Indigene Völker in Lateinamerika

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Indigene Völker in Lateinamerika
Ch@t der Welten
Indigene Völker in Lateinamerika
Hintergründe – Fakten
Anregungen für den Unterricht
Impressum
Herausgeber:
Internationale Weiterbildung und Entwicklung
InWEnt gGmbH
Regionales Zentrum NRW
Wallstraße 30
40213 Düsseldorf
www.inwent.org
Verantwortlich:
Karin Kopshoff-Müller
Regionales Zentrum NRW
Fon: 0211 8689165
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E-Mail : [email protected]
Deutsche Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) GmbH
Dag-Hammerskjöld-Weg 1-5
Postfach 5180
65726 Eschborn
www.gtz.de
Silke Spohn, OE2120
Koordinationsstelle
Indigene Völker in Lateinamerika
und der Karibik (KIVLAK)
Fon: 06196 796215
Fax: 06196 797257
E-Mail : [email protected]
Redaktion:
Heidi Feldt, Karin Kopshoff-Müller, Silke Spohn
Autorinnen und Autor:
Heidi Feldt, Kapitel 1, 2, 3, 6, 7, Zusammenstellung der Arbeitsmaterialien
Dr. Sabine Speiser, 2, 3, 4.1, 4.2, 4.4, 5, 8, 9, 10
Dr. Birgitta Huse, 11, 12, 13
Dr. Volker von Bremen 4.3, 7.5
Dr. Ludgera Klemp 5.3
Gestaltung: spartacom:düsseldorf
Druck: Printart, Bochum
Auflage: 1500 Exemplare
Dezember 2005
ISBN 3-937235-85-X
Gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ)
Der Inhalt dieser Publikation gibt nicht unbedingt die Meinung der InWEnt – Internationale
Weiterbildung und Entwicklung gGmbH und der Deutschen Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) GmbH wieder.
Vorwort
Indigene Völker in Lateinamerika
Wenn wir in Europa an Indianer denken, haben wir
meist die Zeit des „Wilden Westens“ in Nordamerika
im Kopf. Wir denken auch an eine andere Lebenswelt,
eine andere Kultur und an eine Naturverbundenheit,
die unsere Zivilisation nicht mehr hat. Der Begriff
„Indianer“ löst bei vielen von uns eine besondere
Faszination und vielleicht sogar Sehnsucht aus.
Tatsächlich leben Indigene auf allen Kontinenten der
Welt. Allein in Lateinamerika gibt es mehr als 400 indigene Völker und weltweit 300 Millionen Menschen,
die diesen Bevölkerungsgruppen angehören. Bekannte
Völker sind die Sioux in den USA, die Aborigines in
Australien, die Maori in Neuseeland, die Maya in Guatemala und Mexiko, die Quechua und Aymara in den
Andenländern Südamerikas, die Inuit in Grönland und
Kanada, und die Saamen in Norwegen, Schweden und
Finnland.
Meist wissen wir wenig von diesen Menschen. Wer
sind sie? Wo und wie leben sie? Das vorliegende Buch
befasst sich mit den indigenen Völkern Lateinamerikas
und soll uns Antworten auf viele offene Fragen nach
ihrer Geschichte, Kultur und Lebensweise geben. Vor
allem ihre heutige politische, wirtschaftliche und soziale
Lage haben wir ausführlich dargestellt. Wir wollen damit
Verständnis wecken für uns völlig fremde Kulturen,
die voller Geschichte, Erfahrungen und Geheimnisse
stecken. Aber auch die Bedrohung der Indigenen und
die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen werden von
der „Entdeckung“ bis in die heutige Zeit thematisiert.
Das Thema indigene Völker wurde mit finanzieller
Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaft-
Karin Kopshoff-Müller
Regionales Zentrum Nordrhein-Westfalen
Internationale Weiterbildung und Entwicklung
(InWEnt) gGmbH
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
gemeinsam von InWEnt, Regionales Zentrum Nordrhein-Westfalen (NRW) und der Koordinationsstelle
Indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik
(KIVLAK) der Deutschen Gesellschaft für Technische
Zusammenarbeit (GTZ) GmbH erstellt.
Die Materialien sind auch auf der Internetseite des
Schulprojektes „Ch@t der Welten“ eingestellt, das von
InWEnt gGmbH in Kooperation mit dem Landesinstitut für Schule NRW und Klima-Bündnis e. V. initiiert
und von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und
der Nordrhein-Westfälischen Stiftung für Umwelt und
Entwicklung finanziell unterstützt wurde. Nähere
Informationen zum „Ch@t der Welten“ finden Sie
im Anhang und unter www.chatderwelten.de.
Unser Dank gilt dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
für die Förderung des Projektes, Heidi Feldt für dessen
Realisierung, den Autorinnen und Autoren des Buches
für ihre Beiträge, dem Landesinstitut für Schule NRW
und dem Klima-Bündnis für ihre Kooperation, Lioba
Rossbach-de Olmos, Christina Adam, Joachim Möller
und Dr. Raimund Schramm für ihre Anregungen, den
Fotografen und Projektleitern für die zur Verfügung
gestellten Materialien und natürlich allen Lehrerinnen
und Lehrern, Schülerinnen und Schülern, die dieses
Buch für ihren Unterricht nutzen.
Wir wünschen viel Freude bei dieser Lektüre und dem
Kennen lernen der indigenen Völker in Lateinamerika
und ihrer kulturellen Vielfalt.
Silke Spohn
Koordinationsstelle Indigene Völker
in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK)
Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH
3
Inhalt
Indigene Völker in Lateinamerika
Hintergründe – Fakten
Anregungen für den Unterricht
1.
2.
Indigene Völker im Unterricht . . . . . . . . . . . . . 5
Wer sind die
indigenen Völker Lateinamerikas? . . . . . . . . . . 7
2.1. Indigene Völker – weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . 7
2.2. Indigene Völker in Lateinamerika . . . . . . . . . . . 8
2.3. Wer sind indigene Völker? – die schwierige
Frage der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
8.
8.1.
Indigene Weltanschauung und Kultur . . . . . . 84
Christentum und die Verschmelzung
der Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
8.2. Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . 85
8.3. Tanz und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
8.4. Kunsthandwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
9.
3.
3.1.
3.2.
3.3.
Geschichte der indigenen Völker
Lateinamerikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Mesoamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Südamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
4.
Zusammenleben und soziale Strukturen
bei indigenen Völkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.1. Wer gehört dazu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
4.2. Soziale Organisation im Wandel . . . . . . . . . . . 31
4.3. Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.4. Männer und Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
5.
5.1.
5.2.
5.3.
Indigene Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Lokale soziale Strukturen
und politisch aktive Organisationen . . . . . . . . 48
Indigene Frauenorganisationen . . . . . . . . . . . 48
Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und
Staatsbürgerinnen am Beispiel Guatemalas . . 49
6.
6.1.
Rechte indigener Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
Internationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
7.
7.1.
7.2.
7.3.
7.4.
7.5.
Indigene Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
Beispiele indigener Wirtschaftsweisen . . . . . . 70
Die Amazonasregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
Der Andenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Die Mapuche in Chile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
Die Globalisierung und die indigenen
Völker – Am Beispiel des Gran Chaco . . . . . . 77
4
9.1.
9.2.
9.3.
9.4.
9.5.
9.6.
10.
11.
Sprache und Kultur –
eine komplexe Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Was ist Sprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
Sprache als Ausdruck des Denkens . . . . . . . . 89
Sprachpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
Ein Volk – eine Sprache – eine Kultur? . . . . . 90
Orale Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Interkulturelle zweisprachige
Bildung in Grundschulen . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Natur und das Verhältnis
des Menschen zu ihr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
12. Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
12.1. „Vom Boden in den Mund“ – Ernährung
im indigenen Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . 107
12.2. Mais . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
12.3. Die Schöpfung der Menschen . . . . . . . . . . . . . 111
13. Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
13.1. Was ist Migration? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
13.2. Migration in Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
Anhang
1
Ch@t der Welten
2
Service
3
Glossar
4
Autoren
5
Fotonachweis
Einleitung
1. Indigene Völker
im Unterricht
Mit dem vorliegenden Band bieten wir Ihnen umfassende Informationen zur Situation indigener Völker
in Lateinamerika sowie Arbeitsmaterialien, Quellentexte und Anregungen für den Unterricht. Damit Sie
die Texte leichter zuordnen können, sind Anregungen
und Aufgaben für den Unterricht grau unterlegt und
Arbeitsmaterialien als solche gekennzeichnet.
Neben diesen schriftlichen Informationen ermöglichen
InWEnt und die GTZ den Schülerinnen und Schülern
über das Projekt „Ch@t der Welten“ mit indigenen Gesprächspartnern aus den unterschiedlichen Regionen
Lateinamerikas via Internet direkt in Kontakt zu treten.
Dies erlaubt eine vielseitigere und authentischere Gestaltung des Themas im Unterricht als es allein durch
Materialien möglich wäre.
Geographie
Völker und Kulturen (Sek I)
Raumstrukturen und raumwirksame Prozesse von
natürlichen Systemen und Eingriffe von Menschen,
im Spannungsfeld von Aktionen und Konflikten sozialer
Gruppen, Staaten und Kulturgemeinschaften (Sek II)
Politik und Wirtschaft (Sek I)
die Nord-Süd-Frage
Umweltfrage
Geschichte
Geschichte Lateinamerikas
Religion/Philosophie
Gemeinschaft in der Welt im Spiegel von Religionen
und Kulturen, Lebenswelten: Wahrung der Menschenrechte, Wahrung und Förderung kultureller Identitäten
(Gesamtschule Sek I)
Natürlich eignet sich das Thema indigene Völker
Lateinamerikas für den Einsatz im Spanischunterricht
(Sek II). Arbeitsmaterialien und Originaltexte in
spanischer Sprache sind unter www.chatderwelten.de
Konkret können sie mit Mitarbeitern der Entwicklungs- eingestellt.
zusammenarbeit, die in den Projekten arbeiten, sowie
mit Repräsentantinnen und Repräsentanten indigener Stellenwert des Themas
Völker aus Guatemala, Panama, Peru und Ecuador per Das Thema erlaubt ein selbstbestimmtes und kooperatives Lernen der Schülerinnen und Schüler. Durch
Internet kommunizieren.
die Auseinandersetzung mit einem komplexen Thema
und dem unmittelbaren Kontakt zu den unterschiedIn den vorliegenden Materialien werden folgende
lichen Interessengruppen erlaubt es authentisches
Themenkomplexe aufgegriffen:
Lernen und fördert eine grenzüberschreitende und
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
authentische Kommunikation. Es unterstützt somit
Ihre heutige Situation
interkulturelle Lernprozesse.
Ihre Religion und Weltbild
Nachhaltige Entwicklung und das Verhältnis
Der Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern
indigener Völker zu ihrer Umwelt
indigener Völker aus Lateinamerika fördert die MehrDie Globalisierung und ihre Auswirkungen
sprachigkeit, da die Kommunikation überwiegend in
auf indigene Völker
Spanisch durchgeführt wird.
Rechte indigener Völker und Menschenrechte
Sozialstrukturen indigener Völker
Durch die eigenständigen Rechercheaufgaben zu den
Themen im Internet aber vor allem durch die notwenDie Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler der
dige Unterscheidung zwischen wichtigen und unwichSekundarstufen I und II.
tigen, seriösen und unseriösen Informationen und die
Die Materialien eigenen sich für den Einsatz in
Verarbeitung von einer Informationsvielfalt wird die
Sozialwissenschaften
Globalisierung und ihre Auswirkungen, Gesellschafts- Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler
strukturen und sozialer Wandel, nachhaltige Entwicklung erhöht.
5
Einleitung
Lernchancen des Themas
Das Thema ermöglicht:
Perspektivenwechsel / Empathie
Erkennen von Zusammenhängen aus verschiedenen Sachbereichen
Fördert die Meinungsbildung und das Einordnen
von Informationen
Konfliktanalyse, ermöglicht das Durchspielen von
Problemlösungsstrategien z.B. im Interessenkonflikt um natürliche Ressourcen zwischen indigenen
Völkern und Staat bzw. Industrie
Herausforderungen zur Positionsfindung
Aktives Zuhören, argumentieren, Fremdwahrnehmung in der direkten Kommunikation mit lateinamerikanischen indigenen Organisationen
Abbau von Vorurteilen
Reflexion der eigenen Position
Verknüpfung von Konsumverhalten, Umweltschutz und Menschenrechte
6
Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas?
2. Wer sind die
indigenen Völker
Lateinamerikas?
Unsere Vorstellung von lateinamerikanischen indianischen Völkern ist geprägt vom edlen Wilden am
Amazonas, der im Einklang mit der Natur lebt, vom
Indio des Andenhochlands, der in unseren Fußgängerzonen traurige Weisen auf der Panflöte spielt und
von den bunten Trachten der Indígenas in Guatemala,
Ecuador und Bolivien, die Kunsthandwerk verkaufen.
Doch wie sieht die wirkliche Lebenssituation indigener Völker aus? Wie leben und wirtschaften sie? Wie
gestaltet sich das Verhältnis von indianischen Völkern
zur nicht-indianischen Bevölkerung in den Ländern?
Wir wollen im Folgenden einen Einblick in die Vielfalt der Kulturen, Sprachen, Weltanschauungen und
Lebenssituationen dieser Völker geben. Unser Ziel
ist es darzustellen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten des Zusammenlebens, des Umgangs mit der
Umwelt und der Weltanschauungen gibt. Und dass
die kulturelle Vielfalt ein Reichtum für die Menschheit ist. In der Begegnung mit dem „Anderen“ wollen
wir auch zum Nachdenken über unsere Lebenssituation anregen, denn die Auseinandersetzung mit dem
„Anderen“ ist immer auch gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit uns selber.
2.1. Indigene Völker – weltweit
Ungefähr 300 Millionen Menschen leben heute als
Angehörige indigener Völker in mehr als 70 Staaten
dieser Welt. „Indigene Völker“ (lat.: „eingeboren“)
meint nichts anderes als „Ureinwohner“ oder „Eingeborene“. Da diese Begriffe jedoch im Deutschen oft
einen abwertenden Klang haben, wird von indigenen
Völkern gesprochen.
Indigene Völker weltweit
Aus: Ethel (Wara) Alderete (comp.): The Health of Indigenous Peoples, World Health Organization (WHO), 1999.
Erläuterungen zur Karte
1. Arktis : Aleut, Chipewyan, Inuit, Saami
2. Subarktischer Gürtel: Cree, Dene, Naskapi, Ojibwa
Nordamerika
3. Wälder im Osten: Algonquin, Haudenosaunce (Six Nations), Huron,
Micmac, Potawatomi, Shawnee
7
Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas?
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Südosten: Cherokee, Chickasaw, Creek, Seminole
Große Savanne: Arapaho, Cheyenne, Pawnee, Sioux
Nordwesten: Nez Perce, Wasco, Yakima
Kalifornien: Cahuillia, Pomo
Große Ebene: Shoshone, Ute
Südwesten: Apache, Dine (Hopi), Navajo, Zuni
nordöstliche Pazifikküste:
Bella Coola, Chinook, Haida, Kwakiutl, Salish, Tlinqit
11. Zentralamerika:
Bribri, Cakchiquel, Chol, Chuj, Cora, Guaymi, Huichol, Ixil, Kekchi,
Kuna, Lacandon, Lenca, Maya (descendants), Miskito, Nahua,
Pipile, Quiche, Rama, Seri, Sumu, Tarahumara, Yaqui, Yucatec
12. Karibik: Akawaio, Bari (Motilones), Choquie, Guajiro, Karina, Kogi,
Otomac, Paez, Yarawato, Yukpa
Südamerika
13. Amazonien: Aguaruna, Amarakaeri, Amuesha, Arara, Arawak,
Ashaninca, Asurini, Gaviao, Kayapo, Kreen-Akarore, Matsigenka,
Mundurucu, Nambikwa, Parakana, Quichua (Oriental), Sanema,
Secoya, Shipibo, Shuar (Jivaro), Tukano, Ufaina, Waimiri-Auroari,
Waorani, Wayana, Xavante, Yagua, Yanomami
14. Mato Grosso: Borbora, Botocudo, Ge (Canela, Central), Guato,
Kaduveo, Kaingang, Karaja, Kayapo (Southern), Tupi
15. Gran Chaco: Ache, Ayoreo, Chamacoco, Chiriguano, Guana,
Mataco, Mbaya, Toba-Maskoy
16. Andenvorland: Occidentales, Cayapas, Colorados
17. Andines Hochland: Aymara ,Huancas, Kolla, Mojo, Otavalo,
Quechua, Salasaca, Uros
18. Patagonien: Aracuanian, Mapuche, Ranquel, Tehuelche
Asien
19. Nord- und Zentralasien: Ainu, Hui, Manchu, Miao, Mongolian,
Taiwan Aborigines, Tibetan, Uighur, Yi, Zhuang
20. Südasien: Bhils, Chenchus, Dalflas, Dandami, Gadabas, Garos,
Gond, Hos, Irula Kurumbas, Juangs, Kadras, Kameng, Khassis,
Khonds, Kolis, Lohit, Mundas, Naga, Oraons, Pathan, Santal,
Savaras, Sholegas, Toda Kotas, Vedda
21. Chittagong Hill: Tract Peoples, Chakma, Marma, Tripura
22. Südostasien: Chin, Hmong, Kachin, Karen, Kedang, Lisu, Semai,
Shan
Afrika
23. Sahara, Sahel: Fulani, Tuareg,
24. Sudan: Dinka, Hamar, Kawahla, Lotuko, Mondari, Nuba, Nuer,
Rashaida, Shilluk, Zande
25. Ostafrika: Barabaig, Eritrean, Maasai, Oromo, Somali, Tigrayan
26. Wüste Kalahari: San
27. Ituri Wald: Efe, Lese, Mbuti
28. Australien und Pazifischer Raum: Aboriginals, Arapesh, Asmat,
Bangsa, Bontoc, Chamorro, Dani, Dayak, Hanunoo, Hawaiian,
Iban, Ifugao, Kalinga, Kanak, Kayan, Kedang, Mae-Enga, Maori,
Mundugumur, Penan, Rapa Nui, Tahitian, Torres Strait, Islanders,
Tsembaga
In Lateinamerika bezieht sich „indigen“ auf die
Nachkommen der vorkolumbischen Bevölkerung.
Da Kolumbus damals meinte, Indien entdeckt zu
haben, nannte er die Bewohner „Indios“, was ins
Deutsche mit Indianer übersetzt wurde. Allerdings
bezeichnet sich kein Indigener selbst als „Indio“.
Dies war der Begriff der europäischen Eroberer.
8
Sie selber bezeichnen sich mit dem Namen ihres
Volkes, in ihrer Sprache bedeutete dies zumeist
„Mensch“. Die Zuschreibung „Indio“ war sozusagen
eine Erfindung, die es den Eroberern erlaubte, die
unterworfenen Gesellschaftsgruppen „über einen
Kamm zu scheren“. Sie wurden nicht als Menschen
gleichen Ranges angesehen. Bis zum heutigen Tage
sind Indigene in den lateinamerikanischen Gesellschaften benachteiligt und bleiben vom gesellschaftlichen Reichtum, staatlichen Dienstleistungen und
politischer Beteiligung weitgehend ausgeschlossen.
2.2. Indigene Völker in Lateinamerika
In Lateinamerika leben über 400 indigene Völker, und
man zählt mehr als 700 gesprochene indigene Sprachen.
Brasilien weist dabei mit über 170 Sprachen – neben
der portugiesischen Staatssprache – auf seinem Territorium die größte Vielfalt auf.
Indigene Kulturen und Staaten in Lateinamerika
Quelle: BARIÉ, C. G., 2003: Pueblos Indígenas y derechos constitucionales
en América Latina: un panorama, Comisión Nacional para el Desarrollo
de los Pueblos Indígenas/Gobierno de México, La Paz
hatten. Dazu gehören auch die Reitervölker der Araukaner in Chile und Argentinien. Diese Völker waren
früher vor allem Jäger und Sammler und haben sich
lange gegen die spanische Invasion verteidigen können. In der Amazonas- und Orinokoregion leben viele
kleine und kleinste Völker, die meist Bauern, Jäger
und Sammler sind. Die Dorfgemeinschaften leben
meist isoliert voneinander und im Gegensatz zu den
Hochkulturen haben sie keine starken Hierarchien
herausgebildet.
Die indigenen Völker Lateinamerikas leben in der
kalten und unwirtlichen Welt der Anden, in den
feuchtheißen Regenwäldern, in der Dornbuschsteppe
des Chaco und an den Küsten. Diese verschiedenen
Ökosysteme verlangen ganz unterschiedliche Lebensund Wirtschaftsweisen. Es ist daher schwer, von den
indigenen Völkern zu sprechen, da es eine Vielfalt an
Kulturen, Wirtschaftsweisen und Formen des Zusammenlebens gibt.
Der Alltag der indigenen Völker Lateinamerikas, ihre
Probleme und Herausforderungen sind die Themen
der folgenden Kapitel. Doch vorher ist es notwendig
zu klären, welches die Charakteristika eines indigenen
Volkes sind.
Nach Schätzungen leben etwa 30 Millionen Indigene
in Süd- und Mittelamerika, der Karibik und in Mexiko.
Die Angaben liegen für das Jahr 2000 zwischen
12,6% (Weltbank) und 7,2% (Instituto Indigenista
Interamericano in Mexiko) der Gesamtbevölkerung.
Allein 90% der indigenen Bevölkerung lebt in den
fünf Ländern Bolivien, Guatemala, Ecuador, Mexiko
und Peru. In Lateinamerika ist Uruguay das einzige
Land, in dem keine indigene Bevölkerung mehr existiert.
Jedes indigene Volk hat seine eigene Entwicklungsgeschichte und Kultur. Sie lassen sich daher nur schwer
zusammenfassend beschreiben. Zu den indigenen
Völkern in Lateinamerika gehören die Nachfahren
der Hochkulturen der Maya und Azteken in Mexiko
und Mittelamerika sowie der Inka im Andenhochland
Südamerikas. Dies waren Gesellschaften mit einer
ausgeprägten Hierarchie, an dessen Spitze Herrscher
standen und die große städtische Zentren geschaffen
Internetrecherche:
Indigene Völker in Lateinamerika leben unter
ganz unterschiedlichen Bedingungen und haben
unterschiedliche Gesellschaften herausgebildet.
In Kleingruppen sollen unterschiedlichen Merkmale der Völker wie der Mapuche, der Maya, der
Aymara, der Kuna, der Ayoreo und der Kayapó
durch Internetrecherche herausgearbeitet werden.
Jedes dieser indigenen Völker lebt in einer anderen
Region und einem anderen Ökosystem.
2.3. Wer sind indigene Völker? – die schwierige Frage
der Definition
Wer genau sind indigene Völker? Die Frage ist relativ
schwierig zu beantworten. Für Lateinamerika ist es
noch relativ einfach, da alle Völker, deren Wurzeln
auf vorkolumbische Zeit zurückgehen, „indigen“ sind.
Aber in Afrika und Asien sieht es anders aus. Hier
gehen viele Regierungen davon aus, dass die ganze
Bevölkerung indigen ist.
9
Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas?
Eine wirklich genaue Definition gibt es nicht.
Am häufigsten wird die Begriffsbestimmung von
dem UN-Sonderberichterstatter José Martínez-Cobo
(UN-Dokument Nr. E/CN.4/Sub.2/1986/87) genutzt,
der 1986 in seiner Studie über die Diskriminierung
indigener Völker vier Kriterien benannte:
Indigene Völker sind relativ die „ersten“
Bewohner eines Gebietes
Sie bewahren freiwillig ihre kulturelle Eigenständigkeit wie Sprache, Gesellschaftsorganisation,
Religion, Produktionsweisen und/oder Institutionen. Indigene Völker sind kulturell deutlich
von der herrschenden Gesellschaft unterschieden.
Sie identifizieren sich selber als „indigen“ und
werden auch von anderen als solche anerkannt.
Sie haben Unterdrückung, Enteignung oder Ausschluss aus der nationalen Gesellschaft erfahren,
wobei die Unterdrückung noch heute fortbestehen
kann oder auch nicht.
10
Auch in Europa leben indigene Völker: die Samen
(„Lappen“) in Skandinavien, die Inuit auf Grönland
und zahlreiche Völker in Russland. Die Sorben in
Deutschland gehören nicht dazu. Für sie trifft das
Merkmal „erste Bewohner“ einer Region nicht zu, da
sie zugewandert sind. Sie werden daher als ethnische
Minderheit bezeichnet. Ähnliches gilt auch für die
Basken, Friesen oder Katalanen. Sie haben ihre eigene
Sprache und Kultur, aber unterscheiden sich in ihrer
Lebensweise kaum von der Mehrheit der Gesellschaft.
Auch sie können daher den Status „indigen“ nicht für
sich beanspruchen.
Aber wie gesagt, eine wirklich eindeutige Definition,
wer zu einem indigenen Volk gehört und wer nicht,
gibt es nicht. Auch die Versammlung der indigenen
Völker, die sich jedes Jahr unter dem Dach der Vereinten Nationen in Genf treffen, haben dafür gestimmt,
den Begriff nicht zu eng zu definieren.
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
3. Geschichte der
indigenen Völker
Lateinamerikas
Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte,
machte eine böse Entdeckung.
Georg Christoph Lichtenberg
derungswellen aus Asien statt. Aber es gibt auch Vermutungen, dass die Beringstrasse nicht der einzige
Siedlungsweg war. Archäologische Funde wie Steinwerkzeuge, die Ähnlichkeit mit der europäischen Art
der Bearbeitung von Werkzeugen aufweisen, könnten
auch auf Einwanderer aus Europa hinweisen. Eventuell haben auch aus dem polynesischen Raum Seefahrer nach Lateinamerika gefunden. Allerdings liegt
dies alles im Bereich der Vermutungen.
Die Besiedlung des amerikanischen Kontinents
begann vor etwa 30.000 Jahren. Amerika und Asien
waren damals noch über die Beringstrasse – die Landbrücke zwischen Kamtschatka und Alaska – verbunden.
20.000 Jahre später war der gesamte Kontinent bis
hinunter zur Südspitze des heutigen Chile besiedelt.
Wie genau die Besiedlung vor sich ging, darüber muss
weitgehend noch spekuliert werden. Höchstwahrscheinlich fand die Besiedlung in mehreren Einwan-
3.1. Mesoamerika
Mesoamerika liegt in der Mitte des amerikanischen
Kontinents. Es umfasst das heutige südliche Mexiko
und den Norden Mittelamerikas. Archäologen haben
das Gebiet in fünf Regionen eingeteilt, die dem Einflussbereich der bedeutendsten Kulturen entsprechen.
Im heutigen Mexiko an der Golfküste siedelten ab
1.500 v.Chr. die Olmeken, ihr kulturelles Zentrum
war La Venta, dessen Ruinen heute noch besichtigt
werden können.
Quelle: www.indianer-welt.de
Quelle: Mongne, Pascal (2004) Die Azteken, Fleurus-Verlag
13
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
Die Olmeken
Die Olmeken waren das Wasser und die Feuchtigkeit
gewohnt: Im heutigen Tabasco und Veracruz gab es
ein verzweigtes Labyrinth von Flüssen, Seen und
Lagunen, dazwischen Wälder und Sümpfe, der Boden
war sehr fruchtbar. Es gab zwei Ernten im Jahr, und
auf den größeren Wasserläufen begannen die Olmeken
eine kleine Handelsschifffahrt. Der erwirtschaftete
Überschuss an Lebensmitteln machte es möglich, dass
einzelne Gruppen der Gesellschaft zur Beschäftigung
mit Kunst und Wissenschaften freigestellt wurden:
dies war der Beginn der ersten Hochkultur Amerikas.
Quelle: www.indianer-welt.de/meso/olmek/olmek-kopf.htm
die Olmeken die Erfinder einer Schrift, die bereits viel
Ähnlichkeit mit der späteren Hieroglyphenschrift der
Maya und Azteken hatte.
Wichtigstes Nahrungsmittel der Olmeken, aber auch
der folgenden Hochkulturen der Region – der Maya
und Azteken und des Stadtstaates Teotihuacán – war
der Mais. Hinzu kamen Süßkartoffeln, Bohnen und
Maniok, Fisch, gesammelte Früchte und erlegtes
Wild. Die üblichen Nutztiere der Olmeken waren
Hunde, Truthähne und Honigbienen.
Sie besaßen ein fast mystisches Verhältnis zu dem
Material Stein. Berühmt sind die steinernen Kolossalköpfe der Olmeken. Das Rohmaterial für diese Köpfe
musste über eine Entfernung von mehr als 100 km
herangebracht werden. Die Suche nach dem begehrten Material führte mit der Zeit zu einer Ausbreitung
der olmekischen Kultur. Man fand Handelsniederlassungen in den Bergen von Oaxaca. Vermutlich waren
14
Die Maya
Ab 900 v. Chr. erstarkte, zunächst noch unter dem
kulturellen Einfluß der Olmeken, die Kultur der
Maya. Die Maya waren eine Sammlung verschiedener
Völker, die lediglich eine gemeinsame Sprache und
Religion verband. Ihr Gebiet war dominiert von einer
Reihe unabhängiger politischer Einheiten, die den
Stadtstaaten der Sumerer und Griechen ähnelten.
Diese Zentren lagen in einem fast dauerhaften Kriegszustand miteinander, dennoch entwickelten die Maya
eine gemeinsame Kultur. Sie teilten die gleichen
Mythen, dieselbe Schöpfungsgeschichte, die gleiche
Religion und die Vorstellungen von dem Leben nach
dem Tode.
Die Maya dominierten das Gebiet von Yucatán in
Mexiko und Guatemala zwischen 250 und 900 nach
Christus, in dieser Zeit entstanden die berühmten
Tempel in Mexiko (Palenque, Chichén Itzá), Honduras (Copán) und Guatemala (Tikal). Diese Tempel
waren Mittelpunkt der Stadtstaaten, den kulturellen,
wirtschaftlichen und politischen Zentren der Maya.
Die Maya waren eine hochentwickelte Kultur.
Sie verfügten über das einzige vollständige Schriftsystem des vorkolonialen Amerika. Es sind ein paar
wenige Bücher, die sogenannten Códices, gefunden
worden, die von der Schrift der Maya zeugen. Die
Hieroglyphen wurden auf die Rinde einer bestimmten
Feigenart aufgetragen, und enthalten Mythen und
Gründungserzählungen, Pflanzkalender und astronomische Angaben.
Tikal, Guatemala
Der Niedergang des Maya-Reiches fand im ausgehenden 9. Jahrhundert statt. Ab 800 nach Christus brach
aus dem Norden das kriegerische Volk der Tolteken
unter der Führung ihres Fürsten Mixcoatl in das Tal
von Mexiko ein, gründete sein kulturelles und politisches Zentrum Tula und „übernahm“ die zu diesem
Zeitpunkt rätselhafterweise fast verlassene Stadt Teotihuacán. Als um 1200 das Toltekenreich zerfällt – die
Gründe dafür sind bis heute nicht erforscht – ist auch
Tula bald verlassen und zerstört.
Quelle:
www.tu-dresden.de/slub/proj/maya/maya.html
Almanache der Mondgöttin
Dargestellt wird sie als Göttin der Heilkunst und Überbringerin von Krankheiten. Die Krankheiten werden von
Vögeln personifiziert, die Göttin I auf dem Rücken trägt.
Der Name der Mondgöttin war in vorspanischer Zeit
Ixchel. Ob die Göttin I im Codex allerdings Ixchel heißt,
ist bisher fraglich.
Im Popol Vuh, dem heiligen Buch der Quiché-Maya,
werden die religiösen Vorstellungen der Maya und
der Aufbau der Welt in Unterwelt, Welt der Menschen
und Himmel erläutert. Weitere wichtige Errungenschaften der Maya waren der systematische Anbau
von Mais, die Entwicklung eines präzisen Kalenders
und einer ausgeklügelten Mathematik. Metall wurde
nur zu rituellen Zwecken, nicht aber zur Waffenherstellung benutzt.
Teotihuacán
Etwa 150 v. Chr. wurde Teotihuacán gegründet,
die im Laufe der Jahrhunderte zu einer der größten
Metropolen der damaligen Welt heranwuchs. Der
Name der Stadt ist aztekisch, von seinen ursprünglichen Bewohnern ist leider nichts bekannt. Teotihuacán war kein politisches Zentrum einer bestimmten
Kultur, seine Bewohner nennt man daher einfach
die Teotihuacaner.
Wohl keine Stadt hatte größeren kulturellen Einfluss
auf das übrige Mesoamerika als Teotihuacán, auch
nicht die Stadtstaaten der Olmeken, der Tolteken oder
der Azteken. Die Stadt bedeckte mehr als 20 Quadratkilometer, die Einwohnerzahl lag viele Jahrzehnte
lang über 100.000. Es gab monumentale Bauwerke
in der Stadt. Sie lebte von der erfahrenen landwirtschaftlichen Arbeit der Bewohner, es gab eine weit
entwickelte handwerkliche Kultur, Malerei, Weberei,
Töpferei. Teotihuacán besaß ein ausgebautes Handelsnetz nach außen. Nach wiederkehrenden Überfällen von Nomaden aus dem Norden seit dem
6. Jahrhundert wird die Stadt im 7. Jahrhundert endgültig aufgegeben und verlassen.
Grabwächter von San Agustin, Kolumbien
15
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
Eine wohl geordnete Gesellschaft
Die Azteken sind die Nachkommen der kriegerischen
Chichimeken. Von ihren Vorfahren haben sie bestimmte
egalitäre Traditionen sowie eine ausgeprägte Lust an
der Kriegsführung übernommen. Unter dem Einfluss
der Tolteken haben sie dann eine Kultur begründet.
Ordnung, Hierarchie und Privilegien gehören
seitdem zu ihrer Welt.
DER TLATOANI
DER TECUHTLI
Die aztekische Gesellschaft ist sehr hierarchisch
aufgebaut. Bei aller Strenge ist sie aber auch
gerecht, denn sie sorgt dafür, dass jeder
nach seiner Funktion und seinen Möglichkeiten einen Platz findet. Wer sich an
die Regeln hält, wird beschützt – aber
wehe dem, der sie bricht!
DER KRIEGER
DER HANDWERKER UND DER POCHTECA
STRENGE GESETZE
In den Dörfern und auf
dem Land wird die Ordnung aus Furcht vor den
oft erbarmungslosen Strafen geachtet. Alle Männer,
auch die mächtigsten und
die Prinzen, unterliegen
dem Gesetz. Wer sich des
Diebstahls oder eines
anderen Vergehens schuldig macht, wird zur Sklaverei verurteilt, denn bei
DER TLALMAITL
den Azteken gibt es keine
Gefängnisse. Andere Verbrechen gelten dagegen als weitaus schlimmer. Der gefürchtete
Medizinmann wird oft geopfert, ebenso wie jene, die mit seinen
Kräften im Bunde stehen. Eine noch schlimmere Gefahr ist die
Trunksucht; mit Ausnahme der Alten darf niemand Alkohol
DER MACEHUAL
DER TLACOTLI
trinken: Wer betrunken erwischt wird, der wird geschlagen und
danach erwürgt. Das schwerwiegendste Verbrechen in dieser
puritanischen Gesellschaft ist schließlich der Ehebruch. Die
schuldig gesprochenen Männer und Frauen werden gesteinigt.
Quelle: Mongne, Pascal (2004) Die Azteken, Fleurus-Verlag
Die Azteken
In die Zeit des Zerfalls der letzten Maya-Dynastien
fiel im 12. Jahrhundert der Aufstieg der Azteken, die
sich selbst „Mexica“ nannten. Sie brachten die meist
in Konkurrenz zueinander lebenden Fürstenhäuser
um den See Texcoco unter ihren Einfluss (dieser See
wurde später trocken gelegt, auf ihm ist die heutige
Stadt Mexiko errichtet). Um 1325 gründeten sie dort
ihre Hauptstadt Tenochtitlán.
Die Geschichte der Azteken war voll von kriegerischen
Expansionen. Das Aztekenreich selbst war ein autori-
16
tär geführtes Militärregime mit einem Berufsheer.
Von den unterjochten Gruppen wurden Abgaben eingefordert. Der Zusammenhalt des etwa 1,5 Millionen
Menschen zählenden Reiches der Azteken mit seinen
unterschiedlichen Ethnien (Mixteken, Zapoteken,
Maya, Totonaken, Mixtla u.a.) durch eine autoritäre
kriegerische Führung blieb stets gefährdet. Regiert
wurde es von einem Städtebund aus Tenochtitlán,
Texcoco und Tlacopan. Der wichtigste Beamte – als
solche verstanden sich damals die Politiker – der Regierung in Tenochtitlán war gleichzeitig der aztekische
Imperator und Herrscher des Reiches. Die heute
DER TLATOANI
Der Herrscher ist die wichtigste Person in der aztekischen Welt. Er heißt Tlatoani,„derjenige, der spricht“, denn in der Welt der Indianer
haben das Wort und kultivierte Diskussionen einen hohen Stellenwert.
DER TECUHTLI (FEUDALHERR)
Die Mitglieder des aztekischen Adels sind wichtige Persönlichkeiten: Prinzen im Gefolge des Herrschers, Feldherren, Hohepriester und hohe
Beamte. Sie führen das Reich und sind sehr mächtig. Trotz mancher Privilegien haben sie auch Pflichten und ihre Titel sind nicht vererbbar.
DER KRIEGER
Jeder Mann muss sich als Krieger verdingen und sein Leben opfern, so wie es die Götter getan haben. Auch die niedrigsten und ärmsten Azteken
können zu höchsten Ehren gelangen, wenn sie Mut beweisen. Sie werden berühmt und bewundert und steigen ihrerseits in den Rang eines
Tecuhtli auf.
DER HANDWERKER UND DER POCHTECA
Sie sind keine Adligen, üben jedoch eine wichtige Funktion innerhalb der Gesellschaft aus: Sie bereichern sie durch Kunst und Handel.
Außerdem wächst ihre Einflussnahme mit der Zeit – vor allem die der Händler. Die Mächtigsten unter ihnen schicken ihre Kinder auf
die Adelsschulen, die Calmecacs.
DER MACEHUAL (EINFACHER MANN)
Die Menschen aus dem Volk stellen den Großteil der aztekischen Bevölkerung dar: Bauern, Fischer und Kleinhandwerker, die Gegenstände
des täglichen Lebens herstellen. Sie alle arbeiten hart für ihren Lebensunterhalt und um die vom Staat geforderten Steuern zu bezahlen.
Für die Instandhaltung der Straßen und Dämme, der öffentlichen Gebäude und Tempel werden sie zu Frondiensten herangezogen, also zur
Zwangsarbeit. Wenn Krieg herrscht, müssen sie außerdem für das Reich kämpfen. Die Machhualli sind jedoch nicht unglücklich, denn sie
erhalten jeder ein kleines Stück Land und ein Haus. Ihre Kinder haben ebenso das Recht auf eine Ausbildung in den örtlichen Schulen.
DER TLALMAITL (LANDLOSER)
Diese Bauern sind keine freien Männer, denn sie sind an das Land, das sie bearbeiten, gebunden. Sollte dieses den Besitzer wechseln,
werden sie quasi mitverkauft. Dafür zahlen sie keine Steuern und unterliegen nicht der Fronarbeit.
DER TLACOTLI (SKLAVE)
Ganz unten in der Gesellschaftspyramide stehen die Sklaven, deren Herkunft sehr unterschiedlich ist: Bewohner entlegener Landstriche,
die von Menschenhändlern entführt wurden; Lastsklaven, die mit ihrer Tragelast verkauft wurden; Kriegsgefangene, die der Opferung entgangen
sind; Männer, die aufgrund schwerer Verfehlungen wie etwa Diebstahl zu Sklaven herabgestuft wurden. Schließlich verkaufen manche auch sich
selbst oder ihr Kind zur Begleichung einer Schuld. Die Lebensbedingungen der Sklaven in der aztekischen Gesellschaft sind nicht so hart wie
jene der Sklaven in der Alten Welt oder in der Antike. Sie werden korrekt behandelt und jede ungerechtfertigte Gewaltanwendung gegen sie
wird bestraft. Sie dürfen Güter und sogar wiederum eigene Sklaven besitzen und sich ihre Freiheit zurückkaufen. Ihre Kinder werden als freie
Menschen geboren. Kaiser Izcoatl war selber der Sohn eines Sklaven ...
berühmtesten sind Moctezuma I, der von 1440 bis
1468 die Grenzen des Aztekenreiches erheblich erweiterte und Moctezuma II, der zur Zeit der Ankunft
der Spanier herrschte.
Die Azteken gelten durch ihre weit entwickelte Verwaltung, die Erfolge in Wissenschaften und kulturellen Bereichen als Hochkultur, die allerdings keine
Eisenverarbeitung kannte. Die Religion der Azteken
war polytheistisch, d.h. sie glaubten an eine Vielzahl
von Göttern. Der höchste unter ihnen war Huitzilopochtli (Gott der Sonne und des Krieges). Weitere
wichtige Götter waren Tláloc (Gott des Regens) und
Quetzalcoatl – ursprünglich eine Schlangen-Gottheit
der Tolteken –, er war Gott des Windes, des Himmels,
des Krieges. Bekannt sind die Azteken auch für ihre
religiösen Menschenopfer.
Das Náhuatl, die Sprache der Azteken, ist heute die am
meisten gesprochene indigene Sprache Mittelamerikas.
Die Eroberung Mesoamerikas
Als 1519 die Spanischen Eroberer unter Hernán Cortés
in das Land einfielen, fanden sie in den anderen indi-
17
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
genen Völkern Verbündete gegen die verhassten
Azteken. Nach mehrmonatiger Belagerung musste
Tenochtitlán 1521 kapitulieren, die größte Stadt der
damaligen Welt – fünfmal größer als das damalige
London – wurde von den Spaniern dem Erdboden
gleichgemacht. Der Aztekenherrscher Moctezuma
wurde gefangen genommen. Mesoamerika fiel unter
die Herrschaft der spanischen Krone. Die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Unterwerfung
der indigenen Völker und Gruppen des Subkontinents
dauerten bis 1697, als die bis dahin noch Teilautonomie genießenden Maya in ihrem Reich Tayasal (am
heutigen See Petén in Guatemala) von den Spaniern
angegriffen und unterworfen wurden.
3.2. Südamerika
Im Süden des amerikanischen Kontinents lebten
bereits 10.000 Jahre vor Christus Jäger und Sammler,
sie waren Nachkommen der Siedler, die einst über
die Landbrücke von Asien nach Amerika gekommen
waren. Ab 1.000 vor Christi Geburt lassen sich durch
archäologische Funde mehrere eigenständige Kulturen nachweisen, z. B. die von Nasca, die Tiahuanaco,
die Moche oder die Chimú, von denen einige bis weit
in das erste nachchristliche Jahrtausend ausstrahlten.
Dennoch dauerte es einige Jahrhunderte, bis das hoch
entwickelte Reich der Inka entstand und sich dann
beständig durch Kriege ausweitete.
zahlenmäßig deutlich kleiner und weniger mächtig
als die anderen umliegenden Kulturen im Gebirge der
Anden. Ursprünglich hieß nur der Herrscher „Inka“,
später bezeichnete man das gesamte Volk mit diesem
Namen.
Mitte des 15. Jh. n. Chr., auf dem Höhepunkt seiner
Macht, zählte das Inkareich 12 Millionen Menschen.
Es war straff organisiert und lebte von einem ausgeklügelten Tribut- und Abgabesystem.
Berühmt waren die Inka für ihre hochentwickelte
Städteplanung, meisterhafte Techniken der Steinbearbeitung, die Metallurgie und das Kunsthandwerk
der Keramik sowie für ihre Straßenbaukunst. Ein
ausgedehntes Straßennetz von ungefähr 40 000 km
durchzog das Reich. Auch die Landwirtschaft hatten
die Inka mit dem Anbau von Kartoffeln, Mais, Quinoa
und verschiedenen Gemüsearten sehr weit entwickelt.
Sie legten Bewässerungssysteme und ausgedehnte
Terrassen an. Als Nutztiere hielten die Inka Meerschweinchen und Hunde, Lama und Alpaka, die
Leder, Wolle und Fleisch lieferten.
Kolibri, Nasca, Peru
Das Inkareich
Der Ursprung des Inkareiches liegt in der Stadt
Cuzco. Um 1.000 n. Chr. datieren die ersten Belege
für die Existenz der Inka in diesem Gebiet, über ihre
Herkunft ist nur wenig bekannt. Sie waren zunächst
18
Ausbreitung der Inka von 1438-1528, Copyright by Geo
Quelle: www.indianer-welt.de/sued/inka/inka-karte.htm
Menschenopfer spielten in den religiösen Riten eine
nur geringe Rolle – ganz anders als in Mittelamerika.
Dem Sonnengott Inti waren mächtige Tempel geweiht, deren Wände mit Gold und Silber verkleidet
waren. Er und die Mondgöttin Mamaquilla waren ein
Paar. Der Inka galt als irdische Inkarnation der Sonne
und seine Schwester und seine Gemahlin waren die
Verkörperung des Mondes. Außerdem verehrten die
Inka Götter, die verschiedene Naturkräfte symbolisieren.
Im Gegensatz zu den Hochkulturen Mesoamerikas
existierte in Südamerika in vorkolumbischer Zeit
keine Schrift. Die Inka arbeiteten zum Zählen und
Aufzeichnen mit einer Knotenschrift, dem sogenannten
Quipu. Die Staatssprache im Inkareich war Quechua.
Auch heute wird diese Sprache noch von mehreren
Millionen indigenen Bauern in Bolivien, Peru und
Ecuador gesprochen.
Auf einer Höhe von 3.500 Metern gründeten die Inka
in den heutigen peruanischen Anden ihre Hauptstadt:
Cuzco. Sie wurde zum politischen, religiösen und
kulturellen Zentrum eines Reiches, das von Ecuador
im Norden bis hinunter nach Chile und Nordwestargentinien reichte. Bei der Ankunft der Spanier in
Peru lebten in Cuzco rund 200 000 Menschen. Die
Besatzer legten die Stadt 1533 n. Chr. in Schutt und
Asche, und erbauten auf den Ruinen das heutige
Cuzco.
Der Inka-Staat in seiner hochorganisierten Form und
einem trotz seiner Größe funktionierenden zentralistischen Staatsapparat hatte nur etwa 90 Jahre Bestand.
1528 erreichte der spanische Kriegsherr Francisco
Pizarro erstmals das Inka-Territorium, deren Reich
durch einen Bruderkrieg um die Herrschaftsnachfolge
erheblich geschwächt war. Bereits kurze Zeit später
besiegten die Spanier das Inkareich und ermordeten
Atahualpa, den letzten Inka-Fürsten.
Indigene Völker im Amazonasgebiet
Die Geschichte der indigenen Völker des Amazonasbeckens hat mit der Eroberung durch die Spanier,
die in der Mitte des 16. Jahrhunderts begann, einen
tiefen Einschnitt erfahren. Bis dahin hatten sich die
indigenen Völker der östlichen Ausläufer der Anden
erfolgreich gegen das Vordringen der Inka gewehrt,
die im Hochland der Anden von Südkolumbien bis
Machu Picchu, Peru
Nordchile ein großes Imperium errichtet hatten.
Doch mit der spanischen Eroberung begann für
immer mehr indigene Völker des Amazonas eine
Zeit der Fremdherrschaft.
Seit der spanische Generalleutnant Francisco de
Orellana ab 1540 den Amazonasfluss erstmals bis
zu seiner Mündung hinabfuhr, hat eine Vielzahl von
einzelnen Ereignissen stattgefunden. Ein Beispiel
ist der Aufstand der Shuar-Indianer im Jahre 1599.
Er richtete sich gegen die Erhöhung des Tributs in
Goldstaub, den die Indianer an die spanische Kolonialmacht entrichten sollten. Es heißt, dass sie einen
hohen Kolonialbeamten gefangen nahmen und ihm
eingeschmolzenes Gold in die Kehle gossen, um
damit seinen Golddurst ein für alle Mal zu stillen.
Die Motive für die Eroberung des Amazonasbeckens
sind im Verlaufe der Geschichte weitgehend die gleichen
geblieben. Die „Nichtindianer“, die Amazonien unter
ihre Kontrolle bringen wollten (spanische Eroberer,
Kolonialbeamte, Armeeangehörige), waren auf der Suche
nach Rohstoffen aller Art (Gold und andere Bodenschätze, Rohgummi, Holz oder Erdöl) oder sie verfolgten die Absicht, die „Indianer“ zu einer anderen Religion oder Lebensweise zu bekehren (Missionare).
19
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
Bedeutung der Kirche
Einer Personengruppe, der man seit den frühen Tagen
der spanischen Eroberung in Amerika begegnet, sind
die Missionare. Sie spielen eine herausragende Rolle
in der „Zivilisierung“ der sogenannten „Wilden“.
Wie überall versuchten sie auch in Amazonien, die
Mitglieder der indianischen Völker zum Christentum
zu bekehren.
Es gab natürlich Missionare, die sich für die Indianer
einsetzten. Ein Beispiel mag der Jesuitenpater Antonio Vieira sein. Er hat mit Überzeugung und einer
Reihe von Geschenken, die Aru, die Ingaíba und
die Anajá an der Nordostküste Brasiliens überredet,
zum Christentum überzutreten, in der Hoffnung, die
Indianer dadurch vor der Sklaverei zu retten. Zuerst
ging diese Rechnung auch auf, die Indianer konzentrierten sich an den Missionsorten, dann aber wurden
sie Opfer von Seuchen wie den Pocken und mussten
sich zunehmend den Übergriffen weißer Siedler erwehren. Gleichzeitig sank in Europa der Einfluß des
mächtigen Jesuitenordens auf die Politik des Vatikans.
Sie wurden entmachtet und viele, darunter auch Antonio Vieira verhaftet. Die christianisierten Indianer
blieben schutzlos zurück. Aus der Haft entlassen
reiste Vieira nach Lissabon. Dort gelang es ihm, dass
König Pedro II die Sklaverei aussetzte. Auf Vieiras
Betreiben hin schaffte man Sklaven aus Afrika an
den Amazonas und ersetzte so ein Unrecht durch ein
anderes. Für die drei Völker an der Nordostküste kam
Kirchenfest der Maya in Chiapas, Mexiko
20
jede Hilfe zu spät. Krankheiten und Sklavenjäger
haben sie vernichtet.
Nicht selten arbeiteten die Missionare Hand in Hand
mit den militärischen Machthabern aus Europa und
versuchten durch die Christianisierung die indianische Bevölkerung in das europäische Wertesystem
zu integrieren und den indianischen Widerstand zu
brechen. Heute wirken vor allem evangelikale Sekten
in der Amazonasregion. Sie haben sich in der Praxis
oft als Wegbereiter für die Erdölkonzerne erwiesen.
So gingen das Erdölunternehmen Texaco-Gulf und
Missionare des Sommerinstitutes für Linguistik ein
Bündnis ein. Das Sommerinstitut ist eine weltweite
protestantische Organisation mit Sitz in Texas, die
sich der Übersetzung der Bibel in indianische Sprache
widmet. In Ecuador haben sie in den 60er und 70er
Jahren mit Geschenken und Versprechungen das
Volk der Huaorani in Missionsstationen konzentriert.
Texaco nutzte die Zeit, um eine Strasse in das Huaorani Gebiet zu bauen, die deren Gebiet jetzt durchschneidet und als Versorgungsweg für die Erdölförderung genutzt wird.
Auf der anderen Seite haben Missionen in neuerer
Zeit viel dazu beigetragen, dass die indianischen Völker sich organisieren und national und international
gehört werden. So ging die Organisation der Shuar
in Ecuador, die sich in den 70er Jahren des letzten
Jahrhunderts gegründet hat, aus der Arbeit der katholischen Mission hervor.
3.3 Zeittafel
Amerika
Übrige Welt
Um 1200 v. Chr. bis 400 v. Chr.
Entstehung der ersten Hochkultur: in Mexiko die Kultur
der Olmeken, in Peru jene der Chavin. In Nordamerika
entwickelt sich der Ackerbau
Um 1000 v. Chr.
Die Phönizier entwickeln die alphabetische Schrift
und verbreiten sie im Mittelmeerraum
Um 300 v. Chr.
Die Zapoteken bauen ihre Hauptstadt im Hochland von
Oaxaca. Monte Albán wird die erste Großstadt Amerikas.
Die Zapoteken beherrschen ca. 1000 Jahre lang das Tal von
Oaxaca, um ca. 700 n.Chr. verlassen sie aus ungeklärten
Gründen die Stadt und siedeln fortan im Tal.
Um 300 v. Chr.
Beginn des Baus der Chinesischen Mauer
Um 100 v. Chr.
In Mesoamerika entsteht das kleine Dorf Teotihuacán, dass
sich zwischen dem 3. und 7. Jahrhundert zur größten Stadt
Amerikas entwickelt. Zu der Zeit leben mindestens
100.000 Menschen dort.
264 bis 146 v. Chr.
Die drei punischen Kriege zwischen Rom und Karthago,
Rom gewinnt und beherrscht den Mittelmeerraum.
300 bis 900 n. Chr.
Blütezeit der Maya Kultur auf dem Gebiet der heutigen
Staaten Guatemala, Belize, Honduras, El Salvador und
im Süden Mexikos
370
Die Hunnen fallen in Europa ein
ab 750 n. Chr. werden alle Städte im Maya Tiefland verlassen, höchstwahrscheinlich in Folge von politischer
Instabilität, Bevölkerungswachstum und
Nahrungsmittelknappheit. Die letzte große Stadt der Maya,
Mayapán, geht um 1440 unter, danach existieren nur noch
kleine Stadtstaaten.
476
Der germanische Heerführer Odoaker setzt den
weströmischen Kaiser Romulus Augustus ab.
Damit endet das weströmische Reich.
Dieses Datum gilt gemeinhin als Ende der Antike und
Beginn des Mittelalters.
Ab 600 n. Chr.
In Westmexiko wird zum erstenmal Metall
(Silber, Kupfer) verarbeitet
Um 700
Unter dem Einfluss der mesoamerikanischen Kulturen
kommt es im Mississippi zu Stadtgründungen mit
Erdpyramiden.
711
Die Araber besetzen Spanien und damit beginnt die
Blütezeit der maurischen Kultur
Um 800
Die klassische Mayakultur im Hochland geht unter.
Um 800
Die Normannen greifen die Küsten an
21
Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas
Um 900
Im Südwesten der heutigen USA erleben indianische
Hochkulturen (Hohokam, Anasazi, Mogollon) ihre
Blütezeit.
Ab 900
Das fränkische Königreich wird in viele unabhängige Lehen
(geliehener Grundbesitz) aufgeteilt. Dafür leisten die
Vasallen dem Lehnsherr Gefolgschaft und übernehmen
Ritterdienste. Das Lehnwesen ist ein Grundpfeiler der mittelalterlichen Gesellschaft.
Um 1200
In den Bergen Südperus begründet König Ayar Manco die
Dynastie der Inka. Unter der Herrschaft von König Mayta
Cápac beginnen die Inka 1260 mit der Eroberung ihrer
Nachbarregionen.
Um 1200
Die Mongolen führen unter ihrem Anführer Dschingis
Khan ihre Eroberungszüge durch.
Ab 1215
Die Azteken erreichen das Hochtal von Mexiko. Ihr
Herkunftsgebiet ist unbekannt, sie kommen höchstwahrscheinlich aus dem Norden Mexikos oder dem Südwesten
der heutigen USA.
1232
Beginn der Inquisition
Zeit der Kreuzzüge
1212
Kinderkreuzzug
1325
Gründung der Aztekenstadt Tenochtitlán auf einer Insel
im Texcoco See, dem heutigen Mexiko-Stadt. Unter
Moctezuma I (1440 – 1468) weiten die Azteken ihre Macht
auf 450 Städte aus
1348
Gründung der ersten Universität im Heiligen Römischen
Reich deutscher Nationen in Prag
1428
Pachacutec Inka Yupanki übernimmt die Macht und erobert
Teile Perus. Das Inka Reich ist gegründet.
1455
Johannes Gutenberg erfindet die Buchdruckkunst.
12. 10. 1492
Kolumbus erreicht Amerika.
1494
Spanien und Portugal teilen sich Amerika. Laut Vertrag
von Tordesillas gehört der amerikanische Kontinent östlich
einer Linie, die etwa dem 46. Grad westlicher Länge entspricht, dem portugiesischen König, westlich davon dem
spanischen.
1493 bis 1525
Unter der Herrschaft von Huayana Cápac erlebt das
Inkareich seine Blütezeit. Es erstreckt sich von Quito,
Ecuador bis nach Valparaiso in Chile
1501
Amerigo Vespucci erkundet die Küsten Brasiliens, nach
ihm wird Amerika benannt.
1519
Hernán Cortés landet an der mexikanischen Küste
und erreicht im November Zenochtitlán, wo er von
Moctezuma II als göttliches Wesen empfangen wird.
1521
Tenochtitlán wird von den Spaniern und verbündeten
Indianern belagert und zerstört.
1532
Fransisco Pizzarro dringt in das Inkareich vor. Innerhalb
weniger Monate und nur mit wenigen hundert Mann zerstört er das größte Reich des amerikanischen Kontinents.
22
1521
Martin Luther wird aus der katholischen Kirche
ausgeschlossen.
Aus der Biografie von Kolumbus
(geschrieben von seinem Sohn):
„Der Admiral rief die beiden Kapitäne und die andern,
die mit ihm an Land gegangen waren ... Sie alle rief
er mit Namen auf und bat sie, folgendes zu bezeugen
und zu beurkunden: dass er gekommen sei, um von
dieser Insel Besitz zu ergreifen und dies hiermit im
Namen seines Königs und seiner Herrin vollzöge, unter
Beachtung der für diesen Vorgang notwendigen feierlichen Erklärungen ... Viele Indianer liefen zu dieser
Feierlichkeit zusammen, und der Admiral, der sah,
dass es sich um ein freundliches und friedliebendes
Volk handelte, gab ihnen einige rote Mützchen, Glasperlen... und andere Gegenstände von geringem Wert,
welche sie des höchsten Preises für würdig hielten.“
Königin Isabella
Die Unterwerfung der Indianer durch königliches Recht
Isabella, von Gottes Gnaden Königin von Kastilien
und León etc. [1503]: Da der König, Mein Herr, und
Ich durch die Instruktion, die Wir dem Don Nicolás
de Ovando [dem ersten Gouverneur Hispaniolas] zur
Zeit seiner Statthalterschaft auf den Inseln und dem
Festland des Ozeans erteilen ließen, befohlen haben,
dass die auf der Insel Española ansässigen Indianer
freie Menschen und keiner Dienstbarkeit unterworfen
sein sollten (wie das näher in der genannten Instruktion enthalten ist), Ich jetzt aber erfahren habe, dass
die Indianer infolge der ihnen gegebenen reichlichen
Freiheit die Christen fliehen, Gespräch und Umgang
mit ihnen meiden, auch gegen Lohn nicht arbeiten
wollen und sich müßig herumtreiben, geschweige
sich denn dazu gewinnen lassen, belehrt und zu
Unserem heiligen katholischen Glauben bekehrt zu
werden, dass deshalb die dort auf der Insel wohnenden Christen keine Arbeitskräfte für ihre Farmen und
für die Goldgewinnung finden können, wodurch den
einen wie den andern Schaden erwächst, und weil
Wir wünschen, dass die genannten Indianer sich zu
Unserem heiligen katholischen Glauben bekehren
und darin unterrichtet werden, dies sich aber besser
tun lässt, wenn die Indianer mit den auf der Insel
wohnenden Christen in Berührung kommen, mit
ihnen umgehen und zu tun haben, beide einander
helfen und so die Insel kultiviert, bevölkert und ertragreich gemacht wird, auch Gold und andere Metalle
gefördert werden, und Meine Königreiche und deren
Bewohner daraus Nutzen ziehen, so habe Ich diese
Verfügung wie folgt ausfertigen lassen und befehle
hiermit Euch, Unserem Gouverneur, dass Ihr von
dem Tage an, wo Ihr diese Meine Verfügungen erhaltet, künftig die Indianer nötigt und antreibt, mit
den Christen der genannten Inseln Umgang zu pflegen,
in ihren Häusern zu arbeiten, Gold und andere Metalle
zu schürfen und Landarbeit für die auf der Insel ansässigen Christen zu leisten, und dass Ihr jedem für
den Arbeitstag Tagelohn und Unterhalt geben lasst,
wie sie Euch nach der Beschaffenheit des Bodens, des
Arbeiters und der Tätigkeit angemessen erscheinen,
dass Ihr jedem Kaziken [Häuptling] auferlegt, eine
bestimmte Anzahl Indianer bereitzuhalten, um sie
jeweils da, wo es nötig ist, zur Arbeit einsetzen zu
können, und damit sie sich an den Festtagen, und
wann es sonst erforderlich scheint, zusammenfinden,
um an den dafür bestimmten Orten über die Dinge
des Glaubens zu hören und darin unterrichtet zu
werden, dass jeder Kazike die von Euch jeweils vorgeschriebene Zahl von Indianern beibringt und an die
von Euch benannten Personen zur Arbeit überlässt,
gemäß näherer Anweisung dieser Personen und
gegen einen von Euch festzusetzenden Tagelohn.
Die genannten Verpflichtungen sollen sie als freie
Personen leisten, die sie ja sind, nicht als Sklaven.
Ihr habt dafür zu sorgen, dass diese Indianer gut
behandelt werden, und zwar diejenigen unter ihnen,
die Christen sind, besser als die andern; Ihr dürft
nicht dulden oder Anlass geben, dass irgendjemand
ihnen Leid oder Schaden zufügt oder sie ungebührlich
behandelt. [...]
Quelle: Urs Bitterli, Die Entdeckung und Eroberung der
Welt, Verlag C.H.Beck, München
23
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Antonio de Ayanz (ca. 1580)
Die Silberminen von Potosí;
oder Die Gnade, für Zwangsarbeit zahlen zu dürfen
In der ganzen Welt sind die großen Silberschätze
bekannt, die aus diesem Reich Peru, vor allem aus
dem Berg und den Silberminen von Potosí kommen.
[...]
Aus den übrigen Bezirken oder Provinzen [des Landes]
kommen alljährlich insgesamt 13 000 Indios, um in
den Bergwerken zu arbeiten. Zwar erfüllen einige
Orte ihre Verpflichtung, Arbeiter zu stellen, in voller
Höhe, doch die meisten sind nicht in der Lage, die
von ihnen geforderte Zahl von Arbeitskräften zu entsenden. [...]
1. Diese Indios nehmen normalerweise ihre Frauen
und Kinder mit, so dass sich ihre Gesamtzahl auf
über 7000 Seelen beläuft. Jeder Indio nimmt zudem
mindestens 8-10 Lamas sowie einige Pacos oder
Alpakas als Schlachttiere mit. Andere, die mehr Besitz
haben, nehmen 30-40 Lamas mit, auf denen sie Nahrungsmittel, Kochgerät sowie die groben Wolldecken
transportieren, mit denen sie sich zudecken und vor
der Kälte schützen, denn sie schlafen immer im
Freien. [...]
So machen sich diese Indios mit all ihrer beweglichen
Habe auf den Weg nach Potosí, und für die Strecke
von etwa 100 Meilen brauchen sie normalerweise zwei
Monate, denn sie können das Vieh nicht zu größerer
Eile antreiben. Auf dem ganzen Hinweg und auch auf
dem Rückweg in ihre Dörfer verpflegen sie sich auf
eigene Kosten, ohne dass sie für diesen beträchtlichen
Aufwand irgendeine Entschädigung erhalten.
2. Sie lassen ihren Heimatort, ihre Herden und Äcker
schutzlos zurück. Auch wenn einige das wenige, was
sie zurücklassen, ihren Verwandten anvertrauen und
tatsächlich zurückkehren, finden sie ihren Besitz so
verwahrlost und schlecht geführt vor, dass sie es für
besser halten, überhaupt nicht mehr heimzukommen,
weil sie aus Erfahrung wissen, dass nur neue Not und
Mühsal auf sie zukommen.
3. Bei der Trennung spielen sich zwischen den Dorfbewohnern bewegende und traurige Szenen ab, wie
bei Leuten, die gegen ihren Wunsch ihre Heimat verlassen und sich in offenkundige Lebensgefahr begeben [...] und die aus gutem Grund befürchten müssen,
darin umzukommen. [...]
4. Wenn alle diese Leute in Potosí angekommen sind,
wird ihre Zahl überprüft, und wenn einer fehlt oder
wenn von denen, die die Provinz verlassen haben,
100 oder 200 Indios in die Täler geflohen sind, die
zu beiden Seiten des Weges liegen, wird ein Justiz-
24
beamter auf Tagegeld von Potosí ausgesandt, um
Ersatz für die Fehlenden [...] aus ihrer Provinz zu
holen. Da aber nie nach denen gesucht wird, die in
die Täler geflohen sind, und da so wenige aus Potosí
zurückkehren, hat die Bevölkerung immer mehr
abgenommen. [...]
5. Wenn die Indios sich in ihren Pfarrgemeinden
niedergelassen haben, werden sie zur Arbeit in den
Bergwerken gezwungen; diejenigen, die diese Zwangsarbeit verrichten, werden Indios Cédulas genannt.
Wenn ein Spanier oder Minero [Grubenverwalter]
eine Cédula [meist eine königliche Verfügung, eine
bestimmte Anzahl Zwangsarbeiter zu rekrutieren]
für 10 oder 20 Indios erhält, geht er zu ihren Unterkünften und holt sie mit roher Gewalt unter Peitschenhieben und Misshandlungen heraus, wenn sie sich
nicht so beeilen, wie er es wünscht. Wenn der zum
Anführer ernannte Indio ihm nicht die volle auf der
Cédula genannte Anzahl von Indios bereitstellt, wird
er oft geohrfeigt und misshandelt, bis die volle Zahl
erreicht ist. Wenn der Minero seine Indios soweit
gebracht hat, dass sie in das Bergwerk einfahren und
das Metall abbauen, und wenn sie ihm dann nicht
genug herausholen, bekommen sie solche Peitschenhiebe und Fußtritte, dass viele behaupten, die Peitschenhiebe auf den Galeeren seien weniger schlimm.
Dabei kann der arme Indio oft gar nicht mehr, denn
die Mine ist sehr tief, die schweren Lasten erschöpfen
seine Kräfte, und er muss befürchten, zu stürzen und
zu Tode zu kommen. Da das Metall sehr hart ist und
der Arbeiter mit der Brechstange nur sehr wenig
fördern kann, fürchten die Indios diese harte und
schwere Arbeit sehr, zumal es oft vorgekommen ist
und immer noch geschieht, dass die Spanier die
Indios mit Tritten und Peitschenhieben zu Tode
schinden.
6. Der Lohn, den sie als Entschädigung wöchentlich
erhalten, beträgt 21/2 Pesos heutiger Währung, was
20 Realen entspricht. Um ermessen zu können, in
welch schlimme und elende Lage sie durch einen
solchen Hungerlohn versetzt werden, soll hier gesagt
werden, wieviel sie bei größter Einschränkung zum
Leben ausgeben müssen. [...]
Es ergibt sich so ein Gesamtbetrag von 281/2 Pesos;
nicht eingerechnet sind dabei die Ausgaben für Kochgeschirr, für die Decken, die bei der Arbeit im Bergwerk schadhaft werden, für Kleidung, für die jährliche
Steuer von 30 Pesos heutiger Währung sowie die Ausgaben für Essen und Kleidung von Frau und Kindern,
die mindestens genauso hoch sind wie für den Indio
selbst. Zu all diesem kommt noch, dass der Minero
ihm oft nicht den vollen Lohn zahlt, weil er angeblich
seine Arbeit nicht im vollen Umfang erledigt hat, so
dass der arme Indio im Monat nur so viel bekommt,
wie er für seine eigene Person ausgibt. Mit Steuern
und Ausgaben für Kleidung wären dies mehr als 32
Pesos, wozu dann noch Essen und Kleidung für die
Familie kommen, was über 60 Pesos ergibt. Der Lohn
dagegen, den er ausbezahlt bekommt, beträgt oft nur
111/2 Pesos. [...]
7. Neben den obengenannten Verlusten, der Strenge
und den Peitschenhieben der Mineros sowie den
anderen bereits geschilderten elenden Lebensumständen fürchten die Indios vor allem die große
Lebensgefahr, in die sie sich beim Einfahren in die
Gruben begeben. Diese sind nämlich sehr tief und das
Ein- und Ausfahren wegen der häufigen Erdrutsche
und des Steinschlags äußerst gefährlich; viele sind
durch herabfallendes Gestein schon übel zugerichtet
oder gar getötet worden.
Manche rutschen auch auf den aus Lederriemen
gefertigten Leitern aus, und wenn einem Vorausgehenden etwas aus der Hand fällt oder er durch irgendein Missgeschick ausgleitet, verletzt oder tötet er die
hinter ihm Gehenden. So werden jede Woche mindestens sieben oder acht Bergarbeiter verletzt, erleiden
Bein-, Arm- oder Schädelbrüche oder Verletzungen
am ganzen Körper. Alle zwei Wochen werden ein bis
zwei tödliche Unfälle bekannt, ganz abgesehen von
jenen Vermissten, die wohl zerschmettert am Grunde
des Schachts liegen. Darüber hinaus gibt es oft Unfälle mit 30 oder 40 Toten, wenn ein Teil des Bergwerks einstürzt und die Arbeiter verschüttet.
Manche werden bei lebendigem Leib begraben, und
von benachbarten Stollen nimmt man ihnen mit
lauten Rufen die Beichte ab. All diese Dinge müssen
größtes Bedauern und Mitleid erwecken, und diejenigen, die sie erleiden, fürchten sie mehr als den Tod.
Und so geschieht es, dass manche dieser unglücklichen Indios – Gott gebe es, es wären nicht so viele –
unter dem Druck der erfahrenen Mühsale, bei denen
sie so viel von ihrer Habe verloren und nur die anderen bereichert haben, aus Furcht vor der Gewalttätigkeit und Härte der ihre Arbeit beaufsichtigenden
Mineros, angesichts der beständigen Lebensgefahr
und vor Kummer darüber, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, sich vom Teufel in falscher Hoffnung
täuschen lassen, am Leben verzweifeln und sich erhängen. So hat es allein in einem Dorf dieser Provinz
fast jedes Jahr einen Fall von Erhängen gegeben; doch
das wird verschwiegen, und man versucht nicht mehr,
solche Fälle bei Stellen vorzubringen, von denen man
sich Abhilfe erhofft. [...]
Während bisher [der Rückkehr der Indios in ihre
Heimatdörfer] keinerlei Beachtung geschenkt wurde,
erscheint es zweckmäßig, hier anzugeben, wie viele
zurückkehren, was sie von ihrem ursprünglich mitgeführten Besitz wieder zurückbringen und wie viel
sie in Potosí verdient haben.
Auf Grund von gesicherten Aussagen und nicht nur
von Vermutungen und Annahmen ist bekannt, dass
[...] weniger als die Hälfte der] Indios zurückkehren,
während der Rest mit Frauen und Kindern, zusammen etwa 5000 Seelen, in Potosí bleibt oder in den
Tälern abseits des Weges verschwindet. [...]
Von den mehr als 30 000 Stück Vieh, die sie mit
sich geführt hatten, kommen weniger als 1000 oder
gar 500 zurück, und die Indios kehren so arm und
zerlumpt zurück, dass es Mitleid erregt, wie sie von
Tür zu Tür und bei den Vorübergehenden um
Almosen betteln. [...] Wenn ein Indio etwas Geld mit
heimbringt, dann ist es keiner von denen, die gearbeitet haben, sondern einer, der angeschafft hat. Wenn
man nun überschlägt, dass jeder dieser 2200 Indios
30 Pesos an Steuern an den König gezahlt hat, welch
große Mengen an Silber die Mineros aus den Bergwerken abgebaut haben, wie reich sie durch die Arbeit
der Indios geworden sind und wie viel sie davon als
Quinto [Fünftel] an seine Majestät entrichtet haben;
ferner, dass viele, denen 10 oder 20 Indios de Cédula
zugeteilt wurden, pro Jahr an jedem Indio schätzungsweise 100 Pesos verdient haben; [wenn man zudem
bedenkt,] dass die bedauernswerten Indios von ihrem
Besitz mehr als 320000 Pesos mitgebracht und völlig
verbraucht haben, um sich ernähren, kleiden und die
Steuern bezahlen zu können, und ohne einen Real
oder Maravedi zurückkehren; dass diejenigen, die in
die Täler fliehen oder in Potosí bleiben, ganz ohne
Mittel dastehen, so ist aus dieser Rechnung nur der
Schluss zu ziehen, dass sich alle anderen an ihnen
bereichern und sie allein in der beschriebenen Weise
verarmen.
Quelle: Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche,
Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion,
Band 4, herausgegeben von Eberhard Schmitt, übersetzt
von Lieselotte Engl, Theo Engl und Walter Demm,
Verlag C. H. Beck, München
25
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Mireille Simoni-Abbat
Die vielen Gesichter des Quetzalcoatl
Im Bereich der Kunst ist Quetzalcoatl das bezeichnendste Beispiel, weil in ihm alle Mehrdeutigkeiten
und Widersprüche der verschiedenen [altmexikanischen]
Religionen vereint sind. Im Gegensatz zu anderen
Göttern, wie Tlaloc, mit ziemlich gleichbleibenden
Attributen, ist Quetzalcoatl im Laufe der Jahre immer
wieder von andern für sich beansprucht worden, von
der vorklassischen Periode bis zum Christentum, das
in ihm eine Verkörperung des heiligen Thomas sah.
Sein Name, mit dem man die meisten seiner Darstellungen benennt, ist aztekisch (quetzal, wertvoller
Vogel; coatl, Schlange); aber entspricht er auch immer
dem gleichen Bild des Gottes? Seit der vorklassischen
Periode ist die Schlange im Bild dargestellt worden,
wenn sie für Erde und Wasser stand und für die
Erneuerung der Vegetation, weil sie sich häuten kann.
Im klassischen Teotihuacán ist die gesamte Fassade
eines Tempels abwechselnd mit ihrem Maul und
einem stilisierten Gesicht geschmückt, das an Tlaloc
erinnert, aber vielleicht auch ihr eigenes nächtliches
Gesicht darstellen soll; hier ist sie das doppelköpfige
Ungeheuer. Ihr mit Seemuscheln verzierter, gewundener Körper umgibt den gesamten Bau. Man weiß
nur wenig über die Bewohner von Teotihuacán, denn
über Sprache und Mythos geben ausschließlich ihre
Monumente Auskunft. Quetzalcoatl hat hier nicht
mehr die Gestalt einer einfachen Schlange, weil sein
Maul von einer Federkrause umgeben ist. Später bei
den Tolteken erhielt er ein Menschengesicht.
Damals begann man, die Geschichte schriftlich niederzulegen, und Geschichte und Mythos mussten miteinander in Einklang gebracht werden. Eines Tages wurde
ein Fürst geboren, der ce acatl (,,1 - Schilf“), Topiltzin
(„unser Fürst“), Quetzalcoatl hieß. Sein Kalendername ,,1 - Schilf“ und das Patronat des Gottes Quetzalcoatl waren bestimmend für sein Schicksal als Fürst.
Den meisten Quellen zufolge war er Sohn eines
Chichimeken, also eines „Barbaren“, und einer
Nonoalaca-Prinzessin von einem der zivilisiertesten
Völker im Tal von Mexiko, die die Zerstörung von
Teotihuacán überlebt hatten. In ihm stießen zwei
Traditionen aufeinander, und seine Geschichte bestand
nur aus Widersprüchen. Als weiser Herrscher, Freund
der Künste, Feind der Menschenopfer förderte er die
Tugenden und die edelsten Künste. Aber er unterlag
seinem Rivalen Tezcatlipoca, dem ersten der Götter
ohne Gesicht, die im mexikanischen Abenteuer eine
Rolle spielten. Nun triumphierten die Kälte, der Norden,
der Krieg, die Finsternis in den Hochtälern. Jener
friedfertige Herrscher jedoch zog ans atlantische Ufer
26
und verbreitete Macht und Blutvergießen im MayaGebiet. In Zentralmexiko hingegen verkörperte er alle
kulturstiftenden Ideale.
Quelle:Mireille Simoni-Abbat, Mexiko,
Universum der Kunst, Verlag C.H.Beck, München
Mit Genehmigung des Verlags C.H.Beck, München
Pater António Pires (1558)
Die Bekehrung der Kannibalen Brasiliens
Ehrwürdiger Vater [Provinzial des Jesuiten-Ordens in
Lissabon],
Ihr werdet bereits aus den beiden Mitteilungen, die
im Verlauf dieses Jahres 1558 von hier abgegangen
sind, entnommen haben, was Unser Herr in Seinem
bedürftigen Weinberg durch die Patres und Brüder
der Gesellschaft Jesu getan hat. Aber obwohl es nicht
sehr von dem abweicht, was in der Vergangenheit
bereits berichtet wurde, möchte ich [...] etwas über
die Früchte sagen, die in der Folgezeit mit göttlicher
Hilfe und Gnade eingebracht werden konnten. [...]
Vor allem, Ehrwürdiger Vater, müsst Ihr wissen, dass
wir allezeit die größtmögliche Mühe darauf verwenden, den hiesigen Indios die wahre Kenntnis unseres
Heiligen Glaubens zu vermitteln. Zu diesem Zweck
suchen wir die einfachste und angenehmste Weise
[der Vermittlung], denn wir erhoffen längerfristig
bessere Ergebnisse unserer Bemühungen, als wir sie
bisher vorfinden. [...]
So haben wir nach Wegen gesucht, damit mehr Indios
als bisher unterrichtet und intensiver im Glauben
unterwiesen werden können. Um aber diese Absicht
auszuführen, ist es zunächst notwendig, mit einigen
Hindernissen fertig zu werden, die die Indios selbst
aufgerichtet haben. Dabei war der erste Schritt – und
er bedeutete schon einen großen Erfolg –, die Indios
aus vier verstreuten Ansiedlungen zu einem großen
Dorf zusammenzufassen. Während zuvor viele von
uns notwendig waren, um sie zu lehren und zu unterweisen, da sie verstreut waren, werden nunmehr nach
der Zusammenlegung wenige von uns gebraucht.
Darüber hinaus ist es auf diese Weise einfacher, ihre
Irrungen und Sünden zu bekämpfen, denen sie zuvor
noch nachhingen, als sie räumlich so verteilt waren.
Wir hoffen, mit dieser von Gott gegebenen guten
Ordnung und Harmonie mehr Erfolg bei ihnen zu
haben. Und das wird zu Ehre und zum Ruhm Seines
Heiligen Namens und zum genaueren Verständnis
[Seines Glaubens] gereichen.
Behinderungen, die wir inständig hofften überwinden
zu können, waren die andauernden und grausamen
Kriege, die sie untereinander austragen. Ihre Unrast
war das Haupthindernis für eine gegenseitige Verständigung. Ihre ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen hatten viele Tote zur Folge, und sie
würden sich gegenseitig verspeisen, ein [Brauch],
der sehr schwer zu unterbinden war, auch wenn sie
ihm nicht länger anhängen. Zumindest ist kein Fall
bekannt, dass sie es getan hätten, denn wenn es
herauskommt, werden sie dafür sehr streng bestraft,
wie sie es für eine solche schwerwiegende und
menschlichen Gebräuchen zuwiderlaufende Sünde
verdienen. Wenn dieser Fortschritt weiter so verläuft,
wie er dies mit Gottes Gnade zu tun scheint, dann
werden wir in der Lage sein, in der Zukunft eine
noch größere Ernte einzubringen.
Ganz zu Anbeginn, als der Gouverneur beschloss,
das Land zu befrieden und alle jene verbrecherischen
Kriegsbräuche, wie Mord und das Essen von Menschenfleisch, zu verbieten, und als er ein Gesetz verabschiedete, um all dieses zu unterbinden, machten
sich einige Indios darüber lustig. Zuvor waren sie
nämlich nicht sehr [streng] für Verstöße bestraft
worden, und sie stellten den Verzehr von Menschenfleisch nicht ein, auch wenn sie vortäuschten, dies
zu tun. Aber sobald der Gouverneur davon erfuhr,
befahl er, den nächstbesten, der Menschenfleisch aß,
gefangenzusetzen. Ohne jemand weiter um Rat zu
fragen außer den Heiligen Geist [...], befahl er, Soldaten und Boote bereitzustellen. Und er ordnete an,
zwei Häuptlinge, Vater und Sohn, festzunehmen.
Alle Indios überkam daraufhin große Angst, und
noch viel größer war der Kummer des Teufels, weil
ihm so viele verlorene Seelen entrissen worden waren.
Als die Dinge so standen, trug sich ein ähnliches
Vorkommnis zur Zeit des Gouverneurs Dom Duarte
da Costa zu. Ein anderer Indio, und zwar der hochmütigste in der ganzen Gegend, in dessen Dorf wir
ein Missionsgebäude errichten wollten, lebte in solcher
Ungebundenheit, dass es schien, als fürchte er niemanden. Und er war dagegen, dass das Gebäude dort
errichtet würde. Darüber hinaus missdeutete er die
Zeichen der Zeit, verachtete die Gesetze und aß mit
seinen Anhängern an großen Festtagen Menschenfleisch.
Der Gouverneur befahl ihn aus diesem Grunde zu
sich und sagte, andernfalls wolle er seine Gefangennahme anordnen. Als der Indio dies vernahm, kam er
sofort. Er glaubte, er werde nunmehr hingerichtet, wie
es ihm der Bote, der ihm den Befehl des Gouverneurs
überbracht hatte, gesagt hatte. Bevor er seine Leute
zurückließ, sprach er zu ihnen und sagte, sie sollten
sich anstrengen, um gut zu werden. Sie sollten aber
bleiben, wo sie waren, denn er würde für sie alle bezahlen. Als der Indio dann in der Residenz des Gouverneurs ankam, wurde er von diesem unfreundlich
empfangen. Der Indio aber warf sich dem Gouverneur zu Füßen, küsste diese, bat ihn um Vergebung
und bot an, die Patres in seinem Dorf aufzunehmen
und alle ihre Anordnungen auszuführen. Er brachte
dies alles so bußfertig vor, dass er Gnade verdiente.
[Einige Zeit später] kam ein weiterer Häuptling und
tat das gleiche. Dies sind die Früchte, die der Herr
von einem Acker erntet, der bisher brach lag, und im
Dienste Gottes wurde beschlossen, sofort zum Dorf
des Indios aufzubrechen und dort ein Gebäude zu
errichten, wo die Indios unterrichtet werden konnten.
Quelle: Der Aufbau der Kolonialreiche,
Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion,
Band 3, herausgegeben von Eberhard Schmitt, übersetzt
von Matthias Meyn
Verlag C.H.Beck, München
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
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Bartolomé de Las Casas (1511)
Der Kampf der Dominikaner gegen Unterdrückung und
Versklavung der Indios
Zu dieser Zeit [1511] hatten die Mönche [Dominikaner]
in Santo Domingo [auf La Española] das traurige
Leben und die harte Knechtschaft der Eingeborenen
dieser Insel beobachtet. Sie sahen, wie sie zugrunde
gingen, ohne dass ihre spanischen Herren sich darum
kümmerten, als seien es unnütze Lebewesen. Von
ihrem Hinsterben nahmen sie nur insoweit Notiz, als
sie ihnen in den Goldminen und bei anderen einträglichen Arbeiten fehlten; aber deshalb dachten sie nicht
etwa daran, den Überlebenden mehr Mitgefühl und
Menschlichkeit entgegenzubringen, sondern fuhren
fort, sie in der gewohnten Weise zu unterdrücken,
auszubeuten und zu verderben. Gewiss gab es unter
den Spaniern Unterschiede [...]; aber allen, den einen
wie den anderen, waren ausgesprochen oder unausgesprochen ihre eigenen, privaten und diesseitigen
Interessen wichtiger als das Heil, das Leben und die
Errettung dieser Unglücklichen. [...]
Als nun die Mönche lange Zeit hindurch sahen, beobachteten und feststellten, was die Spanier den Indios
zufügten, wie wenig sie sich um deren leibliches und
seelisches Wohl kümmerten und wie groß die Unschuld, die nicht geachtete Geduld und Sanftmut der
Indios war, begannen sie als geistlich gesinnte gottesfürchtige Männer die Wirklichkeit am Gesetz zu messen und miteinander über dieses schändliche und
unerhörte schreiende Unrecht zu reden.
Sie fragten sich: „Sind das nicht Menschen? Muss
man nicht an ihnen das Gebot der Liebe und Gerechtigkeit erfüllen? Hatten sie nicht ihre eigenen Länder,
ihre angestammten Herren und Obrigkeiten? Haben
sie uns irgendetwas zuleide getan? Sind wir nicht
verpflichtet, ihnen das Gesetz Christi zu predigen
und mit aller Kraft an ihrer Bekehrung zu arbeiten?
Wie ist es möglich, dass die zahlreiche Bevölkerung,
die, wie man uns berichtet hat, auf dieser Insel gelebt
haben soll, in der kurzen Zeit von fünfzehn oder
sechzehn Jahren so grausam vernichtet werden
konnte?“ [...]
In ihrem Entsetzen über solche aller Menschlichkeit
und allem christlichen Handeln hohnsprechenden
Taten fassten die Brüder Mut, dieser schrecklichen
Form tyrannischen Unrechts von Anfang bis Ende
den Kampf anzusagen. Getragen von Eifer und Sorge
für die Ehre Gottes und schmerzlich berührt über die
schmähliche Missachtung der Gesetze und Gebote
Gottes, über den Schaden, der dem Christentum
zugefügt wird durch die Taten, die zum Himmel
stinken, und voller Erbarmen für die große Zahl von
28
Seelen, die, da sich niemand ihrer annahm, gestorben
waren und weiterhin stündlich starben, flehten sie
Gott an und befahlen sich ihm, beteten, fasteten und
wachten, um nicht irre zu gehen in einer so wichtigen
Sache; denn ihnen war klar bewusst: Diese in einen so
abgrundtiefen Schlaf gesunkenen Menschen aus ihrer
Gefühllosigkeit aufzuwecken war völlig neu und
musste einen gewaltigen Skandal hervorrufen.
Schließlich wurden sie nach wiederholter gründlicher
Beratung einig, öffentlich in der Predigt von den
Kanzeln zu verkündigen und zu erklären, diejenigen
unserer Landsleute, die diese Menschen in ihrer
Gewalt hatten und unterdrückten, befänden sich im
Stand der Sünde; sie würden, wenn sie darin stürben,
am Ende für ihre Unmenschlichkeit und Habsucht
ihren Lohn empfangen.
Die Gelehrtesten unter ihnen einigten sich auf Anordnung des Paters Pedro de Córdoba, ihres Vikars, eines
überaus klugen Dieners des Herrn, über eine Predigt,
die als erste in dieser Sache gehalten werden sollte,
und bestätigten sie alle mit ihrer Namensunterschrift,
damit es klar sei, dass es sich hier nicht nur um eine
Sache des dazu bestimmten Predigers, sondern um
ein Vorgehen nach Beratung und mit Zustimmung
und Billigung aller handle.
Der Vikar bestimmte, dass diese Predigt von dem
Bruder Antón Montesinos, dem hervorragendsten
Kanzelredner außer ihm, gehalten werden sollte.
Er war der Zweite von den Dreien, die diesen [Dominikaner-] Orden hier einführten [...].
Dieser Pater Antón Montesinos hatte eine Gabe zum
Predigen; schroff verurteilte er die Laster, farbig und
wirkungsvoll waren seine Predigten und Worte, und
so brachte er, oder man nahm es zumindest an, reiche
Frucht. Weil er stark und aufrecht war, übertrugen
sie ihm die erste Predigt über diese für die Spanier
auf der Insel so neue Angelegenheit.
Die Neuheit bestand in nichts anderem, als zu bekräftigen: Diese Menschen zu töten sei eine größere
Sünde als Wanzen zu zertreten. [...]
Damit die ganze Stadt Santo Domingo zu der Predigt
erscheine und niemand fehle, wenigstens von den
Honoratioren, suchten sie den zweiten Admiral
[Diego Colón, den Sohn des Kolumbus], der damals
die Insel regierte, die königlichen Beamten und alle
gelehrten Juristen, die dort wohnten, persönlich auf
und luden sie zu ihrer Predigt am Sonntag in die
Hauptkirche ein. Sie betonten, wie wichtig ihr Erscheinen ihnen sei; denn sie hätten etwas zu verkünden, was alle angehe. Alle sagten gerne zu, einerseits
sowohl wegen der ehrerbietigen Aufwartung, die sie
ihnen gemacht hatten, wie auch, weil man sie wegen
ihrer Tugenden und bescheidenen Lebensweise und
ihrer Strenge in Glaubenssachen hochschätzte, andererseits, weil jeder hören wollte, was es denn sei, was
sie alle in so hohem Maße anginge. Hätten sie geahnt,
um was es ging, man wäre nicht dazu gekommen, es
ihnen zu predigen, denn so etwas wollten sie nicht
hören, noch hätten sie es zugelassen, dass es gepredigt würde. Als nun der Sonntag und die Zeit der Predigt gekommen war, bestieg Pater Antón Montesinos
die Kanzel und nahm als Thema und Grundlage
seiner schriftlich vorbereiteten und von den übrigen
Brüdern gegengezeichneten Predigt das Wort: „Ego
vox clamantis in deserto“ [“Ich bin die Stimme eines
Rufers in der Wüste“; Joh. 1,23]. Nach den einführenden Worten, die sich auf die Adventszeit bezogen,
begann er ihnen eindringlich darzulegen, wie die
Gewissen der Spanier dieser Insel eine unfruchtbare
Wüste seien, wie blind sie dahinlebten, in welcher
Gefahr ewiger Verdammnis sie stünden, weil sie die
überaus schweren Sünden gar nicht bemerkten, in die
sie, ohne es zu fühlen, versunken seien und in denen
sie sterben müssten. Auf seinem Thema beharrend,
fuhr er fort: „Um euch [eure Sünden] vor Augen zu
führen, habe ich, der ich die Stimme Christi auf dieser Insel bin, die Kanzel bestiegen; euch aber tut Not,
dass ihr aufmerksam, von ganzem Herzen und mit
all euren Sinnen auf sie hört; sie ist für euch so ungewohnt, so schroff, so hart, so schrecklich und gefährlich, wie ihr nie vermeintet, sie zu hören.“ Diese Stimme sprach über eine gute Weile eindringlich mit strafenden, erschrecklichen Worten auf sie ein; sie fingen
an zu zittern, und sie fühlten sich wie am Tage des
Jüngsten Gerichts. Es war eine große, allumfassende
gewaltige Stimme, die ihnen erklärte, was es mit dieser Stimme auf sich habe und was sie aussage.
„Diese Stimme“, so fuhr er fort, „sagt: Ihr seid alle
in Todsünde und lebt und sterbt in ihr wegen der
Grausamkeit und Tyrannei, die ihr gegen jene
unschuldigen Völker gebraucht. Sagt, mit welchem
Recht und mit welcher Gerechtigkeit haltet ihr jene
Indios in einer so grausamen und schrecklichen
Knechtschaft?
Wer hat euch Vollmacht gegeben, so verabscheuungswürdige Kriege gegen diese Menschen zu führen,
die ruhig und friedlich ihre Heimat bewohnten, von
denen ihr unzählige durch unerhörte Mord- und
Gewalttaten ausgelöscht habt?
Wie könnt ihr sie so unterdrücken und plagen, ohne
ihnen zu essen zu geben noch sie in ihren Krankheiten zu pflegen, die sie sich durch das Übermaß
an Arbeit, die ihr ihnen auferlegt, zuziehen, und sie
dahin sterben lassen oder, deutlicher gesagt, töten,
nur um täglich Gold zu graben und zu erschachern?
Was tut ihr, um sie zu lehren, dass sie Gott, ihren
Schöpfer, erkennen, getauft werden, Messe hören,
Feiertage und Sonntage halten? Haben sie nicht vernunftbegabte Seelen? Seid ihr nicht verpflichtet, sie
zu lieben wie euch selbst? Das versteht ihr nicht?
Das fühlt ihr nicht? Was für ein tiefer Schlaf, welche
Lethargie hält euch umfangen? Seid sicher, dass ihr
in diesem Zustand, worin ihr euch befindet, genauso
wenig das Heil erlangen werdet wie Mauren und Türken, die den Glauben an Jesus Christus nicht haben
und auch nicht danach fragen!“ Solcher Art legte er
ihnen die Stimme [Christi] aus. Viele waren sprachlos,
einige wie von Sinnen, die anderen verstockt, manche
sogar zerknirscht, aber keiner, wie ich später hörte,
bekehrt. [...]
Quelle: Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche,
Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion,
Band 4, herausgegeben von Eberhard Schmitt,
übersetzt von Lieselotte Engl und Theo Engl,
Verlag C.H. Beck, München
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
4. Zusammenleben
und soziale Strukturen
bei indigenen Völkern
Jedes Volk, jede Gruppe von Menschen organisiert
sich, gibt sich Regeln und verortet sich in seinem
Umfeld. Daraus entstehen eine Vielzahl von Strukturen und Organisationsformen. Dies gilt auch für
die indigenen Völker Lateinamerikas. Im folgenden
Text werden einige Beispiele von der Vielfalt möglicher sozialer Strukturen aufgezeigt.
4.1. Wer gehört dazu?
Das Grundelement fast jeder sozialen Organisation ist
die Familie. Aber wer gehört zur Familie? Das bestimmt
jedes Volk für sich. Die Familie bildet bei indigenen
Völkern in der Regel den Kern der Gemeinschaft und
die verwandtschaftlichen Beziehungen spielen eine
große Rolle in der Organisation des sozialen Lebens.
Bei einigen indigenen Völkern des Amazonastieflands
ist die kleinste Einheit die erweiterte Familie, die auch
unter einem Dach leben kann. Die Shuar in Peru und
Ecuador bauten beispielsweise Häuser von mehr als
30 Meter Länge, in denen ca. 100 Personen zusammenlebten. Zum Teil findet sich diese Organisations- und
Wohnform bis heute. Manchmal bestand somit ein
Dorf aus einem einzigen dieser großen Häuser,
manchmal aus mehreren mit ihren jeweiligen Familien.
Andere indigene Völker – vor
allem in den Anden – leben in
der erweiterten Kleinfamilie,
d. h. die Eltern mit ihren Kindern und Enkeln, begleitet
manchmal von alten oder versorgungsbedürftigen Verwandten.
Im Andenhochland spielt die
Dorfgemeinschaft eine ebenso
große Rolle wie die Familie. Der
„compadre“ oder die „comadre“,
was sich nur unzureichend mit
Pate oder Patin übersetzen lässt,
haben eine große Bedeutung.
Sie beziehen nicht verwandte
Kenu-Frau mit Enkelkind
Personen mit in die Familie ein
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und binden Paten und
Patenkind sowie die
Eltern und die Paten
wirtschaftlich und sozial
eng aneinander. Der
„compadre“ ist für die
ökonomischen Zukunftschancen eines
Kindes mindestens so
wichtig wie die Eltern.
Ehe und Kinder bleiben
bei indigenen Völkern,
viel mehr als etwa in
Deutschland, unter der
Francisco Zamata aus Q’eros, Peru
Obhut, Kontrolle und
Fürsorge der Gemeinschaft, das heißt nicht nur der
Kleinfamilie, sondern mindestens der erweiterten
Familie, zuweilen auch der Dorfgemeinschaft.
Das Lebensalter hat in indigenen Gemeinschaften
oft eine andere Bedeutung als in westlichen Kulturen.
Alte Menschen haben ihre Bedeutung weniger entsprechend ihrer „Verwertbarkeit“ auf dem Arbeitsmarkt sondern viel mehr durch traditionelle Rollenzuweisung. Alte Menschen verlieren nicht ihre Bedeutung als Mitglied der Gemeinschaft und der Familie.
Als erfahrene und kenntnisreiche Menschen haben
sie teil an allen Aktivitäten, Festen und Arbeiten.
Häufig bekommen die Alten ganz besondere Rollen
und Aufgaben zugeteilt, wie in politischen Vertretungsorganen der Gemeinschaft (z. B. Ältestenrat),
als Richter oder Dorfvorsteher. Ihre Versorgung ist
eine selbstverständliche Aufgabe der Familie und
Gemeinschaft, die allerdings mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise schwieriger wird. Allerdings
kann man in indigenen Gemeinschaften auch gelegentlich den vereinsamten und vernachlässigten Alten
finden, wenn es keine Kinder gibt, die sich um ihn
kümmern. So werden bei den Warao, die im OrinokoDelta in Venezuela leben, alte Männer nur notdürftig
versorgt, während die alten Frauen in ihren Familien
integriert bleiben.
Alle indigenen Völker haben für sich die Rollen geklärt, die die Einzelnen im Familienverband oder der
Verwandtschaftsgruppe wahrnehmen: Wer ist das
Familienoberhaupt, wer entscheidet, wer erledigt
welche Arbeit, wer ist für die Erziehung der Kinder,
Hof in der Nähe von Ayapata, Cordillera Carabaya, Peru
für die Kontakte zu anderen Familien, zu anderen
Dörfern zuständig, wer heiratet wen? Da gibt eine
Vielzahl von Regelungen.
Bei den ostbolivianischen Mía (Sirionó) sind junge
Frauen und Männer z. B. zur Kreuzkusinen- bzw.
Kreuzvetternheirat verpflichtet. Ein Mann muss die
Tochter des Mutterbruders (Onkel), eine Frau den
Sohn der Vaterschwester (Tante) heiraten. Alle anderen möglichen Verbindungen gelten als inzestuös.
Die Wohnung bezieht das neue Paar dann beim
Vater der Frau, der gleichzeitig der Mutterbruder
(für uns Onkel) des Mannes ist.
Eine wichtige Frage, die dabei auch geklärt werden
muss ist, wer erbt, d.h. vor allem wer erbt das Land?
Bis auf wenige Ausnahmen basieren Familiengefüge
auf einem patrilinearen System, das heißt die Erbfolge
geht vom Vater auf den Sohn. In den Anden wird der
Zugang zu Land über beide Linien vererbt, d. h. die
Frau vererbt ihr Land an die Töchter, der Mann an
die Söhne. Nur wenige indigene Völker haben eine
matrilineare Erbfolge wie zum Beispiel die Wayú,
die in der Grenzregion von Venezuela und Kolumbien
an der Karibikküste leben.
Es ist für alle sozialen Gruppen, in besonderer Weise
aber für kleinere indigene Völker wichtig, genau zu
wissen, wer sie sind und zu welcher Gruppe sie gehören. Dies betrifft nicht nur die Familie, sondern die
Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, zu einem
Volk. Sie benötigen eine Gewissheit über ihre eigene
Identität. Dies stellt den Schutzraum dar, in dem unter
meist widrigen Umständen der natürlichen Umgebung ein Überleben möglich ist. Genau zu wissen,
wer man ist, bedeutet jedoch auch, genau zu wissen,
wer man nicht ist. Die Abgrenzung zu anderen Völkern festigt somit den inneren Zusammenhalt in der
eigenen Gruppe. Die Kenntnis und Befolgung der
eigenen Regeln gewährleistet den Fortbestand dieser
Gruppe
4.2. Soziale Organisation im Wandel
In indigenen Dörfern und Siedlungen lassen sich
Art und Weise des Zusammenlebens von denen nichtindigener Gemeinschaften noch deutlich unterscheiden. Die Gemeinschaft übernimmt in indigenen Sozialstrukturen Aufgaben, die in westlichen Gesell-
Dorfbewohner auf dem ecuadorianischen Hochland
schaften häufig innerhalb der Familien geregelt werden
oder gar bereits gänzlich dem Staat oder dem Markt
überlassen sind: Erziehung, Umgang mit Krankheit
oder Tod, aber auch Ernährung sind Bereiche, die
kollektiv geregelt sind und an denen die gesamte Gemeinschaft teilhat. Dafür existieren Werte und Konzepte wie individuelle Freiheit oder Selbstverwirklichung nur in geringem Maße. Da viele indigene
Gemeinschaften mit der westlichen Lebensweise in
Kontakt stehen und sich nach und nach verändern,
werden auch Dinge wie persönliche Lebensplanung,
Privatbesitz von Geld und Grund zunehmend bedeutender. Das Überleben indigener Gemeinschaften
fußt aber oft auf dem Verständnis gemeinschaftlichen
Besitzes. Daher stellt die Einführung von Privatbesitz
von Boden oder Lohnarbeit eine Bedrohung für die
Zukunft der Gemeinschaften dar.
Mittlerweile leben viele Indigene auch in Städten,
wo sie ihre sozialen Organisationsstrukturen nicht
so wie im Dorf aufrechterhalten. Sie sind in der Stadt
nicht mehr in der Landwirtschaft, auf der Jagd oder
beim Fischfang tätig, sondern arbeiten in Verwaltungen, Firmen oder als Kleinunternehmer. Die meisten
haben jedoch keine feste oder nur eine sehr schlecht
bezahlte Arbeit.
In vielerlei Hinsicht passen sie sich den Werten und
Umgangsformen in den Städten an – auch als Reaktion auf den allseits verbreiteten Rassismus und die
Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind und der sie
durch Anpassung zu entgehen suchen. Oft haben
Indigene aber in diesen neuen Situationen ihre
eigenen Formen des Zusammenlebens, der sozialen
31
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
Verständigung, der politischen Vertretung und Meinungsbildung bewahrt, bzw. entsprechend angepasst
oder neu entwickelt. Nicht immer ist das für Außenstehende leicht erkennbar.
Staatliche Einrichtungen wie Wahlen, Schulen, Ämter,
Gerichte oder Gefängnisse liegen der Lebensweise
von Indigenen in ländlichen Regionen oft fern. Die
wesentlichen damit verbundenen Aufgaben haben
indigene Völker für sich selbst organisiert, wie beispielsweise die Erziehung und Unterweisung der
nächsten Generation, die Rechtsprechung und wenn
nötig Bestrafung und Streitschlichtung.
Nun aber leben indigene Völker nicht nur in ihrer
Familie oder im Dorf, sondern sind einbezogen in
nationalstaatlich organisierte Gesellschaften. Meist
wollen sie in diesen Gesellschaften ihr Recht auf
Anerkennung durchsetzen und sich im Rahmen der
Möglichkeiten aktiv beteiligen. Sie sind daher auch an
politische Verfahren, wie Wahlen und Gerichtsbarkeit
gebunden. Damit sind jedoch andere Wertvorstellungen und Lebensweisen verbunden. Diese müssen
für indigene Völker, insbesondere im Fall der zahlenmäßig kleinen und teilweise noch isoliert lebenden
Völker im Tiefland des Amazonas, speziell vermittelt
werden. Gleichzeitig fordern indigene Völker die
Freiheit, nach ihren eigenen Wertvorstellungen und
Typische Dorfanlage der Cayapó
mit zentralem Männerhaus
in den von ihnen entwickelten Sozialstrukturen leben
zu können. Dies führt zu Spannungen und beinhaltet
auch soziale Konflikte und Auseinandersetzungen
zwischen der nicht indigenen Gesellschaft und den
Indigenen.
So kann es zum Beispiel sein, dass
Frauen zwar an den allgemeinen Wahlen im Staat
teilnehmen sollen, aber von den politischen Entscheidungsprozessen innerhalb des eigenen Volkes
ausgeschlossen sind.
moderne politische Spielregeln Mehrheitsentscheidungen bevorzugen. Bei vielen indigenen
Gemeinschaften werden aber Entscheidungen nach
dem Konsensprinzip getroffen. Beratungen über
zu treffende Entscheidungen können sich über
Tage oder Wochen hinziehen, bis ein Dorf einen
Konsens findet, der von allen
getragen wird.
Wie sich im Zuge der Integration
in die Nationalgesellschaften und
in kapitalistische Produktionsweisen sowie der zunehmenden
Globalisierung die Rollen und
sozialen Strukturen der indigenen
Gemeinschaften bewahren und
ändern werden, bleibt abzuwarten.
Nicht zu erwarten ist, dass alles so
bleibt wie es war, denn lebendige
Strukturen entwickeln sich weiter.
Erhalten bleibt, was dem Überleben
der eigenen Gruppe nützt – dieses
Grundprinzip wird auch die zukünftigen Veränderungsprozesse
bei indigenen Völkern bestimmen.
Hof in Q’eros, Peru
32
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Der Filmemacher Gernot Schley hat eine Fernsehreihe über „Indianer – die unbekannten Völker“ erstellt, die vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt
und dann auch von anderen Fernsehsendern übernommen wurde.
Der Autor und der Bayerische Rundfunk haben uns
die Erlaubnis erteilt, Schulen diese Filme im Rahmen
des „Ch@t der Welten“ Projektes gegen Portogebühr
zur Verfügung zu stellen. Die einzelnen Filme dauern
60 Minuten und geben einen authentischen Einblick
in das soziale Leben der besuchten Völker.
Folgende Filme können bezogen werden:
1. Die Shuar – Kopfjäger im Regenwald
2. Die Shipibo – Volk der Künstler
3. Die Chinchero – Nachkommen der Inka
4. Die Sacambaya – Volk im Canyon
5. Die Katukina – Volk der Panther
6. Die Waiapí – Volk des Dschungels
7. Die Warao – Volk der starken Frauen
8. Die Aymara – Volk der Hochanden
Bezug über:
InWEnt – Regionales Zentrum NRW
Elisabeth Helmke
Wallstr. 30
40213 Düsseldorf
[email protected]
33
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
4.3. Kindheit und Jugend
Die Region des „Chaco“ liegt im Länderdreieck von
Bolivien, Paraguay und Argentinien. Das Leben dort
ist hart. Im Sommer steigen die Temperaturen auf
über 400 Celsius an, im Winter kann es zu Nachtfrösten kommen. Niederschläge sind rar und unregelmäßig. Eine nur schwer zu durchdringende Vegetation von ausgedehntem „Dornbusch“ und weiten
Sumpfgebieten machte diese Region Südamerikas
für die spanischen und portugiesischen Eroberer als
Siedlungsgebiet uninteressant. Hier leben die ChacoIndianer, die durch Sammeln, Jagen und Fischen
ihren Lebensunterhalt sichern.
Im Chaco leben heute über 200.000 Indianer, die 19
Ethnien angehören. Das größte Volk sind die Guaraní,
die in vorkolumbischer Zeit aus dem heutigen Brasilien eingewandert sind. Die Nivaklé, von denen im folgenden Beitrag öfter die Rede ist, leben in Paraguay.
34
Am Beispiel der Chaco-Indianer wird die Kindheit
und Jugend bei indigenen Völkern geschildert.
Aufwachsen in einer Großfamilie
In der Tradition indigener Völker des Gran Chaco
leben die Familien dort, wo die Frauen bzw. Mütter zu
Hause sind. Das ist nicht immer an einen bestimmten
geographischen Ort gebunden, sondern viel mehr
durch die Lebensgewohnheiten der Familie gegeben.
Früher waren die verschiedenen Gruppen sehr beweglich und wechselten im Laufe des Jahres mehrmals
den Lager- oder Siedlungsplatz innerhalb ihres
Gebietes. Heute sind die Gemeinschaften sesshafter
geworden.
Im Allgemeinen leben zwei oder drei Generationen
von Müttern zusammen. Das heißt die Großeltern mit
ihren verheirateten Töchtern und deren Kindern. Die
Söhne ziehen zu den Familien ihrer Frauen, wenn sie
heiraten. Die Großeltern gestalten ganz wesentlich die
Erziehung ihrer Enkelkinder. Die Großmutter ist in
Familienangelegenheiten die höchste Autorität. Sie
waltet über die Lebensmittel und deren Verteilung
innerhalb der Großfamilie. In früheren Zeiten, als
noch die Kindstötung praktiziert wurde, entschied sie
über Leben und Tod des Neugeborenen. Sie gibt auch
den Kindseltern die wichtigsten Instruktionen im
Hinblick auf die Erziehung der Kinder und ist sehr
häufig mit der Namensfindung beauftragt.
Die Hütten der verheirateten Töchter wurden früher
unmittelbar angrenzend an die der Mutter gebaut.
So wuchsen die Kinder in enger Gemeinschaft dieser
Großfamilie auf und nahmen am Leben der Erwachsenen teil. Es gab keine Trennung zwischen Angelegenheiten der Erwachsenen und dem Leben der
Kinder. Dies hat sich teilweise verändert, wenn über
Entwicklungsprojekte festere Häuser aus Ziegel gebaut wurden und eine Raumordnung eingeführt wurde,
die sich an den Bedingungen der Weißen orientiert.
In vielen städtischen Vierteln, wo indianische Gemeinschaften leben, wird die verwandtschaftliche
Nachbarschaft so weit wie möglich beibehalten.
Geburt
Die Geburt eines Kindes gehört zum Alltagsgeschehen
einer Großfamilie. Ein Nivaklé-Indianer erzählt: „Als
mein jüngerer Bruder geboren wurde, befanden wir
uns beim Umzug von einem Lagerplatz zu einem anderen. Meine Mutter bat die Familie, Rast zu machen.
Während wir äßen, könne sie sich ein wenig hinlegen,
meinte sie. Dort gebar sie meinen Bruder. Nicht lange
danach machten wir uns wieder auf den Weg, gemeinsam mit meiner Mutter und dem Neugeborenen, das
sie an ihrer Brust in einem Tragegurt trug.“
Eltern und Hebammen müssen bestimmte Tabus
beachten, um die Ankunft des Kindes in der Gemeinschaft zu erleichtern und es nicht zu erschrecken. So
findet die Geburt in großer Stille statt. Die Mutter darf
bis 30 Tage nach der Geburt kein Fleisch und keinen
Honig essen, damit das Blut von Mutter und Kind
gestärkt bleibt. Der Vater darf sich körperlich nicht
schweren Anstrengungen aussetzen und scharfe
Gegenstände wie Messer, Axt und Machete benutzen,
um das Wachstum des Kindes nicht zu gefährden.
So kam ein frisch gebackener Vater, der als Helfer
eines Tierarztes tätig ist, drei Wochen lang nicht zur
Arbeit. Als er die Arbeit wieder aufnahm, sagte er
seinem Chef, seine Mutter habe ihm geraten, nicht
zur Arbeit zu gehen, da der Umgang mit Spritzen sich
auf ihn wie auf das Neugeborene negativ auswirken
könne.
Ein Vater, der diesen Regeln nicht mehr traute, ging
drei Wochen nach der Geburt seines Kindes auf die
Jagd und kam mit gemachter Beute wieder heim. In
der darauf folgenden Nacht begann sein neugeborener Sohn zu weinen. Offensichtlich hatte er Augenschmerzen. Am darauf folgenden Tag konnte er seine
Augen nicht mehr
öffnen, da sie stark
angeschwollen waren. Die Verwandten
sprachen mit dem
Vater und wiesen ihn
darauf hin, dass dies
geschehen sei, weil
er das Tabu gebrochen
habe. Der Nordwind
habe ihm den Rauch
der Flinte in die
Augen geweht und
seinen Sohn verletzt.
Kinder im Chaco
Kinder in der Schule im Chaco
35
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
Welche Traditionen gab es in Deiner Verwandtschaft im Umfeld der Geburt eines Kindes?
Erzähle Eltern und Großeltern, was Du über
Geburt bei Indianern gelernt hast.
Frage Eltern, Großeltern nach ihren
Erfahrungen und ihrem Wissen.
Vergleiche das Wissen der Eltern mit
dem der Großeltern.
Was geschieht heute im Umfeld einer Geburt?
Falls Du jüngere Geschwister hast: Erinnerst
Du Dich an die Zeit, als sie geboren wurden?
Was passierte da?
Nimm Kontakt mit einer Hebamme auf. Erzähle
ihr, was Du über Geburt bei Indianern gelernt
hast und frage sie nach ihren Erfahrungen und
Kenntnissen in der Betreuung und Begleitung
von Schwangeren und jungen Müttern.
Der Säugling
Dem Säugling wird die größtmögliche Aufmerksamkeit zuteil. Sobald er unruhig wird, stillt ihn die Mutter. Er sollte nie nach Muttermilch und mütterlicher
Wärme schreien müssen, weshalb die Mutter ihn
auch meist bei ihren Aktivitäten dabei hat. Ihre Nähe
und Fürsorge bildet das Fundament der Entwicklung
von Sicherheit und Geborgenheit des Kindes. So wird
verständlich, wenn die Indianer sagen, dass mit der
Muttermilch nicht nur der Körper gestärkt, sondern
auch die Seele genährt und entwickelt wird. Die Stillperiode kann bis zum fünften Lebensjahr reichen. Da
heute indianische Frauen jedoch mehr Kinder großziehen müssen als früher und somit ein weiteres Kind
häufig schon früher als erst nach fünf Jahren zur Welt
gebracht wird, verkürzt sich die Stillzeit entsprechend.
Von früher Kindheit an lernen die Kinder auch, sich
zu beschränken und den Lebensbedingungen der
Gemeinschaft und dem Verhalten der Erwachsenen
anzupassen. So wird das Kleinkind gestillt, wann
immer es danach verlangt. Wenn es jedoch groß
genug ist, um andere Nahrung zu sich zunehmen,
so isst es nur, wenn ihm Essen gegeben wird. Es lernt,
seine Bedürfnisse zu beschränken, sich in Geduld zu
üben und den Lebensbedingungen anzupassen.
36
Wichi-Indianer im Chaco
Lernen durch Nachahmung
„Das Indianerkind lernt das Leben im Spiel. Wenn
die Mutter mit ihrem Töchterchen im Arme Wasser
holt, so trägt das Mädchen einen winzig kleinen,
dem der Mama ganz gleichen Krug. Füllt die Mutter
ihren großen Wasserkrug, so füllt sie auch den ihres
kleinen Töchterchens. Das Mädchen wächst und der
Krug wächst. Sie begleitet ihre Mutter bald zu Fuß
und trägt gleich ihr einen eigenen Krug auf dem
Kopfe. Spinnt die Mutter, so spinnt auch ihr Kind
auf einer Spielzeugspindel. Der kleine Junge spielt
mit seinem Netz im Dorfe. Er fängt Laub, er fängt
Tonscherben. Oft sind die Großväter die Lehrer.
Ist er größer, so erhält er vom dem Großvater ein
größeres Netz und begleitet ihn auf den Fischfang.
Anfänglich fängt er nicht viel. Er und das Netz wachsen, und der Knabe, der Laub und Tonscherben gefischt hat, fängt große Panzerwelse, Palometas und
vieles andere. Auf dieselbe Weise lernen die Kinder
alles, was sie zu wissen nötig haben. Spielend lernt
das Indianerkind den Ernst des Lebens.“ So beschrieb
der schwedische Ethnologe Erland Nordenskjöld die
Entwicklung der Kinder am Rio Pilcomayo zu Beginn
des 20. Jahrhunderts.
Erziehung durch mündliche Überlieferung
Durch seine Teilnahme am Alltagsleben wird das Kind
Schritt für Schritt in das Leben der Gemeinschaft integriert, wobei die Erwachsenen auf Alter und Geschlecht
Rücksicht nehmen. So lernen die Mädchen die Nahrungspflanzen genauer kennen, die die Mütter und
Großmütter sammeln und zubereiten: Früchte, Wurzeln, Medizinpflanzen. Ebenso lernen die Jungen, wie
man Honig sammelt, fischt und jagt. Mit den Techniken werden die entsprechenden Mythen weitergegeben, die die verschiedenen Handlungen in ihren geistig-religiösen Zusammenhang stellen. Diese begrün-
Mädchen in Guatemala
den auch die Verbote und den Respekt vor der Natur.
Mit Hilfe der Mythen und Erzählungen erfahren die
Kinder Schritt für Schritt wie die Welt nach den Vorstellungen ihres Volkes aufgebaut ist. So lernen sie,
Werte und Normen der eigenen Gemeinschaft zu
respektieren.
Heute wird auch der Umgang mit Geld, mit Händlern
und Arbeitgebern von den Kindern beobachtet. Häufig sind sie in diesem Bereich schon viel früher aktiv
als es ihre Väter waren, da sie durch die Schule und
die Kontakte zu den Weißen schneller Spanisch lernen.
Umgang mit Beschränkungen und Verboten
Ein Indianer erzählte, wie ihnen beigebracht wurde,
sich zu beschränken: „Als in der Lagune, bei der wir
wohnten, nur wenig Wasser vorhanden war, wurde
uns Kindern verboten, in der Nähe des Wassers zu
spielen, da es ausschließlich zum Trinken dienen
musste und deshalb nicht schmutzig werden durfte.
Damit wir diesem Verbot auch Folge leisten würden,
drohten die Erwachsenen, dass andernfalls die Alte,
die „Hüterin des Wassers“, kommen und uns stechen
würde. Sie hatte Krallen wie der Ameisenbär und
würde uns schwer verletzen können, falls wir nicht
folgten.“
Die Androhung von Strafe durch Dritte ist weit verbreitet. Waren es früher ausschließlich die Hüter der
Welt, so wird heutzutage auch mit der „Macht der
Weißen“ gedroht. Es kann passieren, dass ein zweibis fünfjähriges Kind sich beim Anblick eines nichtindianischen Fremden weinend hinter der Mutter
versteckt, weil die Eltern vorher mit der Bestrafung
durch Weiße gedroht haben.
Kinder lernen schon früh, auf ihr eigenes Verhalten
Acht zu geben. Denn in der Gemeinschaft wird man
leicht Opfer von Gelächter, Anschuldigungen oder
Klatsch. So entwickeln sie einen Sinn für das, was
gut und was nicht gut ist. Gleichzeitig lernen sie, sich
mit Scham zurückzuziehen, wenn sie etwas falsch
gemacht haben. Fühlt sich ein Kind schuldig, nimmt
es Abstand von der Gemeinschaft und verlässt den
engsten Familienkreis nicht mehr. Später, im Erwachsenenalter, ist es üblich, sich bei einem größeren Konflikt ebenfalls von der Gemeinschaft zu trennen und
woanders hin zu gehen, bis über den Vorfall nicht
mehr gesprochen wird.
Umgang mit einem kindlichen Dickkopf
Gelingt es der Mutter nicht, das Kind zu beruhigen,
und besteht dieses auf seinem Willen oder wird gar
zornig, so schenken die Eltern ihm keine weitere
Beachtung und überlassen es sich selbst mit seinem
Zorn. Folgende Begebenheit mag dies veranschaulichen:
Eine Mutter, die mit ihrem dreijährigen Sohn und
den beiden älteren Töchtern in einem Nachbardorf
zu Besuch gewesen war, wollte den Heimweg antreten. Der Sohn, der schon müde war, wollte nicht
mehr laufen und bestand darauf, dass die Mutter ihn
in ihrer Tasche tragen möge. Doch die Mutter sagte
ihm, diese sei schon voll, und machte sich mit den
Mädchen auf den Weg. Der Junge trotzte und begann
zu schreien. Nach einer Weile folgte er der Mutter
langsam, schrie aber und protestierte heftig weiter.
Schließlich schmiss er sich auf die Erde und schrie
aus Leibeskräften. Die Mutter unterhielt sich mit
ihren Töchtern und würdigte den Jungen keines
Blickes, während sie weitergingen. Plötzlich hörte der
Junge auf zu schreien, kam wieder zu sich und folgte
der Mutter laufend, die schon über hundert Meter
weit entfernt war. Als er sie erreichte, wurde weder
von der Mutter noch von den Schwestern der Vorfall
weiter kommentiert.
Gib mit eigenen Worten wieder, was in der Begebenheit zwischen Mutter und Kindern geschah.
Wie endete der Konflikt? War jemand verletzt oder
beleidigt?
Mädchen auf dem peruanischen Hochland
37
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
Was machen meine Eltern, wenn ich einen Dickkopf habe und meinen Willen durchsetzen will?
Erzähle Erlebnisse aus der eigenen Familie mit
Vater und Mutter?
Wie habt Ihr Euch schließlich geeinigt? War das
schwer? Kannst Du Dir einen anderen Umgang
vorstellen?
Spielzeug
Kinder können stundenlang mit kleinen bzw. jungen
Tieren spielen (Hunden, Straußen, Reihern, Papageien
usw.). Eltern und Großeltern basteln Spielzeug wie
Puppen, Reifen, Bälle, kleine Gebrauchsgegenstände
wie Taschen, Schälchen, Pfeil und Bogen aus Knochen,
Kürbis, Holz und Fasern. Mit der Nähe zum Markt
erhält auch Plastikspielzeug immer stärker Einzug in
die Dörfer, doch auch die verschiedensten Abfälle wie
alte Kartons und Autoreifen werden zu Spielzeug
umfunktioniert.
Arbeitsauftrag an Lehrer: „Spielen mit wenig Spielzeug“
Sammeln Sie Abfallmaterial (Kartons, Schrauben, Verpackungsmaterial usw.) und/oder natürliches, unbehandeltes Material Ihrer Umgebung
(Äste, Zweige, Fasern, Steine usw.).
Teilen Sie die Klasse in Kleingruppen auf; geben
Sie jeder Gruppe ein paar Materialien (wenig!)
Lassen Sie die Schüler sich in Kleingruppen
mit diesem (und nur diesem) Material spielerisch beschäftigen (nicht zu kurz; mindestens
20 Minuten).
Werten Sie gemeinsam die Erfahrungen aus.
Teilungspflicht
Das Leben der Großfamilie basiert auf dem Grundsatz, dass alle Lebensmittel selbstlos miteinander
geteilt werden. Auch wenn es heutzutage unter dem
Einfluss der Weißen zu Veränderungen kommt, die
nicht selten mit großen Schwierigkeiten für die Familien verbunden sind, bleibt dieses Grundprinzip weiterhin als Orientierung des Sozialverhaltens bestehen.
Bei Jäger- und Sammlervölkern wie denen im Gran
Chaco ist dies besonders wichtig, da der Jagderfolg
38
des einzelnen nicht immer gesichert ist. Dies gilt in
ähnlicher Weise für die heutige Situation auf dem
Arbeitsmarkt. Die unabdingbare Teilungspflicht
innerhalb der Gruppe erfährt das Kind dadurch, dass
entweder alle zu essen haben oder alle hungern. Neid
und Habsucht sind die schlimmsten Beleidigungen,
die den Indianern nachgesagt werden können. Als
eine der größten Tugenden gilt es, persönlichen Vorteil auszuschlagen. Dazu folgendes Beispiel:
Als der Großvater nach einem harten Arbeitstag nach
Hause kam, gab er seinen beiden Enkelsöhnen von
dem Mahl, das ihm gegeben worden war, und behielt
für sich selbst nur wenig. Da wurde er gefragt, warum
er denn nicht mehr essen wolle, wo er doch müde und
hungrig von der Arbeit zurückgekehrt sei und nun
wieder zu Kräften kommen müsse. Er antwortete:
„Jetzt müssen die Jungen Kräfte sammeln, nicht ich!“
Durch die Erfahrung selbstloser Verteilung lernen die
Kinder die Verpflichtung und Ansprüche kennen, die
innerhalb der Gemeinschaft bestehen und denen man
durch Teilen von dem, was man bekommt, genügt.
So kann man bereits bei kleinen Kindern beobachten,
wie sie ihr Essen mit ihren Geschwistern teilen.
Mit der gegenseitigen Abhängigkeit wächst auch ein
starkes Gefühl der Verbundenheit sowie der Respekt
und die Verantwortung gegenüber dem anderen.
Nur ganz selten kommt es vor, dass jemand einem
Mitglied der Familie einen einmal ausgesprochenen
Wunsch verweigert. Denn ein klares „Nein“ wird wie
ein Faustschlag ins Gesicht gesehen.
Mädchen auf dem ecuadorianischen Hochland
Mädchen aus Q’eros, Peru
Beschreibe das Leben in einer indianischen
(Groß-)Familie!
wer lebt zusammen?
wer nimmt welche Rolle ein?
Welche Rollenverteilung kennst Du? Sind diese der
indianischen Rollenverteilung identisch?
Schule
Im Leben indianischer Kinder wird die Schule zu
einem wichtigen Bestandteil in ihrem Leben. Abgesehen von Schulspeisungen, die in verschiedenen
Ländern den Kindern gewährt werden und für deren
Ernährung sehr wichtig sind, stellen Eltern inzwischen
hohe Erwartungen an die Schule, um die Kinder und
Jugendlichen auf das Leben als Bürger ihres Landes
vorzubereiten und die dafür notwendigen Kenntnisse
zu vermitteln.
Je nach Zugangsmöglichkeiten schicken die Eltern
die Kinder in die Schule, wenn sie ins schulfähige Alter
gelangen. Doch die Enttäuschungen sind auf allen
Seiten sehr groß. Viele brechen die Schule während
des ersten Jahres ab, viele erscheinen sehr unregelmäßig und kommen meist über die dritte oder vierte
Klasse nicht hinaus. In Paraguay gibt es im Landesdurchschnitt in indianischen Schulen nach der dritten
Klasse bereits über 50% weniger Schüler als in die
erste Klasse eingeschult wurden. Das hat viele Gründe,
von denen die wichtigsten hier erwähnt seien:
a) Die meisten Lehrer sind formal wie inhaltlich
vollkommen ungenügend ausgebildet. Viele
haben nur einen Primarschulabschluss, eine
besondere pädagogische Ausbildung für den
Unterricht mit indianischen Gemeinschaften
gibt es in den meisten Fällen nicht.
b) Schule als Teil der Erziehung ist den indianischen
Kindern und Jugendlichen fremd. Außerdem geht
man in den Schulen nicht auf die Werte und Vorstellungen der Jugendlichen ein sondern verlangt
von ihnen, dass sie sich an die „offizielle“ Kultur
anpassen.
c) Da der weitaus größte Teil des Unterrichts auf
Spanisch (bzw. in Brasilien auf Portugiesisch) und
nicht in der indigenen Sprache erfolgt, können viele
Kinder dem Unterricht nicht angemessen folgen.
d) Viele Familien sind nicht sesshaft oder arbeiten
als Saisonarbeiter immer wieder in anderen Gegenden. Darauf ist der Schulbetrieb nicht eingestellt und viele Eltern müssen ihre Kinder dann
von den Schulen nehmen.
Wie erleben indianische Kinder und Jugendliche
die Schule?
Was verändert sich für indianische Kinder und
Jugendliche durch die Schule?
Passt die Schule mit der indianischen Lebensweise
zusammen?
Welche Möglichkeiten bleiben indianischen
Kindern und Jugendlichen verwehrt, wenn sie
keine Schulbildung bekommen?
Die Initiation – Übergang von der Kindheit zur Jugend
Entscheidende Punkte im Jahresablauf sowie im
Lebenslauf waren und sind für alle indianischen
Völker die Feste und Feierlichkeiten. Ganz besondere
Bedeutung haben die Initiationsrituale, durch welche
die Kinder den Übergang zum Jugendlichen vollziehen. Bei den verschiedenen Völkern können Einzelheiten sehr unterschiedlich sein. Immer geht es
jedoch darum, innerhalb der Gemeinschaft deutlich
zu machen, dass die Jugendlichen nun ins Alter der
Geschlechtsreife eintreten.
Wenn bei den Jungen der Stimmbruch einsetzt und
die Mädchen ihre erste Monatsblutung haben, ist die
Zeit für die Teilnahme an diesem Ritual gekommen.
Es sind für Jungen und Mädchen jeweils verschiedene
Feste mit unterschiedlicher Ausprägung. Heute gibt
es auch Gemeinschaften, die durch die Christianisierung die alten Formen nicht mehr pflegen, sondern
im Rahmen von Patronats- oder Tauffesten die Initia-
39
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
tionsrituale integriert haben. Bei manchen Chacovölkern, wie z.B. den Wichí und den Nivaklé, wurden
die Mädchen früher im Alter von 7 bis 10 Jahren im
Gesicht tätowiert. Dieser Brauch ist heute fast völlig
verschwunden.
Für die Jungen ist die Initiationsfeier mit ernsthaften
Prüfungen verbunden. So wird die Standhaftigkeit,
Courage, die Besonnenheit und der Mut durch verschiedene Handlungen, durch Fasten, Geißelung, aber
auch durch zeitweilige Isolierung von der Gemeinschaft
gestärkt und geprüft. Außerdem wird der Jugendliche
in Kenntnisse und Weisheiten eingeweiht, die von
den Vorfahren überliefert und von Generation zu
Generation weiter getragen werden. Mit dem Erlernen
von Gesängen erhält der Jugendliche die nötigen
Fähigkeiten, um mit den Hütern der Natur und der
Welt in Verbindung treten zu können und ein erfolgreicher Jäger zu werden. Auch die Mädchen mussten
sich beim Initiationsfest Nahrungstabus unterwerfen
und Durchhaltekraft und Ausdauer beweisen, um in
bestimmte spirituelle Gesänge und die damit verbundenen Kräfte eingeführt werden zu können.
Für beide Geschlechter hat die Initiation große erzieherische Bedeutung auf dem Weg, erwachsen zu
werden. Die Jugendlichen erhalten ihren entsprechenden Status innerhalb der Gemeinschaft mit den diesem
Alter entsprechenden Rollen, in die sie weiter hinein
wachsen, bis sie schließlich als erwachsene Mitglieder
in die Gemeinschaft aufgenommen werden. So beginnen die Jungen, an den Versammlungen des Dorfes
teilzunehmen, ohne jedoch mitreden zu dürfen. Das
Rederecht ist dort im Wesentlichen den Alten und
Erfahrenen vorbehalten.
Das Fleisch einer gefangenen Anaconda wird bei den Cayapó anlässlich
von Jünglingsinitiationen verspeist.
40
Wie und was erleben indianische Kinder beim
Übergang ins Jugendalter?
Gibt es bei uns vergleichbares?
Jugend und Heirat
Heutzutage heiraten Männer und Frauen fünf bis
zehn Jahre früher als in früheren Generationen. So
gibt es Frauen, die bereits mit 14 Jahren Mutter werden. Dadurch verringert sich die Jugendzeit erheblich.
Im traditionellen Sozialsystem lebte die Jugend eine
Phase großer sozialer und sexueller Freiheit, ehe sie
heiratete. Es ist genau die Entwicklungsphase eines
Menschen, in welcher die körperlichen und seelischen
Reifungsprozesse den einzelnen Menschen stark in
Anspruch nehmen. Der Einfluss christlicher Moral
und der damit verbundene Wertewechsel verurteilte
die sexuelle Freizügigkeit der Jugend als Sünde.
Während die Jugendlichen früher in ganzen Gruppen
von Dorf zu Dorf zogen und von den Gemeinschaften
entsprechend mit großer Gelassenheit mitversorgt
wurden, sehen sie sich heute viel früher dazu gedrängt
zu heiraten. Und da die traditionellen Methoden der
Familienplanung ebenfalls größtenteils verdammt
wurden, nimmt die Anzahl der Kinder in der jüngeren
Generation entsprechend zu.
Kindererziehung unter schwierigen Bedingungen
Heute leben die Indianer des Gran Chaco vorwiegend
in Dörfern, teilweise auch in Arbeitervierteln der
Städte. Meist wohnen die Verwandtschaftsgruppen
weiterhin zusammen. Je nach Arbeitsmöglichkeiten
verlassen die Männer ihre Familien, manchmal sogar
während der ganzen Woche oder noch länger. Wenn
es möglich ist, versuchen die Männer, die Familien
mitzunehmen. Doch inzwischen ist es auch nicht
mehr ungewöhnlich, dass die Kinder mit den Großeltern und den anderen Verwandten, die zur Großfamilie gehören, im Dorf bleiben, während Vater und
Mutter unter der Woche irgendwo arbeiten. Diese
Situation ergibt sich auch durch die Schulpflicht der
Kinder. Wenn es dann aber nicht genug zu essen gibt,
nehmen die Großeltern die Enkelkinder mit zum
Betteln bei den Reichen. Für viele Kinder ist dies zu
einer geschätzten Abwechslung geworden, da sie so
ein neues Umfeld und die möglichen Sammelgründe
Mädchen in der Comarca
(Provinz Ngöbe-Buglé, Panama)
in den Dörfern und Städten der Weißen kennen
lernen. Viele Kinder begleiten auch ihre Eltern,
wenn diese nach der
Lohnauszahlung in die
Läden zum Einkaufen
gehen. Wie alle Kinder
schauen sie mit großen,
neugierigen Augen auf
all die Dinge, die in den
Läden angeboten werden. So entstehen neue
Wünsche, die sie dann
Yanomami-Mädchen
auch gegenüber den
vom Rio Ocamao
Eltern ausdrücken. Dies
kann zu großen Schwierigkeiten führen. Denn aufgrund ihrer Erziehung können sich die Eltern einem
starken und wiederholt vorgetragenen Wunsch der
Kinder kaum entziehen. Und so kommt es vor, dass
ein Vater mehrere seiner Ziegen verkauft oder ein
Vielfaches seines Lohns ausgibt, um dem Sohn ein
Motorrad zu kaufen. Obwohl er dadurch die Lebensgrundlage der Familie aufs Spiel setzt, ist es für ihn
wichtiger, dem Sohn den Wunsch zu erfüllen, um
nicht „Nein“ sagen zu müssen. Ein Alter beschreibt es
so: „Früher kannten wir nur das, was wir brauchten;
heute bleibt alles dem Schicksal überlassen. Heute
wird den Jungen schwindelig bei all den Dingen, die
es gibt. Damit umzugehen, ist sehr schwierig. Jetzt
erkennen wir, dass wir arm sind.“
Veränderungen
„Seit die Urgroßeltern Kinder waren, hat sich das
äußere Leben stark verändert. Nicht aber seine Regeln
und Grundlagen.“ So fasst ein „moderner“ Indianer
im Gran Chaco zusammen, was in den letzten 80 Jahren geschehen ist, seit sich die Weißen ihres Landes
bemächtigt und das Leben der indianischen Völker
auch im Gran Chaco verändert haben. Denn mit dem
Einzug des Christentums und der wachsenden Abhängigkeit von Lohnarbeit scheinen sich viele Dinge
gewandelt zu haben. Man trägt westliche Kleidung,
hört Radio und Kassetten bzw. CDs, fährt Fahrrad und
Motorrad, trägt das Haar modisch und schmückt sich
mit Dingen, die man im Laden kauft. Doch die Grund-
prinzipien der Lebensgestaltung und des Lebensinhalts sind dieselben. So werden in vielen Gemeinden
die Initiationsfeiern nicht mehr in der Form zelebriert
wie früher. Stattdessen gibt es Tauffeste, Patronatsfeste und andere, die vordergründig die traditionellen
Rituale verdrängt zu haben scheinen. Doch in der
neuen Form verbergen sich die Wahrheiten, welche
auch früher die Alten den Jungen weitergaben. So gibt
es kein Tauf- oder Patronatsfest, bei dem die Jugend
sich nicht im Fußballspiel misst und dabei mit großer
Inbrunst die eigenen Kräfte prüft wie früher in traditionellen Spielen. Und die Alten walten weiterhin
ihres Amtes in der Übermittlung der Lebensweis
heiten und Prinzipien an die Enkel.
Aber nicht nur bei Festen auch im Arbeitsleben und
dem Verhältnis zur Arbeit hat sich viel verändert.
Für Kinder im Alter von 10 bis 12 Jahren, die schon
nicht mehr in die Schule gehen, entsteht durch die
Veränderung der äußeren Lebensbedingungen eine
Leere, da sie kaum noch auf Jagd- und Sammelstreifzüge gehen können. Wenn die Eltern Arbeit haben,
begleiten sie sie häufig zum Beispiel auf die Felder
großer Plantagen oder in Viehzuchtbetriebe. Allerdings klagen viele Eltern, dass ihre Kinder ihnen nicht
wirklich helfen, sondern schnell müde werden oder
einfach keine Lust haben.
Ein Vater erklärt dies folgendermaßen: „Früher kannten wir keine „Arbeit“. Das Leben war abwechslungsreich. Die Kinder lebten gemeinsam mit den Erwachsenen ihren vielfältigen Alltag und teilten stärker die
Erfahrungen und Erlebnisse miteinander. Heute
müssen wir unseren Kindern beibringen zu arbeiten.“
Unter „Arbeit“ wird eine monotone Tätigkeit zum
Gelderwerb verstanden, die vom sozialen Leben der
Familie und Gemeinschaft stärker getrennt ist. Wenn
ein Kind an dieser Tätigkeit nicht teilnehmen will,
lassen die Eltern es in Ruhe, so wie sie es in einem
solchen Fall auch früher immer getan haben, als es
noch nicht die „Arbeit“ gab. Nicht selten lässt sich
beobachten, wie die Eltern hart arbeiten, während
die Jugendlichen Fußball spielen oder unter einem
Baum sitzend Radio hören. „Unsere Kinder spielen
bei Festen und sozialen Treffen, aber sie lernen das
Alltagsleben kaum mehr spielend kennen“, meint ein
alter Indianer.
41
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
„Brot für die Welt“ hat 2004 eine Aktion „Zeigt uns
eure Welt!“ gestartet. Diese richtet sich an Kinder zwischen vier und zehn Jahren. Durch Erzählen und
Anschauen erfahren sie spielerisch und kreativ etwas
über das Leben der Wichi-Indianer am Rio Pilcomayo.
Und sie sollen lernen, dass auch Kinder sich engagieren können und Möglichkeiten haben, diese Welt ein
Stück gerechter zu machen.
Die Grundidee ist, dass die Wichi-Kinder unseren
Kindern in Bildern von ihrem Alltag erzählen. Es
werde Themenkreise wie Familie, Wohnen, Essen
und Spielen angesprochen, Bereiche des täglichen
Lebens also, die auch unseren Kindern vertraut sind.
Wer sind die Wichi-Indianer?
Der Beitrag „Die Wichi-Indianer von Rio Pilcomayo“
stellt die Wichi-Indianer, ihre Heimat und ihre
Lebensweise vor. „Brot für die Welt“ hat Informationsmaterial über die Wichi, ihren Lebensraum und ihre
Kultur und über die Hintergründe ihres Kampfes um
Landrechte zusammengestellt und der Altersgruppe
gerecht aufgearbeitet.
Die Themen sind:
1. Meine Freunde und Freundinnen und ich
2. Die Menschen, mit denen ich zusammenlebe
3. Mein Vater bei der Arbeit
4. Meine Mutter bei der Arbeit
5. Die Umgebung, in der ich lebe
6. Der Fluss (der Rio Pilcomayo)
7. Wie wir Fische fangen
8. Was wir essen
9. Wie wir spielen
10. Unsere Schule
Informationen dazu finden Sie im Internet unter
www.brot-fuer-die-welt.de/wichi oder Sie können es
direkt in Stuttgart bestellen:
Tel.: 0711 / 21 59-183, Fax: 0711 / 21 59 515
E-Mail: [email protected]
42
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
4.4. Männer und Frauen
Aufgaben und Rollen für Männer und Frauen sind
klar definiert. Diese sehen zwar bei den einzelnen
indigenen Völkern unterschiedlich aus, gemeinsam
ist ihnen jedoch eine klare Orientierung entlang der
Geschlechterlinie. Die Organisation der Geschlechterrollen folgt in den meisten indigenen Gesellschaften
den Grundlinien eines dualen Weltbildes, wonach
Männer und Frauen jeweils kosmische Kräfte wie
Sonne und Mond, Tag und Nacht, heiß und kalt zugeordnet werden. Darüber wird dann auch die entsprechende Aufgaben- und Rollenteilung begründet und
innerhalb des Weltbildes nachvollziehbar.
In indigenen Weltbildern ergänzen sich diese Dualitäten und werden nicht als gegensätzlich angesehen.
Frauen kümmern sich um den Haushalt und seine
Ökonomie, um die Familie und die Erziehung der
Kinder. Sie garantieren die Basisversorgung der
Familien, stellen Haushaltswaren und Kunsthandwerk her, sie bereiten die Nahrung zu oder bearbeiten
sie zur Lagerung. Sie arbeiten auf dem Feld, sammeln
Festlich geschmückter
Krieger der Yoplopoiteri
Zoé-Indianer auf der Jagd
Traditionelles Tauziehen der Yanomami mit einer Liane
Awajun-Frauen, Peru
Früchte, waschen die Kleidung und holen Wasser im
Fluss oder am Brunnen. Männer erledigen körperlich
schwere Aufgaben und dort, wo indigene Völker naturnah leben, fällt ihnen meist die Jagd zu. Oft kommt
indigenen Frauen innerhalb ihrer Gemeinschaften
eine wichtige Rolle in den Bereichen Gesundheit und
Natur zu: als Mittlerinnen zwischen Natur und Mensch,
als Heilerinnen, als Hebammen. Nur selten werden
ihnen Aufgaben und Rollen verliehen, die eher öffentlich sind. Priester, Dorfvorsteher, Älteste sind meist
Männer. Ebenso werden die modernen gesellschaftlichen Ämter, wie Abgeordneter, Bürgermeister oder
Repräsentant in indigenen Organisationen meist von
Männern wahrgenommen.
Indigenen Frauen geht es im täglichen Leben nicht
besser als nicht-indigenen: die ganz alltägliche Benachteilung greift auch in indigenen Dorfgemeinschaften und Siedlungen und erschwert den Frauen
einen gleichberechtigten Zugang zu Besitz, Ressourcen, Dienstleistungen und Entscheidungsprozessen.
Frauen spielen zwar in den indigenen Gemeinschaften
eine wichtige Rolle, werden aber nicht immer gleichberechtigt anerkannt. Mit dem Verweis auf vermeintlich kulturelle Regeln und Vorgaben wird ihre Beteiligung zuweilen eingeschränkt. Sie werden auf einen
häuslichen Platz verwiesen, der ihnen längst zu eng
geworden ist.
43
Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern
Frauengruppe in Q’eros, Peru
Frauen beim Schälen von Kaffee-Bohnen, Panama
Innerhalb der multiethnischen Gesellschaften ihrer
Nationalstaaten sind sie mehrfach benachteiligt: als
Indigene, als Frauen und als Mitglieder armer Bevölkerungsgruppen.
Gleichwohl sind Frauen oft diejenigen, die den sozialen Zusammenhalt in der Familie, im Dorf oder in
der Gemeinschaft pflegen. Sie besinnen sich oft eher
als Männer der alten Traditionen und praktizieren
überlieferte Heilungs- oder Herstellungsverfahren.
Es gibt keinen Grund, warum dies Männer nicht
ebenso tun könnten. Männer sind zwar oft mit Lohnarbeit oder mit der Arbeit auf dem eigenen Land beschäftigt, haben jedoch auch manchmal Probleme mit
dem Konsum von Alkohol, Drogen und einer hohen
Gewaltbereitschaft. Das soziale Netz innerhalb der
Familien und Gemeinschaften hängt häufig vor allem
von den Frauen ab. Mädchen erlernen diese Rollen
schon sehr früh und unterstützen ihre Mütter in den
Aufgaben des Haushalts und der Versorgung kleinerer Geschwister – ein Grund warum indigene Mädchen
seltener als indigene Jungen die Schule besuchen. Vielleicht lässt sich auch in der Tatsache, dass Frauen länger als Männer an der traditionellen Kleidung festhalten und diese oft auch in der Stadt noch tragen, ein
Hinweis auf ihre stärkere Verankerung in der eigenen
indigenen Kultur sehen.
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Suruahà-Mädchen mit Menstruationsmaske, die sie anlässlich
ihrer ersten Menstruation während einer neuntägigen Isolation
tragen muss
Paarbeziehungen sind in den meisten indigenen
Völkern nicht streng monogam, d. h. herausgestellte
Persönlichkeiten können beispielsweise auch eine
zweite Frau nehmen. Die meisten Paare leben jedoch
monogam. Monogamie und das Konzept von Ehe sind
durch die christlichen Kirchen stark beeinflusst. Folgerichtig sind sie auch dort weiter verbreitet, wo die
Völker schon seit mehreren Jahrhunderten missioniert sind, wie beispielsweise in den Anden und weniger im Amazonastiefland, das erst im Zuge des 20.
Jahrhunderts durch die Nationalstaaten „kolonisiert“
wurde. Allerdings ist der Einfluss evangelikaler Freikirchen im 20. Jahrhundert auch in dieser Beziehung
wesentlich unerbittlicher als der der katholischen
Kirche. Paarbeziehung, Ehe und Familiengründung
finden meist innerhalb des eigenen Volkes statt.
Lebensläufe
Rigoberta Menchú Tum,
Friedensnobelpreisträgerin 1992
Rigoberta Menchú Tum, Indígena, Maya-Quiché,
wurde am 9. Januar 1959 in dem Dorf La Chimel,
Provinz Quiché, in Guatemala geboren. Rigoberta
wuchs zwischen den Bergen von Quiché und den
Plantagen an der guatemaltekischen Südküste auf.
Auf diese Plantagen ziehen jedes Jahr tausende von
Indigenen um dort auf den reichen Böden der Großgrundbesitzer für einen miserablen Lohn, Kaffee,
Zucker, Baumwolle und andere Exportprodukte zu
ernten.
Sie ist die Tochter von Vicente Menchú Pérez, einem
Kämpfer für das Land und die Rechte der Indigenen,
und Juana Tum K´otoja´, Hebamme. Bereits in ihrer
Kindheit hat sie von den Eltern gelernt, die Natur und
das gemeinschaftliche Leben der indianischen Völker
zu respektieren. Aber sie lernte auch die Ungerechtigkeit, die Diskriminierung, den Rassismus und die
Ausbeutung kennen, die tausende von Indigenen in
Guatemala in extremer Armut halten. Die Armut
zwang sie, ihren Lebensunterhalt in der Hauptstadt
zu suchen, aber in den indianischen Dörfern hat sie
gelernt, sich zu organisieren und ihre Interessen zu
verteidigen.
Respekt und die Anerkennung der Rechte der indigenen Völker ein.
Aufgrund ihrer Geschichte sowie ihrer Arbeit für die
Menschenrechte und vor allem für die Rechte der
indigenen Völker wurde ihr 1992 der Friedensnobelpreis verliehen.
Sie wurde vom Preiskomitee ausgezeichnet „für ihre
Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und die Aussöhnung der Völker und Kulturen Lateinamerikas“.
Quelle: www.rigobertamenchu.org, Übersetzung: H. Feldt
Erläuterung
Das Massaker in der spanischen Botschaft
Im Januar 1980 besetzten Angehörige der Bauernbewegung Guatemalas aus Protest gegen die widerrechtlichen
Landaneignungen der Militärs die spanische Botschaft.
Mit der friedlichen Botschaftsbesetzung wollten sie gegen
die Landvertreibungen demonstrieren. Die guatemaltekische Polizei und das Militär haben jedoch die Immunität
des diplomatischen Ortes nicht respektiert, die Botschaft
gestürmt und in Brand gesetzt, obgleich der friedliche Auszug der Bauern und Landarbeiter mit dem spanischen
Botschafter Cajal bereits vereinbart gewesen war. Bis auf
einen Indígena und den spanischen Botschafter Cajal, die
sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten konnten,
wurden die Botschaftsbesetzer und das Botschaftspersonal
getötet. Der überlebende Guatemalteke wurde einen Tag
später aus dem Hospital entführt und erschossen. Der
zweite Überlebende, der Botschafter, konnte sich in die
Residenz des nordamerikanischen Botschafters retten.
In dem Kampf für das Land verlor sie ihren Bruder
Patrocinio, der am 9. September 1979 vom Militär
entführt und höchstwahrscheinlich ermordet wurde.
Bis heute fehlt jede Spur von ihm. Vier Monate später,
am 31. Januar 1980, verlor sie ihren Vater. Er starb
zusammen mit 36 anderen Personen in dem Massaker in der spanischen Botschaft.
Die Mutter von Rigoberta wurde am 19. April 1980
entführt. Es gibt unterschiedliche Versionen über ihre
Ermordung. Auch von ihr fehlen bis heute Spuren
ihrer Leiche. Ihr Bruder Víctor Menchú Tum wurde
am 8. März 1983 vom Militär ermordet.
Diese Geschehnisse sind die Grundlage für ihren
Kampf um Gerechtigkeit und gegen die Straflosigkeit
der Schuldigen. Rigoberta gelang es vor dem Terror in
Guatemala 1981 nach Mexiko zu fliehen. Von dort aus
setzte sie ihre Arbeit fort, informierte weltweit über
den Völkermord in Guatemala und setzte sich für den
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Andrés Chambi, Bolivien
Andrés Chambi wurde am 30. November 1972 im
Ayllu Quta de Qara nördlich von Potosí geboren. Zu
der Zeit als seine Eltern noch jung waren, gab es
keine Schule. Sie können weder schreiben noch lesen
und haben ihr Leben lang in der Landwirtschaft gearbeitet. Seit frühester Kindheit musste er auf dem Feld
und im Haus helfen. Bereits mit fünf Jahren hütete er
die Schafherde des Ortes. Erst mit 7 Jahren konnte er
zur Schule gehen. In der Schule wurde jedoch nur bis
zum 3. Schuljahr unterrichtet. Er erinnert, dass „der
Lehrer uns mit Stöcken schlug, er sagte, dass wir
keine Intelligenz hätten und er zwang uns, alles auswendig zu lernen.“
Andrés ging jeden Morgen 2 Stunden hin und nachmittags 2 Stunden zurück. „Mein Mittagessen bestand
aus Maisfladen oder gekochten dicke Bohnen mit
Kartoffeln.“ Manchmal hat er mit Mitschülern geteilt,
die auf gleiche Weise versuchten, den Hunger zu
überdecken. „Wir aßen kein Fleisch, Käse oder Eier –
das gab es nur zu Festtagen. Wir kannten auch keine
Kleidung aus Baumwolle, sondern die Kleidung wurde von der Familie selber hergestellt. Am „Tag des
Indios“ mussten wir den Lehrer mit Musik, Getränken
und vielen Geschenken feiern.“ Weil die Familie kein
Geld hatte, musste er die Schule verlassen. Mit 12 Jahren verlor er Vater und Mutter. Jetzt war er gezwungen, zwei Geschwister mit zu ernähren und musste
außerdem den Anforderungen der Dorfgemeinschaft
gerecht werden. Er wurde Mitglied der Agrargemeinschaft, wurde erst zweiter Schatzmeister, dann erster
bis er schließlich Generalsekretär wurde. Mit 25 Jahren heiratete er. Jetzt haben sie 3 Kinder. Die Pflichten
in einem Ayllu sind sehr schwer. Es müssen viele
Feste ausgerichtet werden und viele Leitungsaufgaben
für die Dorfgemeinschaft sind zu erfüllen. Aber es
gibt keine Einnahmen. Als der Bergbau in der Region
noch funktionierte, „konnten wir zumindest noch
einige Produkte verkaufen. Heute wissen wir nicht,
wie wir zu Einnahmen kommen können. Wir arbeiten
jeden Tag in der Landwirtschaft und hüten die Tiere.
Aber die Landwirtschaft reicht nur für die Subsistenz.
Der Ertrag ist nicht sicher, oft wird es so kalt, dass die
ganze Ernte erfriert oder es regnet nicht oder es hagelt
– Trockenheit oder Überschwemmungen – hier ist es
kein Leben.“
Schon sehr jung wurde er in die Leitung des Ayllu
gewählt, reiste weit zu Kongressen und den Bauerntreffen. „Oft hatten wir Probleme mit der Verpflegung, Unterbringung und den Fahrtkosten, einige
Treffen wurden von den politischen Parteien finan-
46
ziert. Die Regierung verspricht uns immer viel, aber
wenn wir dann in die Büros der Regierungsbeamten
wollen, werden wir fast nie empfangen. Ihre Sekretäre
behandeln uns sehr abwertend. In der Stadt kann ich
nicht lange bleiben und warten, weil ich kein Geld
habe. Die Funktionäre sprechen unsere Sprache nicht.
Ich möchte nicht, dass meine Kinder dasselbe erleiden müssen. Wir haben keine anerkannten Besitzurkunden für unser Land. Deshalb befürchten wir, dass
sie uns eines Tages das Land wegnehmen.“
GTZ, basierend auf einem Interview vom 25. März 2004
im Büro der Föderation der Ayllus im nördlichen Potosí,
Übersetzung aus dem Spanischen: Heidi Feldt
5. Indigene
Organisationen
Es gibt verschiedene Formen der sozialen Organisation bei den indigenen Völkern. Manchmal treten die
traditionellen Institutionen, wie zum Beispiel der Ältestenrat in einer Gemeinschaft, in Konkurrenz zu den
staatlichen politischen Strukturen. Wenn es dann an
gegenseitiger Anerkennung und am Verständnis
mangelt, kann es zu sozialen Konflikten kommen.
Bereits die Eroberer erkannten schnell die Stärken
und Schwächen der sozialen Organisation der unterworfenen indigenen Völker. So wurden im Fall der
andinen zentral organisierten Hochkulturen zunächst
die „Köpfe“ getötet, die dann ohne ihre Führer leichter
zu besiegen waren.
Teilweise wurden auch ganze Bevölkerungsgruppen
umgesiedelt, wie dies bereits zuvor die Inkas zur
Beherrschung neu eroberter Teile ihres Reiches taten.
Diese Umsiedlungen dienten in der Kolonialzeit meist
ökonomischen Zwecken wie der Konzentration von
Arbeitskräften für die Ausbeutung der großen Bergwerke. Die Sozialstrukturen der Gemeinschaftsarbeit
dagegen wurden in die Organisation der kolonialen
Verwaltung integriert und genutzt. Beispiel hierfür ist
das System der „encomienda“: Besondere Verdienste
der Eroberer belohnte Spanien mit der Verleihung
von Land sowie der darauf lebenden Indios, über
deren Arbeitskraft der „Encomendero“ frei verfügen
konnte. Zwar waren die „Encomenderos“ dazu ange-
halten, die eingeborene Bevölkerung zu beschützen
und sie zum Christentum zu bekehren, doch im
Grunde war das Encomienda-System eine Form von
Sklaverei zugunsten der Plantagen- und Minenbesitzer.
Indigene Organisationsformen des Alltags haben sich,
ebenso wie die nicht-indigener Gesellschaften, im Laufe
der Zeit gewandelt. Für einige indigene Völker sind zum
Beispiel Dorfgemeinschaften selbst keine ursprüngliche
Form des Zusammenlebens. Viele Indigene leben noch
heute eher in Streusiedlungen und errichten ihr Wohnhaus auf dem von ihnen bewirtschafteten Land. Dörfer
entstanden unter den Bedingungen des Kolonialreiches,
bzw. danach als
die neugegründeten Staaten versuchten die indigenen
Völker in ihr Gesellschaftssystem zu integrieren und sie
zwangen, sich in Dörfern anzusiedeln.
Die Kolonialherren und später die Großgrundbesitzer
zwangen einst die Bevölkerung zur Arbeit in den
Haciendas (landwirtschaftlich genutzter Großgrundbesitz). Die indigenen Bauern verloren die Möglichkeit, selbst ihren Unterhalt zu produzieren, verloren
ihr Land und wurden so mehr und mehr in die Lohnarbeit und damit in die Geldwirtschaft gezwungen.
Die Menschen, die auf den Haciendas arbeiteten, bildeten dort vielfach erste kleine Dorfgemeinschaften
mit Kirche, eigener Gerichtsbarkeit und kleinen
Läden. Noch heute ist der Prozess der Ansiedlung in
Dörfern nicht abgeschlossen, neue Dörfer entstehen
in jüngster Zeit auch rund um die Schulen, die in den
letzten Jahrzehnten auch in indigenen Siedlungsgebieten entstanden.
Indigenen Tagung in Quito, Ecuador
Oktober 2004
47
Indigene Organisationen
Versammlung der Vertreter der Indigenen Völker
der Amazonasregion Ecuadors
5.1. Lokale soziale Strukturen und politisch aktive
Organisationen
Neben den traditionellen lokalen Strukturen haben
Indigene mittlerweile auch eigene Organisationen
aufgebaut, mittels derer sie für ihre Rechte und ihre
Interessen kämpfen. Es gibt bereits große Netzwerke,
die regional und international in Kontakt stehen und
zusammenarbeiten.
Die indigenen Organisationen werden mittlerweile
nicht nur national von ihren Regierungen gehört und
sind als Verhandlungspartner in Reformprozessen
anerkannt. Auch international haben sie ihre Gremien
auf UN-Ebene gebildet. Kaum eine der großen UNWeltkonferenzen wird durchgeführt, ohne dass Indigene und ihre Organisationen zu Wort kommen. Vielfach hat diese Organisierung die Indigenen vor Raub,
Enteignung und physischer Bedrohung bewahrt.
Damit diese Organisationen überhaupt als Gesprächspartner für Regierungen, internationale Organisationen, UN etc. sichtbar werden, ist es nötig, dass sie
sich im wesentlichen nach westlichem Muster organisieren und damit auch traditionelle Formen der Sozialstrukturen verlassen. So ist es beispielsweise auch
für indigene Frauen möglich, sich an den Organisationen zu beteiligen, bzw. ihre eigenen Frauenorganisa-
48
tionen zu gründen und zu führen, eine Rolle, die
ihnen die meisten Völker in den traditionellen Strukturen nicht zugedacht hatten.
Das Verhältnis zwischen alten und neuen Autoritäten
bei den indigenen Völkern ist nicht immer reibungslos. Die Ältestenräte, Schamanen, traditionellen Ortsvorsteher u.a. sind meist nicht in der Lage mit NichtIndigenen zu verhandeln (häufig sprechen sie auch
nicht die Nationalsprache). Ein großes Problem ist
dies, wenn diese Verhandlungen auf Nationalebene,
weit außerhalb des eigenen Siedlungsgebiets in den
Hauptstädten, mit Regierungen oder internationalen
Vertretern stattfinden. Dadurch nimmt ihre Autorität
und Macht im Rahmen des eigenen Dorfes ab.
Manchmal treten die Lehrer in den Dörfern, die eine
eigene Autorität aufbauen und sich als Vermittler zur
Außenwelt darstellen, in Konkurrenz zu den traditionellen Führern. Auch in politischen Fragen hört man
häufig nicht mehr auf sie. Die Mitglieder der modernen indigenen Organisationen übernehmen die Aufgabe der politischen Führung, auch wenn sie häufig
viel jünger sind und nicht über die traditionellen
Rituale in ihre Funktion gekommen sind.
Aber es gibt zu diesen modernen Organisationen
keine Alternative. Ohne die Präsenz der indigenen
Organisationen in den lateinamerikanischen Hauptstädten und ohne den Dialog mit den Regierungen
und der internationalen Gemeinschaft hätten indigene
Völker ihre Rechte wesentlich weniger erfolgreich
einfordern können. Ihre Aufgaben sind jedoch noch
längst nicht erfüllt.
5.2. Indigene Frauenorganisationen
Indigene Frauen sind nicht nur Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern verändern diese auch.
Oft sind es Frauen, die sich sozial engagieren, für
mehr Gerechtigkeit, für die eigenen Rechte und diejenigen ihrer Mitmenschen. Indigene Frauen sind
zunehmend in sozialen Bewegungen oder in Nichtregierungsorganisationen (NRO) engagiert und
organisiert.
Seit den 1980er Jahren entstehen lokale Frauengruppen und kleine Organisationen indigener Bäuerinnen.
Sie verfolgen praktische und erreichbare Ziele, gewinnen externe Unterstützung, häufig in Form von Klein-
krediten und erreichen Verbesserungen in ihrem Alltag und dem ihrer Familien und Dorfgemeinschaften.
Indigene Frauengruppen und -organisationen sind
gern gesehene Kleinkreditnehmerinnen, da sie im
allgemeinen die Kredite zurückzahlen und realistisch
mit den Geldern umgehen.
Häufig werden die indigenen Organisationen, insbesondere die der Frauen, deren Rolle sich traditionell
mehr auf Familie und Dorfgemeinschaft beschränkt,
kritisch betrachtet: Werden mit diesen Organisationen
die Traditionen zerstört? Gelten neben diesen neuen
und modernen Organisationen die alten Strukturen
der Gemeinschaften, die Ältesten und Wissenden
(meistens Männer) nichts mehr? Die indigenen
Frauen selbst verstehen es meist recht gut, ihre neuen
Aufgaben und Rollen in den Organisationen mit der
Erfüllung ihrer traditionellen Pflichten zu verbinden
und damit die Bedenken zu entkräften.
Die lokalen Organisationen schließen sich häufig
regional zusammen und bilden bis auf Landesebene
Organisationen für indigene Frauen, so beispielsweise
die Organisation „Bartolina Sisa“ der Quechua- und
Aymara-Bäuerinnen des bolivianischen Hochlandes.
Sie ist Teil der Bauerngewerkschaft, die in Bolivien
die Indigenen des Hochlandes vertritt. Auch hier ist
es nicht immer leicht, sich als Frauen in den von
indigenen Männern beherrschten Gremien der
Organisationen Gehör zu verschaffen und sich
durchzusetzen. Während die Frauen beispielsweise
bei den großen indigenen Märschen der 1990er Jahre
in Ecuador und Bolivien eine wichtige und von den
Medien auch international viel beachtete Rolle gespielt
haben, waren sie bei den Verhandlungen mit den
Regierungsvertretern nicht mehr präsent.
Wie stellt sich die Rolle der modernen indigenen
Frau dar? Welchen Spagat leistet sie, um auf den
verschiedenen ihr möglichen „Bühnen“ präsent zu
sein? Diskutiere mögliche Positionen dazu!
Organisierte indigene Frauen, Peru
5.3 Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und
Staatsbürgerinnen am Beispiel Guatemala
Ein Jahr nachdem Aung San Suu Kyi, Führerin der
Demokratiebewegung in Myanmar, 1991 mit dem
Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, erhielt
die Guatemaltekin Rigoberta Menchú Tum diesen
Preis. Der geschichtliche Augenblick, der eine MayaFrau vor zehn Jahren zu einer international bekannten
Persönlichkeit machte, hat symbolische Bedeutung:
Erstmals konnte sich die Stimme einer Indígena-Frau
international Gehör verschaffen und die Weltöffentlichkeit auf die Situation der indigenen Bevölkerung
in Guatemala aufmerksam machen. Nach langwierigen
Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien wurde
1996 der Bürgerkrieg nach 36 Jahren durch den Abschluss der Friedensverträge beendet. Diese legen
die Grundlagen für eine Friedensgesellschaft, deren
zentrale Elemente die Achtung der Menschenrechte,
Kollektivrechte der indigenen Bevölkerung und Frauenrechte sowie der Aufbau eines demokratischen
Rechtsstaates sind.
Der Archetyp der starken „Großmutter“ lebt in den
Frauen fort
Zahlreiche Vereinbarungen der verschiedenen Friedensverträge beziehen sich auf die Gleichberechtigung
und Verbesserung der Situation von Frauen. Die
Defensoría de la Mujer Indígena, eine Ombudsstelle
zur Verteidigung der Rechte indigener Frauen, geht
aus dem Abkommen über „Identität und Rechte der
indigenen Bevölkerung“ hervor; gegründet wurde sie
49
Indigene Organisationen
vor zwei Jahren. In dem Friedensabkommen werden
weiterhin indigene Selbstverwaltungsstrukturen und
Rechtspraktiken sowie die verschiedenen Sprachen
anerkannt. Zur indigenen Bevölkerung zählen die
Maya, Garífuna (Afroguatemalteken) und Xinca, wobei die Maya mit über 20 linguistischen Gruppen
die stärkste Volksgruppe darstellen. Die „Ladinos“,
die das Land politisch und wirtschaftlich dominieren,
definieren sich heute hauptsächlich darüber, keine
Indígenas zu sein.
Die Wahrheitskommission unter der Leitung des
deutschen Völkerrechtlers Christian Tomuschat hat in
ihrem Bericht Erinnerung an das Schweigen (1999)
Zeugnis über die an Frauen und Mädchen begangenen
Verbrechen abgelegt. Es ist das Verdienst der Kommission, auf die unbewältigte Demütigung und Traumatisierung von Maya-Frauen aufmerksam gemacht
zu haben. Während des Bürgerkrieges wurden sie
misshandelt und Opfer grausamer Menschenrechtsverletzungen.
Die systematische Vergewaltigung von Frauen war
gezielte Strategie der Streitkräfte, um die Würde der
Maya-Bevölkerung zu zerstören. Über die Vergangenheit schweigen viele, doch ist die Erinnerung an
Genozid und Vertreibung zum Bestandteil der kollektiven Identität der Indígena-Bevölkerung geworden.
Für Frauen hat der Friedensprozess neue Handlungsspielräume eröffnet. Viele von ihnen, darunter Frauen,
die Massaker, Vertreibung und Exil überlebt haben,
sind in unzähligen Gruppen, lokalen Initiativen und
dörflichen Entwicklungskomitees organisiert. Ihre
Tatkraft beziehen Maya- Frauen aus der Existenz ihrer
Vorfahren und weiblichen Vorbilder. Zu diesen zählt
die Mondgöttin Ixmucané. Sie verkörpert den Archetyp der starken „Großmutter“, Heilerin und „alten
Weisen“. Über ihr Wirken und Tun berichten viele
Legenden. Trotz jahrhundertelanger Kolonisierung,
Unterdrückung und Bürgerkrieg wurden die weiblichen Archetypen mit ihren innewohnenden Kräften
im Bewusstsein vieler Maya-Frauen nicht verschüttet.
Heute trägt eine der zahlreichen Frauenorganisationen
den Namen dieser Mondgöttin: Ixmucané setzt sich
für Landeigentum für Frauen ein, fördert Mädchenbildung und die Alphabetisierung von Indígena-Frauen,
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die wichtige Grundlagen für ihre persönliche Identität
und Stärke bilden. Die Gründung der Ombudsstelle
zeugt davon, wie schwierig es ist, als Indígena-Frau in
Guatemala zu leben und gleichzeitig Rechte als aktive
Staatsbürgerin wahrzunehmen. Neben dem Kulturministerium ist die Ombudsstelle die einzige staatliche Behörde, die von einer Indígena-Frau geleitet
wird. Die erste Ombudsfrau ist Juana Catinac, eine
selbstbewusste Maya-K’iché. Mit über 600 000 Mitgliedern sind die K’ichés die größte Maya-Gruppe.
Sie sind stolz auf die Pyramiden und Tempel von
Tikal, das heilige Buch der Maya, den Popol Vuh,
der die spanische Eroberung überlebt hat und als der
bedeutendste in K’iché verfasste Text gilt. Der Popol
Vuh wurde vermutlich Mitte des 16. Jahrhunderts
in lateinischer Sprache festgehalten und gilt als eindrucksvoller Ausdruck indigener Literatur.
Bereits als junge Frau engagierte sich Juana Catinac
in ihrer Gemeinschaft, etwa bei der Lösung von
Landkonflikten und Vermittlung von Streitigkeiten
zwischen Gemeinschaften. Jetzt versucht sie, das
Rechtsbewusstsein unter den Frauen zu fördern,
damit sie sich gegen Diskriminierung und Gewalt
wehren können. Sie erwarb Fähigkeiten, die ihr heute
zugute kommen. Ihr Jurastudium brach sie wegen der
Gewalt und zunehmenden Armut ihrer Familie ab.
Trotz fehlendem Universitätsabschluss wurde ihr das
Amt der Ombudsfrau übertragen. Mit ihrer Herkunft
und Identität, ihren Kenntnissen über die Geschichte
des Landes und frauenrelevante internationale und
nationale Rechtsinstrumente erfüllte sie die wesentlichen Voraussetzungen. Je stärker sie politisch aktiv
wurde, desto häufiger machte sie die Erfahrung, was
es bedeutet, Maya-Frau zu sein. In ihr Bewusstsein
hat sich eine wiederkehrende Bemerkung eingeprägt:
„Hört nicht auf sie, was hat eine Indígena schon zu
sagen!“
Hüterin der Kultur
Wie in den meisten Gesellschaften ist auch in Guatemala die Frau Hüterin der Kultur. Die Mehrheit der
Maya-Frauen trägt die handgewebten huipil-Blusen
und Wickelröcke (corte). Die farbenprächtigen Blusen,
Haarbänder und kunstvollen Kopfbedeckungen werden von antiken und modernen Mustern sowie Blumen
und Tieren geziert. Der huipil ist häufig eine offene
„Enzyklopädie“, weil seine Abbildungen verschlüsselte
Botschaften über Mythologie und Geschichte der
Maya enthalten. Tiere wie der Jaguar und zweiköpfige
Adler verkörpern den Widerstand gegen die spanische
Kolonisierung. Weben und Erzählen bilden eine Einheit. Noch heute stellen Maya-Frauen ihre Kleidung
selbst an Hüftwebstühlen her. Darüber hinaus ist für
viele Frauen das Weben und der Verkauf von Textilien
eine der wenigen Möglichkeiten, Einkommen zu erwirtschaften. Schutzpatronin und Erfinderin der Webkunst ist die Mondgöttin Ixchel. Auf präkolumbischen
Stelen ist sie mit einem Webstuhl dargestellt.
Alltagsleben und Lebensweise sind stark von der Kosmovision der Maya beeinflusst, denn die gedankenund gestaltreiche Mythologie lebt in den Frauen fort.
Darin ist der Mensch Teil der Natur, die es zu schützen und in ihrer biologischen Diversität zu erhalten
gilt. Insbesondere mit dem Land verbindet IndígenaFrauen eine vielschichtige und spirituelle Beziehung.
Eine wesentliche Quelle der Kultur und Kosmovision
bildet die „Mutter Erde“. Sie ist der Ort des sozialen
Lebens und der Gemeinschaftsarbeit, sie liefert Nahrungsmittel und beherbergt die Toten. Viele Seen,
Flussläufe, Wälder, Berge und Hügel gelten als heilige
Stätten, die in Zeremonien geehrt werden. Zahlreiche
Bäume werden vor menschlichen Eingriffen geschützt,
weil sie wichtige Lebensfunktionen erfüllen, wie die
Ceiba, die den Lebensbaum und die Achse der Welt
verkörpert.
An sakralen Plätzen und Monumenten, die zum Teil
während des Bürgerkrieges zerstört wurden, finden
die religiösen Zeremonien statt, die für die Maya von
existentieller Bedeutung sind. Im Maya- Kalender
hat jeder Tag einen Hüter (nawal), der als „Tagesgott“
die Menschen beschützt. Von ihnen beziehen sie ihre
spirituelle Nahrung und Energie, die ihnen ihre Tatkraft verleiht. Frauen haben sich als „die Weberinnen
des Friedens“ (tejedoras de la paz) durch neue Formen
politischer Netzwerkarbeit einen Namen gemacht.
Richtungweisend ist das nationale Frauenforum, ein
ethnienübergreifender und landesweiter Zusammenschluss, der die Umsetzung der geschlechterrelevanten
Friedensvereinbarungen kritisch überwacht.
Geschlechterungleichheit und gemeinsame Nöte helfen
dabei, traditionelle Feindbilder zwischen Indígenas
und Ladinas abzubauen.
Wie in anderen Nachkriegsgesellschaften sind auch
in Guatemala Frauen die treibende Kraft beim Wiederaufbau ihrer Gemeinschaften, obwohl in den Dörfern
Opfer und Täter in enger Nachbarschaft leben. Als
Witwen und Hinterbliebene tragen Indígena- Frauen
die Verantwortung für ihre Familien. Unter schwierigen Bedingungen haben sie eine protagonistische
Rolle als Wegweiserinnen des Friedens übernommen.
Von ihnen ging weder die Gewalt aus, noch waren sie
an den Verbrechen des Bürgerkrieges und anderen
Gräueltaten beteiligt. Obwohl die Erinnerungen an die
Vergangenheit nicht verblassen, ist es für sie leichter,
verfestigte Trennlinien zu überwinden und Brücken
zu bauen.
Diskriminierung im Alltagsleben
Heute ist die Situation von Indígena-Frauen von sozialer Heterogenität gekennzeichnet. Doch ist die Mehrheit einer dreifachen Diskriminierung ausgesetzt: als
Frau, Angehörige einer ethnischen Volksgruppe und
Teil der Armutsbevölkerung. Die überwiegende Mehrheit lebt in extremer Armut unter Bedingungen sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Ausgrenzung. Auch Indígena-Frauen mit Universitätsabschluss stoßen auf gesellschaftliche Widerstände, die
ihre beruflichen Möglichkeiten und Aufstiegschancen
einschränken. Allgemein verfügen sie über weniger
soziale und wirtschaftliche Chancen, werden schlechter
bezahlt als Männer und sind häufig Opfer familiärer
und sexueller Gewalt. In der Öffentlichkeit werden
Indígena-Frauen oft diskriminiert.
Die Tatsache, dass sie die traditionelle Kleidung tragen,
macht sie besonders verletzlich. Selbst die Tourismusbranche scheut manchmal nicht davor zurück, herkömmliche Diskriminierungsmuster zu reproduzieren,
indem sie mit hellhäutigen, in Maya-Trachten gekleideten Frauen für die folkloristischen „Reize“ des Landes wirbt.
Indígena-Frauen fühlen sich beleidigt, wenn sie als
„Inditas“ und „Marias“ angesprochen werden. Einige
nehmen nach einer ungeschriebenen Regel in öffent-
51
Indigene Organisationen
lichen Verkehrsmitteln auf den hinteren Sitzen Platz,
weil die vorderen für Ladinos reserviert sind. Wenn
sie es nicht tun, werden sie oft dazu aufgefordert:
„Nach hinten María, dort ist dein Platz!“ Selbst in
Supermärkten und Restaurants machen sie nicht selten
die Erfahrung, unerwünscht zu sein. Viele finden sich
mit dieser Realität ab und schweigen über ihr Leid.
Im gebeugten Gang der Frauen offenbart sich die
harte körperliche Arbeit sowie ihr verinnerlichtes Unsicherheits- und Minderwertigkeitsgefühl. Während
die Älteren in der Subsistenzlandwirtschaft überleben,
wandern viele junge Frauen in die Städte ab, in denen
sie als billige Arbeitskräfte in Lohnveredelungsbetrieben (Maquila), als Hausangestellte und im informellen Wirtschaftssektor arbeiten. Vor allem die Landfrage ist noch ungelöst. Immer wieder kommt es zu
Landkonflikten, weil der fruchtbare und landwirtschaftlich nutzbare Boden sehr ungleich verteilt ist.
Allerdings gibt es erste, bescheidene Lösungsversuche, die den Landerwerb der indigenen Bevölkerung
fördern und sogar das Miteigentum von verheirateten
Frauen ermöglichen. Aufgrund der Diskriminierung
in den eigenen Gemeinschaften gelingt es nur einer
Minderheit von Frauen, Land zu besitzen und die
Kontrolle darüber auszuüben. Auch öffentliche
Dienstleistungen nehmen wenig Rücksicht auf die
Kosmovision, Normen und Wertvorstellungen der
indigenen Bevölkerung.
Das Gesundheitssystem erkennt das traditionelle
indigene Wissen nicht in ausreichendem Maße an,
wie die Anwendung von Naturheilverfahren und Entbindungspraktiken, die vorzugsweise an zeremoniellen, therapeutischen Orten oder in den traditionellen
Dampfbädern (temascales) stattfinden. Es mangelt
an angepassten therapeutischen Beratungsangeboten
für die Heilung seelischer Krankheiten, wie die tiefen
Wunden, die der Bürgerkrieg hinterlassen hat. Weiterhin ist in den meisten öffentlichen Einrichtungen
Personal beschäftigt, das nur Spanisch spricht. Ebenso zeichnen sich im Bildungsbereich erst allmählich
multiethnische pädagogische Ansätze ab. Eine multilinguale Bildungspolitik und eine an der Multiethnizität ausgerichtete Gesundheitspolitik sind jedoch für
die kollektiven sowie individuellen Lebens- und Verwirklichungschancen von elementarer Bedeutung.
52
Ebenso benachteiligt das Justizsystem Indígena-Frauen.
Zum offiziellen Justizsektor haben sie kein Vertrauen,
da sie den Behörden, die ihnen während des Bürgerkrieges keinen Schutz geboten haben, nicht vertrauen.
Wegen der Schwellenängste und Sprachbarrieren sowie des Kosten- und Zeitaufwandes des offiziellen
Rechtsweges scheuen sie davor zurück, diesen Weg
in Anspruch zu nehmen. Insbesondere die auf dem
Land lebenden Frauen sind monolingual und stoßen
auf Schwierigkeiten. Noch ist es für die meisten Frauen
nicht selbstverständlich, Rechte wahrzunehmen und
gegen Diskriminierung, Geschlechtergewalt und Erbschaftskonflikte vorzugehen. Fehlendes Rechtsbewusstsein und Furcht vor Sanktionen hindern Frauen
daran, Beratung zu suchen und Rechte in Anspruch
zu nehmen. Darüber hinaus spielt im Alltag das
Gewohnheitsrecht in der traditionellen Konfliktmediation eine wichtige Rolle. Daher hat auch die Wahrheitskommission die Stärkung indigener Rechtspraktiken
innerhalb der guatemaltekischen Rechtsordnung gefordert – jedoch nur soweit ihre Normen mit der Verfassung und mit völkerrechtlich verbindlichen Konventionen vereinbar sind.
Bei familiären oder gesellschaftlichen Konflikten wenden sich Betroffene oft an Ältestenräte oder religiöse
Autoritäten. Die zentralen Rechtsprinzipien basieren
auf Konsenskultur und Wiederherstellung der Harmonie durch Mediation, d. h. auf dem Ausgleich von
Gegensätzen und Wiedergutmachung von angerichteten Schäden. Hierin unterscheiden sich traditionelle
Rechtsnormen von modernen, die weitgehend auf
einer Konfliktkultur gründen. Ohne Zweifel bieten
traditionelle Rechtspraktiken Vorteile: Ihre Autoritäten befinden sich im sozialnahen Raum, es bestehen
keine sozialen oder Sprachbarrieren, die Verfahren
sind schnell und kostenlos. Doch obwohl die Frau als
Trägerin der Kultur vielfach „verehrt“ wird, bietet ihr
das Gewohnheitsrecht keinen ausreichenden Schutz.
Es bewahrt sie weder vor Diskriminierung noch vor
Gewalt. Zwar ergänzen sich in der Kosmovision der
Maya Frauen und Männer in der Wahrnehmung ihrer
Geschlechterrolle und Funktionen harmonisch, doch
sieht die Lebensrealität der Frauen meist anders aus.
Für sie verbindet sich das Gewohnheitsrecht mit
Widersprüchen und Nachteilen. Die fehlende Anerkennung von Frauen als eigenständige Rechtsperson,
ein sie benachteiligendes Erbrecht sowie frühe und
arrangierte Ehen sind für sie kein Grund, das traditionelle Recht zu idealisieren. Männergewalt gegen Frauen wird noch weitgehend als „normal“ betrachtet oder
mit dem erhöhten Alkoholkonsum des Partners entschuldigt. Dennoch macht der Veränderungswille von
Frauen auch vor privaten Geschlechterbeziehungen
nicht Halt. Am eigenen Leib spüren sie die Folgen
männlicher Geschlechteridentität in der noch militarisierten Nachkriegsgesellschaft und fordern das Recht
auf ein Leben ohne Gewalt. Sie wollen als Rechtspersonen anerkannt sein, über einen gleichberechtigten
Zugang zu wirtschaftlichen und produktiven Ressourcen verfügen, ein Recht auf Schul- und Berufsbildung,
auf Geburtenkontrolle und integrale Gesundheit
haben. Dieser Prozess verläuft nicht konfliktfrei –
Frauen, die für ihre Rechte eintreten, gelten oft als
„schlechte“ Frauen und stoßen in ihren Gemeinschaften auf Misstrauen. Die Stadt gilt als kein guter Aufenthaltsort, weil sie einen „schlechten“ Einfluss auf
die weibliche Identität hat.
Indígena-Frauen fordern„spezifische Rechte“
Mit der Ombudsstelle existiert erstmals eine Institution für die Rechts- und Sozialberatung von IndígenaFrauen. Sie zeugt von der Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung auf breiter
Basis abzuwehren. Ihre normativen Grundlagen bilden das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau, die vom guatemaltekischen Staat ratifizierten frauenrelevanten regionalen
Abkommen sowie die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die kollektiven Rechte indigener Völker. Die Ombudsstelle setzt
sich für die Umsetzung aller frauenrelevanten Gesetze und ratifizierten internationalen Abkommen ein.
Sie steht daher vor einer doppelten Herausforderung:
einerseits den kollektiven Rechten der indigenen Bevölkerung, ihren Normen und Institutionen Geltung
zu verschaffen, andererseits gewohnheitsrechtliche
Praktiken in Einklang mit modernen Rechtsnormen
zu bringen. Von elementarer Bedeutung ist die Anerkennung der spezifischen Rechte von Indígena-Frauen,
die in einem Katalog zusammengefasst wurden:
Recht auf ethnokulturelle Identität, – Recht auf
Identifizierung als Indígena-Frau,
Rigoberta Menchu; rechts
Recht, nicht von einer fremden Kultur assimiliert
zu werden,
Recht auf Partizipation in Leitungsfunktionen
innerhalb und außerhalb ihrer Gemeinschaften,
Recht auf Veränderung von Gewohnheiten und
Traditionen, die ihre Würde und Gleichberechtigung verletzen, d. h. beispielsweise das Recht auf
Landeigentum und freie Partnerwahl,
Recht auf ein Leben ohne physische, psychische
und seelische Gewalt,
Recht auf Wiedergewinnung von Gewohnheiten
und Traditionen, die ihre Identität stärken, sowie
das
Recht auf menschenwürdige und respektvolle
Behandlung.
Weitere Rechte beziehen sich auf den Zugang zu
Land und gesicherte (individuelle wie kollektive)
Eigentums- und Nutzungsrechte, die Anerkennung
unbezahlter Haus- und Gemeinschaftsarbeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Grundlage der
geltenden Arbeitsgesetzgebung, Chancengleichheit in
der Erziehung, das Recht auf integrale Gesundheitsversorgung, Schutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie faire Aufteilung von Verantwortung und
Entscheidungsbefugnissen innerhalb der Familie.
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Indigene Organisationen
Durch gezielte Aktionen und in Zusammenarbeit mit
staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren strebt die
Ombudsstelle danach, die Rechtsposition von Frauen
zu verbessern und Gewalt gegen Frauen zu sanktionieren. Frauen werden rechtlich und sozial beraten,
Klagen an die entsprechenden Rechtsinstanzen weitergeleitet sowie Frauen und Männer über die spezifischen Rechte der Frau aufgeklärt. Die Mehrheit der
Klientinnen sucht Hilfe in Fällen von intrafamiliärer
und sexueller Gewalt, bei Erbschafts- und Landkonflikten sowie für die Erstellung persönlicher Ausweispapiere. Häufig kommt es vor, dass Mädchen
bei Geburt nicht registriert werden und infolgedessen
keine persönlichen Dokumente besitzen. Darüber
hinaus setzt sich die Ombudsstelle dafür ein, dass
einzelne Sektoren der Politik, öffentliche Programme
und Dienstleistungen die Multiethnizität des Landes
und die spezifischen Interessen von Frauen berücksichtigen.
Der Aufbauprozess der Ombudsstelle ist mühsam –
vor allem mangelt es an Ressourcen für die Errichtung von Büros außerhalb der Hauptstadt (Guatemala-Stadt). Für die Beratungsarbeit fehlen ausgebildete
Juristinnen und Psychologinnen, die Frauen in den
lokalen Sprachen beraten und durch die offiziellen
Rechtsinstanzen begleiten. Zwar fördern die Vereinten Nationen und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit die institutionelle und personelle Stärkung,
doch können sie nicht die notwendigen Eigenleistungen der guatemaltekischen Regierung ersetzen.
Gewalt gegen Frauen in Nachkriegsgesellschaften
Ein großes Hindernis für die Demokratisierung der
Geschlechterbeziehungen in Nachkriegsgesellschaften
ist die überall präsente Kultur der Gewalt. In militarisierten Gesellschaften liegt die Hemmschwelle für
die Anwendung von Gewalt niedrig, weil diese zur
Lösung von Konflikten und Durchsetzung eigener
Interessen eingesetzt und weitgehend akzeptiert wird.
Hinzu kommt die weite Verbreitung von legalen und
mehr noch illegalen Handfeuerwaffen. Als alltägliches
Phänomen erzeugt Gewalt ein gesellschaftliches
Klima der Angst und sozialen Ohnmacht. Unrechtsund Gewalterfahrungen schlagen immer öfter in
eigenmächtiges Handeln der Bevölkerung um. Verzweifelte Menschen greifen zur Selbstjustiz, weil sie
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keinen anderen Ausweg finden, um Fehlverhalten
und Straftaten zu sanktionieren oder auf Konflikte
zwischen Gemeinschaften zu reagieren. Oftmals ist
Lynchjustiz eine kollektive Reaktion auf die Unfähigkeit des Staates, Bürger- und Rechtssicherheit zu
garantieren. Physische und psychische Gewalt gegen
Frauen gilt als legitimes Mittel von Ehemännern, um
das Verhalten ihrer Frauen zu „korrigieren“. Das
häusliche Umfeld verwandelt sich in einen gefährlichen und unsicheren Aufenthaltsort für Frauen und
Mädchen. Fehlendes Selbstwertgefühl und die verinnerlichte Minderwertigkeit führen dazu, dass Frauen
männliche Gewalt akzeptieren und sich nicht wehren.
Auch in öffentlichen Räumen sind Frauen und Mädchen Sicherheitsrisiken ausgesetzt.
Mit dem Einbruch der Dunkelheit verschärfen sich
Gefahren für sie. Auf Schul- und Heimwegen in unsicheren Stadtvierteln, auf Universitätsparkplätzen
oder in der Umgebung der Maquilas müssen Frauen
wachsam sein, weil sich Gewaltakte häufen. Das kürzlich in Kraft getretene Gesetz zur Sanktionierung
intrafamiliärer Gewalt ist ein historischer Meilenstein.
Mit diesem Gesetz wurde das strafrechtliche Prinzip
der Gleichbehandlung häuslicher und außerhäuslicher Gewalt eingeführt, das nunmehr Polizei und
Justizbehörden verpflichtet, bei Gewalt gegen Frauen
einzugreifen und die Täter zu bestrafen. Dennoch ist
für viele Frauen eine Strafanzeige gegen (Ehe-)Partner
noch immer die „letzte“ Option, weil es für sie nicht
leicht ist, mit den sozialen Folgen fertig zu werden.
Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht und/oder
haben bisher kaum Zugang zu Rechtsinstanzen.
Daher bleibt Gewalt im Geschlechterverhältnis im
Verborgenen. Um dieses zu ändern, arbeitet die
Ombudsstelle mit traditionellen Autoritäten (Dorfautoritäten, Maya-Priestern), Justizbehörden und der
neuen Polizei unter ziviler Kontrolle zusammen.
Für die Ombudsstelle ist das Recht auf Sicherheit
integraler und unveräußerlicher Bestandteil der
Menschenrechte. Bürgersicherheit bedeutet, ohne
Bedrohung der persönlichen Integrität leben und
individuelle Freiheitsrechte ausüben zu können.
Die Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Gewalt und Diskriminierung mindern
und Sicherheit fördern, ist für den Aufbau einer
demokratischen Gesellschaft unabdingbar.
Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit ist die Wahrnehmung von staatsbürgerlichen Rechten kaum möglich.
Daher ist ein wesentlicher Aspekt des Aufbaus demokratischer Gesellschaften die Bürgersicherheit, die
der Staat und seine nachgeordneten Instanzen garantieren müssen. Der Übergang von der Doktrin der
„Staatssicherheit“ hin zur „Bürgersicherheit“ hat
konkrete Auswirkungen auf die Funktionen von
Militär und Polizei. In einer Demokratie ist das
Mandat des Militärs auf die Wahrung der „äußeren
Sicherheit“, d. h. der national-territorialen Sicherheit,
begrenzt. Die Zuständigkeit für „öffentliche Sicherheit“ obliegt der Polizei, Justiz und dem Strafvollzug.
Dabei wird die Polizeiarbeit von einer militarisierten
auf eine zivile Polizei unter Zuständigkeit der Innenministerien übertragen.
In zahlreichen Ländern sind die Entmilitarisierung
und Demokratisierung der Polizei eng mit der Gleichstellung von Frauen innerhalb der Polizei und mit der
Sanktionierung geschlechtsspezifischer Gewalt verbunden. Das Engagement von Frauenorganisationen
bei der Gestaltung von Polizeireformen hängt mit der
Einführung des strafrechtlichen Prinzips der Gleichbehandlung von häuslicher und außerhäuslicher
Gewalt zusammen. Seit Ende der achtziger Jahre hat
in Lateinamerika die Frauenbewegung Forderungen
nach entsprechender Sensibilisierung und Ausbildung der Polizeikräfte sowie Einrichtung von Frauenkommissariaten als Antwort auf die überall verbreitete
Gewalt gegen Frauen erhoben. Lange Zeit war die
Polizei eine Männerdomäne, die weder für die gleichberechtigte Mitarbeit von Frauen noch für den Schutz
von Frauen gedacht und darauf vorbereitet war. Nur
wenige Leitungspositionen sind bisher mit Frauen
besetzt, und die Ungleichheit der Chancen steigt mit
den Rängen. Noch heute wird die gleichberechtigte
Partizipation von Frauen in einer zivilen Polizei durch
Vorurteile, fehlende Infrastruktur, Kasernierung der
Polizeikräfte und die Form der Arbeitsschichten
erschwert. In einigen Ländern (z. B. Brasilien, Peru,
Nicaragua) entstanden seit Ende der achtziger Jahre
Frauenkommissariate, in denen meist nur Polizistinnen tätig sind, die weibliche Gewaltopfer rechtlich
beraten und in einigen Ländern in Zusammenarbeit
mit Nichtregierungsorganisationen betreuen. Allgemein werden in Lateinamerika spezialisierte Polizeieinheiten als wesentlicher Beitrag zur Stärkung der
Frauenrechte betrachtet. Darüber hinaus gilt die
Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justizbehörden
und Frauenbewegung als wichtige strategische Allianz
zwischen dem staatlichen Sektor und Nichtregierungsorganisationen. Neben der Erhöhung der
Anzahl von Frauen in der Polizei geht es darum, die
Polizei für ihre Aufgaben zu qualifizieren – insbesondere bei Prävention, Sanktion und Beseitigung von
Gewalt im Geschlechterverhältnis sowie bei polizeilichen Dienstleistungen gegenüber Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. Polizeiinterventionen bei häuslicher und sexueller Gewalt erfordern ein grundsätzliches Umdenken, weil diese fortan keine „Privatangelegenheit“ mehr ist oder ein „Familienstreit“, den es
zu schlichten gilt, sondern eine strafrechtlich zu sanktionierende Form von Gewalt.
Entmilitarisierung der Polizei
Mit den Friedensverträgen wurde in Guatemala die
Zuständigkeit für öffentliche Sicherheit auf die neu
gegründete demilitarisierte Polizei übertragen. Unter
„guter Polizeiarbeit“ wird eine zivile, professionelle
und bürgernahe Polizei verstanden, die ihre präventive Arbeit an den Sicherheitsinteressen aller Volksund Bevölkerungsgruppen ausrichtet, Rechenschaft
über ihre Tätigkeit ablegt, die Menschenrechte respektiert und korruptionsfrei ist. Als dienstleistungsorientierte Institution zählt es zu ihren Aufgaben, das
Leben der Menschen und deren Güter zu schützen,
Straftaten präventiv zu verhindern oder diese aufzuklären und zu bekämpfen. Die Polizeireform in
Guatemala ist eingebettet in lateinamerikaweite Modernisierungsprozesse der Polizeiinstitutionen. Inzwischen hat eine regionale Vernetzung der mit dem
Thema befassten Einrichtungen stattgefunden. In
einer Erklärung hochrangiger Polizistinnen in Zentralamerika und der Karibik wurden im Jahre 2001
wichtige Forderungen an die Polizeileitungen gestellt:
Integration der Geschlechtergleichheit in Polizeiethik, Richtlinien, Handlungsstrategien sowie in
Aus- und Fortbildung aller Polizeikräfte;
Einrichtung von spezialisierten Einheiten mit
rechtlichen, psychologischen sowie sozialen
55
Indigene Organisationen
Unterstützungsangeboten für die Opfer
geschlechtsspezifischer Gewalt;
Erstellung von geschlechterdifferenzierten
Polizeistatistiken sowie
Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die
Umsetzung dieser und anderer Maßnahmen.
Die Polizeileitungen der betreffenden Länder haben
sich zur Umsetzung dieser Forderungen verpflichtet
und legen regelmäßig Rechenschaft über Fortschritte
auf Regionalkonferenzen ab. In Guatemala impliziert
die Polizeireform die Transformation der Polizei von
einem Instrument politischer und militärischer
Repression in eine demokratisch-zivile Institution.
Sie sieht ebenfalls die repräsentative Vertretung aller
ethnischen Volksgruppen sowie die Partizipation von
Frauen vor. Eine multiethnische und an Geschlechtergleichheit orientierte Polizei eröffnet neue Wege der
Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Bürgernähe in
multiethnischen Gesellschaften setzt voraus, dass die
Polizei Männer und Frauen beschäftigt, die lokale
Sprachen sprechen. Erst die Verständigung mit den
verschiedenen Volksgruppen ermöglicht Bürgernähe,
Schlichtung von Konflikten und allgemeine Gewaltprävention.
Die Behörde der Vereinten Nationen zur Verifizierung der Friedensverträge (MINUGUA)
beurteilt u. a. die Handlungskapazität der Polizei,
ihren multikulturellen Charakter, die Partizipation
von Frauen und die Qualität der Polizeiausbildung.
In den Verifizierungsberichten werden Fortschritte
der Polizei anerkannt, wie der Rückgang der von Polizeikräften ausgeübten Menschenrechtsverletzungen
und Unregelmäßigkeiten. Gleichzeitig weisen die
Berichte mahnend auf das langsame Tempo der
Transformation der „alten“, militarisierten Polizei in
eine zivile mit „multiethnischem Charakter“ hin –
ebenso auf die geringe Präsenz von Frauen: Erst zehn
Prozent des Personals sind weiblich, und insgesamt
vierzehn Prozent aller Polizeikräfte sind indigener
Herkunft. Untersuchungen belegen, dass heute die
Bevölkerung weniger Angst vor der Polizei hat, aber
noch kein Vertrauen in das neue Polizeimodell. Dies
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gilt insbesondere für Indígena-Frauen, die noch oftmals von Polizisten diskriminiert und abgewiesen
werden. Allerdings wächst das Vertrauen der Menschen
dort, wo die Polizei gemeindenah tätig ist, die lokalen
Sprachen spricht und weibliche Polizeikräfte präsent
sind. Inzwischen wurden innerhalb der Polizei auf
nationaler und regionaler Ebene Büros zur Förderung
der Geschlechtergleichheit eingerichtet (Oficina de
Equidad de Género), deren Aufgaben und Ziele
gemeinsam mit der Ombudsstelle beraten wurden.
Eine der Aufgaben des Genderbüros ist, die Multiethnizität und Multikulturalität innerhalb der Polizei
zu fördern. In einer Nachkriegsgesellschaft mit hohem
Gewaltpotenzial, wie sie sich in Guatemala darstellt,
kann eine Polizeireform allein keine Wunder an
Sicherheit bewirken. Entscheidend sind gesellschaftliche Reformen sowie Reformen im Straf und Zivilrecht und dem Strafvollzug. Ebenso wichtig sind
Rechtsaufklärung, die Präsenz des Rechtsstaates und
justizrelevante Institutionen wie die der Ombudsstelle
für Indígena-Frauen. Der Transformationsprozess der
Polizei ist noch lange nicht abgeschlossen. Aufgrund
ihrer personellen und finanziellen Ausstattung ist sie
nicht in der Lage, in allen Landesteilen im Sinne des
„neuen“ Polizeimodells präsent zu sein. Hierzu müssen die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt
und die Anzahl der Polizeikräfte (insbesondere Frauen und Indígenas) erhöht werden.
Ohne Bürgerrechte, Identität und Differenz kein Frieden
Die Friedensverträge erkennen erstmals die Multiethnizität und Vielsprachigkeit des Landes an. Darüber hinaus verpflichten sie Regierung und Zivilgesellschaft, die Rechte von Frauen zu stärken. Multiethnizität und die Gleichberechtigung von Frauen und
Männern können sich nur auf der Grundlage sozialer
Gerechtigkeit sowie politischer und wirtschaftlicher
Partizipation entwickeln. Wo Bürgerrechte, Identität
und Differenz keine Anerkennung finden, wachsen
Konfliktpotenziale. Und die kumulativen sozialen
Folgekosten von Diskriminierung, ungleich verteilten
Ressourcen und Lebenschancen sind kaum zu ermitteln, dennoch werden sie von der gesamten Gesellschaft getragen. Aus der Wechselbeziehung von struk-
tureller und politischer Gewalt (Makrogewalt) sowie
interpersoneller Gewalt (Mikrogewalt) lässt sich
schlussfolgern:
Je weniger soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Ausgrenzung es gibt, je gerechter gesellschaftliche Strukturen, je egalitärer Paarbeziehungen, je
demokratischer Gesellschaftsordnungen sind, desto
geringer ist das Gewaltaufkommen. Ohne politische
Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Gewaltthematik und ihren geschlechtsspezifischen Dimensionen, ihren Ursachen und Folgen, ist nachhaltige
Sicherheit für beide Geschlechter und alle Volksgruppen kaum möglich.
Der Friedensprozess kommt nur schleppend voran,
weil die Rechte der Indígena-Bevölkerung in einem
langsamen und widersprüchlichen Prozess umgesetzt
werden. Die überwiegende Mehrheit ist auch weiterhin sozial, politisch und ökonomisch marginalisiert.
Frauen sind in besonderer Weise von den Folgen ausbleibender Reformen betroffen. Noch immer steht die
Frage nationaler Versöhnung und Entschädigungen
für die Bürgerkriegsopfer ungelöst auf der politischen
Tagesordnung.
MINUGUA hat erst kürzlich die im Land vorherrschenden Verhältnisse als Apartheid-System kritisiert.
Allgemein sind die Organisationen der internationalen Gebergemeinschaft wichtige Verbündete der
Organisationen und Institutionen, die sich für die
Umsetzung der Friedensverträge einsetzen. Friedenssichernd sind Bemühungen, die die Stärkung demokratischer Verhältnisse und sozialer Chancengleichheit mit kultureller Gleichwertigkeit und Toleranz verbinden. Auf allen Ebenen öffentlicher Politik und bei
allen öffentlichen Dienstleistungen müssen Identität
und Differenz berücksichtigt werden und sichtbar
sein. Hierzu zählt die Repräsentanz ethnokultureller
Vielfalt in Regierung und nachgeordneten Behörden
sowie Sektorpolitiken, die der Multiethnizität Rechnung tragen. In dem Maße, in dem es Politik gelingt,
ethnokulturelle Diversität auf allen Ebenen nachhaltig
zu verankern, werden kulturelle Gleichwertigkeit und
gegenseitige Toleranz gestärkt sowie fortbestehende
Konfliktpotenziale gemindert. Eine am Frieden ausge-
richtete Regierungsführung betrachtet daher Diversität nicht als Störfaktor und Nachteil, sondern als
Potenzial für den Aufbau einer Friedensordnung.
Daher lässt sich der politische Wille für eine integrierende Gesellschaftsordnung nur im Licht der steuernden politischen Eingriffe zum Abbau vorhandener
Bürgerrechtsverletzungen und Ausgrenzungsprozesse
beurteilen. Der Friedensprozess in Guatemala hat in
dem Maße Zukunft, in dem die Angehörigen der verschiedenen Kulturen und ethnischen Gruppen bereit
sind, an dem Aufbau einer multiethnischen Gesellschaft mitzuwirken und notwendige Veränderungen
in der eigenen Lebenswelt und Kultur zuzulassen, um
ein konfliktfreies Zusammenleben zwischen den verschiedenen Volksgruppen, sozialen Schichten und
Geschlechtern zu ermöglichen. Dieses setzt gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und weitreichende
Veränderungen voraus. Bedauerlicherweise wird die
Dynamik dieser Prozesse dadurch erschwert, dass sich
bisher nur Minderheiten in Regierung und Bevölkerung mit der Aufarbeitung der Vergangenheit und
den Empfehlungen der Wahrheitskommission aktiv
auseinander setzen. Die Wächter der Friedensverträge
sind die Institutionen, die aus diesen hervorgegangen
sind, sowie Organisationen der Zivilgesellschaft. Mehr
als zehn Jahre, nachdem Rigoberta Menchú Tum den
Friedensnobelpreis erhielt, ist ihre damalige Aussage
noch aktuell, dass der Preis ein Aufruf an alle Guatemaltekinnen und Guatemalteken sein soll, Verantwortung für den Aufbau einer soliden und dauerhaften
Friedensgesellschaft zu übernehmen. Von der Erfüllung dieser Aufgabe kann erst dann gesprochen werden, wenn die Rechte der am stärksten diskriminierten Bevölkerungsgruppe anerkannt sind, nämlich die
Rechte der indigenen Frauen als Indígenas und
Staatsbürgerinnen. Hierzu leistet die Ombudsstelle
einen wichtigen Beitrag.
57
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Tomasa Yarhui Jacome, Bolivien
Es ist das erste Mal in der Geschichte Boliviens, dass
eine indigene Frau Ministerin der Regierung wird.
Im März 2002 wird Tomasa Yarhui Jacome zur
Ministerin für Landwirtschaft ernannt.
Tomasa Yarhui Jacome war vorher im Stadtrat von
Sucre und ist engagiertes Mitglied des Movimiento
Bolivia Libre (Bewegung für ein freies Bolivien).
„Ich bin sehr glücklich, nicht nur für mich, sondern
vor allem für unser Land“, sagt sie bei ihrer Amtseinführung. „Es wird aber nicht einfach sein. Ich gehöre
zu den Indigenen unseres Landes, und ich fühle mich
ihnen stark verpflichtet. Als Ministerin werde ich
mich aber ebenso für die Interessen der Bauern und
Bäuerinnen unseres Landes einsetzen, und natürlich
für die der Frauen.“
Im gleichen Jahr wird in Ecuador Nina Pacari von
der Partei Pachakutik – Nuevo País, die von der nationalen indigenen Organisation CONAIE gegründet
worden ist, Außenministerin des Landes. Auch dies
wäre ohne den erstarkten politischen Einfluss indigener Organisationen auf ihre Regierungen und der
direkten Beteiligung an Regierungen durch eigene
Parteistrukturen in Lateinamerika nicht denkbar
gewesen.
Beide Frauen gehören mittlerweile den neuen Regierungen in ihren Ländern nicht mehr an.
Aus einem Interview der BBC mit Tomasa Yarhui,
8.3.2002
BBC: Was bedeutet die Ernennung zur Landwirtschaftsministerin für Sie persönlich und für indigenen Frauen Boliviens, da es ja das erste mal in der
Geschichte ist, dass eine indigene Frau Ministerin
wird?
„Ich bin sehr glücklich. Es war nicht nur für mich
sondern für das Land eine Überraschung. Wir haben
die Ernennung akzeptiert, allerdings ohne parteipolitische Verpflichtung sondern allein mit der Aufgabe
für das Land zu arbeiten, aber vor allem für die Bauernbewegung und für die Frauen.“
BBC: Wie kommt es, dass heute zum ersten mal eine
indigene Frau Ministerin wird?
„Ich glaube, dass in unserem Land die Frauen nicht
gewürdigt werden, vor allem nicht die indigenen
Frauen. Jetzt ist unser Augenblick.
Ich habe die Wahlen zur Abgeordneten gewonnen.
Dabei habe ich eher an die Bauernbewegung gedacht
aber ich glaube jetzt ist der Moment, um für die Frauen
zu arbeiten. Außerdem glauben wir, dass wir als Bauernbewegung an die Macht kommen und eine andere
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Politik machen müssen – im Dienste der Dorfgemeinschaften, im Dienste der armen Bauern.“
BBC: Sie haben gesagt, dass es leider mehr Machismus
in der Bauernbewegung gibt als allgemein in der
Gesellschaft. Warum haben Sie das gesagt?
„Leider gibt es den Machismus in meinem Land und
vor allem auf dem Land.
In einigen Gebieten wird die Frau geschätzt, aber in
anderen wie zum Beispiel der Leitung von Organisationen gibt es immer noch keine aktive Beteiligung
der Frauen, zumindest keine mit Entscheidungsbefugnis.
Ich gehe davon, dass dies ein Prozess ist und dass wir
auch von diesem Ministerium aus das Thema der
Gleichberechtigung angehen müssen, damit Männer
und Frauen die selben Rechte haben.“
BBC: Haben Sie das Gefühl, Geschichte zu schreiben?
„Ja. Das gab es noch nie und es ist die erste Chance,
die wir als Bauernbewegung und Bewegung der indigenen Frauen Boliviens haben.“
BBC Mundo, 8.3.2002, Übersetzung: Heidi Feldt
Moderne Indigene Organisationen
Das Beispiel der COICA – die Koordination der indigenen
Organisationen des Amazonasbeckens
Die Geschichte der COICA
Am 16. März 1984 kamen die Vertreter von fünf nationalen Organisationen der Amazonasindianer aus
Peru (AIDESEP), Brasilien (UNI), Ecuador (CONFENIAE), Bolivien (CIDOB) und Kolumbien (ONIC) in
Lima zusammen, um über die Menschenrechtssituation indigener Völker und die schwerwiegenden Probleme des Ausverkaufs von indigenem Land an Rinderfarmer, Holzfirmen, Erdöl- und Bergbaugesellschaften
durch die jeweiligen Regierungen zu diskutieren.
Man entschied, sich gegenseitig im Kampf um die
Anerkennung indigener Landrechte und das Überleben der eigenen Kulturen zu unterstützen, und rief
die COICA ins Leben. Evaristo Nungkuag Ikanan,
Vertreter der peruanischen nationalen Organisation
AIDESEP und Angehöriger des indigenen Volkes der
Aguaruna, wurde zum ersten Präsidenten des neugegründeten Dachverbandes gewählt und übernahm
dieses Amt von 1984 bis 1992.
Der Gründung der COICA war bereits ein längerer
Organisationsprozess der indigenen Gemeinschaften
auf nationaler, lokaler und regionaler Ebene vorausgegangen. Die indigenen Völker bedienten sich unterschiedlicher Organisationsformen, um ihrem Protest
gegen Verkauf ihres Landes Ausdruck zu verleihen.
In Föderationen, Indianerräten und Vereinigungen
begannen sie, ihre Territorien und ihre Lebensweise
gegenüber fremden Zugriffen zu verteidigen. Den
Anfang machte die Föderation der Shuar-Zentren
(FICSH), die 1965 im östlichen Tiefland Ecuadors
gegründet wurde und bald Vorbild für eine ganze
Reihe ähnlicher Basisorganisationen war, die sich
Anfang der siebziger Jahre im Amazonasgebiet bildeten. Ende der siebziger und Anfang der achtziger
Jahre entstanden in den einzelnen Ländern Zusammenschlüsse von solchen Basisorganisationen. Sie
sind parteipolitisch unabhängig und verfolgen die
politischen Ziele: Landsicherung, Selbstbestimmung,
den Aufbau eigener Erziehungs- und Bildungsprogramme sowie die Förderung einer selbstbestimmten
wirtschaftlichen Entwicklung.
Die Gründung der COICA war ein wichtiger Schritt
im Prozess der Selbstorganisation der indigenen Völker Amazoniens. Ihr Wirkungsfeld liegt vor allem auf
der internationalen Ebene. Nach ihrem Selbstverständnis ist die COICA die internationale Koordinierungsinstanz für ihre Mitgliedsorganisationen, deren
Tätigkeit allen indigenen Völker Amazoniens zugute
kommen soll. Seit dem IV. Kongress in Manaus/Brasilien im Jahre 1992 gehören der COICA folgende
nationale Indigenenorganisationen aller 9 Amazonasstaaten an:
Vereinigung der amerindianischen Völker Guyanas
(APA)
Organisation der Indianervölker Surinams (OIS)
Föderation der Amerindianischen Organisationen
von Französisch Guayana (FOAG)
Nationaler Indianerrat Venezuelas (CONIVE)
Koordination der Indigenenorganisationen des
brasilianischen Amazonasgebietes (COIAB)
Interethnische Vereinigung zur Entwicklung
des peruanischen Waldes (AIDESEP)
Konföderation der indigenen Nationalitäten
des ecuadorianischen Amazonasgebietes
(CONFENIAE)
Organisation der indigenen Völker des
kolumbianischen Amazonasgebietes (OPIAC)
Konföderation der indigenen Völker Boliviens
(CIDOB)
Themen, Aufgaben und Ziele der COICA
Die Ziele der COICA wurden auf ihrer Gründungsversammlung definiert und sind, wenn man von zeitweiligen Umgewichtungen in der Prioritätensetzung
einmal absieht, bis heute die gleichen geblieben:
Aufbau, Förderung und Entwicklung von Maßnahmen, die den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den indigenen Völkern und unter
den COICA-Mitgliedsorganisationen sicherstellen
Verteidigung der Rechte auf eigenes Territorium,
Selbstbestimmungsrecht indigener Völker und die
Einhaltung der Menschenrechte
Koordinierungsstelle gegenüber den verschiedenen
zwischenstaatlichen und nicht-staatlichen Organisationen, die im Amazonasgebiet tätig sind
Stärkung der Einheit und die Zusammenarbeit der
indigenen Völker Amazoniens
Wiederaufwertung und Anerkennung der indigenen Kultur
Quelle: www.klimabuendnis.org
Recherchiere im Internet, welche Aufgaben
indianische Organisationen für sich sehen.
Internetadressen vieler Organisationen findest im
Anhang. Was ist ihre Aufgabe im Unterschied zu
den traditionellen Autoritäten indigener Völker?
Führt das unweigerlich zum Konflikt zwischen
beiden? Gibt es dafür Lösungen?
59
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Rechte indigener Völker
6. Rechte indigener
Völker
Artikel 7
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben
ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch
das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz
gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung
verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen
Diskriminierung.
Artikel 2
Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied,
etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion,
politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder
sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.
So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von den Vereinten
Nationen verabschiedet wurde. In ihr sind die Rechte
eines jeden Menschen festgelegt, die sich allein aus der
Tatsache ableiten, dass er als Mensch geboren wurde.
Außer diesen individuellen Menschenrechten gibt es
auf internationaler Ebene und in den Ländern Südamerikas darüber hinaus spezielle Rechte indigener
Völker.
Was sind indigene Rechte?
Der große Unterschied zwischen den oben erwähnten
individuellen Menschenrechten und den indigenen
Rechten ist, dass letztere ihnen das Leben und die Weiterentwicklung als Völker, als Gemeinschaft ermöglichen sollen. Indigene Rechte sind Kollektivrechte.
Versammlung anlässlich der Demarkierung von Indianerland
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6.1. Verankerung indigener Rechte in Lateinamerika
In fast allen lateinamerikanischen Ländern wird in
der Verfassung die Existenz indigener Völker anerkannt. Das war nicht immer so. Noch bis in die
1980er Jahre fanden indigene Völker keine Erwähnung in den Verfassungen. In Venezuela dauerte es
sogar bis 1999, erst mit der neuen Verfassung aus
diesem Jahr wurden sie anerkannt. Die Wortwahl in
den einzelnen Verfassungen ist unterschiedlich:
einige sprechen von „ethnischer und kultureller Vielfalt“ (Kolumbien), von „Multiethnizität“ (Bolivien),
von „Plurikulturalität“ (Ecuador) oder „Multikulturalität“, andere wiederum vom „Recht der Gemeinschaften auf ihre eigene Kultur“ (Guatemala). Damit
sind zwar unterschiedliche Konzepte verbunden, aber
gemein ist allen, dass sie anerkennen: es gibt in ihrem
Staat eine Gesellschaft, die die Mehrheit bildet und es
gibt darüber hinaus indigene Völker mit ihrer eigenen
Kultur und Sprache.
Auch bei uns wird viel von „Multikulti“
gesprochen. Ist damit dasselbe wie in den
lateinamerikanischen Verfassungen gemeint?
Aus dieser verfassungsmäßigen Anerkennung leiten
sich einige grundlegende Rechte der indigenen Völker
ab:
Das Recht auf Wahrung ihrer ethnischen Identität.
Dies umfasst die Religion, den Schutz heiliger
Stätten, die Sprache, die Kultur.
Das Recht auf Anerkennung ihrer eigenen internen
Struktur. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass sie
das Recht haben sich innerhalb ihrer Völker so zu
organisieren, zu „verwalten“ und zu regieren, wie
es ihren Traditionen entspricht.
Das Recht auf das eigene Land, auf das Territorium,
auf dem sie traditionell leben. Dies ist ganz wichtig
für die indigenen Völker, die Jäger und Sammler
sind und ihr Leben nur auf einem entsprechend
großen Gebiet gestalten können. Daher brauchen
sie auch das Nutzrecht für diese Gebiete, um sie
vor Eindringlingen von außen wie Goldsucher,
Holz- und Bergbauunternehmen schützen zu
können. Aus diesem Grund ist das Recht auf das
eigene Territorium eine ganz zentrale Forderung
der Organisationen der Amazonasindianer. Zwar
Aymara Bauer auf dem ecuadorianischen Hochland
ist das Recht auf ein eigenes Territorium in vielen
Ländern Lateinamerikas gesetzlich verankert,
aber die Umsetzung wird oft verschleppt oder nicht
eingehalten.
Das Recht, ihre eigenen Rechtsverfahren zur
Regelung interner Angelegenheiten auszuüben.
Dies ist ein ganz sensibler Bereich und nur in sehr
wenigen Ländern zum Beispiel in Kolumbien vorgesehen. Oft spricht man von der Ausübung des
Gewohnheitsrechts. Dieses Recht ist meist nicht
in Paragraphen niedergeschrieben und basiert auf
den (mündlich überlieferten) Traditionen der Völker.
Ein Problem tritt dann auf, wenn das Gewohnheitsrecht eines Volkes und das nationale Recht sich
widersprechen. So werden bei einigen Völkern in
Kolumbien, Diebe mit Ausschluss aus der Gemeinschaft bestraft. Sie müssen dann allein auf sich
gestellt, im Urwald überleben. Dies widerspricht
den nationalen Gesetzen. Darauf angesprochen
sagte Abadio Green, ehemaliger Vorsitzender der
nationalen indigenen Organisation Kolumbiens,
„Ihr werft uns ein unmenschliches Vorgehen vor.
Aber ihr sperrt eure Diebe hinter dicken Mauern
weg. Ist das besser?“
Ganz klar ist, dass die individuellen Menschenrechte über allen anderen Rechten stehen und
dass das Gewohnheitsrecht nur bei internen Angelegenheiten des Volkes Anwendung findet. Aber
es gibt bisher in keinem lateinamerikanischen Land
eine richtige Regelung, wofür das Gewohnheitsrecht eingesetzt werden darf und wofür nicht.
Das Recht auf politische Beteiligung. Natürlich
haben Indigene das Recht sich ganz individuell
am politischen Leben zu beteiligen. Das war allerdings nicht immer so. Noch bis in die 1950er Jahre
wurde ihnen in einigen Ländern zum Beispiel das
Wahlrecht verweigert. Gemeint ist hier allerdings
das Recht der politischen Beteiligung als indigene
Völker eines Landes. So steht in der venezolanischen Verfassung, dass die Indigenen drei Abgeordnete ins venezolanische Parlament wählen können. Diese Wahl findet parallel zur allgemeinen
Wahl statt. In Kolumbien können die Indianer zwei
Senatoren direkt stellen. In Deutschland könnte
man dies mit der Vertretung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein vergleichen.
Dies sind die Rechte, wie sie formal in Verfassungen
und Gesetzen festgehalten sind. Die Realität sieht
jedoch meist anders aus.
In Ecuador wurde zwar 1998 die Verfassung im obigen Sinne geändert, aber bis heute sind die indigenen
Völker nicht formal als Eigentümer ihrer Territorien
anerkannt. Das ist immer dann ein großes Problem,
wenn Erdöl- , Bergbau- oder Holzunternehmen auf
indigenem Gebiet arbeiten wollen und es zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung kommt. Oder wenn
Siedler aus dem Andenhochland in das Amazonasgebiet vordringen und dann dort Land besetzen, das
eigentlich indianisches Gebiet ist. Es ist daher immer
wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen
den einzelnen Interessengruppen gekommen.
6.2. Internationales Recht
Interessanterweise ist es die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO,
eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen), die
das bisher einzige international verbindliche Übereinkommen zu indigenen Völkern verabschiedet hat: die
„ILO Konvention 169 über indigene und in Stämmen
lebende Völker“.
Warum beschäftigt sich die ILO mit indigenen Völkern
und ihrem Recht auf Land, auf Bildung, auf Anerkennung als Volk?
Bereits in den 1920er Jahren, in den Anfängen der
Arbeit der ILO, hat sich diese Organisation mit den
Arbeitsbedingungen von Sklavenarbeitern auf den
Zuckerplantagen in Südamerika auseinandergesetzt.
Fast alle Sklavenarbeiter waren indigener Herkunft.
Aus dieser Zeit stammt auch eine der ersten Konventionen der ILO: die Konvention 29 gegen Zwangsarbeit. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm die ILO ihre
Arbeit zu den indigenen Völkern wieder auf und veröffentlichte eine Studie zu „den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ureinwohner in unabhängigen Ländern“. Damals wie heute gehörten Indigene zu der am
stärksten ausgebeuteten Bevölkerungsgruppe: sie
hatten die schlechtesten Arbeitsbedingungen und
Verträge. Um indigene Arbeiter zu schützen, hat die
ILO dann bald erkannt, dass es nicht ausreicht, Bestimmungen gegen Sklavenarbeit zu erlassen sondern
61
Rechte indigener Völker
dass indigene Völker die Möglichkeit haben müssen,
auf ihrem Territorium ihrer eigenen Entwicklung
nachzugehen.
Daher wurde 1989 die Konvention No. 169 verabschiedet, die mittlerweile von 17 Ländern5 ratifiziert
wurde. Die Konvention deckt einen weiten Rahmen
ab wie Landrechte, Zugang zu den natürlichen Ressourcen, Gesundheit, Bildung, Arbeitsbedingungen
und Verträge.
(www.ilo.org/indigenous)
Deutschland hat die ILO Konvention 169 nicht
unterzeichnet. Nach Aussagen der Bundesregierung wird geprüft, ob eine Unterzeichnung
sinnvoll ist und welche konkreten Auswirkungen
dieses hätte. Was meinst Du: Sollte Deutschland
die ILO Konvention 169 unterzeichnen, obwohl
bei uns keine indigenen Völker leben?
Was wären die möglichen Vorteile oder Nachteile
einer solchen Unterschrift?
Außerdem gibt es Bestrebungen in den Vereinten
Nationen, eine Erklärung über indigene Rechte zu
verabschieden. Allerdings ist dieses Vorhaben noch
nicht sehr weit gediehen: bisher konnte sich die Staatengemeinschaft auf keinen gemeinsamen Text einigen. Umstritten ist vor allem das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker, das von diesen vehement eingefordert, von den Regierungen der Staaten aber abgelehnt wird.
Selbstbestimmungsrecht
Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker ist eines
der grundlegenden Prinzipien der internationalen
Demarkierungsarbeiten
62
Staatengemeinschaft. Im Internationalen Pakt der
Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte (1966) und im Pakt über zivile und
politische Rechte (1966) wird dieses Recht festgehalten. Im gemeinsamen Art.1 steht:
(1) „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über
ihren politischen Status und gestalten in Freiheit
ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.
(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei
über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der
internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit
auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie
aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall
darf ein Volk seiner eigenen Existenz beraubt werden.“
Dieses Recht auf Selbstbestimmung war ein sehr
wichtiges Prinzip in dem Prozess der Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Kolonialstaaten und spielte
in der Anerkennung der neuen Nationalstaaten durch
die Vereinten Nationen eine große Rolle. Das Recht
auf Selbstbestimmung findet nach dem Völkerrecht
bisher seine Anwendung nur bei Nationalstaaten.
Inwieweit dieses Konzept auch auf indigene Völker
angewendet werden kann, ist Gegenstand einer kontroversen Debatte. Kern dieser Diskussion ist die Definition des Begriffs „indigene Völker“. Die Konvention
169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die
die entscheidende Grundlage für alle internationalen
Vereinbarungen bezüglich indigener Völker bildet,
spricht zwar von indigenen Völkern, schränkt aber in
Art. 1.3 ein: „Die Verwendung des Ausdrucks „Völker“
in diesem Übereinkommen darf nicht so ausgelegt
werden, als hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völkerrecht mit
diesem Ausdruck verbunden sein können.“ Der
Begriff ‚indigene Völker’ beinhaltet also keinen
Rechtsanspruch als Volk im völkerrechtlichen Sinne
und die ILO Konvention 169 vermeidet konsequent
den Begriff der Selbstbestimmung. Damit soll vor
allem verhindert werden, dass sich Separationsbewegungen indigener Völker auf die ILO Konvention
berufen können.
plötzlich zu verfeindeten Nationen, ohne dass sie mit
diesem Krieg etwas zu tun hatten oder haben wollten.
In dem Waffenstillstandsabkommen versuchten dann
die Staaten der spezifischen Situation Rechnung zu
tragen und nahmen eine spezielle Vereinbarung für
die indigenen Völker in der Grenzregion auf, die ihnen
die freie Kommunikation untereinander erlaubt.
Demarkierungsarbeiten
Aufstellung von Verbotsschildern
durch die staatliche brasilianische
Indianerbehörde FUNAI zur
Festlegung der Gebietsgrenzen
Die Debatte, ob indigene Völker ein Recht auf Selbstbestimmung als Völker haben oder nicht und wenn ja,
wie dieses definiert wäre, ist noch nicht beendet. Häufig wird der Ausweg in der Unterscheidung zwischen
interner und externer Selbstbestimmung gesucht,
wobei die Inhalte der internen Selbstbestimmung
dem Konzept der Autonomie entsprechen. Die Forderung nach Autonomie vieler indigener Organisationen
scheint demzufolge auch leichter durchsetzbar, da der
(liberale) Staat viele Formen der Autonomie innerhalb
seines politischen Systems kennt.
Autonomie
Die Autonomie für indigene Völker umfasst die Anerkennung der Territorien, das Nutzungsrecht über die
Ressourcen, die Anerkennung der indianischen Autoritäten, der Sprache, der traditionellen Medizin und
die Ausübung des Gewohnheitsrechts.
Damit meint Autonomie die Bildung einer eigenständigen Einheit innerhalb eines souveränen Staates.
Die Autonomie ist durch das indigene Territorium
und seine Grenzen sowie durch das soziale Gefüge
des indigenen Volkes bestimmt. Die Autonomie richtet sich im Wesentlichen nach innen und es werden
keine hoheitlichen Aufgaben des Staates im Rahmen
der Sicherheits- und Außenpolitik beansprucht.
Eine besondere Situation besteht für die indigenen
Völker, die in zwei oder mehr Staaten leben. Als es
in den 90er Jahren zu einem Krieg zwischen Peru
und Ecuador kam, wurde diese spezielle Problematik
offensichtlich. Die Indianer vom Volk der Quechua,
die auf beiden Seiten der Grenzen lebten, gehörten
Grundvoraussetzung für die Autonomie ist ein
abgrenzbares Territorium, das ausschließlich oder
mehrheitlich von einem indigenen Volk bewohnt
wird.
Dies ist im Tiefland Amazoniens, im Chaco und in
Teilen Zentralamerikas möglich, wo indianische
Gebiete eindeutig abgrenzbar sind. Im Hochland der
Anden oder aber in den Städten des Kontinents sieht
die Realität anders aus. Trotzdem haben auch diese
Völker ihre eigenen Traditionen, die ihnen eine autonome Verwaltung ihrer Dörfer und Gemeinschaften
ermöglichen.
Wie ist es um die Autonomie in der Realität bestellt?
In einigen Ländern wie in Kolumbien und Nicaragua
wird den indigenen Völkern rechtlich die politischadministrative Autonomie über ihre Gebiete zugestanden. Allerdings wird überall eingeschränkt, dass die
Verfügungsgewalt über die Bodenschätze beim Staat
liegt.
In der Realität werden die rechtlichen Vorgaben
jedoch wenig beachtet. So kommt es immer wieder
zu tiefgreifenden Konflikten zwischen indigenen
Völkern und dem Staat, Siedlern und Unternehmen,
die die Ausübung der Autonomie entscheidend beeinträchtigen: Erdöl in Ecuador, Kohle in Kolumbien,
Drogenanbau bzw. Drogenbekämpfung in Peru,
Kolumbien und Bolivien sowie Gold und Holzeinschlag in Brasilien und Ecuador sind nur einige
Beispiele für Konflikte um Ressourcen, die die Autonomie indigener Territorien bedrohen.
Was ist der Unterschied zwischen Selbstbestimmungsrecht und Autonomie? Gibt es bei uns
Beispiele für Autonomie?
63
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Auszüge aus dem Übereinkommen 169
Übereinkommen über eingeborene und in
Stämmen lebende Völker in unabhängigen
Ländern, 1989
Dieses Übereinkommen ist am 5. September 1991 in
Kraft getreten.
Die Allgemeine Konferenz der Internationalen
Arbeitsorganisation,
die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 7. Juni
1989 zu ihrer sechsundsiebzigsten Tagung zusammengetreten ist,
verweist auf die internationalen Normen in dem
Übereinkommen und der Empfehlung über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen,
1957;
erinnert an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte, den Internationalen
Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die
vielen internationalen Übereinkünfte über die Verhütung von Diskriminierung;
stellt fest, daß die Entwicklungen, die seit 1957 im
internationalen Recht eingetreten sind, sowie die
Entwicklungen in der Lage eingeborener und in
Stämmen lebender Völker in allen Regionen der
Welt es geboten erscheinen lassen, neue einschlägige
internationale Normen anzunehmen, um die auf
Assimilierung abzielende Ausrichtung der früheren
Normen zu beseitigen;
anerkennt die Bestrebungen dieser Völker, im
Rahmen der Staaten, in denen sie leben, Kontrolle
über ihre Einrichtungen, ihre Lebensweise und ihre
wirtschaftliche Entwicklung auszuüben und ihre
Identität, Sprache und Religion zu bewahren und
zu entwickeln;
stellt fest, daß in vielen Teilen der Welt diese Völker
nicht in der Lage sind, ihre grundlegenden Menschenrechte im gleichen Umfang auszuüben wie die übrige
Bevölkerung der Staaten, in denen sie leben, und daß
ihre Gesetze, Werte, Bräuche und Perspektiven oft
ausgehöhlt worden sind;
verweist auf den besonderen Beitrag der eingeborenen
und in Stämmen lebenden Völker zur kulturellen Vielfalt und sozialen und ökologischen Harmonie der
Menschheit sowie zur internationalen Zusammenarbeit und zum internationalen Verständnis;
stellt fest, daß die nachstehenden Bestimmungen in
64
Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der
Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der
Vereinten Nationen, der Organisation der Vereinten
Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur
und der Weltgesundheitsorganisation sowie dem
Interamerikanischen Indianischen Institut auf entsprechender Ebene und in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich ausgearbeitet worden sind und daß beabsichtigt ist, diese Zusammenarbeit bei der Förderung
und Sicherstellung der Anwendung dieser Bestimmungen fortzusetzen;
hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen
betreffend die Teilrevision des Übereinkommens
(Nr. 107) über eingeborene und in Stämmen lebende
Bevölkerungsgruppen, 1957, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und
dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines
internationalen Übereinkommens zur Neufassung
des Übereinkommens über eingeborene und in
Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957,
erhalten sollen.
Die Konferenz nimmt heute, am 27. Juni 1989,
das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende
Völker, 1989, bezeichnet wird.
Teil I. Allgemeine Grundsätze
Artikel 1
1. Dieses Übereinkommen gilt für
a) in Stämmen lebende Völker in unabhängigen
Ländern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen
und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen
der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und
deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen
eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch
Sonderrecht geregelt ist;
b) Völker in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen
abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit
der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig
waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung,
einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten.
2. Das Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit ist als ein grundlegendes Kriterium für
die Bestimmung der Gruppen anzusehen, auf die die
Bestimmungen dieses Übereinkommens Anwendung
finden.
3. Die Verwendung des Ausdrucks „Völker“ in diesem
Übereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, als
hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der
Rechte, die nach dem Völkerrecht mit diesem Ausdruck verbunden sein können.
Artikel 2
1. Es ist Aufgabe der Regierungen, mit Beteiligung
der betreffenden Völker koordinierte und planvolle
Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser
Völker zu schützen und die Achtung ihrer Unversehrtheit zu gewährleisten.
2. Im Rahmen dieser Aufgabe sind Maßnahmen
vorzusehen, deren Zweck es ist,
a) sicherzustellen, daß die Angehörigen dieser Völker
von den Rechten und Möglichkeiten, welche die
innerstaatliche Gesetzgebung anderen Angehörigen
der Bevölkerung gewährt, gleichberechtigt Gebrauch
machen können;
b) die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter
Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität,
ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern;
c) den Angehörigen der betreffenden Völker dabei
zu helfen, das zwischen eingeborenen und anderen
Angehörigen der nationalen Gemeinschaft gegebenenfalls bestehende sozioökonomische Gefälle in
einer Weise zu beseitigen, die mit den Bestrebungen
und der Lebensweise dieser Völker vereinbar ist.
Artikel 3
1. Die eingeborenen und in Stämmen lebenden
Völker müssen in den vollen Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Behinderung oder
Diskriminierung kommen. Die Bestimmungen des
Übereinkommens sind ohne Diskriminierung auf
männliche und weibliche Angehörige dieser Völker
anzuwenden.
2. Es darf keine Form von Gewalt oder Zwang in
Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
der betreffenden Völker, einschließlich der in diesem
Übereinkommen enthaltenen Rechte, angewendet
werden.
Artikel 4
1. Es sind gegebenenfalls besondere Maßnahmen
zum Schutz der Einzelpersonen, der Einrichtungen,
des Eigentums, der Arbeit, der Kultur und der
Umwelt der betreffenden Völker zu ergreifen.
2. Diese besonderen Maßnahmen dürfen nicht im
Widerspruch zu den frei geäußerten Wünschen der
betreffenden Völker stehen.
3. Diese besonderen Maßnahmen dürfen die Ausübung der allgemeinen Staatsbürgerrechte, die nicht
durch unterschiedliche Behandlung geschmälert
werden darf, in keiner Weise beeinträchtigen.
Artikel 5
Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses
Übereinkommens
a) sind die sozialen, kulturellen, religiösen und
geistigen Werte und Gepflogenheiten dieser Völker
anzuerkennen und zu schützen und ist der Natur der
Probleme, denen sie sich als Gruppen und als Einzelpersonen gegenübergestellt sehen, gebührend Rechnung zu tragen;
b) ist die Unversehrtheit der Werte, Gepflogenheiten
und Einrichtungen dieser Völker zu achten;
c) sind mit Beteiligung und Unterstützung der
betroffenen Völker Maßnahmen zur Milderung der
Schwierigkeiten zu ergreifen, denen diese Völker
angesichts neuer Lebens- und Arbeitsbedingungen
begegnen.
Artikel 6
1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses
Übereinkommens haben die Regierungen
a) die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren
und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie
unmittelbar berühren können, erwogen werden;
b) Mittel zu schaffen, durch die diese Völker sich im
mindestens gleichen Umfang wie andere Teile der
Bevölkerung ungehindert auf allen Entscheidungsebenen an auf dem Wahlprinzip beruhenden Einrichtungen sowie an Verwaltungs- und sonstigen Organen
beteiligen können, die für sie betreffende Maßnahmen und Programme verantwortlich sind;
c) Mittel zu schaffen, die es diesen Völkern ermöglichen, ihre eigenen Einrichtungen und Initiativen voll
zu entfalten, und in geeigneten Fällen die für diesen
Zweck erforderlichen Ressourcen bereitzustellen.
2. Die in Anwendung dieses Übereinkommens vorgenommenen Konsultationen sind in gutem Glauben
und in einer den Umständen entsprechenden Form
mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder
Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen.
65
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Artikel 7
1. Die betreffenden Völker müssen das Recht haben,
ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozeß,
soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen,
ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das
von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land
auswirkt, festzulegen und soweit wie möglich Kontrolle über ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Entwicklung auszuüben. Darüber hinaus haben sie
an der Aufstellung, Durchführung und Bewertung
von Plänen und Programmen für die nationale und
regionale Entwicklung mitzuwirken, die sie unmittelbar berühren können.
2. Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie des Gesundheits- und Bildungsstandes
der betreffenden Völker mit ihrer Beteiligung und
Unterstützung muß in den allgemeinen Plänen für
die wirtschaftliche Entwicklung der von ihnen bewohnten Gebiete Vorrang haben. Auch die besonderen Entwicklungspläne für diese Gebiete sind so zu
gestalten, daß sie diese Verbesserung begünstigen.
3. Die Regierungen haben sicherzustellen, daß in
Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern
gegebenenfalls Untersuchungen durchgeführt werden, um die sozialen, geistigen, kulturellen und
Umweltauswirkungen geplanter Entwicklungstätigkeiten auf diese Völker zu beurteilen. Die Ergebnisse
dieser Untersuchungen sind als grundlegende Kriterien für die Durchführung dieser Tätigkeiten anzusehen.
4. Die Regierungen haben in Zusammenarbeit mit
den betreffenden Völkern Maßnahmen zu ergreifen,
um die Umwelt der von ihnen bewohnten Gebiete zu
schützen und zu erhalten.
Artikel 8
1. Bei der Anwendung der innerstaatlichen Gesetzgebung auf die betreffenden Völker sind deren Bräuche
oder deren Gewohnheitsrecht gebührend zu berücksichtigen.
2. Diese Völker müssen das Recht haben, ihre
Bräuche und Einrichtungen zu bewahren, soweit
diese mit den durch die innerstaatliche Rechtsordnung festgelegten Grundrechten oder mit den international anerkannten Menschenrechten nicht unvereinbar sind. Erforderlichenfalls sind Verfahren
festzulegen, um Konflikte zu lösen, die bei der
Anwendung dieses Grundsatzes entstehen können.
3. Durch die Anwendung der Absätze 1 und 2 dieses
Artikels dürfen Angehörige dieser Völker nicht daran
gehindert werden, die allen Bürgern zuerkannten
66
Rechte auszuüben und die entsprechenden Pflichten
zu übernehmen.
Artikel 9
1. Soweit dies mit der innerstaatlichen Rechtsordnung
und den international anerkannten Menschenrechten
vereinbar ist, sind die bei den betreffenden Völkern
üblichen Methoden zur Ahndung der von Angehörigen
dieser Völker begangenen strafbaren Handlungen zu
achten.
2. Die strafrechtlichen Bräuche dieser Völker sind von
den zuständigen Behörden und Gerichten in Betracht
zu ziehen.
Artikel 10
1. Werden Strafen, die in der allgemeinen Gesetzgebung vorgesehen sind, gegen Angehörige dieser
Völker verhängt, so sind deren wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen.
2. Andere Methoden der Bestrafung sind dem Freiheitsentzug vorzuziehen.
Artikel 11
Mit Ausnahme der gesetzlich für alle Staatsbürger
vorgesehenen Fälle ist es unter Strafandrohung zu
verbieten, daß Angehörige der betreffenden Völker
zwangsweise in irgendeiner Form zu persönlichen
Dienstleistungen, gleich ob entgeltlicher oder unentgeltlicher Art, verpflichtet werden.
Artikel 12
Die betreffenden Völker sind gegen den Mißbrauch
ihrer Rechte zu schützen und müssen die Möglichkeit
haben, entweder individuell oder durch ihre Vertretungsorgane, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, um
den wirksamen Schutz dieser Rechte sicherzustellen.
Es sind Maßnahmen zu treffen, um dafür zu sorgen,
daß Angehörige dieser Völker in einem Gerichtsverfahren verstehen und verstanden werden können,
nötigenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers oder durch
andere wirksame Mittel.
Teil II. Grund und Boden
Artikel 13
1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses
Teils des Übereinkommens haben die Regierungen
die besondere Bedeutung, die die Beziehung der
betreffenden Völker zu dem von ihnen besiedelten
oder anderweitig genutzten Land oder den von ihnen
besiedelten oder anderweitig genutzten Gebieten, oder
gegebenenfalls zu beiden, für ihre Kultur und ihre
geistigen Werte hat, und insbesondere die kollektiven
Aspekte dieser Beziehung, zu achten.
2. Die Verwendung des Ausdrucks „Land“ in den
Artikeln 15 und 16 schließt den Begriff der Gebiete
ein, der die gesamte Umwelt der von den betreffenden
Völkern besiedelten oder anderweitig genutzten
Flächen umfaßt.
Artikel 14
1. Die Eigentums- und Besitzrechte der betreffenden
Völker an dem von ihnen von alters her besiedelten
Land sind anzuerkennen. Außerdem sind in geeigneten Fällen Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht
der betreffenden Völker zur Nutzung von Land zu
schützen, das nicht ausschließlich von ihnen besiedelt
ist, zu dem sie aber im Hinblick auf ihre der Eigenversorgung dienenden und ihre traditionellen Tätigkeiten
von alters her Zugang haben. Besondere Aufmerksamkeit ist diesbezüglich der Lage von Nomadenvölkern und Wanderfeldbauern zu schenken.
2. Die Regierungen haben, soweit notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um das von den betreffenden
Völkern von alters her besiedelte Land zu bestimmen
und um den wirksamen Schutz ihrer Eigentums- und
Besitzrechte zu gewährleisten.
3. Im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsordnung
sind angemessene Verfahren festzulegen, um Landforderungen der betreffenden Völker zu regeln.
Artikel 15
1. Die Rechte der betreffenden Völker an den natürlichen Ressourcen ihres Landes sind besonders zu
schützen. Diese Rechte schließen das Recht dieser
Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung
und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen.
2. In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den
mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder
Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält,
haben die Regierungen Verfahren festzulegen oder
aufrechtzuerhalten, mit deren Hilfe sie die betreffenden Völker zu konsultieren haben, um festzustellen,
ob und in welchem Ausmaß ihre Interessen beeinträchtigt werden würden, bevor sie Programme zur
Erkundung oder Ausbeutung solcher Ressourcen
ihres Landes durchführen oder genehmigen. Die
betreffenden Völker müssen wo immer möglich an
dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und
müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden
erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden.
Artikel 16
1. Vorbehaltlich der nachstehenden Absätze dieses
Artikels dürfen die betreffenden Völker aus dem von
ihnen besiedelten Land nicht ausgesiedelt werden.
2. Falls die Umsiedlung dieser Völker ausnahmsweise
als notwendig angesehen wird, darf sie nur mit deren
freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung stattfinden. Falls ihre Zustimmung
nicht erlangt werden kann, darf eine solche Umsiedlung nur nach Anwendung geeigneter, durch die
innerstaatliche Gesetzgebung festgelegter Verfahren,
gegebenenfalls einschließlich öffentlicher Untersuchungen, stattfinden, die den betreffenden Völkern
Gelegenheit für eine wirksame Vertretung bieten.
3. Wann immer möglich, müssen diese Völker das
Recht haben, in ihr angestammtes Land zurückzukehren, sobald die Umsiedlungsgründe nicht mehr
bestehen.
4. Ist eine solche Rückkehr nicht möglich, wie einvernehmlich oder mangels Einvernehmens durch
geeignete Verfahren festgestellt, ist diesen Völkern in
allen in Frage kommenden Fällen als Ersatz für ihren
früheren Landbesitz Grund und Boden von mindestens gleich guter Beschaffenheit und mit mindestens
gleich gutem Rechtsstatus zuzuweisen, dessen Ertrag
ihre gegenwärtigen Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt. Ziehen die betreffenden
Völker eine Entschädigung in Form von Geld- oder
Sachleistungen vor, so ist ihnen eine solche Entschädigung unter Gewährung angemessener Garantien
zuzusprechen.
5. Den auf diese Weise umgesiedelten Personen ist
für jeden durch die Umsiedlung entstandenen Verlust
oder Schaden voller Ersatz zu leisten.
Artikel 17
1. Die von den betreffenden Völkern festgelegten
Verfahren für die Übertragung von Rechten an Grund
und Boden unter Angehörigen dieser Völker sind zu
achten.
2. Die betreffenden Völker sind zu konsultieren, wenn
ihre Befugnis geprüft wird, ihr Land zu veräußern
oder auf andere Weise ihre Rechte daran an Personen
außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft zu übertragen.
3. Personen, die diesen Völkern nicht angehören, sind
daran zu hindern, deren Bräuche oder deren Gesetzesunkenntnis auszunützen, um Eigentums-, Besitzoder Nutzungsrechte an deren Grund und Boden zu
erwerben.
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Artikel 18
Durch Gesetz sind angemessene Strafen für das unbefugte Eindringen in das Land der betreffenden Völker
oder seine unbefugte Nutzung festzulegen, und die
Regierungen haben Maßnahmen zu ergreifen, um
solche strafbaren Handlungen zu verhindern.
Artikel 19
In staatlichen Agrarprogrammen ist den betreffenden
Völkern eine gleich günstige Behandlung wie den
übrigen Teilen der Bevölkerung zu sichern in bezug
auf
a) die Zuweisung weiteren Landes, wenn die diesen
Völkern zur Verfügung stehenden Bodenflächen
zur Gewährleistung einer normalen Lebensführung
oder im Hinblick auf ihren künftigen Bevölkerungszuwachs nicht ausreichen;
b) die Gewährung der erforderlichen Mittel zur
Hebung der Ertragsfähigkeit des bereits im Besitz
dieser Völker befindlichen Bodens.
Artikel 23
1. Handwerk, ländliche und gemeinschaftliche
Gewerbe sowie der Eigenversorgung dienende und
traditionelle Tätigkeiten der betreffenden Völker, wie
Jagen, Fischen, Fallenstellen und Sammeln, sind als
wichtige Faktoren in der Bewahrung ihrer Kultur und
in ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und Entwicklung anzuerkennen. Die Regierungen haben, mit
Beteiligung dieser Völker und falls angebracht, dafür
zu sorgen, daß diese Tätigkeiten gestärkt und gefördert werden ...
Teil V. Soziale Sicherheit und Gesundheitswesen
Artikel 24
Die Systeme der Sozialen Sicherheit sind schrittweise
auf die betreffenden Völker auszudehnen und anzuwenden, ohne diese zu diskriminieren........
Teil VI. Bildungswesen und Kommunikationsmittel
Teil III. Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen
Artikel 20
1. Die Regierungen haben im Rahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung und in Zusammenarbeit mit
den betreffenden Völkern besondere Maßnahmen
zu treffen, um einen wirksamen Schutz der den
betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer
in bezug auf Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten, soweit sie durch die für die
Arbeitnehmer allgemein geltenden Gesetze nicht
wirksam geschützt sind.
2. Die Regierungen haben alles zu unternehmen,
was in ihrer Macht steht, um jede unterschiedliche
Behandlung der den betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern
zu verhindern, insbesondere in bezug auf:
a) die Zulassung zur Beschäftigung, einschließlich
der Facharbeit, sowie Beförderungs- und Aufstiegsmaßnahmen;
b) gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit;
c) ärztliche und soziale Betreuung, Arbeitsschutz, alle
Leistungen der Sozialen Sicherheit und andere berufsbezogene Leistungen sowie Unterbringung;
d) das Vereinigungsrecht und die freie Ausübung
jeder rechtmäßigen Gewerkschaftstätigkeit sowie das
Recht zum Abschluß von Gesamtarbeitsverträgen mit
Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden.
68
Artikel 26
Es sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen,
daß den Angehörigen der betreffenden Völker mindestens die gleichen Bildungsmöglichkeiten aller
Stufen zur Verfügung stehen wie der übrigen Bevölkerung des Landes.
Artikel 27
1. Die Bildungsprogramme und -dienste für die
betreffenden Völker sind in Zusammenarbeit mit
ihnen zu entwickeln und durchzuführen, um ihren
speziellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, und
haben ihre Geschichte, ihre Kenntnisse und Techniken, ihre Wertsysteme und ihre weiteren sozialen,
wirtschaftlichen und kulturellen Bestrebungen einzubeziehen.
2. Die zuständige Stelle hat für die Ausbildung von
Angehörigen dieser Völker und ihre Beteiligung an
der Aufstellung und Durchführung von Bildungsprogrammen zu sorgen, damit die Verantwortung
für die Leitung dieser Programme gegebenenfalls
schrittweise auf diese Völker übertragen werden kann.
3. Darüber hinaus haben die Regierungen das Recht
dieser Völker anzuerkennen, ihre eigenen Bildungseinrichtungen und -möglichkeiten zu schaffen, vorausgesetzt, daß diese Einrichtungen die von der
zuständigen Stelle in Beratung mit diesen Völkern
festgelegten Mindestnormen erfüllen. Zu diesem
Zweck sind angemessene Mittel bereitzustellen.
Artikel 28
1. Der Unterricht im Lesen und Schreiben für Kinder
der betreffenden Völker hat, falls durchführbar, in
deren Eingeborenensprache oder in der von der
Bevölkerungsgruppe, der sie angehören, am meisten
verwendeten Sprache zu erfolgen. Ist dies nicht
durchführbar, haben die zuständigen Stellen Konsultationen mit diesen Völkern vorzunehmen, um Maßnahmen festzulegen, die die Erreichung dieses Ziels
gestatten.
2. Es sind ausreichende Maßnahmen zu treffen,
um dafür zu sorgen, daß diese Völker die Gelegenheit
haben, die Landessprache oder eine der Amtssprachen
des Landes so zu erlernen, daß sie sie fließend
beherrschen.
3. Es sind Maßnahmen zu treffen, um die Entwicklung und den Gebrauch der Eingeborenensprachen
der betreffenden Völker zu schützen und zu fördern.
Artikel 29
Die Bildung hat darauf abzuzielen, den Kindern
der betreffenden Völker allgemeine Kenntnisse und
Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen eine volle und
gleichberechtigte Beteiligung in ihrer eigenen
Gemeinschaft und in der nationalen Gemeinschaft
erleichtern.
Artikel 30
1. Die Regierungen haben den Überlieferungen und
Kulturen der betreffenden Völker entsprechende
Maßnahmen zu treffen, um sie über ihre Rechte und
Pflichten, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeit,
der wirtschaftlichen Möglichkeiten, der Bildungs- und
Gesundheitsangelegenheiten, der sozialen Dienste
und der sich aus diesem Übereinkommen ergebenden
Rechte, aufzuklären.
2. Erforderlichenfalls hat dies durch schriftliche
Übersetzungen und Massenkommunikationsmittel
in den Sprachen dieser Völker zu geschehen.
Artikel 31
Unter allen Teilen der Bevölkerung, insbesondere
dort, wo die unmittelbarste Berührung mit den
betreffenden Völkern besteht, sind erzieherische
Maßnahmen zu treffen, um gegebenenfalls bestehende
Vorurteile gegen diese Völker zu beseitigen. Zu diesem
Zweck sind Anstrengungen zu unternehmen, um
sicherzustellen, daß die Geschichtsbücher und das
sonstige Bildungsmaterial eine gerechte, genaue und
informative Darstellung der Gesellschaften und
Kulturen dieser Völker bieten.
Teil VII. Grenzüberschreitende Kontakte und
Zusammenarbeit
Artikel 32
Die Regierungen haben geeignete Maßnahmen
zu ergreifen, auch mittels internationaler Vereinbarungen, um grenzüberschreitende Kontakte und
die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen
eingeborenen und in Stämmen lebenden Völkern zu
erleichtern, einschließlich Tätigkeiten im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, geistigen und Umweltbereich.
Teil VIII. Verwaltung
Artikel 33
1. Die Behörde, welche für die in diesem Übereinkommen behandelten Angelegenheiten zuständig ist,
hat sicherzustellen, daß zur Durchführung der Programme, die die betreffenden Völker berühren, Verwaltungsstellen oder andere geeignete Mechanismen
bestehen und daß diese die zur ordnungsgemäßen
Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel haben.
...
Artikel 38
1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren
Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen
ist.
2. Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen
zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft.
3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes
Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner
Ratifikation in Kraft.
www.ilo169.de
Auf der Internetseite www.chatderwelten.de/Indigene
sind die vollständige ILO Konvention 169 und folgende Dokumente zum download hinterlegt:
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, pdf
Der Entwurf einer Erklärung über die Rechte indigener Völker in den Vereinten Nationen, pdf
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Indigene Wirtschaft
7. Indigene Wirtschaft
Die Produktionseinheit
Die wichtigste Produktionseinheit ist die Familie. Das
ist besonders ausgeprägt bei den indigenen Völkern,
die sich durch die eigene Landwirtschaft, Jagd und
Fischfang selbst versorgen. Dabei hat jeder seine Aufgaben und die Kinder werden in die Arbeitsprozesse
schon früh einbezogen: Landwirtschaft (bei den Amazonasindianern spricht man auch von Gartenanbau),
Sammeln von Waldprodukten, Flechten, Weben, Zubereitung von Speisen und Getränken und die Versorgung der Kleinkinder ist Aufgabe der Frauen. Männer
bereiten die Felder zur Aussaat vor, gehen auf die Jagd
und bauen die Häuser. Ältere Kinder werden dann
jeweils nach ihrem Geschlecht vom Vater oder der
Mutter in ihre zukünftigen Aufgaben eingeführt und
dabei erzogen.
Manche Arbeiten lassen sich jedoch nicht alleine verrichten: Sowohl große und komplexe Arbeitsprozesse
wie der Bau eines Hauses als auch aufwändige Vorbereitungen für Feste, wie die Herstellung von Maisoder Maniokbier, bei dem der Mais oder Maniok gekaut werden muss, damit er später gärt, können nur
in einer Gruppe von Männern bzw. Frauen bewältigt
werden. Auch hierfür haben die indigenen Völker
eigene Regeln entwickelt: wie sich die Gruppen zusammensetzen, wie man die Hilfe erwidert oder gar
entlohnt, welche Verpflichtungen man dabei eingeht,
usw.
In den Anden beispielsweise schließen sich die Männer
zu Gruppen zusammen, die reihum die Felder der
Gruppenmitglieder für die Aussaat vorbereiten.
Es ist dabei selbstverständlich unmöglich, sich aus
der Gruppe zurückzuziehen, wenn das eigene Feld
bestellt ist. Aufgabe der Frauen ist es, an diesen Tagen
große Mahlzeiten für alle Helfer und ihre Familien
vorzubereiten, die meist verbunden mit religiösen
Ritualen auf den Feldern eingenommen werden. In
dieser Tradition zeigt sich die Bedeutung der Gegenseitigkeit (Reziprozität), die den Umgang miteinander
noch heute und nicht nur bei indigenen Völkern
bestimmt. Die Verpflichtung zur Reziprozität heißt,
dass jeder den Menschen, mit denen er über Verwandtschaftsbeziehungen verbunden ist, zur Hilfe
verpflichtet ist. Diese können aber im Gegenzug von
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Köhler in der Region Madre de Dios, Peru
ihnen auch jederzeit Unterstützung erwarten. Auch
diese Verpflichtungen werden nach der festgelegten
Erbfolge weitergegeben. Bei den Amazonasvölkern
ist Lohnarbeit untereinander weitgehend unbekannt.
Es gibt auch bei indigenen Völkern ökonomische
Unterschiede, Arbeitgeber und Arbeitnehmer und
somit auch Formen der Lohnarbeit. Historisch kannten zum Beispiel die Inka Formen von Zwangsarbeit,
zu der sie die unterjochten Völker nötigten.
Die meisten Erfahrungen mit Arbeitsausbeutung
und Zwangsarbeit machten Indigene allerdings seit
der Kolonialzeit durch Nicht-Indigene.
Arbeit ist einer der externen Faktoren, die auch die
Geschlechterrollen stark verändert haben. Dies gilt
sowohl für die Kolonialzeit, als die Männer in den
Bergbau und zur Arbeit auf den Feldern der Großgrundbesitzer gezwungen wurden als auch heute.
Auf den großen Plantagen sind es wieder die Männer,
die als entlohnte Arbeitskräfte eigentlich traditionelle
Frauenarbeiten, wie säen und ernten, verrichten. Für
Frauen bedeuten solche Veränderungen häufig einen
Verlust an Einfluss und Gewicht in der Gemeinschaft.
7.1. Beispiele indigener Wirtschaftsweisen
Die indigenen Völker in Lateinamerika haben Wirtschaftsweisen entwickelt, die zum Einen von den
gegebenen ökologischen Bedingungen, zum Anderen
von der unterschiedlich starken Einbindung der indianischen Wirtschaft in die Marktwirtschaft und die
nationale Gesellschaft geprägt sind. Da diese Bedingungen sehr unterschiedlich sind, gibt es in Lateinamerika nicht die eine indigene Wirtschaftsweise.
So unterscheidet sich zum Beispiel die Wirtschaft der
indianischen Bauern im Andenhochland oder in den
Savannen grundlegend von der der Amazonasvölker.
7.2. Die Amazonasregion
Die Wirtschaft der meisten Amazonasindianer basiert
auf der tropischen Land- und Waldwirtschaft, die den
Brandrodungsfeldbau, die Anlage von Gemüsegärten,
die Jagd, das Fischen und Sammeln von Waldfrüchten
umfasst. Dies wird allgemein als Subsistenzwirtschaft
bezeichnet. Die Grundlage für diese Subsistenzform
bildet der tropische Regenwald. Da der Urwaldboden
oft nährstoffarm ist, kann er nicht über einen längeren Zeitraum bewirtschaftet werden. Einer kurzen
(meist vierjährigen) landwirtschaftlichen Nutzung
folgt eine Zeit der Nutzung durch mehrjährige Pflanzen und dann die lange Zeit der Brache, in der die
indianischen Dorfgemeinschaften gezwungen sind,
neues Land zu roden. Diese extensive Nutzung und
die Begrenzung der Ressourcen im Wald erlauben
nur eine geringe Bevölkerungsdichte. Große Siedlungen wird man bei den Amazonasvölkern daher nicht
antreffen. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Amazonasvölkern nicht
um Überbleibsel früher Formen der Wirtschaftsentwicklung der Menschheit handelt, sondern – wie es
der nordamerikanische Ethnologe Steward bezeichnet
– um einen hochentwickelten und besonders gut an
seine Umwelt angepassten Kulturtypus. Ein Beispiel
für ein Bewirtschaftungssystem, das auf jahrhundertelange Erfahrung und Beobachtung der natürlichen Verhältnisse aufbaut, ist die Felderwirtschaft der Kayapó.
Die Kayapó
Die Kayapó bewohnen ein großes Territorium im
brasilianischen Bundesstaat Pará, das sich über verschiedene Ökosysteme vom tropischen Regenwald bis
zur Savanne ausdehnt, wobei die Kayapó allein neun
verschiedene Begriffe für die unterschiedlichen kleinräumigen Ökosysteme der Savanne haben.
Sie haben ein komplexes Bewirtschaftungssystem
entwickelt, das auf die Gegebenheiten der Ökozonen
Wald, Savanne und Gebirge abgestimmt ist. Dazu
dient ihnen das Wissen über die spezifischen Pflanzen
und Tiere der jeweiligen Ökozone, aber vor allem ihr
Wissen über die Verbindungen und Interaktionen von
Pflanzen, Tieren, Bodenbeschaffenheit und Menschen.
Ethnobiologen wie D. Posey (2002) haben festgestellt,
dass die Kayapó nicht nur die große Artenvielfalt der
Region optimal nutzen sondern die biologische Vielfalt durch ihre Anbauweise erhöhen.
Für Posey stellt das Wissen der Kayapó, das über Jahrhunderte aufgebaut wurde, einen großen Schatz auch
für die moderne Welt dar, „da es fundamentale Prinzipien enthält, das eine Entwicklung in den feuchten
Tropen erlaubt, die sowohl ökologisch als auch sozial
verträglich ist.“ (Posey 1985: 140).
Allerdings sind die Wirtschaftsweisen der Amazonasvölker schon längst kein in sich geschlossener Kreislauf mehr, der auf Subsistenz ausgerichtet ist. Holzeinschlag, Bergbau und Goldsucher, Viehzucht, Sojaanbau sowie die Ölförderung überlagern die indianischen Wirtschaftsweisen. Früchte, Kautschuk und
Holz werden aus dem Amazonaswald für die regionalen, nationalen und auch internationalen Märkte produziert.
In den meisten Regionen des Amazonas besteht heute
eine Verflechtung zwischen Subsistenz- und Marktwirtschaft. Einige indianische Dörfer versuchen mit
Tourismusprojekten sowie dem Verkauf von kunsthandwerklichen und landwirtschaftlichen Produkten
eigene marktwirtschaftliche Projekte aufzuziehen.
Ergeben sich durch die Verbindung zum Markt
neue (wirtschaftliche) Möglichkeiten für die
Amazonasindianer oder verlieren sie dadurch nur?
Was könnten die positiven und was die negativen
Auswirkungen sein?
Abb. Siedlungsgebiet der Kayapó,
www.vanderbilt.edu/AnS/Anthro/Anth210/kayapo.htm
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Indigene Wirtschaft
7.3. Der Andenraum
Die Indigenen im Andenraum gehören mehrheitlich
zu den Aymara und Quechua. Sie sind meist Kleinbauern oder arbeiten als Lohnarbeiter auf den größeren
Farmen der Region. Meist sind sie dort nur saisonal
während der Erntezeit beschäftigt. Die wirtschaftliche
Situation der Aymara und Quechua unterscheidet sich
kaum von jener nicht-indigener Bauern der Region.
Ihr Leben ist bestimmt durch
karge, erosionsgefährdete Böden der Anden,
eine schlechte Anbindung an die nationalen
Märkte, um ihre Produkte verkaufen zu können,
niedrige Preise, die sie für ihre
landwirtschaftlichen Produkte erhalten und
die fehlenden Möglichkeiten außerhalb der
Landwirtschaft arbeiten zu können.
Der Ethnologe Mark Münzel (1985) kommt zu dem
Schluss, dass die Subsistenzwirtschaft der Indigenen
in den Zentralanden höher entwickelt ist als die aller
anderen Ureinwohner Amerikas, aber gleichzeitig ihre
materielle Situation zu der schlechtesten des ganzen
Kontinents gehört. Als Beleg führt er an, dass die Mehrheit der indianischen Andenbauern chronisch unterernährt ist. Das Klima und die durchschnittlichen Lebensbedingungen der Zentralanden erfordern einen
täglichen Kalorienbedarf von über 3000 pro Kopf.
Aber der tatsächliche Konsum liegt durchschnittlich
nur bei 1721 Kalorien. Viele leiden daher unter Vitaminmangel, der ein wichtiger Grund für die häufig
vorkommenden Erkältungskrankheiten ist. Erkältungskrankheiten zählen zu den häufigsten Todesursachen
im Hochland. Ein aufkommendes Hungergefühl
bekämpfen Indigene meist durch Kauen der mit
Asche von Pflanzen oder Knochen oder mit Kalk vermischten Kokablätter.
Die Kartoffel
Die Kartoffel ist die wichtigste Anbaupflanze in den
Anden. Sie wurde bereits bei den Inkas angebaut und
wurde von den spanischen Eroberern nach Europa
gebracht.
Es gibt sie in über 650 Varietäten, die immer wieder
auch zur Veredelung unserer Sorten in Europa genutzt
wurden. Um die geringe Konservierbarkeit der Kartoffel
zu überwinden, entwickelten die Andenbauern einen
Prozess zur Herstellung konservierbarer Stärkepro-
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dukte. Sie setzen die Kartoffel absichtlich den extremen
Höhenbedingungen von abwechselnd heftiger Sonnenbestrahlung, Nachtfrösten und Feuchtigkeit aus und
stampfen anschließend die Knollen, um ihnen das
Wasser zu entziehen.
Typisch für die Hochkultur der Zentralanden in vorkolonialer Zeit war das ausgeklügelte Bewässerungssystem, das in Terrassenanlagen ausgebaut war. Die
meisten dieser Terrassenanlagen sind heute zerstört.
7.4. Die Mapuche in Chile
Auch die Mapuche sind überwiegend Bauern. Die
wichtigsten Pflanzen sind Mais, Kartoffeln und Bohnen.
Ursprünglich wurde auch die Körnerpflanze Quinoa,
die jetzt wieder in unseren Bioläden Einzug hält, angebaut. Aber sie wurde durch europäische Pflanzen
wie Weizen fast vollständig verdrängt. Der Weizen,
der auch auf nährstoffärmeren Böden als die Kartoffel
gedeihen kann, ist heute zu einer der wichtigsten
Anbaupflanzen geworden.
Reich werden die Mapuche durch den Weizenanbau
jedoch nicht. Viele Mapuche sind gezwungen, den
Weizen zur Erntezeit zu verkaufen, wenn er am
billigsten ist, da sie zu wenig Geld und kaum Lagerkapazitäten zur Verfügung haben, um später zu verkaufen. Eine andere Einkommensquelle ist die Viehzucht, die im bescheidenen Maße durchgeführt wird.
Für den Eigenbedarf werden Gemüsegärten mit Bohnen, Erbsen, Zwiebeln und Salaten in der Nähe der
Häuser angelegt. Außerdem besitzt fast jede Familie
drei bis vier Apfelbäume, deren Früchte für die Herstellung eines leichten Apfelweins verwendet werden.
Das ursprünglich rebellische Reitervolk Mittel- und
Südchiles, das sich lange der spanischen Kolonialmacht
wiedersetzte, besitzt heute eine „unexotische Bauernkultur“, wie Münzel sie nennt, die der andinen weitgehend ähnelt. Ackerbau und Viehzucht reichen jedoch
nicht mehr, um die Ernährung der Mapuche zu sichern. In dem relativ reichen Chile bildet die MapucheBevölkerung die ärmste Schicht. Viele versuchen in
den Städten des Landes Arbeit zu finden und bilden
auch dort wieder die ärmste Bevölkerungsschicht.
Neuere Studien der Weltbank über die wirtschaftliche
Lage der indigenen Völker in Lateinamerika verdeutlichen, dass sich trotz einiger Projekte an dieser Situation in den letzten 20 Jahren nichts grundlegend verändert hat.
Wo einer isst, essen alle
Unsere indianischen Wirtschaftsweisen, die auf Reziprozität beruhen und die seit Jahrhunderten unsere
Lebensgrundlagen garantieren, sind am stärksten von
dem Strukturwandel, den unsere Regierungen durchsetzen, betroffen. Wir leben heute umzingelt von Interessen und Konflikten. Regierungen, Kirchen, Bergbau-, Holz- und Erdölkonzerne, kleine und mittlere
Beraterunternehmen und – nicht zu vergessen – Nichtregierungsorganisationen der unterschiedlichsten
Prägung dringen in unsere Dörfer ein.
Da es nie einen Dialog auf Augenhöhe gegeben hat,
wurden unsere autonomen und freien Ökonomien zu
abhängigen Wirtschaftsweisen und wir selber zu „Armen und Marginalisierten“ gestempelt. Das Einbeziehen in die Marktwirtschaft sei es als Konsumenten oder
als Arbeitskraft ist eine Realität für alle Amazonasvölker.
In den letzten 30 Jahren wurden uns in unseren Dörfern die unterschiedlichsten Vorschläge von Personen
aus allen möglichen Ländern präsentiert. Es waren
Wirtschaftsprojekte aus verschiedenen Bereichen und
meist mit dem merkwürdigen Begriff des „Kollektivs“
versehen. Alles wurde kollektiv vom Vorratslager bis
zur „Chacra“ (einem Feld, auf dem alles angebaut wird,
was für die Subsistenz notwendig ist, Anmerkung Übers.).
Ein merkwürdiges System, aber den Ideologen zu
Folge basiert es auf unserer eigenen Realität! In der
Zeit der Projekte nutzten wir die Minga, die Gemeinschaftsarbeit bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.
Es ist offensichtlich, dass wir uns gegenseitig nicht
verstanden haben. Unser sozioökonomisches System
der Reziprozität wurde nie verstanden.
Unsere Kollektivität besteht nicht darin, alles gemeinsam zu machen. Nein, was uns hervorhebt, ist, dass
wir eine Verantwortung als Gruppe haben oder mit
anderen Worten: wo einer isst, essen alle. Die Aktivitäten, die wir in der Familiengruppe durchführen und
die Produkte, die dabei erstellt werden, sind es, die im
System der Reziprozität ausgetauscht werden. Nicht
weil eine „Chacra“ Gemeinschaftseigentum ist, sondern weil sie deins ist. Der Individualitätssinn ist präsent aber der Unterschied ist, dass wir mit den anderen teilen. So sind alle Mitglieder der Gemeinschaft
Nutznießer der individuellen Arbeit. In unseren Völkern hat alles einen Besitzer, mit Ausnahme der wilden Tiere und Pflanzen auf dem Land und der Fische
im Wasser, weil die durch höhere Kräfte geerntet werden. Aber für die Sicherheit und die Nutznießung
aller ist ihre Jagd oder Sammeln Regeln unterworfen
und Verletzungen dieser Regeln werden geahndet.
Mit der Zeit kamen Fremde mit ihren neuen Bedürfnissen und den anderen Wirtschaftsweisen. Sie griffen
nach unserem Land. Aber unser Land ist für unsere
Existenz als Völker unverzichtbar. So stehen wir vor
der Notwendigkeit, unser Land verteidigen zu müssen.
.............
Wir sind nicht arm und noch viel weniger verelendet.
Was wir heute erleben, ist die Zerstörung unserer
Ressourcen und von daher sind wir nicht bereit bis
zum totalen Kollaps unserer Umwelt und uns selber
zu warten. Alles im Namen einer „Entwicklung“, die
für uns vor allem bedeutet, die Bedürfnisse anderer
zu befriedigen. Wir hoffen, dass viele mit uns sind in
unserem Bestreben, unseren eigenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Weg zu gehen, mit unseren eigenen Formen des Konsums, der uns erlaubt
auf unseren Territorien zu leben und leben zu lassen.
COICA, Koordination der indigenen Organisationen
des Amazonasbeckens
aus der Zeitschrift: Nuestra Amazonía, Nr. 24, Quito,
Übersetzung: Heidi Feldt
In diesem Artikel der COICA wird auf das unterschiedliche Verständnis von wirtschaftlicher Entwicklung und Kollektivität von Amazonasvölkern
und „Fremden“, der Marktwirtschaft eingegangen.
Worin mögen die Unterschiede bestehen?
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
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B. Traven, Der Großindustrielle
aus: Abenteuergeschichten,
© 1974, Diogenes Verlag AG, Zürich
Der Großindustrielle
In einem kleinen indianischen Dorf im Staate Oaxaca
erschien eines schönen Tages ein Amerikaner, der
Land und Leute zu studieren gedachte. Bei seinem
Hinundherwandern gelangte er zur Hütte eines
indianischen Klein-Landwirtes, der sich seinen
bescheidenen Lebensunterhalt dadurch verbesserte,
dass er in der freien Zeit, die ihm von seiner Tätigkeit
auf seinem Maisfeld blieb, kleine Körbchen flocht.
Diese Körbchen wurden aus Bast geflochten, der in
verschiedenen Farben, die der Indianer aus Pflanzen
und Hölzern zog, gefärbt war. Der Mann verstand
diese vielfarbigen Baststrähnen so künstlerisch zu
verflechten, dass, wenn das Körbchen fertig war, es
aussah, als wäre es mit Figuren, Ornamenten, Blumen
und Tieren bedeckt. Dass diese Ornamente nicht auf
das Körbchen etwa aufgemalt waren, sondern als
Ganzes sehr geschickt hineingeflochten waren, konnte
auch einer, der nichts davon verstand, sofort erkennen,
wenn er das Körbchen innen betrachtete. Denn innen
kamen alle die Ornamente an der gleichen Stelle wie
außen zur Ansicht. Die Körbchen mochten verwandt
werden als Nähkörbchen oder als Schmuckkörbchen.
Wenn der Indianer etwa zwanzig Stück dieser kleinen
Kunstwerke geschaffen hatte, und er war in der Lage,
sein Feld für einen Tag allein zu lassen, dann machte
er sich frühmorgens um zwei Uhr auf den Weg zur
Stadt, wo er die Körbchen auf dem Markte feilbot.
Die Marktgebühr kostete ihn zehn Centavos.
Obgleich er an jedem einzelnen Körbchen mehrere
Tage arbeitete, so verlangte er für ein Körbchen nie
mehr als fünfzig Centavos. Wenn der Käufer jedoch
erklärte, das sei viel zu teuer, und er begann zu
handeln, dann ging der Indianer auf fünfunddreißig,
auf dreißig und selbst auf fünfundzwanzig Centavos
herunter, ohne je zu wissen, dass dies das Los vieler,
vielleicht der meisten Künstler ist.
Es kam oft genug vor, dass der Indianer nicht alle
seine Körbchen, die er auf den Markt gebracht hatte,
verkaufen konnte; denn viele Mexikaner, die glauben
betonen zu müssen, dass sie gebildet sind, kaufen bei
weitem lieber einen Gegenstand, der in einer Massenindustrie von zwanzigtausend Stück täglich hergestellt
wird, aber den Stempel Paris oder Wien oder Dresdner
Kunstwerkstatt trägt, als dass sie die Arbeit eines
Indianers ihres eigenen Landes, der nicht zwei Stücke
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ganz genau gleich anfertigt, in ihrem Einzigkeitswert
zu schätzen verstünden.
Wenn der Indianer seine Körbchen nicht alle verkaufen
konnte, dann ging er mit dem Rest von Ladentür zu
Ladentür hausieren, wo er, je nachdem, mit barscher,
mit gleichgültiger, mit wegwerfender, mit gelangweilter Geste behandelt wurde, wie Hausierer, Buch und
Einrahmungsagenten behandelt zu werden pflegen.
Der Indianer nahm diese Behandlung hin wie alle
Künstler, die allein den wirklichen Wert ihrer Arbeit
zu schätzen wissen, derartige Behandlung hinnehmen. Er war nicht traurig, nicht verärgert und nicht
missgestimmt darüber.
Bei diesem Forthausieren des Restes wurden ihm oft
nur zwanzig, ja sogar fünfzehn und zehn Centavos für
das Körbchen geboten. Und wenn er es selbst für diese
Nichtigkeit verkaufte, so sah er häufig genug, dass die
Frau das Körbchen nahm, kaum richtig ansah, und
dann, noch in seiner Gegenwart, das Körbchen auf
den nächsten Tisch warf, als wollte sie damit sagen:
„Das Geld ist ja völlig unnütz ausgegeben, aber ich
will doch den armen Indianer etwas verdienen lassen,
er hat ja einen so weiten Weg gehabt. Wo bist du denn
her? – So, von Tlacotepec. Weißt du, kannst du mir
nicht ein paar Truthühner bringen? Müssen aber sehr
billig sein, sonst nehme ich sie nicht.“
Die Amerikaner sind ja nun mit solchen kleinen
Wunderwerken nicht so verwöhnt wie die Mexikaner,
die, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht wissen
und nicht schätzen, was sie in ihrem Lande an Gütern
haben. Und wenn nun auch der allgemeine Amerikaner den wirklichen Wert an unvergleichlicher Schönheit dieser Arbeiten nicht abzuschätzen versteht, so
sieht er doch in den meisten Fällen sofort, dass hier
eine Volkskunst vorliegt, die er würdigt und um so
rascher erkennt und schätzt, als sie in seinem Lande
fehlt.
Der Indianer hockte vor seiner Hütte auf dem Erdboden und flocht die Körbchen.
Sagte der Amerikaner: „Was kostet so ein Körbchen,
Freund?“
„Fünfzig Centavos, Señor“, antwortete der Indianer.
„Gut, ich kaufe eines, ich weiß schon, wem ich damit
eine Freude machen kann.“ Er hatte erwartet, dass das
Körbchen zwei Pesos kosten würde. Als ihm das klar
zum Bewusstsein kam, dachte er sofort an Geschäfte.
Er fragte: „Wenn ich Ihnen nun zehn dieser Körbchen
abkaufe, was kostet dann das Stück?“
Der Indianer dachte eine Weile nach und sagte: „Dann
kostet das Stück fünfundvierzig Centavos.“
„All right, muy bien, und wenn ich hundert kaufe,
wieviel kostet dann das Stück?“
Der Indianer rechnete wieder eine Weile: „Dann
kostet das Stück vierzig Centavos.“
Der Amerikaner kaufte vierzehn Körbchen. Das war
alles, was der Indianer auf Vorrat hatte.
Als der Amerikaner nun glaubte, Mexiko gesehen zu
haben und alles und jedes zu wissen, was über Mexiko
und die Mexikaner wissenswert ist, reiste er zurück
nach New York. Und als er wieder mitten drin war in
seinen Geschäften, dachte er an die Körbchen.
Er ging zu einem Schokoladengroßhändler und sagte
zu ihm: „Ich kann Ihnen hier ein Körbchen anbieten,
das sich als sehr originelle Geschenkpackung für feine
Schokoladen verwenden lässt.“
Der Schokoladenhändler besah sich das Körbchen mit
großer Sachkenntnis. Er rief seinen Teilhaber herbei
und endlich auch noch seinen Manager. Sie besprachen
sich, und dann sagte der Händler: „Ich werde Ihnen
morgen den Preis sagen, den ich zu zahlen gewillt
bin. Oder wieviel verlangen Sie?“
„Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mich nur
nach Ihrem Angebot richten kann, ob Sie die Körbchen erhalten. Ich verkaufe diese Körbchen nur an das
Haus, das am meisten dafür bietet“
Am nächsten Tag kam der Mexikokenner wieder zu
jenem Händler. Sagte der Händler: „Ich kann für das
Körbchen, mit den feinsten Pralinen gefüllt, vier, vielleicht gar fünf Dollar bekommen. Es ist die originellste und schönste Packung, die wir dem Markte anbieten können. Ich zahle zwei und einen halben Dollar
das Stück, Hafen New York, Zoll und Fracht auf
meine Lasten, Verpackung zu Ihren Lasten.“
Der Mexikoreisende rechnete nach. Der Indianer hatte
ihm bei einer Abnahme von hundert das Stück für
vierzig Centavos angeboten, das waren zwanzig Cents.
Er verkaufte das Stück für zwei und einen halben Dollar. Dadurch verdiente er am Stück zwei Dollar dreißig Cent oder ungefähr zwölfhundert Prozent. „Ich
denke, ich kann es für diesen Preis tun“, sagte er.
Worauf der Händler antwortete: „Aber unter einer
wichtigen Bedingung. Sie müssen mir wenigstens
zehntausend Stück dieser Körbchen liefern können.
Weniger hat für mich gar keinen Wert, weil sich sonst
die Reklame nicht bezahlt, die ich für diese Neuheit
machen muss. Und ohne Reklame kann ich den Preis
nicht herausholen.“
von welchem Betrage nur die Reise abging und der
Transport bis zur nächsten Bahnstation.
Er reiste sofort zurück nach Mexiko und suchte den
Indianer auf. „Ich habe ein großes Geschäft für Sie“,
sagte er. „Können Sie zehntausend dieser Körbchen
anfertigen?“
„Ja, das kann ich gut. Soviel wie Sie haben wollen. Es
dauert eine Zeit. Der Bast muss vorsichtig behandelt
werden, das kostet Zeit. Aber ich kann so viele Körbchen machen, wie Sie wollen.“ Der Amerikaner hatte
erwartet, dass der Indianer, als er von dem großen
Geschäft hörte, halbtoll werden würde, etwa wie ein
amerikanischer Automobilhändler, der auf einen
Schlag fünfzig Dodge Brothers verkauft. Aber der
Indianer regte sich nicht auf. Er stand nicht einmal
hoch von seiner Arbeit. Er flocht ruhig weiter an seinem Körbchen, das er gerade in den Händen hatte.
Es waren vielleicht noch fünfhundert Dollar extra zu
verdienen, womit die Reisekosten hätten gedeckt werden können, dachte der Amerikaner; denn bei einem
so großen Auftrag konnte der Preis für das einzelne
Körbchen sicher noch ein wenig herabgedrückt werden.
„Sie haben mir gesagt, dass Sie mir die Körbchen das
Stück für vierzig Centavos verkaufen können, wenn
ich hundert Stück bestelle“, sagte er nun.
„Ja, das habe ich gesagt“, bestätigte der Indianer. „Was
ich gesagt habe, dabei bleibt es.“
„Gut dann“, redete der Amerikaner weiter, „aber Sie
haben mir nicht gesagt, wieviel ein Körbchen kostet,
wenn ich tausend Stück bestelle.“
„Sie haben mich nicht darum befragt, Señor.“
„Das ist richtig. Aber ich möchte Sie jetzt um den
Preis für das Stück fragen, wenn ich tausend Stück
bestelle und wenn ich zehntausend Stück bestelle.“
Der Indianer unterbrach jetzt seine Arbeit, um nachrechnen zu können. Nach einer Weile sagte er: „Das
ist zu viel, das kann ich so schnell nicht ausrechnen.
Das muss ich mir erst gut überlegen. Ich werde darüber schlafen und es Ihnen morgen sagen.“
Erzähl die Geschichte zu Ende.
„Abgeschlossen“, sagte der Mexikokenner. Er hatte
rund etwa vierundzwanzigtausend Dollar verdient,
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Der Großindustrielle
2. Teil
Der Amerikaner kam am nächsten Morgen zum
Indianer, um über den neuen Preis zu hören.
„Haben Sie den Preis für tausend und für zehntausend Stück ausgerechnet?“
„Ja, das habe ich, Señor. Und ich habe mir viel Mühe
und Sorge gemacht, das gut und genau auszurechnen,
um nicht zu betrügen. Der Preis ist ganz genau ausgerechnet. Also wenn ich tausend Stück machen soll,
dann kostet das Stück zwei Pesos, und wenn ich zehntausend Stück machen soll, dann kostet das Stück vier
Pesos.“
Der Amerikaner war sicher, nicht richtig verstanden
zu haben. Vielleicht war sein schlechtes Spanisch
daran schuld.
Um den Irrtum richtig zustellen, fragte er: „Zwei
Pesos für das Stück bei tausend und vier Pesos das
Stück bei zehntausend? Aber Sie haben mir doch
gesagt, dass bei hundert das Stück vierzig Centavos
kostet.“
„Das ist auch die Wahrheit. Ich verkaufe Ihnen hundert das Stück für vierzig Centavos.“ Der Indianer
blieb sehr ruhig, denn er hatte sich alles ausgerechnet,
und es lag kein Grund vor, zu streiten. „Señor, Sie
müssen das doch selbst einsehen, dass ich bei tausend
Stück viel mehr Arbeit habe als mit hundert, und mit
zehntausend habe ich noch viel mehr Arbeit als mit
tausend. Das ist gewiss jedem vernünftigen Menschen
klar. Ich brauche für tausend viel mehr Bast, habe viel
länger nach den Farben zu suchen und sie auszukochen. Der Bast liegt nicht gleich so fertig da. Der
muss gut und sorgfältig getrocknet werden. Und
wenn ich so viele tausend Körbchen machen soll,
was wird denn dann aus meinem Maisfeld und aus
meinem Vieh? Und dann müssen mir meine Söhne,
meine Brüder und meine Neffen und Onkel helfen
beim Flechten. Was wird denn da aus deren Maisfeldern und aus deren Vieh? Das wird dann alles sehr
teuer. Ich habe gewiss gedacht, Ihnen sehr gefällig zu
sein und so billig wie möglich. Aber das ist mein letztes Wort, Señor, verdad, ultima palabra, zwei Pesos
das Stück bei tausend und vier Pesos das Stück bei
zehntausend.“
Der Amerikaner redete und handelte mit dem Indianer den halben Tag, um ihm klarzumachen, dass hier
Rechenfehler vorliegen. Er gebrauchte ein neues
Notizbuch voll von Blättern, um an Ziffern zu beweisen,
wie der Indianer für sich ein Vermögen verdienen
könne, bei einem Preis von vierzig Centavos für das
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Stück, und wie man Unkosten und Materialkosten
und Löhne verrechnet.
Der Indianer sah sich die Ziffern verständnisvoll an,
und er bewunderte die Schnelligkeit, mit der der
Amerikaner die Ziffern niederschreiben und aufsummieren, zerdividieren und durchmultiplizieren konnte.
Aber im Grunde machte es wenig Eindruck auf ihn,
weil er Ziffern und Buchstaben nicht zu lesen vermochte und aus der klugen, volkswirtschaftlich sehr
bedeutenden Vorlesung des Amerikaners keinen
anderen Nutzen zog als den, dass er lernte, dass ein
Amerikaner stundenlang reden kann, ohne etwas zu
sagen.
Als der Amerikaner dann endlich erkannte, dass er
den Indianer von seinen Rechenfehlern überzeugt
hatte, klopfte er ihm auf die Schulter und fragte:
„Also, mein guter Freund, wie steht nun der Preis?“
„Zwei Pesos das Stück für tausend, und vier Pesos
das Stück für zehntausend.“ Der Indianer hockte sich
nieder und fügte hinzu: „Ich muss jetzt aber doch
wieder an meine Arbeit gehen, entschuldigen Sie
mich, Señor.“
Der Amerikaner reiste in Wut zurück nach New York,
und alles, was er zu dem Schokoladenhändler sagen
konnte, um seinen Vertrag lösen zu können, war: „Mit
den Mexikanern kann man kein Geschäft machen, für
diese Leute ist keine Hoffnung.“
So wurde New York davor bewahrt, von Tausenden
dieser köstlichen kleinen Kunstwerke überschwemmt
zu werden. Und so wurde es möglich, zu verhüten,
dass diese wunderschönen Körbchen, in die ein indianischer Landmann den Gesang der Vögel, die um ihn
waren, die Farbenpracht der Blumen und Blüten,
die er täglich im Busch sah, und die ungezwungenen
Lieder, die in seiner Seele klangen, hineinzuweben
gewusst hatte, zermanscht und zerstampft in den
Kehrrichttonnen der Park Avenue gefunden wurden,
weil sie keinen Wert mehr hatten, nachdem die
Pralinés herausgeknabbert waren.
Vergleiche den Schluss mit der eigenen Geschichte.
Nach welchen (wirtschaftlichen) Überlegungen
handelt der Amerikaner, nach welchen der
indigene Mexikaner? Von welchen wirtschaftlichen
Überlegungen ist Dein Schluss der Geschichte
geprägt?
Welche Haltung mag der Autor haben, wo liegen
seine Sympathien?
Indigene Wirtschaft
7.5. Die Globalisierung und die indigenen Völker – Am
Beispiel des Gran Chaco
Da die Spanier seinerzeit das ersehnte Gold nicht
fanden und die Einwohner des Gran Chaco sich gegen
ihr Eindringen heftig zur Wehr zu setzen wussten,
blieb diese Region im Herzen Südamerikas bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts von fremder Besiedlung
weitgehend frei. Das harte Klima mit Sommertemperaturen von über 40 Grad, relativ spärlichen und sehr
unregelmäßigen Niederschlägen, einer nur schwer zu
durchdringenden Vegetation von ausgedehntem
Dornbusch und weiten Sumpfgebieten trugen ihren
Teil dazu bei, den Gran Chaco als Siedlungsgebiet
uninteressant bleiben zu lassen.
Wegen der feindlichen Haltung seiner Bewohner
gelang es auch den emsigen und hochmotivierten
Jesuiten im 18. Jahrhundert nicht, eine direkte Landverbindung zwischen ihrem Missionsgebiet im Chiquitos – dem heutigen Ostbolivien – und Paraguay zu
schaffen. Feindliche Indianer setzten ihren Expeditionen ein jähes Ende, und der Versuch, eine jesuitische
Missionssiedlung („Reduktion“) dauerhaft im nördlichen Gran Chaco zu unterhalten, musste nach einem
30 Jahre dauernden Experiment wieder aufgegeben
werden. Die legendäre Reduktionssiedlung „San Ignacio de Zamuco“ konnte nur solange gehalten werden,
wie die Jesuiten-Missionare sich der indianischen
Lebensweise anzupassen wussten. Denn Projekten,
mit deren Hilfe Indianer zu einer dauerhaften Sesshaftigkeit in einer Siedlung gebracht werden sollten,
erteilten die stark nomadisierenden Sammlerinnenund Jäger-Völker des Chaco eine Abfuhr – damals wie
auch heute. Nicht nur die Jesuiten liefen seinerzeit
dem Traum von einer auf Selbstversorgung gegründeten, bäuerlichen Siedlung indigener Gemeinden hinterher. Bis heute schwebt er den meisten vor, die
etwas für die indigenen Chaco-Völker tun wollen.
Sammeln, Jagen, Fischen – damit sicherten sich die
indigenen Chaco-Völker ihre Versorgung und gestalteten ihr Leben. Die Ökologie des Chaco ließ die Entwicklung einer auf Ackerbau basierenden Landwirtschaft größeren Ausmaßes nicht zu. Schon die Guaraní-Bauern mussten das erfahren, als sie sich auf der
Suche nach neuem Siedlungsland in vorkolumbischer
Zeit aus dem heutigen Brasilien und Ostparaguay
kommend, nicht im Chaco niederlassen konnten,
sondern bis an den Fuß der Anden wandern mussten,
ehe sie wieder ökologisch angemessene Bedingungen
für ihre ackerbäuerliche Lebensweise vorfanden.
Die Chaco-Völker hingegen pflegten weiterhin ihre
Sammlerinnen- und Jäger-Kultur, auch wenn sie mit
einem bescheidenen Gartenbau begannen. Der Garten
blieb jedoch eher ein erweiterter Sammelgrund denn
eine bäuerlich gepflegte und genutzte Fläche. So überließ man die Aussaat auf kleinen Flächen sich selbst
und kam auf den periodischen Sammelzügen zum
77
Indigene Wirtschaft
Zeitpunkt der möglichen Ernte wieder zurück.
Die unregelmäßigen und örtlich sehr unterschiedlichen Niederschläge verhinderten eine dauerhafte
Siedlung an einem Ort. Denn das Risiko fehlenden
Regens für die Anlage größerer, auf einen Ort konzentrierter Pflanzungen war zu groß. Ganz verstreut
im traditionellen Wohngebiet wurden die kleinen
Gärten angelegt und boten so die Gewähr, auf den
Sammelstreifzügen auch einige Ernteprodukte mit
nach Hause bringen zu können.
Angepasst an diese ökologischen Bedingungen waren
auch die indianischen Lebens- und Organisationsformen: Über die Verwandtschaftsgruppe hinaus gab
es keine festeren, dauerhaften Sozialverbände. Zwar
lebten verschiedene Familien durchaus in größeren
Gruppen zusammen, konnten sich jedoch je nach
Jahreszeit und interner Situation auch wieder in ihre
einzelnen Familiengruppen aufsplittern und neu
gruppieren. In Zeiten extremer Trockenheit, wenn der
Wald „verschlossen“ und das Leben mit vielen Tabus
belegt war, splitterte sich die Gruppe grundsätzlich in
kleinere Familienverbände auf und durchstreifte die
Wälder. In der „Zeit des Überflusses“, wenn der Wald
nach üppigem Regen in seiner Vielfalt lebte und Nahrung lieferte, fand man sich in größeren Gruppen
wieder zusammen und teilte das Leben in größerer
Gemeinschaft. So war es den indigenen Völkern möglich, trotz erheblicher Schwankungen der äußeren
Lebensbedingungen eine innere gesellschaftliche und
kulturelle Stabilität zu sichern.
Vorboten der Globalisierung
Für eine weitergehende Erschließung durch Europäer
und ihre lateinamerikanischen Nachfahren wurde
der Chaco erst wieder im Zuge der Industrialisierung
gegen Ende des 19. Jahrhunderts interessant. Schifffahrt und Eisenbahnbau erleichterten Transport und
Zugang. Entlang des Rio Paraguay entstanden eine
Reihe von Häfen, von denen aus der rote QuebrachoBaum aus dem Chaco geholt, zu Tannin (Gerbstoff)
verarbeitet und exportiert wurde. Auch für den Bau
der Eisenbahnlinien, die den argentinischen Chaco
durchquerten, mussten Abertausende von Quebrachobäumen fallen, die als Schwellen dem Schienenweg
dienten. Mit der Erschließung neuer Rohstoffquellen
und dem Interesse an deren Ausbeutung wurde es
78
notwendig, die nationalen Grenzen auch in jenen
entlegensten Gebieten festzulegen und so den Chaco
auch physisch unter eine gewisse staatliche Kontrolle
zu nehmen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts begannen militärische Expeditionen von paraguayischer
und bolivianischer Seite, die schließlich mit der Perspektive der Nutzung möglicher Ölvorkommen im
Chaco-Krieg der 30er Jahre mündeten. In Argentinien
wurden zur Sicherung der nationalen Grenzen zu
Bolivien und Paraguay organisierte Kolonisationskampagnen durchgeführt, die wagemutige, hartgesottene
Abenteurer anlockten. Nachfahren dieser Kriegs- und
Kolonisationsfront sind heute die als „chaqueños“ oder
„criollos“ bezeichneten Siedlerfamilien, die eine ganz
eigene Kultur als Jäger und kleine Viehzüchter ziemlich abseits von Staat und Gesellschaft entwickelten.
Für die ursprüngliche, indigene Bevölkerung brach
die Zeit einer dramatischen Destabilisierung mit
tragischen Konsequenzen bis zur Vernichtung ganzer
Gruppen an: die wichtigsten Wasserstellen wurden
von Militärposten besetzt. Versuche indigener Verteidigung wurden mit Massakern beantwortet. Die
dauerhafte Besetzung lebenswichtiger Orte durch
Militär und bewaffnete Siedler erhöhte den territorialen Druck innerhalb und zwischen indigenen
Völkern und Gruppen, die sich teilweise untereinander heftigst bekriegten.
Andererseits wurden indigene Gruppen neugierig auf
die Güter, die von den neuen Besetzern des Landes
mitgebracht wurden: vor allem Eisenwerkzeug und
Textilien weckten das Interesse und führten zu friedlichen Kontakten. Das Militär missbrauchte Indianer
auch als Pfadfinder und Späher in der Erschließung
der Region. Aus Angst vor möglicher Spionage schossen daher bolivianische wie paraguayische Soldaten
während des Chacokrieges ohne jegliche Vorwarnung
auf jeden Indianer, den sie zu Gesicht bekamen.
Heimtückischer als die Wirkung der Waffen waren
jedoch jene eigenartigen, scheinbaren Freundschaften
zwischen Soldaten und einzelnen Indianergruppen,
deren zweifelhafter Gewinn für die Indianer im Geschenk von Abfallprodukten der Militärposten bestand,
während sich die Soldaten bei den Indianerfrauen
schadlos hielten. Verheerende Grippe und Masernepidemien und Geschlechtskrankheiten rotteten
ganze Gemeinschaften in der ersten Generation nach
der Kontaktaufnahme aus.
Der aktive Widerstand wurde endgültig in Argentinien mit dem Massaker an Toba-Indianern in Napalpi
(im Jahre 1924), in Bolivien mit der friedlichen Kontaktaufnahme zu den Ayoréode im Zusammenhang
mit dem Bau der Eisenbahnlinie nach Brasilien (Ende
der 40er Jahre), und in Paraguay mit der Missionierung der Ayoréode durch katholische und protestantische Missionare im Zusammenhang mit Ölprospektionen und Pelztierfallenstellerei in den 60er Jahren
gebrochen. Heute gibt es im gesamten Chaco nur
noch eine Untergruppe von ungefähr 40 Ayoréode in
Paraguay, die weiterhin unabhängig von der nationalen Gesellschaft und den internationalen Märkten in
den Restwäldern lebt.
Die wichtigste Voraussetzung für den Globalisierungsprozess war damit geschaffen: Die Erschließung
des Marktes für den Chaco und des Chaco für den
Markt hatte begonnen.
mehr als den Eigenverbrauch und konzentriert sich
hauptsächlich auf Ziegen und Rinder. Diese Familien
verfügen über keine größeren Installationen, das Vieh
wird größtenteils sich selbst überlassen und frisst das,
was die Natur bereitstellt. Je nach Trockenheit und
Vegetation kommt es vor, dass das Vieh sich sehr weit
von der Hofstelle entfernen muss, um noch Futter zu
finden. Die Möglichkeiten, eine solche extensive,
unkontrollierte Viehzucht weiter zu betreiben, werden
Mit der Öffnung von Märkten und der kulturell und
gesellschaftlich vielfach nicht mehr nachvollziehbaren
Geschwindigkeit der technologisch-materiellen Entwicklung insbesondere in den Industrieländern wird
der Chaco in den letzten Jahrzehnten in eine Reihe
fremdbestimmter Entwicklungsprozesse hineingezogen, die nicht mehr den Bedürfnissen der sozial und
kulturell im Chaco beheimateten Bevölkerung sowie
den ökologisch bedingten Möglichkeiten einer nachhaltigen Nutzung entsprechen.
Fleisch für den Markt
Militärische Besetzung und missionarische Tätigkeit
bei indigenen Gruppen erleichterten die Inbesitznahme des Chaco vor allem durch Viehzüchter, die im
Laufe des 20. Jahrhunderts zunächst noch recht verhalten, in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch mit
ständig wachsender Geschwindigkeit stattfand. Viehzüchter ist im Chaco aber nicht gleich Viehzüchter.
Heute lassen sich im Wesentlichen drei Kategorien
von Viehzüchtern unterscheiden.
Da ist zum einen der Kleinbauer, der mit Familie bzw.
Großfamilie häufig noch relativ isoliert lebt und für
das Land, das er bewohnt und nutzt, in der Regel keinen Besitztitel hat. Die Viehzucht reicht kaum für
79
Indigene Wirtschaft
immer schwieriger: zum einen wird der Weidegrund
und Busch durch diese Art der Bewirtschaftung und
Nutzung zerstört, die Landschaft verödet; zum anderen drängen immer mehr kapitalkräftigere Landbesitzer mit staatlich anerkannten Landtiteln bis in die entlegensten Regionen und beanspruchen die von den
Kleinbauern genutzten Flächen. Dadurch werden
diese gezwungen, sich entweder in noch entlegenere
Gebiete zurückzuziehen, oder die Viehzucht aufzugeben und in die Städte abzuwandern, oder ihre Produktion auf eine intensivere Wirtschaftsweise umzustellen. Dazu bräuchten sie jedoch entsprechendes Kapital, technisches Wissen und gesicherte Landtitel. All
dies erfordert eine erhebliche Umstellung und Veränderung der eigenen Kultur und Lebensformen, häufig
auch ihrer Lebensinhalte.
Zum anderen gibt es jene Viehzüchter, die selbst im
Chaco leben, ihre Wirtschaft auf eigenem Landbesitz
selbst betreiben, aber in Abgrenzung zu den Kleinbauern vollständig von der Marktproduktion abhängen
und ihre Rinderzucht bei gegebener Marktkonkurrenz
mit entsprechender Kapitalinvestition unterhalten
müssen. Sie verwandeln Busch in Weideland, legen
zunehmend Kunstweide an und zäunen ihr Land ein,
einerseits um das Vieh und die Weiden besser unter
Kontrolle zu haben, andererseits um die Nutzung der
natürlichen Ressourcen durch Indianer und Kleinbauern zu unterbinden. Sie verfügen über künstlich angelegte Wasserreservoirs und organisieren den Verkauf
Frau bei der Feldarbeit in Amanti, Peru
80
des Rindes bereits meist über den LKW-Transport.
Eine dritte Gruppe von Viehzüchtern bilden jene, die
zwar legale Besitzer des Bodens sind und das Kapital
für Aufbau und Unterhalt der Wirtschaft stellen,
selbst aber nicht im Chaco leben. Die eher traditionellen Landbesitzer unter ihnen, denen häufig sehr
große Flächen gehören, haben in der Vergangenheit
eine Viehzucht betrieben mit dem Interesse, ihr städtisches Leben zu finanzieren. Die Investitionen in den
Betrieb beschränkten sich darauf, ein entsprechendes
Produktionsvolumen zu unterhalten. Der größte Teil
des Gewinns wurde abgeschöpft und nicht in die Entwicklung der Region reinvestiert. Hierin gleichen sie
jenen Landbesitzern, die an dem Chaco und seiner
Entwicklung nur in Bezug auf eine lukrative Geldanlage interessiert sind. Dies kann sich auf reine Bodenspekulation beschränken: Land wird gekauft, um es
nach einiger Zeit Gewinn bringend wieder zu verkaufen, wenn sein Wert gewachsen ist, zum Beispiel
durch den Bau einer Straße oder die Errichtung von
Viehzuchtbetrieben in der näheren Umgebung. Oder
das Geld wird in den Aufbau einer Viehzucht investiert, die ohne Rücksicht auf langfristige Schäden an
Boden, Vegetation und Umwelt allein auf den möglichst schnellen und hohen Gewinn ausgerichtet ist.
Langfristige Bodenversalzung, Versteppung und Verwüstung werden billigend in Kauf genommen, solange die kurzfristige Rendite der Investition stimmt. Zu
dieser Kategorie gehören vor allem ausländische, auch
deutsche Investoren, deren Motivationen
fern ab vom Chaco und seiner Lebenswirklichkeit begründet liegen und deren
Kalkulationen mit einer dem Chaco und
seiner ökologischen Besonderheit vollkommen fremden Mentalität entstehen.
Gewinn und verantwortungslose Plünderung stehen hier im Vordergrund.
In den letzten Jahren dringen immer
mehr brasilianische Landbesitzer in den
Chaco vor, nachdem ihr ressourcenzerstörender Raubbau in ihren früheren
Produktionsgebieten zu verheerenden
Schäden riesiger Regionen in Südbrasilien und Ostparaguay geführt haben
und sie daher gezwungen wurden, ihre
Betriebe dort aufzugeben. Der Verkauf
ermöglicht ihnen, billigeres Land in noch unzerstörten, weniger erschlossenen Gebieten günstig zu
kaufen und ihr räuberisches Unwesen gnadenlos
‘fortzusetzen. Da sie Geld haben, finden sich trotz
v’erbesserter Umweltgesetze immer Möglichkeiten,
kurzfristige Gewinne auf Kosten von Mensch und
Umwelt zu erwirtschaften. Korrupte Strukturen in
‘der öffentlichen Verwaltung tragen ihren Teil dazu
bei und ihren eigenen kurzfristigen Nutzen davon.
Verbindungswege vom Atlantik bis zum Pazifik
An der Verbesserung des Straßennetzes sind viele
interessiert. Man verspricht sich Fortschritt und Wohlergehen. Indianer denken an die Erweiterung ihres
Beziehungsnetzwerkes, Milch- und Joghurtproduzenten an den klimaunabhängigen, sicheren Zugang zu
regionalen Handelszentren, Fleischfabrikanten an die
industrielle Verarbeitung ihrer Produkte, Regionalpolitiker an Standortverbesserungen und internationale
Unternehmen an die Verknüpfung von Großregionen.
Unter dem Namen „Zicosur“ („Zona de Integración
del Cono Sur“) fördern Politiker und Unternehmer
eine verstärkte regionale Integration zwischen Brasilien, Paraguay, Argentinien, Bolivien und Chile mit
dem Ziel, kommerzielle Beziehungen innerhalb dieser
Region aber auch zu Märkten bis nach Asien auszudehnen. Als ein wichtiger Schritt in diese Richtung
wird der Ausbau des Straßennetzes im paraguayischen
Chaco durch einen entsprechenden Kredit der Interamerikanischen Entwicklungsbank gefördert, deren
Mitglied auch Deutschland ist. Einen weiteren Meilenstein bildet der Bau der Brücke von Misión La Paz
über den Rio Pilcomayo im Länderdreieck von Argentinien, Bolivien und Paraguay und der damit eng
zusammenhängende Aufbau eines entsprechenden
Grenzpostens.
Indianische Gemeinden verschiedener Völker sehen
sich angesichts dieser Aktivitäten Veränderungen ausgesetzt, deren Auswirkungen auf ihr Leben und die
Zukunft ihrer Kinder sie kaum einschätzen können.
Wurde ihr Wohngebiet bis vor wenigen Jahren noch
zu den unzugänglichsten Winkeln des Chaco gezählt,
sind sie heute mit den negativsten Auswüchsen der
Globalisierung konfrontiert, die sich an südamerikanischen Grenzübergängen besonders konzentrieren: die
Willkür von Grenzbeamten, illegaler Handel und
Schmuggel, Alkoholismus, Prostitution, Betrug und
Gewalt. Die Förderung des Welthandels fordert an
diesem Ort einen bitteren Preis: Individuen und Gemeinschaften mit einer sehr feinen, fast einzigartigen
Kultur, die an die Lebensbedingungen des Chaco angepasst war, werden in ihrer Integrität, ihren Werten
und ihrer Gestaltungsfähigkeit mit Blick auf die Entwicklung ihrer Dörfer und Gemeinden zerstört. Und
während die Anerkennung ihrer verfassungsmäßig
verbrieften Landrechte über Jahre und Jahrzehnte verschleppt wird, schreiten die Großprojekte auf Kosten
ihrer Zukunft mit großer Geschwindigkeit voran.
Öl- und Gasförderung und -export
Öl war schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts
ein Grund für Konflikte und im Chaco-Krieg 90.000
Menschen in den Tod zu schicken. Die Suche nach
diesem Rohstoff ließ Menschen und Maschinen mit
Mitteln und Aufträgen aus fernen Ländern Tausende
von Kilometern Weg in den Chacobusch schlagen, die
auch die letzten Winkel nicht verschonten. Da die
Suche vielerorts erfolglos blieb, nahm der Busch die
Schneisen wieder in seinen Besitz. Doch die Suche
nach Öl hört seit jener Zeit nicht auf. Im Gegenteil:
besonders im bolivianischen und argentinischen Teil
des Chaco nehmen Prospektionen gerade in jüngerer
Zeit wieder zu, und an vielen Stellen wird heute Öl
und Gas gefördert. Das Wachstum dieses Wirtschaftszweiges wurde in den letzten 10 Jahren so groß, dass
vor allem Erdgas aus den Fördergebieten über Rohrleitungen – so genannter „Gasoductos“ – bis nach
Chile und Brasilien transportiert wird. Die Gewinne
aus Förderung und Export sind erheblich, bleiben
jedoch zum allergrößten Teil der Region und ihren
Menschen vorenthalten.
Die indianischen Gemeinden, in deren Wohngebieten
die Suche und Förderung stattfindet, versuchte man
zunächst mit kleinen Geschenken für erlittenen Schaden und Verluste zufrieden zu stellen, selbst dort,
wo ihre Landrechte bereits staatlich anerkannt sind.
Verhindern können sie die Arbeiten auch als rechtmäßige Landbesitzer nicht, da die unterirdischen
Bodenschätze dem Staat gehören und Schürfrechte
vom Staat direkt an die entsprechenden Unternehmen
vergeben werden.
81
Indigene Wirtschaft
Über die Dimensionen dessen, was Öl- und Gasförderung für ihr Leben und das ihrer Umwelt bedeuten,
werden sich die indianischen Gemeinden erst langsam
und über zum Teil bitterste Erfahrungen im klaren –
dann, wenn nichts mehr rückgängig gemacht werden
kann: wenn Arbeitstrupps die Dörfer und Lager in der
Nachbarschaft ihrer Baustellen auf der Suche nach
Abwechslung und Vergnügen heimgesucht haben;
wenn in der Folge Krankheiten nicht nur physischer
Art Individuen und Familien zerstört haben; wenn
neben verlassenen Bohrlöchern das verseuchte Wasser in extra angelegten Auffangbecken hoch giftiger
Chemikalien von Bienen getrunken wird und deren
Honig dadurch ungenießbar macht, welchen Indianer
konsumieren und zu verkaufen suchen; wenn sich
Dritte aufgrund der Öl-/Gasförderung auf bereits
rechtlich anerkanntem Indianerland so etabliert haben, dass sie nicht mehr ohne weiteres zum Verlassen
aufgefordert werden können, wenn die Indianer viel
später endlich mehr über ihre Rechte erfahren haben.
In jüngster Zeit beginnen indianische Gemeinden
und Organisationen jedoch, sich genauer über ihre
Rechte und Möglichkeiten informieren und beraten
zu lassen, um sich besser gegen Missbrauch und
Zerstörung wehren zu können.
Wasser und das Leben mit einem eigenwilligen Fluss
Einer der wenigen Flüsse des Gran Chaco ist der Rio
Pilcomayo, der in den bolivianischen Anden entspringt
und sich in den Weiten der Ebene verläuft. Auf historischen und geographischen Karten dient er – auch
heute noch – als Grenzfluss zwischen Argentinien
und Paraguay und seiner Mündung bei Asunción in
den Rio Paraguay, obwohl dies wohl kaum je wirklich
so war. Eigensinnig ist er und eigenartig: unserem
Bild eines Flusses mit kontinuierlichem Flussbett
von der Quelle bis zur Mündung entzieht er sich.
Denn er bildet temporäre Überschwemmungszonen
(„bañados“), ändert seinen Kurs fast jährlich zumindest teilweise, überhäuft sich selbst mit Sand, bildet
ständig neue Ufer und Kanäle und ist in stetiger
Unruhe begriffen.
Die Indianer, die mit ihm und von ihm leben, erklären
seine Entstehung und seine Eigenart damit, dass das
ursprünglich bestehende Tabu, den goldenen Fisch
nicht zu fangen, gebrochen wurde. Als gleichsam auf
den Boden verschüttetes Wasser bildete er daraufhin
seine willkürlichen Betten und Überschwemmungszonen, die Jahr für Jahr den Mythos vom Tabubruch
wiederholen, wenn der Fluss im Sommer anschwillt
und seine Präsenz ändert. Dass er seinen Lauf und die
Überschwemmungszonen verändert, ist also nichts
neues, sondern ritueller Ausdruck eines in den
Ursprüngen verletzten Tabus.
82
In Kenntnis dieses eigenwilligen Verhaltens des
Flusses entwickelten die Indianer ihr Leben und ihre
historischen Erfahrungen im Umgang mit dem Fluss
und passten ihr Leben an seine Launen an.
Liest man heute Artikel, technisch-wissenschaftliche
Studien oder politische bzw. politisch motivierte
Kommentare über den Pilcomayo und seine „Krise“,
erhält man den Eindruck von ökologisch in jüngster
Zeit begründeten Katastrophen: Überschwemmungen
durch Entwaldung, Veränderungen des Flusslaufes
durch verstärkte Sedimentierung, Zonen extremer
Dürre. Sie alle fordern die Staatengemeinschaft dazu
heraus, größere Projekte zu planen und umzusetzen,
um diesen Fluss zu zähmen und Viehzüchtern und
Landbesitzern der Region eine möglichst gleichmäßige
Wasserversorgung liefern zu können. Mit Unterstützung der Europäischen Kommission soll ein
großes Projekt zum „Management“ der Flussregion
des Pilcomayo entwickelt werden, unter Einschluss
verschiedener regulierender Maßnahmen (Deich- und
Kanalbauten u. a.).
Was aus der Sicht von Technikern, Entwicklungsplanern und Politikern als Bedrohung und Katastrophe
erscheint, war für die indianischen Nachbarn der
Motor, der ihr Verhältnis zum Fluss bestimmte und
eine an dieses Ökosystem angepasste Lebens- und
Nutzungsform entwickeln ließ. In Abhängigkeit vom
jahreszeitlich unterschiedlichen Flussverhalten legten
sie ihre Siedlungen immer wieder neu dort an, wo
sie für die entsprechende Nutzung der Ressourcen
am günstigsten waren. Die Durchsetzung modernen
Landrechts und die Privatisierung von Landbesitz,
die Gründung von Missionssiedlungen und klar definierten und begrenzten Territorialrechten drängten
die indianischen Gemeinden auch am Pilcomayo zur
Bildung stabilerer Siedlungen mit größerer Sesshaftigkeit.
Stärken im eigenen Handeln
Die Globalisierungsbestrebungen von Welthandel
und Weltwirtschaft machen vor den Toren des Gran
Chaco nicht halt. Land und Leute werden auch dort
von diesem Sog erfasst. Und wenn wir in Europa
schon große gesellschaftliche Schwierigkeiten haben,
uns der Dynamik anzupassen, die die Beschleunigung
von technologischen und organisatorischen Veränderungen uns bis in unser persönliches Leben hinein
aufzuzwingen sucht, lässt sich unschwer ausmalen,
was dies für Gesellschaften bedeutet, die die Ge
schichte der Aufklärung und des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts weder selbst entwickelt noch
selbst durchlebt haben, sondern lediglich mit ihren
Ergebnissen und Ausdrucksformen in Berührung
kommen.
Mit ihren eigenen erprobten Strategien der Anpassung und einer tiefen Verwurzelung in ihren kulturellen Grundpfeilern und Grundwerten versuchen sich
indianische Gemeinschaften und Organisationen des
Gran Chaco den Herausforderungen auf ihre Art zu
stellen. Viele Opfer wurden ihnen bereits teilweise
in brutaler, schmerzhafter Art und Weise abverlangt,
was sich in absehbarer Zukunft auch nicht ändern
dürfte. Denn bisher wird kaum wahrgenommen,
dass indianische Völker im Chaco in einer kleiner
werdenden Welt wichtige Beiträge zur Gestaltung
der Zukunft leisten können.
Nachdruck des Beitrags „Die Globalisierung und die
indigenen Völker – Am Beispiel des Gran Chaco“
mit freundlicher Genehmigung von „Brot für die Welt“.
Weberin im Chaco
83
Indigene Weltanschauung und Kultur
8. Indigene Weltanschauung und Kultur
Die verschiedenen indigenen Weltsichten und Glaubensvorstellungen bringen Rituale und schamanische
Praktiken hervor, Konzepte und Ideen über Ursachen
von Träumen und Krankheiten, Vorstellungen von
Tod und Wiedergeburt. Sie gestalten, gliedern und
deuten Lebenswelt und Umwelt, sie geben Erklärungen auf existenzielle Fragen. Dadurch regeln sie
soziales Verhalten. Sie drücken sich aus in Mythen,
Gebeten, Zeremonien, Reden, Versammlungen,
Festen, Riten, Musik und Tanz.
Indigene Weltbilder sind meist kosmologisch, das
heißt sie sehen den Menschen als Teil eines größeren
Ganzen, dem er in gewisser Form ein- oder untergeordnet ist. Indigene Kosmologie definiert den
Menschen als Teil eines universalen Systems, und
das Überleben dieses Systems ist Grundbedingung
und Lebensvoraussetzung für den Menschen. Daher
ordnet sich der Indigene den Bedürfnissen und Funktionsweisen jenes größeren Ganzen unter. Mensch
und Natur bilden eine untrennbare Einheit.
Die eigene Existenz wird geistig und geschichtlich in einen
Zusammenhang gestellt, der
sehr viel größer und umfassender ist als das eigene Leben
und die eigene Umwelt. Ahnen,
Überlieferungen und Traditionen spielen daher eine große
Rolle im indianischen Weltbild.
Familien sind ebenso Teil des
Weltsystems wie die ganze
Gemeinschaft. Dieses Weltsystem ist nicht nur irdisch,
sondern schließt die Welt der
Götter und Ahnen mit ein.
Schamane aus der Amazonasregion
Schamanen sind die Mittler
zwischen diesen Welten, zwischen dem Sichtbaren
und Unsichtbaren. Schamanen können Männer und
Frauen sein. Sie sind meist nicht von Geburt an zum
Schamanen bestimmt, sondern ihnen wird diese
Rolle erst später von der Gemeinschaft übertragen.
84
Das indianische Regenfest
wird in einer christlichen
Kirche gefeiert, Chiapas, Mexiko
Sie müssen einen langen Lernprozess bei einem älteren Schamanen durchlaufen. Danach sind sie Lehrer,
Politiker, Richter, Arzt, Priester und Heiler in einem.
Sie verfügen über ein großes ökologisches Wissen,
kennen Heilpflanzen und ihre Wirkungen und vertreten den Respekt und die Ehrfurcht vor ökologischen
Zusammenhängen. Der Schamanismus ist daher eine
bestimmte Form, die Welt und den Menschen und
alle Dinge und Lebewesen in einem großen Ganzen
zu erkennen. Alles Existierende hat in dieser Hinsicht
spirituelle Qualitäten.
Aber Schamanen haben auch ganz andere Kräfte und
bewegen sich in anderen Dimensionen und Wirklichkeiten. Denn es gibt eine andere Welt, parallel zur Alltagswelt. In dieser „Anderswelt“ wird über Ereignisse,
Zustände und Schicksale in der sichtbaren Welt bestimmt. In jener Dimension befinden sich die spirituellen Kräfte, Götter und Geister, die Ahnen leben hier,
es ist auch das Reich der Toten. Schamanen können
die Grenzen zwischen den beiden Welten überschreiten und auf besondere Weise mit den „anderen Wesen“
kommunizieren, sie sind die Vermittler zwischen den
Welten.
Mythos und Ritual sind die Hauptpfeiler indigener
Religion. Im Mythos werden durch Geschichten und
Sagen Welterklärungen und Deutungen überliefert,
im Ritual werden diese Zusammenhänge dann erfahrbare Wirklichkeit. Mythen und Rituale helfen den
Indigenen, den Alltag zu deuten und Phänomene wie
die Zeit oder den
Tod, aber auch
tagesaktuelle
Ereignisse, Gefahren und extreme
Situationen wie
Katastrophen zu
verstehen.
Religionen und
Weltanschauungen sind, wie
Kultur im allgemeinen, permanenten Veränderungen ausgesetzt. Der Kontakt
zu anderen Kultu- Maya-Schamane, Mexiko
Regenfest – Junge Maya-Frauen, Chiapas, Mexiko
ren, Vorstellungen und Ideen, die Auseinandersetzung mit neuen Phänomenen und Problemen oder
kollektiven Erfahrungen wie Krieg, Dürre, oder die
Einführung bislang unbekannter technischer Geräte
wie das Fernsehen sind Beispiele dafür, dass sich
Weltbilder – und ihre religiösen Entsprechungen –
ständig verändern und neu bestimmen.
8.1. Christentum und die Verschmelzung der Religionen
Mit der spanischen Eroberung kamen die Missionare,
die die heidnischen Wilden bekehren sollten. Die
katholische Kirche unterstützte damit die Eroberung
und Kolonisierung der indigenen Völker. Erst im 16.
Jahrhundert fiel die Entscheidung der Amtskirche in
Rom, Indigenen eine Seele und sie somit als Menschen anzuerkennen, wobei sie aus Sicht der Kirche
immer als „Kinder“ betrachtet wurden. Vereinzelt
übernahm die Kirche oder einige ihrer Vertreter auch
Schutzfunktion für indigene Völker. Am bekanntesten
hierfür wurde Bartholomé de las Casas aus dem Vizekönigreich Peru, sowie die von den Jesuiten geleiteten
„reducciones“ im Süden des Kontinents.
Die Missionierung erfolgte mit Gewalt, die Missionare
ließen keine Alternativen zu Taufe und Bekehrung
zum Christentum zu. Die indigenen Völker hatten
zwar nicht die Möglichkeit, sich der Christianisierung
zu verweigern, taten aber alles um ihre eigenen Gottheiten und Überzeugungen unter dem Deckmantel
der katholischen Kirchen zu bewahren. Bis heute finden wir in der Praxis der katholischen Religion auf
dem Kontinent viele Beispiele für sogenannte Synkretismen, das heißt Verschmelzungen und Synthesen
verschiedener Formen der Religionsausübung. In
einer katholischen Messe in Guatemala werden noch
heute mit Räucherstäbchen und Gesängen Opfer dargebracht, und Pachamama, die Mutter Erde, ist in den
Andenländern ebenso präsent wie die Jungfrau Maria.
Der Marienkult in Mexiko verweist auf die Anbetung
von Fruchtbarkeitsgöttinnen vor der Ankunft der
Spanier.
Die indigenen Völker konnten ihre Gottheiten und
Rituale vor den Missionaren und für sich selbst retten.
Sie „kleideten“ sie neu ein und gaben ihnen neue
Namen. Andere Formen der kulturellen Bewahrung
und des Widerstands hätten angesichts des inneren
Zusammenspiels von Kolonialmacht und Kirche,
also der politischen Kolonisierung und geistigen
Missionierung, das Leben gekostet.
Der Synkretismus in den Religionen und Weltanschauungen steht oft im Gegensatz zu einem Konzept
des „Ursprünglichen“ oder „Reinen“. Wir können
heute davon ausgehen, dass alle Kulturen, Musikrichtungen, Ideologien, Sprachen oder Religionen,
die wir auf dem Erdball finden, Synthesen darstellen
und nicht eindeutig einer einzigen Quelle zuzuordnen sind.
Suche weitere Beispiele für die Verschmelzung
der Religionen und überlege, welche Vorteile diese
Strategie für die indigenen Völker hatte!
8.2. Gesundheit und Krankheit
Indigene Völker haben unterschiedliche Heilungsmethoden entwickelt und entsprechende Spezialisten
hervorgebracht. Diese Heiler, meist Männer, sind Träger jahrhundertealten Wissens um die Heilungskraft
von Pflanzen, aber wenden auch spirituelle und religiöse Heilungsriten an. Heilungsrituale sind nicht
mechanische „Reparaturarbeiten“ am kranken Körper,
sondern sie beziehen sich auf Körper und Seele. Sie
finden unter aktiver Teilnahme von Ahnen, Geistern
und Göttern statt. Häufig werden Krankheiten auch
mit Hexerei in Verbindung gebracht, d. h. die Indigenen befürchten, dass ihnen jemand aus ihrem sozialen Kontext schaden will und eine Krankheit „anhext“.
In diesem Fall schließt die Heilung die Lösung des
dahinter stehenden sozialen Problems ein. Es kann
Impfung in einer indigenen Gemeinde, Peru
85
Indigene Weltanschauung und Kultur
Heilungszeremonie durch einen Yanomami-Schamanen
Badefreuden und Körperhygiene
Schamane der Secoya
unterschiedliche Heiler geben, die auf bestimmte
Krankheitsbilder wie Schlangenbisse oder Knochenbrüche spezialisiert sind. Manchmal übernehmen
auch die Schamanen Heilerfunktionen, indem sie
unter Anrufung und Beteiligung von Geistern und
Ahnen Krankheiten mit „magischen“ Ursachen heilen.
Körper und Seele sind ebenso verbunden wie die irdische
und die überirdische Welt, dies zeigt sich im Verständnis von Krankheiten ebenso wie in deren Heilung.
8.3. Tanz und Musik
Tanz und Musik sind wichtige Ausdrucksformen traditioneller indigener Kulturen. Musik zu spielen und
sich nach ihr zu bewegen ist eine Form indigener Spiritualität, in der die Menschen in Interaktion treten
mit der Natur, den Gottheiten, mit den Ahnen oder
dem Universum. Religiöse Zeremonien werden mit
traditioneller kultureller Musik begleitet, mit Instrumenten wie Flöte, Trommel, Violine oder Gitarre.
Trance spielt eine wichtige Rolle, vor allem für den
Priester (Schamanen) oder Heiler, der die Zeremonie
leitet.
Männer spielen meist die Instrumente, Frauen singen. Beide Geschlechter tanzen, selten jedoch paarweise.
86
Trotz der spanisch-portugiesischen Kolonialisierung
ist in Lateinamerika die Vielfalt traditioneller Musik
lebendig geblieben, insbesondere bei den indigenen
Völkern. Traditionelle Musik, musikalische Riten und
Gebräuche haben sich vielfach erhalten, wurden dabei
aber auch verändert und weiterentwickelt. Dasselbe
gilt auch für Instrumente wie Flöten und Trommeln.
Indigene Musik gibt Zeugnis anderer Wirklichkeitsund Realitätskonzepte und ist zumeist Teil religiöser
Rituale und Zeremonien. Heute wird sie jedoch auch
außerhalb religiöser Feste gespielt oder für Besucher
und Touristen nur „vorgespielt“.
8.4. Kunsthandwerk
Die Herstellung von Kunsthandwerk gehört zu den
Praktiken aller Kulturen. Tradierte Techniken werden
bewahrt, gehen verloren oder werden weiter entwickelt. Ton, Holz, Stoffe und natürliche Produkte wie
Wolle oder Leinen, aber auch Edelmetalle oder Edelsteine sind die Grundmaterialien des Kunsthandwerks. Oft werden heutzutage die ursprünglichen
Materialien durch synthetische ersetzt. Formen und
Farben verändern sich.
Indigene Kunst ist Ausdruck eines komplexen
Systems von symbolischer Repräsentation der Welt:
Kunst ist eine Form der Aneignung und Verarbeitung
von Erfahrungen, von umgebender Natur und Wissen.
Kunst erlaubt die Reflektion über bestimmte Themen
und Fragen und stellt sie dar. In Formen und Farben
kommen Elemente indigener Lebensweise und ihrer
Kosmovision zum Ausdruck.
Traditionell finden sich Gottheiten, Riten, aber auch
Szenen aus dem Alltag auf den Gebrauchsgegenständen. Heute werden die einstmals damit verbundenen
Aussagen und Bedeutungen oft nicht mehr verstanden, auch nicht von den Indigenen selbst. Das Wissen
darum ist auf dem Weg der Vermittlung von Generation zu Generation und unter dem gegebenen externen Druck verloren gegangen.
In Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen der
modernen Gesellschaften für Geschichte, Brauchtum
und naturnahe Lebensweisen interessieren, wird
Kunsthandwerk auch genutzt, um mehr von anderen
Kulturen erfahren zu können. Gleichzeitig wird sie
oft zur Ware, mit der sich Indigene ein Einkommen
erwirtschaften können.
Die Xukurú in Brasilien
Die Xukurú feiern das Ritual Toré. Sie tanzen und
beten, kleiden sich in Gewänder aus Mais- oder Palmstroh, schmücken sich mit Vogelfedern und bemalen
ihre Körper. Ein Mann tanzt beim Toré immer an der
Spitze, gibt mit der Maracá den Rhythmus vor und
singt, und alle anderen beginnen, das Ritual zu tanzen. Das Ritual ist ein Teil der religiösen Überlieferung, in dem die Indigenen ihren Vatergott Tupã und
Mutter Tamain verehren.
Der Pajé ist eine weise Person, denn er erhielt vom
König Tupã die Gabe der Weisheit und das Wissen
von allen Vorfahren. Der Pajé kennt alle Zauber aus
vergangener Zeit und alle Heilpflanzen der Region.
Der Pajé kennt die Regeln und weiß, wie die Ahnen
im Ritual angesprochen werden können. Er gilt als
Priester und religiöser Führer. Für die Xukurú ist der
Pajé ein Meister der Weisheit.
Am frühen Morgen des 25.01.2005 begrüßten indigene Völker aus Amerika die Sonne und eröffneten
damit das V. Weltsozialforum in Porto Alegre. Das
Ritual organisierten die Guaraní und die Pataxó aus
Brasilien, der Pajé Adolfo Verã Guaraní leitete die
Zeremonie. Er bat den Gott Tupã um einen guten
Geist für die 120.000 Teilnehmer aus Ländern aller
Kontinente.
Die Schlange
Murui Muinane, die Weißen gaben ihnen vor langer
Zeit den Namen Huitoto. Die Murui leben im Amazonasgebiet zwischen den Flüssen Putumayo, Caraparaná und Caquetá. Ihre Sprache heißt Huitoto, die Dialekte heißen Mika, Minika, Búe und Nipoode.
Im Maloca, dem Großfamilienhaus, wird jeden Tag
die „Mambeadero“ Zeremonie durchgeführt. Inmitten
des Hauses werden die heiligen Pflanzen Coca und
Tabak, vermischt mit natürlichem Salz, verbrannt. Die
Maloca sind die Wohnstätten der Murui. Dort leben
die Eltern mit ihren Söhnen und deren Familien.
Jeder im großen Haus hat eine bestimmte Aufgabe.
Es gibt den Schamanen, den Sänger oder den Zubereiter der Coca. Der „Hausherr“ ist die maximale
Autorität, er ist der sogenannte Großvater, er muss
vor Krankheiten schützen und ist der Verantwortliche
für die Rituale und Zeremonien.
Für die Murui hat das Sprechen, das „Rafue“, eine
hohe, entscheidende Bedeutung. Seine schöpferische,
lebensspendende Macht wandelt das Wort in die Idee,
den Begriff und die fundamentale Realität des Lebens.
„Der Großvater, der Hausherr verkörpert die Tradition, er trägt das Wort, das „Rafue“. Dieses Wort wird
kundgetan während der Vorbereitungen zum Tanz.
In diesem Moment wird der „Somara“ vorgeführt –
ein in besonderem Ton vorgetragener Bericht über
die Tradition des Volkes – und der „Yorai“, der Einladungstanz und die Geschichte, das „Rafue“, das vorgetragen wird seit Anbeginn der Zeit bis zum heutigen
Tag, auf das sich diese Weisheit in Arbeit verwandele.“
Quelle: www.paginadigital.com.ar/articulos/
museos/instrumentos.html
und der Mensch
Wir Menschen sind alle gleich, denn wir stammen alle
von den gleichen Stücken der gleichen Boa. Alle Menschengruppen sind gleich, denn ebenso gleich waren
die Teile in die sich die große Schlange zerlegte. So
groß war die Behutsamkeit in der Verteilung, dass
man das zentrale Stück, wo die Boa am dicksten ist,
nicht auch aufteilte, denn man hatte von beiden äußeren Enden aus begonnen, und in der Mitte angekommen war die Verteilung zu Ende, denn man wollte
keine Ungerechtigkeiten.
Aus diesem mittleren Stück wird das heilige Trommelpaar schlüpfen, das Maguaré, dessen Stimme die
Einheit der Menschen im Ritual beschwört, insbesondere in der Zeremonie des Yadiko, dem Schlangentanz. Die Völker vereinen sich in diesem Tanz von
Zeit zu Zeit, in der einenden Unbestimmtheit der
gemeinsamen Herkunft.
Diese Geschichte erzählt ein Mann aus dem Volk der
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Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Laufen fürs Leben –
Die brasilianischen Canela-Indianer
Laufen ist für die Canela-Indianer Nordost-Brasiliens
Lebensinhalt. Sie laufen, um die Kraft der Sonne und
den Fortbestand der Welt zu sichern. Sie sehen darin
keinen Sport, sondern Rituale, die ihre frühen Vorfahren von mythologischen Wesen gelernt haben.
Eines der eindruckvollsten Beispiele für diese Bewegungskultur der Canela ist das sowohl von Männern
als auch Frauen durchgeführte Klotzrennen. Dabei
treten zwei Gruppen gegeneinander an, wobei die
Läufer jeder Gruppe abwechselnd einen schweren
Holzstamm (bei Männern bis zu 150 kg, bei Frauen
bis zu 80 kg) auf der linken Schulter tragen und über
kilometerlange Strecken befördern. Bedeutsam ist bei
diesen Klotzrennen nicht nur die hohe physische Leistungsfähigkeit hinsichtlich von Kraft und Ausdauer,
sondern die kulturelle Einbindung in den gesamtgesellschaftlichen Kontext. Für die Canela ist Laufen ein
Sinnbild des Lebens! Daher werden bereits Kinder und
Jugendliche in entbehrungsreichen Initiationsriten als
Läufer für das Leben in der Gemeinschaft erzogen.
Die grundlegende Orientierung ihres Lebens sehen
die Canela in den Gegensätzen amji krin, was so viel
bedeutet wie fröhlich sein, glücklich sein, und amji
krit, was mit Traurigkeit, Stillstand gleichgesetzt werden kann.
Zu der Kategorie amji kin gehören: Wohlgeruch, Stärke,
Widerstandsfähigkeit, Gesundheit, Schönheit, Geschicklichkeit und Weisheit; zu amji krit übler Geruch,
Schwäche, Empfindlichkeit, Hässlichkeit, Übel und
Dummheit.
Diesen beiden Kategorien werden auch Naturphänomene zugeordnet. So wird die Trockenzeit mit amji
kin, die Regenzeit mit amji krit identifiziert. Das heißt,
die Regenzeit ist ihrem Wesen nach traurig, vom Stillstand gezeichnet, übelriechend und birgt Krankheiten,
wird aber von der positiv gesehenen Trockenzeit abgelöst. Dies entspringt ihrer sinnlichen Erfahrung.
Der krasse Gegensatz zwischen dem heißen, trockenen Savannensommer und dem feuchtwarmen Tropenwinter prägt den Charakter der Umwelt, in der
die Canela leben. Das Gebiet der Canela liegt im Übergangsbereich zwischen Regenwald und Savanne. Es
beheimatet ein außergewöhnlich reichhaltiges Tierund Nahrungsangebot für den Menschen, dass in der
Trockenzeit einfach gejagt bzw. gesammelt werden
kann. In dieser Jahreszeit trifft man kaum auf Giftschlangen, Spinnen und Skorpione, die durch Grasbrände vertrieben werden. Im trockenheißen Klima
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treten nur wenige Krankheiten auf. Ganz im Gegensatz steht dazu die Regenzeit. Krankheitsfälle sind
häufiger, lebensgefährliche Epidemiewellen können
die Existenz ganzer Dörfer bedrohen. Mücken werden
im feucht-heißen Klima zu einer regelrechten Plage.
Insgesamt erzeugt der Wechsel von Trockenzeit und
Regenzeit ein Spannungsfeld, das für die Canela den
„Lauf der Welt“ bestimmt.
Ebenso wie der Jahreszyklus steht der Einzelne im
ständigen Spannungsfeld zwischen amji kin und amji
krit. Ein Mensch befindet sich zunächst im Zustand
des amji krit. Ein Kind ist zum Beispiel besonders
anfällig für Krankheiten. Die Eltern, das Haus, die
Dorfrundstrasse, das Runddorf – alles amji kin –
gewähren ihm Schutz. Für den Heranwachsenden
beginnt dann nach dem ersten rituellen Sexualverkehr
– im Alter zwischen 8 und 15 Jahren – eine lange entbehrungsreiche Phase, die u. a. gekennzeichnet ist
von Fastenzeiten. Hält er diese Zeit durch wird er
schließlich Klotzläufer und zählt als solcher zur amji
kin Kategorie. Steht er die Initiationszeit nicht durch,
fällt er wieder in die amji krit Kategorie zurück. Ein
solches Individuum bleibt weiterhin übelriechend und
schwach. Nur ein echter Läufer ist demzufolge zu
einem gesunden und glücklichen Leben befähigt und
hält die Gemeinschaft am Leben.
Der Klotzlauf nimmt in der Weltauffassung der Canela
eine Schlüsselrolle ein. Er wird gleichgesetzt mit dem
Überleben der Kultur, der Menschenwelt, indem er
für die Gemeinschaft das amji kin bewirkt. Im Ritual
des gemeinschaftlichen Klotzlaufes wird amji kin
erreicht. Damit dies so ist, reichen die Klotzläufe zu
den Festen nicht aus. Während der Trockenzeit findet
nahezu täglich ein Lauf statt.
Der Klotzlauf dient also keineswegs nur einer vordergründigen körperlichen Ertüchtigung, er ist ein „Lauf
für das Leben“.
Quelle: basierend auf: J. Mehringer, A. Kowalski,
J.Dieckert, Laufen für das Leben, ein Besuch bei den
brasilianischen Canela-Indianern, aus der Schriftenreihe
des Landesmuseums für Natur und Mensch, Oldenburg,
Heft 26, 2003
Dokumentarfilm
Dieckert, Jürgen / Mehringer, Jakob: Amji-Kin:
Der Lauf der Welt. Dokumentarfilm zum Klotzlauf
der brasilianischen Canela-Indianer (44 Min.)
VHS-Kassette ausleihbar unter Nr. D 1836 bei
Institut für wissenschaftlichen Film, Nonnenstieg 72,
37075 Göttingen, Deutschland
Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung
9. Sprache und Kultur –
eine komplexe Beziehung
In Lateinamerika werden fast 700 verschiedene
Sprachen gesprochen. Dialekte dieser 700 indigenen
Sprachen gibt es sicherlich Tausende. Die indigenen
Sprachen Lateinamerikas sind in etwa 100 unterschiedlichen Sprachfamilien beheimatet. Offiziell sind lediglich das Spanische und in Brasilien das Portugiesische,
nur in Paraguay ist Guaraní als Zweitsprache neben
dem Spanischen national anerkannt, wird dort aber
von der gesamten Bevölkerung gesprochen. Die indigenen Sprachen sind meist nicht anerkannt. Selbst
wo dies der Fall ist, wie beispielsweise für Quechua
in Peru, das in der Verfassung als offizielle Sprache
benannt ist, hat diese Anerkennung gesellschaftlich
und sprachpolitisch kaum Bedeutung: Kein einziges
Formular lässt sich in Quechua ausfüllen, keine
Gerichtsverhandlung führen und kaum ein Arzt
spricht es mit seinen Patienten.
9.1. Was ist Sprache?
Sprache ist ein Ausdrucksmittel der Menschen für die
Welt, die sie umgibt. Mittels Sprache eignet man sich
die Welt an. In Sprache manifestiert sich daher das
Weltbild einer bestimmten Gruppe. Sprache bringt
kulturelle Muster und soziale Organisationsstrukturen
zum Ausdruck. Da sich die Umwelten und kollektiven
(gemeinsamen) Erfahrungen der Gesellschaften und
Völker unterscheiden, sind auch Sprachen unterschiedlich: nicht nur in anderen Vokabeln, sondern
auch in den verschiedenen Bedeutungen und im
unterschiedlichen Gebrauch.
In den Anden beispielsweise existieren für die vielen
verschiedenen Sorten der Kartoffel viele unterschiedliche Begriffe, in Deutschland kennen wir nur das eine
Wort „Kartoffel“ und unterscheiden Zuchtsorten und
Kocheigenschaften. Für die vielen Arten des Mais existieren in Mittelamerika jeweils eigene Begriffe. Andererseits verfügen indigene Sprachen über keine Wörter für Gegenstände des modernen Lebens. Dinge wie
„Flugzeug“ oder „Computer“ können nur umschrieben werden. „Arbeiten“ im Sinne von Lohnarbeit wird
bei den Kuna in Panama direkt mit dem aus dem
Deutschen eingeführten Wort, das als „arbaed“ ver-
schriftlicht wurde, benannt, da die Kuna früher keine
Lohnarbeit kannten.
Auch die Zahlen werden häufig in der Nationalsprache verwandt. Die „fehlenden“ Begriffe werden oft
eher aus der Nationalsprache übernommen, als selbst
einen neuen Begriff für die eigene Sprache zu entwikkeln. Dafür sind die indigenen Sprachen aufgrund
fehlender Sprachförderung meist bereits zu schwach
und durchsetzt mit Begriffen aus der Nationalsprache,
und in ihrer Sprachpraxis zu sehr auf den häuslichen
und dörflichen Alltag beschränkt. Bei lebendigen
Sprachen „bürgern“ sich mit der Zeit auch neue
Begriffe ein und formen sich neue Bedeutungen
(schließlich existierte vor 20 Jahren auch in Deutschland das Wort „Handy“ oder „simsen“ noch nicht).
Welche anderen Begriffe könnten deiner Meinung
nach in indigenen Sprachen fehlen oder müssten
aus den Nationalsprachen importiert werden?
Warum gibt es sie nicht? Wie gehen wir mit
diesem Phänomen im Deutschen um? Welche
anderen Möglichkeiten gibt es?
9.2. Sprache als Ausdruck des Denkens
Die Sprache spiegelt das Bild wieder, das sich Menschen von der Welt und den Bedeutungen der Dinge
machen – schließlich auch von sich selbst, als Teil der
Welt und Teil ihrer Geschichte. Sprache ist also Ausdruck gemeinsam geteilter Weisen des Begreifens
und Denkens. Sprachgruppen wie etwa das Quechua
teilen häufig ähnliche Konzepte der Welt, der Religion, Fragen der Herkunft und Welterklärung (Weltanschauung). Der Forderung nach dem Schutz und dem
Erhalt der Sprachen indigener Völker sowie deren
Anerkennung und Förderung kommt deshalb eine
wichtige Bedeutung zu. Mit den Sprachen gehen
Konzeptionen und Weltanschauungen verloren, die
in einer anderen „fremden“ Sprache nicht adäquat
ausgedrückt werden können, oder in anderen sprachlich-kulturellen Kontexten vor dem Verlust der eigenen Sprache nicht bekannt geworden sind.
Der Begriff der Pachamama ist ein gutes Beispiel für
das Wechselverhältnis von Sprache und Kultur. Pachamama ist zunächst ein Begriff aus dem Quechua und
bezeichnet die Muttergottheit der andinen Religionen,
89
Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung
die „Mutter Erde“. Der Begriff spiegelt aber auch das
duale, also zweigeteilte Weltbild der andinen Kulturen: „Pacha“ bedeutet nicht nur Erde, sondern auch
Lebensraum, Welt, Zeit, Universum. „Erde“ meint
daher nicht nur die physische Materie, sondern den
Raum, in dem der Mensch sich bewegt, und mit dem
der Mensch in einem kommunikativen Verhältnis
steht. Erde und Mensch reagieren aufeinander. Die
„Mutter Erde“ stellt dabei den Mittelpunkt des Ganzen
dar, sie ist die zentrale Kraft, in der sich das „Himmlische“ (die hohen, heiligen Berge der Anden) mit dem
„Irdischen“ (die Gewässer, die Erde) verkörpert und
integriert.
Die Erdgottheit Pachatata .
Pachamama und Pachatata („pacha“ Erde, „tata“ oder
„taita“ Vater) bilden darüber hinaus das symbolische
Paar, das in seiner Beziehung für die Dualität und Gegensätzlichkeit der Welt steht. Dies bringt das Grundprinzip dualen Denkens der Andenvölker zum Ausdruck: Anders sein, und doch gleichberechtigt, beide
Pole der Dualität, der Verschiedenheit gehören an
ihren Platz, sind notwendig, zwischen beiden spannt
sich der Bogen der Gegensätze. Verschieden sein, und
doch Teil eines Ganzen: Sonne-Mond, Tag-Nacht,
Mann-Frau, Geist-Materie. Das Eine existiert nicht
ohne das Andere. Das eine kann ohne das andere nicht
existieren, nicht das eine ist gut, das andere schlecht,
sondern beide sind Teil der Wirklichkeit, die sich in
ihrem Spannungsverhältnis erschließt.
Mittlerweile ist „Pachamama“ in den andinen – auch
den nicht-indigenen – Gesellschaften weit verbreitet
und hat einen folkloristischen Klang angenommen, bzw.
wurde einfach zu einem Synonym für „Erde“. Somit
beinhaltet diese Übernahme einen Bedeutungsverlust.
9.3. Sprachpolitik
Um eine Gleichstellung der indigenen Gruppen mit
der Gesamtbevölkerung zu erreichen, kommt der
Sprachpolitik in den lateinamerikanischen Ländern
eine große Bedeutung zu. Sie muss der Forderung
nach Anerkennung der Sprachen Rechnung tragen,
muss Indigenen den Zugang zu Behörden und Institutionen ermöglichen und die Teilhabe von Indigenen
am öffentlichen Leben befördern. Anerkennung von
indigenen Völkern meint daher auch dafür zu sorgen,
90
dass ihre Sprachen Verkehrssprachen werden, dass
Indigene mit Lehrern, Ärzten oder Politikern sprechen können, dass es keine sprachliche Diskriminierung gibt. Sprachpolitik muss demzufolge auch Ausdrucks- und Entwicklungsmöglichkeiten der Sprachen
unterstützen. Die sogenannte Normierung, also die
grammatikalische und lexikalische Erfassung einer
Sprache, ihre wissenschaftliche Erforschung und praxisnahe Vereinheitlichung ist unerlässlich. Sie ist Voraussetzung zur Erhaltung einer Sprache.
Aber eine Sprache kann auch nur erhalten werden,
wenn sie sich weiter entwickelt, wenn sie für die Sprecherinnen und Sprecher praktikabel und nützlich
bleibt, um sich in der Welt, in der sie leben, auszudrücken und verstanden zu werden. In den lateinamerikanischen Städten leben viele Indigene, die ihre
Muttersprache nicht mehr sprechen und deren Kinder
diese Sprache nicht mehr erlernen. Dies hat vielerlei
Gründe. Einer davon ist die Diskriminierung, unter
der Indigene leiden. Um als gleichwertig anerkannt
zu werden, legen Indigene da, wo sie mit Nicht-Indigenen zusammen leben und arbeiten, oft ihre Sprache
sowie ihre Trachten und kulturellen Bräuche ab. Ein
weiterer Grund ist der Funktionsverlust, den die indigene Sprache in einem mehrheitlich nationalsprachlichen Kontext erfährt, weil z.B. alles in Spanisch erledigt werden muss.
So kann eine indigene Sprache schnell (im Laufe von
3 bis 4 Generationen) in Vergessenheit geraten und
damit gänzlich verloren gehen, denn sie ist ja häufig
auch nicht verschriftlicht. Die UNESCO, die Weltorganisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, macht
darauf aufmerksam, dass solche Verluste für die
gesamte Menschheit und nicht nur die jeweilige Sprechergruppe ein Verlust sind.
Was ist denn so wichtig an Sprachen? Geht uns
allen etwas verloren, wenn einzelne Sprachen auf
immer verschwinden?
9.4. Ein Volk – eine Sprache – eine Kultur?
Die Zuordnung indigener Völker anhand ihrer Sprachen ist schwieriger als zunächst erwartet. Oft lässt
sich keine direkte Verbindung zwischen der sprachlichen Vielfalt und der Vielfalt kultureller Ausdrucks-
Schulkinder in Guatemala
formen in indigenen Gemeinschaften ziehen. So wird
nicht selten die gemeinsam gesprochene Sprache als
Kriterium der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen
herangezogen, allerdings kann die Kultur (soziale
Organisation, Handwerkskunst, Religion) sich innerhalb dieser Sprachgemeinschaften unterscheiden.
Dies ist der Fall in Ecuador, wo sich die Indigenen des
Hochlandes einer einzigen Sprache, des Quichua, der
Sprache des ehemaligen Inkareiches, bedienen, sich
aber kulturell voneinander unterscheiden und sich als
jeweils unterschiedliche Völker verstehen: als Otavalos, als Saraguros, als Salasaca, usw. Umgekehrt stellt
sich die Situation in Guatemala dar: die Nachkommen
der Maya sehen sich als ein Volk, sprechen aber viele
verschiedene Sprachen. Eine wirkliche Übereinstimmung zwischen ethnischer Identität, Kultur und
Sprachfamilie lässt sich also nicht finden.
Abb. Maya Hieroglyphen
9.5. Orale Tradition
Sprachen wurden in den alten indigenen Kulturen
Lateinamerikas meist gesprochen, aber nicht geschrieben. Eine bekannte Ausnahme sind die Bilderzeichen
der Maya, die bis heute als Schrift nicht vollständig
dekodiert werden konnten. Man findet sie in Bauwerken der Tempelanlagen und kann sie trotz zahlreicher
Untersuchungen nicht „lesen“. Auch die heutige
Mayabevölkerung kann sie nicht mehr entziffern.
Die Zahlen der auf der Grundlage der Zahl 20 basierenden Mayamathematik dagegen haben sich durchgesetzt und werden bis heute in den Mayakalendern
genutzt und verstanden.
Auch die Inka hatten ein System zur Dokumentation
entwickelt. Allerdings war die Quipu, die Knotenzeichen der Inka, keine Schrift sondern ein Dokumentationssystem für die Verwaltung: Anhand der Knoten
wurde beispielsweise dokumentiert, welche Abgaben
die einzelnen unterworfenen Völker und gesellschaftlichen Gruppen des Inkareiches bereits bezahlt hatten.
Die Quipu waren eine Art Verwaltungsmathematik
für das ausgeklügelte Abgabensystem der Inka.
Quipu-Knotentechnik und andine Rechentafel
Die meisten indigenen Gesellschaften sind jedoch
„orale Kulturen“, keine „Schriftkulturen“, d. h. sie
haben keinerlei Schrift entwickelt. Das hat erhebliche
Auswirkungen auf die Kulturentwicklung, auf die
Bewahrung, Vermittlung und die Veränderung von
indigenem Wissen.
Die Geschichte und Identität eines Volkes mag anfälliger sein, wenn sie allein auf oraler, also mündlicher
Weitergabe beruht, und sich nicht der Schrift bedient.
Nur das bleibt erhalten, was weiter erzählt wird. Wenn
die Alten sterben und ihr Wissen nicht weiter gegeben
haben, ist es für die zukünftigen Generationen verloren.
Verschriftlicht wird indigenes Wissen in jüngerer Zeit
durch Externe, wie Ethnologen, Linguisten, Journalisten
und andere Interessierte, die jedoch meist für andere
Leserkreise schreiben und deren geschriebene Darstellung die mündliche Tradition und ihre Dynamik
nicht ersetzen kann. Mit wachsender Bildung nehmen
auch Indigene selbst an dieser Dokumentation aktiv
teil, allerdings schreiben auch sie vorzugsweise in der
Nationalsprache und für eine externe Leserschaft. In
einigen interkulturell und zweisprachig orientierten
Schulen und Bildungseinrichtungen wird das Wissen
der indigenen Gemeinschaften ebenfalls gesammelt,
um es in diesen Gemeinschaften selbst wieder zu
beleben. Das sind jedoch neue Ansätze, über deren
Erfolg noch keine Aussagen getroffen werden können.
Bei den Mapuche in Chile zeigte sich, dass diese
Arbeit sich lohnt, die indigenen Gemeinschaften
91
Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung
und Dörfer selbst wieder stärker an ihrer Sprache und
Kultur interessiert sind und die Anzahl der Sprecher
der Mapuche-Sprache Mapudungun sogar ansteigt.
Sprechen bedeutet in allen Gesellschaften ohnehin
viel mehr als nur funktionaler Informationsaustausch.
Sprechen ist Teil des sozialen Lebens, und findet hierin
eine eigene Bestimmung. Je größer die orale Tradition
eines Volkes ist, umso wichtiger wird die soziale Bedeutung, die das Sprechen bekommt. Sprachliche
Kommunikation transportiert Emotion und Affekt,
stellt soziales Gefüge her, wartet ab, versucht, erläutert, schlägt die Zeit tot, stellt Fragen, gibt soziale
Anerkennung, und ersetzt in diesem Sinne Zeitung
und Nachrichten, Rezeptbuch, Lexikon, Märchensammlung und Tagebuch.
9.6. Interkulturelle zweisprachige Bildung
in Grundschulen
Neben der Forderung nach ausreichend eigenem
Land ist die Forderung nach Bildungsangeboten in
der eigenen Sprache eine Jahrzehnte alte Forderung
indigener Völker und Organisationen in allen lateinamerikanischen Ländern.
Was ist damit gemeint? Zunächst einmal, dass indigene
Kinder, die vor allem in den ländlichen Gemeinden
bei Schuleintritt die Nationalsprache nicht beherrschen,
das Recht haben, in ihrer eigenen Sprache lesen und
schreiben zu lernen. Man kann nur das sinnvoll lesen,
was man auch versteht. Dafür muss die Sprache verschriftlicht sein und Schulbücher müssen in dieser
Sprache erstellt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer
müssen diese Sprache nicht nur sprechen, sondern
sie auch lesen, schreiben und vor allem unterrichten
können. Ein gar nicht so leichter Prozess! Die Nationalsprache wird zuerst mündlich erlernt. Meist ab der
dritten Klasse werden dann einzelne Fächer in der
Nationalsprache und andere in der indigenen Sprache
unterrichtet. In einigen Ländern, wie in Guatemala
endet der zweisprachige Unterricht nach der dritten
Klasse und wird nur in Spanisch fortgesetzt.
Bei den Mapuche in Chile und den Saraguros in
Ecuador hat diese Grundschulbildung aber auch den
Effekt gehabt, dass Mapudungun, bzw. Quichua
wieder belebt wurden und die Eltern selbst sich heute
mehr dafür interessieren.
Aber diese Bildung soll auch interkulturell sein, d. h.
den indigenen und den nicht-indigenen Kindern nicht
nur Kenntnisse und Werte aus der Nationalkultur
sondern ebenfalls aus der jeweils eigenen und den
anderen indigenen Kulturen vermitteln, und dabei
bei dem ansetzen, was die Kinder aus ihrem Umfeld
kennen.
In den Andenländern, wo es jeweils mehrere Millionen Sprecher von Quichua und Aymara gibt hat man
bereits viele Erfahrungen mit diesem Bildungsmodell
gemacht. Aber auch für einige der „kleineren Sprachen“ beispielsweise im Amazonastiefland wird zweisprachiger Unterricht für einige Völker umgesetzt.
Vereinzelt kann man auch in zwei Sprachen bis zum
Abitur lernen und mittlerweile sogar indigene Universitäten besuchen, in denen allerdings die meisten
Fächer in den Nationalsprachen unterrichtet werden.
Spanisch und Portugiesisch sind auch für die Indigenen Lateinamerikas die Sprachen, um sich untereinander zu verständigen.
Sollte es ein Recht auf Unterricht in der
Muttersprache geben? Warum ist das so wichtig?
Welche Vorteile hat Zweisprachigkeit in der
Schule? Welche Nachteile? Warum meint ihr,
gibt es so viel Widerstand gegen zweisprachige
Schulen in Lateinamerika? Welche Bezüge lassen
sich zur Situation der Migranten in der deutschen
Gesellschaft herstellen? Warum setzt sich eine
zweisprachige Schulausbildung bei uns nur
schleppend durch?
Schulmädchen in Guatemala
92
Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr
Regenwald
10. Natur und das
Verhältnis des Menschen
zu ihr
Die Weltbilder der indigenen Völker haben Auswirkungen auf die Weise, wie sie mit ihrer Umwelt
umgehen. Weltbilder stellen Regeln auf, an die die
Menschen sich halten müssen. Nehmen die Menschen der Natur etwas weg, so tun sie das nur behutsam und nicht ohne Mutter Erde („Pachamama“)
dafür zu danken. Eine intensive landwirtschaftliche
Monokultur, die mutwillige Verschmutzung der
Gewässer oder der sinnlose Mord an Tieren ist eher
Ausdruck der Ausbeutung, Unterordnung der
Umwelt und Maximierung von Gewinnen. Dieser
Umgang entspricht nicht den indigenen Konzepten,
die sich jedoch unter dem Nutzungsdruck auf die Ressourcen nicht ungebrochen durchhalten lassen.
Indigene Völker kennen traditionellerweise keine
individuellen Landrechte, sondern nur kollektive: das
Land gehört der Gemeinschaft. Die indigene Definition von Territorium steht dabei in einem ökologischen
und kulturellen Zusammenhang, der den traditionellen und gemeinschaftlichen Umgang der indigenen
Völker mit ihrem Land hervorhebt. Es ist der Ort, wo
die Ahnen begraben liegen, wo die Gottheiten und
Geister erscheinen, es ist das Land, das Nahrung hervorbringt und der Gemeinschaft ein Zuhause gibt.
Insbesondere auf Grund der fehlenden oder sehr späten Anerkennung kollektiver Landrechte durch die
lateinamerikanischen Nationalstaaten haben indigene
Völker diese Orientierung auf gemeinschaftlichen
Landbesitz nicht durchgehalten und akzeptieren mittlerweile auch individuellen Landbesitz, wenn es ihnen
so gelingt, ihre Landrechte umzusetzen.
Die Kultivierung von Land hat rituellen Charakter und
ist eng mit einem sakralen Umgang mit der Umwelt
verbunden. Die Erdoberfläche besitzt eine weibliche,
fruchtbare und spirituelle Kraft, oft entspricht Mutter
Erde einer besonderen weiblichen Gottheit. In den
Anden wird die neue Bewirtschaftung eines Feldes
nach der Brache mit einem Ritual für Pachamama, die
Mutter Erde, begonnen.
Ein westliches Konzept von Natur, das den Menschen
als Fremdkörper für die Natur beschreibt, ist einem
indigenen Weltbild fern. Daher stoßen europäische
Naturschutzmodelle auf Ablehnung, denn auch hier
liegt die Trennung von Mensch und Natur zu Grunde.
Gleichzeitig stellt diese Form des Naturschutzes den
Umgang der westlichen Industriegesellschaft mit der
Natur nicht generell in Frage, sondern isoliert und
schützt kleinere Gebiete. Eine Trennung in Bodenoberfläche und unterirdische Bodenschätze, wie sie
dem staatlichen Zugriff auf die Bodenschätze zu
Grunde liegt, entspricht den indigenen Konzepten
ebenso wenig.
Die Forderung nach „territorialer Selbstbestimmung“
der indigenen Organisationen bildet die Grundlage
für den eigenen Fortbestand und ist daher für indigene Völker eine Frage des Überlebens. Sie ist zugleich
die Forderung, das Verhältnis Mensch-GesellschaftNatur selbst und autonom bestimmen und gestalten
zu können.
10.1 Die Bedeutung traditionellen Wissens
indigener Völker über die biologische Vielfalt
Vom Stellenwert des indigenen Wissens
Auf die traditionellen Kenntnisse und Praktiken, die
indigene Gemeinschaften im Laufe von Generationen
über ihre lebendige Umwelt ausgebildet und fortentwickelt haben, will die internationale Staatengemeinschaft nicht verzichten, wenn sie nach Mitteln und
Wegen sucht, die bedrohte biologische Vielfalt unseres Planeten zu schützen und auf nachhaltige Weise
zu nutzen. Im Rahmen unterschiedlicher Übereinkommen, Programme und Unterorganisationen der
Vereinten Nationen wird über die Bedeutung dieses
Kaiman
93
Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr
Tukan
Wissens nachgedacht und mittlerweile mit Beteiligung
indigener Vertreter beraten. Man versucht, das Potential von überlieferten umweltverträglichen und naturnahen Nutzungsformen indigener Gemeinschaften zu
bestimmen. Es wird nach Maßnahmen gesucht, die
den Fortbestand dieses Wissens sichern. Man will den
wirtschaftlichen Wert des indigenen Heilpflanzenwissens bemessen und sucht nach Möglichkeiten, die
geistigen Eigentumsrechte der Inhaber dieses Wissens vor dem unlauteren Zugriff Dritter zu schützen.
Traditionelle Wissenssysteme, die gemessen an den
Standards wissenschaftlicher Forschung als nicht
exakt und kaum überprüfbar galten, erfahren dadurch
eine Aufwertung. Die Gründe dafür sind einsichtig,
die Folgen aber außerordentlich komplex. Dies liegt
daran, dass in jenen Weltregionen, die eine mannigfaltige Vielfalt an Arten und Ökosystemen ausgebildet
haben, auch eine große kulturelle Vielfalt zu verzeichnen ist. Dies trifft vor allem für die tropischen und
subtropischen Regionen zu, wo eine große biologische Diversität und eine Vielfalt indigener Kulturen
existieren. Es wird davon ausgegangen, dass über die
Hälfte aller Pflanzen- und Tierarten in den Tropischen
Regenwäldern beheimatet ist. In ähnlicher Weise
konzentriert sich hier eine Vielzahl menschlicher Kulturen, und zwar gerade auch indigene Völker unterschiedlicher Größe, Sprache und Kultur. Ihr besonderes Geschick liegt nicht, wie beispielsweise bei den
hochkulturlichen Völkern der Inka oder Maya des
amerikanischen Kontinents, in Architektur und Verwaltung, sondern im alltäglichen Umgang mit einem
empfindlichen Ökosystem. Es scheint also einen Zusammenhang, wenn nicht gar eine Wechselbeziehung
von biologischer und kultureller Vielfalt zu geben.
94
Wasserfall San Rafael, Ecuador
Amazonien – Das Miteinander von biologischer
und kultureller Vielfalt
Amazonien bietet sich als Beispiel an, um diesen Zusammenhang aufzuzeigen. Es umfasst rund sieben
Millionen km2 und stellt ganz zweifellos eines der
artenreichsten Gebiete unserer Erde dar. Beispielsweise sollen sich hier bis zu 700 Schmetterlingsarten
bei einer einstündigen Sammelaktion erfassen lassen.
Neun Anrainerstaaten haben sich das Amazonasbecken aufgeteilt. Vier von ihnen, Brasilien, Kolumbien, Ecuador und Peru, zählen zu den 12 Megadiversitätsländern der Erde, in welchen sich 70 Prozent
der weltweiten biologischen Vielfalt konzentrieren.
Amazonien ist das größte noch zusammenhängende
Regenwaldgebiet der Erde. Nach innen hin bildet es
jedoch keine in sich geschlossene Einheit, sondern
besteht aus einer Vielfalt unterschiedlicher Ökosysteme, die man sich wie einen Flickenteppich vorstellen
kann.
Hinsichtlich der indianischen Bewohner der Region
ergibt sich ein ähnliches Bild. In Amazonien leben
nach Angaben des 1984 gegründeten Dachverbandes
der Indianerorganisationen des Amazonasbeckens
COICA (Coordinadora de Organizaciones Indígenas
de la Cuenca Amazónica) 400 unterschiedliche indigene Völker, die zusammen rund 2,5 Millionen Men-
Brüllaffe
schen zählen. Vertrauenswürdige Angaben staatlicher
Stellen sind noch immer schwer zu bekommen.
Man trifft dabei auf kleine Ethnien, die wie die Matapi
im kolumbianischen Amazonasgebiet nur wenige
Hundert Personen zählen, oder große Völker wie die
Aguaruna, die am oberen Marañon in Peru leben und
Zehntausende umfassen. Zwischen diesen Völkern
bestehen einige Gemeinsamkeiten. Fast alle ergänzen
den Brandrodungsfeldbau mit Sammel- und Jagdtätigkeit oder auch Fischfang. Bitterer und süßer Maniok
(Manihot esculenta) sind weit verbreitet und in vielen
Sorten bekannt. Es handelt sich um eine der ersten
domestizierten Pflanzen Amazoniens, die seit 4000
bis 5000 Jahren von den indianischen Bewohnern der
Region angebaut wird. Das Volk der Desâna unterscheidet bis zu 40 Kultivare, bei den Tukano sollen
es 75 sein. Darüber hinaus ist Ayahuasca oder Yage
(Banisteriopsis caapi) unter den Medizinmännern
Amazoniens weit verbreitet. Neben solchen Gemeinsamkeiten überwiegen dennoch die Unterschiede in
den Sprachen, bei den Siedlungsmustern oder der
materiellen Kultur. Zwar haben Sprachwissenschaftler
und Völkerkundler die rund 400 indigenen Völker
Amazoniens in vier große Kulturareale und ebenso
viele Sprachfamilien eingeteilt, doch sind selbst bei
verwandten Ethnien die Unterschiede so groß, dass
sie als unterschiedliche Völker anzusehen sind. Diese
ethnische Vielfalt darf nicht mit der Multikulturalität
modernen Großstadtlebens oder dem europäischen
Regionalismus mit seinen Dialekten und kulinarischen Spezialitäten verwechselt werden, auch wenn
dies natürlich ebenfalls ein Ausdruck kultureller
Diversität darstellt. Man hat es hier vielmehr mit
Völkern zu tun, die trotz aller Unterschiede dasselbe
Schicksal teilten, nachdem sie erst einmal unter europäische Kontrolle gelangt waren ...
Solange diese Völker einen Lebensstil pflegten, der
noch nicht von Straßenbau, Bergbau, Erdölförderung
oder Plantagen- und Viehwirtschaft in Mitleidenschaft
gezogen war, blieb ihren Territorien eine reiche biologische Vielfalt erhalten. Man mag darüber streiten, ob
es sich hier um eine Anpassung an die vorgefundene
Umwelt handelt oder um eine gezielte Naturgestaltung zum Nutzen der lokalen Biodiversität. „Je komplexer ein Ökosystem, je ärmer die Böden, um so größer muss (in jedem Fall, d. V.) das Wissen sein, um
einen Eingriff so zu gestalten, dass der Nährstoffkreislauf nicht unterbrochen, die Regeneration der Flora
und Fauna nicht unterhöhlt wird“ (Müller-Plantenberg 1988). Indigenenorganisationen wie die oben
erwähnte COICA verstehen die indianischen Völker
als „Hüter„ der biologischen Reichtümer auf ihren
Territorien, weil sie „durch die Anwendung ihres
traditionellen Wissens die harmonische Beziehung
Mensch–Natur zu erhalten wussten“ (Klima-Bündnis/Alianza del Clima e.V. & COICA 2000). Neben
der Tatsache, dass ihre vorsichtigen Eingriffe und
Entnahmen von Pflanzen und Tieren die biologische
Vielfalt innerhalb eines Ökosystems vielleicht sogar
gefördert haben, sollte auch die Bedeutung indigener
und lokaler Gemeinschaften für die weltweite Ernährungssicherung nicht unerwähnt bleiben. Durch die
jahrhundertelange Nutzung, die mit gezielter Auslese
und Anpassung an die jeweiligen Standortbedingungen verbunden war, haben lokale Gemeinschaften
weltweit eine riesige Vielfalt auch innerhalb einzelner
Arten geschaffen. Heute stammen rund zwei Drittel
der Weltbevölkerung von Nahrungsmitteln ab, die in
irgendeiner Weise auf traditionelles Wissen zurückgehen ...
Muster dieser Nutzpflanzen sind zwar mittlerweile
in Genbanken eingelagert, doch muss die moderne
Züchtung auf diesen ursprünglich von indigenen
und lokalen Gemeinschaften geschaffenen Genpool
zurückgreifen, um Sorten weiterzuentwickeln oder
Resistenzzüchtungen gegen Krankheiten und Schädlingsbefall vorzunehmen ...
Mittlerweile ist jedoch in den Gebieten der indigenen
Völker die biologische Vielfalt in Gefahr. Es ist beispielsweise bekannt, dass in den Tropischen Regenwäldern eine große Zahl von Pflanzen und Tieren
durch die Zerstörung des Lebensraums bedroht ist.
Darüber hinaus sind die Folgen des vom Menschen
verursachten Klimawandels auf die biologische Vielfalt noch nicht abzusehen. Es wird angenommen, dass
in 25 Jahren von den heute geschätzten 12,5 Millionen
Arten (die meisten davon Insekten) 1,5 Millionen ausgestorben sein werden, wenn sich der Artenschwund
ungehindert fortsetzt.
Die Dringlichkeit, der weltweiten Gefährdung der Biodiversität Einhalt zu gebieten, verbietet es, die traditionellen Kenntnisse und Praktiken jener Gemeinschaf-
95
Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr
ten außer Acht zu lassen, die über Generationen hinweg mit dieser Biodiversität nachhaltig umgingen.
So sieht es jedenfalls das „Übereinkommen über die
biologische Vielfalt“, das 1992 auf „Konferenz der
Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung“ in
Rio de Janeiro unterzeichnet wurde. Es beabsichtigt,
den Schutz mit der umsichtigen Nutzung der biologischen Vielfalt zu verbinden und stellt den Ländern
des Südens für die Bereitstellung von biologischen
Ressourcen einen Ausgleich in Aussicht.
Traditionelles Wissen in der Biodiversitätskonvention
Dieses Übereinkommen, das oft auch kurz „Biodiversitätskonvention“ genannt wird, hat traditionell lebende
indigene und lokale Gemeinschaften aufgrund ihres
umweltverträglichen Lebensstils als Partner bei dem
Bemühen identifiziert, die biologische Vielfalt zu
schützen und in einer nachhaltigen Weise zu nutzen.
Es wird in der Präambel des Übereinkommens sowie
in vier weiteren Artikeln auf indigene und lokale Gemeinschaften sowie ihr traditionelles Wissen Bezug
genommen. Die Bestimmungen zu „traditionellem
Wissen“ stehen zwar nicht im Mittelpunkt der Biodiversitätskonvention, haben aber seit deren Inkrafttreten im Jahre 1993 eine bemerkenswerte Diskussion
in Gang gesetzt.
Die wichtigste Bestimmung findet sich im Artikel 8,
bei dem es ganz allgemein darum geht, für den
Schutz der biologischen Vielfalt an ihrem natürlichen
Standort, also „in-situ“, Sorge zu tragen. Dieser Artikel nimmt unter dem Abschnitt j besonderen Bezug
auf dieses Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften:
Paragraph 8j
„Jede Vertragspartei wird, soweit möglich und sofern
angebracht, ... im Rahmen ihrer innerstaatlichen
Rechtsvorschriften Kenntnisse, Innovationen und
Gebräuche eingeborener und ortsansässiger Gemeinschaften mit traditionellen Lebensformen, die für die
Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen
Vielfalt von Belang sind, achten, bewahren und erhalten, ihre breitere Anwendung mit Billigung und unter
Beteiligung der Träger dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche begünstigen und die gerechte Teilung der aus der Nutzung dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche entstehenden Vorteile fördern.“
96
Diese Berücksichtigung indigener und lokaler
Gemeinschaften ist in vielerlei Hinsicht als positiv
zu beurteilen, nicht zuletzt weil im Unterschied zu
herkömmlichen Schutzkonzepten die ortsansässige
Bevölkerung einbezogen wird. Dennoch hat diese
Bestimmung aus indigener Sicht einige Mängel,
und es ist keineswegs klar, wie die damit zusammenhängenden Probleme zu lösen sind.
So etwa steht die Bestimmung zum traditionellen
Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften im
Artikel 8, der, wie erwähnt, Schutzmaßnahmen am
natürlichen Standort behandelt. Die Konvention interessiert sich demnach vor allem für jene Aspekte des
traditionellen Wissens, die für den Schutz und die
nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt „vor
Ort“ wichtig sind. In den indianischen Kulturen
Amazoniens lässt sich aber das biodiversitätsrelevante
Wissen nur schwer aus seinem kulturellen Zusammenhang herauslösen. Als Beispiel seien die DesânaIndianer genannt, die ihre Kenntnisse über die jährlich wiederkehrenden Sternenkonstellationen nutzten,
um einen eigenen Wirtschaftskalender zu entwickeln.
An Sternbildern, die indianische Namen tragen, werden die Zeiten für das Roden und Anlegen der Pflanzungen, die Laichzeiten und Wanderungen der
Fische, das Reifen der Früchte und das Sammeln von
essbaren Tieren (z. B. Larven) abgelesen. Traditionelles biodiversitätsbezogenes Wissen steht hier in direktem Zusammenhang mit astronomischen Beobachtungen. Ein anderes Beispiel ist Curare, ein von Amazonasindianern aus u.a. Strychnos toxifera gewonnenes Pfeilgift. Seine Herstellung ist aber nicht einfach
ein technisches Verfahren. Sie ist vielmehr mit zeremoniellen Handlungen verbunden und erfolgt unter
strikter Geheimhaltung. Für die kommerzielle Nutzung durch Dritte sind
diese kulturellen Zusammenhänge unerheblich.
Die pharmazeutische
Industrie identifiziert
die für sie wichtigen
Aspekte dieses Wissens
und isoliert die interessanten Wirkstoffe.
Curare etwa wurde
Secoya Medizinmann zeigt
eine Ayahuasca-Pflanze
Jaguar
Zoé-Kinder mit wilder Papaya
wegen seiner lähmenden Wirkung in der modernen
Medizin als Mittel gegen Starrkrampf und in der
Narkosetechnik eingesetzt, bis es durch synthetische
Präparate ersetzt wurde. Beim traditionellen Wissen
der Indianer jedoch besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Pfeilgift und den Zeremonien
zu seiner Herstellung. Der Verlust des zeremoniellen
Wissens kann auch das ethnobotanische Wissen in
Mitleidenschaft ziehen.
In einer Metaphorik, die dem Indianischen nachempfunden zu sein scheint, empfiehlt ein bekannter
deutscher Völkerkundler deshalb alle jenen, die sich
für den ökologischen Lebensstil der Indianer interessieren, auch darauf zu achten, „wie diese Waldlandbauern mit ihrem Boden sprechen und von ihren
Bienen träumen – unabhängig vom ökologischen
Nutzen“ (Münzel 1991). Indianervertreter der COICA
hingegen haben sich wissenschaftliche Begriffe zu
eigen gemacht und sprechen vom „holistischen“
(ganzheitlichen) Charakter ihres Wissens, wenn sie
die gegenseitige Abhängigkeit von biodiversitätsrelevanten und anderen Wissensgebieten herausstellen.
Für das Überleben des traditionellen Wissens wird
es in jedem Fall wichtig sein, dass sein kultureller
Zusammenhang erhalten bleibt. Dabei kommt den
indianischen Sprachen eine wichtige Rolle zu, weil
Wissen immer an Sprache gebunden ist und der Verlust der indigenen Sprachen eine direkte Beeinträchtigung für das traditionelle Wissen darstellt.
Der Artikel 8(j) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt hat die Beachtung, Erhaltung und
Bewahrung des traditionellen Wissens zum Ziel. Wer
diese Bestimmung ernst nimmt, muss das traditionelle
Wissen und die übrige Kultur als Einheit begreifen
und die indigene Kultur als Ganzes schützen.
Eine andere Schwierigkeit des Artikels 8(j) ist eng mit
den völkerrechtlichen Neuerungen verknüpft, welche
die Biodiversitätskonvention eingeführt hat. Um die
Position der Entwicklungsländer zu stärken, wurde
diesen die Oberhoheit über die biologischen Ressourcen übertragen. Danach unterstehen alle Pflanzen,
Tiere, Ökosysteme und Bestandteile derselben, an
denen indigene Gemeinschaften ihre Kenntnisse
und Praktiken ausgebildet haben, der Oberhoheit der
jeweiligen Nationalstaaten. Welche Ansprüche nun
die indianischen Träger des traditionellen Wissens auf
die zugrunde liegende Biodiversität erheben können,
ist in der Konvention nicht festgelegt. Hier ist das
nationale Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten der
Konvention maßgebend. Nun gestehen zwar viele
Länder Lateinamerikas den indigenen Völkern Landrechte gemeinschaftlichen Zuschnitts zu, die Verfügungsgewalt über die Ressourcen jedoch, die sich
auf dem Land oder unter seiner Oberfläche befinden,
sind dem Staat vorbehalten.
Diese Frage hat für die Biodiversitätskonvention
besondere Brisanz erlangt. Die Anerkennung des Landes gehört zu den zentralen Forderungen der indigenen Organisationen und hat auch in der internationalen Diskussion eine hohe Priorität. In allen wichtigen
internationalen Übereinkommen und Dokumenten,
wie, um nur einige zu nennen, das Übereinkommen
Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
über indigene und in Stämmen lebende Völker aus
dem Jahre 1989 oder der Entwurf einer Erklärung der
Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker,
sind solche Landrechtsgarantien enthalten bzw. vorgesehen.
Die Biodiversitätskonvention steht vor dem Problem,
dass sie Bestimmungen zum traditionellen Wissen
indigener Völker zu einer Zeit völkerrechtlich definiert hat, als es diesen Völkern und ihren Vertretern
gelungen war, internationale Zustimmung für eine
ganze Reihe von Rechtsansprüchen zu finden. Seit
den achtziger Jahren beschäftigt sich die internationale Staatengemeinschaft unter dem Dach des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen mit
dem Status und den Rechten indigener Völker. Anlässlich der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien
wurde 1993 das Internationale Jahr der indigenen
Gemeinschaften der Erde ausgerufen und ein Jahr
darauf die Internationale Indigene Dekade (19952005). Der Anspruch auf Landrechte, Selbstbestimmung, Autonomie oder Mitsprache bei staatlichen
97
Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr
Der rote
Farbstoff
Rukú dient
den Zoé
nicht nur als
Schmuckfarbe
sondern auch
zum Schutz
gegen Insekten
Entscheidungen, die Folgen für indigene Völker
haben, stößt mittlerweile
auf immer breitere internationale Akzeptanz.
Die Vertreter dieser
Völker sehen nun nicht
ein, warum man hinter
Erreichtes zurückfallen
soll. So wird die Frage
der Anerkennung des
Landes, auf dem sich die
dem traditionellen Wissen zugrunde liegende Fauna
und Flora befindet, immer wieder an die Biodiversitätskonvention herangetragen, obgleich diese als Umweltübereinkommen für Landrechtsfragen kein Mandat hat. Dennoch wäre zu wünschen, dass die Konvention sich aufgrund ihrer entwicklungspolitischen Ziele
gehalten sähe, diesen Fragen nachzugehen.
Ein Teil der Vertreter der indigenen Gemeinschaften
begegnet jenen Zielen der Biodiversitätskonvention
mit Zurückhaltung, nach denen indigene Völker ihr
traditionelles Wissen mit Dritten teilen sollen, welche
es kommerziell nutzen und den ursprünglichen Inhabern dafür eine Entschädigung gewähren. Dies ist
eine klare Zielsetzung des Artikels 8 (j). Welche tatsächliche Nachfrage es seitens der kommerziellen
Nutzer am traditionellen Wissen indigener Völker
gibt, ist schwer zu ermitteln ...
Über den wirtschaftlichen Wert des traditionellen
Wissens gibt es zur Zeit nur sehr allgemeine Daten.
Es ist bekannt, dass rund 50 % der in Deutschland
gebräuchlichen Arzneimittel auf pflanzliche Wirkstoffe zurückgehen. Darunter finden sich auch solche, die
Kenntnisse indigener Gemeinschaften verwerten.
Was nun die kommerzielle Nutzung indigenen Wissens durch Dritte und die Gewährung einer Entschädigung angeht, sind zwei Optionen in der Diskussion.
Bei einer handelt es sich um Verträge zwischen indigenen Gemeinschaften und den an der kommerziellen Nutzung ihres Wissens interessierten Unternehmen. Die andere sucht nach Lösungen im Zusammenhang mit den vorhandenen Instrumenten der
geistigen Eigentumsrechte, wie Patentrechte, Autorenrechte oder Handelsmarken. Bei der Umsetzung des
Artikels 8(j) hat die Biodiversitätskonvention hier Prioritäten gesetzt. Die existierenden geistigen Eigentums-
98
rechte sollen zunächst daraufhin ausgewertet werden,
ob sie für den Schutz indigenen Wissens zweckmäßig
sind. Darüber hinaus soll über neue rechtliche Schutzinstrumente für dieses Wissen nachgedacht werden,
wofür existierende Modelle als Vorbild herangezogen
werden. Die Wünsche, die mit den vertraglichen Vereinbarungen verbunden sind, liegen auf der Hand.
Theoretisch könnten beide Seiten auf die Modalitäten
der Wissensbereitstellung und Gewinnbeteiligung
Einfluss zu nehmen bzw. diese Modalitäten auszuhandeln. Praktisch fehlen den meisten indigenen
Gemeinschaften dazu die Fachleute. Dennoch gibt es
bereits eine Reihe solcher Vereinbarungen. In Peru
wurde schon 1992 eine Vereinbarung zwischen dem
Rat der Aguaruna und Huambisa sowie der nordamerikanischen Shaman Pharmaceuticals unterzeichnet,
die sich von herkömmlichen Pharma-Unternehmen
zumindest dadurch unterscheidet, dass sie eine Stiftung unterhält, welche Maßnahmen zum Schutz der
biologischen Vielfalt ergreift. 1996 erfuhr man von
einem weiteren Liefervertrag über biologische Ressourcen mit anderen Teilen der Aguaruna-Indianer,
ohne dass die Details, wie meist in solchen Fällen,
publik wurden. Auch in Ecuador ist es zu Vereinbarungen zwischen indigenen Gemeinschaften und im
pharmazeutischen Bereich tätigen Unternehmen
gekommen. Man kann davon ausgehen, dass die
Industrie derartige bilaterale Vereinbarungen ohne
weitere Einmischung bevorzugt, während Indigenenund Nichtregierungsorganisationen klare und sogar
international verbindliche Regeln verlangen.
Gerade im Hinblick auf die bilateralen Verträge
erhebt sich die Frage, welche soziale Einheit auf
indigener Seite berechtigt sein sollte, einen Vorteilsausgleich für die Bereitstellung von traditionellem
Wissen an, sagen wir, ein pharmazeutisches Unternehmen auszuhandeln. Man wird dabei auf die
Sprachregelungen der Biodiversitätskonvention
zurückverwiesen. Dort ist von „indigenen und lokalen
Gemeinschaften“ die Rede. Die Väter der Biodiversitätskonvention sind nicht der Sprachregelung der
Übereinkunft Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über indigene und in Stämmen
lebende Völker gefolgt und haben nicht den Begriff
des „Volkes“ zugrunde gelegt, der nach der ILO-Konvention 169 zwar keine uneingeschränkte Souveränität bedeutet, wohl aber eine kollektive Einheit mit
Der Ozelot gehört zu den bedrohten Tierarten Amazoniens
Abholzung von Regenwald
einer Reihe von Rechten. Auch der Begriff „Bevölkerung“ wurde nicht verwendet, auf den stets zurückgegriffen wird, wenn solche Souveränitätsansprüche
zurückgewiesen werden sollen. Offensichtlich hoffte
man, diesen Disput von der Biodiversitätskonvention
fernzuhalten, indem man einen von der internationalen Debatte unvorbelasteten und von völkerrechtlichen Konnotationen freien Begriff wählte, nämlich
den der „Gemeinschaft“. Die „indigene oder lokale
Gemeinschaft“ lässt nun aber eher an eine örtliche
Gemeinde denken, die ihr Wissen unabhängig von
einer Nachbargemeide desselben Volkes, die dieses
Wissen ebenfalls besitzt, an Dritte weitergibt. In der
Tat ist es schon vorgekommen, wie im Fall der peruanischen Aguaruna-Indianer, dass ein bilateraler Vertrag mit Gemeinschaften eines indigenen Volkes
vereinbart und unterzeichnet wurde, von der andere
Gemeinschaften desselben Volkes nichts wussten und
nichts zu erwarten hatten, obwohl sie Teilhaber desselben kulturellen Wissens sind. Nochmals neue Probleme stellen sich bei Pflanzen, die von mehreren
Völkern genutzt werden. Man kann sich leicht vorstellen, dass derartige Unklarheiten der Akzeptanz
der einschlägigen Bestimmungen der Biodiversitätskonvention bei den indigenen Gemeinschaften nicht
förderlich sind. Eine Ablehnung solcher Verträge ist
nicht möglich, auch wenn immer wieder Stimmen
aus den Reihen der Indigenen laut werden, die ein
Moratorium für Bioprospektion verlangen, bis es eine
angemessene Regelung für den Schutz des geistigen
Eigentums am kollektiven Wissen indigener Gemeinschaften gibt.
Die zweite Option, nämlich Vorteile aus traditionellem indigenem Wissen zu erwirken, indem man
dieses Wissen dem Schutz des geistigen Eigentums
unterstellt, Patente anmeldet, Lizenzen vergibt und
daraus Vorteile zieht, weist andere Schwierigkeiten
auf. Die hohen Kosten, die Patenanmeldungen in der
Regel verursachen, und der Verwaltungsaufwand in
den jeweiligen Ländern ist dabei nur ein Problem.
Darüber hinaus ist es der Zuschnitt der konventionellen geistigen Eigentumsrechte, der für den Schutz
traditionellen Wissens nur bedingt tauglich ist. Patente
schützen nämlich nur für eine zeitlich begrenzte
Dauer die Möglichkeiten der kommerziellen Nutzung
einer individuellen Erfindung. Indigene Völker weisen
aber darauf hin, dass indigenes Wissen einen kollektiven und generationsübergreifenden Charakter besitzt,
der nicht in erster Linie kommerzielle Absichten verfolgt. Die Aufgabe des Übereinkommens über die biologische Vielfalt ist es deshalb zu prüfen, ob und wie
ein neues rechtliches Modell für den Schutz kollektiver
geistiger Eigentumsrechte geschaffen werden kann,
das indigenem Wissen angemessen ist. Minimalanforderung müsste sein, dass bei Patenten die Herkunft
der genetischen Ressourcen offengelegt wird und dass
die Verwendung traditionellen Wissens deklariert werden muss. Darüber hinaus müssten Vertreter indigener Gemeinschaften an den Verfahren zur Erteilung
geistiger Eigentumsrechte beteiligt werden. Sie müssten umfassend unterrichtet sein und Einspruchsrechte besitzen (Klima-Bündnis e. V. & COICA 2000).
Die Beurteilung der herkömmlichen geistigen Eigentumsrechte für den Schutz traditionellen Wissens
und die Entwicklung von Vorschlägen für ein neues
Schutzsystem für dieses Wissens beschäftigen zur
Zeit die „Weltorganisation für geistiges Eigentum“
(WIPO). Diese erhielt dazu von den Vertragsstaaten
der Biodiversitätskonvention den Auftrag. Sie hat im
Juli 2000 die Ergebnisse ihrer sogenannten „fact-finding“-Mission vor- und zur Diskussion gestellt. Diese
Mission hatte das Ziel, weltweit den Bedarf am Schutz
geistigen Eigentums für traditionelles Wissen zu
ermitteln.
Von der Biodiversitätskonvention wurde mittlerweile
eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Umsetzung des Artikel 8(j) weiter verhandelt. Diese Arbeitsgruppe, die erstmals im März 2000 im spanischen
Sevilla zusammentrat, ging daran, ein Arbeitsprogramm
zur Umsetzung des Artikels 8(j) zu entwickeln und
Prioritäten festzulegen. Dabei ist es den Indigenenorganisationen gelungen, ein großes Maß an Beteiligung
zu erwirken. Das „Internationale Indigenenforum zur
biologischen Vielfalt“ hat mittlerweile einen Beraterstatus bei der Biodiversitätskonvention erhalten.
Aus: Sacha Runa – Menschen im Regenwald,
Lioba Rossbach de Olmos
99
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Das unterschiedliche Verständnis vom Umgang mit
der Natur zwischen indigenen Weltanschauungen
einerseits und der Marktwirtschaft andererseits zeigt
sich zum Beispiel an der Frage der Erdölförderung in
der ecuadorianischen Amazonasregion.
„Offener Brief der Huaorani an die Regierung von
Alfredo Palacio, an die Einwohner von Ecuador und
an die Welt: Für die Selbstbestimmung der Huaorani
und gegen Petrobras in Block 31
Die Gemeinschaften der Huaorani-Nation lehnen
die Übereinkunft des ehemaligen Vorsitzenden der
ONHAE, Armando Boya, mit Petrobras ab, denn die
Gemeinschaften wurden nicht mit einbezogen und
die Übereinkunft repräsentiert nicht das, was wir
von unserer Zukunft erwarten. Kein Vertreter der
ONHAE hat das Recht, irgendwelche Übereinkünfte
mit irgendjemandem abzuschließen, ohne zuvor
unsere Gemeinschaften darüber zu informieren und
unsere freie Einwilligung zu haben.
Wir wollen keine weiteren Erdölunternehmen auf
unserem Gebiet oder im Yasuní Nationalpark. Wir
wollen nicht noch mehr Geld von den Unternehmen.
Unser Gebiet dehnte sich einst vom Fluss Curaray bis
zum Napo aus. Wir verloren unser Gebiet durch die
Ankunft der Missionare, die mit der Erdölindustrie
zusammenarbeiteten. Das Wenige, was uns jetzt noch
bleibt, wird nun von genau diesen Erdölunternehmen
aufgeteilt und verschmutzt.
Heute ist das jetzt von Petrobras besetzte Gebiet der
einzige Ort, der uns noch bleibt. Wir haben nichts mehr.
Deshalb möchten wir sie nicht in unserem Gebiet.
Was wird passieren, wenn unsere Kinder erwachsen
werden? Wo werden sie leben, wenn sie älter sind?
Unsere Flüsse sind ruhig und in den Wäldern finden
wir die Nahrung, Arzneien und anderen Dinge des
täglichen Bedarfs, die wir brauchen. Was wird passieren,
wenn die Erdölunternehmen das zerstört haben, was
uns noch geblieben ist?
In den Vereinbarungen, die wir mit anderen Unternehmen wie Repsol YPF unterzeichnet haben, haben
sich die Dinge schlecht für uns entwickelt. Unser gesamtes Vermögen wird von Unternehmen wie etwa
Entrix verwaltet, die sich daran bereichern. Sie verwenden unser Geld um uns zu entzweien. Sie schaffen
und erhalten ein System der Abhängigkeit, das das
Leben der Huaorani gefährdet.
Es ist 15 Jahre her, dass wir uns zu einer Nation zusammengeschlossen haben, aber die Unternehmen
sind gekommen, um uns wieder zu trennen. Nun
100
verlassen die Huaorani ihr Land um für die Unternehmen zu arbeiten. Und wir werden dabei ständig
ärmer. Die Huaorani kaufen Alkohol von dem Geld,
das sie von den Erdölunternehmen verdienen, und sie
siedeln nach Puyo um. Andere haben sich am MaxusHighway angesiedelt; sie leben nicht mehr, wie wir
zuvor gelebt haben. Sie kaufen Waffen und verkaufen
Tiere, und deswegen gibt es keine Affen mehr; es gibt
nichts mehr zu essen. Sie gehen nach Coca und trinken Bier. Unsere Dschungel werden leer, und auf
diese Weise wird unsere Nation getötet.
Die Schuld an all dem tragen die Erdölunternehmen.
Die Gemeinschaften der Tagaeri und Taromenani
sind in Gefahr. Vor zwei Jahren wurden Mitglieder
dieser Gemeinschaften ermordet. Die Erdölindustrie
schafft ein Klima der Gewalt zwischen unseren
Gemeinschaften und zu den Nachbargemeinschaften,
und das sollte nicht zugelassen werden.
Andere Menschen kommen entlang all dieser Ölstraßen auf unser Gebiet. Sie fällen Bäume, um sie
zu verkaufen, und sie jagen auch die Tiere des Waldes.
Es gibt niemanden, der das kontrolliert. Wir sind nur
sehr wenige. Wir sind darauf angewiesen, dass sie
uns respektieren, damit wir nicht verschwinden.
Wir müssen uns mit unseren indigenen Brüdern des
gesamten Amazonasgebiets vereinigen. Wir dürfen
nicht gegeneinander kämpfen. Nur gemeinsam werden wir in der Lage sein, uns zu verteidigen, aber wir
müssen dafür sorgen, dass niemand mehr in unser
Gebiet kommt.
Wie viel Geld gibt Repsol YPF im Namen der Huaorani
aus? Was wird geschehen, wenn diese Vereinbarung
endet? Wir möchten sie nicht verlängern. Wir haben
davon überhaupt nicht profitiert.
Diejenigen, die für das Verhältnis zu den Gemeinschaften verantwortlich sind, dringen ohne unsere
Erlaubnis in unsere Gemeinschaften ein. Sie schaffen
viele Konflikte zwischen den Gemeinschaften. Sie sind
diejenigen, die uns an die Erdölunternehmen aushändigen. Das ist mit Milton Ortega passiert. Er darf das
Land der Huaorani nicht mehr betreten.
Wir wissen nun, was die Erdölunternehmen tun, wenn
sie unser Land betreten. Sie verunreinigen es, wie
Texaco und andere Erdölunternehmen es getan haben,
und nach den Erdölunternehmen kommen die Holzfäller. Wir können so nicht weitermachen.
Unsere Gemeinschaften sind diejenigen, die entscheiden müssen, wie wir unser Leben leben wollen.
Wir möchten, dass die Entscheidungen in unseren
Gemeinschaften sich mehr auf die Mitwirkung der
Basis stützen, und dass unsere Ältesten an den Entscheidungen teilnehmen, die die weisesten Mitglieder
unserer Nation sind. Sie respektieren unsere Umgebung und unsere Bräuche. Unsere Rechte sind kollektiv. Wenn Entscheidungen das Leben der Huaorani
betreffen, müssen wir sie gemeinschaftlich treffen.
Im Yasuní Nationalpark leben viele Fremde, die mit
den Wissenschaftsstationen gekommen sind. Sie sind
Biologen, Anthropologen und andere Wissenschaftler,
und sie bringen uns überhaupt keine Vorteile. Zuvor
gehörte unser Gebiet uns selbst. Nun ist es ein Nationalpark und Huaorani-Gebiet, und alles ist in Blöcke
unterteilt. Wir verstehen das alles nicht. Wir möchten
unser gesamtes Gebiet verwalten. Wir möchten weiterhin als Huaorani leben.
Im Mai diesen Jahres besuchten zwei Repräsentanten
der Huaorani das Treffen des Permanenten Forums
für Indigenenangelegenheiten der Vereinten Nationen.
Dort unterrichteten wir die Welt von unseren Problemen mit den Erdölunternehmen und vom Leid anderer
Völker – Völker, die ins Nichts verschwinden. Wir
möchten ihnen nicht folgen.
Angesichts all dessen fordern wir:
1. Dass die Regierung von Ecuador umgehend ein
zehnjähriges Moratorium für die Suche und Förderung von Erdöl auf dem Gebiet der Indigenen
erlässt.
2. Dass die Regierung von Ecuador, der Internationale Währungsfonds IMF sowie die Weltbank sich
mit den Indigenen Ecuadors treffen, um über das
Moratorium sowie über den teilweisen Erlass der
Auslandsschulden Ecuadors zu sprechen.
3. Dass Lula da Silva, der Präsident Brasiliens, das
Unternehmen Petrobras aus dem Yasuní Nationalpark und dem Gebiet der Huaorani entfernt.
4. Dass eine Delegation der Regierung Ecuadors hierher kommt und sich ansieht, was die Erdölunternehmen im Yasuní Nationalpark und auf dem
Gebiet der Huaorani getan haben, so dass sie
selbst die Verschmutzung und die Auswirkungen
auf unser Gebiet sehen können.
5. Dass der Staat Ecuador seine Verpflichtung gegenüber den Huaorani erfüllt, was Ausbildung,
Gesundheitsvorsorge und andere grundlegend notwendige Dinge betrifft, so dass unsere Abhängigkeit von den Erdölunternehmen beendet wird.
6. Dass die Regierung Ecuadors den UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und Freiheit indigener Völker einlädt, Ecuador zu besuchen, so dass
dieser sich ein Bild von dem Leben indigener Völker in der heutigen Zeit machen kann.
7. Dass die Regierung Ecuadors das Gebiet der
Tagaeri- und Taromenani-Gemeinschaften unter
ihren besonderen Schutz stellt.
8. Dass die Regierung Ecuadors die Huaorani beim
Erhalt einer finanziellen Entschädigung für die
von Texaco und anderen Erdölunternehmen verursachten Umweltschäden und sozialen Probleme
unterstützt.
9. Dass die Regierung Ecuadors eine Untersuchung
von Entrix und anderen Organisationen einleitet,
welche Zahlungen im Namen der Huaorani erhalten.
10. Dass Milton Ortega und andere Sprecher von
Unternehmen und Regierung unser Gebiet verlassen.
11. Dass die Regierung Ecuadors andere Formen der
Energiegewinnung findet als Erdöl, die weder das
Leben der Menschen noch die Umwelt zerstören.
Wir laden alle indigenen Nationen in Ecuador, in
der Amazonasregion und auf der gesamten Welt ein,
sich uns anzuschließen. Wir laden auch die Umweltschützer, Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen dazu ein, sich uns in diesem Kampf um
unser Leben anzuschließen, damit unsere Kinder und
alle Lebewesen auf dieser Erde auf Dauer eine Zukunft
haben.
Organisation der Huaorani, 27. Juli 2005
(Quelle: www.pro-regenwald.de
Übersetzung: Pro REGENWALD, Petra Fischbäck)
weitere Informationen zu den Huaorani siehe auch:
www.huaorani.de
101
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Kleidung
11. Kleidung
Webende Maya-Frau aus Zinacantán, Mexiko
Gewebter Frauenumhang
aus Zinacantán, Mexiko
Kleidung ist ein wichtiger Ausdruck der Identität. Über die Kleidung
wird auch bei uns die
Zugehörigkeit zu einer
Gruppe oder zu einer
bestimmten sozialen
Schicht ausgedrückt.
Für viele indigene Völker
ist die Kleidung Bestandteil ihrer Kultur und
sogar ihrer Weltanschauung. Verdeutlicht wird
dies im Folgenden am
Beispiel der Textilkunst
der Maya.
Textilkunst der Maya
Die viel bewunderte Textilkunst der Maya-Indianer hat
zwar eine lange Tradition, die Bedeutung dieser Kunst
und ihre Verwendung unterliegen jedoch seit Jahrhunderten deutlichen Veränderungen. Zwar wird es hier
um die Textilkunst im Zusammenhang mit einer sich
wandelnden Bekleidung der Maya gehen, es bleibt aber
festzuhalten, dass vergleichbare Entwicklungen auch
anderswo in Lateinamerika und in anderen ethnischen
Zusammenhängen zu beobachten sind. Dies gilt sicher
nicht nur für den Textilbereich, sondern in ähnlicher
Weise auch für andere Bereiche künstlerischen Aus-
102
drucks wie z. B. die Herstellung und Verzierung von
rituellen und auch von alltäglichen Gebrauchsgegenständen (z. B. Körbe, Tongefäße) sowie die Bemalung
des eigenen Körpers.
Immer wieder wird betont, dass es sich bei der Textilherstellung der Maya-Indianer um eine Jahrtausende
alte Textilkunst handelt, die bis heute erhalten ist.
Gerne wird am Beispiel der Maya-Trachten in Mexiko
und Guatemala die Verbundenheit mit einer „uralten“
Tradition und Kunst verdeutlicht. Es entsteht der Eindruck, die Maya-Indianer lebten bis heute genauso
wie vor über 2000 Jahren. Nicht zuletzt sind es gerade
auch die oft bunten, gemusterten und fremdartigen
Trachten, die allein schon das äußere Erscheinungsbild verschiedener Ethnien weltweit für den europäischen Betrachter interessant erscheinen lassen. Daran
scheint sich seit der Eroberung Lateinamerikas durch
die Spanier vor über 500 Jahren nicht wirklich etwas
verändert zu haben.
Nicht immer waren die Maya-Frauen jedoch mit handgewebten Huipiles (Blusen) aus Baumwolle bekleidet:
Bevor die Spanier die von den Maya bewohnte Region
eroberten, waren es nämlich nur Göttinnen und besonders wohlhabende, in der hierarchischen Gesellschaft der Maya hoch stehende Frauen gewesen (z. B.
Königinnen), die solche wertvollen Huipiles tragen
durften. Erst nachdem die Spanier die Macht übernommen hatten, kam es nach und nach dazu, dass
alle Frauen sich mit einem Huipil bekleideten. Für
die christlichen Spanier waren die nackten Oberkörper
der Frauen untragbar gewesen, d.h. sie drängten die
indigenen Frauen und auch Männer durch Kleidervorschriften dazu, sich „anständig“, d. h. eher den
Vorstellungen der Spanier entsprechend, zu kleiden.
Für die Männer bedeutete dies, nicht mehr nur einen
Lendenschurz zu tragen, sondern darüber eine weite
Beinkleidung. Wer ein öffentliches Amt anstrebte,
hatte Schuhe, lange Hosen, Jackett und Hut zu tragen.
Das Rückengurtwebgerät, mit dem viele Jahre lang
besondere und weniger auffällige Huipiles gewebt
wurden und noch werden, hat sich seit vielen Jahrhunderten nicht wesentlich verändert: Es besteht aus
mehreren Stöcken, die letztendlich durch die mit
ihnen gespannte Webkette zum Rückengurtwebgerät
werden (s. Abbildung).
Rückengurtwebgerät (Skizze)
Die Weberin arbeitet meist kniend mit dem Gerät,
das sie mit Hilfe eines breiteren Gurtes um ihre Hüfte
herum an ihrem Körper befestigt hat – daher der Name
„Rücken-gurt-webgerät“. Der obere Teil des Gerätes
wird an einem Baum oder einem Hauspfosten befestigt. Das Gewebe entsteht dann durch regelmäßiges
Einführen des Schussfadens, das quer zur gespannten
Webkette stattfindet. Das Weben mit dem Rückengurtwebgerät ist zeitaufwändig: Für die Herstellung eines
Huipiles sind je nachdem, welche sonstigen Aufgaben
die Weberin hat, mehrere Wochen nötig. Allein die
Vorbereitung des Webgerätes ist langwierig: Der Faden
muss zur Erstellung der Webkette um ein besonderes
Gerät gewickelt und die Umwicklungen dabei gezählt
werden, dann wird das Ganze von dem Wickelgerät
abgenommen und die Webstangen in die Schlaufen
eingeschoben. Alle Fäden der bis zu 80 cm breiten
Webkette müssen sehr genau nebeneinander sortiert
werden, damit überhaupt gewebt werden kann, anschließend müssen Teile der Fäden auf den so genannten Fadenkamm aufgezogen werden. Erst dann kann
überhaupt mit dem Weben begonnen werden. Zur
Herstellung eines Huipiles werden nach dem Weben
zwei oder drei gewebte Streifen zusammen genäht.
Der Huipil ist also kein aus Stoff geschneidertes Kleidungsstück, sondern ein nicht zugeschnittener Überwurf mit einer rechteckigen Form, der durch Seitennähte zu einer Art Bluse wird.
Handelt es sich um ein Textil aus Schafwolle, so ist
die Vorbereitung deutlich aufwändiger: Die Schafe
müssen geschoren, die Wolle gewaschen und gezupft
und dann gekämmt und gesponnen werden, bevor die
Webkette vorbereitet werden kann. Die Webkette ist
breiter als bei Baumwolltextilien, weil die fertigen
Gewebe vor dem Zusammennähen zu einem Wollhuipil noch gewalkt werden, wodurch sie schrumpfen.
Beim Walken wird das Gewebe immer wieder aufgerollt und mit Wasser übergossen und mit den Händen
oder Füßen geknetet. Das Gewebe zieht sich zusammen und wird so besonders dicht und wasserabweisend, eine Eigenschaft, die im kühlen Hochland
zumal in der Regenzeit einen guten Schutz vor Regen
und Kälte bietet.
Besondere Aufmerksamkeit erregt die Technik des
Brokatwebens. Dabei wird ein gesonderter Zierfaden
zusätzlich zum Schussfaden in die Webkette eingeführt. So entstehen Muster, die zentrale Vorstellungen
der Maya über die Welt, die Götter, die Tiere und
Menschen widerspiegeln.
Der in der Brokattechnik gewebte Teil des Huipils,
der Teil um den Halsausschnitt, bedeckt die Schultern
sowie die Brüste und den oberen Rücken der Trägerin. Es heißt, dass das viereckige Brokatgewebe die
Welt der Maya darstelle, die Trägerin befindet sich
also im übertragenen Sinne im Zentrum der Mayawelt. Für die Maya-Indianer ist die Welt viereckig, sie
besteht aus drei Ebenen: erstens der Oberwelt mit
dem Gott des Wissens bzw. dem Himmelsvogel Itzamná, der über die Sonnenbahn wacht, zweitens der
Mittelwelt, die der Erdoberfläche entspricht und auf
der die Menschen leben, und drittens der Unterwelt,
in die Höhlen hinab führen und die das Reich der
Ahnen und Götter ist. Dieser dreigeteilte Kosmos wird
vom Weltenbaum zusammen gehalten, der sich in der
Mitte befindet. Der Erdoberfläche werden je nach
Himmelsrichtung vier verschiedene Farben zugeordnet, Farben, die sich auch im Brokatgewebe eines
Huipils wiederfinden: Rot (Osten), Gelb (Süden),
Schwarz (Westen) und Weiß (Norden).
Kleidung ist ein wesentlicher Bestandteil der Alltagskultur. Mit Kleidung drücken Menschen etwas aus
über ihre gesellschaftliche Position (z. B. ein Amt, das
sie „bekleiden“), ihre Gruppenzugehörigkeit (z. B. zu
einer bestimmten Ethnie), in unterschiedlichem
Maße über ihre persönlichen Vorlieben (z. B. Material,
103
Kleidung
Farbe, Ausgestaltung) und nicht zuletzt sind für
Insider meist die jeweiligen finanziellen Möglichkeiten des Trägers oder der Trägerin an der Kleidung
abzulesen.
Diskussion: Überlegt, welche unterschiedlichen
Kleidungsstile euch bekannt sind. Dabei könnt ihr
z. B. Uniformen berücksichtigen genauso wie eure
eigene Kleidung. Wer trägt was und warum? Was
will der Träger/die Trägerin mit der Kleidung ausdrücken?
Ebenso wie in Europa ist die jeweilige Botschaft nur
denjenigen verständlich, die die jeweilige „Sprache
dieser Kleidung“ kennen und zu verstehen wissen. So
bleibt ein mit vielen Mustern versehener Huipil (Bluse)
einer Maya-Indianerin für den europäischen Betrachter
einfach nur ein „buntes, farbenfrohes, interessant gemustertes, exotisches“ Kleidungsstück. Genau deshalb
erwerben die meisten Touristen es auch.
Innerhalb des direkten Lebensumfeldes einer Indianerin
oder eines Indianers spielt die mit der Kleidung transportierte Botschaft dagegen eine große Rolle. Deutlich
zu erkennen ist zunächst die Dorfzugehörigkeit, ein
Merkmal, das sich jedoch höchstwahrscheinlich erst
durch die Spanier entwickelte. Die Spanier wollten
nämlich die Indigenen an bestimmte Gegenden binden,
um so u. a. auch durch die unterschiedliche Kleidung
von Dorf zu Dorf deren Kontrolle zu erleichtern. Entsprechend trägt z. B. eine Maya-Frau aus San Juan
Chamula in Südmexiko, die zur Gruppe der TzotzilMaya gehört, einen schwarzen Wollrock mit rotem,
breitem Gürtel und eine einfarbige Bluse mit Stickerei
am Halsausschnitt und Borten an den Schultern und
Armen, während eine ebenfalls zur Gruppe der Tzotzil-Maya gehörende Frau aus dem Nachbardorf San
Lorenzo Zinacantán sich mit einem schwarzen Baumwollrock und einem weißen, im Kreuzstich auf Vorderund Rückenteil viel besticktem Huipil sowie einem Umhang mit Blumenstickerei bekleidet. Ebenso sind die
dazu gehörenden Männer ganz deutlich bezüglich
ihrer Dorfzugehörigkeit zu unterscheiden: Zwar verwenden vor allem jüngere Männer beider Dörfer auch
Blousonjacken bekannter Basketballmannschaften
sowie Jeans, Sportschuhe und Schirmmützen – trotzdem wird man nur bei den Männern aus Chamula
104
über einem Oberhemd westlichen Zuschnitts weiße
Überwürfe aus Schafwolle finden und nur bei den
Männern aus Zinacantán aus Baumwolle gewebte
Überwürfe mit aufgestickten Motiven in den Farben
Rot, Rosa, Violett, Grün und Schwarz.
Diese Kleidung muss nicht immer nur ein Hinweis
darauf sein, dass die so bekleidete Person in dem jeweiligen Dorf lebt. Vielmehr wird sie auch von Frauen
und Männern sowie Kindern getragen, die ihr Dorf
verlassen haben und in der Stadt San Cristóbal de Las
Casas, dem Zentrum der Hochlandregion von Chiapas/Südmexiko mit über 100.000 Einwohnern, leben.
Das heißt, dass die Kleidung allgemein die Herkunft
und Gruppenzugehörigkeit einer Person anzeigt.
Interessant ist der Kleidungswechsel im Falle einer
Heirat: Heiratet z. B. eine Frau aus irgendeinem
Hochlanddorf einen Mann aus Chamula, so wird sie
ihre bisherige, dorftypische Kleidung ablegen und die
für Chamula-Frauen übliche Kleidung übernehmen.
Eine weitere Botschaft, die mit der Kleidung übermittelt wird, ist die aktuelle gesellschaftliche Position. Zu
offiziellen Anlässen, und davon gibt es viele in Chamula,
zeichnen sich Amts- und Würdenträger wie z. B. der
Präsident einer Gemeinde, der Richter, die Polizisten
und andere durch eine besondere Bekleidung aus.
Anders als die Nicht-Würdenträger sind sie mit einem
großen, mit bunten herabhängenden Bändern verziertem Hut behütet, ein schwarzer Wollüberwurf wird
mit einem Ledergürtel ohne Schnalle zusammen gehalten, die Beine sind mit einer dreiviertellangen, weißen Baumwollhose bekleidet und, ebenso auffällig wie
der Hut, sind die so genannten Caites, Sandalen mit
einer bis zur Mitte der Waden reichenden Ferse. Bei
den Würdenträgerinnen, die vor allem im Zusammenhang mit religiösen Zeremonien in der Öffentlichkeit
auftreten, fallen eine wollene, bestickte Kopfbedeckung
sowie ein schwarzer Wollhuipil (Wollbluse) auf, der
von einer Kette mit vielen bunten Bändern begleitet
wird. Hinzu gehört ein Baumwollhuipil, der sich im
Schulter- und Brustbereich durch Brokatweberei in
Blau auszeichnet. Von zentraler Bedeutung ist auch
die Qualität der in diesen offiziellen Zusammenhängen
getragenen Kleidung: Die Oberfläche der Wolltextilien
ist besonders dicht und flauschig, d. h., dass möglichst
langhaarige und deshalb wertvollere Wolle zur Herstellung verwendet wird.
Detail – gewebter Frauenumhang
aus Zinacantán, Mexiko
Obwohl in den Augen von Außenstehenden, die
die „Sprache“ dieser Kleidung nicht beherrschen,
alle Chamula-Indianer im Hinblick auf die Kleidung
gleich auszusehen scheinen, gibt es persönliche
Vorlieben und je nach den persönlichen finanziellen
Möglichkeiten Unterschiede in der Bekleidung.
Nach traditionellen Vorstellungen erlernt jedes Mädchen die Webkunst. So sollte sie den Idealvorstellungen nach später, also als verheiratete Frau, die Bekleidung für alle Familienmitglieder herstellen. Es wird
gesagt, dass eine gute Weberin auch eine fleißige, verantwortungsvolle Frau sei – Eigenschaften, die sie für
einen zukünftigen Ehepartner interessant machen.
Gleichzeitig gibt es aber schon lange Ausnahmen von
dieser Regel: Bereits früher webten besonders befähigte Weberinnen die Huipiles in auffälliger Qualität für
die Heiligenfiguren in ihrer Dorfkirche. Inzwischen
fertigen Spezialistinnen im Sinne einer beruflichen
Spezialisierung Kleidungsstücke für Mitglieder derselben Ethnie in Auftragsarbeit an.
Teilweise werden mit dem Rückengurtwebgerät gewebte
Textilien für den indigenen Gebrauch auch in andere
Regionen Mexikos verkauft, nämlich an dort lebende
Maya, die das Weben selbst nicht mehr praktizieren.
Meistens tun sie dies nicht mehr, weil ihre ganztägige Arbeit an einem Verkaufsstand für Touristen
sie daran hindert, mit dem Rückengurtwebgerät zu
weben.
Textilkunst für Touristen
Inzwischen ist in Südmexiko seit den 1970er Jahren
die Herstellung von Textilien zum Verkauf an Touristen zu einer bedeutenden Einnahmequelle geworden: Zum Einen werden mit dem Rückengurtwebgerät wollene Überwürfe, Schulterschals und Westen
produziert, die nicht mehr viel mit den Textilien der
indigenen Weberinnen für den eigenen Gebrauch zu
tun haben (so genannte „Airport Art“); zum Anderen
werden aber auch hochwertige, handgearbeitet Textilien in indigenen Kooperativgeschäften an Touristen
verkauft.
Der Verkauf an Touristen hatte in Verbindung mit
anderen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Hochland von Chiapas nicht nur im
Hinblick auf die textilen Kunstwerke selbst Folgen,
sondern auch für die beteiligten Menschen und ihre
(Kleidungs-)Kultur bzw. Gesellschaft: Nicht jedes
indigene Mädchen erlernt heute die Webkunst; es ist
zu einer beruflichen und räumlichen Spezialisierung
gekommen, wobei die Produzentinnen meist in abgelegenen Orten die Händlerinnen in touristischen Zentren leben. Da viele indianische Familien nicht von
der Landwirtschaft leben können, sind immer mehr
Frauen auf den Verkauf von kunsthandwerklichen
Produkten an Touristen angewiesen, so dass sich die
Zahl der Anbieterinnen in der Region seit 1990 drastisch erhöht hat. Eine Folge davon ist, dass immer
mehr Frauen aus den Dörfern in andere touristische
Regionen abwandern.
Kleidung heute
Die Kleidung der Indigenen verändert sich heute
schneller als in den Jahrhunderten zuvor – sie unterliegt modischen Veränderungen, die durch ein entsprechendes Warenangebot auf Märkten und in Geschäften angeregt werden. Zu einem solchen Angebot
gehören hübsche Garne in neuen Farben, auch u. a.
Lurexgarne, genauso ein breiteres Angebot an verschieden farbigen Blusen, Produkte wie z. B. Schulterschals (Rebozos) aus anderen mexikanischen Regionen und nicht zuletzt jede Menge Altkleidung aus
Europa und den USA, die für wenig Geld auf den
Märkten zu kaufen ist.
Überlegt zuerst, was ihr mit euren Kleidern macht,
die ihr nicht mehr braucht oder haben wollt.
Schenkt ihr sie jemand anderem? Oder werft ihr
sie in den Altkleidercontainer?
Recherche: Informiert euch über das Thema
„Altkleider“ (z. B. im Internet bei „Südwind“,
oder bei der Kommunalverwaltung oder caritativen
Einrichtungen, die Altkleidersammelcontainer
aufstellen). Wer sammelt Altkleider? Was passiert
mit den Altkleidern, wenn sie aus dem Container
kommen? In welche Länder werden sie geschickt?
Wer kauft sie dort?
Diskussion: Überlegt und diskutiert in der Klasse,
welche Folgen euer jeweiliger bisheriger Umgang
mit euren abgelegten Kleidern hat.
Welchen Umgang mit Altkleidern findet ihr
sinnvoll und gut?
105
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Hier siehst du zuerst ein Kosmos-Modell der Maya.
Weiter unten findest du zwei Fotos: Eines zeigt einen
Huipil aus San Andrés Larrraínzar, Chiapas, Mexiko;
ein weiteres ein Detail von diesem Huipil. Es heißt,
dass insbesondere ein handgewebter Zeremonialhuipil den Maya-Kosmos widerspiegelt.
Aufgabe:
Findest du die beschriebenen Tiere und Symbole auf
dem Ausschnitt des Huipils wieder? Verbinde jeweils
die Beschreibung/Zeichnung durch einen Strich mit
dem entsprechenden Motiv auf dem Huipil. Du
kannst diese Seite auch ausdrucken und die zueinander passenden Motive in Schwarz-Weiß in der Reihenfolge untereinander auf ein Blatt Papier aufkleben wie
sie auf dem Foto mit dem Huipil zu erkennen sind.
Abb.: Gefiederte Schlange bzw. Maisfeld (Quelle: Morris,
Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico
1986, S. 12)
Das Kosmos-Modell der Maya (Quelle: GEO -Epoche Nr. 15,
Gruner+Jahr, Hamburg, 2004, S. 74)
Huipil aus San Andrés Larraínzar, Chiapas/Mexiko
Huipil aus San
Andrés Larraínzar,
Chiapas/Mexiko
Abb.: Diamant (Quelle: Morris, Walter F. : A Millennium
of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 11)
Abb.: Unsere Ahnen, Vater und Mutter (Quelle: Morris,
Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico
1986, S. 13)
Abb.: Halber Diamant (Quelle: Morris, Walter F. :
A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 11)
Abb.: Heilige und Kröte (Quelle: Morris, Walter F. : A
Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 12)
106
Ernährung
12. Ernährung
Maya-Frau im Maisfeld
12.1. „Vom Boden in den Mund“ – Ernährung
im indigenen Lateinamerika
In den unterschiedlichen Regionen Lateinamerikas
sind verschiedene Nutzpflanzen seit langem bekannt.
So lassen sich Kulturpflanzen im mittelandinen Hochland seit etwa 6000 v.Chr. nachweisen. Mais wurde
in Mexiko bereits 5000 v. Chr. geerntet. Bis heute
spielen diese Pflanzen wie zum Beispiel Bohnen,
Kartoffeln und Maniok eine große Rolle in den indigenen Kulturen Süd- und Mittelamerikas. Mais ist das
Grundnahrungsmittel in Mittelamerika und Mexiko,
Maniok in den meisten Gebieten Amazoniens und
die Kartoffel im Andenhochland.
Aufgrund der zentralen Bedeutung einzelner Pflanzen
als Nahrungsgrundlage haben die meisten indigenen
Gruppen eine enge Beziehung zur jeweiligen Pflanze.
Es gibt Geschichten über das Verhältnis von Mensch
und Pflanze. In einigen Völkern wird die Entstehung
der Menschheit direkt mit einzelnen Pflanzen in Verbindung gebracht. Die Pflanzen haben nicht selten
einen wichtigen Platz in den jeweiligen Glaubensvorstellungen der Menschen, für die sie überlebenswichtig ist.
Die Produktion der Nahrung nimmt einen bedeutenden Platz im Alltag Indigener in Süd- und Mittelamerika ein. An erster Stelle steht die erfolgreiche Pflanzenproduktion, der Anbau und die Ernte. Zum Bestellen der Äcker wird das Brandrodungssystem genutzt.
Die Fläche wird zu Beginn der Trockenzeit gerodet
und bleibt die Trockenzeit über auf dem Feld liegen.
Vor Beginn der Regenzeit und der Aussaat wird die
getrocknete Vegetation abgebrannt. Die Asche dient
als Dünger. Eine genaue Kenntnis der Abfolge von
Trocken- und Regenzeit ist notwendig, um den richtigen Zeitpunkt für das Roden, Brennen und Säen zu
bestimmen. Der Boden laugt relativ schnell aus. Meist
können die Äcker nur zwei bis vier Jahre genutzt werden, danach muss eine längere Brache folgen. Das
Brandrodungssystem kann also nur funktionieren,
wenn genügend Land für den Ackerbau zur Verfügung steht.
Die Zubereitung der Nahrung und die Nahrungsaufnahme in der Gruppe nehmen viel Zeit im Tagesablauf ein. Bei der Zubereitung werden besondere
Geräte und Techniken verwendet, die bei uns nicht
bekannt sind. So werden bei den Wayana in Brasilien
Maniokpressen aus Korbwaren verwendet, um den
giftigen Saft des Maniok zu entfernen. Außerdem gibt
es eine bestimmte „Kultur der Nahrungszubereitung“,
es gibt Regelungen, wer die Nahrung wann, wie und
für wen zubereitet. Zur Zubereitung der Mahlzeiten
für ein Fest wird gemeinsam gearbeitet. Die Yanomami im Amazonasgebiet reiben zum Beispiel gemeinsam den Maniok für die Festtagssuppe an einem ausgehöhlten Baumstamm.
Die Suruahá entgiften zerriebenen Maniok
in riesigen Körben im Fluss
107
Ernährung
Ebenso ist die Nahrungsaufnahme geregelt: Wo und
wie wird gegessen und, ganz wichtig, mit wem? Die
Nahrungsaufnahme ist in vielen indigenen Kulturen
ein wichtiger „sozialer Event“. Die Rollenverteilung
bei der Nahrungsaufnahme lässt Rückschlüsse auf
bestehende soziale Beziehungen zu.
Natürlich sind indigene Kulturen in vielen Fällen nicht
gänzlich unberührt von so genannten „modernen“
Einflüssen. Dies gilt auch für die Ernährung. Lebensumstände verändern sich, beispielsweise durch Arbeitskontakte oder Umzug in die Stadt. In der Stadt
ist die Familie oft nicht mehr vollständig und die
Rollenverteilung bei der Zubereitung der Mahlzeiten
verlagern sich. Ernährungs- und damit verbundene
Gewohnheiten verändern sich teilweise in rasantem
Tempo. Auch spielen weltweite wirtschaftliche
Zusammenhänge eine Rolle. Hierzu gehören der
Import und Export von Grundnahrungsmitteln ebenso wie der Einfluss des Tourismus auf indigene Kulturen.
Um eine konkrete Vorstellung zu den bisher aufgeführten Aspekten zum Thema „Essen“ bei indigenen
Gruppen in Lateinamerika zu bekommen, werden
diese im Folgenden am Beispiel der Maya-Indianer
in Südmexiko erläutert. Dies bietet sich an, weil Mais
das Grundnahrungsmittel in Mexiko und gleichzeitig
auch hierzulande gut bekannt ist. Dies ermöglicht
einen Vergleich, der über die Pflanzenanalyse bzw.
Daten und Fakten zur Ernährungslage weit hinaus-
Maiskolben auf dem Markt
108
geht. Angeregt wird ein „Blick über den eigenen
Tellerrand“ auf die eigene und die „fremde“ Esskultur
mit ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten.
Hintergründe werden erkennbar und die Analyse von
Zusammenhängen zwischen Nahrung/Essen und
sonstigen kulturellen Bereichen (z. B. soziale Beziehungen und materieller Kultur) werden gefördert.
12.2. Mais
„Du bist, was du isst“ ist ein Ausspruch, der hierzulande modern geworden ist. Auch in Lateinamerika
ist der Zusammenhang zwischen „Menschsein“ und
Ernährung nicht unbekannt. Die Ursprungsmythen
der Maya-Indianer in Mexiko beschreiben, wie die
Maya aus der Maispflanze heraus entstanden sind.
Bis heute bezeichnen sich die Maya auch als „Maismenschen“. Der Maisgott Hun Hunahpu spielt im
Glauben der Maya eine wichtige Rolle.
Mais ist eine in Lateinamerika seit langem bekannte
Kulturpflanze. Zusammen mit Bohnen und Kürbissen gehört der Mais zu den ersten Feldfrüchten, die
die Bewohner Mesoamerikas anbauten. Bereits 5000
v.Chr. wurde im heutigen Mexiko Mais geerntet. Er ist
bis heute das Grundnahrungsmittel in Mexiko, insbesondere für die indigene Bevölkerung.
Die Vielfalt der Maiszubereitung
Die zentrale Bedeutung von Mais, auch bei der nichtindigenen Bevölkerung, zeigt sich in der Vielfalt an
Speisen, deren Grundlage Mais ist. Hier einige Beispiele: Maisfladen, Tortillas genannt, werden fast zu
jeder Mahlzeit gegessen. Ein nahrhaftes Getränk aus
Maismasse ist die Atole, die auch mit Kakao zu verfeinern ist – ein über dem Feuer gerösteter oder in
Wasser gekochter Maiskolben wird mit Chili und
Mayonnaise bestrichen und mit Limettensaft beträufelt zu einer köstlichen Zwischenmahlzeit für unterwegs. 60 % der täglichen Kalorienmenge deckt ein
Maya im Durchschnitt durch Maisfladen ab.
An Festtagen gibt es etwas Besonderes zu essen:
Gemüsesuppe mit Hühnerfleisch und seltener auch
Rindfleisch, außerdem Tamales, eine weitere Maisspezialität. Tamales bestehen aus Maisteig, der z. B.
mit Bohnen oder Rindfleisch durchmengt und zu
einer länglichen Kugel geformt wurde, um dann in
Bananenblättern in Wasser gekocht zu werden.
Vor dem Essen werden die Tamales ausgewickelt,
die Blätter werden nicht mitgegessen.
Die Tortilla
Rund um die Tortillas rankt sich eine entsprechende
Koch- und Esskultur. Besonders in ländlichen Regionen stellen die Frauen den Maisteig für die Tortillas
selbst her. Sie lösen zunächst die Maiskörner vom
Kolben und weichen die Körner in Wasser mit Kalk
oder Herdasche über Nacht ein. Frühmorgens im
Morgengrauen sind es die Frauen, die als erste aufstehen, um frische Tortillas für die ganze Familie zu
backen. Sie gießen zuerst das Wasser von den eingeweichten Maiskörnern ab. Dann mahlen die Frauen
auf dem Boden kniend den gekochten Mais auf dem
„Metate“, einem steinernen Mahltisch, mit einer
Handwalze, dem „Mano“. Dazu wird immer ein
wenig gekochte Maismasse auf den Stein gegeben,
der „Mano“ zwischen beide Hände genommen und
die Masse immer feiner gemahlen.
Aus der Masse werden flache, runde Fladen, die
Tortilla, geformt, die dann zum Backen auf den so
genannten „Comal“, einer großen auf dem offenen
Feuer liegenden Platte aus Ton oder Blech gelegt wird.
Jede Tortilla muss nach kurzer Zeit gewendet werden
damit sie von beiden Seiten gebacken wird. Bläht sie
sich auf, ist sie fertig. Anschließend wird sie in eine
Kalebasse, eine birnenartig geformte, größere kürbisartige Frucht des Kalebassenbaums, gelegt. In der
Kalebasse, die mit einem Deckel zugedeckt wird, bleiben die Tortillas warm, bis sie nach und nach von der
Familie gegessen werden. Die frischen, noch warmen
Tortillas werden einfach mit etwas Salz und Chili oder
auch mit Bohnenmus bestrichen gegessen.
Es gibt bestenfalls einen etwa 30 cm hohen Tisch für
alle, auf dem die Kalebasse mit den Tortillas steht, ein
Näpfchen mit Salz sowie eine Schale mit Bohnenmus
oder Suppe und, nicht zu vergessen, einige auf dem
Tisch liegende, kleine, rote Chilischoten. Jeder bedient
sich mit den Fingern, die natürlich zuvor gewaschen
wurden, wer etwas Bohnensuppe möchte, trinkt direkt
aus der Schale. Das Essen aus einer Schale verdeutlicht die enge Beziehung der Familienmitglieder zueinander, entsprechend wird auch nicht jeder beliebige
Fremde zum Essen eingeladen.
Auch bei uns war es in einigen Regionen bis vor
kurzem durchaus üblich, aus einem Topf gemeinsam zu essen. Wie haben sich bei uns die Essgewohnheiten entwickelt und was sagen sie über das
Verhältnis der Menschen zueinander aus?
Zwei Mahlzeiten am Tag werden von den Familienmitgliedern gemeinsam eingenommen: das Frühstück im Morgengrauen und eine weitere Mahlzeit
am späten Nachmittag. Vor allem die zweite Mahlzeit
wird für gemeinsame Gespräche genutzt. Am Feuer
sitzend wird Neues vom Tage ausgetauscht, Probleme
besprochen oder einfach das Beisammensein genossen. Bereits gegen 19 Uhr wird es dunkel, und da
viele Haushalte nicht mit Elektrizität ausgestattet sind
und der neue Tag mit dem Morgengrauen gegen fünf
Uhr beginnt, bildet die Mahlzeit am späten Nachmittag einen angemessenen Tagesabschluss. Der soziale
Aspekt der gemeinsamen Nahrungsaufnahme ist nicht
zu unterschätzen.
Mais und Bohnen bilden eine gesunde Ernährungsgrundlage. Sie sind viel nahrhafter als das Weizenmehl, das zunehmend Maismehl in den Städten verdrängt. Allerdings führt auch eine nur auf die beiden
Produkte beschränkte Nahrung zu Mangelerscheinungen und muss daher durch Ei und Hühnerfleisch
sowie Obst ergänzt werden.
Essen und Nahrung sind wesentliche Bestandteile
einer Kultur. Gewohnheiten in diesem Lebensbereich
sind ziemlich fest verankert. Auch wohlhabende indigene Familien, die sich eine gesündere und vielfältigere Ernährung finanziell leisten könnten, erweitern
ihre Ernährung kaum um Fleisch. Nur zu besonderen
Festtagen leisten sich wohlhabende Familien eine
Portion Rindfleisch für jedes Familienmitglied, dazu
gibt es Reis.
Der Anbau der Nahrungsmittel
Auf kleinen so genannten „Milpas“ bauen die Maya
neben Mais und Bohnen, Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln, Gurken und Kürbisse an. Bei der „Milpa“ handelt
es sich um ein für die Aussaat brandgerodetes Stück
Land. Ursprünglich war die Wirtschaft der Maya auf
109
Ernährung
Subsistenz ausgerichtet. Seit über 100 Jahren reicht
die Ernte allein aber nicht mehr, um eine Familie ausreichend zu versorgen.
In vielen Maya Dörfern steht den Bauern nicht mehr
genügend Land zur Verfügung und das Problem des
Landmangels wird immer größer. Schuld daran ist
die Erbfolge, die die Grundstücke unter den erbenden
Kindern zu gleich großen Teilen aufteilt, sowie die
ungerechte Landverteilung zwischen Großgrundbesitzern, die oft über riesige Plantagen verfügen, und
den Maya Gemeinden. So werden die Milpas immer
kleiner und reichen für die Versorgung der Familie
mit eigenen Nahrungsmitteln nicht mehr aus. Nahrungsmittel, auch Grundnahrungsmittel wie Mais und
Bohnen, müssen hinzu gekauft werden. Insgesamt ist
auch Hunger keine Seltenheit, wenn die Familie nicht
genügend Land und keine anderen ausreichenden Einnahmequellen, wie z. B. die Arbeit als Schreiner oder
der Verkauf von kunsthandwerklichen Produkten an
Touristen, zur Verfügung hat. Viele Bauern sind daher
gezwungen, als Tagelöhner auf den großen Plantagen
zu arbeiten.
Selbst Kleinbauern, die einen kleinen Überschuss
erwirtschaften, können diesen noch nicht einmal zu
Preisen verkaufen, die die Produktionskosten decken.
Mexiko wird „überflutet“ mit großen Mengen an aus
den USA importiertem Mais. Da der Mais in den USA
staatlich subventioniert wird, ist sein Preis niedriger
als der mexikanische.
keiten in den Dörfern und tragen so zu einer eher
ungesunden Ernährung bei.
Die Indigenen, die ihr Dorf und das Hochland verlassen haben, passen sich in der jeweiligen neuen
Umgebung in Bezug auf die Ernährung weitgehend
der übrigen mexikanischen Bevölkerung an. Arbeitsbedingt werden die warmen Mahlzeiten nicht selten
an einem Stand auf einem Markt eingenommen.
Dort gibt es weit mehr als nur Tortillas mit Salz,
Chili und Bohnen: Tacos (oft mit Fleisch gefüllte und
aufgerollte Tortillas), Quesadillas (mit Käse gefüllte
Tortillas), Reisgerichte mit Gemüse, gefüllte Paprikaschoten und vieles mehr umfasst das Angebot. Die
Tortillas, die bei keiner Mahlzeit fehlen dürfen, werden inzwischen in stadtnahen Gebieten und in den
Städten meist in der Tortilleria zum Kilopreis käuflich
erworben.
Die Lebensumstände wie Stadt oder Land, Arbeitszeiten etc. haben einen großen Einfluss auf die Ernährung. Ernährung verändert sich genauso wie die dazu
gehörige Esskultur.
Ein weiteres Problem ist die Bodenerosion, die durch
die Übernutzung der Böden und das Abholzen der
Wälder für Feuerholz im Laufe der letzten Jahrzehnte
zugenommen hat. Durch die früher übliche Haltung
von etwa 40 Schafe umfassende Herden zur Wollproduktion für das Weben von Textilien, ist es zu einer
Überweidung der Weideflächen gekommen.
Wandel der Esskultur
Im Allgemeinen lässt sich ein eher negativer Wandel
in der Ernährungsweise feststellen. Vor allem problematische Verhaltensweisen der nicht-indigenen Bevölkerung werden übernommen. Es gibt in jedem Dorf
Getränke wie Coca Cola, Fanta, Sprite u. a. zu kaufen,
dasselbe gilt für Chips, Dauerlutscher, Schokolade
und ähnliches. Auch Touristen verteilen oft Süßig-
110
Verschiedene Brotsorten auf dem Markt
12.3. Die Schöpfung der Menschen
Aus dem Popul Vuh
Im Popul Vuh wird die Schöpfung der Menschen
beschrieben. Das Popul Vuh ist ein Dokument der
K´iché- Maya (heutiges Guatemala) aus der frühen
Kolonialzeit, d.h. nach der Eroberung durch die
Spanier. Der Dominikanermönch Francisco Jiménez
übersetzte das Dokument etwa Ende des 17. Jahrhunderts und schrieb es in lateinischen Buchstaben
nieder.
Aufgabe: Lies den Text zur Schöpfung des
Menschen. Beantworte danach die unter dem
Text stehenden Fragen.
„Dies ist der Anfang der Menschwerdung,
der Entschluss zur Fleischwerdung.
Es sprachen Urahnin und Urahne, der Schöpfer und
Former, jene auch, die sich Tepeu und Gucumatz
nannten: „Schon will es Morgen werden. Lasset uns
das Werk der Schöpfung schön vollenden. Erscheinen
sollen, die uns erhalten und ernähren, die leuchtenden
Söhne des Lichts. Es erscheine der Mensch! Belebt sei
der Erde Antlitz!“ So sprachen sie.
an köstlicher Nahrung herrschte in jenem Ort, genannt Paxil und Cayalá.
Nahrungsmittel aller Art gab es. Die Tiere zeigten den
Weg.
Und indem sie die gelben und weißen Maiskolben
zerrieb, machte Ixmucané neun Getränke. Und dieser
Stoff verlieh Kraft und Fülle, und aus ihm schufen sie
die Kraft und die Stärke des Menschen. So taten sie,
die genannt werden Alóm, Caholóm, Tepeu und
Gucumatz.
Und sie überlegten weiterhin die Schöpfung und
Formung unserer ersten Mutter und unseres ersten
Vaters. Aus gelbem und weißem Mais machten sie
sein Fleisch. Aus Maisbrei machten sie die Arme und
Beine des Menschen. Einzig Maismasse trat in das
Fleisch unserer Ahnen, der vier Menschen, die
geschaffen wurden.
Dies sind die Namen der ersten Menschen, die geschaffen und geformt wurden: Waldjaguar, der erste.
Der zweite Nachtjaguar. Nachtherr war der dritte.
Und der vierte Mondjaguar. Dies sind die Namen
unserer Ahnen.“
Abb.: Hun Hunahpu, der Maisgott,
steigt aus der Erde (als Schildkröte
In Nacht und Dunkelheit kamen sie zusammen und
erwogen alles in ihrer Weisheit. Sie überlegten, suchten, bedachten und besprachen es. Und dann gelangten sie zur Einsicht. Sie fanden dann den Lebensstoff.
Die Erleuchtung kam ihnen, woraus des Menschen
Fleisch zu schaffen. Und wenig fehlte, dass Sonne,
Mond und Sterne über den Schöpfern und Formern
erschienen.
dargestellt) empor, so wie nach
Aus Pan Paxil und Pan Cayalá kamen die gelben und
weißen Maiskolben. Die Tiere aber, die ihnen den
Lebensstoff brachten, waren die Wildkatze, der Coyote,
der Papagei und der Rabe. Ihrer vier waren die Tiere,
die den gelben, den weißen Mais brachten. Von Pan
Paxil kamen sie und zeigten den Weg nach Paxil. So
fanden jene den Lebensstoff. Aus dem schufen sie,
formten sie des Menschen Fleisch. Wasser war das
Blut, in Menschenblut verwandelte es sich. So ging
der Mais durch der Erzeuger Werk in die Schöpfung ein.
„Man sagt, dass jene
erschaffen und geformt wurden, nicht Mutter hatten
sie, nicht Vater, doch nannte man sie Männer. Sie wurden nicht aus einem Weibe geboren, von Schöpfer und
Former wurden sie nicht erzeugt, auch nicht von
Alóm und Caholóm. Nur durch ein Wunder, durch
Zauber wurden sie geschaffen und geformt, von Tzakól, Bitól, Alóm, Caholóm, Tepeu und Gucumatz. Und
da sie wie Menschen aussahen, waren sie Menschen.
Sie sprachen, unterhielten sich, sahen und hörten, liefen
und ergriffen Dinge. Es waren gute und schöne
Menschen und ihr Körper war der des Mannes.
Und da erfüllte sie Freude, denn sie hatten ein wunderschönes Land voller Annehmlichkeiten gefunden,
mit einem Überfluss an gelbem und weißem Mais,
mit einem Überfluss auch von Paxtáte und Kakao,
voller unzähliger Früchte und voller Honig. Überfluss
jeder Ernte und nach jeder Aussaat
die Maispflanze aus der Erde
wächst.
(Quelle: Miller, Mary; Karl Taube:
An Illustrated Dictionary of The Gods
and Symbols of Ancient Mexico and
the Maya. London, 1993, S. 69)
Vernunft war ihnen gegeben. Sie schauten und sogleich sahen sie in die Ferne; sie erreichten, alles zu
sehen, alles zu kennen, was es in der Welt gibt.
111
Indigene Völker in Lateinamerika – Ernährung
Arbeitsmaterialien
Indigene Völker in Lateinamerika – Ernährung
Arbeitsmaterialien
Wenn sie schauten, sahen sie sogleich alles im Umkreis und ringsherum sahen sie die Kuppel des Himmels und das Innere der Erde.
Alle fernverborgenen Dinge sahen sie, ohne sich zu
bewegen. (...) Groß war ihre Weisheit. (...) Und sie
dankten darauf dem Schöpfer und dem Former.(...)
Bald kannten sie alles. (...) Aber der Schöpfer und der
Former hörten das nicht gerne: „Es ist nicht gut, was
unsere Geschöpfe, unsere Werke sagen. Alles wissen
sie, das Große und das Kleine.“ Also sprachen sie.
Und sie hielten neuerlich Rat mit den Erzeugern.
„Was sollen wir jetzt mit ihnen tun?“ „Daß sie nur das
Nahe sehen, nur ein wenig vom Antlitz der Erde.“ (...)
„Unterdrücken wir ein wenig ihre Wünsche, denn was
wir sehen, ist nicht gut. Sollen sie am Ende uns gleich
sein, die wir sie schufen, und die wir in weite Ferne
sehen, alles wissen und alles sehen?“
(...) und sogleich veränderten sie die Art ihrer Werke
und Geschöpfe.
Es warf das Herz des Himmels einen Schleier über die
Augen. Und sie trübten sich, wie wenn ein Hauch über
den Spiegel geht. Ihre Augen trübten sich: sie konnten
nur noch sehen, was nahe war, nur was klar war.
So wurden zerstört die Weisheit und alle Kenntnisse
der vier Menschen des Ursprungs und Anfangs.
So wurden geschaffen und geformt unsere Ahnen,
unsere Väter. Vom Herzen des Himmels, vom Herzen der Erde.“
(Quelle: Popul Vuh – Das Buch des Rates (aus dem
Quiché übertragen und erläutert von Wolfgang Cordan),
Köln 1987, S. 102-105)
Fragen zur Schöpfungsgeschichteim Popul Vuh:
1. Wer stellte erste Überlegungen zur Schaffung
des Menschen an?
2. Woraus schufen sie das Fleisch des Menschen?
3. Wer half ihnen dabei bzw. wer brachte das
Material dazu?
4. Woraus war das Blut des Menschen?
5. Wodurch erhielten die Menschen Kraft?
6. Wie viele Menschen erschufen sie?
7. Wie waren ihre Namen?
8. Was konnten und wussten die Menschen?
9. Begrüßten dies die Erschaffer der Menschen?
10. Was taten die Erzeuger der Menschen?
11. Kennst du Geschichten in deiner eigenen
Kultur, in denen ein Nahrungsmittel eine
wesentliche Rolle spielt?
112
Kochen in einem indigenen Maya-Haus in Südmexiko
und in Deutschland
Feuerstelle in einem Maya-Haus
Welche Gegenstände kannst du auf dem Foto
erkennen? Einige Hinweise dazu gibt dir der
einführende Text. Liste die Gegenstände in der
Tabelle auf und schreibe hinzu, welchem Zweck
sie dienen.
Dann überlege, welche vergleichbaren Gegenstände sich in der Küche bei dir zu Hause finden.
Migration
13. Migration
Indigene in Lateinamerika leben auch heute wenn
möglich in Regionen, die bereits von den Vorfahren
oder zumindest seit der Zeit der spanischen Eroberer
bewohnt wurden. Letztere hatten beispielsweise in
Mexiko Indigene in neu gegründeten Dörfern zwangsweise angesiedelt, um eine bessere Kontrolle über die
Eroberten ausüben zu können. In vielen Ländern
Lateinamerikas ist der Lebensraum indigener Völker
jedoch zunehmend bedroht. Urwaldregionen werden
von internationalen Firmen eingenommen, um an
Holz zu kommen, um nach Öl zu suchen oder auch
nach anderen Bodenschätzen wie z. B. Gold. Wieder
andere indigene Regionen und Dörfer werden von
einem Touristenstrom regelrecht „überflutet“. Obwohl
dies einigen Wohlstand in den Regionen vermuten
ließe, gehören Indigene häufig zu den Ärmsten der
Armen. Im Allgemeinen wird ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an solchen wirtschaftlichen Erfolgen
verwehrt bzw. sie sind in der Regel nicht oder nur am
Rande an Entscheidungsprozessen beteiligt.
Dass Menschen ihre Heimat verlassen, ist keine
Seltenheit und auch kein Phänomen der heutigen
Zeit. Weltweit waren es am Ende des 20. Jahrhunderts
etwa 22 Millionen Menschen, die aus ihrem Heimatland ausgewandert sind. So leben heute Europäer in
Südamerika und Südamerikaner in Europa. Aber auch
ein Umzug in eine andere Region innerhalb desselben
Landes ist ein Verlassen der vertrauten Umgebung, der
Heimat.
Obwohl es also Migration schon früher gegeben hat,
haben Migrationsbewegungen im Zeitalter der Globalisierung stark zugenommen, unterstützt durch den
technischen Fortschritt, der eine schnelle Überwindung räumlicher Distanzen möglich macht.
13.1. Was ist Migration?
Migration, auch Wanderung genannt, ist ein Prozess
„räumlicher Bewegung von Menschen (...). In der amtlichen Statistik bezeichnet W. (Wanderung, Migration)
den mit einem Umzug verbundenen Wechsel der
Hauptwohnung. Die W. wird unterteilt in Binnen-W.
(W. Innerhalb eines Gebietes) und Außen-W. (über
die Grenzen des Gebietes)...Die W. hat in den letzten
Jahrzehnten ständig zugenommen und spielt (...) eine
große Rolle“ (Quelle: Meyers großes Taschenlexikon,
Bd. 24, 1999, S. 238).
Häufig gibt es sehr interessante, oft aber auch traurige
Geschichten über das bewegte Leben eines Menschen
oder einer Familie zu erzählen, die ihre Heimat verlassen hat. Die Gründe für das Abwandern in eine
neue Umgebung, ein anderes Land sind verschieden:
Arbeitslosigkeit, Flucht vor Kriegen, Armut und Hunger, Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen und nicht zuletzt auch die Liebe zu einem Menschen aus einem anderen Land. Unterschieden werden
so genannte „Push“- und „Pull“-Faktoren (Druck- und
Sogfaktoren). Die „Push“-Faktoren sind solche, die eine
Abwanderung aus einer Region begründen; die „Pull“Faktoren sind solche, die eine andere Region als Zielgebiet interessant machen. Ein „Push“-Faktor ist z. B.
die Arbeitslosigkeit in der eigenen aktuellen Umgebung,
ein „Pull“-Faktor ist die Arbeitsmöglichkeit in einer
anderen Region.
Den verschiedenen Gründen für eine Migration
entsprechend verläuft der Migrationsprozess unterschiedlich. Einerseits ist ein direkter Wechsel möglich:
Jemand zieht von seinem Heimatland in ein anderes
Land, wo sie/er dann dauerhaft lebt. Andererseits
verlässt jemand seine Heimat, lebt einige Zeit in einer
anderen Region/einem anderen Land, verlässt dann
diese Region wieder, um in eine dritte abzuwandern
usw. Ebenso gibt es viele Fälle, in denen jemand für
eine Zeit woanders lebt und arbeitet, um danach wieder in seine Herkunftsregion zurück zu kehren. Es
handelt sich dabei um eine zeitlich begrenzte Migration. Migration ist also keine Einbahnstraße, eine Rückkehr in ein früheres Lebensumfeld ist möglich.
Besonders anziehend sind in Lateinamerika aber auch
anderswo auf der Welt die großen Städte: Im Jahr 2000
zogen 1.064.684 Menschen in den Großraum MexikoStadt (Bundesdistrikt und Bundesstaat Mexiko zusammen), um dort ihr Glück zu versuchen. Gleichzeitig
verließen in demselben Jahr insgesamt 368.565 Menschen die eher ländlichen Bundesstaaten Chiapas,
Guerrero und Oaxaca. Eine weitere Bewegung neben
der Landflucht ist die Migration in ein anderes Land.
So waren bereits 1990 offiziell 13,5 Millionen Einwohner der USA mexikanischer Abstammung. Diese Zahl
dürfte in Wirklichkeit deutlich höher sein, weil sich viele
Mexikaner illegal in den USA aufhalten und dort arbeiten.
113
Migration
13.2. Migration in Mexiko
Die Lebensbedingungen in ländlichen Regionen
Mexikos sind schwierig: Es gibt zu wenig landwirtschaftliche Fläche für Kleinbauern, und der Ertrag
der kleinen Felder reicht nicht einmal zum Überleben
der eigenen Familie So sind die indigenen Bauern
letztendlich gezwungen, die Landwirtschaft aufzugeben und sich anders ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Glücklichen unter ihnen finden in Mexiko
eine Arbeit z.B. auf dem Bau, als Gärtner oder als
Lastenträger auf dem Markt, in den USA als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder in der industriellen
Produktion. Die weniger Glücklichen leben auf der
Straße und versuchen durch den Straßenverkauf von
verschiedenen Produkten, wie z.B. Jeans, Feuerzeuge,
Süßigkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das
Leben in der Stadt ist meist schwierig, aber wer möchte schon gerne in sein Dorf zurückgehen und den
Misserfolg zugeben müssen. Auch scheint die Stadt in
vielen Fällen trotz harter Lebensbedingungen immer
noch besser als das Leben auf dem Land zu sein.
Bisher wurde in Wissenschaft und Politik meist davon
ausgegangen, dass es im Bereich der Arbeitsmigration
Männer sind, die ihre Heimat verlassen und ihre
Familien zunächst dort zurücklassen, um sie später
„nachzuholen“. So wurde es immer wieder in Lateinamerika und auch in Europa (Thema: „Gastarbeiter“
in Deutschland) beobachtet. Inzwischen wird aber zunehmend eine Migration von Frauen festgestellt. So
sind z.B. junge, verheiratete Türkinnen in den 1970er
Jahren nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten, oder auch Südamerikanerinnen, die in europäischen Ländern beispielsweise als Haushaltshilfe
hoffen, Geld zu verdienen. Auch indigene Frauen in
Mexiko ergreifen immer häufiger die Initiative und
wandern in andere, von ihrer Heimatregion weit entfernte mexikanische Regionen ab oder auch ins Nachbarland USA. Zunehmend thematisiert werden Arbeitsund Lebensbedingungen von Frauen, die ärmere Weltregionen in Asien und Lateinamerika verlassen, um in
Europa, den USA oder Kanada zu arbeiten.
Die Migration zeigt ihre Auswirkungen in allen Lebensbereichen der Betroffenen. Sie müssen sich sprachlich
zurecht finden, ihre Identität in einer neuen Umgebung neu definieren, Vorstellungen über Aufgaben
von Frauen und Männern sowie von einer bestimmten
114
Art von Familienleben entsprechen nicht mehr unbedingt der neuen Realität, hinzu kommen oft ein ungewohntes Klima, bisher nicht praktizierte Wohnweisen
und andere Bekleidung. Darüber hinaus müssen die
Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, neue soziale Netzwerke in einer bisher fremden Umgebung
aufbauen. Gleichzeitig suchen sowohl die Zurückgebliebenen als auch die Abgewanderten nach Möglichkeiten, den Kontakt zu ihrer Familie irgendwie zu
halten. Meist sind ihre Familien, auch die für das
lateinamerikanische Familienverständnis so wichtigen
Verwandten im Heimatdorf zurückgeblieben. Viele
Frauen, die nach Europa migrieren, um dort zu arbeiten, lassen ihre Kinder bei den Eltern oder anderen
Verwandten zurück. Sie sehen ihre Kinder kaum und
diese müssen ohne Mutter oder Eltern auskommen,
erhalten aber regelmäßig Geld vom abwesenden
Elternteil.
Die Beziehungen von Frauen und Männern zueinander
verändern sich nicht selten in einem neuen Lebensumfeld. Für beide ist die neue Umgebung ungewohnt,
beide müssen gleichermaßen Strategien entwickeln,
um sich zurecht zu finden. Die Paare sind in noch
größerem Maße aufeinander angewiesen als dies in
der dörflichen Umgebung der Fall war; andere Ansprechpartner z. B. aus der weitläufigen Verwandtschaft stehen nicht mehr zur Verfügung. Beide machen
neue Erfahrungen und erleben andere Lebensstile aus
nächster Nähe mit. Anders als sonst in indianischen
Familien üblich, besuchen kleinere Kinder bereits
einen Kindergarten und verbringen so viel Zeit außerhalb der Familie. Nicht nur die Beziehung zwischen
den Eltern, sondern auch die Eltern-Kind Beziehungen unterliegen einschneidenden Veränderungen im
Alltag.
Der Bereich der Kleidung ist ein weiterer wichtiger
Bereich, der Veränderungen im Zusammenhang mit
Migration unterliegt: Kleidung ist für jeden sichtbar
und macht Mitglieder indigener Gruppen auch in
einem städtischen Umfeld deutlich erkennbar. Viele
indigene Gruppen haben eine bestimmte Kleidung
und eine bestimmte Art, ihren Körper zu gestalten.
Indianer fallen z.B. in Südmexiko in einer größeren
Stadt auf, weil die indianischen Frauen gewickelte
Röcke tragen, oft selbst gewebte Huipiles (Blusen)
mit für den städtischen Betrachter ungewöhnlichen
Mustern und Farben, außerdem gehen sie oft barfuss
und tragen mit einem Tuch einen Säugling auf dem
Rücken. Anders als viele Stadtfrauen hat fast jede Indianerin im Hochland von Chiapas ihr Haar in zwei
lange Zöpfe geflochten, die auf dem Rücken mit einem
farbigen Band zusammen gehalten und verziert sind.
Auch, wenn die indianischen Männer seltener in ihrer
Tracht zu sehen sind, so fallen sie doch in ihrer westlichen Kleidung meist auf, weil sie die bekannten Kleidungsstücke (z. B. sportliche Blousons einer Basketballmannschaft) in für Europäer ungewöhnlicher Weise
mit anderen Kleidungsstücken kombinieren.
Ein verändertes Zugehörigkeitsgefühl und eine neue,
veränderte Identität entwickeln sich im Alltag außerhalb der früheren indigenen Dorfgemeinschaft. Die
zunehmende Orientierung am „westlichen“ Lebensstil
führen zur Loslösung von indianischen Werten und
Lebensweisen. Die Sprache verschiebt sich zugunsten
des Spanischen. Zwar wurde bereits in ihrem Dorf je
nach Anlass Spanisch und die indianische Sprache
Tzotzil gesprochen, allerdings war dort das Tzotzil
wichtiger. In der Stadt nun überwiegt Spanisch in
allen Gesprächssituationen außerhalb der eigenen
vier Wände.
Insgesamt durchleben Migranten einen Prozess der
Akkulturation. Sie müssen sich in einer neuen kulturellen Umgebung zurecht finden – ein Kulturwandel
findet statt. „Akkulturation“ ist eine Form von Kulturwandel, bei dem ein Angleich an eine als überlegen
angesehene Kultur (hier die westliche, städtische
Lebensweise) versucht wird. Wie oben dargestellt sind
indigene Zuwanderer, die z. B. aus ländlichen Gebieten
in eine Stadt ziehen, meist sehr aufgeschlossen für
so genannte „moderne“ Verhaltensweisen, die sie in
einem städtischen Umfeld beobachten können.
Trotzdem bleibt der Unterschied zwischen „nichtindianischer“ und „eher indianischer“ Bevölkerung
weitgehend erhalten.
115
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Die Maya-Indianerin Carolina erzählt:
„Ich heiße Carolina und bin 21 Jahre alt. Geboren bin
ich in San Juan Chamula, einem Dorf im Hochland von
Chiapas in Mexiko. Bis ich 13 Jahre alt war, habe ich mit
meiner Familie in der „Cabecera“ von Chamula gelebt,
d.h. im Zentrum der Gemeinde Chamula. Dort gibt es
eine Kirche, das Rathaus, mehrere kleine Geschäfte, einen
großen Marktplatz und einen Kunsthandwerksmarkt.
Der große Markt findet jeden Sonntag statt. Es gibt Tomaten, Kohl, Bohnen, Zwiebeln, Mangos, Ananas, Bananen
und anderes auf dem Markt zu kaufen, aber auch Wolle,
Strickjacken und Blusen sowie Spindeln zum Spinnen von
Garnen und Haarspangen.
Bis ich 17 Jahre alt war habe ich mit meinen Eltern und
meinen Geschwistern und teilweise deren Frauen zusammen gelebt. Ich habe drei ältere Schwestern und zwei
Brüder, einen jüngeren und einen älteren. Die beiden
ältesten Schwestern haben geheiratet und wohnen mit
ihren Ehemännern und Kindern auch in Chamula, mein
älterer Bruder wohnt mit seiner Frau und seinen Kindern
bei meinen Eltern.
Als ich klein war verbrachte, ich viel Zeit mit meiner
älteren Schwester. Wir haben die Schafe auf die Weide
gebracht und zu Hause gearbeitet. Sie hat Textilien zum
Verkauf an Touristen gewebt und ich habe zugeschaut,
bei leichteren Arbeiten auch mitgeholfen und so gelernt,
wie mit dem Rückengurtwebgerät gewebt wird. Dann, als
ich sieben Jahre alt war, hat sich mein Leben verändert.
Ich bin in die Schule gegangen, um Lesen und Schreiben
zu lernen, nachmittags habe ich dann meiner Mutter beim
Verkauf von Kunsthandwerk an die Touristen geholfen.
Ich konnte besonders gut rechnen und Spanisch zu
sprechen fiel mir auch leicht. Nach und nach wurde
unser Verkaufsgeschäft immer erfolgreicher. Inzwischen
lebt einer meiner Brüder in einer weit entfernten mexikanischen Stadt. Er verkauft dort Blusen, die ich in Chamula
herstellen lasse. Regelmäßig packe ich große Pappkisten,
die ich dann zum Busbahnhof bringe, wo sie ein Bus mitnimmt und meinem Bruder in Guadalajara übergibt.
Meinen Mann habe ich hier im Dorf kennen gelernt.
Er hat ein gut gehendes Geschäft hier, und so können wir
unsere beiden Kinder gut versorgen. Meine Mutter hilft
mir nur manchmal am Verkaufsstand. Es ist gut, dass sie
in der Nähe wohnt. So können meine kleineren Kinder bei
ihr sein, während ich am Marktstand arbeite. Nur kurze
Zeit am Tag sind meine Töchter bei mir am Stand. Erst,
wenn sie etwas älter sind, werden sie bei mir lernen wie ein
Verkaufsstand zu führen ist.“
116
Die Maya-Indianerin Margareta erzählt:
„Ich heiße Margareta und bin 24 Jahre alt. Geboren bin
ich in Chamula, wo ich auch mit meinen Geschwistern
zusammen bei meinen Eltern aufgewachsen bin. Ich habe
einen älteren Bruder, eine ältere Schwester und zwei
jüngere Schwestern.
Als ich sechs Jahre alt war, sollte ich zur Schule gehen.
Ich habe es auch wirklich versucht, hatte es aber sehr
schwer. Außerdem ist meine Mutter sehr krank geworden,
und, weil meine Schwester inzwischen geheiratet hatte
und nicht mehr in Chamula lebte, musste ich mich um
meine kranke Mutter kümmern. Ich konnte nicht mehr
zur Schule gehen, meine Mutter brauchte mich. Mein
Vater war oft und monatelang von zu Hause weg. Er hat
immer wieder auf Kaffeeplantagen im Tiefland als Saisonarbeiter gearbeitet. Unsere kleinen Felder reichten nicht
mehr aus, um unsere Familie zu ernähren.
Dann hatten meine Schwester und ihr Mann solche
Probleme miteinander, dass sie zu meinen Eltern zurück
gekommen ist. Weil wir dringend Geld für die Medizin
meiner Mutter brauchten und ich einen Verkaufsplatz
auf dem Kunsthandwerksmarkt bekommen konnte, habe
ich angefangen, Textilien an Touristen zu verkaufen. Ich
hatte zwar nur einen kleinen Platz auf dem Boden, wo
ich auf einer Plastikfolie meine Ware ausbreiten konnte,
aber das Geschäft lief gut. Es kamen so viele Touristen,
die etwas bei mir kaufen wollten, dass ich nicht so schnell
Gürtel zum Verkauf knüpfen konnte wie es nötig gewesen
wäre. Auch hatte ich kein Geld, um andere Frauen für
mich arbeiten zu lassen.
Bald begannen die Touristen lieber zu größeren Verkaufsständen zu gehen, an denen sie auch mehr Auswahl hatten. Der Markt war inzwischen erheblich angewachsen.
Immer mehr Mädchen und Frauen hatten angefangen,
dort, oder auch im Dorf umherlaufend, ihre Produkte zu
verkaufen. Überall gab es plötzlich Gürtel zu kaufen und
ich konnte nicht mehr genug verdienen.
Meine Mutter war so krank geworden, dass sie gestorben
ist. Zusammen mit meiner Schwester habe ich dann angefangen, nach Palenque zu fahren und dort meine Gürtel
zu verkaufen. Dort gibt es Maya-Ruinen, die von vielen
Touristen besucht werden. Ich konnte auch ganz gut verkaufen, aber ich musste ja von dem Geld auch noch die
fünfstündige Busfahrt und ein kleines Zimmer zum Übernachten bezahlen. Ich war sehr froh als ich eine Frau
kennen lernte, die mich fragte, ob ich bei ihr als Hausmädchen in Mérida arbeiten wollte. Mérida ist eine große
Stadt auf der Halbinsel Yucatán. Einige Jahre lebte ich
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
bei dieser Frau und arbeitete für ihre Familie. Schwierig
wurde es aber, als ich einen Mann kennen lernte und
ein Kind bekam. Ich wollte schließlich auch mit meinem
Mann und meinem Kind zusammen leben, auch verstand
ich mich mit meiner Arbeitgeberin nicht mehr gut.
So sind mein Mann und ich zusammen gezogen.
Inzwischen leben wir in Cancún. Mein Mann handelt
mit verschiedenen Textilprodukten und verkauft sie an die
Händler auf den Märkten der Region. Ich habe endlich
einen eigenen Verkaufsstand, an dem ich sehr gut verkaufe.
Immer wieder kann ich durch meinen Mann neue Produkte aus Chiapas anbieten, an meinem Stand gibt es
besondere Blusen und Taschen, die erst einmal niemand
sonst in Cancún verkauft. Außerdem unterhalte ich mich
gerne mit Menschen aus anderen Ländern. In der Stadt
kann ich zusammen mit meinem Mann und meinem
Sohn so leben wie wir es möchten. Ich kann den ganzen
Tag arbeiten, mein Sohn geht in den Kindergarten und
soll danach eine gute Schule in der Stadt besuchen.
Auch kann ich mit meinem Mann zusammen leben, der
zwar immer wieder auf Reisen ist, um Ware einzukaufen,
aber wir verbringen mehr Zeit miteinander, als wenn er
monatelang z.B. auf Kaffeeplantagen arbeiten würde.“
Vergleiche beide Lebensläufe und schreibe die
Gründe für das jeweilige Verhalten in eine Tabelle.
Warum hat Margareta das Hochland verlassen
und ist in die Stadt umgezogen? Warum hat sich
Carolina entschieden, in Chamula zu bleiben?
Recherchiere dann in deiner Umgebung:
Sind z. B. deine Eltern oder andere Verwandte
schon einmal umgezogen? Welche Gründe gab
es dafür? Vergleiche diese Gründe mit denen
von Margareta. Gibt es Unterschiede?
Vergleich der Lebenssituationen
Maya-Frau beim Schafehüten
Maya-Frau am Verkaufsplatz in der Stadt
Sieh dir die Fotos genau an und überlege die
Antworten zu folgenden Fragen:
1. Wer ist auf dem einzelnen Foto zu sehen?
2. Was arbeiten die abgebildeten indianischen
Frauen jeweils?
3. Was ist von der Umgebung der beiden Frauen
zu sehen?
4. Mit welchen anderen Menschen haben die
beiden Frauen wohl in dieser Umgebung
jeweils zu tun?
5. Von welchen Geräuschen und Gerüchen sind
die beiden Frauen wohl umgeben?
6. Versuche, dich in jede der Frauen hineinzuversetzen. Was glaubst du sind mögliche Vor- und
Nachteile für jede der beiden Frauen?
Was stellst du dir in der jeweiligen
Situation/Umgebung als angenehm vor?
Wo und wie würdest du lieber leben und warum?
117
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
Tagesablauf
Hier erfährst du etwas über den Tagesablauf der Maya-Familie Santiz in ihrem Heimatdorf Chamula und über
ihren Tagesablauf in der Stadt nachdem sie ihr Dorf verlassen hat. Die Tochter und der Sohn sind im Dorf 8
Jahre alt, in der Stadt 9 Jahre. Bearbeite danach die Aufgaben am Ende des Begleitmaterials 4.
Uhrzeit
Tätigkeit im Dorf
Tätigkeit in der Stadt
5:30 Uhr
Mutter und Tochter:
Aufstehen, Feuer machen, Tortillas backen
Vater und Sohn:
stehen später auf
Schlafen
7:00 Uhr
Frühstücken
Frühstücken
7:30 Uhr
Tochter: Schafe mit dem
Maulkorb versehen und auf die
Weide bringen
Mutter: Kochstelle aufräumen
Vater: Vorbereiten des Arbeitsplatzes (Schreinerberuf zu
Hause)
Sohn: zur Schule gehen
Tochter: zur Schule gehen
Mutter: Küche aufräumen
Vater: Vorbereiten einer Einkaufsreise (Waren für den eigenen Souvenir-Verkaufsstand
und andere) nach Chiapas, Einpacken von Kleidung, Papieren
und Geld
Sohn: zur Schule gehen
8:30 Uhr
Mutter und Tochter: Wäsche
waschen
Mutter und Vater: Besprechen
der gemeinsamen Geschäfte
Tochter und Sohn: Schule
10 Uhr
Mutter: Weben mit dem
Rückengurtwebgerät zu Hause
Vater: Beginn der Schreinerarbeit
Tochter: Verkaufsplatz auf dem
Kunsthandwerksmarkt belegen,
Waren ausbreiten
Sohn: Schule
Mutter und Vater: Eröffnen des
Verkaufsplatzes auf dem Markt
Tochter und Sohn: Schule
11 Uhr
Mutter: sieht nach den
Schafen
Vater: Stellt einen Tisch her
Tochter: Verkauft an Touristen
Sohn: Schule
Mutter: Verkauft am Marktstand
Vater: Fährt vom Busbahnhof
aus in die frühere Heimat ins
Hochland von Chiapas
Tochter und Sohn: Schule
12:30
Uhr
Vater und Mutter: essen
gemeinsam eine Kleinigkeit
und trinken einen Kaffee an der
Kochstelle im Haus
Tochter: Geht mit einer Freundin auf den Markt und isst dort
einen gerösteten Maiskolben
Sohn: Pause in der Schule
Mutter: arbeitet am Verkaufsplatz und besorgt sich am
Nachbarstand eine Kleinigkeit
zu essen
Vater: ist auf der Reise
(18 Stunden mit dem Bus)
Tochter und Sohn: Schule
13 Uhr
Vater: verlässt das Haus, um
ein Geschäft mit einem
Bekannten zu besprechen
Mutter: Webt einen neuen
Umhang für ihre Tochter
Tochter: Verkauft an Touristen
und knüpft dabei ein Makrameé-Armband
Sohn: Schule
Mutter: arbeitet am Verkaufsplatz
Vater: ist auf der Reise (18
Stunden mit dem Bus)
Tochter und Sohn: Schule
118
Mutter: kauft in der Tortilleria
Tortillas (Maisfladen)
Meine Tätigkeit in Deutschland
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Arbeitsmaterialien
14 Uhr
Mutter: webt
Vater: ist unterwegs bei
Geschäftspartnern
Sohn: Kommt nach Hause und
macht Hausaufgaben
Tochter: Arbeitet am Verkaufsstand
Tochter und Sohn: Kommen
nach Hause und machen
Hausaufgaben und essen eine
Kleinigkeit zu Hause
Sohn: arbeitet auf dem Markt
als Tütenträger für Marktkunden
Tochter: geht zur Mutter an
den Verkaufsstand, um sie
abzulösen
16 Uhr
Mutter: holt die Schafe von der
Weide und bereitet das Abendessen vor
Tochter: hat Verkaufsplatz aufgeräumt und ist nach Hause
gekommen
Vater und Sohn: sind nach
Hause gekommen
Mutter: Erledigt Hausarbeiten
Tochter: arbeitet am Verkaufsstand
Sohn: arbeitet auf dem Markt
18 Uhr
Gemeinsames Abendessen der
Familie
Ausklang des Tages, eventuell
Besuche von Freunden, Verwandten, Nachbarn
Mutter: geht wieder an den
Verkaufsstand
Tochter: arbeitet mit Mutter am
Verkaufsstand
Sohn: ist mit Freunden unterwegs
21 Uhr
Schlafen gehen
Bis auf den Vater, der auf Reisen
ist, kommen alle nach Hause
Sie essen etwas zusammen und
gehen gegen 22 Uhr schlafen
Vergleiche die beiden Tagesabläufe miteinander. Welche Unterschiede fallen dir auf?
Kannst du erklären, warum das Leben für die indianische Familie in der Stadt anders ist als im Dorf?
Überlege und schreibe auf, wie dein Tagesablauf bzw. der deiner Familie aussieht. Was würde sich ändern, wenn
du z.B. nach Mexiko auswandern würdest?
119
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Ch@t der Welten
land und leistet einen Beitrag zu der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Dekade „Bildung für
nachhaltige Entwicklung“ (2005–2014).
Umwelt- und entwicklungspolitische
Themen in Schule und Unterricht
Ein Internet- und Kommunikationsangebot für Schulen
Ch@t der Welten
„Globale Nachhaltigkeit“ ist seit der Konferenz in
Rio 1992 in aller Munde und trotzdem für viele weiterhin ein abstraktes Schlagwort geblieben. Gerade der
jüngeren Generation fällt es schwer, einen Bezug des
Begriffs und den dahinterliegenden weltweiten Zusammenhängen zwischen Ökologie, Wirtschaft, Gesellschaft
sowie der Nord-Süd Problematik zum eigenen Leben
herzustellen. Ähnlich verhält es sich mit Lösungsansätzen und konkreten Bemühungen, globalen Problemen
Einhalt zu gebieten.
Mit dem Projekt Ch@t der Welten besteht nun ein Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit Hilfe geeigneter
Themen globale Phänomene für Schülerinnen und
Schüler der Klassen 5 bis 12 erfahrbar zu machen und
in ihre (Lern-) Realität zu integrieren.
Sie können via Internet auf ein breites Informationsund Kommunikationsangebot zu diesen Themen zurückgreifen, das ihnen erlaubt, die Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten und das ihnen
Hilfestellung bei der sinnvollen Informationsaufarbeitung durch das Internet gibt. Der Ch@t der Welten
bietet Jugendlichen die Möglichkeit, unmittelbar mit
den verschiedenen Interessensgruppen und Akteuren
vor Ort in Lateinamerika, Asien und Afrika zu kommunizieren. Sie können sich so ein direktes Bild über
die Problemlagen und die Lösungsansätze zur Verbesserung der Situation der Menschen machen.
Gleichzeitig bietet der Ch@t der Welten für die
Partner vor Ort ein Forum, um auf ihre ökologischen,
ökonomischen oder soziokulturellen Probleme aufmerksam zu machen. Das Projekt fördert den Dialog
zwischen Nord und Süd und erleichtert Schülerinnen
und Schülern den Zugang zum Thema „Globale
Nachhaltigkeit“.
Der Ch@t der Welten ist ein innovatives Mittel der
entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutsch-
120
Einsatz im Unterricht
Die unterschiedlichen Themen eröffnen im Schulalltag spezifisch fachliche sowie. interdisziplinäre
Zugänge der Bearbeitung des Lehrstoffs. Neben den
gesellschaftswissenschaftlichen Fächern (Geschichte,
Politik, Sozialwissenschaften, Geografie), den Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Chemie) sind auch
sprachliche Kompetenzen (Englisch, Spanisch) von
Bedeutung. Kaum ein anderes Thema bietet unter
dem Gesichtspunkt des Globalen Lernens vergleichbar viel Konflikt- und Diskussionsstoff, u. a. durch:
Erkennen der globalen Zusammenhänge
zwischen dem Lebensstil im Norden und der
Armut/Ausbeutung in den Ländern des Südens
Kennen lernen von Macht- und Interessenskonflikten im Spannungsfeld von Ökologie,
Ökonomie und sozialen Belangen
Einblicke in die Diskussion über Nutzungsrechte
von Ressourcen
Prüfung von Handlungsmöglichkeiten und
-alternativen
Die Handlungsebene der Schülerinnen und Schüler
steht im Vordergrund der Projektarbeit, u.a. durch:
direkten Austausch über eine Kommunikationsund Kooperationsplattform mit Partnern in Lateinamerika, Afrika und Asien
Einbinden von Sachverständigen/Experten in den
Unterricht
Entwicklung und Ausgestaltung von partizipativen
Formen des Lernens (Planspiele, Lernwerkstätten
u. a.)
Kooperation und Vernetzung mit weiteren Schulen
Dokumentation und Publikation der Ergebnisse
Themen
Erdöl im Regenwald
Nicht nur in den arabischen Ländern auch in den Regenwaldregionen des Amazonasgebietes wird Erdölund Erdgas gefördert – mit zum Teil verheerenden
Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die
Umwelt. Müssen die lateinamerikanischen Staaten
auf die Erdölförderung verzichten, wenn sie nicht
ihre biologische Vielfalt zerstören wollen oder gibt es
Möglichkeiten einer „nachhaltigen Erdölförderung“?
Welche Vorstellungen haben die einzelnen Interessensgruppen – indigene Organisationen, staatliche
Institutionen und Erdölkonzerne – zur Lösung des
Problems? Aufbauend auf ein umfangreiches Informationsmaterial zu Erdöl allgemein und der Erdölförderung im Amazonas im Besonderen können sich
Schülerinnen und Schüler mit indigenen Organisationen, (internationalen) Erdölunternehmen und
Energieministerien der Länder sowie Umweltorganisationen auseinandersetzen.
Wasserversorgung im südlichen Afrika
Wasserprobleme sind komplexe Entwicklungsprobleme.
Weltweit haben rund 1,1 Milliarden Menschen keinen
Zugang zu sauberem Trinkwasser und mehr als 2,4
Milliarden sind nicht an eine minimale Sanitärversorgung angeschlossen. Gibt es also eine globale Krise
der Wasserversorgung? Was bedeuten diese nüchternen
Zahlen für den Alltag vieler Menschen im südlichen
Afrika oder im Jemen? Was hat das Wasserproblem
mit uns zu tun? Welche Lösungsansätze werden von
internationalen Gremien z. B. im Rahmen der Wasserdekade (2005 bis 2015) vorgeschlagen? Welche Lösungen sehen die Menschen im Süden?
Als Gesprächspartner stehen Ihnen Expertinnen und
Experten aus dem südlichen Afrika, von hiesigen
Nichtregierungsorganisationen und internationalen
Institutionen zur Verfügung.
Schutz der biologischen Vielfalt
Am Beispiel des Regenwaldes in Lateinamerika wird
die biologische Vielfalt dieses Ökosystems aufgezeigt
aber auch gleichzeitig die große Herausforderung, die
es bedeutet, dieses Ökosystem zu erhalten. Oft stehen
Naturschutzgedanke und wirtschaftliche Interessen
im Widerspruch zueinander. Welche Naturschutzkonzepte gibt es? Wie werden sie umgesetzt? Welche Interessen spielen eine Rolle und wer setzt sich durch?
Diese und andere Fragen können mit Mitgliedern der
großen Umweltschutzverbände, Entwicklungshelferinnen und -helfern in Lateinamerika, Organisationen
der Indígenas aber auch mit Experten in Deutschland
diskutiert werden.
Nutzung nachwachsender Rohstoffe / Schwerpunkt
Papier, Holz
Dieses Thema ist eng mit dem Thema „Schutz der
biologischen Vielfalt“ verbunden. Beispielhaft an den
Produkten Papier und Holz wird die Produktlinie
nachgezeichnet und Handlungsmöglichkeiten zum
schonenden Umgang mit diesen Ressourcen aufgezeigt. Es geht unter anderem um die Kulturgeschichte
des Papiers und des Holzes, die Stoffströme, die Umweltfolgen und alternative Handlungsansätze bei der
Papier- und Holzproduktion.
Klima- und Energiepolitik
Längst ist der Klimawandel keine Zukunftsprognose
mehr, denn er findet bereits statt. Eine angepasste
Klimapolitik und zukunftsfähige Energieversorgungskonzepte, die die Lebensgrundlagen für alle Menschen langfristig sichern, müssen daher Bestandteil
politischer Bemühungen sein. Zentrale Fragen sind:
Wie können klimaschonende Energiekonzepte funktionieren? Welche Innovationen gibt es weltweit zur
nachhaltigen Energiegewinnung und -versorgung?
Wie können wir uns an der Förderung von erneuerbaren Energien beteiligen? Wie kann der wachsende
Energiebedarf von Drittweltländern klimaschonend
gedeckt werden? Diese und weitere Fragen können
die Schülerinnen und Schüler mit deutschen Expertinnen und Experten aus dem Bereich Klima- und
Energiepolitik sowie mit Vertretern aus den Partnerländern (z.B. aus Brasilien und China) diskutieren.
Indigene Völker in Lateinamerika
Unsere Vorstellung von lateinamerikanischen indigenen Völkern ist geprägt vom edlen Wilden am Amazonas, der im Einklang mit der Natur lebt, vom Indio
des Andenhochlands, der in unseren Fußgängerzonen
traurige Weisen auf der Panflöte spielt und von den
bunten Trachten der Indígenas in Guatemala, Ecuador und Bolivien, die Kunsthandwerk verkaufen.
Wie sieht die wirkliche Lebenssituation indigener
Völker aus? Wie denken, leben und wirtschaften sie?
Neben der Information über indigene Völker in Südund Mittelamerika bietet der Ch@t der Welten die
Möglichkeit, sich mit indigenen Vertretern und Vertreterinnen über ihren Alltag sowie über politische
und philosophisch-ethische Themen auszutauschen.
121
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Ch@t der Welten
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Ch@t der Welten
Konzeption und Koordination
InWEnt gGmbH
InWEnt – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH ist eine gemeinnützige Einrichtung des
Bundes, der Länder und der Wirtschaft für internationale Personalentwicklung, Weiterbildung und Dialog.
Ihre praxisorientierten Programme richten sich an
Fach- und Führungskräfte sowie an Entscheidungsträger aus Politik, Verwaltung. Zivilgesellschaft und
Wirtschaft aus aller Welt.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die entwicklungspolitische
Bildungsarbeit im Inland.
Das Projekt Ch@t der Welten wird gemeinsam von
dem Regionalen Zentrum NRW und der Abteilung
Umwelt, Energie und Wasser durchgeführt. InWEnt
stellt den Kontakt zu den Partnern in Lateinamerika,
Afrika und Asien her und übernimmt die fachliche
Ausgestaltung des Programms.
Die Abteilung „E-learning, Global Campus, Lifelong
Learning“ unterstützt das Projekt durch die Bereitstellung des Global Campus 21® als Arbeitsplattform.
Regionales Zentrum NRW
Ansprechpartner: Karin Kopshoff-Müller
Wallstr.30, 40213 Düsseldorf
Fon: 0211-8689-165
[email protected]
Ch@t der Welten wird als innovatives Projekt durch
das Landesinstitut konzeptionell begleitet, unterstützt
und weiter entwickelt. Die Schwerpunkte liegen in der
methodisch-didaktischen Ausgestaltung sowie mediendidaktischen Qualifizierungen und Beratungen im
Bereich E-Learning und Neues Lernen. Das Informations- und Serviceportal Ch@t der Welten im Bildungsserver learn.line.nrw unterstützt die schulischen Aktivitäten vor Ort.
Landesinstitut für Schule
Ansprechpartner: Rolf Schulz
Paradieser Weg 64, 59494 Soest
Fon: 02921-683307
Fax: 02921-683228
[email protected]
Das Projekt wird unterstützt von
Landesinstitut für Schule
des Landes Nordrhein-Westfalen
Das Landesinstitut für Schule arbeitet im Auftrag des
Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder zu bildungspolitischen Schwerpunkten des Landes Nordrhein-Westfalen.
Mit dem Arbeitsbereich „Agenda 21 in Schule und
Jugendarbeit“ bündelt das Landesinstitut die Unterstützungsleistungen, Erfahrungen und Ressourcen
verschiedener Initiativprogramme und BLK-Modellversuche und führt das breite Spektrum an Instrumenten zur Realisierung von Leitbildern einer „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ sowohl im
schulischen als auch im außerschulischen Bereich
zusammen.
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Nordrhein-Westfälische Stiftung
für Umwelt und Entwicklung
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Service
Spiele
Die Rettung Amazoniens
Heinrich-Mann-Gymnasium Köln,
Lehrer Joachim Möller
Aus der Beschreibung:
„In dem Spiel „ Die Rettung Amazoniens“, welches
sich an das bekannte Gesellschaftsspiel „Die Siedler
von Catan“ anlehnt, geht es um die „Sanierung“
des Regenwaldes. Der Regenwald, die Tiere und die
indigenen Völker wurden von vier großen Ölfirmen
verdrängt, die ihre Ölraffinerien und Pipelines quer
durch den Lebensraum Regenwald errichteten. Der
Spieler hat nun die Möglichkeit selbst aktiv zu werden
und sich mit dem Thema Regenwald in verschiedenen
spielerischen, aber auch Wissensaufgaben zu befassen und die Probleme des Regenwaldes und dessen
Bewohnern zu lösen. Wir haben uns diesem Thema
nicht nur oberflächlich gewidmet, sondern ausgesuchte
Fragen erstellt, die den Wissensdurst der einzelnen
Spieler voll und ganz sättigt.
Dennoch haben wir versucht den Aspekt „Spaß“
nicht zu verdrängen und so wurde aus unserem Spiel
ein vielseitiges Erlebnis, dass sich der Problematik
„Rettung des Regenwaldes“ angemessen widmet.
Unser Spiel wurde mit einfachen, klar aufgebauten
Mitteln, mit Wiedererkennungswert, erstellt und
durch die Verwandtschaft zum Spiel „Die Siedler von
Catan“ dem Mitspieler verständlich gemacht (ähnlicher Aufbau, Regeln, Symbole etc.).
Dennoch hat es unsere individuelle Note erhalten.
Anna Stollenwerk, Brigitte Bonn, Ciara Flock, Lili
Tran, Nathalie Schäfer“
Die Anleitung können Sie über
[email protected] beziehen.
123
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Service
Literaturhinweise
ARA e. V. Indianerland Rondonia, Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz, Bielefeld
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1996) Konzept zur Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen in
Lateinamerika, BMZ-Konzept Nr. 73
C. Müller-Plantenberg (1998)
Indianerprojekte und Großprojekte in Brasilien,
Universität Kassel
H.J. Prem (1996)
Die Azteken, C.H. Beck Wissen
B. Riese (2002)
Die Maya, C.H. Beck Wissen
D. Cech, E. Mader , S. Reinberg (2001) Tierra.
Indigene Völker, Umwelt und Recht,
Brandes u. Apsel, Frankfurt
T. Todorov (1982)
Die Eroberung Amerikas – Das Problem der Anderen,
Edition Suhrkamp
H. Feldt, D. Gawora, A. Nufer, T. Rathgeber,
M. Raomao, K. Rummenhöller (2003)
Ein anderes Amazonien ist möglich.
Träume, Visionen und Perspektiven aus Amazonien,
Universität Kassel (2003)
G. Urton (2002)
Mythen der Inka, Reclam, Stuttgart
R. Garve und W. Jesco (1995) Indianer am Amazonas
– Südamerikas Ureinwohner zwischen Isolation,
Integration und Untergang,Tanner-Verlag
In deutscher Sprache
R. Garve, M. Garve, C. Kasburg, (2002)
Unter Amazonas-Indianern, Herbig-Verlag
D. Gawora, C. Moser (1993)
Amazonien. Die Zerstörung, die Hoffnung, unsere
Verantwortung, Misereor, Aachen (1993)
Gesamthochschule Kassel (Hrsg.) (1996)
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte indigener Völker, Entwicklungsperspektiven 59/60, Kassel
Utta von Gleich (2000)
Indigene Völker in Lateinamerika.
Konfliktfaktor oder Entwicklungspotential, Frankfurt
GTZ (Hrsg.) (2004)
Indigene Völker in Lateinamerika und
Entwicklungszusammenarbeit, kostenlos zu beziehen
über die GTZ, Koordinationsstelle indigene Völker
in Lateinamerika und der Karibik, Postfach 5180,
65726 Eschborn
C. Julien (2001)
Die Inka, C.H. Beck Wissen
F.Lalana Lac (1995)
Welt, Natur und Mensch aus indianischer Sicht,
25 Sagen aus Lateinamerika, Schmetterling Verlag,
Stuttgart
W. Lindig und M. Münzel (1985)
Die Indianer Mittel- und Südamerikas, dtv München
H. Meyer-Peters (Hrsg.) (1990)
Schutz für den Regenwald: Bankrott und Zerstörung,
Göttingen (1990)
Mongne , Pascal (2004)
Die Azteken, Fleurus-Verlag
W. Müller (1985)
Die Indianer Amazoniens, C.H. Beck
124
Internetadressen
Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit
(GTZ) bietet auf Ihren Seiten zahlreiche Informationen zum Thema Indigene Völker in Lateinamerika &
der Karibik, inklusive eines umfangreichen Glossars
www.gtz.de/indigenas/
Informationen zu indigenen Völkern und zu Amazonien unter
www.chatderwelten.de
Das Klima-Bündnis /Alianza del Clima e. V.ist ein
Zusammenschluss europäischer Städte und Gemeinden, die eine Partnerschaft mit indigenen Völkern der
Regenwälder Amazoniens eingegangen sind.
www.indigene.de/
Die Kampagne für die Ratifizierung des ILO- (Internationale Arbeitsorganisation) Übereinkommens 169
zur Indigene Völker in der globalisierten Welt will
die Menschenrechte stärken. Auf der Seite finden sich
Beispiele zum Thema Rechte indigene Völker aus der
ganzen Welt.
www.ilo169.de
Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat auf ihren
Seiten neben Informationen zu den verschiedenen
Projekten und Schwerpunkten der Arbeitsgebiete
auch Publikationen, Pressemitteilungen usw.
www.gfbv.de
Zu den Shipibo in Peru
www.shipibo-conibo.de
Die Organisation „Amnesty International“ hat auf
den deutschen Seiten unter „Länder“ Informationen
über die Menschenrechts-Situation in Ländern Südamerikas zusammengestellt
www.amnesty.de
Amazonlink.org wurde 2001 als NGO (Non-Governmental Organization) in Rio Branco, im brasilianischen
Bundesstaat Acre gegründet und bietet eine Linkliste
zum Thema Amazonas sowie einen Nachrichtenservice
www.amazonlink.org/amazondeut.htm
In spanischer Sprache
Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie mit Sitz
in Köln
www.infoe.de
Instituto Indigenista Interamericano gibt einen Überblick über die Rechtssituation der indigenen Völker in
Lateinamerika
www.cdi.gob.mx/conadepi/iii
Zur ethnologischen Mythenforschung siehe
www.lateinamerikastudien.at/content/kultur/mythen/mythen-5.html
In englischer Sprache
Die internationale Allianz der Indigenen und Völker
des Regenwaldes ist ein weltweites Netzwerk
www.international-alliance.org/
Die COICA (Coordinadora de las Organizaciones
Indígenas de la Cuenca Amazónica) ist der Dachverband indigener Organisationen des Amazonasbeckens
und als Interessenvertretung aktiv
www.coica.org.ec
International Work Group for Indigenous Affairs
WGIA ist eine unabhängige, internationale Organisation aus Spezialisten für indigene Angelegenheiten.
Sie bietet gute Informationen über die Hintergründe
zum Thema
www.iwgia.org
Das center for World Indigenous Studies bietet einen
Überblick über internationale Rechtsentwicklung und
indigene Völker.
www.cwis.org
Das Carribbean Amerindian Centrelink, CAC, Internetportal von indigenen Organisationen in der Karibik
mit zahlreichen Informationen wie Geschichte der
indigenen Völker und aktueller Situation, viele Links.
www.centrelink.org/
Folgende Internetseiten geben einen Überblick über
die Kulturen Mesoamerikas und die Códices
www.angelfire.com/jazz/bernaldiaz/codizes.htm
www.geocities.com/codicesmexicanos
www.mexico-tenoch.com/lanacion/aztecas.html
Eine Auswahl von Internetseiten
indigener Organisationen
www.redindigena.net
www.native-net.org
Portal Cultural de la Región Andina
www.quechuanetwork.org
Indigenous Peoples International Centre for Policy
Research and Education
www.tebtebba.org
Mapuche, Chile
www.mapuche.info
Amerindian Peoples Association, Guyana
www.adnp.org.gy/apa
CONAIE, Ecuador
www.conaie.org
Ecuarunari, Ecuador
www.ecuarunari.org
CIDOB, Bolivien
www.cidob-bo.org
Koordination der indigenen V
ölker des Amazonasbeckens
www.coica.org.ec
Das Instituto Socioambiental gibt Informationen zu
indigenen Völkern in Brasilien (in engl. und portugiesischer Sprache
www.socioambiental.org
125
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Die private Seite von Antje Baumann widmet sich
den Indianern Nord- und Südamerikas. Auf der Seite
finden sich vielfältige Informationen zur Kultur der
Inkas, Azteken, Mayas, aber auch bspw. eine Auflistung mit TV-Sendungen zum Thema
www.indianer-welt.de/indianer.htm
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Glossar
Glossar
Ayllu
Vorkolumbische (Dorf-) Struktur im Andenraum
Indio
Bezeichnung der Ureinwohner Amerikas.
Da Kolumbus dachte, er hätte Indien entdeckt, nannte
er die Bewohner „Indios“. Nach dem man den Irrtum
bemerkt hatte, wurde der Begriff beibehalten, um die
unterschiedlichen Völker in einen Sammelbegriff zu
fassen und sie von der europastämmigen Bevölkerung
abzugrenzen. Heute wird dieses Wort oft als Schimpfwort benutzt. Allerdings greifen einige indigene Organisationen den Begriff „Indio“ wieder für sich auf und
benutzen ihn mit einem neuen Selbstbewusstsein.
„Indianer“ ist die deutsche Übersetzung.
Indigene
leitet sich von dem lateinischen Wort für „eingeboren“
ab und ist der Sammelbegriff für indigene Völker
weltweit.
Indígena ist der in Lateinamerika genutzte Sammelbegriff für indigene Völker.
Konnotation
mit einem Wort verbundene zusätzliche Vorstellung,
z. B. „Nacht“ bei „Mond“
Mestize
Mischling aus einer europäisch – indianischen Verbindung
Subsistenzwirtschaft
Subsistenzwirtschaft ist ein System der Selbstversorgung mit allen lebensnotwendigen Gütern. Die Subsistenzwirtschaft muss aber nicht autark sein, sondern
kann Teil eines regionalen Netzes von Tauschbeziehungen sein. Ziel ist nicht die Schaffung von Mehrwert sondern die Erwirtschaftung von Gütern für den
Lebensunterhalt.
126
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Autoren
Autorenverzeichnis
Heidi Feldt
MSc in Ressourcenmanagement und Umweltpolitik,
Universität London, freiberufliche entwicklungspolitische Beraterin, arbeitet seit fünfzehn Jahren zu
Themen der Entwicklungszusammenarbeit mit
indigenen Völkern, Schwerpunkt: Konflikte um Ressourcen, Beraterin des Projektes „Chat der Welten“
Dr. Sabine Speiser
Studierte in Regensburg, Rom und Berlin Sozialwissenschaften. Sie arbeitete als Dozentin an Universitäten in Ecuador und Deutschland und ist seit 1993
in der Entwicklungszusammenarbeit, seit 1999 freiberuflich tätig (www.interculture-management.de).
Inhaltliche Schwerpunkte ihrer entwicklungspolitischen Beratung sind Bildung, Gender und Minoritäten. Als Organisationsberaterin begleitet sie Prozesse
interkultureller Verständigung.
Dr. Birgitta Huse
M.A., Ethnologin, Referentin, Trainerin, Projektmitarbeiterin/und -leiterin in Jugend-/Erwachsenenbildung
(seit 1996; u.a. Schulen, Museen, Landesverband der
VHS von NRW, Deutscher VHS Verband; Multiplikatorenfortbildungen und Zertifikatslehrgänge; Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung (ESE) e. V.).
Seit 1997 Lehrbeauftragte an der Universität Dortmund.
Arbeitsschwerpunkte: Interkulturelles Lernen/Interkulturelle Kompetenz, Globalisierung/Textilhandwerk/Kleidung, Tourismus/Kulturwandel, Migrations/Geschlechterforschung, Didaktik und Methodik.
Dr. Volker von Bremen
Ethnologe, er pflegt seit über 26 Jahren Kontakte zu
indigenen Gemeinden und Völkern im Gran Chaco
Südamerikas. Er begleitet und berät indigene Gemeinschaften und Organisationen sowie lateinamerikanische, europäische und internationale Institutionen zu
Fragen der Entwicklungszusammenarbeit.
Dr. Ludgera Klemp
Soziologin, Auslandsaufenthalte für Friedrich Ebert
Stiftung in Tanzania und Honduras sowie für die
Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Guatemala. Jetzt Mitarbeit im BMZ, Referat
Governance; Demokratie; Frauen- und Menschenrechte. Zahlreiche Publikationen zur Entwicklungspolitik.
127
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Fotonachweis
Titelseite
Grabwächter von San Agustin, Kolumbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Zoé-Indianer auf der Jagd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Mutter und Kind aus Ollantaytambo, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 15
Oben: Tikal, Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karsten Leckebusch
Unten: Grabwächter von San Agustin, Kolumbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 18
Kolibri, Nasca, Peru. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 19
Machu Picchu, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 20
Kirchenfest der Maya in Chiapas, Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs
Seite 30
Kenu-Frau mit Enkelkind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Francisco Zamata aus Q’eros, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 31
Hof in der Nähe von Ayapata, Cordillera Carabaya, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Dorfbewohner auf dem ecuadorianischen Hochland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Seite 32
Links unten: Hof in Q’eros, Peru. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Rechts oben: Typische Dorfanlage der Cayapó mit zentralem Männerhaus . . . . . . . . Jesco von Puttkamer
Seite 35
Kinder in der Schule im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chaco-Ausstellung, gtz
Kinder im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chaco-Ausstellung, gtz
Seite 36
Wichi-Indianer im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Reetz/Brot für die Welt
Seite 37
Oben: Mädchen in Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begemann
Unten: Mädchen auf dem peruanischen Hochland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Reinhardt
Seite 38
Mädchen auf dem ecuadorianischen Hochland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Seite 39
Mädchen aus Q’eros, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 40
Das Fleisch einer gefangenen Anaconda wird bei den Cayapó
anlässlich von Jünglingsinitiationen verspeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesco von Putkamer
Seite 41
Oben: Mädchen in der Comarca (Provinz Ngöbe-Buglé, Panama) . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Unten: Yanomami-Mädchen vom Rio Ocamao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 43
Links: Festlich geschmückter Krieger der Yoplopoiteri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Zoé-Indianer auf der Jagd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Unten: Traditionelles Tauziehen der Yanomami mit einer Liane . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Rechts: Awajun-Frauen, Peru. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Werner
Seite 44
Links: Frauen beim Schälen von Kaffee-Bohnen, Panama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karsten Leckebusch
Rechts: Frauengruppe in Q’eros, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Rechts unten:
Suruahà-Mädchen mit Menstruationsmaske, die sie anlässlich
ihrer ersten Menstruation während einer neuntägigen Isolation
tragen muss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 47
Indigenen Tagung in Quito, Ecuador Oktober 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Seite 48
Versammlung der Vertreter der Indigenen Völker
der Amazonasregion Ecuadors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Jungh
128
Seite 49
Organisierte indigene Frauen, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Werner
Seite 53
Rigoberta Menchu; links. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Holst
Seite 60
Versammlung anlässlich der Demarkierung von Indianerland . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ
Seite 61
Aymara Bauer auf dem ecuadorianischen Hochland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Seite 62
Demarkierungsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ
Seite 63
Links: Demarkierungsarbeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ
Rechts: Aufstellung von Verbotsschildern durch die staatliche
brasilianische Indianerbehörde FUNAI zur Festlegung der
Gebietsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 70
Köhler in der Region Madre de Dios, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivo Programa Gobernabilidad der GTZ
Seite 80
Frau bei der Feldarbeit in Amanti, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 83
Links: Weberin im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ
Seite 84
Oben: Das indianische Regenfest wird in einer christlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs
Kirche gefeiert, Chiapas, Mexiko
Links: Schamane aus der Amazonasregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Rechts: Maya-Schamane, Mexiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs
Seite 85
Oben: Regenfest – Junge Maya-Frauen, Chiapas, Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs
Unten: Impfung in einer indigenen Gemeinde, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klas Heising
Seite 86
Oben: Heilungszeremonie durch einen Yanomami-Schamanen . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Unten links: Badefreuden und Körperhygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesco von Putkamer
Unten rechts: Schamane der Secoya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 91
Schulkinder in Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annelies Merkx/Projekt PACE
Seite 92
Schulmädchen in Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annelies Merkx/Projekt PACE
Seite 93
Oben: Regenwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Unten: Kaiman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 94
Links: Tukan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Garve
Rechts: Wasserfall San Rafael, Ecuador. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 95
Brüllaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 96
Secoya Medizinmann zeigt eine Ayahuasca-Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 97
Rechts: Jaguar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Links: Zoé-Kinder mit wilder Papaya. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 98
Der rote Farbstoff Rukú dient den Zoé nicht nur
als Schmuckfarbe sondern auch zum Schutz gegen Insekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 99
Rechts: Der Ozelot gehört zu den bedrohten Tierarten Amazoniens . . . . . . . . . . . . . . Miriam Garve
Links: Abholzung von Regenwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
129
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Fotonachweis
Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika
Fotonachweis
Seite 102
Oben: Webende Maya-Frau aus Zinacantán, Mexiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Unten: Gewebter Frauenumhang aus Zinacantán, Mexiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Seite 105
Detail – gewebter Frauenumhang aus Zinacantán, Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Seite 106
Huipil aus San Andrés Larraínzar, Chiapas/Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Seite 107
Links: Maya-Frau im Maisfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Rechts: Die Suruahá entgiften zerriebenen Maniok
in riesigen Körben im Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve
Seite 108
Maiskolben auf dem Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk
Seite 109
Backen von Tortillas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Seite 110
Verschiedene Brotsorten auf dem Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Seite 112
Feuerstelle in einem Maya-Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Seite 115 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn
Seite 117
Oben: Maya-Frau beim Schafehüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Unten: Maya-Frau am Verkaufsplatz in der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse
Mädchen aus Q’eros Peru
130
Daniel Schenk
Indigene Völker in Lateinamerika
ISBN 3-937235-85-X