26-29 Lilien

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26-29 Lilien
Symbole
der Unschuld
Rote oder Turban-Lilie
(Lilium pomponium)
Garten NATUR
Wahre Meister der alpinen Besiedlung sind die Liliengewächse, treten sie doch bis in Höhen von über 3000
Metern auf. Obwohl seit Jahrtausenden verehrt und
geschützt, sind viele Arten vom Aussterben bedroht.
Text und Fotos: Wolfgang Langer und Herbert Sauerbier
B
etrachtet man eine Lilie, so geht von
der Anmut ihrer Blüten eine besondere Faszination aus. Nicht umsonst
wurden diese Kleinode kultiviert
und schmücken heute viele unserer Gärten. Schon die alten Kulturvölker im Mittelmeerraum bewunderten die Schönheit
und Harmonie der Lilien. Zum Beispiel
wuchs sie auf Kreta bereits vor 4500 Jahren
in königlichen Gärten und erfreute sich
grosser Beliebtheit. Auf Wandmalereien
und Vasen abgebildet fand man sie unter
anderem im Palast von Knossos. Sie gehörte eng verbunden zur minoischen Kultur und zu den Kulthandlungen dieser Zeit.
Wie die antiken Griechen, verehrten
auch die Römer die Lilie. Sie galt ihnen als
Sinnbild der Hoffnung und war der Göttermutter Juno geweiht. Das zeigt, wie
intensiv das Verhältnis der Menschen zur
Welt der Pflanzen in der vorchristlichen
Zeit war. Daran änderte sich auch im
Christentum wenig, gilt die Lilie doch als
Symbol der Unschuld und der Reinheit.
So wird sie immer wieder auf Altären und
religiösen Wandmalereien zusammen mit
der heiligen Maria dargestellt. Die Legende erzählt, dass Adam und Eva bei
ihrer Vertreibung aus dem Paradies die
Lilie mitnehmen durften, damit sie auf
Erden nicht ganz ohne Himmel wären.
Aber auch der weltliche Bereich
schmückte sich gerne mit dem Symbol
der Lilie. In Florenz nahmen die Medicis
die Lilienblüte in ihr Staatswappen auf.
Die französischen Bourbonenkönige
schmückten ihre Banner und Wappen mit
der Lilie. Einige Historiker behaupten
allerdings, es sei keine Lilie, sondern die
stilisierte Blüte einer Iris – also einer
Schwertlilie, die trotz ihrem Namen kein
Liliengewächs ist.
300 Arten weltweit
Wenn eine Pflanze über so viele Jahrtausende in verschiedenen Kulturen eine so
grosse Wertschätzung genossen hat, ist
ziemlich sicher davon auszugehen, dass sie
für die Heil- und Arzneikunde eine Bedeutung gehabt haben muss. Tatsächlich führt
das Kräuterbuch von Leonhardt Fuchs aus
dem Jahre 1543 drei Liliengewächse auf:
die Goldwurz oder auch heydnische Gilge
genannt (Türkenbund), die weisse Gilge
(Madonnenlilie) und die rote Gilge (Feuerlilie). Alle Teile der Pflanzen fanden in der
Volksheilkunde Verwendung. Bei der äusserlichen Anwendung schätzte man vor allem die desinfizierende und wundheilende
Wirkung. Eine interessante Rezeptur verspricht zum Beispiel neuen Haarwuchs. Es
heisst: «Die Zwiebel der heydnischen Gilge
zu aschen, aber gebrandt und ein Salb mit
Honig daraus gemacht und angestrichen,
macht das ausfallend har wider wachsen.»
Weltweit gibt es etwa 300 Arten aus der
Familie der Liliaceae. Die mehrjährigen Gewächse kommen hauptsächlich in den Balkanstaaten, Vorderasien und den Hochsteppen Asiens vor. Charakteristisch sind die
Zwiebel als Speicherorgan und der beblätterte Stängel. Die Blüte hat einen charakteristischen Aufbau. Sie besteht aus 2 Perigonblattkreisen mit je 3 Perigonblättern,
2 Staubblattkreisen mit ebenfalls je 3 Staubblättern und einem oberständigen verwachsenen Fruchtknoten, bestehend aus 3
Fruchtblättern. Die Frucht ist eine Kapsel,
die sich entlang der Mittellinie der Fruchtblätter öffnet und die Samen freigibt.
Sechs Gattungen
in den Alpen heimisch
Liliengewächse werden wegen ihrer Schönheit, wegen ihrer zarten, frischen und farbenprächtigen Blüten heute überall in den
Gärten angepflanzt. Vor allem die Lilienhybriden, die problemlos zu kultivieren
sind, eroberten die Gärten. So besteht
heute kein Anreiz mehr, die geschützte
Lilie in der freien Natur zu sammeln.
Von den zahlreichen Lilien-Gewächsen
im engeren Sinne kommen sechs Gattungen in den Alpen vor: es sind dies die Gattungen Lilium (Lilie), Fritillaria (Schachblume), Tulipa (Tulpe), Erythronium
(Zahnlilie), Gagea (Gelbstern) und Lloydia
(Faltenlilie).
Die prächtige Feuerlilie (Lilium bulbiferum) ist über weite Teile der Alpen verbreitet. Ihr Areal reicht von den Seealpen
bis Bosnien und in die Karpaten. Weithin
Dauphiné-Schachblume (Fritillaria tubiformis)
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NATUR Garten
Hunds-Zahnlilie (Erythronium deus-canis)
sichtbar blüht diese wärmeliebende Lilie
auf Bergwiesen, Felsheiden und rasigen
Felsbändern bis über 2000 Meter Höhe.
Aufrechte Stängel, dicht mit schmal-lanzettlichen Blättern besetzt, tragen die grossen, weit geöffneten, leuchtend gelbroten
Blüten. In den Achseln der oberen Stängelblätter bilden sich kleine Brutzwiebeln aus.
Insbesondere nach der Blütenfarbe
unterscheiden wir zwei Unterarten der
Feuerlilie. Die Subspezies bulbiferum besitzt hellorangefarbene Blüten, deren
Perigonblätter nur an der Basis und an
der Spitze dunkler gefärbt sind. Die Subspezies croceum besitzt dunkelorangefarbene Blüten, bei denen die Perigonblätter nur in der Mitte hellorange gefärbt
sind. Beide Unterarten bilden Brutzwiebeln aus, letztgenannte allerdings viel
seltener und erst nach der Blütezeit.
Weitaus häufiger treffen wie die Türkenbund-Lilie (Lilium martagon) in den
Alpen an. Ihr Verbreitungsgebiet reicht
von Mitteleuropa über Russland bis nach
Japan. Die Art bevorzugt Kalkböden,
wächst in lichten, artenreichen Laubwäldern der niederen Bergstufe und hat auf
Bergwiesen mit über 2400 Meter Höhe
ihre höchsten Wuchsorte.
Die Blütezeit der Türkenbund-Lilie
liegt, je nach Höhe des Fundorts, zwischen
Ende Juni und Ende Juli. Meist bestehen
die lockeren Blütentrauben aus drei bis
sechs Blüten. Besonders kräftige Pflanzen
können aber auch bis zu 20 Blüten tragen.
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Feuerlilie (Lilium bulbiferum croceum)
Acker-Gelbstern (Gagea villosa)
Die nickenden Blüten hängen an gekrümmten Stielen. Die fast kreisförmig
zurückgeschlagenen Perigonblätter sind
trübrosa und zeigen auf der Innenseite
unregelmässige purpurbraune Flecken. Die
ungewöhnliche Blütenform, die an einen
wohlgeformten Turban erinnert, hat dieser
Art die deutsche Bezeichnung Türkenbund
eingebracht.
In den Südwestalpen kommen weitere
Schachblumen vor. Die Hüllblattschachblume (Fritillaria involucrata) besiedelt
steinige Rasen von den Cottischen Alpen
bis zu den Ligurischen Alpen. Typisches
Merkmal dieser Art sind die drei obersten
im Wirtel stehenden Stängelblätter.
Das Verbreitungsgebiet der DauphinéSchachblume (Fritillaria tubiformis) erstreckt sich von den Hautes-Alpes bis zu
den Seealpen. 2 Unterarten sind zu unterscheiden. Die Subspezies tubiformis besitzt bis zu fünf Zentimeter grosse, purpurrote Blütenglocken, die nur schwach
schachbrettartig gemustert sind. Nur in
den Seealpen und in den Ligurischen
Alpen wächst die andere Unterart, ssp.
moggridgei. Ihre Blütenglocken sind
leuchtend gelb oder grünlich gefärbt.
Schachblumen:
Ein besonderes Erlebnis
Dasselbe gilt auch für die Turban-Lilie (Lilium pomponium), die ausschliesslich in
den Seealpen und in den Ligurischen
Alpen wächst. Ihre scharlachroten, dunkel
gepunkteten Blütenblätter sind ebenfalls
nach oben geschlagen. An den grünen
Staubfäden hängen orangerote Staubbeutel. Die grossen, bis zu 8-blütigen und
weithin sichtbaren Blütenstände heben
sich deutlich ab vom Grün der Bergwiesen
und den grauen Geröllhalden, auf denen
diese herrliche Art wächst.
Ihre nicht minder schöne Verwandte,
die Krainer Lilie (Lilium carniolicum), ist
in den südöstlichen Alpen heimisch. Ihre
Vorkommen reichen bis nach Kroatien.
Die Blütenfarbe ist sehr ähnlich der Turban-Lilie. Doch sind die zahlreichen Stängelblätter lanzettlich ausgebildet, während
die Turban-Lilie linealisch geformte Blätter besitzt. Die Krainer Lilie blüht schon
im Juni. Ihre Wuchsorte sind Bergwiesen
und steinige, buschreiche Hänge.
Zu den ganz besonderen Erlebnissen
gehört das Auffinden der seltenen Schachblumen. Am Alpensüdrand wächst die Burnat-Schachblume (Fritillaria meleagris ssp.
burnatii). Der überwiegend im oberen Teil
beblätterte, bis zu 30 cm hohe Stängel trägt
eine purpurbraune Blütenglocke, die mehr
oder weniger schachbrettartig gemustert
ist. Die Burnat-Schachblume wächst über
Kalk auf mageren Rasen.
Grengjer Tulpe:
Bedroht vom Aussterben
Zu den Liliengewächsen, die aus dem Süden Einzug in die Alpen gehalten haben,
gehören die Tulpen. Auf Felsen oder gebüschreichen Hängen wächst die Südliche
Tulpe (Tulipa australis). Der aufrechte
StängeI trägt zwei bis drei schmal-lanzettliche Blätter. Die glockigen Blüten sind gelb
gefärbt, die Blütenhüllblätter besonders
aussen gelegentlich rötlich oder rotbraun
überlaufen. Im Alpenraum kommt die Südliche Tulpe vor allem in Südtirol vor, in der
Schweiz ist sie nur im Wallis anzutreffen.
Auf einem kleinen Acker in der Nähe
des Dorfes Grengiols im Kanton Wallis
wächst die Grengjer Tulpe (Tulipa grengiolensis). Wie und wann die Grengjer Tulpe
nach Grengiols kam, ist noch nicht geklärt.
Vielleicht handelt es sich um ein Kulturrelikt aus Safrankulturen. Die Blüten sind
bei der Mehrzahl der Pflanzen reingelb, einige sind mit einem mehr oder weniger
breiten roten Rand versehen. Einen oft
nicht sehr deutlich ausgeprägten Basalfleck
Garten NATUR
Burnat-Schachblume
(Fritillaria meleagris burnatii)
Didier-Tulpe (Tulipa didieri)
findet man bei den rotgerandeten Exemplaren. Früher war die Grengjer Tulpe recht
häufig in den Winterroggenäckern. Durch
Umstellung der Bewirtschaftung von Winterroggen auf Kartoffeln und durch den
Anbau anderer Getreidearten wie Gerste
sind die Bestände stark rückläufig. Um die
Tulpe vor dem Aussterben zu retten, wurde
1996 eine Zunft ins Leben gerufen. Der
Walliser Naturschutzbund kaufte in der
Nähe des Dorfes eine Parzelle auf, wo die
Tulpe ein spezielles Reservat erhielt.
trägt zwei braunrot gefleckte, breit lanzettliche Blätter. Aus den nickenden Blüten ragen 6 bläulich gefärbte Antheren heraus.
Die Zipfel der Blütenhüllblätter sind scharf
nach oben gebogen, so dass sie eine gewisse
Ähnlichkeit mit Alpenveilchen-Blüten aufweisen. Die Hunds-Zahnlilie wächst bevorzugt in lichten Busch- und Laubwäldern.
Nicht selten schmücken Tausende der violetten Blüten den braunen Waldboden.
Zu den Frühlingsblühern gehören auch
die Gelbsterne. Man erkennt sie leicht an
ihren im Sonnenschein sich sternförmig
ausbreitenden, innen goldgelben und aussen grünen Perigonblättern. Sind die Blüten bei schlechtem Wetter geschlossen, erscheinen sie fast grün. In diesem Zustand
sind Gelbsterne fast nicht auffindbar.
In den Alpen weit verbreitet ist der
Röhrige Gelbstern (Gagea fistulosa). Er
wächst auf fetten, überdüngten Mattenplätzen in der Nähe von Viehställen in
1000 bis 2500 Metern Höhe. Typisch sind
seine hohlen, röhrigen, grundständigen
Laubblätter und die zottige Behaarung
der Blütenstiele. Das Verbreitungsgebiet
des Röhrigen Gelbsterns umfasst ausser
den Alpen noch die Pyrenäen, den Apennin und sogar den Himalaya.
Der Acker-Gelbstern (Gagea villosa)
wächst eher in niederen Lagen der kollinen Stufe. Seine Stängelblätter sind am
Rand zottig behaart. Die Blüten stehen zu
fünf bis zehn in doldenförmig gedrängtem
Blütenstand.
Der Frühlingsbote:
Hunds-Zahnlilie
Rotblühende Tulpenarten kommen im Alpenraum nur sehr selten vor. Ihr ausschliessliches Auftreten auf Äckern lässt
darauf schliessen, dass es sich bei ihnen
um Kulturfolger oder Kulturflüchtlinge
handelt. Leuchtend scharlachrot sind die
Blüten der Didier-Tulpe (Tulipa didieri).
Die Perigonblätter sind scharf zugespitzt.
Am Grund der Innenseite befindet sich ein
schwarzer, goldgelb umrandeter Fleck.
Heute finden wir die Didier-Tulpe nur
noch in Savoyen. Früher kam sie auch bei
Sion im Wallis auf Getreideäckern vor, ist
hier aber durch Veränderung der Wirtschaftsweise verschwunden.
Von den Pyrenäen, dem Alpensüdfuss,
über die illyrischen Gebiete bis zum
Schwarzen Mee, erstreckt sich das europäische Verbreitungsgebiet der HundsZahnlilie (Erythronium dens-canis). Ausserhalb von Europa reichen die Vorkommen über den Kaukasus und Sibirien bis
nach Japan. Die Hunds-Zahnlilie gehört zu
den ersten Frühlingsboten, denn sie entfaltet ihre unverwechselbaren violetten
Blüten oft schon im März, so dass sie oft
zusammen mit Schneeglöckchen (Galanthus nivalis), Leberblümchen (Hepatica
nobilis) und Blausternen (Scilla bifolia) anzutreffen ist. Der lange, biegsame Stängel
Blüht bis auf 3000 Meter
Nahe verwandt mit den Gelbsternen ist
die Gattung der Faltenlilien. In den Alpen
kommt nur eine Art dieser Gattung vor,
die Alpen-Faltenlilie (Lloydia serotina).
Wegen der Artbezeichnung serotina (lat.
sero = verspätet) könnte man annehmen,
dass diese Art relativ spät blüht. Dies ist
aber nicht der Fall. Je nach Höhenlage
Südliche Tulpe (Tulipa australis)
blüht sie von Juni bis August. Die AlpenFaltenlilie erweist sich als echter Höhenspezialist. Im Wallis und im Oberengadin wurde sie in über 3000 Meter Höhe
angetroffen. Selbst ihre tieferen Fundorte
liegen fast durchweg oberhalb der Waldgrenze, also in der alpinen Stufe. Bevorzugte Wuchsorte sind heidige, torfige Matten, sie siedelt sich aber auch an extremen
Orten, wie beispielsweise windgefegten,
im Winter schneefreien Graten an. Aus
einer kleinen Zwiebel treten zwei grasartige, schmale Laubblätter hervor. Der bis
zehn Zentimeter hohe, zarte Stängel trägt
meist nur eine trichterförmige Blüte. Die
Perigonblätter sind weiss mit feinen, rötlichen Streifen. Am Grund befindet sich
eine Leiste, aus der Nektar austritt.
Früher wurde die Familie der Liliaceae
weiter gefasst. In den letzten Jahren hat
eine vollständige Neugliederung stattgefunden. So zählen der Weisse Germer
(Veratrum album) und die Kelch-Simsenlilie (Tofieldia calyculata) nicht mehr zu
den Liliengewächsen. Sie besitzen einen
Wurzelstock und gehören zur Familie der
Schwarzblütengewächse (Melanthiaceae).
Die Trichterlilie (Paradisia liliastrum) aus
der Familie der Grasliliengewächse
(Anthericaceae) besitzt ebenfalls keine
Zwiebeln, denn sie ist büschelig bewurzelt. Auch die verschiedenen Lauch-Arten
werden nicht mehr zu den Liliengewächsen gerechnet. Sie bilden vielmehr eine
eigene Familie, die Alliaceae.
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