsame Verständigungsbasis erleichtert offensichtlich
auch den fachlichen Erfahrungsaustausch und die fachliche Weiterarbeit.
Wenn sich eine Schule beispielsweise entschlossen hat, mit einem Basistraining in der Stufe 5 zu beginnen, werden Lehrerteams aus allen fünften Klassen zuerst von Trainerinnen und Trainern im Methodentraining geschult.
Die Lehrerinnen und Lehrer entwerfen dann ein für ihre eigene Schule geeignetes Basistraining für ihre Klassen und führen es gemeinsam im Jahrgang
durch. Man könnte sich z. B. darauf geeinigt haben, die Vorbereitung von
Klassenarbeiten und Tests (eine von sieben Trainingsspiralen) als Basistraining an einem Projekttag im Jahrgang durchzuführen. Dann wüssten die Lehrerinnen und Lehrer aller Fächer, dass ein Konsens erarbeitet worden ist über
Regelmäßigkeit und Rechtzeitigkeit der Vorbereitung, über die Funktion des
Nachfragens bei Lehrerinnen und Lehrern oder Mitschülerinnen und Mitschülern, den Sinn des Abfragens etc. Sie können darauf verweisen und zur
Routinebildung beitragen, die wiederum erheblich befördert wird, wenn alle
die gleiche Routine einfordern. Sie müssen aber auch ihre fachspezifischen
Besonderheiten (wie z. B. Methoden des Vokabellernens im Fremdsprachenunterricht) einbringen und mit den überfachlichen Methoden verzahnen.
33303.book Seite 79 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 79
Also wird zeitlich versetzt zu den Basistrainings, aber in nicht allzu großem
Abstand z. B. die Teilkonferenz Englisch der Lehrerinnen und Lehrer tagen,
die in den fünften Klassen unterrichten, und sich auf ein jahrgangsstufenbezogenes fachliches Kompetenzprofil verständigen. Vor allem wird natürlich kurz nach dem Training eine Klassenarbeit vorbereitet und geschrieben.
Teamarbeit unter Lehrerinnen und Lehrern, die beruflich in der Regel
noch immer als Einzelkämpfer sozialisiert sind, hat (auf Lehrerseite) zwei
– durchaus erwünschte – „Neben“effekte.
Sie kann helfen zu verhindern, dass einzelne Lehrerinnen und Lehrer
nach den Trainings, insbesondere dem Methodentraining, sozusagen
einen noch feiner ziselierten und methodisch „aufgerüsteten“ Frontalunterricht gestalten.
Sie kann auch dazu betragen, dass Lehrerinnen und Lehrer sich etwas
weniger belastet fühlen; denn das Team gibt einerseits den Einzelnen
Sicherheit. (Die oben als Beispiel genannte Klassenarbeit ist vermutlich
nicht nur in den Parallelklassen gemeinsam geplant, sondern auch kreuzweise korrigiert worden.) Andererseits entfaltet sich in der gemeinsamen
Arbeit oft mehr Kreativität, sodass das lähmende Gefühl des ewig Gleichen
gemindert wird. Und wenn schließlich nicht jeder und jede in jeder Unterrichtsreihe das Rad neu erfinden muss, weil die Lernspiralen gemeinsam
entwickelt werden, dann ist das nicht nur ein Element von Qualitätssicherung, sondern auch von Entlastung.
4.2
Die schulische Steuergruppe
(Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung)
Ein so umfassender Entwicklungsprozess wie die Unterrichtsentwicklung
erfordert Steuerungsmechanismen, die bis heute in Schulen nicht selbstverständlich vorhanden sind. Für die Bewältigung der komplexen Aufgaben hat sich bereits im Projekt "Schule & Co." die Einrichtung schulischer
Steuergruppen bewährt7; denn Schulleitungen allein wären – insbesondere in Schulen ohne formelle erweiterte Schulleitung oder an Aufgaben
gebundene Funktionsstellen – überfordert mit der längerfristig notwendigen aufwändigen Steuerungsarbeit. Steuergruppen stehen quer zur Hierarchie einer Schule und können breite Wirksamkeit in die Kapillaren des
Kollegiums hinein entfalten. Sie haben sich als wesentliches Strukturelement bei der Übernahme von mehr Eigenverantwortung für die Entwicklung der eigenen Schule erwiesen8 und leisten einen Beitrag zur
Demokratisierung von Schule. Deshalb wurden sie im Projekt "Selbststän7
8
zwei erwünschte
„Neben“effekte der
Teamarbeit
Vgl. Bastian, J./Rolff, H.-G. (2002), S. 10 f.
Vgl. Horster, L./Rolff, H.-G., Unterrichtsentwicklung. Grundlagen, Praxis, Steuerungsprozesse, Weinheim 2001, S. 201 f.
Warum Steuergruppen?
Keine neue
Hierarchiestufe!
33303.book Seite 80 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
80 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Auftraggeberin:
Lehrerkonferenz
(oder Schulkonferenz)
Zusammensetzung
Aufgaben
dige Schule" für alle Projektschulen als Teilnahmebedingung gesetzt. Sie
sind Ausdruck veränderter Partizipation und Mitwirkung an der Schulentwicklung, sie sind jedoch keine neuen Mitwirkungsorgane. Die Steuergruppe wird von der Lehrerkonferenz (in manchen Schulen auch der
Schulkonferenz) legitimiert und bekommt von dort im Laufe des Prozesses die entsprechenden Aufträge. Eigene Entscheidungen kann die Steuergruppe nur im Rahmen solcher legitimierter Aufträge treffen.9 Sie
bereitet Entscheidungen der Gremien vor und organisiert die angemessene Umsetzung getroffener Entscheidungen. Sie ist also ein „ExekutivOrgan“, dem die Rolle eines „Quasi-Kabinetts“ zukommt.10 Sie besteht je
nach Größe der Schule aus drei bis sieben Mitgliedern. Die Schulleiterin
bzw. der Schulleiter ist gesetztes Mitglied der Steuergruppe. Die anderen
Mitglieder der Steuergruppe werden von der Schule bestimmt. Bei diesem
Auswahlprozess kommen die schuleigenen Traditionen und Kulturen
zum Tragen. Es hat sich im Projekt gezeigt, dass „formale Kriterien der
Repräsentativität […] eine untergeordnete Rolle“ spielen.“ „Die dominierenden Auswahlkriterien für die Mitgliedschaft in einer schulischen Steuergruppe waren mit 80 % Interesse an der Tätigkeit und mit 65 % eine
positive Einstellung zum Projekt.“11 Allerdings hat sich im Rahmen der
Evaluation auch gezeigt: „Eine ‚geschickte Rekrutierung’ bildet […] eine
wichtige Bedingung für die Akzeptanz und den Erfolg von Steuergruppen.“12 Den Berufskollegs wird wegen ihrer besonderen Struktur empfohlen, Steuergruppen auf der Ebene der Abteilungen oder Bildungsgänge
einzurichten.13
Aufgaben der schulischen Steuergruppen sind:
Zielklärung und -konkretisierung der schulischen (Unterrichts-) Entwicklung;
z Entwicklung zu einem arbeitsfähigen Team und Unterstützung des
Teambildungsprozesses im Kollegium;
z Planung und Koordinierung einer Umsetzungsstrategie sowie Herstellung von Verbindlichkeit und Sicherstellung der schulinternen Evaluation;
z
9
Herrmann, J., „Steuern oder Moderieren? Zu Problemen der Arbeit schulischer Steuergruppen“ in: PÄDAGOGIK, Heft 3, 2006, S. 26–29
10 Löw, G., „Erfahrungen einer Steuergruppe“ in: PÄDAGOGIK, Heft 7/8, 2000, S. 23
11 Institut für Schulentwicklungsforschung, Arbeitsgruppe Bildungsforschung/Bildungsplanung, Entwicklung ist messbar. Zwischenbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Projekt "Selbstständige Schule", Troisdorf, 2006, S. 64
12 Hoppe, C., Tätigkeiten und Qualifizierung schulischer Steuergruppen. Konzept und
erste Evaluationsergebnisse im Projekt "Selbstständige Schule", unveröffentlicht, Kap.
6
13 Vgl. „Empfehlungen zum Zustandekommen einer schulischen Steuergruppe“ unter
http://www.selbststaendige-schule.nrw.de
33303.book Seite 81 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 81
Sicherstellung des Informationsflusses innerhalb des Kollegiums und
der gesamten Schule und Dokumentation der Entwicklungen;
z Moderation des Entwicklungsprozesses und Umgang mit Konflikten
und Widerständen.
z
Die Anforderungen an die schulischen Steuergruppen verändern sich mit
dem Schulentwicklungsprozess. Nach einer Anfangsphase, in der es
darum geht, in der Schule einen breiten Konsens und eine breite Unterstützung für das gemeinsame Entwicklungsziel herzustellen, geht es um
die Erprobung neuer Konzepte, deren Adaption und Evaluation. Nicht zu
unterschätzen ist die Aufgabe, für die Implementation von Prozessen zu
sorgen und so innovative Entwicklungen nachhaltig zu gestalten. Nach
aller Erfahrung ist es ein häufiger Mangel in Innovationsprozessen, dass
keine ausreichenden Strukturen vorhanden sind, um langfristige Entwicklungen sicherzustellen. Die schulischen Steuergruppen sind ein wesentlicher Garant für genau diese dauerhafte Verankerung von
Schulentwicklungsprozessen. Daraus erwächst ihnen die Aufgabe, die
verschiedenen und häufig isoliert voneinander stattfindenden Entwicklungen einer Schule zu bündeln, zu priorisieren und auf ein gemeinsames
strategisches Ziel hin auszurichten.
Wenn davon die Rede ist, dass die Steuergruppe z. B. die Information und
Kommunikation in der gesamten Schule sicherstellt, dann bedeutet dies
auch, dass dabei nicht nur das Kollegium in den Blick genommen werden
darf. Die Steuergruppe sorgt dafür, dass die Eltern und insbesondere die
Schülerinnen und Schüler am Schulentwicklungsprozess partizipieren
können. Es geht dabei nicht nur um die gewählten Vertreterinnen und
Vertreter von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern, sondern darum,
dass in der Schule allmählich ein sehr viel umfassenderes Verständnis von
Partizipation entsteht. Unter Umständen kann auch die Einbeziehung
externer Partner bedeutsam werden.
Fallstudien im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung haben
gezeigt, dass sich Steuergruppen in einem konstanten Spannungsfeld zwischen Moderation und Steuerung bewegen, das nicht auflösbar ist und
vielleicht auch nicht aufgelöst werden muss. „Sie steuern und sie moderieren, sie stiften einen engen Kommunikationsfluss und Transparenz
und sie denken vor und agieren in gewisser Weise taktisch.“14 Sie haben
„offenbar mit genau den Bedingungen zu ringen […], die letztlich ihr
Potenzial ausmachen: keine formale Struktur, quer zur Hierarchie, ausgestattet mit auszuhandelnden, also zunächst unklaren Aufgaben und
14
Herrmann, J., „Ich glaube, wir sind im Denken selbstständiger geworden“ – Fallstudien
zur Schulentwicklung im Modellvorhaben "Selbstständige Schule", unveröffentlicht,
Kap. 2.4.3
Kommunikation
auch mit Eltern
und Schülern
Spannungsfeld:
Moderation
und Steuerung
33303.book Seite 82 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
82 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Rechenschaftspflicht.“15 Aber die wissenschaftliche Begleitforschung
kann in ihrem Zwischenbericht konstatieren: „Die schulischen Steuergruppen haben sich in den meisten Schulen als handlungsfähiger Akteur
etabliert.“16
4.2.1 „Fahrplan“ zur Unterrichtsentwicklung
Information und
Kommunikation
Entscheidungsfindung
Die erste konkrete Aufgabe der Steuergruppe ist die sorgfältige Information und die Gestaltung des Entscheidungsprozesses in der Schule; denn
das Einlassen auf einen solchen Prozess der systematischen und nach und
nach die ganze Schule erfassenden Unterrichtsentwicklung wird die
Kräfte in der Schule in erheblichem Maße und langfristig binden. Deshalb
muss zunächst eine tragfähige Basis geschaffen werden. Untersuchungen
zu Prozessen des Change Management in der Wirtschaft bestätigen, wie
wichtig dieser Teil der Arbeit ist. Es gilt als erwiesen, dass ein großer Teil
von Reorganisationsprozessen am Widerstand der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter scheitert. Ein wichtiger Grund für Widerstand ist aber mangelnde Information. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verweigern sich,
wenn sie sich nicht „mitgenommen“ fühlen. Daraus hat man den Schluss
gezogen, dass der Kommunikation des Neuen an die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss,
„um Vision, Veränderungsziele, -hintergründe, und -motive transparent
zu machen oder – im besten Fall – mit den Mitarbeitern gemeinsam zu
entwickeln.“17 Das ist in Schulen umso wichtiger, als das ökonomische
Motiv für Veränderung, also das drohende Scheitern am Markt und damit
verbundene Existenzangst, ebenso fehlt wie andere Anreizsysteme. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schulen sind Lehrerinnen und Lehrer,
deren wichtigstes Motiv ihr berufliches Selbstverständnis oder – etwas
pathetischer formuliert – der pädagogische Ethos ist. Und das gilt es bei
Veränderungen zu bedenken.
15
Hoppe, C. (2006)
Institut für Schulentwicklungsforschung, Arbeitsgruppe Bildungsforschung/Bildungsplanung (2006), S. 70
17 Böttcher, W./Brohm, M. (2004), S. 271
16
33303.book Seite 83 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 83
Fahrplan für schulische Steuergruppen
Schnuppertag
Absprache mit den
TrainerInnen
Elterninformation
Informationsveranstaltung
in der Schule
Informationsveranstaltung
der regionalen Steuergruppe
Schülerinformation
Entscheidung
© Selbstständige Schule
Abb. 13: Fahrplan für schulische Steuergruppen
In Einzelschritten kann der Weg so beschrieben werden:
1. Im Projekt "Selbstständige Schule" nehmen Schulleiterin/Schulleiter,
Sprecherin/Sprecher der schulischen Steuergruppe und ein weiteres
Mitglied der Lehrerkonferenz (evtl. aus dem Lehrerrat) an der Informationsveranstaltung der regionalen Steuergruppe zur Unterrichtsentwicklung teil. (Zur regionalen Steuergruppe vgl. Kap. 6.1)
2. Sie informieren anschließend ihre Steuergruppe über das Angebot und
die Bedingungen zur Annahme. Die schulische Steuergruppe entscheidet, ob die Schule bei der regionalen Steuergruppe Unterstützung für
eine Informationsveranstaltung oder in besonderen Fällen direkt eine
Orientierungsveranstaltung für die Schule beantragt. Die regionale
Steuergruppe wird informiert.
3. Die Schule erhält von der regionalen Steuergruppe ein mit der Durchführung der Orientierungsveranstaltung beauftragtes Trainerteam
benannt und trifft mit diesem die notwendigen Vorabsprachen (Inhalt,
Organisation, Technik, Zeitpunkt).
Diese Arbeitsphase ist besonders wichtig. In ihr muss die Passung der
Trainings für die Einzelschule gewährleistet werden. Das stellt besonders hohe Anforderungen an die Trainerteams, die bereit und in der
Lage sein müssen, auf die besonderen Bedingungen, Vorkenntnisse
und Strukturen der einzelnen Schulen einzugehen, ohne dabei das
Gesamtkonzept aus den Augen zu verlieren.
Informationsveranstaltung
in der Region
Orientierungsveranstaltung
in der Schule
33303.book Seite 84 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
84 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Beschlüsse der
Mitwirkungsorgane
4. Die Schule führt als vollständiges Kollegium die Orientierungsveranstaltung mit dem Trainerteam durch. In großen Kollegien wird in parallelen Gruppen mit maximal 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmern
gearbeitet.
5. Die Lehrerkonferenz beschließt mit deutlicher Mehrheit (2/3) den Einstieg der Schule in die systematische Unterrichtsentwicklung. Die Steuergruppe bereitet die Konferenz vor.
6. Die schulische Steuergruppe informiert die Elternpflegschaft und
Schülervertretung in „produktiven“ Sitzungen über Ziele und Vorgehensweisen des geplanten Vorhabens.
7. Die Schulkonferenz beschließt mit deutlicher Mehrheit den Einstieg in
die systematische sowie nach und nach die ganze Schule erfassende
Unterrichtsentwicklung. Die Steuergruppe bereitet die Konferenz vor.
Trainingsbaustein 1 (MT) für Lehrerinnen und Lehrer
Der nächste Aufgabenkomplex der Steuergruppe umfasst die Vorbereitung des ersten Trainingsbausteins (i. d. R. Methodentraining) für Lehrerinnen und Lehrer und – eng damit verknüpft – die Vorbereitung des
ersten Sockeltrainings für Schülerinnen und Schüler (einer Jahrgangsstufe, eines Bildungsganges, einer Schule).
Begleitaufgaben für die schulische Steuergruppe I
Rückmeldung an
regionale
Steuergruppe
Vorbereitung
Baustein 1/2/3
für LehrerInnen
Beratung
durch
TrainerInnen
Durchführung
Baustein 1/2/3
für Lehrer/innen
Pflege im
Fachunterricht
Planung
Baustein 1/2/3
für SchülerInnen
Durchführung
Baustein 1/2/3
für SchülerInnen
© Selbstständige Schule
Abb. 14: Begleitaufgaben für die schulische Steuergruppe I
33303.book Seite 85 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 85
Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Teilaufgaben:
Die schulische Steuergruppe trifft die notwendigen Absprachen mit
dem zugewiesenen Trainerteam. Hier gilt das Gleiche wie für die
Absprachen zur Orientierungsveranstaltung.
z Die Steuergruppe erstellt einen ersten Implementationsplan. Oberste
Maxime dabei ist, dass alle Schülerinnen und Schüler im Verlaufe des
Bildungsgangs, den die Schule anbietet, systematische und nachhaltige
Förderung ihrer Lernkompetenz erhalten. Folgende Fragen sollten bei
der Planung berücksichtigt werden:
– Soll – wie es an kleineren Grund- und Förderschulen sowie bei einzelnen Bildungsgängen der Berufskollegs sowieso geschieht – eventuell das ganze Kollegium gleichzeitig an der Fortbildung
teilnehmen? Dann muss die Unterrichtsentwicklung nach dem
Lehrertraining auch in allen Lerngruppen beginnen!
– In welchen Klassen, Jahrgangsstufen oder Bildungsgängen soll mit
der Unterrichtentwicklung begonnen werden (i. d. R. in den Klassen
der Eingangsstufe bzw. in einem oder mehreren Bildungsgängen/
Fachbereichen)? Mindestens die Lehrerteams dieser Jahrgänge müssen dann qualifiziert werden!
– Welche Kolleginnen und Kollegen bilden die Teams in diesen Klassen/Jahrgangsstufen und Bildungsgängen und nehmen gemeinsam
an der Fortbildung teil?
Das ist eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben der Steuergruppe in diesem Bereich, die eine professionelle Herangehensweise erfordert, da es an den Schulen i. d. R. bisher keine stabile
Teamkultur gibt. Um vom Zufall oder der persönlichen Sympathie
als Auswahlkriterien wegzukommen, muss die Steuergruppe Mut
entwickeln, geschickt mit Instrumenten wie z. B. der Potenzialanalyse umgehen, langfristiger angelegte Strategien verfolgen und sorgfältig mit allen Beteiligten kommunizieren. Nur so werden die
Voraussetzungen dafür geschaffen, dass alle Mitglieder eines Kollegiums „mitgenommen“ werden und jede bzw. jeder die Chance
bekommt, Mitglied eines aktiven, selbst bestimmt arbeitenden
Teams zu werden. Da die meisten Lehrerinnen und Lehrer in verschiedenen Jahrgängen unterrichten, arbeiten sie – auch aus arbeitsökonomischen Gründen – in diesem Zusammenhang nur in einem
Team eines Jahrgangs.
z Die schulische Steuergruppe klärt mit den Stundenplanern die eventuell entstehenden Anforderungen an Unterrichtsverteilung bzw. Stundenplangestaltung (wenn zeitlich kompatibel mit Beginn der
Trainings), in jedem Fall aber Stundenplangestaltung während der
z
Zusammenarbeit mit
dem Trainerteam
Implementationsplan
Teambildung
Auswirkungen auf
den Stundenplan?
33303.book Seite 86 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
86 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Sockeltrainings. (5-Tage-Modell mit integrierter Praxiserfahrung an
Grund- und Förderschulen, 2,5-Tage-Modell an Sek I/Sek II-Schulen).
z Sie informiert Elternpflegschaften und Schülervertretungen über die
anstehenden Lehrer- und Schülertrainings.
z Sie bereitet die Trainingstage organisatorisch vor (z. B. Materialien,
Räume, Verpflegung).
Trainingsbaustein 1 (MT) für Schülerinnen und Schüler
Umsetzung auf
Schülerebene
Detailarbeit
für die Steuergruppe
Am Ende des ersten Lehrertrainings planen die Teams den Umsetzungsprozess für ihre Lerngruppen und vereinbaren ihn mit der Steuergruppe.
Sie unterstützt die trainierten Lehrerteams dabei, die Sockeltrainings für
die Schülerinnen und Schüler vorzubereiten. Dazu müssen inhaltliche,
methodische und organisatorische Festlegungen getroffen und Elternabende mit praktischen Übungen aus dem Konzept durchgeführt werden.
Außerdem regt die Steuergruppe eine Selbstevaluation durch die Lehrerteams an – begleitet und unterstützt durch die schulischen Evaluationsberater und -beraterinnen. Nicht zuletzt kümmert sich die Steuergruppe
auch um die Dokumentation; die Teams im nächsten Schuljahr sollen
schließlich das Rad nicht neu erfinden müssen.
Pflege im Fachunterricht
Der nächste Schritt ist die Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer bei
der Pflege des Gelernten im Fachunterricht. Ziel sind Vereinbarungen zur
Weiterarbeit, an die sich alle Beteiligten gebunden fühlen. Die konkreten
Arbeitsschritte für die Steuergruppe umfassen folgende Aufgaben:
z
z
z
z
z
z
Die schulische Steuergruppe regt regelmäßige Absprachen der Lehrerteams an und koordiniert sie.
Sie regt teaminterne Hospitationen im Rahmen der schulischen Möglichkeiten an und koordiniert sie.
Auf Wunsch organisiert die Steuergruppe eine Beratung durch das
Trainerteam.
Sie evaluiert die geschaffenen Pflegestrukturen (nicht die Pflege im
Fachunterricht, das ist allein Sache der Lehrerinnen und Lehrer!).
Sie organisiert die Weitergabe von evaluierten und optimierten Materialien sowie Erfahrungen an die folgenden Teams der gleichen Jahrgangsstufe und berichtet an die schulischen Gremien.
Sie achtet darauf, dass das nächste Lehrertraining erst in Angriff
genommen wird, wenn die Umsetzung der bisherigen Planungen auf
Schülerebene sicher erreicht ist.
33303.book Seite 87 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 87
z
Sie meldet der regionalen Steuergruppe zurück, wie sich die Implementation der Unterrichtsentwicklung entwickelt hat, und trifft mit dem
Trainerteam die notwendigen Absprachen für die nächsten Schritte
(u. a. auch Terminvereinbarung für den nächsten Baustein).
Im Zentrum der Bemühungen der Steuergruppe steht dabei, dass sie die
Lehrerinnen und Lehrer dabei unterstützt, vom Einzelkämpfer zum
Teamarbeiter zu werden. Dazu brauchen sie Sicherheit für die sich entwickelnden Kooperationsstrukturen – Sicherheit im Sinne von zuverlässigen Strukturen und Sicherheit im Sinne einer Zeitressource. Nur durch
fest vereinbarte und kontinuierliche Zusammenarbeit kann eine Kultur
des Vertrauens und der vorbehaltlosen Kooperation entstehen, die z. B.
auch Hospitationen möglich macht.
Trainingsbausteine 2 (TT), 3 (KT) und 4 (SegeL) für Lehrerinnen und Lehrer
Trainingsbausteine 2 (TT) und 3 (KT) für Schülerinnen und Schüler
Als nächster Aufgabenkomplex steht die Organisation der weiteren Trainingsbausteine an (Teambildung im Klassenraum, Kommunikationstraining für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Schülerinnen und Schüler)
sowie der Anwendungsbaustein für Lehrerinnen und Lehrer (Selbst
gesteuertes Lernen im Fachunterricht). Die Bausteine bauen spiralförmig
aufeinander auf, d. h. das im ersten Baustein Gelernte wird im zweiten
Baustein wiederholt und integriert usw. Das gilt gleichermaßen für Lehrer- und Schülertrainings.
Wie festigt man
Kooperationsstrukturen?
33303.book Seite 88 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
88 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Trainingsbausteine
für Lehrer- und Schülergruppen
selbst gesteuertes Lernen
im Fachunterricht
Phase 4
Anwendungsbaustein:
selbst gesteuertes Lernen
im Fachunterricht
Pflege und eigenständige Anwendung
fachbezogen und in Vorhaben
ca. 6 – 12
Monate
Phase 3
Sockeltraining + Pflege
Trainingsbaustein:
eigenständige Anwendung im FU:
Teamentwicklung
ca. 6 – 12
Monate
Phase 2
Sockeltraining + Pflege
Trainingsbaustein:
Kommunikation
Methoden &
Kommunikation & Team
eigenständige Anwendung im FU:
ca. 6 – 12
Monate
Phase 1
Methoden & Kommunikation
Sockeltraining
Trainingsbaustein:
eigenständige Anwendung im FU:
Methoden
Methoden
Lehrergruppen
Schülergruppen
© Selbstständige Schule
Abb. 15: Trainingsbausteine für Lehrer- und Schülergruppen
Für die Steuergruppe entstehen folgende Begleitaufgaben:
Begleitaufgaben für die schulische Steuergruppe II
Rückmeldung an
regionale
Steuergruppe
Vorbereitung Baustein
„Selbst gesteuertes Lernen
im Fachunterricht“
für Fach-/Klassenteams
Beratung
durch
TrainerInnen
Durchführung Baustein
„Selbst gesteuertes
Lernen im Fachunterricht“
Pflege im Fachunterricht
und Schaffung
geeigneter Lernszenarien
© Selbstständige Schule
Abb. 16: Begleitaufgaben für die schulische Steuergruppe II
33303.book Seite 89 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 89
Der Aufbau der Lehrer- und Schülertrainings unterscheidet sich dadurch,
dass Lehrerinnen und Lehrer nach den drei Grundbausteinen noch einen
zusätzlichen Anwendungsbaustein erhalten (in neuen Teamkonstellationen, d. h. in Fachteams), während Schülerinnen und Schüler das in den
Basistrainings Gelernte direkt im Fachunterricht pflegen und anwenden.
Hier hat die Steuergruppe eine zusätzliche Organisationsaufgabe zu
lösen, vor allem wenn die Klassen- oder Jahrgangsteams großer Kollegien
die drei Grundlagenbausteine in verschiedenen Trainingsgruppen durchlaufen haben.
Der SegeL-Baustein ist mindestens zweigeteilt. In der Sekundarstufe I
z. B. arbeitet die bisherige Trainingsgruppe i. d. R. zunächst an zwei Fortbildungstagen in Fachteams, die entsprechend der schuleigenen Lehrpläne fachliche Lernspiralen erstellen (vgl. Kap. 3.3.2). Nach einem kurzen
Zeitraum, in dem das Erarbeitete erprobt wird, plant die Steuergruppe für
dieselben Fachteams einen weiteren Zweitäger, an dem umfangreiche
anspruchsvolle Vorhaben und Projekte gestaltet werden. Dabei werden sie
noch einmal von den Trainerinnen und Trainern betreut. Erprobung, Auswertung und Weiterarbeit erfolgen dann in eigener Regie und Verantwortung. Hier kommt der Steuergruppe eine wichtige unterstützende
Aufgabe zu.
Selbst gesteuertes Lernen
für Lehrer- und Schülergruppen
Schülergruppen
Lehrergruppen
Grundlagen
Pflege
Anwendung
selbst gesteuertes
Lernen im Fachunterricht
organisieren
MT
TT
KT
Trainingsbaustein
Trainingsbaustein
Trainingsbaustein
MT
TT
KT
Sockeltraining(s)
Sockeltraining(s)
Sockeltraining(s)
Lernspiralen
für den Fachunterricht (FU)
erstellen
Lernspiralen im FU
Lernspiralen im FU
Lernspiralen im FU
neue Lehrerrolle:
• Lernbegleiter
• Schüler „loslassen“
• Reflexion & Bewertung
im alltäglichen
Unterricht:
selbst gesteuertes
Lernen
Fachunterricht
Vorhaben
Freiarbeit
Projektarbeit
Wochenplan
Facharbeit
© Selbstständige Schule
Abb. 17: Selbst gesteuertes Lernen für Schüler- und Lehrergruppen
MT Methodentraining, KT Kommunikationstraining, TT Teamtraining
Anwendungsbaustein SegeL
für Lehrerinnen
und Lehrer
33303.book Seite 90 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
90 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Schule ist Herrin
des Verfahrens
Wegen des Umfangs und der Komplexität der dargestellten Aufgaben
muss jede einzelne Schule Herrin des Verfahrens bleiben und insbesondere den zeitlichen Rahmen nach der eigenen Einschätzung ihrer Möglichkeiten und Kapazitäten gestalten.
Implementations- und Arbeitspläne
mittelfristige
Planung
Auf die Steuergruppe kommen im Rahmen eines mittelfristigen Implementationsplans nach und nach und u. U. mehrmals folgende Aufgaben
zu:
Fortbildungen
z
Unterstützung
der Lehrerteams
z
z
Lernarrangements
für selbstständiges
Arbeiten
z
neue Kolleginnen
und Kollegen
z
z
Unterrichtsorganisation
z
Wird eine Schule (bzw. ein Bildungsgang) durch die Schritte 2–5 (vgl.
Abb. 14) nicht insgesamt erfasst, so muss die schulische Steuergruppe
bei dem Implementationsplan berücksichtigen, dass diese Schritte
mehrfach wiederholt werden müssen, um alle Lehrerinnen und Lehrer
der Schule zu erfassen.
Sie unterstützt die Lehrerteams bei der Koordination der Pflege der
angebahnten Kompetenzen im Fachunterricht.
Sie unterstützt die Lehrerteams bei der Festlegung, welche Kompetenzen alle Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs am Ende des Schuljahres erreicht haben sollen und wie diese überprüft werden können.
Sie sichert einen kumulativen Aufbau über die Jahrgänge ab.
Die schulische Steuergruppe organisiert mit den Lehrerteams Orte und
feste Zeiten für Lernarrangements, in denen die Schülerinnen und
Schüler in den trainierten Lerngruppen selbstständiges Arbeiten praktizieren können.
Sie kümmert sich darum, dass neue Lehrerinnen und Lehrer der Schule
an entsprechenden Trainings (in der Region) teilnehmen können.
Sie sorgt dafür, dass neue Schülerinnen und Schüler und deren Eltern
beim Eintritt in die Schule ausführlich und möglichst praktisch über die
Unterrichtsentwicklung informiert werden.
Sie regt Diskussions- und Entscheidungsprozesse über notwendige
Anpassungen in der Unterrichtsorganisation an (z. B.: Passt der 45Minuten-Rhythmus noch zum veränderten Unterricht?)
Der Steuergruppe kommt also die zentrale Verantwortung für die Arbeitsund Implementationsprozesse und deren Anpassung an die Bedingungen
der jeweiligen Schule zu. Eine solche Zuweisung muss zu zwei Fragen
führen:
Können das die Mitglieder der Steuergruppe neben ihren „normalen“ Aufgaben als Lehrerinnen und Lehrer leisten?
Haben sie die nötige Kompetenz?
33303.book Seite 91 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die schulische Steuergruppe (Unterrichtsentwicklung und Organisationsentwicklung) | 91
Zur Frage der Entlastung seien die Thesen eines erfahrenen Schulleiters
zitiert:
Entlastung?
„Steuergruppen können ihre quantitativ aufwändigen und qualitativ
anspruchsvollen Aufgaben nur bei Teilentlastung von der Unterrichtsverpflichtung ausüben.
z Steuergruppen brauchen die Verfügungsmacht über einen Entlastungstopf zwecks Förderung produktionswilliger Teams in Sachen
Schulentwicklung.“18
z
Die Frage nach der Kompetenz kann nur so beantwortet werden, dass die
Mitglieder von Steuergruppen hochwertig qualifiziert werden müssen,
damit sie erfolgreich arbeiten können.
4.2.2 Fortbildung für Steuergruppen
Auch für die Mitglieder von Steuergruppen sind die Anforderungen an
Rolle und Aufgaben in diesem Veränderungs- und Entwicklungsprozess
völlig neu. Weder in der ersten noch in der zweiten Ausbildungsphase
wurden ihnen die zur gesamtschulischen Steuerung notwendigen Kompetenzen vermittelt. Das Fortbildungssystem des Landes Nordrhein-Westfalen hat bisher ebenfalls keine entsprechenden Angebote gemacht.
Erfahrungen mit der systematischen Qualifizierung schulischer Steuergruppen hat es erstmals im Projekt "Schule & Co." gegeben.19 Sie sind in
Projekten in verschiedenen Bundesländern berücksichtigt worden und
zur Basis der Qualifizierung der Steuergruppen im Projekt "Selbstständige Schule" gemacht worden. Die Fortbildung wurde in acht Bausteinen
modularisiert, deren Reihenfolge jedoch für eine Sequenzierung nicht
zwingend ist.
Folgende Bausteine können für eine an der Unterrichtsentwicklung orientierte Qualifizierungsmaßnahme als Erfolg versprechend gelten20:
1. Aufgaben und Rolle der schulischen Steuergruppen im Prozess der
Schulentwicklung
(Einführung in Grundzüge, Formen und Prozesse von Unterrichtsentwicklung, Analyse des bisherigen Schulentwicklungsprozesses im
18
Löw, G. (2000), S. 24
Vgl. Herrmann, J. (2002)
20 Vgl. „Kurzbeschreibung der Qualifizierungsbausteine für die Arbeit der schulischen
Steuergruppen“ unter www.selbststaendige-schule.nrw.de/Fortbildung/schulischeSteuergruppen
19
acht Bausteine
33303.book Seite 92 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
92 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Auswertung
der Erfahrungen
Sinne einer Stärken-Schwächen-Analyse, Auseinandersetzung mit der
Rolle der Steuergruppe)
Zielformulierung und Strategieentwicklung
(Konkretisierung schulspezifischer Umsetzungsmöglichkeiten, Realisierbarkeit, Kriterien der Zielerreichung, Evaluation, Handlungsstrategie)
Planungsgrundlagen und Projektmanagement
(Zeitplanung, Gewichtung von Arbeitsschritten, Festlegung von
Zuständigkeiten, Zielvereinbarungen, Gestaltung eines zuverlässigen
Organisationsrahmens, Organisation von Unterstützungsmaßnahmen)
Moderation und Präsentation
(als Voraussetzung für gelingende Information, Transparenz und Entscheidungsfindung sowie für ein erfolgreiches Projektmanagement)
Teamentwicklung
(Steuergruppe als lernendes Team, Teambildungsprozesse als kollektive Lernprozesse in der Schule initiieren und organisieren)
Information und Kommunikation
(Informationsführung, Transparenz, Dokumentation)
Konfliktmanagement
(Umgang mit Rollenkonflikten, Antizipation von Konfliktpotenzialen,
Strategien zur Konfliktlösung)
Qualitätssicherung und Evaluation
(Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Schulqualität
moderieren, Evaluationskultur entwickeln, schulinterne Evaluation
steuern)
Durch die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung entstandenen Diplomarbeiten21 wurde das beschriebene Rahmencurriculum für
die Qualifizierung von schulischen Steuergruppen bestätigt. Zusammengenommen mit den Erfahrungen der beiden Beratungsunternehmen, die
die meisten Steuergruppen im Projekt geschult haben, kann eine Empfehlung für Steuergruppenschulungen gegeben werden: Die ersten drei
Bausteine sowie der fünfte und sechste sind konstitutiv. Die Bausteine 4
und 7 sollten als „Querschnittsthemen“ in alle anderen integriert werden.
Baustein 8 muss eng mit dem Konzept der Evaluationsberatung verbunden werden und an systemische Verfahren interner Evaluation sowie die
Qualitätsanalyse als externe Evaluation anknüpfen.22
21
Feldhoff, T., Maßnahmen der Qualifizierung schulischer Steuergruppen am Beispiel des
Modellvorhabens "Selbstständige Schule NRW" (unveröffentlicht); Fitzen, S., Untersuchungen zu schulischen Steuergruppen am Beispiel des Modellvorhabens „Selbstständige Schule NRW“ (unveröffentlicht); beide Diplomarbeiten als Download oder unter
www.begleitforschung-selbstständige-schule-nrw.de
33303.book Seite 93 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter | 93
Zwei zusätzliche Faktoren sind entscheidend, wenn die Umsetzung der
Unterrichtsentwicklung mithilfe der Steuergruppe gelingen soll. Einerseits muss der Ausbilder bzw. die Ausbilderin für die schulischen Steuergruppen das Konzept der Unterrichtsentwicklung sehr gut kennen, um in
den Qualifizierungsbausteinen nahe genug an den praktischen Problemen der Schulen zu sein. Idealerweise werden alle Bausteine am Exempel
der laufenden Unterrichtsentwicklung der Schulen erarbeitet. Hier trägt
die regionale Steuergruppe die Verantwortung bei der Auswahl der Ausbilder/innen. Andererseits müssen die Qualifizierungen zur Organisationsentwicklung für Steuergruppen und zur Unterrichtsentwicklung für
Lehrerteams nicht nur inhaltlich abgestimmt, sondern auch zeitlich so gut
wie möglich synchronisiert sein. Vor den beiden erstgenannten Bausteinen für Steuergruppen sollte deshalb noch kein Training zur Unterrichtsentwicklung beginnen, weil die Steuergruppe die Grundlage für ihre
Steuerungstätigkeit noch nicht geklärt hat.
4.3
Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter
Die Darstellung der umfangreichen Fortbildung und der vielfältigen Aufgaben einer Steuergruppe mag die Frage suggerieren, ob denn die Schulleiterin bzw. der Schulleiter mit der Unterrichtsentwicklung gar nichts
mehr zu tun habe oder ob die Steuergruppe nun die heimliche Schulleitung sei.
Es ist sicherlich nicht einfach, neue Steuerungsstrukturen im Sinne eines
Ko-Managements zu etablieren und dabei die Aufgaben und Rollen von
Schulleitung, Steuergruppe und Lehrerrat zu justieren.23 Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter wird weiterhin die Führungsverantwortung für
den Gesamtprozess und das Ergebnis der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung an der Schule zu tragen haben. Studien an erfolgreichen
Schulen belegen, „that a head teacher with good leadership qualities has a
positive effect on student results, even if only indirectly.“24 Im Projekt
"Selbstständige Schule" werden Schulleiterinnen und Schulleiter darin
bestärkt (und durch Fortbildung unterstützt), ihre Leitungs- und Führungsrolle deutlicher als oft in der Vergangenheit wahrzunehmen. Sie
erhalten zudem erweiterte Kompetenzen als Dienstvorgesetzte der an der
Schule tätigen Lehrerinnen und Lehrer. Das unterstreicht die Notwendig22
Vgl. Hoppe, C. (2006), Kap. 7
Der Abschlussbericht des Teilprojektes im Rahmen des Projekts "Selbstständige Schule"
zur Arbeit der Lehrerräte wird in Kürze vorliegen: Selbstständigkeit und Partizipation.
Ergebnisse des Teilprojektes, „Mitwirkung, Mitbestimmung, Mitgestaltung in Schulen“
24 Bos, W./Schwippert, K. „The school and classroom level: Pedagogical concepts, integration, support, quality“ in: Döbert, H. et al. (2004), S. 351
23
Gelingensbedingungen
Führungsverantwortung
Dienstvorgesetzte
33303.book Seite 94 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
94 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
Mitglied der
Steuergruppe
aus der Praxis
Verbindlichkeit
herstellen
fachliche Autorität
und persönliche
Überzeugungskraft
keit eines angemessenen Zeitbudgets für Leitungsaufgaben. Bos weist
darauf hin, dass deutsche Schulleiterinnen und Schulleiter oft deshalb in
den Feldern der Schulentwicklung zu wenig aktiv seien, weil sie im internationalen Vergleich zu viel unterrichten müssten.25
Im Rahmen des vorgestellten Konzeptes ist die Schulleiterin bzw. der
Schulleiter gesetztes Mitglied der Steuergruppe. Das erzeugt zweierlei
Effekte.
Sie/er nimmt an der Qualifizierung für die Steuergruppe im Schulentwicklungsmanagement teil und erwirbt damit die gleichen Kompetenzen
zur Steuerung von Unterrichtsentwicklung wie die anderen Mitglieder.
Zudem hat sie/er die Möglichkeit, die ihrer/seiner Aufgabe und Rolle entsprechenden Anteile direkt und in allen Phasen in die Arbeit der Steuergruppe einzubringen.
Am Beispiel der so wichtigen Teambildung kann das verdeutlicht werden.
Die Steuergruppe hat – nach intensiver Rücksprache mit den Kolleginnen
und Kollegen – ein Tableau für die Zuordnung von Kernteams auf Klassen-, Jahrgangs- oder Bildungsgangebene erstellt. Die Schulleiterin bzw.
der Schulleiter war daran als Mitglied der Steuergruppe beteiligt. Kommt
es bei der Umsetzung zu Konflikten, ist sie/er allerdings in ihrer/seiner
Leitungsfunktion gefragt. Die Führungsverantwortung für Personalentwicklung kann sie/er nicht abgeben; sie kann ihr/ihm auch nicht abgenommen werden. Durch die Arbeit mit und in der Steuergruppe ist aber
die Basis für ihre/seine Entscheidungen deutlich breiter geworden, die
Kommunikation in das Kollegium vielfältiger.
Für die Absicherung der Entwicklungen spielt die Schulleiterin bzw. der
Schulleiter eine zentrale Rolle. Schulleiterinnen und Schulleiter sind diejenigen, die die Umsetzung beschlossener und im Schulprogramm verankerter Maßnahmen einfordern und für die enge Verknüpfung von
Personalentwicklung mit den Zielen der Schulentwicklung sorgen können. Wenn sie als Personen klar erkennbar hinter den gemeinsam vereinbarten Zielen stehen und es als ihre Aufgabe sehen, aktiv für deren
Verbindlichkeit einzutreten, steigen die Aussichten für das Gelingen des
Schulentwicklungsprozesses. Dabei ist es sicherlich weniger entscheidend, dass sie formal die Einzigen sind, die zur Durchsetzung von Verabredungen berechtigt sind. Viel wichtiger ist es, dass ihre Berechtigung
getragen wird von fachlicher Autorität und persönlicher Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit.
Mitglieder der schulischen Steuergruppe nehmen an Trainings zur Unterrichtsentwicklung teil, um genau zu kennen, was sie steuernd begleiten
sollen, und den Kolleginnen und Kollegen gegenüber authentisch handeln
25
www.selbststaendige-schule.nrw.de/service/News/Prof._Bos_Mythen_ueber_
Schulqualitaet, Stand Juli 2005
33303.book Seite 95 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter | 95
zu können. Genauso wird die Schulleiterin bzw. der Schulleiter ihre/seine
Rolle und Aufgaben bei der Unterrichtsentwicklung nur dann aus- und
erfüllen können, wenn sie/er selbst an den Trainings teilnimmt. Solange
in Deutschland Schulleiterinnen und Schulleiter selbst als Lehrerinnen
und Lehrer arbeiten, müssen sie sich den gleichen Anforderungen an
ihren Unterricht stellen wie ihre Kolleginnen und Kollegen. Möglicherweise erfüllen sie ihre Rolle dann besonders gut, wenn sie nicht nur ihren
Anteil am Entstehen einer Kultur selbst gesteuerten Lernens an der Schule
leisten, sondern sogar eine Vorbildfunktion zu übernehmen bereit sind.
Umgekehrt formuliert: An Schulen, an denen auch nach längerer Zeit
keine stabilen Teamstrukturen festgestellt werden konnten, lag das nicht
zuletzt daran, dass die Schulleiterin bzw. der Schulleiter große Teile ihrer/
seiner Zeit im Schulleitungszimmer verbrachte, während das Kollegium
in Trainings involviert war. Solche Erfahrungen unterstreichen die Bedeutung des Schulleitungshandelns auch im Bereich der Unterrichtsentwicklung.
Vorbild
4.3.1 Fortbildung für Schulleiterinnen und Schulleiter
Für die neuen Aufgaben, die Schulleiterinnen und Schulleiter in den
selbstständigen Schulen übernehmen, werden sie im Rahmen des Projektes nicht nur als gesetzte Mitglieder schulischer Steuergruppen im Schulentwicklungsmanagement fortgebildet, sondern auch in eigenen Fortbildungen für ihre spezifischen Leitungs- und Führungsaufgaben. Dazu
gehören Fortbildungen im Dienstrecht zur Übernahme erweiterter
Dienstvorgesetzteneigenschaften.
Das Schulministerium hat ein Kompetenzprofil als Referenzrahmen
erstellt. Auf dieser Grundlage hat die Projektleitung ein modular angelegtes Fortbildungskonzept (s. Anhang) entwickelt – mit dem Leitbild: „Leiterinnen und Leiter selbstständiger Schulen nehmen die Gesamtverantwortung für einen strategischen, strukturellen und kulturellen Wandel in
der Schulentwicklung professionell wahr.“
Die vorgeschlagenen Module umfassen neun Themenfelder.
Das erste Themenfeld „Leitungshandeln in ‚Lernenden Organisationen‘“
soll zur professionellen Selbstreflexion des eigenen Leitungshandelns
befähigen und auch in den weiteren Themenfeldern als Folie zum Tragen
kommen. Thematische Schwerpunkte sind die Prinzipien einer „lernenden Organisation“, Change Management, strategisches und operatives
Management in einer „lernenden Organisation“.
Das zweite Themenfeld zielt auf die Aufgabe und Rolle der Schulleiterinnen und Schulleiter im Prozess der Unterrichtsentwicklung und enthält
Elemente wie „Unterrichtsentwicklung als zentraler Veränderungspro-
Kompetenzprofil
Leitungshandeln in
lernenden Organisationen
acht weitere Module
33303.book Seite 96 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
96 | Die Unterrichtsentwicklung der Schule steuern
zess“, „Strategische Steuerung der Unterrichtsentwicklung“ und „Unterrichtsentwicklung als Bezugspunkt der Organisations- und Personalentwicklung“.
Im dritten Modul widmen sich Schulleiterinnen und Schulleiter dem „Leitungshandeln im Viereck von erweiterter Schulleitung, schulischer Steuergruppe und Lehrerrat“, im vierten Modul den Fragen der
„Personalentwicklung und Personalführung“.
Das fünfte Themenfeld hat wieder ganz unmittelbar Bezug zur Unterrichtsentwicklung, geht es doch um „Arbeitsorganisation in Teams“. Dabei
können Voraussetzungen gelingender Teamprozesse und Leitungsverantwortung und Steuerungsleistungen für die Teamentwicklung behandelt
werden, aber Schulleiterinnen und Schulleiter können hier auch ihre
eigene Rolle als Teammitglieder reflektieren.
Im sechsten Modul werden Konflikte in Reformprozessen thematisiert,
während im siebten Modul die Aufgabe und Rolle der Schulleiterin bzw.
des Schulleiters im Bereich der Qualitätsentwicklung im Vordergrund
steht. Als Einzelthemen werden hier vorgeschlagen: „Entwicklung eines
gemeinsamen Qualitätsverständnisses“, „Leitungsverantwortung für die
Qualitätsentwicklung und Evaluation von Unterricht“, „Entwicklung einer
Evaluationskultur“ (vgl. Kap. 8.1 und 8.2).
Die Themenfelder sieben und acht zielen auf „Wettbewerb vs. Konkurrenz
in der regionalen Bildungslandschaft“ und „Ressourcenbewirtschaftung“.
regionale Fortbildungsprogramme
Stellvertreterinnen
und Stellvertreter?
Die Fortbildung wird von den regionalen Steuergruppen in Absprache mit
den Schulleiterinnen und Schulleitern der Region bedarfsgerecht organisiert. Dafür zeigen die Schulleiterinnen und Schulleiter ihren individuellen Fortbildungsbedarf an, den sie mit einem Fragebogen zu ihrer eigenen
Leitungspraxis26 eruieren können. Das Fortbildungsprogramm wird auf
dieser Grundlage regional organisiert. Die regionalen Steuergruppen können in Absprache mit den Schulleiterinnen und Schulleitern dafür Moderatorinnen und Moderatoren der zuständigen Bezirksregierung anfordern
oder externe Expertinnen und Experten beauftragen.
Auf diese Weise sind 19 unterschiedliche Fortbildungsprogramme entstanden, die von unterschiedlichen Anbietern durchgeführt werden und
im zeitlichen Umfang deutlich variieren. In einigen Regionen werden
auch die stellvertretenden Schulleiterinnen und Schulleiter und erweiterte
Schulleitungen eingebunden; mancherorts sind für diese Zielgruppe
eigene Fortbildungen geplant.27 Das erscheint umso wichtiger, als die
26
„Indikatoren zur Selbsteinschätzung“ s. www.selbststaendige-schule.nrw.de/Fortbildung/SchulleiterInnen
27 Einen besonderen Weg ist z. B. die Region Dortmund zusammen mit der DAPF (Dortmunder Akademie für Pädagogische Führungskräfte, www.dapf.uni-dortmund.de)
gegangen.
33303.book Seite 97 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter | 97
Stellvertreterinnen und Stellvertreter in der Regel nicht Mitglieder der
schulischen Steuergruppen sind und deshalb auch nicht an deren Qualifizierung teilnehmen. Sie sind auch nicht die Zielgruppe der oben
beschriebenen Fortbildung in neun Themenfeldern. Sie spielen aber häufig für die Implementation der Unterrichtsentwicklung als Stundenplanmacher und Organisatoren eine besonders wichtige Rolle. Da die meisten
Programme noch nicht abgeschlossen sind, ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches weder eine vergleichende Bewertung noch eine
Empfehlung möglich.
33303.book Seite 98 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
5
Keine Veränderung
ohne Qualifikation!
Das Fortbildungsprogramm zur
Unterrichtsentwicklung im Projekt
"Selbstständige Schule"
Hier sei noch einmal eine interessante Erkenntnis aus Change Management-Prozessen in der Wirtschaft aufgegriffen. Betriebswirtschaftler sprechen von Human Resource Management. Folgt man z. B. dem „3W-Modell“
des Change Management, so bilden Wandlungsbedarf, Wandlungsbereitschaft und Wandlungsfähigkeit die Rahmenbedingungen für Veränderungsprozesse. Wenn die Wandlungsträger nicht aktiviert und befähigt
werden, wird eine zentrale Gelingensbedingung für erfolgreichen Wandel
nicht erfüllt.1 Mit dem in Schule üblichen Vokabular ausgedrückt heißt
das: Wenn Lehrerinnen und Lehrer die entsprechende Qualifikation nicht
aus ihrer Ausbildung mitbringen und/oder nicht angemessen fortgebildet
werden, dann kann sich Schule nicht erfolgreich weiterentwickeln.
Im Projekt "Selbstständige Schule" gibt es die Konzentration auf ein
Unterstützungsangebot zur Unterrichtsentwicklung, das inzwischen an
vielen Schulen erprobt ist. Um dieses Angebot geht es im Folgenden. Aus
den Erfahrungen damit können aber andererseits Gelingensbedingungen
für jegliche Form der Unterrichtsentwicklung abgeleitet werden.
5.1
Was ist eine Erfolg
versprechende
Fortbildung?
Standards
In den vorhergehenden Kapiteln wurden an unterschiedlichen Stellen
Bedingungen beschrieben und erläutert, unter denen eine erfolgreiche
Schul- und Unterrichtsentwicklung gelingen kann. Sie sollen in der folgenden Liste noch einmal zusammengestellt und an einigen Punkten
ergänzt werden unter der Fragestellung, was eine gute, Erfolg versprechende Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer ausmacht. Erfolg meint
hier, daran sei noch einmal erinnert, dass der Unterricht an der gesamten
Schule (in der gesamten Region, vgl. Kap. 6) im Sinne des selbstständigen
Lernens verbessert wird:
z
1
Die Fortbildung zur Unterrichtsentwicklung für Lehrerinnen und Lehrer ist eingebettet in ein komplexes Fortbildungsprogramm für die einzelne Schule.
Vgl. Böttcher, W./Brohm, M., S. 270
33303.book Seite 99 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Standards | 99
z
z
z
z
z
z
z
z
z
z
Die Schule entscheidet als Ganze über die Teilnahme an der Fortbildung, nachdem sie entsprechend informiert wurde („Orientierungsveranstaltung“).
Die Fortbildung besteht aus vier Bausteinen, die als Gesamtprogramm
in einer zeitlichen Reihung und Streckung (mindestens zwei Schuljahre) angeboten werden.
Die Bausteine sind schulformspezifisch oder schulstufenspezifisch
ausgestaltet und richten sich nur an Klassen-, Jahrgangsstufen- oder
Bildungsgangteams.
Die Bausteine sind aufeinander bezogen und als kumulativer Lernprozess erlebbar. Im Sinne von Lernprogression integriert der zweite Baustein Elemente des ersten und setzt die teamorientierte Anwendung im
eigenen Unterricht voraus. Der dritte Baustein greift das Wesentliche
aus den ersten beiden Bausteinen auf und verlangt erneut die teamorientierte Anwendung im eigenen Unterricht. Der vierte Baustein vernetzt die Elemente der ersten drei und nutzt sie für fachliche Aufgaben.
Die Fortbildung ist einerseits handlungsorientiert und erfordert deshalb auch von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sich in Handlungsteams zu formieren. Sie ist andererseits in angemessenem
Umfang theoriegeleitet, um die notwendigen Reflexionsprozesse abzusichern.
Die Durchführung der Fortbildung ist mit der schulischen Steuergruppe vorbereitet und abgestimmt und auf die schulindividuelle Situation angepasst.
Das Fortbildungsangebot erstreckt sich nicht nur auf eine Lerngruppe
der Schule, sondern ist so angelegt, dass perspektivisch alle Lehrerinnen und Lehrer einer Schule und neu Hinzukommende sich aktiv beteiligen.
Die Fortbildung versetzt die teilnehmenden Teams in die Lage, nach
jedem Training alle Inhalte eigenverantwortlich in Sockeltrainings und
Pflegemaßnahmen für ihre Lerngruppen umzusetzen.
In der Fortbildung werden Materialien eingesetzt, die exemplarisch zur
Umsetzung in der Schule genutzt werden können. (Davon unberührt
bleibt die Verantwortung jedes Teammitglieds für die angemessene
Adaption des Gelernten für seine Lerngruppe und die Verantwortung
der Schule für die Adaption des gesamten Konzeptes.)
Der jeweils nächste Trainingsbaustein wird erst dann durchgeführt,
wenn die innerschulische Umsetzung des vorhergehenden sichergestellt ist. Zu diesem Zweck kooperieren die Trainerinnen und Trainer
mit den schulischen Steuergruppen.
33303.book Seite 100 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
100 | Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"
5.2
Besonderheiten der Schulstufen
Kinder und Jugendliche bilden ihre Lernkompetenz dann am besten aus,
wenn alle Bildungseinrichtungen, die sie besuchen, in diesem Sinne kooperieren (vgl. Kap. 6). Allerdings geschieht das in unterschiedlichen
Altersstufen auf unterschiedliche Art und Weise. Die Entwicklung der
Lernkompetenz beginnt idealerweise nicht erst in der Schule. Vorschulische Bildungseinrichtungen müssen deshalb mit eingebunden werden.
Im Projektzusammenhang wurden z. B. Programme zur Sprachförderung in Kindertagesstätten angeboten. Lernkompetenz wird dann in der
Grundschule und aufbauend bis zum Ende der Sekundarstufe II weiterentwickelt. Es gibt inzwischen schulformspezifische Ausprägungen des
Fortbildungsprogramms:
Primarstufe
z
Sek. I
z
Sek. II
z
Berufskollegs
z
Förderschulen
z
ein Konzept für die Primarstufe, das grundlegende Kompetenzen entwickelt,
ein Konzept für die Sekundarstufe I, das auf dem Primarstufenkonzept
aufbaut, aber auch einen eigenen Beginn ermöglicht, wenn die „zuliefernden“ Grundschulen nicht alle an der gemeinsamen Arbeit in der
Bildungsregion beteiligt sind,
zwei – das Sekundarstufe I-Konzept ergänzende – Trainingsmodule
„Wissenschaftspropädeutisches Arbeiten“ für die gymnasialen Oberstufen,
ein eigenes Konzept für die Berufskollegs, das die vier Trainingsbausteine für die Sekundarstufe I mit den Anforderungen der Lernfelddidaktik, des handlungsorientierten Unterrichts und der methodischdidaktischen Jahresplanung verknüpft2,
ein eigenes Konzept für Förderschulen, in dem möglichst flexibel auf
die völlig unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Förderschwerpunkte eingegangen wird und trotzdem die besonderen Ansprüche der Schulform auf individuelle Förderung und zum Beispiel
Förderplanung berücksichtigt werden.
Alle fünf schulstufen- bzw. schulformbezogenen Konzepte sind dem langfristigen Ziel des selbst gesteuerten Lernens verbunden und leisten dazu
ihren spezifischen Beitrag.
2
Vgl. Bezirksregierung Detmold, Hrsg., Unterrichtsentwicklung im Berufskolleg, Detmold 2003
33303.book Seite 101 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Aufbau des Fortbildungsprogramms | 101
5.3
Aufbau des Fortbildungsprogramms
Bevor die eigentliche Fortbildung beginnen kann, gestaltet ein Trainerteam an jeder interessierten Schule eine so genannte Orientierungsveranstaltung, nach der die Lehrerinnen und Lehrer eine fundierte
Entscheidung treffen können, ob das Angebot dem Bedarf ihrer Schülerinnen und Schüler entspricht und zu ihrer Schule passt. Es ist also wichtig, dass das gesamte Kollegium an dieser Veranstaltung teilnimmt.
Orientierungsveranstaltung für
Lehrerkollegien
Orientierung für Lehrerkollegien
Orientierungstag
1. Orientierungstag
2. Methodentraining
3. Kommunikationstraining
4. Teamentwicklung
5. selbst gesteuertes Lernen
im Fachunterricht
Methodentraining
Kommunikationstraining
selbst
gesteuertes
Lernen
Teamentwicklung
© Selbstständige Schule
Abb. 18: Orientierung für Lehrerkollegien
Das Kollegium soll ganz praktisch erfahren, was die Ziele und Inhalte des
Konzepts sind. Dazu wird nicht schon vorweg ein Teil aus einem der Basisbausteine herausgebrochen und z. B. ein Element des Methodentrainings
vorgestellt, weil sonst dem Missverständnis Vorschub geleistet werden
könnte, es gehe lediglich darum, den traditionellen Unterricht effizienter
zu gestalten. Die Trainerinnen und Trainer führen deshalb mit den Kolleginnen und Kollegen u. a. eine Trainingsspirale durch, die erfahrbar
macht, was mit selbst gesteuertem Lernen als langfristigem Ziel gemeint
ist. Die Lehrerinnen und Lehrer nehmen dabei praktisch die Schülerrolle
ein.
Die auf die Orientierungsveranstaltung folgende Entscheidung für das
Konzept darf sich nicht nur auf eine knappe Mehrheit stützen. Das hat die
Erfahrung gezeigt und soll an einem Bespiel erläutert werden. Eine Schule
Entscheidung
33303.book Seite 102 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
102 | Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"
Unterrichtsausfall?
möchte auf einige Jahre hinaus immer „nur“ das jeweilige Jahrgangsteam 5
schulen lassen. Da scheint es nahezuliegen, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die schwerpunktmäßig in der Erprobungs- oder Orientierungs- oder
Beobachtungsstufe unterrichten, maßgeblich bestimmen, ob sie die Fortbildung wollen oder nicht. Der anfallende Vertretungsunterricht wird aber
alle Kolleginnen und Kollegen treffen, auch diejenigen, die zunächst nicht
an den Fortbildungen teilnehmen. Zudem muss durch ein hohes Quorum
gesichert sein, dass nach und nach immer weitere Teams einsteigen werden, damit allmählich von einem gesamtschulischen Prozess gesprochen
werden kann. Eine solide Mehrheit (ca. 2/3) schon zu Beginn ist ein Garant
dafür, dass die Reform keine Episode in der Geschichte der Schule bleibt.
Schließlich geht es um einen mittelfristig angelegten Veränderungsprozess, der mit hoher Priorität die Energien über einige Jahre bindet, da sonst
das Erreichte nicht nachhaltig abgesichert werden kann. Auf der Grundlage des positiven Beschlusses der Lehrerkonferenz müssen die Mitglieder
der Schulkonferenz gewonnen werden. An vielen Schulen hat sich das als
der leichtere Teil des Überzeugungsprozesses herausgestellt. Der Schulkonferenzbeschluss gewährleistet, dass Eltern sich von vorneherein der
Konsequenzen bewusst sind, die ein solch aufwändiger Veränderungsprozess mit sich bringt, und diese bereit sind mitzutragen: Unterrichtsausfall
in dem Umfang und in den Grenzen, die alle Mitglieder der Schule
gemeinsam verantworten können, und „Zurückfahren“ anderer Projekte
für einen Übergangszeitraum. Es hat sich gezeigt, dass Eltern durchaus zu
Zugeständnissen bereit sind, wenn sie dafür Qualitätsverbesserungen im
Unterricht erwarten können und in die Entscheidung mit eingebunden
werden.
Das Thema Unterrichtsausfall hat eine zu hohe Bedeutung, als dass es nur
in einem Nebensatz auftauchen sollte. Schülerinnen und Schüler haben
einen Anspruch auf bestmögliche Nutzung ihrer Schulzeit – auch
dadurch, dass der vorgeschriebene Unterricht tatsächlich stattfinden
kann. Schulzeit beinhaltet allerdings neben dem Unterricht nach der Stundentafel, der ausschließlich von Lehrerinnen und Lehrern verantwortet
wird, auch fest im Stundenplan ausgewiesene Wochenstunden, in denen
die Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich arbeiten und eine Lehrkraft als Lernbegleiter erreichbar ist. Im Rahmen ihrer Gesamtarbeitszeit
erteilen Lehrerinnen und Lehrer nicht nur Unterricht, sondern sie sollen
auch Motor der ständigen Verbesserung und Weiterentwicklung sein.
Dass sie das nur leisten können, wenn sie die Chance bekommen sich fortzubilden und Schulentwicklung zu ihrer Sache zu machen (Ownership), ist
allgemein anerkannt. Dass eine systemische Fortbildung, die das gesamte
Kollegium einbezieht, besondere Anforderungen (auch zeitlich) stellt,
wird ebenso akzeptiert. Deshalb wird im Projekt "Selbstständige Schule"
zurzeit ein so genanntes Lernzeitbudget erprobt. Nach der Maßgabe
33303.book Seite 103 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Aufbau des Fortbildungsprogramms | 103
„1 plus 1“ erhalten Schulen die Möglichkeit, pro Schulhalbjahr einen
Unterrichtstag für solche mehrtägigen systemischen Fortbildungen in
Anspruch zu nehmen, wenn sie einen unterrichtsfreien Tag investieren.3
Ohne solche oder vergleichbare verlässliche Regelungen wird ein systemisches Fortbildungs- und Schulentwicklungskonzept nicht realisierbar
sein.
Entsprechend dem eigenen Implementationsplan der Schule können nun
die spiralförmig aufeinander aufbauenden Trainings in den drei Grundlagenbausteinen (Methoden, Kommunikation, Teambildung im Klassenraum) folgen (vgl. Kap. 4.2.1). In welcher zeitlichen Taktung das geschieht,
ist wiederum in das Ermessen der Schule gestellt. Es gibt lediglich eine
zeitliche Vorgabe: Frühestens nach sechs Monaten kann der jeweilige Folgebaustein angeboten werden. Diese Vorgabe geht auf die Erfahrung
zurück, dass mindestens so viel Zeit nötig ist, damit die Anwendung im
Unterricht das Gelernte festigt und hilft, neue Routinen auszubilden.
Die in den Basisbausteinen für Lehrerinnen und Lehrer verwendeten
Materialien orientieren sich an Fachthemen aus den Lehrplänen der
Schulstufen und – wo nötig – Schulformen, in denen die Lehrerinnen und
Lehrer arbeiten und anschließend ihre Schülerinnen und Schüler trainieren. Trotzdem wird es nicht zu vermeiden sein, dass die Materialien für die
Sockeltrainings der Schülerinnen und Schüler an die Besonderheiten der
jeweiligen Schule und der jeweiligen Lerngruppen angepasst werden müssen. Insofern sind die Lehrerinnen und Lehrer nie aus ihrer (gemeinsamen) Verantwortung für ihre Lerngruppe entlassen4, sie können aber von
vorhandenen exemplarischen Materialien ausgehen und von ihrer eigenen Erfahrung im Training unmittelbar profitieren.
Grundsätzlich gibt es bei der Durchführung der Trainings Unterschiede
zwischen großen und kleinen Schulen.
In Grund- und Förderschulen werden i. d. R. die kompletten Kollegien in
sogenannten 5-Tage-Trainings für jeden der drei Grundlagenbausteine
geschult. Nach Rückmeldung aller bisher Beteiligten ist für das selbstständige Lernen der Lehrerinnen und Lehrer im Team diese Organisationsvariante optimal, weil Teile aus Trainingsspiralen noch während der
Trainings praktisch erprobt und reflektiert werden. An dieser Erprobung
sind alle Kollegiumsmitglieder beteiligt. Sie bereiten Unterricht im Team
vor und führen ihn – wenn möglich – mit gegenseitigen Hospitationen
durch. Sie reflektieren ihn aber auch systematisch im gleichen Team,
bevor sie Neues durch die Trainerinnen und Trainer lernen, um dies dann
3
4
Vgl. www.selbststaendige-schule.nrw.de/service/News/Lernzeitbudget, vgl.
„Anlage zum Kooperationsvertrag“ vom 13.12.2006 (s. Anhang).
Insbesondere gilt dies, wenn z. B. eine Sek. I-Schule gleichzeitig in allen Jahrgängen auf
der Schülerebene beginnt, weil das gesamte Kollegium geschult wurde. Die in Trainings
exemplarisch genutzten Fachtexte sind nicht jedem Jahrgang angemessen.
Grundlagenbausteine
5-Tage-Trainings
33303.book Seite 104 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
104 | Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"
zumindest teilweise sofort wieder zu erproben. Auch Skeptiker werden in
diesem intensiven Lern- und Arbeitsprozess häufig überzeugt, weil sie
sofort feststellen können, wie relevant der Ansatz für ihre Lerngruppe und
ihre eigene Lehrerarbeit ist.
Unterrichtsentwicklung
auf Basis des 5-Tage-Trainings
Training, Umsetzung und Reflexion als gemeinsamer Prozess
1. Tag
2. Tag
8.00 Uhr
ganztägiges
Lehrertraining
Durchführung
von Unterricht
Trainingsspiralen
Unterrichtsvorbereitung für den
nächsten Tag
in Klassen-, Jahrgangs- o. Doppeljahrgangsteams
16.00 Uhr
3. Tag
Durchführung
von Unterricht
4. Tag
5. Tag
Durchführung
von Unterricht
Durchführung
von Unterricht
Durchführung
von Unterricht
Hospitation
Hospitation
Hospitation
Hospitation
Reflexion und
Auswertung in
den Vorbereitungsteams
Reflexion und
Auswertung in
den Vorbereitungsteams
Reflexion und
Auswertung in
den Vorbereitungsteams
Reflexion und
Auswertung
Lehrertraining
Lehrertraining
Lehrertraining
Unterrichtsvorbereitung für den
nächsten Tag in
Teams
Unterrichtsvorbereitung für den
nächsten Tag in
Teams
Unterrichtsvorbereitung für den
nächsten Tag in
Teams
Hospitation
Weiterarbeit am
Schulprogramm
Präsentation der
Ergebnisse
Voraussetzung: Betreuung der SchülerInnen muss sichergestellt sein.
© Selbstständige Schule
Abb. 19: Unterrichtsentwicklung auf der Basis des 5-Tage-Trainings
2,5-Tage-Trainings
Für die Schulen der Sek I und der Sek II werden i. d. R. die sogenannten
2,5-Tage-Trainings angeboten – entweder für das ganze Kollegium oder
zuerst für Teams z. B. aus den Jahrgängen 5 und 6 oder aus der Oberstufe.
Das gilt auch für Berufskollegs, in denen sich die Trainings an Bildungsgangteams wenden. Dieser Trainingstyp umfasst das Erarbeiten der Trainingsspiralen durch die Lehrerinnen und Lehrer, die sich dabei in der
Schülerrolle erleben, und die systematische Reflexion dieser Erfahrung.
Aufgrund der kompakten Programme kann in dieser Organisationsform
den Teams nur ansatzweise Zeit gegeben werden, um den Transfer in ihre
Alltagspraxis vorzubereiten. Die Planung des Unterrichts, die Reflexion
seiner Durchführung und die Auswertung sind nicht in das Training integriert, sondern müssen später in der Schule organisiert werden. Dieses
Modell scheint die einzig vertretbare Organisationsform in größeren Systemen zu sein, birgt aber die Gefahr in sich, dass die Umsetzung auf Schülerebene nicht stringent genug erfolgt. Wenn zwischen der Lernzeit im
Lehrertraining und der Umsetzung im Unterricht zu viel Zeit verstreicht,
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Aufbau des Fortbildungsprogramms | 105
geht Dynamik verloren. Das Verbleiben in der „alten“ und damit „sicheren“ Lehrerrolle wird dann mit jeder Woche immer wahrscheinlicher.
Unterrichtsentwicklung
auf Basis des 2,5-Tage-Trainings
Implementation der Bausteine 1/2/3
LehrerInnentraining
Trainings in den
Klassenteam
Bausteinen 1 - 3:
Jahrgangsteam
Bildungsgangteam Methoden,
Kommunikation,
Teamentwicklung
LehrerInneneinsatz
Planung des
Sockeltrainings in
Bausteinen 1 - 3:
Methoden,
Kommunikation,
Teamentwicklung
Elterninformation
Sockeltraining
Material
Durchführung
Auswertung
Evaluation
Dokumentation
Pflege &
Ausbau im FU
eigenständige
Anwendung
Pflege & Routine
der eingeführten
Methoden
stetiger Ausbau
des Methodenrepertoires
Auswertung,
Evaluation und
Dokumentation
Entwicklung
von Material
Verzahnung der
verschiedenen
Methoden
Ausbau des
selbst gesteuerten
Lernens im
Fachunterricht
Wochenplanarbeit,
Projektarbeit
Auswertung,
Evaluation und
Dokumentation
Leistungsbewertung
© Selbstständige Schule
Abb. 20: Unterrichtsentwicklung auf Basis des 2,5-Tage-Trainings
Der (unabhängig vom Trainingsmodell) hinzukommende vierte Baustein
im Lehrertraining unterscheidet sich deutlich von den Basisbausteinen.
Dieser Anwendungsbaustein wendet sich an Fachkonferenzen oder -gruppen. Sie erarbeiten in Workshops zum selbst gesteuerten Lernen (SegeL)
Lernspiralen für den Fachunterricht. Im Gegensatz zu den Trainings in
den Basisbausteinen entstehen hier also Materialien, die unverändert und
unmittelbar zum Einsatz im Fachunterricht kommen können.
Im Sek I-Training können diese Workshops dreistufig angelegt werden
und an drei Terminen stattfinden, zwischen denen jeweils Phasen für die
praktische Umsetzung liegen. Im ersten Workshop planen die Lehrerinnen und Lehrer in jahrgangsbezogenen Fachteams Lernspiralen für anstehende Unterrichtssequenzen, die so angelegt sind, dass die Schülerinnen
und Schüler die in ihren Basistrainings erreichten Kompetenzen einbringen können, dass sie aber zunehmend auch eigenständig Entscheidungen
über Lernwege treffen müssen und diese reflektieren und bewerten können. Dabei spielt die Entwicklung einer neuen Aufgabenkultur eine wichtige Rolle (vgl. Kap. 3.4.2, Abschnitt „Veränderte didaktisch-methodische
Kompetenzen“). Alle Lehrerinnen und Lehrer setzen dann die gemeinsamen Planungen in ihrem Fachunterricht um. Im zweiten Workshop
Anwendungsbaustein für Lehrerinnen
und Lehrer: SegeL
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106 | Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"
Tradition für
Fachgruppen
Seminartag:
„Ein Jahr danach“
Nachschulungen
reflektieren sie ihre Erfahrungen systematisch im Team und sprechen
über Optimierungsmöglichkeiten. Im selben Workshop werden in den
Fachteams offene Formen des Unterrichts konkret geplant, die dann wiederum anschließend erprobt werden. Nach dieser Praxisphase werden im
dritten Workshop wiederum die Erfahrungen bearbeitet und die systematische Auseinandersetzung mit der Lehrerrolle angeboten. Kern der theoretischen Arbeit in diesen drei Workshops sind aktuelle Erkenntnisse zur
Konstruktion und Organisation von Lernprozessen. Außerdem wird
intensiv an den Anforderungen gearbeitet, die verschiedene Transfertypen
erfordern und „multiple Intelligenzen“ ermöglichen. Das gemäß den
PISA-Ergebnissen vernachlässigte Problem komplexer und bedeutungsvoller Aufgaben wird angegangen.
Ein mit Schulen ebenfalls erprobtes Modell verringert den Zeiteinsatz und
fasst die drei Schritte in zwei Trainingseinheiten zusammen, die allerdings nur eine dazwischen liegende Erprobungsphase im Fachunterricht
einschließen.
Werden solche Workshops an einer Schule nicht nur einmalig durchgeführt, sondern zu einer Tradition für Fachgruppen, so kann das zu zweierlei positiven Effekten führen. Die fachlich-inhaltliche Zusammenarbeit
in den Fachgruppen, die oft mehr mit Organisatorischem und weniger mit
inhaltlichen Diskussionen beschäftigt waren und keine systematische
Zusammenarbeit organisierten, wird (wieder)belebt. Das ist ein wichtiger
Faktor für die Qualitätsentwicklung an einer Schule. Außerdem entsteht
so Entlastung für Kolleginnen und Kollegen, die allmählich auf einen Fundus von gemeinsam entwickelten, ausprobierten, verbesserten Materialien zurückgreifen können. Diese helfen, die Kernanforderungen der
schuleigenen Lehrpläne zu erreichen.
Nach Abschluss der Grundlagentrainings und der Workshops wird zwischen der Schule und dem Trainerteam ein weiterer Seminartag „Ein Jahr
danach“ vereinbart. An diesem Tag steht das Trainerteam der Schule zur
Reflexion und Spiegelung der Weiterarbeit an Lernspiralen und Formen
der Anwendung bei Schülerinnen und Schülern zur Verfügung.
Mittel- und längerfristig kommt auf die Steuergruppe die Aufgabe zu, für
neu eingestellte oder durch Versetzung an die Schule gekommene Lehrerinnen und Lehrer „Nachschulungen“ zu organisieren. Nur wenn auch sie
in den drei Grundlagenbausteinen trainiert sind, haben sie die Chance,
sich in trainierte Teams zu integrieren. Für das System bedeutet es, dass
die Unterrichtsentwicklung nicht zum Eigentum einer einzigen Lehrergeneration wird.
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Trainerinnen und Trainer | 107
5.4
Trainerinnen und Trainer
Wer sind die Trainerinnen und Trainer, die das vorgestellte Konzept der
Unterrichtsentwicklung an Schulen erfolgreich vermitteln können?
Sie sind in erster Linie Lehrerinnen und Lehrer – und sollen das auch bleiben. „Trainerfunktionäre“ würden i. d. R. bald nicht mehr so authentisch,
glaubwürdig und überzeugend arbeiten können wie praktizierende Lehrerinnen und Lehrer, die das Konzept ständig im eigenen Unterricht
erproben, umsetzen und weiterentwickeln.
Sie arbeiten grundsätzlich als Tandems, da auf diese Weise die Vorzüge
der Teamarbeit genutzt und demonstriert werden. Mindestens ein Tandempartner stammt aus der Schulform, in der trainiert wird; der oder die
zweite kann eventuell Erfahrungen aus seinem schulischen Hintergrund
beisteuern und so den Blick über den Tellerrand ermöglichen. Solche Tandems sind nicht selten dauerhafte (Arbeits-)Partnerschaften, aber wechselnde Zusammensetzungen sind möglich und oft sogar wünschenswert.
Sie werden sorgfältig aus- und weitergebildet. Die Auswahl interessierter
Lehrerinnen und Lehrer für die Ausbildung erfolgt in einem an Assessments orientierten Verfahren. Sie sollten:
z
z
z
z
z
z
selbstbewusst auftreten, eine positive Ausstrahlung haben, kritikfähig
sein;
eigene reflektierte Berufserfahrung als Lehrerin oder Lehrer haben;
bereit sein, die Lernerrolle anzunehmen und eigenes Lernen zu reflektieren – in der Ausbildung wie auch im späteren Einsatz als Trainerin
oder Trainer;
bereit sein, das Konzept in ihrem eigenen Unterricht umzusetzen und
ihre Erfahrungen weiterzugeben;
teamfähig sein;
bereit sein, sich im eigenen Kollegium eine/n Teampartner/in zu
suchen und diese/n nach Möglichkeit anzuleiten.
Weitere Voraussetzung für die Teilnahme an der Trainerausbildung ist
das Einverständnis und die Unterstützung der jeweiligen Schulleitungen.
Um dies zu ermöglichen, sollte ein Informationstag oder -nachmittag für
Schulleitungen angeboten werden. Dabei wird den Schulleiterinnen und
Schulleitern u. a. deutlich gemacht, dass die zukünftigen Trainerinnen
und Trainer aus ihrer Schule im eigenen Kollegium keine Fortbildungen
durchführen dürfen; die Schule aber, weil sie eine Trainerin oder einen
Trainer stellt, bei Wunsch vorrangigen Anspruch auf die Durchführung
von Trainings durch andere Trainerinnen und Trainer hat. Die Schule profitiert von den Trainerinnen und Trainern im eigenen Haus auf andere
Keine „Trainerfunktionäre“!
Auswahl
33303.book Seite 108 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
108 | Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"
Ausbildung
Weise: Sie hat ständig während des Prozesses kompetente Beraterinnen
und Berater zur Hand.
Die Ausbildung selbst umfasst 1,5 bis 2 Jahre; allerdings sind erste Einsätze der neuen Trainerinnen und Trainer bereits nach einem Jahr denkbar.
Es gibt inzwischen fünf verschiedene Ausbildungscurricula – so wie es
fünf unterschiedliche Trainingsangebote für die Schulformen gibt: für
Grundschulen, für Förderschulen, für die Sekundarstufe I, für die Sekundarstufe II, für Berufskollegs. Exemplarisch soll hier die Ausbildung für
die Sekundarstufe I dargestellt werden, wie sie zurzeit im Regierungsbezirk Detmold in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wird. Die Zeitabläufe sind beispielhaft zu verstehen.
Zeit
Thema
Zielgruppe
September
Suche nach potenziellen Trainerinnen und Trainern
Lehrerinnen und
Lehrer der Sek I
und II
November (mehrere Veranstaltungen möglich)
(1 Nachmittag)
Informations- und Arbeitsnachmittage als beidseitige Entscheidungsgrundlage für die Teilnahme an der
TrainerInnenausbildung
Lehrerinnen und
Lehrer der Sek I
und Sek II
Dezember
(1 Nachmittag)
Informationsveranstaltung für SL
der Auszubildenden
Schulleiterinnen
und Schulleiter
der interessierten
Trainerinnen und
Trainer
Januar
(2 Tage)
Orientierungsveranstaltung:
Unterrichtsentwicklung – konkret
auszubildende
Trainerinnen und
Trainer
März
(3 Tage)
Erster Trainingsbaustein:
Methodentraining I
Mai
(1 Tag)
Reflexionstag zum
Methodentraining I
Juni
(2 Tage)
Zweiter Trainingsbaustein:
Methodentraining II (PC)
Erstes Schuljahr
Zweites Schuljahr
September
(1 Tag)
Rolle als Trainerin oder Trainer/
Moderationstechniken
auszubildende
Trainerinnen und
Trainer
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Trainerinnen und Trainer | 109
Zeit
Thema
Oktober
(3 Tage)
Dritter Trainingsbaustein: Teamentwicklung im Klassenraum
Dezember
(1 Tag)
Reflexionstag zum
Teamentwicklungsbaustein
Februar
(2 Tage)
Reflexionstag zur Orientierungsveranstaltung in Schulen und Umgang
mit Widerständen
März
(3 Tage)
Vierter Trainingsbaustein:
Kommunikationstraining
Mai
(1 Tag)
Reflexionstag zum Kommunikationstraining
Zielgruppe
Drittes Schuljahr
September
(1 Tag)
Fünfter Trainingsbaustein:
Von der Pflege der Lernkompetenz
zur Entwicklung des selbst regulierten Lernens
SegeL in Anwendung I
Oktober
(1 Tag)
Fünfter Trainingsbaustein:
Von der Pflege der Lernkompetenz
zur Entwicklung des selbst regulierten Lernens
SegeL in Anwendung II
November
(1 Tag)
Fünfter Trainingsbaustein:
Von der Pflege der Lernkompetenz
zur Entwicklung des selbst regulierten Lernens
SegeL in Anwendung II
auszubildende
Trainerinnen und
Trainer
Im Rahmen des Projektes "Selbstständige Schule" hat der Regierungsbezirk Detmold aufgrund seiner Vorerfahrungen aus "Schule & Co." und der
stetigen Weiterentwicklungen die Aufgabe übertragen bekommen, Weiterbildungen für Trainerinnen und Trainer anderer Regierungsbezirke
anzubieten. Sie dienen der Erreichung eines einheitlichen Standards in
ganz NRW und wenden sich an Moderatorinnen und Moderatoren, die
bisher nach verwandten Konzepten gearbeitet haben. Der Regierungsbezirk Köln kann auf eigene Ausbilderinnen und Ausbilder ebenfalls aus
"Schule & Co"-Zeiten zurückgreifen, sodass in diesem Projekt nun landesweit ein Trainerpool von ca. 400 Trainerinnen und Trainern zur Verfügung steht, der in manchen Schulformen inzwischen auch schon Nicht-
landesweiter
Trainerpool
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110 | Das Fortbildungsprogramm zur Unterrichtsentwicklung im Projekt "Selbstständige Schule"
Trainerarbeitskreise
aus der Praxis:
Feedback
zu Trainings
Projektschulen bedienen kann, für manche Schulformen aber noch nicht
genügend Ressourcen vorhält.
Um die in der Ausbildung erreichte Qualität zu erhalten, hat das Projekt
angeregt, auch außerhalb des Regierungsbezirks Detmold (die dort bereits
existierenden) Trainerarbeitskreise einzurichten, in denen Trainerinnen
und Trainer sich austauschen, ihre Arbeit reflektieren und die Trainings
gemeinsam weiterentwickeln können. Die organisierte Zusammenarbeit
ist ein wichtiges Element der Qualitätssicherung und -entwicklung. So
wird gewährleistet, dass sich die Trainings nicht „verselbstständigen“.
Arbeiteten Trainerinnen und Trainer auf Dauer ohne Rückkoppelung mit
anderen, so entstünden im Laufe der Zeit individuelle Versionen, die –
ohne dass damit ein Werturteil gesprochen wäre – nicht mehr vergleichbar
wären. Schulen wüssten dann nicht mehr, was sie „einkaufen“, wenn sie
Trainings zur Unterrichtsentwicklung „bestellen“. Außerdem können in
solche Arbeitskreise neue Erkenntnisse aus Wissenschaft, Bildungspolitik
oder Praxis in die Trainings eingespeist werden; Veränderungen können
hier erarbeitet werden.
Zurzeit werden diese Arbeitskreise von den entsprechenden Dezernaten
der Bezirksregierungen organisiert. Es ist vorstellbar, dass auch die Regionen hier mehr Verantwortung übernehmen.
Welche Wirkung entfaltet werden kann, wenn gut ausgebildete, in eigener
Unterrichtspraxis und in Trainings erfahrene und engagierte Trainerinnen und Trainer Kolleginnen und Kollegen (nicht der eigenen Schule) trainieren, zeigen einige Auszüge aus einem Feedback nach dem Training
einer Lehrergruppe. Dabei darf bedacht werden, dass Lehrerinnen und
Lehrer – so das gängige Klischee – keine unkritische Lerngruppe sind:
„Reife“ Moderatoren – praxisnahe Arbeit – überzeugendes, authentisches
Trainerteam – hohe fachliche Kompetenz – großer Teil der Methoden einsetzbar, aktivierend – professioneller, wertschätzender, angemessener
Umgang – Warum kann in der Lehrerausbildung nicht so gearbeitet werden wie hier? – Reflexion und Ausprobieren der Methoden waren mir sehr
wichtig. – Einnehmen der Schülerrolle verändert Perspektive der Lehrenden. – Gut, noch einmal direkt vor Augen geführt zu bekommen, dass die
Lehrerrolle eine klare Vorbildfunktion hat.
5.5
Ausbilderinnen und Ausbilder
Wer sind die Ausbilderinnen und Ausbilder, die solche Trainerausbildungen anbieten können?
Auch sie sind in erster Linie Lehrerinnen und Lehrer – und sollen das auch
bleiben. Sie sind aber auch seit Jahren erfahrene Trainerinnen und Trainer, die zu Beginn des Projektes "Schule & Co." ausgebildet wurden und
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Ausbilderinnen und Ausbilder | 111
seitdem als Team die Trainings ständig weiterentwickeln, an Standards
arbeiten und die bereits ausgebildeten Trainerinnen und Trainer weiterbilden. Sie stehen also für die Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung der Trainings. Einen Ausbilder-Arbeitskreis gibt es in der
Bezirksregierung Detmold. Auch in anderen Bezirken arbeiten Ausbilderinnen und Ausbilder. Das Projekt "Selbstständige Schule" empfiehlt die
Schaffung einer landesweiten Institution zur Qualitätsentwicklung und
-sicherung der Unterrichtsentwicklungs-Trainings.
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6
Projektziel: regionale
Bildungslandschaften
Warum?
Regionale Unterstützung und Steuerung
Ein Arbeitsschwerpunkt des Projektes "Selbstständige Schule" ist die Entwicklung regionaler Bildungslandschaften. Ihr soll in der zweiten Projekthälfte bis 2008 besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.1 Ziele sind
der Aufbau regionaler Beratungs- und Unterstützungsstrukturen, der
Aufbau einer qualitativen Schulentwicklung in der Region, insbesondere
durch die Kooperation von Verantwortlichen, die traditionell häufig
nebeneinander agiert haben (von Land und Kommunen/Regionen, von
Schulen gleicher und verschiedener Schulformen, von Schulen mit anderen Bildungs„akteuren“) und der Aufbau eines Systems der Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Rechenschaftslegung.2
Dieser Ansatz mag überraschend sein in einem Projekt, das sich der
Gewinnung und Gestaltung von mehr Freiräumen für die Einzelschule
widmet. Die Erklärung findet sich, wenn man einen Perspektivenwechsel
vollzieht. „Der Region fällt immer dann eine Schlüsselrolle für die Gestaltung von Bildungschancen zu, wenn Kinder und Jugendliche konsequent
in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden: Denn es sind dieselben Kinder und Jugendlichen, die in einem lokalen Gemeinwesen verschiedene Schulformen durchlaufen, Angebote außerschulischer
Jugendarbeit in Anspruch nehmen, Ausbildungsstellen suchen, berufliche Ausbildungen beginnen und schließlich Arbeit aufnehmen. Von den
Kindern und Jugendlichen her betrachtet, bedarf es für den Erfolg ihrer
Bildungsbiografien unbedingt einer intensiven Kooperation und Abstimmung zwischen den unterschiedlichen für sie relevanten Bildungsakteuren. Unter diesen sind Schulen deshalb – und relativ unabhängig von
Fragen ihrer Wirksamkeit – von besonderer Bedeutung, da nur sie alle
Kinder und Jugendlichen in einer Region erreichen.“3
Jenseits der Diskussion um die Schwierigkeiten des Entstehens von regionalen Schul- und Bildungslandschaften4 lässt sich ganz konkret am Bei-
1
2
3
4
Vgl. „Anlage zum Kooperationsvertrag zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NordrheinWestfalen und der Bertelsmann Stiftung vom 21. August 2001“, unterzeichnet am
13. Dezember 2005 (s. Anhang)
Vgl. Projektleitung "Selbstständige Schule", Hrsg., Regionale Bildungslandschaften.
Grundlagen einer staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft, Troisdorf 2004
Lohre, W., „Regionale Bildungslandschaften. Die Bedeutung regionaler Bildungslandschaften im Projekt ’Selbstständige Schule’“ in: Journal für Schulentwicklung, Heft 1,
2005, S. 33
Vgl. Fuchs, W., „Regionale Schulentwicklung – ein neuer Weg zur Bewältigung alter
Herausforderungen? Ein Erfahrungsbericht“ in: Journal für Schulentwicklung, Heft 1,
2005, S. 38–48
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Regionale Unterstützung und Steuerung | 113
spiel der Unterrichtsentwicklung verdeutlichen, welche Vorteile die
gemeinsame Entwicklung in der Region mit sich bringt.
Wenn es gelingt,
Vorteile: Beispiel
Unterrichtsentwicklung
dass Schülerinnen und Schüler in einer Region während der gesamten
Zeit, in der sie unterrichtet werden, und von allen Lehrerinnen und Lehrern, die sie unterrichten, mit der Zielvorstellung eines selbstständigen
Lerners bzw. einer selbstständigen Lernerin gefördert werden,
z dass sich Schulen in einer Region auf einen gemeinsamen Grundkonsens verständigen, was die Entwicklung von Lernkompetenz bedeutet,
und sich aktiv an der Erreichung dieses und anderer regionaler Ziele
beteiligen,
z dass auch andere „Anbieter“ von Bildung mit in diesen Grundkonsens
eingebunden werden,
z
dann bedeutet das für die einzelnen Kinder bzw. Jugendlichen, dass sie
effektiver lernen können, weil weniger Zeit und Energie dafür verloren
gehen, die Verknüpfungen und Verbindungen an den Schwellen herzustellen oder sich gar völlig umzustellen beim Wechsel von der einen zur
anderen der Stationen, die sie nacheinander oder gleichzeitig durchlaufen.
Der Wechsel von einer Schulstufe in die nächste oder von einer Schulform
in die andere ist nur dann ohne Nachteile möglich. Jeder kennt die Schwierigkeiten und Risiken, die mit dem Wechsel von der Primarstufe zur Sekundarstufe I und wiederum dem Übergang von der Sekundarstufe I insbesondere zur gymnasialen Oberstufe verbunden sind. Sie sind in einer
Bildungsregion, in der die Schulen mit dem gleichen oder einem vergleichbaren Konzept von Unterrichtsentwicklung arbeiten, deutlich geringer.
Ein zweiter Vorteil kommt hinzu: Die Kompetenzen der Schülerinnen und
Schüler lassen sich umso besser entwickeln, je stärker und deutlicher
erkennbar auch für sie selbst der Bezug zu außerschulischen Lebenswelten
ist. Keine neue Erkenntnis – aber sie lässt sich durch Kooperation in der
Region leichter umsetzen, zumal wenn innerschulische (Unterrichts-) Entwicklung sorgfältig mit Kooperationsprojekten verzahnt ist. (Wie z. B. die
Zusammenarbeit mit Firmen und die Unterrichtsentwicklung sich gegenseitig befruchten können, wird in Kap. 6.4 dargestellt.) Dazu noch einmal
Lohre: „Schulen müssen offen sein, Entwicklungen aus anderen gesellschaftlichen Systemen, aus den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen aufzunehmen. Der Unterricht muss deshalb in größerem Ausmaß
die regionalen, wirtschaftlichen, natürlichen und sozialen Gegebenheiten
der für Kinder und Jugendliche erfahrbaren Lebenswelt einbeziehen.
Damit ist die auf einen verbesserten Unterricht ausgerichtete schulische
Arbeit auch mit einer systematischen Orientierung nach außen verbunden.
Die auf den Erwerb umfassender Lernkompetenz der Schülerinnen und
Übergänge
außerschulische
Kooperationspartner
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114 | Regionale Unterstützung und Steuerung
Perspektivenwechsel
Schüler ausgerichtete Schulentwicklung weist mit ihrer Entwicklung sozialer Kompetenzen über die Schule hinaus in den Tätigkeitsbereich außerschulischer Kinder- und Jugendarbeit, aber auch in den betrieblichen
Bereich, da sie auch auf eine größere Selbstständigkeit, Berufsorientierung
und Berufsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zielt.“5
Der Perspektivenwechsel, der in der einzelnen Schule vollzogen wird,
wenn die Region ins Blickfeld rückt, bedeutet, dass der Blick sich nicht
mehr nur auf die Kinder und Jugendlichen als Schülerinnen und Schüler
dieser Schule richtet, sondern auf die Kinder und Jugendlichen, die ein
mehrstufiges Bildungsangebot in der Region durchlaufen. Das soll stimmig sein. Die Frage heißt: „Was kann mein augenblicklicher Beitrag als
Lehrerin oder Lehrer in meiner Schulform (-stufe) zur Erreichung des
gemeinsamen Ziels für jedes einzelne Mitglied der mir anvertrauten Lerngruppe sein?“ Die regionale Bildungslandschaft ist dann kein Widerspruch mehr zur selbstständigen Schule, sondern es gilt: „Regionale
Bildungslandschaften setzen Schulen voraus, die in hohem Maße selbstverantwortlich und in klarer Rechenschaftslegung gegenüber ihrem Auftraggeber Staat eine qualitätsorientierte Schulentwicklung betreiben.“6
So wie der Aufbau von Lernkompetenz bei Schülerinnen und Schülern
und die dazugehörige Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer organisiert
werden müssen, muss auch die Zusammenarbeit von Schulen zuerst in
einer regionalen Schullandschaft und danach von Schulen und anderen
Bildungs- und Betreuungsseinrichtungen in einer regionalen Bildungslandschaft organisiert werden.
Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft
Bildungslandschaft
Schullandschaft
Schule
Entwicklungsphasen
© Selbstständige Schule
Abb. 21: Entwicklung einer regionalen Bildungslandschaft
5
6
Lohre, W. (2005), S. 34
Fuchs, W. (2005), S. 47
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Regionale Unterstützung und Steuerung | 115
Dazu wurden im Projekt "Selbstständige Schule" regionale Steuergruppen eingerichtet (vgl. Kap. 6.1).7 Sie sind mit ihren regionalen Bildungsbüros die Schaltstellen, die in Zusammenarbeit mit den Bezirksregierungen das Fortbildungsangebot für die Schulen organisieren.
Wenn Schulen in einer Region nach einem abgestimmten Konzept arbeiten, können Kinder Kompetenzen, die sie in der Primarstufe oder sogar
schon vom Vorschulbereich an ausgebildet haben, kontinuierlich weiterentwickeln, bis sie womöglich mit dem Abitur nach 12 oder 13 Jahren die
Schule verlassen. Das Bild der Spirale, das für Trainingsarrangements und
für Unterrichtsvorhaben gebraucht wird, um den systematischen Aufbau
der angestrebten Kenntnisse und Fähigkeiten zu verdeutlichen, kann auch
hier angewendet werden. Man könnte dann von einem Spiralcurriculum
sprechen. Von der Einschulung an achten die Lehrerteams in jedem Jahr
darauf, dass systematisch Grundlagenkompetenzen in den Bereichen
Methoden, Kommunikation und Teamarbeit aufgebaut, im Fachunterricht durch entsprechende Anforderungen gepflegt und dadurch zur Routine gemacht und in immer größeren Freiräumen eigenverantwortlich
angewendet werden. Selbstverständlich sind die Anforderungen in der
Primarstufe andere als in der gymnasialen Oberstufe. Sie bauen aber im
Sinne eines solchen Spiralcurriculums sowohl im Bereich der Grundlagen
als auch bei der Pflege und Anwendung systematisch aufeinander auf.
Zwei Beispiele mögen die Unterstützungsleistungen verdeutlichen, die
von einer Region erbracht werden können. Im Kreis Herford wird inzwischen bereits in der vorschulischen Sprachförderung gezielt auf das in den
Schulen angebotene Konzept zur Unterrichtsentwicklung Bezug genommen; entsprechende Anteile werden in die Aus- und Weiterbildung der
Erzieherinnen und Erzieher einbezogen. In Workshops wird zudem Fachlehrerinnen und Fachlehrern schulübergreifend die Gelegenheit geboten,
ihre Erfahrungen auszutauschen und gemeinsam Lernspiralen zu entwickeln.
Wenn es in diesem Sinne gelingt, dass die „Konsistenz der Ausbildung, ihr
organischer Aufbau über ein Schülerleben hinweg […] absolut im Mittelpunkt aller Anstrengungen […]“8 steht, dann ist die regionale Entwicklung
ein echter Qualitätsentwicklungsschritt gegenüber der einzelschulischen
Entwicklung.
7
8
Vgl. http://www.selbststaendige-schule.nrw.de/RegionaleBildungslandschaften/StrukturenDerRegionalenSteuergruppen
Höfer, C. „Schulaufsicht auf dem Weg in eine regionale Bildungslandschaft“ in: Rolff,
H.-G./Schmidt, H.-J., Hrsg., Brennpunkt Schulleitung und Schulaufsicht, Neuwied 2002,
S. 24
Spiralcurriculum:
Kindergarten
bis Abitur
aus der Praxis:
Beispiele für
regionale Unterstützung
33303.book Seite 116 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
116 | Regionale Unterstützung und Steuerung
Regionale Bildungsverantwortung
Schulpflicht
KiTa
Grundschule
Sekundarstufe I
Sek
II
außerschulische Bildungsaktivitäten
0
5
9
15
17 18
Bildungsverantwortung in der Region
© Selbstständige Schule
Abb. 22: Regionale Bildungsverantwortung
6.1
Ziel: die staatlichkommunale
Verantwortungsgemeinschaft
Aufgaben
Die regionale Steuergruppe
Auf der Grundlage der bestehenden Verantwortlichkeiten (Land für die
inneren Schulangelegenheiten, Schulträger für die äußeren Schulangelegenheiten) zielt das Projekt "Selbstständige Schule" auf eine konsensorientierte Regionalisierung in einer staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft. Ein Schritt zur Verwirklichung dieses Ziels war die
Einrichtung regionaler Steuergruppen in allen Modellregionen zu Beginn
des Projektes. In ihnen sind die Schulaufsicht (untere und obere), der/die
beteiligten Schulträger und die teilnehmenden Schulen mit je zwei Personen vertreten. Alle Mitglieder stehen vor der Herausforderung, insgesamt eine regionale Perspektive einzunehmen und über ihre Herkunftsinstitutionen hinaus zu denken, gleichzeitig aber in ihren Institutionen
die Anliegen der Regionen mit den beteiligten Schulen zu verdeutlichen
und die erforderlichen internen Abstimmungsprozesse zu initiieren.
Dabei sollen perspektivisch die Aktivitäten, Ressourcen und Verantwortlichkeiten der hinter den regionalen Steuergruppenmitgliedern stehenden
Institutionen zunehmend verschränkt werden.
Mit dem Ziel, die Lern- und Ausbildungsbedingungen der Kinder und
Jugendlichen einer Region bestmöglich zu gestalten, kümmert sich eine
regionale Steuergruppe darum,
33303.book Seite 117 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Die regionale Steuergruppe | 117
z
z
z
z
z
dass durch eine systematische Unterrichtsentwicklung gekoppelt mit
einer entsprechenden Organisations- und Personalentwicklung an
jeder beteiligen Schule die Lernprozesse und -ergebnisse aller Schülerinnen und Schüler verbessert werden können,
dass die Einzelschule systematische und qualitativ hochwertige Unterstützung in den selbst bestimmten Entwicklungsschritten hin zu größerer Selbstständigkeit erhält,
dass nicht nur die Zusammenarbeit von Schulen gleicher Schulform,
sondern vor allem die gezielte Kooperation zwischen den Schulformen
in der Region aufgebaut wird,
dass mit dem Entstehen einer regionalen Schullandschaft in den beteiligten Institutionen ein Bewusstsein für die Region entsteht,
dass durch gezielte Kooperation der Akteure der Schullandschaft mit
weiteren für die Erziehung, Bildung und Ausbildung von Kindern und
Jugendlichen mitverantwortlichen Institutionen eine regionale Bildungslandschaft entsteht.
Eine regionale Steuergruppe ist keine zusätzliche Hierarchieebene. Sie
kann Schulen gegenüber keine Weisungen erteilen wie die zuständige
Schulaufsicht oder der Schulträger. Sie muss also für ihre Initiativen werben, durch Argumente überzeugen und Anreize schaffen, da sie keine formale Macht hat. Dies ermöglicht ihr aber gleichzeitig, die Balance
zwischen der notwendigen Offenheit für die einzelnen Akteure in einer
regional weit verzweigten Entwicklung und der notwendigen Verbindlichkeit zu halten.
Dazu kann sie im Steuerungsprozess mit „Wenn-dann-Bedingungen“
arbeiten, die in der Regel in Kontraktform fixiert werden. Wie die Kooperationsvereinbarung des Projektes "Selbstständige Schule" sind Kontrakte
auf allen Ebenen, also auch zwischen regionaler Steuergruppe und Schulen, ein bewährtes Mittel zur Sicherung von Verbindlichkeit und Selbstverbindlichkeit.
Ein weiteres interessantes Instrument regionaler Steuerung sind sogenannte Schulgespräche (vgl. Kap. 6.3).
Um den Prozess der Unterrichtsentwicklung an den Schulen zu unterstützen sorgt die regionale Steuergruppe dafür,
dass genügend Trainerinnen und Trainer für alle Schulformen in der
Region zur Verfügung stehen,
z dass die Schulen ausreichend über das Angebot zur Unterrichtsentwicklung informiert werden,
z dass die Zusammenarbeit zwischen Trainerteams und Einzelschule
organisiert wird,
z
keine zusätzliche
Hierarchieebene
Steuerungsinstrumente
Unterstützung
der Unterrichtsentwicklung
an den Schulen
33303.book Seite 118 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
118 | Regionale Unterstützung und Steuerung
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Blick in die Zukunft
dass nach einer Implementationsphase in der Schule der jeweils
nächste Trainingsbaustein abgerufen werden kann,
dass die Trainerinnen und Trainer zur Qualitätsentwicklung und
-sicherung kontinuierlich zusammenarbeiten (können),
dass die Schulen auch langfristig auf Trainingsangebote zurückgreifen
können, um neue Lehrerinnen und Lehrer immer wieder einbinden zu
können,
dass über ein Rückmeldeverfahren sichergestellt wird, dass die Schulen
mit der Qualität der Trainings zufrieden sind,
dass den Schulen regelmäßige Foren zur Verfügung stehen, in denen
sie sich über die konkrete Praxis der Implementation austauschen und
voneinander lernen können,
dass während der Implementation entstehender zusätzlicher Beratungsbedarf der Schulen professionell bearbeitet wird,
dass die anderen Fortbildungsmaßnahmen, also z. B. für Steuergruppen, Schulleiterinnen und Schulleiter oder Evaluationsberaterinnen
und -berater, zum Fortbildungsangebot für Unterrichtsentwicklung
passen und ebenfalls langfristig zugänglich sind,
dass eine einmal erreichte Zusammenarbeit von Bildungsinstitutionen
dauerhaft erhalten bleibt und nicht mehr an das Engagement von Einzelpersonen geknüpft ist.
Die regionale Steuergruppe war ein wichtiges Gremium für die Startphase
der intensiven staatlich-kommunalen Zusammenarbeit. Sie ist Ausdruck
des governance- Ansatzes bei der Entstehung neuer Steuerungssysteme in
politisch-gesellschaftlichen Zusammenhängen.9 Es hat sich jedoch im
Verlauf der ersten Projekthälfte gezeigt, dass die komplexen Steuerungsaufgaben in den entstehenden regionalen Bildungslandschaften auf
Dauer nicht von einem Gremium geleistet und verantwortet werden können, das als Kollegialgremium ohne klar ausgewiesene Entscheidungskompetenzen mit der Verpflichtung zu konsensualen Beschlüssen
fungiert und dessen Mitglieder sozusagen „ehrenamtlich“ arbeiten. In der
zweiten Projekthälfte (2006 bis 2008) geht es darum, in einigen weit entwickelten Projektregionen neue Formen staatlich-kommunaler Zusammenarbeit und damit neue Steuerungsmodelle auszuprobieren. Wie
immer die Folgeorganisationen heißen mögen, sie werden den institutionellen Kern einer Verantwortungsgemeinschaft von Land und Kommune
darstellen und auf Kontrakten zwischen Land und Kommune basieren. In
diesen Verträgen wird eine klare Kompetenzzuweisung festgelegt, Zeit-,
Personal- und sonstige Ressourcen werden vereinbart werden.
9
Vgl. Benz, A./Fürst, D./Kilper, H./Rehfeld, D., Regionalisierung. Theorie – Praxis – Perspektiven, Opladen 1999
33303.book Seite 119 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Das regionale Bildungsbüro | 119
6.2
Das regionale Bildungsbüro
Die meisten der im Projektzusammenhang eingerichteten regionalen Bildungsbüros sind Institutionen im Sinne von Projektbüros, die die operative Umsetzung der in ihren Bildungsregionen durch die regionalen
Steuergruppen getroffenen Entscheidungen gewährleisten. In ihnen
arbeiten sowohl Mitarbeiter der Kreise und/oder Kommunen als auch
abgeordnete Lehrkräfte. In einigen Regionen haben sich daraus bereits
Institutionen entwickelt, die auch über das Projekt hinaus existieren werden, ohne dass bisher geklärt wäre, wer zukünftig die notwendigen Steuerungsentscheidungen treffen wird. Einige regionale Bildungsbüros
arbeiten zunehmend nicht nur im operativen Geschäft, sondern sind auch
auf der Steuerungsebene aktiv. Dabei handelt es sich entweder um staatlich-kommunale Einrichtungen, die aber noch ohne umfassende vertragliche Regelung arbeiten, oder um rein kommunale Einrichtungen, die
eingegliedert sind in die kommunale Verwaltungsstruktur und auf der
Basis von Kontrakten mit der Bezirksregierung agieren.10
Ein so aufgestelltes regionales Bildungsbüro kann z. B. die Aus- und Weiterbildung neuer Trainerteams für die Unterrichtsentwicklung sowie die
Pflege der ausgebildeten Trainerinnen und Trainer und ihrer Ausbilderinnen und Ausbilder gestalten und steuern. Diese Initiative steht wie das
in Kap. 6 genannte Beispiel der vorschulischen Sprachförderung und der
Erzieherinnenausbildung und das in Kapitel 6.4 beschriebene KURS-Projekt nur exemplarisch dafür, wie bedeutsam eine mit regionaler Perspektive ausgestattete Institution wie das regionale Bildungsbüro für die
Unterrichtsentwicklung in einer Bildungsregion sein kann.
6.3
Schulgespräche
Auf dem Hintergrund zweier Erfahrungsfelder, den Schulprogrammdialogen zwischen Schulaufsicht, Schulleitungen und – so vorhanden – schulischen Steuergruppen sowie den Schulgesprächen im Projekt "Schule &
Co.", werden im Projekt "Selbstständige Schule" Schulgespräche als neues
Instrument eines bilateralen Kontaktes zwischen regionaler und schulischer Steuergruppe erprobt.
10
Solche regionalen Bildungsbüros arbeiten beispielsweise bereits im Kreis Herford und in
der Stadt Dortmund; vgl. Curländer, L./Engelking, G.: „Regionale Bildungslandschaft
Kreis Herford. Die Stärkung von Schulen im kommunalen und regionalen Umfeld – oder
was ist eigentlich ‘Schule & Co.‘?“ in: Projektleitung "Selbstständige Schule", Hrsg., Regionale Bildungslandschaften. Grundlagen einer staatlich-kommunalen Verantwortungsgemeinschaft, Troisdorf 2004, S. 62–79
heute: operative
Arbeit
Blick in die Zukunft
33303.book Seite 120 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
120 | Regionale Unterstützung und Steuerung
Ziel:
zwei weitere Effekte
zwei zentrale
Funktionen
Sie sind vorrangig ein Instrument zur Einschätzung des Entwicklungsstandes von Schulen im Projekt und ergänzen insofern andere Formen der
Rechenschaftslegung. Dabei werden jedoch wichtige weitere Effekte
erzielt. Die Mitglieder der regionalen Steuergruppe lernen sehr viel über
Schulen, Schulformen usw. vor Ort. Dadurch entstehen Wissen, aber auch
Verständnis und Wertschätzung für die Arbeit an den Schulen. Häufig
wechselnde Gesprächsteams, die gemeinsame Planung und Vorbereitung
sowie die aktiven Gesprächserfahrungen, die ausgewertet werden müssen, wirken sich teambildend für die regionale Steuergruppe aus. Vertreterinnen und Vertreter der Schulträger und der Schulaufsicht treten
gemeinsam in den Schulen auf und demonstrieren die neue staatlichkommunale Verantwortungsgemeinschaft. Durch die regelmäßig wiederkehrenden Gespräche entstehen Beratungs- und Gesprächskultur sowie
Vertrauen zwischen Schulen und regionaler Steuergruppe.
Schulgespräche mit dem Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung haben
zwei zentrale Funktionen:
Unterstützung der Entwicklung der Einzelschule und ihrer Einbettung
in die Region durch Beratung, durch Weitergabe von Erfahrungen und
Lösungen anderer Projektschulen sowie besonderer Informationen aus
der regionalen Steuergruppe im Dialog, aber auch durch Kommunikation in formellem Rahmen mit unterschiedlichen Personengruppen
aus den Schulen,
z Erzeugung von Steuerungswissen, das als Grundlage zur Entwicklung
der Bildungsregion dient, z. B. für die gezielte Schwerpunktsetzung bei
Fortbildungsangeboten in der Region.
z
Wo sich regionale Steuergruppen entschieden haben, Schulgespräche zu
erproben, haben sie zur Vorbereitung und als Grundlage für die spätere
Auswertung Gesprächsleitfäden entwickelt, die erkennen lassen, dass dieses Instrument in sehr differenzierter Form Erkenntnisse über die Chancen, Probleme und Unterstützungsbedarfe auf dem Feld der Unterrichtsentwicklung generieren kann.
6.4
die Tradition
KURS als Beispiel für einen Baustein der regionalen
Bildungslandschaft
Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft gibt es seit langem, sogenannte Lernpartnerschaften zwischen Firmen und Schulen seit einigen
Jahren. Ob Betriebsbesichtigungen oder Schülerpraktika, ob Bewerbungstrainings oder Sponsoring im Sinne der finanziellen Unterstützung ein-
33303.book Seite 121 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
KURS als Beispiel für einen Baustein der regionalen Bildungslandschaft | 121
zelner Projekte – produzierende Firmen und Dienstleister haben sich auf
vielfältige Weise für Schulen engagiert. In der
Kooperation von Unternehmen der Region mit Schulen,
wie sie im Rahmen des Projektes "Schule & Co" in den beiden Projektregionen Herford11 und Leverkusen12 entwickelt wurde und im Kreis Herford heute vom Regionalen Bildungsbüro Herford organisiert und
gepflegt wird, geht es um mehr. Ziel der Kooperationen ist es, eine neue
Qualität des Lernens im Fachunterricht zu unterstützen und diese Unterstützung nachhaltig zu gestalten. Die berufliche Wirklichkeit sowie praktische Handlungs- und -tätigkeitsfelder des kooperierenden Unternehmens werden in unterschiedliche Fächer und fächerübergreifende
Lernarrangements eingebracht. Unterricht gewinnt dadurch zum einen
eine größere Berufs- und Praxisnähe und dient insofern der Berufs- und
Arbeitsweltorientierung, zum anderen befördern Inhalte und Arbeitsformen in der Kooperation mit externen Partnern handlungsorientiertes und
selbst gesteuertes Lernen. Auf diese Weise unterstützt KURS die systematische Unterrichtsentwicklung und hilft die Bereitschaft und Fähigkeit
zum lebenslangen Lernen herauszubilden.
das Neue
6.4.1 Kooperationsvereinbarungen
KURS ist Teil einer regionalen Bildungslandschaft und braucht zur Entstehung und Zukunftssicherung ein regionales Unterstützungssystem.
Im Auftrag der regionalen Steuergruppe gewinnt und informiert das regionale Bildungsbüro Schulen und mögliche Kooperationspartner aus der
Wirtschaft und stellt einen ersten Kontakt zwischen Geschäftsleitung auf
der einen und Schulleitung und Steuergruppe auf der anderen Seite her.
Diese ersten Schritte können wiederum mit Kooperationspartnern getan
werden, z. B. der Initiative Wirtschaftsstandort Kreis Herford e. V. oder der
örtlichen IHK. Detailkenntnisse der Situation der Firmen und der Schullandschaft in einer regionalen Koordinationsstelle sind eine wichtige
Bedingung dafür, dass tragfähige Partnerschaften geknüpft werden.
11
Vgl.: www.regionales-bildungsbuero.de/index.php/site/schule_und_beruf/kooperation_ von_
unternehmen_der_region_mit_schule
12 Details vgl. Bürvenich, H./Madelung, P., „In Leverkusen kooperieren Schule und Wirtschaft erfolgreich. KURS in ‘Schule & Co.‘“ in: SchulVerwaltung NRW, März 2003, S. 90–
93
Kooperationspartner
gewinnen
33303.book Seite 122 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
122 | Regionale Unterstützung und Steuerung
Vereinbarungen
aushandeln
Kosten?
Motivation von
Schulen und
Unternehmen
Basis der entstehenden Partnerschaften zwischen jeweils einer weiterführenden Schule und einem Unternehmen im nahen Umfeld der Schule
sind Kooperationsvereinbarungen. Sie legen Inhalte und Ziele der Partnerschaft fest und werden in einem mehrschrittigen Verfahren ausgehandelt. Sie sind sowohl auf die Bedürfnisse der Schule als auch auf die
Möglichkeiten des Unternehmens zugeschnitten. Neben allgemeinen, für
alle Partnerschaften in der Region identischen Teilen, in denen die Rechte
und Pflichten der Kooperationspartner genannt und die Leistungen des
Regionalen Bildungsbüros beschrieben werden, enthält jede Vereinbarung als Kernstück einen individuellen und jährlich neu zu überprüfenden Arbeitsplan. Jede Kooperationsvereinbarung ist damit ein Unikat. Im
Arbeitsplan werden Vorhaben beschrieben, die die beiden Partner
gemeinsam gestalten wollen und die, so die Evaluation ergibt, dass sie sich
bewähren, zu Kooperationsroutinen werden sollen.
Für die Akquise von Unternehmen ist es von nicht zu unterschätzender
Bedeutung, dass weder den Unternehmen noch den Schulen externe Kosten für Beratungs- oder Unterstützungsleistungen entstehen. Da hier ein
besonderes regionales Interesse vorliegt, werden die Kosten vom regionalen Bildungsbüro13 übernommen. Die Kooperationspartner bestimmen
jeweils, welche Kosten sie in der direkten Kooperation und für eventuelle
Öffentlichkeitsarbeit zu tragen bereit und in der Lage sind.
Dass die Kooperation durch die Region vermittelt wird, ist besonders für
Haupt- und Förderschulen bedeutsam. Bilaterale Anfragen von Förderschulen würden in der Regel nicht zum Erfolg führen. Auch für Hauptund Gesamtschulen ist die Offenheit von Betrieben oft begrenzt, wenn
nicht regionale Akteure Unterstützung bieten.
Die Motivation der Schulen, solche Lernpartnerschaften anzustreben,
liegt auf der Hand. Sie sind sich der Notwendigkeit bewusst, ihren Schülerinnen und Schülern qualifizierte Grundkenntnisse über wirtschaftliche
Zusammenhänge zu vermitteln, und sie sind sich der Tatsache bewusst,
dass praxis- und lebensnaher Unterricht besonders effektiv ist. Was aber
ist die Motivation der Unternehmen? Sicher auch, dass sie potenzielle
Arbeitskräfte erreichen – aber ein billiges Scanning künftiger Mitarbeiter
als Hauptbeweggrund zu sehen, wäre zu kurz gegriffen. Viele Unternehmen nennen als erste Gründe Imagepflege und damit verbunden Standortsicherung, viele sehen hier eine Möglichkeit volkswirtschaftliche
Verantwortung zu übernehmen. Ein mittelständischer Unternehmer aus
Leverkusen, der sich für KURS engagiert, hat deutlich gemacht, dass ein
Betrieb mit seinen Materiallieferanten reden müsse und mit seinen
Maschinenherstellern, aber eben auch mit den Menschen, die heute oder
zukünftig dort arbeiten. Auf die Frage „Kostet es etwas?“ antwortete er: „Ja
13
Bzw. heute in Leverkusen vom KURS-Basisbüro
33303.book Seite 123 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
KURS als Beispiel für einen Baustein der regionalen Bildungslandschaft | 123
– aber auf lange Sicht ist es billiger.“ Unternehmen übernehmen deshalb
Verantwortung für Bildung und Ausbildung der Schülerinnen und Schüler in einer regionalen Bildungslandschaft.
6.4.2 Kooperationsmanager oder -berater und Steuergruppen
Schulische Steuergruppen als in Schulentwicklungsmanagement
geschulte Teams haben eine zentrale Bedeutung für Kooperationsprojekte. KURS profitiert von diesen für Schulentwicklungsprozesse verantwortlichen Teams in verschiedenen Phasen des Vertragsabschlusses und
der konkreten Zusammenarbeit. Steuergruppen haben gelernt, Projekte
strategisch zu planen, und bringen dieses Wissen bereits in die ersten Vertragsverhandlungen mit ein.
Die konkrete Durchführung des KURS-Projektes obliegt dann auf schulischer Seite sogenannten Kooperationsberaterinnen und -beratern. Ihre
Kontaktleute in den Firmen sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die als
KURS-Manager Kontakte zu allen Bereichen des Unternehmens, also z. B.
Verwaltung, Ausbildung, Produktion, knüpfen und pflegen. Über diese
beiden Personen werden sämtliche Prozesse gestaltet und organisiert.
Damit aber nicht genau das passiert, was in der Vergangenheit oft geschehen ist, wenn der Lehrer, der zufällig jemanden in einer Firma kannte und
ein gemeinsames Projekt aufgezogen hatte, versetzt oder pensioniert worden ist, nämlich das unrühmliche und bedauerliche Ende einer vorher
guten Zusammenarbeit, muss die Steuergruppe die Verantwortung für
die Nachhaltigkeit der Kooperationsaktivitäten übernehmen. Die eigentliche Schwierigkeit bei einer Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft ist nicht das Aushandeln eines Vertrages, denn die Ideen sind meist
vielfältig und die Motivation und der gute Wille sind vorhanden. Aber: the
proof of the pudding is in the eating – oder: Gelingt es Kooperationsroutinen
zu entwickeln? Nur wenn Zusammenarbeit relativ personenunabhängig
zur Selbstverständlichkeit wird, kann man von einer systematischen Verbesserung sprechen. Ergebnisse bestehender Kooperationen in Herford
und Leverkusen zeigen, dass dafür kompetente Steuergruppen und professionelle Schulleitungen Garanten werden können.
Wie gelingt es,
Routinen zu
entwickeln?
33303.book Seite 124 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
124 | Regionale Unterstützung und Steuerung
6.4.3 KURS im Unterricht
Formen der Kooperation
Es gibt unterschiedliche Formen der Kooperation:
Lernort
Unternehmen
z
Experten im
Unterricht
z
z
z
Fortbildung für
Lehrerinnen und Lehrer
Schulen als Dienstleister für
Unternehmen
z
Evaluation
z
z
Unterricht im Unternehmen (z. B. eintägige bis einjährige Schülerbetriebspraktika; Untersuchungen einzelner Schülerinnen oder Schüler
als Basis für Facharbeiten, Unterricht in Metallkunde durch Auszubildende des ersten Ausbildungsjahres in der Ausbildungswerkstatt des
Betriebes für Hauptschüler im Technikunterricht, Betriebserkundung
für eine NaWi-Lerngruppe zum Umgang mit Galvanikschläuchen und
Wasser)
Unterrichtssequenzen unter Beteiligung von Experten aus dem Unternehmen in der Schule (z. B.: Ein Vertreter der Sparkasse stellt im
Mathematikunterricht der 7. Klasse zum Thema Zinsrechnung passende Inhalte aus den Arbeitsbereichen des Bankgewerbes vor. Auszubildende stellen die technischen Details sicher, wenn im
Englischunterricht eine Aufbauanleitung geschrieben wird.)
Planspiele
die Möglichkeit, Informationsmaterial aus dem Unternehmen im
Unterricht zu verwenden
die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern (z. B. Lehrerbetriebspraktika, Teilnahme am Bildungsprogramm des Unternehmens)
Dienstleistungen – evtl. auch bezahlte – für den Betrieb zu erbringen
(z. B.: Einzelne Arbeiten der Schule werden für die Werbung genutzt.
Eine Hauswirtschaftslerngruppe übernimmt das Catering für ein
Betriebsfest.)
die Evaluation der durchgeführten Aktivitäten am Ende des ersten Jahres der Partnerschaft
Was in dieser Aufzählung auf den ersten Blick als Äußerlichkeit erscheinen mag – Verlagerung von Unterrichtsorten, andere Materialien –, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Möglichkeit, Unterricht im Kern
zu verbessern.
Anwendungsfähiges Wissen – Praxisbezug
Zu den sechs fundamentalen fachlichen und überfachlichen Bildungszielen, die Weinert formuliert (Vgl. Kapitel 2.2), gehört neben dem Erwerb
intelligenten Wissens der Erwerb anwendungsfähigen Wissens. Wissen
gut geordnet im Kopf gespeichert zu haben, bedeutet noch nicht, dass man
es anwenden kann. Die Schule muss deshalb dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler lernen, ihr Wissen in unterschiedlichen Anwendungssituationen nicht nur in der Zukunft nutzen zu können, sondern
33303.book Seite 125 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
KURS als Beispiel für einen Baustein der regionalen Bildungslandschaft | 125
auch aktuell bereits einzusetzen. Dafür bieten KURS-Projekte vielfältige
Möglichkeiten. So erstellen z. B. Schülerinnen und Schüler der Stufe 11
eine Powerpoint-Präsentation über die Partnerfirma, die diese selbst nutzen kann. Die Stufe 8 einer Hauptschule untersucht im Physikunterricht
Materialeigenschaften am Hauptprodukt ihrer Partnerfirma, der Wellpappe; sie erkundet die Statik und erprobt verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten. Den Umgang mit Tabellen lernen die Schülerinnen und
Schüler im Projekt „Einkommen und soziale Sicherung“, wo es um
Brutto- und Nettolöhne, das Kennenlernen der gesetzlichen Sozialversicherungen und das Berechnen von Beiträgen geht. Dabei üben sie auch
Prozentrechnung und Textanalyse. Schülerinnen und Schüler der Stufe 12
einer Gesamtschule machen mithilfe ihres Partnerunternehmens, eines
örtlichen Dienstleisters, im Chemieunterricht Gewässeruntersuchungen
zur Überdüngung. Im Kunstunterricht der Stufe 10 eines Gymnasiums
werden die Werbematerialien des Partnerunternehmens untersucht, die
dieses zur Verfügung stellt. Anschließend findet eine Diskussion mit
Experten aus der Werbeabteilung statt.
Der viel zitierte Praxisbezug von Unterricht entsteht in Kooperationsprojekten auf unterschiedliche Art und Weise: Produkte, Probleme, Strukturen von und aus Unternehmen werden zum Unterrichtsgegenstand.
Schülerinnen und Schüler erfahren dabei Inhalte in ihren authentischen
Kontexten, was zu intensiven Lernerlebnissen führt. Ergebnisse aus dem
Unterricht werden wiederum in das Unternehmen zurückgespiegelt. Im
interessantesten Fall bewirken sie dort Veränderungen und das Unternehmen wird vom Geber zum Empfänger.
Expertinnen und Experten
Wird an einer Schule systematische Unterrichtsentwicklung betrieben mit
dem Ziel, dass Schülerinnen und Schüler Lernkompetenzen erwerben, so
ändert sich in diesem Prozess die Lehrerrolle. (vgl. Kap. 3.4.2) Neben hoher
fachlicher Kompetenz müssen Lehrerinnen und Lehrer zunehmend über
Kompetenzen als Moderatorinnen und Moderatoren und als Beraterinnen
und Berater verfügen, um als Expertinnen und Experten für das Lernen
agieren zu können. In Kooperationsprojekten haben sie die Chance, diese
Rolle pointiert und für Schülerinnen und Schüler klar wahrnehmbar zu
übernehmen, weil sie mit Expertinnen und Experten für das jeweilige
Thema aus den Unternehmen zusammenarbeiten. Wenn der zuständige
Vorstand eines Finanzdienstleisters den Schülerinnen und Schülern des
Erdkunde-Leistungskurses eines Gymnasiums für eine Fragerunde zur
Verfügung steht, nachdem sie – auch mithilfe des Unternehmens – zum
Thema „Standortuntersuchung“ recherchiert haben, kann sich der Lehrer
oder die Lehrerin auf die gezielte Beratung zu Planung, Organisation und
Reflexion der Projektarbeit konzentrieren.
Lehrerinnen und
Lehrer in veränderten
Rollen
33303.book Seite 126 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
126 | Regionale Unterstützung und Steuerung
„Sind das wirklich
unsere Schüler?“
Kooperation in
verschiedenen
Phasen
ideale Möglichkeiten
für SegeL
Es braucht kaum weiter ausgeführt zu werden, welche Wirkung der Einsatz von Expertinnen und Experten aus Unternehmen auf Schülerinnen
und Schüler hat, wenn es um die Bewertung von Bewerbungsmappen geht
oder um die Simulation von Bewerbungsgesprächen, oder wie sich das
kommunikative Verhalten von Schülerinnen und Schülern ändert, wenn
sie im Rahmen eines Labortages ein fachliches Gespräch mit dem Entwicklungsleiter der Partnerfirma führen können.
Von überfachlichen Kompetenzen zum selbst gesteuerten Lernen
Systematische Unterrichtsentwicklung baut über den Erwerb von überfachlichen Qualifikationen in Basistrainings, deren Pflege und Verknüpfung im Fachunterricht und der zunehmend eigenständigen Anwendung
in komplexen Aufgaben und Lernsituationen die Kompetenzen auf, die
für selbst gesteuertes Lernen – lebenslang – gebraucht werden.
Die Zusammenarbeit mit Firmen, die ihrerseits immer wieder öffentlich
die Ausbildung von Schlüsselqualifikationen fordern, bewährt sich hier in
verschiedenen Phasen dieses Prozesses.
Wenn Schülerinnen und Schüler in Basistrainings erworbene Fähigkeiten
wie z. B. Präsentationstechniken, Gesprächsführung, Interviewtechniken
in realen Situationen außerhalb der Schule anwenden können, stärkt das
die Motivation und trägt erheblich zur Erhöhung des Lernerfolges bei. Der
schulische Hintergrund ist dann sozusagen das Auffangnetz: Erfolge und
Misserfolge können reflektiert und zur Grundlage der weiteren Arbeit
gemacht werden.
Am anderen Ende des schulischen Lernprozesses, wenn es darum geht
alle Kompetenzen zu verknüpfen und möglichst selbstständig komplexe
Aufgaben und Probleme zu bewältigen, bieten Kooperationen mit Unternehmen ideale Möglichkeiten für Projekte, die zugleich anspruchsvoll und
motivierend sind und in denen sich Schülerinnen und Schüler als möglichst selbstständig Lernende erproben und erfahren können. Ein gutes
Beispiel dafür sind Facharbeiten, die von Schülerinnen und Schülern der
Stufe 12 der gymnasialen Oberstufe gefordert werden. Sie können mithilfe
von Partnerunternehmen oder sogar in diesen entstehen. Eine Arbeit mit
dem Thema „Extraktion und Analyse von Koffein und seine neurologischen Wirkungen“ hätte eine Schülerin wegen der Kompliziertheit und
Kostspieligkeit der Analysen nicht ohne die Mithilfe des Entwicklungslabors einer mittelständischen Chemiefirma machen können. Ein weiteres
Beispiel sind Experimentaltage der Chemiekurse der Stufe 12 zum Thema
„Korrosion: chemische Grundlagen und industrielle Auswirkung“ und
der Stufe 13 zum Thema „Spezielle Synthesen aus dem Bereich der Aromatenchemie“, die in der Schule nicht möglich wären, weil die mehrstufigen Synthesen nur mit der Laborausrüstung einer Firma gemacht
33303.book Seite 127 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
KURS als Beispiel für einen Baustein der regionalen Bildungslandschaft | 127
werden können, oder wegen der Gefahrstoffverordnung, oder weil die
Schule nicht an das entsprechende Zahlenmaterial käme.14
Umgekehrt profitieren Unternehmen in Partnerschaften mit Schulen, die
systematische Unterrichtsentwicklung betreiben, auch ganz unmittelbar.
Sie erfahren, dass ihre Hilfe z. B. bei Bewerbungstrainings keine isolierte
Aktion ist, sondern Teil eines breiter angelegten Programms zur Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten von Jugendlichen, und damit
Erfolg versprechender. In einem besonderen Fall bieten im Kreis Herford
Englischlehrerinnen Mitarbeitern ihres Partnerbetriebes abendliche
Sprachkurse.
KURS ist mit Sicherheit ein interessantes Projekt auch an Schulen, die
(noch) keine systematische Unterrichtsentwicklung betreiben. Es bereichert jegliche Vorhaben, die der Berufsorientierung und der Vorbereitung
auf die Arbeitswelt dienen. Aber es zeigt sich, dass die Kooperationen
umso fruchtbarer, effektiver und nachhaltiger sind, je weniger sie außerunterrichtliche Aktivitäten bleiben und je mehr sie in den Unterricht selbst
integriert werden und ihn bereichern, verändern und weiterentwickeln.
Mit anderen Worten: je weniger sie Sahnehäubchen und je mehr sie Hefeteig sind.
Auch Unternehmen
profitieren.
6.4.4 Nachhaltigkeit
Es gibt mehrere Faktoren, die zur Nachhaltigkeit solcher Kooperationsprojekte beitragen.
Neben den Kooperationsverträgen, die auch ohne Rechtsverbindlichkeit
einen festen Rahmen schaffen und deren Unterzeichnung eine gute Möglichkeit zur medienwirksamen Öffentlichkeitsarbeit für Schulen und
Betriebe bietet, ist das die Verankerung im Schulprogramm. Alle schulischen Gremien beraten darüber und stimmen ab. Auf diese Weise entsteht Verbindlichkeit für alle in der Schule und Vernetzung mit anderen
Projekten der Schule z. B. im Übergang Schule–Beruf.
Ein weiterer Garant für Nachhaltigkeit ist die feste Verankerung im Fachunterricht. Das Regionale Bildungsbüro Herford bietet deshalb für KURSBeraterinnen und -Berater sowie für Fachlehrerinnen und Fachlehrer
Workshops zur Erstellung von Unterrichtsmaterialien unter Berücksichtigung neuer Formen des Lehrens und Lernens an. Die Anbindung an die
Fachcurricula gewährleistet ebenfalls das Primat schulischer Interessen in
den Kooperationen.
14
Die Projekte sind Beispiele für naturwissenschaftlichen Unterricht, der sich wirklich auf
dem Weg befindet context-based zu werden und nicht nur das Gelernte an einem Beispiel aus der Praxis zu illustrieren.
vier Faktoren
gewährleisten
Nachhaltigkeit
33303.book Seite 128 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
128 | Regionale Unterstützung und Steuerung
Evaluation als Instrument der Qualitätssicherung und -verbesserung ist
auch ein Instrument zur Schaffung von Nachhaltigkeit. In den Kooperationsverträgen wird vereinbart, dass die einzelnen Vorhaben in regelmäßigen Abständen von den Durchführenden evaluiert werden, um zu
überprüfen, ob und mit welchen Veränderungen sie in den Folgejahren
durchgeführt werden. Das verhindert, dass Unzufriedenheiten zu einem
Prozess des Ausschleichens führen. Die Schaffung von Kooperationsroutinen ist wichtiges Ziel aller Vereinbarungen. Denn Schulentwicklung
bedeutet letztlich, dass es nicht mehr vom Zufall des Lehrereinsatzes oder
der Klassenzuweisung oder der Jahresplanung abhängt, ob eine Schülerin
oder ein Schüler von bestimmen Projekten profitiert.
KURS braucht nicht zuletzt ein regionales Unterstützungssystem, durch
das Schulen und Unternehmen bei ihren Aktivitäten beraten und begleitet
werden, durch das eine Vernetzung der Kooperationen hergestellt und der
Erfahrungs- und Materialaustausch gefördert werden.
6.4.5 Unterrichtsentwicklung und beruflicher Erfolg
aus der Sicht eines
Unternehmens
Im Rahmen des Jahreskongresses 2005 der Stiftung der Wirtschaft und
des Schulministeriums in Nordrhein-Westfalen „Partner für Schule“ formulierte Matthias Landmesser von IBM Deutschland die „Anforderungen
an die Bildung aus Sicht eines Unternehmens: Die Zukunft von Bildung
ist Handeln“. Er belegte, dass nur ein schwacher Zusammenhang zwischen Schulnoten und beruflichem Erfolg nachweisbar ist, dass aber der
Korrelationskoeffizient zwischen beruflichem Erfolg und außerschulischen Aktivitäten doppelt so hoch ist. Das Entstehen von sozialer Kompetenz, von Lernbereitschaft und der Bereitschaft, Verantwortung zu
übernehmen, sei noch viel zu wenig in der Schule selbst verortet. Beruflicher Erfolg ist aber geknüpft an Handlungskompetenz – verstanden als
eine Kombination aus Fachkompetenz plus den notwendigen Einstellungen und Kompetenzen, diese zur Entfaltung zu bringen. In dem Umfeld
solcher Überlegungen sind KURS und Unterrichtsentwicklung gute Partner, die mithelfen, dass aus Wissen Verstehen und Handeln werden können.
33303.book Seite 129 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
7
Anschlussfähigkeit
Unterrichtsentwicklung auf der Basis der Förderung überfachlicher Kompetenzen kann kein geschlossenes Konzept sein. Nur wenn es offen und
anschlussfähig ist, entfaltet es seine Wirkung als Motor der Schulentwicklung.
7.1
Unterrichtsentwicklung und Neue Medien
Parallel zur Weiterentwicklung des in diesem Buch beschriebenen Konzepts der Unterrichtsentwicklung wurde auch in Nordrhein-Westfalen die
Entwicklung der Medienkompetenz über verschiedene Programme und
die e-nitiative mit ihren regionalen e-teams in allen Schulformen vorangetrieben.
Bereits im Vorläuferprojekt "Schule & Co." wurde in der Ausbildung von
Trainerinnen und Trainern für die Unterrichtsentwicklung in der Sekundarstufe ein Methodenbaustein II erprobt. Dabei werden in verschiedenen
Trainingsspiralen die Neuen Medien vor allem bei Rechercheaufgaben,
Informationsbearbeitung und Präsentationen genutzt. Schnell wurde
deutlich, dass auch bestimmte Arrangements im Kommunikationstraining und Teamtraining durch den Einsatz Neuer Medien unterstützt werden können. Dennoch war in der Regel eine systematische Einbindung in
Lehrertrainings schwierig, weil die Ausstattungsbedingungen der Schulen zu unterschiedlich waren. Zusätzlich hätten die unterschiedlichen
Qualifikationen der Lehrkräfte im Umgang mit Neuen Medien eine weitere hohe Adaptionsleistung der Schulen erfordert. Vor Ort ist es allerdings immer wieder auf Anforderung einer Schule möglich gemacht
worden, dass Mitglieder des e-teams und Trainerinnen und Trainer für die
Unterrichtsentwicklung auf differenzierte Unterstützungsanforderungen
schulspezifische Antworten fanden, die miteinander und aufeinander
abgestimmt waren.
Ein anderer Ansatz, die Ausbildung von Lernkompetenz und Medienkompetenz zu integrieren, wird zurzeit im Regierungsbezirk Detmold verfolgt.
Dort wird den Modellschulen in einer Modellregion im Herbst 2006 ein
Set an Modulen angeboten, die die Schulen für bestimmte Jahrgänge oder
Fächer anfordern können. Die Voraussetzung, dass die beteiligten Lerngruppen mindestens die drei Grundlagenbausteine erarbeitet haben, ist in
allen Modellschulen dieser Region gegeben. (Einige haben bereits den
SegeL-Baustein für Lehrerinnen und Lehrer erhalten.)
Ziel dieses Vorgehens ist sowohl die Pflege der im Rahmen der Unterrichtsentwicklungsarbeit aufgebauten Methoden-, Kommunikations- und
Methodenbaustein II
Schwierigkeiten
Zusammenarbeit
mit e-teams
neu: Set von
Modulen
33303.book Seite 130 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
130 | Anschlussfähigkeit
gemischte
Trainerteams
Teamkompetenzen durch die Nutzung neuer Medien als auch die Ergänzung und der Ausbau von Medienkompetenzen. Zur Vorbereitung wurden je eine Materialentwicklungsgruppe für die Primarstufe und die
Sekundarstufe eingerichtet, die aus Mitgliedern von e-teams und Trainerinnen und Trainern für die Unterrichtsentwicklung besteht. Die Arbeitsgruppe „Primarstufe und neue Medien“ hat für die Jahrgänge 1 bis 4
jeweils eine Trainingsspirale konzipiert. Das Thema dieser Trainingsspiralen heißt: „Zielgerichtetes Gestalten von Texten unter zunehmender
Nutzung von Formatierungsfunktionen eines Textverarbeitungsprogramms und die Einbindung von Grafiken“. Die entstandenen Trainingsspiralen wurden jeweils von den Entwicklern im eigenen Unterricht
erprobt und dann den Schulen der Modellregion von den gemischten Trainerteams als schulinterne Lehrerfortbildung angeboten.
7.2
Alle sind zuständig!
Unterrichtsentwicklung und Sprachförderung
Die großen Untersuchungen wie PISA haben auch für Nordrhein-Westfalen deutlich herausgearbeitet, dass Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund besondere Schwierigkeiten haben, ihr Potenzial in
schulische Leistungen umzusetzen. Da Sprache der Schlüssel zum schulischen Erfolg ist, muss dem sprachlichen Lernen vor allem für diese Zielgruppe eine viel größere Bedeutung beigemessen werden.
Wie beim Lernen in Fachzusammenhängen zeigt sich, dass Schülerinnen
und Schüler, die mit dem Konzept der Unterrichtsentwicklung systematisch an der Entwicklung ihrer Lernkompetenz arbeiten, ein bestimmtes
Maß an sprachlichen Kompetenzen als Voraussetzung benötigen. Haben
sie diese noch nicht und werden in Trainingsspiralen, Lernspiralen oder
Phasen selbst gesteuerten Lernens sprachlich überfordert bzw. gar nicht
oder nur teilweise erreicht, verlieren sie Entwicklungschancen und werden innerhalb ihrer Lerngruppe weiter benachteiligt.
Neue Formen des Deutschlernens können weder einem Unterrichtsfach
allein noch einem isolierten Förderangebot zugewiesen werden. Alle
Fächer müssen ihren Beitrag leisten; auch im Rahmen der Unterrichtsentwicklung kann ein spezifischer Anteil erbracht werden. Dabei können
Bestandteile des Konzepts gezielt genutzt werden, um sowohl im Mündlichen als auch im Schriftlichen die Sprachförderung zu unterstützen. Im
Methodentraining für die Sekundarstufe I gibt es z. B. drei aufeinanderfolgende Trainingsspiralen zum Lesen.
In diesem Feld der zielgruppenspezifischen Verbindung von Unterrichtsentwicklung und Sprachförderung gibt es seit längerem systematische
33303.book Seite 131 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Unterrichtsentwicklung und individuelle Förderung | 131
Entwicklungen und vielfältige Erfahrungen im Regierungsbezirk Köln
und einer Reihe von Modellschulen.1
7.3
Unterrichtsentwicklung und individuelle Förderung
Einer der größten Stressfaktoren im Schulalltag für Lehrerinnen und Lehrer ist der Zwang, mit immer inhomogeneren Lerngruppen arbeiten zu
müssen, mit immer unterschiedlicheren Schülerinnen und Schülern –
ohne dafür je wirklich ausgebildet worden zu sein, und das ihm Rahmen
von Bedingungen, die dafür wenig geeignet erscheinen. Gleichzeitig zeigen erfolgreiche PISA-Nationen wie Schweden, dass die Individualisierung des Lernens in der Schule ein zukunftsweisender Weg ist. Diese
Erfahrung wird gestützt von den Ergebnissen der Lehr- und Lernforschung, aber auch der Hirnforschung (vgl. Kap. 2.3). Im neuen Schulgesetz für Nordrhein-Westfalen wird ein Anspruch der Schülerinnen und
Schüler auf individuelle Förderung definiert. Die beschriebenen Trainings
müssen sich also auch daran messen lassen, inwieweit sie den Boden
bereiten für die Individualisierung des Lernens und damit individuelle
Förderung ermöglichen.
Eine wesentliche Voraussetzung für individualisiertes Arbeiten sind auf Seiten der Schülerinnen und Schüler die Kompetenzen, deren Erwerb Ziel der
Trainings ist. Nur die Schülerinnen und Schüler, die über das Methodenrepertoire des selbstständigen Lerners und dessen Motivation und Zielorientierung verfügen, sind auch in der Lage, außerhalb des gelenkten Unterrichts
in der Großgruppe erfolgreich zu arbeiten. Dabei spielen die kommunikativen und sozialen Kompetenzen eine wichtige Rolle; „denn auch individualisiertes Lernen ist ein ko-konstruktiver Prozess, d. h. verkürzt gesagt, wir
lernen durch andere.“2 Czerwanski zeigt an gelungenen Beispielen: „Bei der
Durchführung individualisierten Unterrichts ist es entscheidend, Zieltransparenz zu schaffen und systematisch an den notwendigen Voraussetzungen
der Schülerinnen und Schüler zu arbeiten. Dabei handelt es sich gerade um
jene Kompetenzen, die bei der Planung von Lernprozessen oft vernachlässigt
werden, weil sie als vorhanden vorausgesetzt werden. Der enge Zusammenhang zwischen diesen Kompetenzen und den Möglichkeiten der Individualisierung wird bisher zu wenig berücksichtigt.“3
1
2
3
Jaitner, T., „Sprachliches Lernen und Schulentwicklung“ in: KöBeS. Kölner Beiträge zur
Sprachdidaktik, Reihe A, Heft 4, Duisburg, erscheint voraussichtlich im Sommer 2006
Czerwanski, A., „Voraussetzung für Individualisierung schaffen. Von der Haltung der
Lehrenden bis zu den Kompetenzen der Lernenden“ in: PÄDAGOGIK Heft 1, Januar
2006, S. 11
Ebd., S. 14
PISA-Gewinner und
Wissenschaftler
weisen den Weg.
Individualisiertes
Lernen beruht auf
Basiskompetenzen.
33303.book Seite 132 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
132 | Anschlussfähigkeit
Lehrerinnen und
Lehrer als
Lernberater
neue Rolle –
neue Zeitbudgets
nicht ohne diagnostische Kompetenz
Aufgaben der Fächer
Baumert:
Leistungsheterogenität und
Gleichheit der
Ansprüche
Auf Seiten der Lehrerinnen und Lehrer hat das eigenständigere und individuellere Arbeiten der Schülerinnen und Schüler entscheidend mit der
Veränderung ihrer eigenen Rolle zu tun (vgl. Kap. 3.4) – und zwar in doppelter Hinsicht. Der Lehrer und die Lehrerin, die öfter im Alltag eine stärker begleitende und beratende Rolle einnehmen, fördern die
Eigenständigkeit der Schülerinnen und Schüler. Umgekehrt ermöglicht
die Eigenständigkeit der Schülerinnen und Schüler den Lehrerinnen und
Lehrern, das Vertrauen zu entwickeln, dass die unterschiedlichsten
Methoden wie z. B. Lernverträge und Förderpläne, Lerntagebücher und
Portfolios4 greifen können, weil die notwendigen Voraussetzungen bei
den Schülerinnen und Schülern geschaffen sind.
Der Kreis schließt sich zur Eingangsbeobachtung dieses Abschnittes,
wenn man die Feststellung trifft, dass selbstständiger arbeitende Schülerinnen und Schüler das Zeitbudget der Unterrichtenden entlasten und
Freiräume schaffen für die Arbeit mit einzelnen Schülerinnen und Schülern und damit für jegliche Variante individueller Förderung.
Neben ausreichend Zeit wird aber auch diagnostische Kompetenz
gebraucht. Egal welche Form individuelle Förderplanung haben soll, der
Ausgangspunkt für den weiteren Ausbau bereits erreichter Stärken muss
genau so präzise bestimmt werden wie die noch zu bearbeitenden Schwächen. Dann ist es auch möglich, in gewissen Zeitabständen zu erheben, ob
und wie weit individuelle Fördermaßnahmen Schwächen verringert und
Stärken stabilisiert oder vergrößert haben. In diesem Zusammenhang sei
noch einmal daran erinnert, was in Kap. 3.4.2 zur Diagnose fachlicher und
überfachlicher Kompetenzen gesagt wurde. Auch für die individuelle Förderung gilt: Wenn es um fachliche Kompetenzen geht, ist die individuelle
Förderung nicht im Rahmen des in diesem Buch beschriebenen Ansatzes
möglich, sondern fällt in den Aufgabenbereich der einzelnen Fächer.
Bei aller Leistungsheterogenität darf nicht vergessen werden, dass alle
Schülerinnen und Schüler gleiche Ansprüche haben. Baumert fordert
unter Hinweis auf die Bildungskommission: „Im Zusammenhang eines
universellen Angebots von Lerngelegenheiten und der Logik des individuellen Kompetenzerwerbs zeigt sich, dass Ergebnisgleichheit kein sinnvolles Bildungsprogramm sein kann und dass der Umgang mit Heterogenität
im Sinne von Akzeptanz und Förderung von Unterschiedlichkeit zum
Kern der schulischen Arbeit gehört. Gleichheitsansprüche werden allerdings dann unabweisbar, wenn man die Frage aufwirft, ob die Schule ihre
vornehmste Aufgabe, nämlich die Voraussetzungen für selbstständiges
Weiterlernen und eine verantwortungsvolle gesellschaftliche Teilhabe für
4
Vgl. die anderen Artikel des PÄDAGOGIK-Heftes 1, 2006 mit dem Gesamtthema „Individualisierung“
33303.book Seite 133 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Unterrichtsentwicklung, fachliche Fortbildung und standardorientierte Unterrichtsentwicklung | 133
die gesamte nachwachsende Generation zu sichern, auch tatsächlich
erfüllt. Hier zählt Gleichheit – ausnahmslos.“5
7.4
Unterrichtsentwicklung, fachliche Fortbildung
und standardorientierte Unterrichtsentwicklung
Das vorliegende Konzept zur Unterrichtsentwicklung zielt auf die Entwicklung der Lernkompetenz der Schülerinnen und Schüler. Die in Trainingsspiralen vermittelten Teilkompetenzen lassen sich in vielen
Unterrichtsfächern in Lernspiralen anwenden. Darüber hinaus sind fachspezifische Kompetenzen zu erlernen, wie sie z. B. in den Kernlehrplänen
beschrieben sind und in Lernstandserhebungen und Abschlussprüfungen
eingefordert werden. Dazu ist es sinnvoll, spezifische Fortbildungen für
Jahrgangsteams von Fachlehrerinnen und Fachlehrern als Ergänzung der
fachübergreifenden Unterrichtsentwicklung anzubieten. Dieses Vorgehen, das zurzeit in verschiedenen Regierungsbezirken Nordrhein-Westfalens vorbereitet wird, nutzt die im Modellvorhaben "Selbstständige
Schule" entwickelten internen Lernstrukturen der Schulen. Die auf den
vier Trainingsbausteinen zur Unterrichtsentwicklung aufbauenden
ergänzenden Fachmodule werden von Arbeitsgruppen aus Fachmoderatoren und Unterrichtsentwicklungs-Trainern gemeinsam entwickelt und
den Schulen angeboten, die einen gewissen Entwicklungsstand in der
Unterrichtsentwicklung erreicht haben. Ähnlich wie bei den ergänzenden
Bausteinen zur Vermittlung von Medienkompetenz, bietet sich für das
Lehrertraining ein Moderatorenteam mit je einem Experten/einer Expertin aus beiden Bereichen an.
Fachmodule, die ohne die Grundlagen aus der fachübergreifenden Unterrichtsentwicklung angeboten werden, erreichen – wie Fortbildungen in
den vergangenen Jahrzehnten – maximal die Fachgruppe einer Schule.
Wenn jedoch neue Impulse für die Kompetenzentwicklung nur von einer
Fachgruppe aufgenommen werden, gibt es keinerlei Sicherheit dafür, dass
Schülerinnen und Schüler einer Klasse in der Entwicklung ihrer Lernkompetenz auch in den anderen Fächern von anderen Lehrkräften gefordert
und gefördert werden. Darüber hinaus können dadurch zwar Teamentwicklungsprozesse auf der Ebene der Fachlehrkräfte gefördert werden,
aber nicht auf der für die Lernkompetenzentwicklung innerhalb einer
Lerngruppe notwendigen Ebene der Klassen-, Jahrgangs- oder Bildungsgangteams. Selbst wenn eine Sekundarschule das Angebot der fachlichen
Qualifizierung in den drei Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch
suchen und erhalten würde, wäre dann systematische Unterrichtsentwick5
Baumert, J. (2006), S. 43
Ein neuer Weg:
Fachmodule bauen
auf überfachliche
Unterrichtsentwicklung auf.
Interne Lernstrukturen der Schulen
nutzen!
Nachteile des traditionellen Weges
33303.book Seite 134 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
134 | Anschlussfähigkeit
Fachliche
Unterrichtsentwicklung ist
nötig!
Verhältnis zur
„Standardorientierten UE“
lung als Schulentwicklung immer noch eine deutlich über diesen Ansatz
der Entwicklung in drei Kernfächern hinausgehende Anforderung.
Um jedes Missverständnis zu vermeiden, soll auch an dieser Stelle betont
werden, dass fachliche Unterrichtsentwicklung dringend notwendig ist,
allerdings als Ergänzung einer alle Lehrkräfte und alle Schülerinnen und
Schüler erreichenden überfachlichen Unterrichtsentwicklung. Eine isoliert auf maximal drei Fächer angelegte Unterrichtsentwicklung wird
keine die gesamte Schule nachhaltig in Bewegung setzende Schulentwicklung erzeugen. Warum sie die Fachleistungen der Schülerinnen und
Schüler eher verbessern können soll als die Fachfortbildungsmaßnahmen
der Vergangenheit, erschließt sich ebenfalls nicht zwangsläufig. Die Idee,
einen Prozess der fachlichen Fortbildung zu beginnen und später in
einem überfachlichen Ansatz aufgehen zu lassen, ist nicht Erfolg versprechend. Schulentwicklungsprozesse sind in der Sekundarstufe schon heute
unter anderem deshalb schwierig, weil die Verengung auf das Selbstverständnis als Fachlehrerinnen und Fachlehrer bei vielen Lehrerinnen und
Lehrern Veränderungsprozessen im Wege steht. Wenn dieses Selbstverständnis durch einen Schulentwicklungsprozess, der in drei Fächern
beginnt, weiter verstärkt wird, wird der später folgende Versuch einer
überfachlich orientierten Kompetenzentwicklung auf noch größere
Schwierigkeiten stoßen. Vor allem der über die Fachteams hinausgehende
Teamgedanke und – noch viel wichtiger für eine veränderte Lernkultur –
die Arbeit an der eigenen Lehrerrolle werden durch ein zementiertes Fachlehrerdenken weniger befördert als behindert.
Die Frage, welcher von zwei Ansätzen welchem folgen sollte, stellt sich
auch, wenn es um das Verhältnis des hier beschriebenen Ansatzes der
überfachlichen Entwicklung der Lernkompetenz und der „Standardorientierten Unterrichtsentwicklung (Sekundarstufe I)“ geht, wie sie im Landesinstitut für Schule NRW in Soest erarbeitet wurde. Der auf die Fächer
Mathematik, Deutsch und Englisch gerichtete Ansatz stellt eine sinnvolle
– auf den Grundlagentrainings des Konzepts zur überfachlichen Unterrichtsentwicklung aufbauende – Ergänzung um notwendige fachliche
Kompetenzen dar. Beim Vergleich mit den Trainingsspiralen werden die
vielen Schnittstellen in den Modulen zur Veränderung der Lehr- und Lernkultur, der Aufgabenkultur und einiger Förderstrategien schnell deutlich.
Das Einbauen bestimmter Fortbildungsmodule der standardorientierten
Unterrichtsentwicklung in das Implementationskonzept zur fachübergreifenden Unterrichtsentwicklung wird Schulen nicht schwerfallen, die
ein innerschulisches System für das Lernen auf der Ebene der Lehrkräfte
entwickelt und eingeführt haben. (vgl. Kap. 4.1 und 4.2.1)
33303.book Seite 135 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
8
Qualitätssicherung
8.1
Schulen evaluieren intern
8.1.1 Evaluationsberaterinnen und -berater
Evaluation war eine Zeit lang in manchen Schulen ein Reizwort und wurde
dementsprechend als Mode abgetan, die in der nächsten oder spätestens
übernächsten Saison vorüber sein würde. Man müsse nur lange genug
warten.
Allerdings verbirgt sich hinter der Aufforderung an die Schulen, die
eigene Arbeit selbst zu evaluieren und von anderen evaluieren zu lassen,
ein kompletter Paradigmenwechsel in der Schulentwicklungsdiskussion,
der nicht mehr so ohne Weiteres umkehrbar sein wird. In den letzten 20
bis 30 Jahren hat sich nämlich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein noch
so guter Input (Lehrerausbildung, Lehrpläne, Ausstattung) offensichtlich
nicht notwendigerweise gute Qualität in Schule hervorbringt. Qualität, so
weiß man heute, ist eine Leistung der Einzelschule und muss im Kern vor
Ort erzeugt werden. Die zunehmende Gestaltung der Schule in und durch
die Schule selbst sowie die entsprechende Unterstützung von Seiten der
Administration kann als Entwicklung von der Inputsteuerung hin zur
Outputsteuerung bezeichnet werden.
Gestaltungsfreiräume bedingen, dass in der Schule ein Verständigungsprozess stattfinden muss über die Ziele und die Art der gemeinsamen
Arbeit. Dazu bedarf es einer angemessenen Organisation von kollegiumsinterner Kommunikation und von Verfahren einer permanenten Vergewisserung über die eigene Arbeit; denn Gestaltungsfreiräume bedingen
auch Rechenschaftslegung.
Wenn eine Schule sich in einen so aufwändigen Prozess der systematischen Weiterentwicklung der Qualität des Unterrichts wie den beschriebenen begibt, so wird sie ein Interesse daran haben, sich der Qualität der
geleisteten Arbeit immer wieder zu vergewissern und das Erreichte abzusichern. Diesem Ziel dient Evaluation.
Evaluation im dargestellten Sinne von Qualitätssicherung richtet sich
sowohl auf die gesamtschulische und regionale Qualitätsentwicklung als
auch auf die Systematisierung von Selbstreflexion als Teil des professionellen Selbstverständnisses einer jeden Lehrerin und eines jeden Lehrers.
Diese systematische Reflexion ist aus zwei Gründen notwendig: Einerseits
erfordert die Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern ein beständiges Überprüfen und Hinterfragen der eigenen Voreinstellungen und Vorurteile –
andererseits bedarf die Heterogenität der Schülerschaft einer offenen und
entdeckenden Haltung, die immer wieder Neues aufzuspüren bestrebt ist.
Von der Input- zur
Outputsteuerung
Evaluation als Qualitätssicherung
Evaluation auf
drei Ebenen
33303.book Seite 136 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
136 | Qualitätssicherung
Wie entsteht
Evaluationskultur?
strategische
Evaluationskompetenz
methodische
Evaluationskompetenz
Erfahrungen haben allerdings gezeigt, dass die Etablierung einer Evaluationskultur in der Schule weder allein dadurch zustande kommt, dass man
die Leitungs- und Steuerungsebenen einer Schule hinsichtlich ihrer speziellen Aufgaben und Rollen im Rahmen der Qualitätsentwicklung der
Schule fortbildet und damit die strategische Evaluationskompetenz in der
Schule sicherstellt, noch dadurch, dass man lediglich Personen in der
Schule mit den notwendigen methodischen Kenntnissen zur Durchführung von Evaluationsvorhaben ausstattet. Vielmehr müssen verschiedene
Maßnahmen ineinander greifen.
Im Projekt "Selbstständige Schule" gibt es deshalb in den jeweiligen Fortbildungsangeboten für Steuergruppen und Schulleiterinnen und Schulleiter Module zur strategischen Evaluationskompetenz. Sie verfügen
damit über das Wissen, warum und wozu Evaluation eingesetzt wird, verbunden mit der Fähigkeit, die übergeordneten Prozesse zu initiieren und
zu steuern. Diese Prozesse müssen jedoch auch methodisch begleitet werden. Sogenannte Evaluationsberaterinnen und -berater stellen sicher, dass
das methodische Know-how in der Schule vorhanden ist.1
Sie sind Dienstleister für die eigene Schule und arbeiten auf Anforderung.
Sie beraten in allen Arbeitsschritten eines Evaluationszirkels: bei der Findung von Kriterien und Indikatoren für die gewünschte Fragestellung, bei
der Methodenwahl und der Datenerhebung, bei der Analyse der Daten und
Ergebnisse, bei der Interpretation von Ergebnissen. Sie unterstützen Lehrerinnen und Lehrer bei ihren Bemühungen, ihre eigene Arbeit zu evaluieren. Sie arbeiten nicht im Auftrag der Schulleitung, auch nicht im
Auftrag der Steuergruppe, sondern ausschließlich im Auftrag des/r Einzelnen oder der Gruppe, die Genaueres über den Erfolg der eigenen Arbeit
wissen möchten. Sie leisten also „Hilfe zur Selbsthilfe“.
Wenn Evaluation an einer Schule von Schulleitung und Steuergruppe strategisch sinnvoll implementiert und von den Evaluationsberaterinnen und
-beratern methodisch gut unterstützt wird, dann kann sie sich zu einem
Instrument entwickeln, das der stetigen Verbesserung der schulischen
Arbeit und im Kern des Unterrichts dient. Insofern ist sie dann auch integraler Bestandteil von Unterrichtsentwicklung.
8.1.2 SEIS
Was ist SEIS?
SEIS (Selbstevaluation in Schulen) ist ein Instrument, das die Bertelsmann
Stiftung Schulen anbietet, die – ohne selbst aufwändig Instrumente zu entwickeln – wissen möchten, wo sie stehen.2 Sie können das tun, indem sie
die Einschätzungen unterschiedlicher Gruppen in der Schule (Schülerin1
2
Zur Qualifizierung dieser Evaluationsberaterinnen und -berater vgl. Herrmann, J./
Höfer, C./Weisker, K. (2004)
www.das-macht-schule.de
33303.book Seite 137 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schulen evaluieren intern | 137
nen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter) zu identischen Fragekomplexen miteinander vergleichen,
indem sie nach mehrmaligem Einsatz über einige Jahre hinweg ihre eigenen Ergebnisse im Sinne eines Längsschnitts zueinander in Beziehung setzen und so ihre Entwicklung ablesen, und sie können sich mit anderen
Schulen unterschiedlicher Referenzgruppen vergleichen. Wichtig für die
Schulen ist dabei zweierlei: Das Instrument hat sich in einem internationalen Praxistest bewährt, in Deutschland benutzen es zurzeit (Stand Juli
2006) ca. 1600 Schulen. Die einzelne Schule kann sich also eines bewährten Instruments bedienen. Ebenso bedeutsam ist, dass sie gewiss sein
kann, Herrin ihrer Daten zu sein. Es geht nicht um Ranking, es geht nicht
um Öffentlichkeit, sondern es geht darum, dass die Schule ihren eigenen
Schulentwicklungsprozess einschätzen und planen kann.
Um beurteilen zu können, ob SEIS den Prozess der Unterrichtsentwicklung im Kern von Schulentwicklung unterstützen kann, muss man das
Qualitätsverständnis betrachten, das dem Instrument zugrunde liegt. Es
wurde in einem internationalen Netzwerk mit Experten aus der Wissenschaft und aus der Schulpraxis erarbeitet und wird in fünf Dimensionen
mit insgesamt 25 Kriterien beschrieben (vgl. Abb. 23).
Während bei der ersten und der letzten dieser Dimensionen Ergebnisse im
Blickfeld stehen, beziehen sich die drei mittleren Dimensionen auf die in
der Schule ablaufenden Prozesse. Etwa 60 % der den Kriterien zugeordneten Indikatoren betreffen unmittelbar den Unterricht, sie ordnen sich
schwerpunktmäßig den Dimensionen I und II zu. Im zugrunde liegenden
Leitbild wird die Sach- und Fachkompetenz in ihrer Bedeutung hervorgehoben, ihr zur Seite werden aber andere Kompetenzen gestellt: „Die Qualitätsdimension Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrages
beschränkt sich jedoch nicht nur auf fachliche Kompetenz, sondern legt ein
weitaus umfassenderes Kompetenzmodell zugrunde. Neben der Fachkompetenz stehen Sozial-, Lern- und Methodenkompetenz ebenso wie Selbstkompetenz und praktische Kompetenz. Um lebenslang lernen zu können,
müssen Schüler über anwendungsfähiges Wissen und Sachkenntnis verfügen, über ein Repertoire an Kommunikationsfähigkeiten und -fertigkeiten, Arbeits- und Lerntechniken sowie die Fähigkeit zur Reflexion des
Gelernten und zur Selbsteinschätzung. Neben dem umfassenden Kompetenzmodell sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Institutionen
und damit die Vermeidung von Brüchen und Lücken in der Bildungsbiografie der Kinder und Jugendlichen ein fundamentaler Bestandteil dieser
Qualitätsdimension, der durch zwei Kriterien abgebildet wird.“3
3
Ebel, C./Grieser, D./Mahlmann J., „Das gemeinsame Qualitätsverständnis als Ausgangspunkt für Schulentwicklung“ in: Stern, C. u. a., Hrsg., Bessere Qualität in allen Schulen.
Praxisleitfaden zur Einführung des Selbstevaluationsinstrumentes SEIS in Schulen,
Gütersloh 2006, S. 59 f.
Qualitätsverständnis
33303.book Seite 138 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
138 | Qualitätssicherung
Schulqualität in fünf Dimensionen
Bildungs- und
Erziehungsauftrag
Lernen und Lehren
Führung und
Management
Schulklima und
Schulkultur
Fach- und
Sachkompetenz
Lern- und
Lehrstrategien
Leitbild und
Entwicklungsvorstellungen
Schulklima
Sozialkompetenz
Ausgewogener
Unterricht
Entscheidungsfindung
Beziehungen innerhalb
der Schule
Erfüllung der Bedürfnisse der SchülerInnen
(Elternwahrnehmung)
Lern- und Methodenkompetenz
Bewertung von
Schülerleistungen
Kommunikation
Beziehungen der
Schule nach außen
Zufriedenheit der
LehrerInnen
Operatives
Management
Förderung positiven
Verhaltens
Praktische Kompetenz
Motivation und
Unterstützung
Unterstützungssystem
für SchülerInnen
Erfüllung der
Anforderungen aufnehmender Schulen
Planung,
Implementierung und
Evaluation
Erfüllung der
Anforderungen der
Berufswelt
Personalentwicklung
Selbstkompetenz und
Fähigkeit zu kreativem
Denken
Zufriedenheit
Erfüllung der Bedürfnisse der SchülerInnen
(Schülerwahrnehmung)
©©Selbstständige
Bertelsmann Stiftung
Schule
Abb. 23: Schulqualität in fünf Dimensionen
Die leeren Rechtecke symbolisieren die mögliche Ergänzung durch schulindividuelle oder
regionenspezifische Fragestellungen.
Es gibt demnach grundsätzliche Überschneidungspunkte zum beschriebenen Konzept der Unterrichtsentwicklung. SEIS kann in seiner standardisierten Form einer Schule in verschiedenen Phasen bezüglich
Unterrichtsentwicklung dienlich sein. Bestimmte Fragestellungen der
SEIS-Fragebögen können im Sinne einer Eingangserhebung genutzt werden, um einige Hinweise dafür zu bekommen, in welchen Bereichen am
Unterricht gearbeitet werden muss. SEIS kann aber auch genutzt werden,
wenn der Prozess der Unterrichtsentwicklung bereits begonnen hat oder
schon weiter fortgeschritten ist, um mögliche Fortschritte datengestützt
beschreiben zu können und konkrete Hinweise zur Optimierung der
Umsetzungsarbeit zu erhalten. Sollten der einzelnen Schule die durch das
Standardinstrument zu erhebenden Daten für ihre weitere Arbeit nicht
detailliert oder passgenau genug sein, so hat sie die Möglichkeit, sie in
einem gewissen Umfang durch schulindividuelle Fragestellungen zu
ergänzen. (Das gilt auch für regionenspezifische Fragestellungen.) SEIS
erzeugt Prozessdaten und erhebt keine Schülerleistungen, aber die Ergebnisse von SEIS können mit den der Schule vorliegenden Daten aus den
jährlichen Lernstandserhebungen und in den Sekundarschulen ab 2007
auch mit den Ergebnissen aus den zentralen Abschlussprüfungen verknüpft werden.
33303.book Seite 139 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schulen werden extern evaluiert | 139
Es bleibt festzuhalten: SEIS gewährt einen Blick auf die Schule als Gesamtsystem im Sinne einer „Flächenbohrung“. Fragt man nach einzelnen
Maßnahmen oder fragt der Einzelne nach der Wirksamkeit seiner Arbeit,
dann muss Evaluation in dem Sinne betrieben werden, wie sie in Kap. 8.1.1
beschrieben wird, also im Sinne einer „Tiefenbohrung“.
8.2
SEIS als
Flächenbohrung
Schulen werden extern evaluiert
8.2.1 Lernstandserhebungen
Im Herbst 2004 haben alle Schulen in NRW, auch die Projektschulen,
erstmals Lernstandserhebungen durchgeführt, und die Bedenken in den
Schulen waren groß. Lernstandserhebungen sind ein neues DiagnoseInstrument. Anschließend ist nun „Therapie“ gefragt. Schulen fühlen sich
weitgehend allein gelassen bei der Frage, wie sie die Ergebnisse der Lernstandserhebungen interpretieren und daraus praktische Konsequenzen
für den alltäglichen Unterricht ableiten und umsetzen können. Das in diesem Band dargestellte Programm zur Unterrichtsentwicklung bietet einen
„ganzheitlichen“ Ansatz. In den folgenden Abschnitten werden Überlegungen aufgegriffen, die in Kap. 7.4 zum Thema „Anschlussfähigkeit“
erstmals auftauchen und hier noch einmal etwas ausführlicher dargelegt
werden sollen.
Bildungsstandards sind eine der deutschen Antworten auf den TIMSSPISA-Schock und trafen im Schuljahr 2004/05 in der Form von Lernstandserhebungen ganz konkret auf den Alltag von nordrhein-westfälischen Schulen. Mithilfe von Lernstandserhebungen soll u. a. evaluiert
werden, ob die Bildungsstandards, die in den aktuellen Kernlehrplänen für
die Grundschule und die Sekundarstufe I ihren Ausdruck finden, zu
bestimmten Zeitpunkten der Schülerlaufbahn erreicht werden. Mit dieser
Setzung vollzieht sich die erwähnte bildungspolitische Umsteuerung:
Was ein(e) Schüler(in) lernt, orientiert sich in erster Linie nicht mehr an
vorgegebenen Inhalten, sondern an zu erreichenden Ergebnissen. Diese
Ergebnisse werden als Kompetenzen beschrieben und sind an bestehende
Fächer angebunden.4
Auch die Bildungsstandards beziehen sich auf den Weinert’schen Kompetenzbegriff (vgl. Kap. 2.2). Klieme weist darauf hin, dass diese Definition
inzwischen „in Deutschland zum Referenzzitat geworden“ sei, „auf das
4
PÄDAGOGIK, Heft 6, Juni 2004 mit dem Titel „Standardisierung konkret“ stellt die Kontroverse um Bildungsstandards dar.
Bildungsstandards
33303.book Seite 140 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
140 | Qualitätssicherung
KMK-Standards
definieren
Kompetenzen für
Schulfächer.
Unterrichtsentwicklung beginnt bei
überfachlichen
Kompetenzen.
Was folgt auf die
Diagnose?
sich viele Bemühungen um Bildungsstandards und Kompetenzmodelle
beziehen.“5
Die KMK hat daraus den Beschluss abgeleitet, mit ihren Standards Kompetenzen für bestimmte Schulfächer zu definieren. Dafür werden sowohl
pragmatische Überlegungen (Anschlussfähigkeit an die Tradition der
Lehrplanarbeit und die Ausbildungs- und Kompetenzstruktur der Lehrerinnen und Lehrer) als auch lernpsychologische Überlegungen angeführt,
womit hier der Zweifel an der Transferierbarkeit von Schlüsselqualifikationen gemeint ist.6 Lernstandserhebungen sollen das Erreichen
bestimmter Standards von fachlichen Kompetenzen überprüfen.
Die im Projekt "Selbstständige Schule" angebotenen Trainings für Lehrerinnen und Lehrer und in der Folge für Schülerinnen und Schüler setzen
dagegen bei den überfachlichen Kompetenzen an. Es ist bereits dargestellt
worden, dass damit keineswegs der Vorschlag verbunden ist, überfachliche Kompetenzen außerhalb der traditionellen Schulfächer, Bereiche
oder Lernsituationen zu lehren und zu lernen, also womöglich ein Fach
„Lernen lernen“ zu etablieren. Die Entscheidung dafür, in den Trainings
zuerst Grundlagen bei überfachlichen Kompetenzen zu legen, basiert vielmehr auf den erläuterten Erkenntnissen über Schulentwicklungsprozesse
und (damit eng verbunden) lernpsychologischen Überlegungen, die
sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrerinnen und Lehrer betreffen. Hier sei an die Vorteile der „professionellen Lerngemeinschaften“ von
Lehrerinnen und Lehrern erinnert und die Effektivitätssteigerung des Lernens auf Seiten der Schülerinnen und Schüler, wenn Lernangebote
erkennbarer und systematischer miteinander verknüpft werden.
Diagnostizieren und „ganzheitlich therapieren“
Die Lernstandserhebungen in NRW werden in den drei Fächern Deutsch,
Englisch und Mathematik durchgeführt. Sie sind Diagnose-Instrumente,
die einen landesweiten Vergleich ermöglichen und dennoch den Schulen
mit ihren eigenen Profilen gerecht werden sollen. VERA und LSE7 sollen
den Schulen ein Werkzeug bieten, mithilfe dessen sie die Ergebnisse ihrer
Arbeit einschätzen und sich im Vergleich zu anderen Schulen verorten
können. Sie werden zwar als „Instrumente zur Verbesserung des Unterrichts und seiner Ergebnisse“8 bezeichnet. Über eine „Therapie“ ist jedoch
damit nichts ausgesagt, wenn denn die Diagnose ergeben sollte, dass Maß-
5
6
7
Klieme, E., „Was sind Kompetenzen und wie lassen sie sich messen?“, im o. a. PÄDAGOGIK-Heft, S. 12
Vgl. Klieme, E. (06/2004)
Vergleichsarbeiten in der Grundschule bzw. Lernstandserhebungen in Stufe 9 der weiterführenden Schulen
33303.book Seite 141 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schulen werden extern evaluiert | 141
nahmen einzuleiten sind.9 „Therapie“ meint hier den aktiven Umgang
mit Daten und Erkenntnissen, die verbessernde Maßnahmen nahelegen.
Die Tatsache, dass nur in drei Fächern getestet wird, wird in vielen Fällen
vor allem zu Maßnahmen führen, die auf fachdidaktisch und fachmethodisch begründeten Verbesserungsvorschlägen für genau diese Fächer
beruhen. Falls sich jedoch die Maßnahmen auch längerfristig ausschließlich auf diese drei Fächer beschränken, muss das als zu kurz gegriffen
betrachtet werden. Falls jedes der drei Fächer zu grundsätzlich unterschiedlichen Therapiemaßnahmen greift, muss das als bedenklich, weil
häufig kontraindiziert, betrachtet werden. In jedem Fall aber sollten die
Maßnahmen nicht punktuell und kurzfristig konzipiert sein, sondern als
grundständiges, systematisches, langfristiges Programm angelegt, das
eine nachhaltige Entwicklung garantiert und jeden Schüler und jede Schülerin erreicht. Wenn sich bei den ab kommendem Schuljahr in den Stufen
3 oder 8 erhobenen Daten Erkenntnisse ergeben, die Veränderungen notwendig erscheinen lassen, muss das von den zukünftigen Jahrgängen
1 bzw. 5 an zu Folgen im Fachunterricht führen, also vom gesamten System aufgenommen werden.
Scheinbar schnell greifende Maßnahmen sind auch deshalb fraglich, weil
sich die Standards selbst noch in der Entwicklung befinden. Steinert und
Klieme konstatieren: „Die Fundierung und Operationalisierung der Standards an fachdidaktisch begründeten und empirisch validierten Kompetenzmodellen steht noch aus, weil entsprechende Aufgabenpools und
Testinstrumente z.T. erst entwickelt und an entsprechenden Stichproben
überprüft werden müssen.“10 Damit sollte auch die Gelassenheit möglich
sein, Bildungsstandards im Sinne Kliemes eher als „Instrument der
Zielklärung und dann erst ein Diagnoseinstrument“ zu verstehen. „Sie
fordern dazu heraus, sich innerhalb der Schule zu verständigen, worauf es
8
Burkard, C./Orth, G., „NRW entwickelt das System der Lernstandserhebung zu Beginn
der Klassen 4 und 9 weiter“ in: SchulVerwaltung NRW Nr. 4/2004, S. 100. Dort heißt es
an anderer Stelle: „Gemeinsam mit weiteren Ergebnissen schulinterner Evaluation
(bspw. im Rahmen der Schulprogrammarbeit) stellen Lernstandserhebungen eine aussagekräftige Datengrundlage für die Schul- und Unterrichtsentwicklung dar.“
9 Vgl. Steinert, B./Klieme, E., „Was kommt mit der Einführung der KMK-Bildungsstandards auf die Schulen zu?“ in: SchulVerwaltung NRW Nr. 2/2004, S. 39: „Zur Lösung der
Probleme reicht es selbstverständlich nicht aus, Erwartungen an die Lernresultate zu
formulieren und deren Einhaltung zu überprüfen. Die Ergebniserwartungen
(= Bildungsstandards) müssen ergänzt werden um Maßnahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung und der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderem
Unterstützungsbedarf.“
10 Ebd., S. 41
systematisch und
langfristig statt
punktuell und
kurzfristig!
Entwicklungen
brauchen Zeit.
33303.book Seite 142 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
142 | Qualitätssicherung
VERA und LSE
unterstützen UE.
„Ganzheitlichkeit“
ankommt, was wir für alle Schüler sichern wollen, welche Kompetenzen
wir in welchen Schritten fördern wollen.“11
Mit Gelassenheit sollten auch jene Schulen auf Lernstandserhebungen
reagieren können, die sich bereits in einem systematischen Prozess der
Unterrichtsentwicklung befinden. Lernstandserhebungen können ihnen
helfen, das Erreichte zu überprüfen und evtl. Neujustierungen vorzunehmen. Sie könnten den Blick der Fachteams auf die Pflegemaßnahmen und
die Anwendungsmöglichkeiten für selbstständiges Lernen in den drei
beteiligten Fächern fokussieren.
Vor der Einführung der Lernstandserhebungen waren Schulen bei der
Unterrichtsentwicklung nur begrenzt in der Lage in eigener Regie zu evaluieren, wie weit und wie sicher die Schülerinnen und Schüler bestimmter
Lerngruppen die in Sockeltrainings und Pflegemaßnahmen vermittelten
Kompetenzen erreicht hatten. Wenn die Ergebnisse und konkreten Aufgabenstellungen aus diesem Blickwinkel analysiert werden, stehen heute
Erkenntnisse zum Optimierungsbedarf in den Jahrgangsstufen vor den
Lernstandserhebungen zur Verfügung. In jeder Aufgabe der Lernstandserhebungen werden nämlich auch Kompetenzen aus der überfachlichen
Unterrichtsentwicklung gefordert.
Das im Projekt angebotene Konzept von Unterrichtsentwicklung eignet
sich als Antwort nicht nur für Schulen, die LSE und VERA zu der Erkenntnis gebracht hat, dass in vielen Bereichen Unterricht grundsätzlich verbessert werden muss, sondern es eignet sich auch für Schulen, die nach
den Lernstandserhebungen differenzierte Aussagen über Stärken und
Schwächen machen können, weil es ein Konzept ist, das an unterschiedlichen Punkten ansetzen kann, unterschiedliche Bereiche akzentuieren
kann. Es ist anschlussfähig und adaptierbar – ohne dass dabei schulindividuell erfolgreiche Traditionen verlassen werden müssen.
Gleichzeitig wird aber eine umfassende und systematische Unterrichtsentwicklung als Schulentwicklung ermöglicht. In diesem Sinne meint
„Ganzheitlichkeit“ (fernab des Mythos)
die Anschlussfähigkeit an schulindividuelle Wege und Profile,
einen systematischen Prozess,
z eine Entwicklung, die langfristig alle Schülerinnen und Schüler mit
ihren jeweils individuellen Fähigkeiten erreicht und
z einen Prozess der Reorganisation von Schule mit dem Ziel, die Lernund Arbeitsbedingungen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern bestmöglich zu gestalten.
z
z
11
Interview mit E. Klieme „Bildungsstandards: Motivation, Interesse, Wissen und Handlungsfähigkeit“ in: Neue Lernkultur. Netzwerkzeitung für die pädagogische Schulentwicklung 04/2004, S. 4
33303.book Seite 143 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schulen werden extern evaluiert | 143
Werden Lernstandserhebungen und Unterrichtsentwicklung so aufeinander bezogen, dann dürften auch die Befürchtungen von Rolff nicht mehr
zutreffen, dass das passieren könnte, was Regelstandards12 möglicherweise induzieren: „Das Niveau wird erhöht, aber man tut nichts für die
Schulen selber: für die Schulentwicklung, für die Unterstützung der Lehrkräfte und eine bessere Lehrerausbildung […]. Karl Kraus hat einmal
gesagt: Das Niveau wird höher, aber die Schule nicht besser.“13
Karl Kraus möge
widerlegt werden!
8.2.2 Kernlehrpläne und standardisierte Abschlussprüfungen
Infolge der Verständigung der KMK auf bundesweite Bildungsstandards
wurden in Nordrhein-Westfalen 2003 neue Lehrpläne für die Primarstufe
und 2005 Kernlehrpläne für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch für alle Schulformen der Sekundarstufe I sowie ergänzend für das
Gymnasium Französisch und Latein ab Klasse 5 in Kraft gesetzt. Sie folgen
dem Paradigmenwechsel zur Orientierung an zu erreichenden Kompetenzen. Damit werden die Ergebnisse definiert, die im Unterricht erreicht
werden müssen.
In den Richtlinien der Grundschule werden fachliches und fachübergreifendes Lernen als wesentliche Voraussetzung für selbstständiges Lernen
genannt.14 Ziele des Konzepts zur Unterrichtsentwicklung finden sich als
Kernanforderung in den Richtlinien wieder: „Durch fachliches und fächerübergreifendes Lernen werden Schlüsselqualifikationen als grundlegende
Kompetenzen und Einstellungen angebahnt [...]“15. Spezifische Schnittstellen sind zu erkennen, wenn man die Anforderungen für die Fächer
Deutsch und Mathematik am Ende von Klasse 2 und die aller Fächer am
Ende von Klasse 4 mit den Kompetenzen vergleicht, die in den Trainingsspiralen aufgebaut werden. Lehrerinnen und Lehrer sind aufgefordert,
während der Grundschulzeit „[...] Wert auf eigenständiges und selbstverantwortliches Lernen“ zu legen. Dazu „[…] bietet der Unterricht sowohl
Gelegenheit zum Lernen in angeleiteter Form als auch in offenen Lernformen, in denen Kinder selbst planen, entdecken […] und ihre Arbeiten
bewerten. […] In diesen Zusammenhang gehören auch die Arbeit nach
12
Die von der KMK beschlossenen Bildungsstandards sind Regelstandards – man hat sich
gegen Mindeststandards entschieden. Zur Diskussion um Standards als Durchschnittsoder Regelgröße bzw. als Minimalstandards vgl. auch Böttcher, W., „Was können Bildungsstandards und Kerncurricula bewirken“ in: Pädagogische Führung, 15. Jg., Heft
1, Februar 2004, S. 38–41
13 Rolff, H.-G., „Nationale Bildungsstandards“ in: Institut für Bildungsmedien e. V., Hrsg.,
Bildung und Ausbildung in Deutschland. Bildungspolitik, Lernforschung, Schulorganisation: Stand der aktuellen Diskussion. Eine Dokumentation zum „forum bildung“
didakta 2004, Frankfurt a. M. 2004, S. 15
14 Vgl. MSJK NRW (2003), S. 15
15 Ebd., S. 17
Kernlehrpläne
Grundschule und UE
33303.book Seite 144 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
144 | Qualitätssicherung
Kernlehrpläne
Sek. I und UE
einem Wochenplan, die Freie Arbeit sowie Formen der Projektarbeit. […]
Indem bei der Arbeit an unterschiedlichen Aufgaben auch das Lernen
zum Thema wird, gewinnen Schülerinnen und Schüler Verständnis für
ihre Lernwege. Sie lernen Erfolg versprechende Methoden anzuwenden,
sie erwerben und wenden Lernstrategien problemlösend an, sie erkennen
den Sinn von Umwegen und lernen aus Fehlern. Das Lernen zu lernen
und ein Leben lang lernfähig zu bleiben, ist für das Leben in der heutigen
Gesellschaft von besonderer Bedeutung.“ 16
Auch die Kernlehrpläne für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch
in der Sekundarstufe I formulieren erwartete Kompetenzen am Ende der
Jahrgangsstufen 6, 8 und 10. Die Anforderungen am Ende der Sekundarstufe I benennen zum Beispiel in Deutsch die entsprechenden Methoden
und Arbeitstechniken sowie Lesetechniken und -strategien. Das im Kernlehrplan für die Förderung des selbstständigen Arbeitens im Deutschunterricht empfohlene Vorhaben steht in enger Verbindung mit den
beschriebenen Verfahren. Damit ergeben sich auch mit den Kernlehrplänen der Sekundarstufe I Übereinstimmungen, die zum Teil sehr groß
sind. Allerdings variiert der Grad der Übereinstimmung mit dem Konzept
der Unterrichtsentwicklung in den Fächern stärker als in den Grundschullehrplänen.
Die zu Beginn deutliche Diskrepanz zwischen dem kompetenzorientierten Ansatz der Unterrichtsentwicklung und den inhaltslastigen Lehrplänen ist heute aufgelöst. So erübrigen sich Diskussionen in Kollegien, bei
denen immer wieder kritisch auf dieses Missverhältnis zu den verbindlichen „alten“ Lehrplänen hingewiesen wurde.
Nach der Einführung der Lernstandserhebungen (vgl. Kap. 8.2.1) mit
einem stärker diagnostischen Schwerpunkt werden in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2007 erstmalig zentrale Abschlussprüfungen am Ende der
Sekundarstufe I in allen Schulformen durchgeführt. Sie sind ein weiteres
Qualitätssicherungsinstrument und betreffen die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch. Basis sind die neuen Kernlehrpläne. Der erste von
zwei Teilen der schriftlichen Prüfung wird die vom Jahrgang 5 an aufgebauten Kompetenzen prüfen.
Zukünftig werden die im achten Schuljahr durchgeführten Lernstandserhebungen der einzelnen Lehrkraft und der Schule insgesamt zurückmelden, inwieweit ihr die Vermittlung wichtiger Kompetenzen gelingt. Die
zentralen Prüfungen werden zumindest in den drei beteiligten Fächern zu
einem zweiten Zeitpunkt eine weitere Möglichkeit zur Feststellung der für
den einzelnen Schüler bzw. die einzelne Schülerin erreichten Kompetenzen sein.
16
Ebd.
33303.book Seite 145 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schulen werden extern evaluiert | 145
Im Rahmen solcher Abschlussprüfungen wurde in Baden-Württemberg
ein Weg gefunden, nicht nur fachliches Wissen, sondern auch z. B. Sozialverhalten und Arbeitsverhalten in die Abschlussnote einzubeziehen,
indem eine Projektprüfung eingeführt wurde.17
Projektprüfung
8.2.3 Qualitätsanalyse bzw. Schulinspektion
Interne Evaluation als Einzelmaßnahme oder als Systemcheck, Leistungstests und standardisierte Abschlussprüfungen – zukünftig werden all
diese Maßnahmen auch noch ergänzt durch externe Evaluation in der
Gestalt von regelmäßigen Qualitätsanalysen (so die neue Bezeichnung für
Schulinspektionen in NRW).
Zum einen konkretisiert sich hier die Pflicht der selbstständiger werdenden Schulen mit wachsenden Gestaltungsfreiräumen zu regelmäßiger
Rechenschaftslegung auch gegenüber der Schulaufsicht und der
(Schul)Öffentlichkeit – in Anlehnung an die Praxis in den meisten der bei
PISA und IGLU erfolgreichen Staaten.18 Zum anderen können Qualitätsanalysen den Außenblick liefern, den sich öffentliche und private Unternehmen mit externen Beratern einkaufen. Fachleute, die der Einzelschule
nicht verbunden sind, richten ihr Augenmerk auf den gesamten Prozess
der schulischen Arbeit und erstellen einen Bericht, der die aus Leistungserhebungen gewonnenen Daten zu einem vollständigeren Bild von der
Schule ergänzt. Es geht dabei ausdrücklich nicht um die Arbeit der einzelnen Lehrkraft, sondern um die Stärken und Schwächen der Schule als System. Wenn es gelingt, den organisatorischen Ablauf und die gesamte
Durchführung so zu gestalten, dass die Schule den Eindruck gewinnt, dass
critical friends ihnen helfen, die Wirksamkeit ihrer Arbeit besser einzuschätzen, dann kann die Qualitätsanalyse ein weiteres wichtiges Instrument für die Schulentwicklung sein, das der Schule hilft und ihr wertvolle
Hinweise zur Verbesserung ihrer Arbeit gibt.
In einer vergleichenden Studie zu erfolgreichen Schulsystemen stellt
Döbert die Akzeptanz von Evaluation als wichtige Gelingensbedingung für
bildungspolitische Veränderungen dar – ebenso wie ein gutes Unterstützungssystem: „Developing an understanding among teachers that evaluations
serve primarily as a development system for their own classroom practice and not
as a judgement system with punitive consequences appears to be a central theme
17
18
Vgl. www.schule-bw.de/schularten/hauptschule/abschlusspr
Vgl. Döbert, H./Sroka, W., „Essential results of the comparative analysis and hypothetic
correlations“ in: Döbert, H./Sroka, W., Features of Successful School Systems. A Comparison of Schooling in Six Countries, Münster 2004, S. 152: „System monitoring is a
regularly applied means in successful school systems; in addition to student performance, the basic condition of learning, education biographies, motives, social competences, etc. are also taken into account. […]“
Zwei Gründe
critical friends?
33303.book Seite 146 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
146 | Qualitätssicherung
internationale
Erfahrungen
Qualitätstableau
of the reference countries’19 educational policies, as does associating this endeavour with support systems that are used in a well-targeted manner and with specific time-frames for conducting evaluations.“20
Grundlage einer Qualitätsanalyse muss ein veröffentlichtes Verständnis
von Qualität sein, eine Definition von „guter Schule“, die sich an beobachtbaren Kriterien festmacht. Unter Verweis auf die Arbeit der internationalen Inspektorenvereinigung21 konstatiert Fuchs: „Die wissenschaftliche Entwicklung der Kernkriterien von Schulqualität kann als
abgeschlossen angesehen werden.“22 In vielen deutschen Bundesländern
gibt es entsprechende Entwicklungen – so auch in NRW.23 Zum Zeitpunkt
der Redaktion dieses Textes (Juli 2006) wird die Definition der Unterrichtsqualität für Nordrhein-Westfalen an Hilbert Meyers „Zehn Merkmale guten Unterrichts“ orientiert: „klare Strukturierung – echte Lernzeit
– lernförderliches Klima – inhaltliche Klarheit – sinnstiftendes Kommunizieren – Methodenvielfalt – individuelles Fördern – intelligentes Üben
– transparente Leistungserwartungen – vorbereitete Umgebung“.24
Es kann nicht verwundern, dass diese zehn Merkmale eine hohe Affinität
aufweisen zu den Definitionen, die als Grundlage des Konzepts zur Unterrichtsentwicklung in der Broschüre „Lehren und Lernen für die Zukunft
– Guter Unterricht und seine Entwicklung im Projekt ‘Selbstständige
Schule’“25 festgelegt sind. Das bedeutet, dass Schulen, die Unterrichtsentwicklung im Sinne dieses Konzepts systematisch betreiben, einer Qualitätsanalyse gespannt entgegensehen können.
Die Teams der Qualitätsanalyse evaluieren sechs Qualitätsbereiche (Stand
Juli 2006)26:
z
19
Ergebnisse der Schule
– Abschlüsse
– Fachkompetenzen
– Personale Kompetenzen
– Schlüsselkompetenzen
– Zufriedenheit der Beteiligten
Kanada, Finnland, Frankreich, Schweden, Großbritannien, Niederlande
Döbert, H./Sroka, W., (2004), S. 153
21 www.sici.org.uk
22 Fuchs, W., „Schulinspektion – Motor der Entwicklung selbstverantwortlicher Schulen“
in: SchulVerwaltung NRW, Nr. 5/2005, S. 135
23 Zum
Stand der Schulinspektion in den einzelnen Bundesländern vgl.
www.dbs.schule.de/zeigen.html?seite=2652
24 Meyer, H. (2004), S. 17
25 Vgl. Anm. 20
26 www.bildungsportal.nrw.de/BP/Schule/Qualitaetssicherung/Qualitaetsanalyse/
Das_Qualitaetstableau.doc, Stand 31.7.2006
20
33303.book Seite 147 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schulen werden extern evaluiert | 147
z
z
z
z
z
Lehren und Lernen – Unterricht
– Schulinternes Curriculum
– Leistungskonzept – Leistungsanforderung und Leistungsbewertung
– Unterricht – Fachliche und didaktische Gestaltung
– Unterricht – Unterstützung eines aktiven Lernprozesses
– Unterricht – Lernumgebung und Lernatmosphäre
– Individuelle Förderung und Unterstützung
– Schülerbetreuung
Schulkultur
– Lebensraum Schule
– Soziales Klima
– Ausstattung und Gestaltung des Schulgebäudes
– Partizipation
– Außerschulische Kooperation
Führung und Schulmanagement
– Führungsverantwortung der Schulleitung
– Unterrichtsorganisation
– Qualitätsentwicklung
– Ressourcenverwaltung
– Arbeitsbedingungen
Professionalität der Lehrkräfte
– Personaleinsatz
– Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen
– Kooperation der Lehrkräfte
Ziele und Strategien der Qualitätsentwicklung
– Schulprogramm
– Schulinterne Evaluation
– Umsetzungsplanung/Jahresarbeitsplan
Wenn die Schulinspektion oder Qualitätsanalyse zu einem für die Einzelschule nutzbaren und in der Einzelschule akzeptierten Instrumentarium
der Schulentwicklung werden soll, was in einer konkreten innerschulischen Handlungsplanung Ausdruck findet, dann müssen die in der
Schule genutzten Instrumente der Selbstevaluation kompatibel sein mit
der externen Evaluation. Umgekehrt steigen Nutzen und Akzeptanz, wenn
die Qualitätsanalyse die ihr vorliegenden Ergebnisse und Erkenntnisse
aus eigenverantworteten internen Evaluationsvorhaben nutzt und in die
Gesamtbewertung einbezieht.
Schulen, die auf eine elaborierte Praxis der Selbstevaluation zurückgreifen
können, werden dem Team der Qualitätsanalyse mit ihrem Portfolio eigene
Daten zur Verfügung stellen können, die extern überprüft oder im Sinne
der Metaevaluation extern bewertet werden können. Wenn die Daten und
Ergebnisse der schuleigenen Evaluationen z. B. zur Unterrichts-
Selbstevaluation und
Fremdevaluation
33303.book Seite 148 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
148 | Qualitätssicherung
Qualitätstableau
und UE
entwicklung in überzeugenden Verfahren gewonnen sind, wird die Qualitätsanalyse sie sicherlich genauso in die Gesamtbewertung aufnehmen
wie die Daten aus LSE und VERA und die Ergebnisse der zukünftigen
Abschlussprüfungen in der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II.
Im Zusammenhang mit der Qualitätsanalyse könnte den internen Evaluationsanstrengungen zukünftig auch eine verbindlichere Bedeutung
zukommen. Das würde dann zu einer größeren Anforderung an die Evaluationsberaterinnen und -berater führen (vgl. Kap. 8.1.1).
Für das Land Niedersachsen z. B. wurde die Vorentscheidung getroffen,
dass die Ergebnisse der Selbstevaluation, die mit dem Instrument SEIS
gewonnen werden, eingebunden werden in die externe Evaluation. Ein
Abgleich des niedersächsischen Qualitätsrahmens mit dem Qualitätsverständnis von SEIS ergibt, dass beide zwar nicht deckungsgleich sind, die
Schnittmenge aber außerordentlich groß ist, auch wenn die Anordnung
der Dimensionen und Kriterien differiert.27 Niedersachsen hat außerdem
für die SEIS-Fragebögen eine zusätzliche Dimension entwickelt, die für
das Land bedeutsame Aspekte enthält. Erste Berichte nach einem knappen
Jahr der Erfahrungen mit Schulinspektionen lassen auf positive Effekte
einer inhaltlich abgestimmten internen und externen Evaluation hoffen,
wenn die Schulen die Ergebnisse in eine konkrete Handlungsplanung
münden lassen und wenn als wichtige Säule ein effizientes Unterstützungssystem hinzukommt, das den Schulen nach der differenzierten Diagnose bei der passgenauen Therapie hilft.28 Für Nordrhein-Westfalen ist
dieser Diskussionsprozess zur Anpassung der Instrumente interner und
externer Evaluation gerade in die Wege geleitet worden. Die Qualitätsanalyse befindet sich nach Pilotprojekten zurzeit in der Erprobungsphase und
soll im Schuljahr 2006/07 eingeführt werden.
Nach den vorliegenden Qualitätsrahmen werden die Fragen nach den
Kompetenzen, die die vorgestellten Trainings bei den Schülerinnen und
Schülern auszubilden helfen, in vielen Teilbereichen gestellt, wenn auch
unter begrifflich unterschiedlich gefassten Überschriften. Gemäß dem
nordrhein-westfälischen Tableau wird sowohl nach der fachlichen und
didaktischen Gestaltung des Unterrichts als auch nach der Unterstützung
eines aktiven Lernprozesses gefragt werden. Die Ergebnisse der schulischen Arbeit werden nicht nur in Abschlüssen und dem Erfolg bei zentralen Prüfungen und Wettbewerben ausgewiesen, sondern auch im
erkennbaren Erwerb von so genannten personalen Kompetenzen und
Schlüsselkompetenzen.
27
www.kooperation-das-macht-schule.niedersachsen.de/Handreichung%20Schnittstellen.pdf
28 Vgl. Homeier, W., „Schulinspektion konkret – am Beispiel des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Wolfsburg“ in: SchulVerwaltung NRW Nr. 2/2006, S. 43–46
33303.book Seite 149 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Regionale und landesweite Qualitätssicherung der Trainings | 149
Interessant für die Bewertung des beschriebenen Ansatzes zur Unterrichtsentwicklung sind die ersten Erkenntnisse aus Inspektionen. Die dabei identifizierten Entwicklungsbedarfe sind offensichtlich in allen Bundesländern,
die Inspektionen durchführen, gleich und entsprechen auch den Erfahrungen aus den zwei Pilotphasen der Qualitätsanalyse in Nordrhein-Westfalen:
Lehrerkooperation,
Diagnosekompetenz,
z Differenzierung im Unterricht – individuelle Förderung,
z selbst gesteuertes Lernen (Methodenkompetenz, Kooperation der
Schülerinnen und Schüler, Präsentation der Lernergebnisse, Schülerhelfersysteme),
z methodische Vielfalt des Unterrichts (Monokultur lehrerzentrierten
Unterrichts).
z
z
Mit den Trainings wird also den Schulen Hilfe angeboten in zentralen
Bereichen, in denen sie die Qualität ihrer Arbeit verbessern müssen.
8.3
Regionale und landesweite Qualitätssicherung der Trainings
Die Ergebnisse von SEIS können – in aggregierter Form, sodass die Einzelschule das Exklusivrecht auf ihre Daten nicht verliert – für eine regionale Bildungsberichterstattung genutzt werden und damit wichtige Daten
für die Gestaltung und Steuerung der Bildungsregion liefern. So können
sich z. B. Informationen ergeben, die das Angebot der Trainings qualitativ
und quantitativ beeinflussen. Auch die Qualitätsanalyse könnte den regionalen Kontext zurückspiegeln. Auf regionaler Ebene allein wird aber die
Sicherung der Qualität der Trainings nicht gewährleistet werden können.
Qualitätssicherung schließt immer auch Qualitätsentwicklung ein, die
sich an veränderten Anforderungen und an neuen wissenschaftlichen
Erkenntnissen orientiert und auf Ergebnisse von Evaluation reagiert.
Diese Arbeit wird nicht von regionalen Trainerarbeitskreisen geleistet werden können, zumal das Land die zentrale Verantwortung in diesem wichtigen Feld der Schulentwicklung behalten muss. Deshalb wird die
Aufgabe, die für die im Projekt angebotenen Trainings zurzeit vorrangig
von einem Ausbilderarbeitskreis im Regierungsbezirk Detmold wahrgenommen wird, zukünftig an einem landesweit tätigen Institut angesiedelt
sein. Dort können dann auch umfangreichere Studien zur Evaluation der
Trainings und ihrer Wirkungen angesiedelt werden. Eine solche Studie
wird gegenwärtig z. B. vom Amt für Lehrerbildung in Hessen für in Ansatz
und Intention verwandte Trainings nach dem Konzept von Klippert
erstellt. Sie schließt methodisch an die Studie von Holtappels und Leffel-
regionale Bildungsberichterstattung
zentrale
Verantwortung für
Qualitätssicherung
33303.book Seite 150 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
150 | Qualitätssicherung
verlässliche
Rahmenbedingungen
send am Ende des Projektes "Schule & Co." an und dokumentiert ausgesprochen positive Ergebnisse zur Kooperation von Schülerinnen und
Schülern, zur Textarbeit und zum Präsentieren von Arbeitsergebnissen.
Die Studie ist bis 2008 angelegt, um auch mittelfristige Effekte beschreiben zu können, aber als erstes Zwischenergebnis halten die Autoren fest:
„Die ausgewählten Befunde verdeutlichen: Das Qualifizierungsprogramm ,Methodenkompetenz‘ führt bei Schülerinnen und Schülern
offenbar nicht nur zu einer Verbesserung fachbezogener Lern- und
Arbeitstechniken im engeren Sinn, sondern auch zu einer Erweiterung
darüber hinaus gehender Kompetenzen, z. B. Selbstständigkeit im Unterricht oder Kooperation innerhalb der Schulklasse.“29
Qualitätssicherung für Fortbildung bedeutet auch, dass die Rahmenbedingungen verlässlich beschrieben sind. Dazu gehören finanzielle, aber auch
zeitliche Ressourcen. Im Projekt "Selbstständige Schule" wird deshalb in
der zweiten Hälfte ein Lernzeitbudget für Schulen erprobt, das diese eigenverantwortlich „bewirtschaften“. (vgl. Kap. 5.3)
29
Chroust, P./Kubina, C./Schader, B., „Methode und Inhalt gehören zusammen. Ausgewählte empirische Befunde aus dem Qualifizierungsprogramm zur ‚Erweiterung der
Methodenkompetenz im Unterricht‘ in Hessen“, zur Veröffentlichung geplant im
einem von P. Kalb herausgegebenen Sammelband zum Konzept von Klippert im BeltzVerlag, 2006; zum Design der Studie vgl. Chroust, P., „Von der Grundschule bis zur
Staatsprüfung – Neue Wege zur Evaluation der Lehrerbildung in Hessen“ in: Hilligus,
A. H., Rinkens, H.-D., Standards und Kompetenzen – neue Qualität in der Lehrerausbildung. Neue Ansätze und Erfahrungen in nationaler und internationaler Perspektive,
Paderborner Beiträge zur Unterrichtsforschung und Lehrerbildung Bd. 11, Berlin 2006,
S. 283–291
33303.book Seite 151 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
9
Schlussbemerkung
Das Konzept der Unterrichtsentwicklung ist beschrieben. Es ist in sich
stimmig, anschluss- und entwicklungsfähig – und es ist inzwischen erfahrungsgesättigt. Dennoch: Wer mit und in ihm arbeitet, erlebt, wie kompliziert die nachhaltige Umsetzung in der alltäglichen Praxis ist. Egal an
welcher Stelle und auf welcher Ebene, es gibt tausend kleine Probleme und
Fallen, in die man dabei tappen kann. Es gibt viele Dimensionen von
Widerstand im Prozess, und erkennbare Ergebnisse stellen sich oft erst
mittelfristig ein. Die hier vorliegende Beschreibung kann den Schulen helfen, trotz aller Widrigkeiten auf dem eingeschlagenen Lernweg bewusst
weiterzugehen und immer wieder Zusammenhänge herzustellen und
Impulse zu suchen, wenn die Entwicklung zu stocken droht.
Problembewusstsein und vor allem das Wissen über die Stolpersteine im
Detail bieten auch gleichzeitig die Chance dafür, an den Schwierigkeiten
zu arbeiten und das Konzept zu verändern und an die Bedingungen der
eigenen Schule anzupassen. Um sowohl den Ansprüchen des Konzepts
als auch den Umsetzungserfahrungen gerecht zu werden, sollen einige
der Problemfelder, der Fallen und Schwierigkeiten aufgezeigt werden.
Dazu werden Lösungsansätze vorgestellt und um Tipps und Hinweise
ergänzt.
Ziel der Unterrichtsentwicklung ist die Entwicklung der Lernkompetenz
aller Schülerinnen und Schüler einer Schule. Um eine Chance zu haben,
dieses Ziel zu erreichen, müssen alle Lehrkräfte dieser Schule in festen
Handlungsteams dauerhaft und systematisch an ihrer Lehrerrolle und
damit an sich selbst arbeiten wollen. Es gibt fast kein Kollegium, in dem
diese Voraussetzung für eine angemessene Umsetzung der Unterrichtsentwicklungs-Trainings in jeder Unterrichtsstunde von Anfang des Prozesses an gegeben ist. Entscheidungen in Schulen leiden an einer lange
gepflegten Kultur der Unverbindlichkeit. Gerade Beschlüsse, die sich auf
den eigenen Unterricht auswirken würden, werden unter Berufung auf die
viel beschworene „Freiheit des Lehrers“ in der Praxis von Einzelnen nicht
umgesetzt. Nach allen vorliegenden Erfahrungen können diese Hindernisse aus dem Weg geräumt werden, wenn es an einer Schule gelingt, dass
Lehrerinnen und Lehrer sich selbst verpflichten, systematisch Neues zu
lernen, und dass diese Lernprozesse begleitet und unterstützt werden. Auf
diese Weise gewinnen sie Sicherheit in den neuen Rollen. In Schulen, die
es besser schaffen als andere, die vielen „Einzelkämpfer“ zu Teamspielern
zu machen, spielen schulische Steuergruppen und auch die Schulleitung
eine herausgehobene Rolle. Steuergruppen können demokratisch legitimierte Garanten für Teamentwicklungsprozesse sein und Schulleitungen
33303.book Seite 152 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
152 | Schlussbemerkung
Garanten für eine sich entwickelnde Kultur der Verbindlichkeit. Schulen,
die mit ihrer Entwicklung zufrieden sind, haben für diese Lernprozesse
der Lehrerinnen und Lehrer Raum und Zeit geschaffen: Sei es die Grundschule, in der Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel jeden Montag zwei
Stunden nach Unterrichtsschluss in den unterschiedlichsten Teamkonstellationen zusammenarbeiten; sei es die Sekundarschule, in der Klassenteams gemeinsame Springstunden durchgesetzt haben. Sich Zeit und
Raum für das eigene Lernen zu nehmen ist eine wesentliche Gelingensbedingung für Veränderungen.
Schulische Steuergruppen sind in den ersten Jahren eines Unterrichtsentwicklungsprozesses nach Erfahrungen fast aller beteiligten Schulen wertvoll und nicht zu ersetzen. Häufig wird aber nach einigen Jahren ein
Abnutzungseffekt erkennbar. Mitglieder müssen häufiger ersetzt werden
als geplant, die Neuen müssen wieder qualifiziert werden. Störungen in
der Teamentwicklung setzten ganze Steuergruppen außer Kraft. Wenn
sich niemand um eine neue Steuergruppe kümmert, fallen die vielfältigen
Aufgaben an die Schulleitung zurück. Steuergruppen, die nach fünf Jahren immer noch in unveränderter Zusammensetzung arbeiten, können
zum vom Kollegium isolierten Club oder zur (heimlichen) erweiterten
Schulleitung geworden sein und haben in beiden Fällen keine aktuelle
Legitimation für ihre Tätigkeit mehr. Mit jedem Schulleitungswechsel
gehen neue Fragen einher. So sinnvoll die Übernahme der Steuerung des
Unterrichtsentwicklungsprozesses durch eine Steuergruppe für die
Anfangsphase auch ist, die Konsolidierung des Prozesses bedingt bei laufender Veränderung der beteiligten Personen auf allen Ebenen neue Steuerungsarten. Der Prozess der Verbesserung des Unterrichts, der sich
angesichts wissenschaftlicher Erkenntnisse und bildungspolitischer
Anforderungen weiterentwickeln muss, ist eine Anforderung ohne zeitliches Ende. Es bedarf einer sich mitentwickelnden Struktur, die sowohl
für Sicherheit im Prozess als auch für Verbindlichkeit sorgt. Könnte die
Steuergruppe zur Stabsstelle werden, zur erweiterten Schulleitung oder ...?
Neben diesen Schwierigkeiten der Implementation, die die ganze Schule
betreffen, kristallisierte sich in der Vergangenheit eine besondere Problematik auf der Arbeitsebene zwischen Lehrerinnen und Lehrern und ihren
Lerngruppen heraus. Immer wieder ist die Verkürzung eines umfassenden Konzepts der Unterrichtsentwicklung auf ein schon begrifflich
begrenztes „Methodentraining“ anzutreffen. Ursache dafür scheint häufig
die Unsicherheit oder gar Furcht vor der Veränderung der Lehrer- und
Schülerrolle in einem weniger vom Lehrer bzw. der Lehrerin dominierten
Unterricht zu sein. Da wird dann zwar ein überfachliches Methodentraining mit den Schülerinnen und Schülern durchgeführt, im Fachunterricht erleben sie aber anschließend Stunden, in denen sie wohl mehr
33303.book Seite 153 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Schlussbemerkung | 153
Methoden anwenden, allerdings alle die gleichen und zur gleichen Zeit,
und zwar die, die die Lehrerin bzw. der Lehrer bestimmt hat. Im besten
Fall verringert sich dadurch der hohe Sprechanteil der Lehrkraft, die Lehrerzentrierung im Unterrichtsgeschehen wird nicht verringert. Diese Verkürzung auf ein reines Methodentraining wird im Konzept durch den
Begriff der Unterrichtsentwicklung zwar vermieden. Um diese Denkweise
nicht aufkommen zu lassen oder um zu verhindern, dass sie sich durchsetzt, muss in den Schulen offensiv, beharrlich und vielleicht auch konfrontativ über das große Ziel des selbst gesteuerten Lernens als
verbindliches Schulziel gestritten werden, damit jeder Lehrer und jede
Lehrerin in seinen bzw. ihren Fächern einen Beitrag dazu liefert. Nur Lehrerinnen und Lehrer, die in der Unterrichtswoche sowohl Raum und Zeit
für selbstständiges Arbeiten, als auch Aufgabenstellungen und angemessenes Material für ihre Lerngruppe eingeplant haben, geben ihren Schülerinnen und Schülern und sich selbst eine echte Chance, dieses Ziel der
Schule zu erreichen.
Eher ungewohnt ist es offensichtlich für viele Schulen, über Jahre hinweg
an ein und derselben Zielstellung zu arbeiten. Verwunderlich ist das nicht,
da alle Ebenen über der Einzelschule in den vergangenen Jahren viele Veränderungsanforderungen gleichzeitig oder in schneller Folge gestellt
haben. Hier wird es ohne eine Entschleunigung, eine Priorisierung weniger zentraler Reformen und deren Synchronisierung keine Chance auf
wirkliche Veränderung des schulischen Lernens geben. Nur dann können
sich Schulen mit dem vorhandenen Lehrerpersonal auf die schwierigen
Veränderungs- und Entwicklungsprozesse einlassen und Lernprozesse
langfristig gezielt verändern. Dass es funktioniert, zeigen bereits heute
viele Schulen, die seit einigen Jahren mit dem Konzept zur Unterrichtsentwicklung arbeiten.
Mindestens so wichtig wie die Qualifizierung der im Dienst befindlichen
Lehrerinnen und Lehrer ist es jedoch, schon in der Ausbildung neuer Lehrerinnen und Lehrer die entsprechenden Grundlagen für die Anleitung
und Unterstützung des selbstständigen Lernens bei Schülerinnen und
Schülern zu legen. Universitäten und Studienseminare müssen ihren Studierenden Kompetenzen im Sinne einer neuen Lehr- und Lernkultur vermitteln. Junge Lehrerinnen und Lehrer, die nicht an der Schul- und
Unterrichtsentwicklung arbeiten können, sind nicht mehr zeitgemäß ausgebildet. Es kann zukünftig auch aus ökonomischen Gründen nicht zugelassen werden, dass Qualifikationen für entscheidende Qualitätsbereiche
erst in der dritten Lehrerausbildungsphase erlernt werden. Neben der systematischen Arbeit an den geschilderten Umsetzungsproblemen im schulischen Alltag warten hier also weitere Aufgabenpakete, die ebenfalls
aufgeschnürt werden wollen. Wenn man jedoch bedenkt, wie viele Schritte
in den wenigen Jahren der Entwicklung in Schulen trotz aller Schwierig-
33303.book Seite 154 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
154 | Schlussbemerkung
keiten erfolgreich gegangen wurden, kann es auch in kurzer Zeit gelingen,
die Lehrerausbildung zu verbessern.
Das ist das Ziel dieses Buches: Hilfen und Anregungen zu geben, damit
auf allen Ebenen Energien gebündelt werden können, um eines zu erreichen: die Selbstständigkeit der Kinder und Jugendlichen. Das gelingt,
wenn man Selbstständigkeit nicht nur einfordert, sondern auch systematisch und beharrlich ermöglicht.
10.fm Seite 155 Dienstag, 10. Oktober 2006 1:43 13
10 Anhang
10.1 Lehren und Lernen für die Zukunft
Lehren und Lernen für die Zukunft
Guter Unterricht und seine Entwicklung
im Projekt "Selbstständige Schule"
33303.book Seite 156 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
156 | Anhang
2
Gliederung
Vorwort
Seite
3
1
Für das Leben lernen
Seite
4
2
Was ist “guter“ Unterricht
Seite
5
2.1
Bildungsziele der Schule
Seite
5
2.2
Ansprüche der selbstständig Lernenden
an den Unterricht
Seite
6
2.3
Merkmale “guten“ Unterrichts
Seite
8
2.3.1
Unterrichtsplanung
Seite
8
2.3.2
Unterrichtsdurchführung
Seite
9
2.3.3
Leistungsbewertung und Unterrichtsevaluation
Seite 10
2.4
Anforderungen an die Lehrerinnen und Lehrer
Seite 10
3
Unterrichtsentwicklung
Seite 12
3.1
Unterrichtsentwicklung als zentrale
Dimension der Schulentwicklung
Seite 12
3.2
Merkmale einer gelingenden Unterrichtsentwicklung
Seite 12
3.3
Steuerung und Leitung einer gelingenden
Unterrichtsentwicklung
Seite 13
Qualifizierungsprogramm als Voraussetzung für
eine gelingende Unterrichtsentwicklung
Seite 14
4
Fortbildung für Lehrrerinnen und Lehrer
Seite 16
4.1
Trainings zur Unterrichtsentwicklung für
Lehrerinnen und Lehrer
Seite 16
Merkmale der “guten“ Fortbildung zur
Unterrichtsentwicklung
Seite 18
Literaturverzeichnis
Seite 19
3.4
4.2
33303.book Seite 157 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
Lehren und Lernen für die Zukunft | 157
3
Die Verbesserung der Qualität schulischer Arbeit und insbesondere des Unterrichts
ist das zentrale Ziel des Projektes "Selbstständige Schule", des gemeinsamen Modellvorhabens des nordrhein-westfälischen Schulministeriums und der Bertelsmann
Stiftung. Wenn im Rahmen dieses Projektes von Unterrichtsqualität und Unterrichtsentwicklung gesprochen wird, muss dargelegt werden, was damit gemeint ist.
Deshalb haben sich Vertreter des Schulministeriums, die Koordinatoren der Bezirksregierungen und Vertreterinnen und Vertreter der Bertelsmann Stiftung sowie der
Projektleitung auf ein gemeinsames Verständnis der Qualität des Unterrichts und
der Unterrichtsentwicklung und – zur Unterstützung dessen in einem wichtigen Sektor – auf ein Programm zur Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern verständigt,
das auf die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern
gerichtet ist.
Das gemeinsame Verständnis, das hier formuliert wird, berücksichtigt Ergebnisse
neuerer Forschung zum Lehren und Lernen1, schulpolitische Grundlagen und Entscheidungen des Landes Nordrhein-Westfalen2 sowie Erkenntnisse über die Unterichtsentwicklung, insbesondere die Entwicklung überfachlicher Kompetenzen bei
Schülerinnen und Schülern, und über die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern aus dem Projekt "Schule & Co."3
Kennzeichnend für das vorliegende Konzept sind die folgenden Funktionen:
●
1
Es beschreibt einen Referenzrahmen, an dem sich die beteiligten und interessierten Schulen und Regionen bei der Einschätzung ihres Arbeitsstan-
Vgl. hierzu insbesondere: Helmke, A., Unterrichtsqualität – erfassen, bewerten, verbessern, Seelze
2003
2
Vgl. hierzu insbesondere: Bildungskommission NRW, Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft,
Neuwied 1995; Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, "...und sie
bewegt sich doch!“ Entwicklungskonzept "Stärkung der Schule“, Frechen 1997; die neueren Richtlinien
für die Gesamtschule, die gymnasiale Oberstufe, die Bildungsgänge der Berufskollegs und die Grundschule in Nordrhein-Westfalen
3
Vgl. hierzu: Bastian, J. / Rolff, H.-G., Abschlussevaluation des Projektes “Schule & Co.“, Gütersloh
2002; Holtappels, H.G. / Leffelsend, S., Entwicklung überfachlicher Kompetenzen durch Schülertrainings und Unterrichtsentwicklung: Ergebnisse einer Schülerbefragung als Teil der Abschlussevaluation des Projektes “Schule & Co.“ – Forschungsbericht, Gütersloh 2003
33303.book Seite 158 Donnerstag, 5. Oktober 2006 11:11 11
158 | Anhang
4
des, bei ihren Entwicklungsvorhaben und ihrer Fortbildungsplanung im
Rahmen der Schulprogrammarbeit orientieren können.
1
●
Es formuliert im Anschluss an Weinert ein Leitbild einer guten Lernkultur,
ohne Realisierungsmöglichkeiten im Einzelnen auszudifferenzieren.
●
Mit Bezug auf dieses Leitbild einer guten Lernkultur wurde zwischen den
Projektträgern und den Koordinatoren der Bezirksregierungen vereinbart, in
diesem Modellvorhaben dazu beizutragen, dass das selbstständige Lernen
der Schülerinnen und Schüler in einer Vielfalt von Lehr- und Lernarrangements stärker in das Zentrum des Unterrichts gerückt wird.
●
Das Konzept gibt Hinweise zur systematischen Unterrichtsentwicklung im –
hier allerdings nur gestreiften – Kontext von Organisationsentwicklung und
Personalentwicklung.
●
Es zielt mit dem Angebot des Qualifizierungsprogramms für Lehrerinnen
und Lehrer auf einen Teilbereich dessen, was selbstständiges Lernen voraussetzt, nämlich die Entwick