Die Zukunft des Ferienreisens

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Die Zukunft des Ferienreisens
Die Zukunft des Ferienreisens – Trendstudie
Impressum
Die Zukunft des Ferienreisens – Trendstudie
Eine unabhängige Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts im Auftrag von Kuoni
Verantwortlich GDI:
David Bosshart und Karin Frick
Verantwortlich Kuoni: Eva Ludwig
© Kuoni 2006
ISBN 3 -7184 -7032 - 2
Bestelladresse
Gottlieb Duttweiler Institut
Langhaldenstrasse 21
CH-8803 Rüschlikon / Zürich
Telefon + 41 44 724 61 11
[email protected]
www.gdi.ch
3
Inhalt
Inhalt
Vorwort
3
Summary
6
1. Wohin geht die Reise für die Tourismusbranche?
13
2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
17
Soziale Triebkräfte
18
Technologische Triebkräfte
20
Ökonomische Triebkräfte
21
Prognosen der World Tourism Organization
23
Politische Triebkräfte
25
3. Megatrends und Gegentrends
und die Folgen für die Travel Industry
27
4. Evolution des Tourismus
45
Reisemotive im Wandel der Zeit
46
Warum wir in die Ferien reisen
50
5. Thesen zum Tourismus 2020
Hyper-Holidayhubs: «more inclusive» nach Mass
52
Beispiel Dubailand
54
Care and Comfort
55
Social Hubs for Meeting and Mating
56
Ferien als emotionale Medizin
58
Ankommen statt weglaufen
59
Die beliebtesten «Reiseziele» im Jahr 2020
61
Superluxus
61
Luxus
62
Billig
63
6. Anhang
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
51
65
Experten
66
Quellen
67
Die Zukunft des Ferienreisens
5
Vorwort
Kuoni darf 2006 sein hundertjähriges Bestehen feiern. Die Reise begann 1906
in einem bescheidenen Ladenlokal am Zürcher Bellevue-Platz in der Schweiz.
Seit diesem Beginn hat sich Kuoni permanent weiterentwickelt und ist nie
stehen geblieben. Heute gehört Kuoni zu den führenden Reiseunternehmen
Europas. Mit Stolz können wir auf die vergangenen 100 Jahre zurückblicken. Wir freuen uns, dass wir auch in den stürmischen Veränderungen in
der Industrie erfolgreich geblieben und unsere Marktposition sogar kontinuierlich ausgebaut haben. Die ständige Bereitschaft zum Wandel und zur
Erneuerung ist eines unserer Erfolgsrezepte.
Die Chance unseres 100jährigen Jubiläums besteht nicht nur darin, das vergangene Jahrhundert und den Erfolg feierlich zu begehen, sondern auch
einen Blick in die Zukunft zu werfen. Zu diesem Anlass haben wir eine
Studie in Auftrag gegeben, welche aufzeigen soll, wie unsere Kunden aus den
europäischen Märkten in 15 Jahren reisen werden. Die interessanten und
aufschlussreichen Ergebnisse der Studie helfen uns, Entscheidungen für die
zukünftige Entwicklung zu treffen. Sie sind aber auch für einen breiteren
Kreis von Interesse. Deshalb haben wir uns entschlossen, die Studie zu publizieren.
In Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Gottlieb-Duttweiler-Institut,
einem renommierten unabhängigen Think Tank, wurde der Reisemarkt der
Zukunft analysiert. Ziel war dabei, eine Landkarte mit den wesentlichsten
Trends und den zu erwartenden Veränderungen unserer Branche zu erhalten.
Wir haben unsere Destination für die Zukunft festgelegt. Die Ergebnisse
bestätigen unsere eingeschlagene Richtung. Mit Freude kann ich sagen, dass
wir für die Reise gut gerüstet sind: Motivierte Mitarbeitende, verlässliche
Partner rund um den Globus – die Erfahrung und die Mittel sind vorhanden.
So setzen wir unsere Reise fort, auf dem Weg zum weltweit qualitativ führenden Reiseunternehmen.
Den Empfängern dieser Studie wünsche ich eine interessante Lektüre.
Armin Meier
Group Chief Executive Officer
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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Summary
Summary
Der Markt für Ferien und Reisen wird dynamischer und komplexer. Kunden
verhalten sich zunehmend unberechenbar. Kurzfristige Marktbewegungen
sind zwar gut dokumentiert. Doch das Gesamtbild für die langfristige Perspektive fehlt. Die Frage ist: Wohin geht die Reise für die Tourismusbranche?
Diese Studie analysiert, wie sich Wünsche und Werte der Verreisenden entwickeln. Sie beschreibt die treibenden Faktoren der Veränderung und beantwortet für den Markt relevante Fragen: Wer verreist in Zukunft? Was sind
die Motivationen? Welche neuen Reisemärkte zeichnen sich ab? Welches
sind die beliebtesten Destinationen im Jahr 2020?
Die wichtigsten Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
1. Soziale Triebkräfte
_2020 bilden «die Alten» in Westeuropa die Mehrheit.
Kinder und Junge werden knapp.
_Individualisierung. Nachfrage nach Individualreisen wächst,
Nachfrage nach Pauschalreisen sinkt.
_Neue Familienstruktur. Immer mehr Singles,
immer weniger Familien mit Kindern.
_Das Gesundheitsbewusstsein wächst. Destinationen mit potenziellen
Gefahren für die Gesundheit geraten unter Druck. Gebiete mit verschmutzten
Gewässern und Stränden, dreckiger Luft, verbauten Landschaften, Ansteckungsgefahren usw. werden gemieden.
_Werteorientierung nimmt zu, es entsteht ein neuer Wettbewerb der Werte.
_Ökologische, ethische und soziale Werte werden wichtiger.
_Abstieg der Mittelklasse in Westeuropa.
_Freizeit nimmt ab. Westeuropa muss wieder länger arbeiten.
_Die Erhöhung des Rentenalters bremst den Zuwachs bei den Seniorenreisen.
2. Technologische Triebkräfte
_Verbreitung, Verfügbarkeit und Leistungsvermögen der Informationsund Kommunikationstechnologie wachsen weiter.
_Der Zugriff auf Tourist- und Booking-Information wird noch einfacher,
schneller und billiger.
_Transport: Mehr, schnellere und billigere Langstreckenverbindungen.
_Geotagging, Google Earth und GPS revolutionieren die Landkarten.
_Tracking-Services ermöglichen es, Reisende wie Postpakete
zu markieren und jederzeit zu lokalisieren.
_Extrem Engineering: Erschliessung neuer Destinationen, die Touristen bisher
nicht zugänglich waren, wie z.B. Unterwasserhotels und Weltraum-Ausflüge.
_Umwelt-Kontrolltechnologie wird wichtiger. Von Naturkatastrophen
gefährdete Destinationen hängen zunehmend von Frühwarnsystemen,
Wasseraufbereitungs- und Wetterkontrolltechnologie ab.
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Die Zukunft des Ferienreisens
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Summary
3. Wirtschaftliche Triebkräfte
_Verschärfter Wettbewerbsdruck. Touristen erwarten mehr Leistung für
weniger Geld.
_Booming Asia. Reichtum und Macht verschiebt sich Richtung Osten.
_Polarisierung der Nachfrage nach Billig- und Luxusangeboten.
Wachsender Druck auf die Mitte.
_Tägliche Tiefstpreise sind normal und werden erwartet. Die Preisspirale
dreht sich immer schneller nach unten und die Margen schrumpfen.
_Ende der Industriearbeit in Westeuropa.
4. Ökologische Triebkräfte
_Reine Natur wird knapp und dadurch wertvoller.
_Klimaveränderung. Regionale Klimavorteile verschieben sich.
_Ende der Ölreserven.
_Verkehrsstaus werden chronisch, die Folgeschäden nehmen zu, Reisen wird
immer mehr zur Tortur.
_Ozonloch: Die Sonne wird gefährlich. Sun? Just say no!
5. Politische Triebkräfte
_Politische Unsicherheiten nehmen zu und verhindern oder schränken
das Reisen ein.
_Terrorismus nimmt zu. Sicherheitsmassnahmen, Visabestimmungen und Einreisekontrollen werden weiter verschärft und machen Reisen komplizierter.
_Das Vertrauen in die Politik nimmt ab.
_Durch die Öffnung könnte China mit seinen vielen unentdeckten Schönheiten bis in 15 Jahren die meistbesuchte Tourismusdestination werden.
_Clash of Cultures. Interkulturelle Konflikte weiten sich aus
und spitzen sich zu. Dadurch wird das Reisen wieder gefährlicher.
Megatrends und Gegentrends und die Folgen für die Zukunft
der Ferienreisen
_Ferienreisen bleiben im Kern ein Massengeschäft. Doch es wird weniger
organisierten und mehr individualisierten Massenkonsum geben. Reisen
werden immer weniger pauschal und immer öfter à la carte gebucht. Herkömmliche Kategorien werden aufgehoben und die gewünschten Serviceund Komfortmodule individuell zusammengestellt.
_Anderseits sehnen sich die Menschen wieder vermehrt nach Gemeinschaft.
Das Bedürfnis nach persönlicher Begegnung und Zusammensein mit Familie
und Freunden ist häufig Ziel der Reise und wird wichtiger. Touristen erwarten künftig mehr Meeting- und Dating-Services. Die wachsende Zahl
der Singles benötigt Dienstleistungen, die ihnen helfen, ihr Sozial- und
Liebesleben zu organisieren.
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Summary
_Wenn die Komplexität explodiert und der Alltag immer chaotischer wird,
wir beruflich zur Mobilität gezwungen werden und immer öfter unterwegs sind, suchen wir zum Ausgleich in den Ferien mehr Normalität und
Stillstand. Wir bleiben zu Hause oder fahren jedes Jahr wieder an denselben
Ort. Die Vielfalt des Angebots droht immer mehr Reisende zu überfordern.
Wie sollen sich tausende über Achtzigjährige auf Grossflughäfen bewegen?
Auch in Zukunft werden daher einfache, aber smarte Pauschalen gefragt sein.
Einfachheit wird einerseits zum Privileg und bedeutet VIP-Behandlung: Auf
der «Fast Line» kommt man überall ohne Schlangestehen schnell und unkompliziert hin. Anderseits bedeutet Einfachheit auch mehr Reisearrangements
für «Dummies». Reisende erhalten elektronische GPS-Schutzengel und können gewissermassen automatisch «ferngesteuert» werden.
_2020 wird es keine abgrenzbaren Ferien-Freizeit-Bereiche mehr geben.
Denn Ferienreisen vermischen sich mehr und mehr mit anderen Tä tigkeiten. Es wird immer mehr hybride Angebote geben: Hotels, die mit
Kliniken, Schulen oder Museen zusammenwachsen, Ferienclubs, die auch
Handwerksarbeitsstätten haben, Hochhäuser mit Wellness-Resorts, Kreuzfahrtschiffe mit temporären Arbeitsplätzen.
_2020 wird es so gut wie keine unbekannten Destinationen mehr geben.
Die Welt ist entdeckt, die mehrheitlich reizübersättigten westeuropäischen,
älteren Kunden haben schon alles erlebt. Statt Rausch und Ekstase werden meditative Ruhe und spirituelle Erlebnisse gesucht. Das Leben in der
Erlebnisgesellschaft erschöpft die Menschen. Je mehr wir uns leisten können, desto mehr stossen wir an die Grenzen unserer physischen Ressourcen.
Relax-Angebote werden wichtiger als Unterhaltung.
Evolution des Tourismus
Die Reisemotive differenzieren sich über die Zeit hinweg immer stärker aus:
Nach der lebensnotwendigen und berufsbedingten Reisetätigkeit folgt das
Reisen aus Sinngründen hin zu Pilgerorten oder auf Kreuzzüge. In komplexer werdenden Gesellschaften kommt das Interesse an anderen Kulturen
auf. Entdeckung, Wissen und Bildung werden wichtig – und sicherlich auch
das daraus folgende Prestige. In der Folge verlagert sich das Interesse mehr
und mehr in das eigene Innere. Die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit in
der Auseinandersetzung mit fremden Sitten, andersartiger Kunst und neuen
Ideen rückt in den Vordergrund, sobald das Individuum sich selbst mehr in
den Mittelpunkt stellt.
Aber nicht nur das zunehmende Selbst-Bewusstsein der Menschen, auch
die zur Verfügung stehende Infrastruktur trägt ihren Teil zur vermehrten
Reisetätigkeit bei. Die Gefahren des Unterwegs-Seins nehmen ab, Wissen
und Reiseerfahrung nehmen zu, und Anleitungen machen das Reisen einfacher. Durch neue Transportmittel werden Reisen schneller und billiger;
steigende Einkommen erlauben Reisen nur um des Erlebnisses, der Erholung
und des Vergnügens willen auch für die breiten Bevölkerungsschichten – der
Weg für das Massenphänomen Tourismus ist frei geworden.
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Summary
Warum wir in die Ferien reisen
Basis-Motive und fundamentale Wünsche, die Ferienreisende antreiben
und in Zukunft noch wichtiger werden.
_Egal: Keine Erwartungen. Ich reise, weil ich kann.
Das Billigangebot schafft die Nachfrage.
_Erholung: Suche nach konzentrierter Erholung, Entspannung
und Regeneration. Ferien als emotionale Medizin gegen Erschöpfung,
Stress und Depressionen.
_Selbsterfahrung: Suche nach neuen Erfahrungen und Empfindungen.
Um sich zu finden. Nicht neue Orte, sondern mit neuen Augen sehen.
_Ablenkung und Vergnügen: Suche nach Vergnügen, Sport,
Spiel, Abwechslung und Ausbruch aus dem Alltag. Um sich zu verlieren.
_Abenteuer: Suche nach Abenteuer und Auseinandersetzung mit
dem Fremden. Befreiung von der Begrenztheit des Bekannten und Eigenen.
_Zusammensein: Suche nach Liebe und Zusammensein mit Partner,
Partnerin, Familien und Freunden.
_Sinngebung: Suche nach Sinn, Glück, Erlösung und Transformation.
Reisen, um Teil von etwas Grösserem zu werden und seinen Weg zu finden.
Thesen zum Tourismus 2020
Hyper-Holidayhubs: «More inclusive» nach Mass
Der Massentourismus von morgen spielt sich in Hyper-Holidayhubs ab.
Am Mittelmeer, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, China
und Brasilien entstehen riesige Ferienresorts. Diese hypermodernen
Erholungszentren bieten das ganze Spektrum dessen, was das Herz begehrt:
Wärme in allen Abstufungen, von der prallen Sonne bis zur wohldosierten
Thermo-Kur, Liebe von unverbindlicher Intimität bis zum romantischen
Abenteuer, körperliche Regenerierung vom Billig-Facelifting bis zur individuellen organischen Anti-Aging-Behandlung. Und dies alles komfortabel
unter einem Dach – einschliesslich Flughafen. Hier geht es darum, für möglichst wenig Geld Entspannung, gute Gefühle und Jugendlichkeit zu vermitteln. Holiday-Hubs bieten Fertigferien, die industriell so weit vorgefertigt
sind, dass sie nur noch ausgepackt und angerichtet werden müssen. Sind die
Erfolgsfaktoren von «guten Ferien» erst einmal entschlüsselt, wird es möglich, sie an unterschiedlichen Standorten nachzubauen. Genügend grosse
Landreserven und gute Verkehrsverbindungen vorausgesetzt, können solche
Holiday-Hubs überall auf der Welt errichtet werden.
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Summary
Care and Comfort
Wer mobil lebt, immer wieder den Arbeitsort und den Wohnort wechselt,
viel unterwegs und öfter mit Fremden als mit seiner Familie zusammen ist,
sehnt sich nicht mehr nach exotischen Ländern. Der hybride Mensch – ohne
feste Wurzeln – der in mehreren Gesellschaften parallel lebt, sehnt sich nach
einem Zuhause. Die Sehnsucht nach dem idealen Daheim wird umso grösser,
je kleiner die Chancen zur Realisierung werden. Heimweh wird daher wichtiger werden als Fernweh.
Da immer mehr Frauen ausser Haus arbeiten, ohne dass ihnen umgekehrt die Männer mehr Hausarbeit abnehmen, muss das Bedürfnis nach
Geborgenheit, Kuscheln und Umsorgtwerden in Zukunft vermehrt ausser
Haus befriedigt werden. Die Reisenden von morgen werden weniger vom
Reiz des Fremden angezogen als vielmehr vom «Hotel Mama», wo alles ist
wie daheim, nur eben besser.
Social Hubs for Meeting and Mating
Reisemärkte sind Beziehungsmärkte. Wir reisen, um neue Menschen kennen zu lernen oder weil wir heimlich hoffen, doch noch dem Mann oder der
Frau unserer Träume zu begegnen.
Für eine wachsende Zahl von Singles erweist sich die Suche nach einem
neuen Partner als zunehmend schwierig. Die herkömmlichen Praktiken der
Partnersuche haben unter den neuen Lebensbedingungen ausgedient.
Die Online-Partnervermittlung boomt nicht zuletzt darum, weil es on-land
für ältere Menschen keine Alternativen gibt. Es gibt keine Orte, wo Menschen
im reifen Alter einfach und unkompliziert neue Partner oder Lover kennen
lernen können.
Als Ergänzung zu den Online-Single-Börsen, Chatrooms und NetworkingPlattformen eröffnet sich für Reiseanbieter ein spannender Markt für reale
Treffpunkte. Künftig werden Partnervermittlungsdienste die Softwarelösungen und die Ferienanbieter die Bühne sowie die Mitspieler für mögliche
Liebesgeschichten liefern.
Ferien als emotionale Medizin
Der globale Trend nach Wohlfühlen und Gesundheit bewirkt ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Gesundheit ist die Voraussetzung zum
Glücklichsein und ein Wachstumsmarkt. Verbesserte Diagnose und Früherkennung von Gesundheitsrisiken veranlassen den Menschen, seine
Aufmerksamkeit stärker auf seine Empfindlichkeiten zu konzentrieren.
Viele sind für Angebote offen, die eine gesundheitsfördernde Wirkung
versprechen.
Die stärkere Spezialisierung der Medizin auf technische Eingriffe führt
zu Spezialisierungen der Pflege und der emotionalen Betreuung der
Genesenden. Geschwächte, Alleinstehende, von der Hightech-MedizinEnttäuschte werden in den Ferien vermehrt emotionalen Rückhalt suchen.
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Summary
Bei den Gesundheitsferien von morgen wird weniger die Hardware, sprich
Bäderanlage, Sauna, Fitnessräume, im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Software, das heisst die emotionale Betreuung.
Ankommen statt weglaufen
Der Reisende von morgen sucht immer öfter das Vertraute und nicht das
Fremde. Ferien werden zunehmend zu Hause, in der Region oder bei der
Familie verbracht. In reifen Märkten und alten Gesellschaften entsteht ein
neues Wohlstandsverständnis. Mehr Lebensqualität bedeutet Ruhe, Raum
und mehr Zeit für sich und seine Lieben.
Ältere Menschen haben andere Werte und Wünsche als junge Menschen.
Je älter wir werden, desto mehr hängt das Glück von immateriellen Werten
ab, von persönlichen Erfahrungen statt Besitz, von spannenden Beziehungen
statt langweiligen Egotrips. Nähe wird generell attraktiver. Ferien zu Hause
im erweiterten Sinne, verstanden als «zu Hause in der Region», werden
wichtiger.
Die beliebtesten Destinationen im Jahr 2020
Die Segmentierung in einen grossen Massenmarkt und in differenziertere Premiummärkte schreitet fort. Die Unterschiede zwischen Reich und
Arm werden nirgendwo plastischer fassbar sein als im Tourismusbereich.
Erlebnisintensität durch personalisierten Service bis ins ausgeklügeltste
Detail mit einer stilvollen Betreuung sind die entscheidenden Merkmale.
Man erlebt etwas Aussergewöhnliches, das man immer wieder gerne weitererzählt.
Superluxus
Reisen bleibt ein wichtiges Thema der Superreichen, denn durch Reisen lässt
sich Erfolg besser als irgendwie sonst jenseits von Materiellem ausdrücken.
Die Reichsten der Reichen wollen unter sich sein und sich nur noch mit
ihresgleichen messen. Exklusivität und Privatsphäre sind Schlüsselbegriffe
dieser Elite. Dabei gibt es Unterschiede bei den verschiedenen Generationen.
Die Jüngeren zeigen durch ultraluxuriöse Reisen, wie weit sie den anderen
ihres Alters bereits voraus sind. Babyboomers sehen sich als «Pfadfinder».
Statt in Firmen wird nun in Erlebnisse, ins eigene Leben und in die Familie
investiert.
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Summary
Luxus
Neuer Luxus meint Privatsphäre und Erlebnisse: Ein Wochenende lang
zu Hause mit allen Familienmitgliedern unter echten, alten Bäumen den
Schatten geniessen oder auf der eigenen Insel Familie und Freunde bei FullService versammeln, also einfach ungestört Zeit für sich selbst haben.
Da der allgemeine Lebensstandard bis 2020 sinkt, wird es ein immer grösserer Luxus, in kurzer Zeit seinen ganz eigenen individuellen Wünschen und
Sehnsüchten nachzugehen (oder auch nur Zeit, Ort und Service-Level der
Reise zu bestimmen) – egal ob auf See, im Gebirge oder im Weltraum.
Billig
Billig bleibt, was pauschal und für die Reiseveranstalter einfach zu handhaben ist: All-inclusive auf Mallorca für die Familie, in Thailand für das
Ehepaar. Billig bleibt auch, was sich an die Masse wendet: Rentnerkolonien
in Billiglohnländern mit standardisierten Pflegedienstleistungen – mitfinanziert von der Pflegekasse –, Flüge nach San Francisco für 100 Euro oder die
Kreuzfahrt mit EasyCruise.
Und bis 2070 können uns vielleicht, wie im Film «Total Recall», die
Erfahrungen einer Reise ins Gedächtnis implantiert werden – Souvenirs fürs
Wohnzimmerregal gibts natürlich dazu.
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1. Einleitung
1. Wohin geht die Reise für die
Tourismusbranche?
«Why consumer trends? Well… Why not? In a nutshell, tracking
consumer trends is a crucial way to understand what consumers
are doing now and may be doing next. Which ideally should inspire
you to dream up new goods, services and experiences for and with
your customers to meet and anticipate their needs.»
Tom Peters
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1. Einleitung
Wohin geht die Reise für die Tourismusbranche?
Im Freizeitpark «Futureworld» kann jeder Besucher wählen, in welcher
Epoche er sich amüsieren will. Lebensecht wirkende Ritter-, Indianer- oder
Astronauten-Roboter vermitteln dem Besucher ein unvergleichlich realistisches Erlebnis. Ob im Wilden Westen oder im alten Rom, wer in eine andere
Zeit reisen will, kann den Thrill hautnah erleben.
In «The Hichhiker’s Guide to the Galaxy» beschreibt Douglas Adams ein
Gerät, das immer weiss, wo man ist, und dem Touristen eine derart riesige
Menge von Sofortinformation über seinen aktuellen Standort, das Leben,
das Universum und was immer man wissen will, bietet, gerade so, als hätte
man Gott im Rucksack.
So hat man sich vor rund 30 Jahren die Zukunft der Ferienreisen vorgestellt
und damit Erwartungen programmiert und Entscheidungen beeinflusst.
Die Zukunft, die Michael Crichton und Douglas Adams in ihren Geschichten
entworfen haben, ist heute verfügbare Realität. (Google Earth als universeller
Reiseführer und Raumfahrt-Simulations-Zentren sind erst der Anfang.)
Niemand kann die Zukunft vorhersehen. Doch die Vorstellungen, die wir
uns heute machen, steuern die Erwartungen und Entscheidungen von
Entwicklern, Investoren, Unternehmern und Kunden.
Für die vorliegende Studie über die Zukunft der Ferien und des Reisens
haben wir untersucht, wie sich Zukunfts- und Trendforscher, ScienceFiction-Autoren, Freizeitforscher, Tourismus-Insider, Manager und TravelAgents die Zukunft der Ferienreisen vorstellen.
Im Vordergrund stand die Frage, wie sich die Werte, Wünsche und
Verhaltensweisen der Ferienreisenden entwickeln. Wer verreist in Zukunft?
Was sind die Motivationen? Welches sind die beliebtesten Destinationen im
Jahr 2020?
Klar zeigt sich: Die Welt der Reisen und Ferien wird dynamischer, komplexer
und volatiler. Die Mobilität explodiert; je mehr die globalen Informationsund die Güterströme wachsen, desto mehr wird auch der Personenverkehr
wachsen. Doch es bewegen sich nicht alle im gleichen Tempo und in die gleiche Richtung. Die Dynamik in den jungen und den alten, reifen Märkten
ist unterschiedlich. Die alternden Babyboomer in Westeuropa haben andere
Bedürfnisse und Wünsche als die aufstrebende Mittelklasse in Indien und
China. Diese Studie konzentriert sich auf die künftigen Werte, Wünsche
und Verhaltensweisen der Menschen in den gesättigten westeuropäischen
Märkten. Dies sind Menschen, die schon viel gereist sind, viel gesehen und
viel erlebt haben. Welche ihrer Ferienträume und Sehnsüchte bleiben?
Welche verändern sich?
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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1. Einleitung
Der erste Teil der Studie zeigt, wie sich, aus Sicht der Experten, die Welt
verändert. Welches sind die wichtigsten gesellschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Faktoren, die diese
Veränderungen antreiben? Welche Megatrends und Gegentrends beeinflussen das Reiseverhalten, und wie wirken sie sich auf das Reisegeschäft aus?
Der zweite Teil untersucht, wie sich Reisemotive im Laufe der Zeit verändert
haben und welches in Zukunft die wichtigsten Motive der Verreisenden sein
werden. Der letzte Teil hebt in fünf Thesen die spannendsten Entwicklungen
im Tourismus hevor. Welche neuen Reisemärkte zeichnen sich ab? Welches
werden 2020 die beliebtesten Billig-, Luxus- und Überluxus-Reiseziele sein?
Zeithorizont
Diese Studie untersucht substanzielle Veränderungen von Strukturen und
Prozessen sowie Werten und Verhaltensweisen, die in den nächsten fünfzehn
Jahren die Reisemärkte prägen werden. Im Vordergrund stehen die langfristigen Perspektiven, denn im Unterschied zu den saisonalen Trends, den jährlichen Tops und Flops, verändern sich die fundamentalen Bedürfnisse und
Motive der Reisenden nur langsam. Auch die Erschliessung und der Aufbau
von neuen Tourismusdestinationen, wie beispielsweise der Bau eines neuen
Flughafens oder die Sanierung von veralteten Infrastrukturen, dauert in der
Regel mindestens zehn Jahre.
Dynamik der Veränderung
Tempo
der Veränderung
hoch
in & out
Last-Minute Hits
saisonale Trends
Infrastruktur
Aufbau von neuen
und Sanierung von
alten Destinationen
tief
Reisemotive
und -verhalten
Zeit
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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1. Einleitung
Methode
Die Studie basiert auf der systematischen Analyse von Fachliteratur,
Trend-Studien und Websites zur Zukunft von Ferien und Reisen sowie auf
Expertengesprächen und Online-Befragungen.
Wir haben mit Trend- und Freizeitforschern, Autoren, Reiseliteraturexperten
und Tourismusspezialisten aus Europa, Indien und den Vereinigten
Arabischen Emiraten persönliche Interviews geführt. Dies mit dem Ziel, die
wichtigsten neuen Entwicklungsrichtungen und Veränderungsmuster aufzuspüren. Zudem wurden im Rahmen einer Online-Befragung bei KuoniTravel-Agents neue, ungewöhnliche Kundenbedürfnisse und -wünsche
erhoben. Tourismusexperten und Vertreter des Kuoni-Managements haben
anschliessend die Treiber der Veränderung und der Motive bewertet und
eingeordnet.
An der vorliegenden Trendstudie wirkten Eva Ludwig, Head of Strategic
Development, Kuoni Travel Holding Ltd. und folgende GDI-Researcher
mit: Stefan Kaiser, Daniel Staib, Stephan Sigrist und Nadia Rahim.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
_Die Gesellschaft wird älter, ärmer und ängstlicher.
_Die Technologie wird schneller, besser, billiger.
_Reichtum und Macht verschieben sich Richtung Osten.
_Die Natur wird knapper und wertvoller, die Sonne wird gefährlicher.
_Politische Unsicherheiten nehmen zu und schränken das Reisen ein.
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Soziale Triebkräfte
Mehr Alte, weniger Junge
Weil wir immer länger leben, konsumieren und reisen wir auch länger.
Bald bilden «die Alten» in Westeuropa, Australien und Japan die Mehrheit.
Ab 2006, wenn die ältesten «Babyboomer» (wie Bill Clinton) ihren
Sechzigsten feiern, wird die weltweite Alterung in bisher ungekannter
Geschwindigkeit voranschreiten. 2020 ist dann bereits ein Drittel der europäischen Bevölkerung über 50 Jahre alt. Kinder und Junge werden knapp.
Die «neuen Alten» verfügen über überdurchschnittlich viel Einkommen,
Zeit und Reiselust. Sie bewegen sich vorzugsweise im Dreieck von zu Hause
(Home Base), Leisure (wo ich gerne hingehe) und Familie (wo Kinder und
Enkel sind).
Zurück zur Grossfamilie
Die wichtige Zielgruppe der Familien verändert sich. Es gibt immer weniger
«junge», dafür mehr «alte» Familien. Die Gruppe der Singles nimmt zu,
diejenige der Kinder ab. Die Mehrgenerationenfamilie wird zu einer wichtigen Zielgruppe. Sie umfasst ganze «Familiennetze», Kinder mit Eltern,
Grosseltern, Tanten und Urgrosseltern. Die Partnersuche bleibt in Zukunft
lebenslang aktuell und wird als Ferienmotiv noch wichtiger werden.
Gesundheitstourismus
In der alternden Gesellschaft steigt der Wert von Gesundheit. Der globale Trend nach Wohlfühlen und Gesundheit bewirkt ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Gesundheit ist die Voraussetzung zum Glücklichsein,
aber auch für den «individuellen Marktwert» im Arbeits- und Partnermarkt.
Die Nachfrage nach «gesunden» Ferienreisen wächst rasant. Destinationen
mit potenziellen Gefahren für die Gesundheit geraten unter Druck.
Create-it-Yourself-Ferien
Konsumenten erwerben sich immer mehr Kompetenzen beim Produkteund Preisvergleich. Das Internet unterstützt die «Consumer Intelligence»
und Marktübersicht. Reisewillige werden smarter und unabhängiger.
Sie stellen zunehmend selbst ihren Holiday-Mix zusammen, und zwar aus
den Angeboten unterschiedlicher Anbieter. Diese Create-it-Yourself-Reisen
werden immer beliebter.
Prestige für die Massen
Die Verarmung des Mittelstands polarisiert die Nachfrage. Einerseits nehmen Preisbewusstsein und die Nachfrage nach Billigreisen weiter zu. Auf
der anderen Seite wächst auch der Wunsch nach exklusiven Reisen. Je mehr
Ferienreisen zur Ware werden, desto mehr differenzieren sich auch in diesem
Bereich neue Über- und Sub-Luxus-Märkte der Masstige-Kategorie* aus.
(*Masstige ist eine Detailhandelskategorie, die verhältnismässig günstige Waren mit vergleichsweise prestigevollen Markennamen umfasst, sozusagen «Prestige für die
Masse».)
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Weniger Zeit und weniger Geld
In Zukunft müssen wir wieder mehr und länger arbeiten, um unser
Einkommensniveau zu halten. Dadurch nimmt die Freizeit ab. Zudem wird
Arbeit auf Abruf immer mehr zur Regel. Damit werden aber auch Ferien
weniger langfristig geplant. Und je unsicherer es wird, ob man morgen noch
Arbeit und ein Einkommen hat, umso geringer wird die Neigung, Geld für
Ferien auszugeben. Die unumgängliche Erhöhung des Rentenalters bremst
den Zuwachs bei den Seniorenreisen.
Reisen mit Sinngehalt
Als Gegentrend zum Preis- und Mengenwettbewerb entsteht ein Wettbewerb
der Werte. Es zeichnet sich ein neues Wohlstandsverständnis ab, in dem
substanzielle und dauerhafte Werte wichtiger werden. Dabei findet ein
gesunder, verantwortungsbewusster und naturbezogener Lebensstil
(LOHAS: Lifestyle of Health and Sustainability*) in den USA und in
Europa immer mehr Anhänger. Lohas-Konsumtypen sind «Natur- und
Outdoor-Urlauber». Extreme Anhänger dieser gesundheitsbewussten, auf
Nachhaltigkeit bedachten Haltung wenden sich gegen jegliche Form von
Umweltverschmutzung. Auch Ferien müssen für sie ökologisch und sozial
verträglich sein.
Feminisierung der Ferien
Die Frauen entwickeln sich immer mehr vom schwachen zum starken
Geschlecht. Ihr sozioökonomischer Status gleicht sich demjenigen der Männer an. Sie verfügen zunehmend über Einkommen und Unabhängigkeit.
Frauen verreisen öfter allein oder mit anderen Frauen. Wohlfühlen, Wellness, Beauty, Fashion, Design, Kultur und Bildung werden als Faktoren beim
Ferienentscheid wichtiger. Frauen ab Mitte vierzig sind die Trendsetter für
Gesundheitsreisen.
Welches sind die wichtigsten sozialen Triebkräfte?
Social Drivers
Ageing society
Individualism Have it your way
New family structures
Health-consciousness will increase
Orientation towards values increases
Decline of middle class in Europe
Leisure time decreases
0%
5%
10%
15%
in % der Rangpunkte
*www.lohas.com
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Source: GDI Expert-Survey, Jan 2006
Die Zukunft des Ferienreisens
20%
25%
30%
20
2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Technologische Triebkräfte
Elektronische Reiseführer
Verbreitung, Verfügbarkeit und Leistungsvermögen der Informationsund Kommunikationstechnologie wachsen weiter. Der Zugriff auf Reiseinformationen wird schneller, besser und billiger. Online zu buchen wird
einfacher und selbstverständlicher. Mobile Tools wie Smart Phones und
Kleinstcomputer machen das Reisen einfacher und sicherer. «Elektronische
Schutzengel» (Digital Angels) dienen als Reiseversicherung und garantieren,
dass niemand verloren geht. In bestimmten Ländern oder Gefahrenzonen
werden die «elektronischen Fesseln» sogar Pflicht, damit Reisende jederzeit
lokalisierbar sind.
Interaktive Landkarten
Google Earth, GPS und Social Software (zum Beispiel Flickr.com, eine WebPlattform für den Austausch digitaler Fotos) werden die Art des Reisens
radikal verändern. Via Google Earth zoomt man in die Strassenschluchten
von New York, beobachtet den Verkehr und sieht, wo sich seine Bekannten
treffen, wo sie shoppen und essen. Peer-to-Peer-Travel-Guides werden herkömmliche Reiseführer nach und nach verdrängen. Social Software verbindet Menschen und verändert ihr inneres Navigationssystem. Statt den
offiziellen Sightseeing-Routen zu folgen, browsen die Reisenden durch die
Lifeseeing-Links, die ihre Peers geschaffen haben.
Neue Transportmittel
Neue Transportmittel wie der Airbus 380, die Boeing 7E7 «Dreamliner», eine
zukünftige Concorde und High-Speed-Züge machen das Reisen noch billiger und schneller. Ob die schnellen Züge innerhalb Europas eine Alternative
für Flugverbindungen sein werden, ist offen. Bessere Verbindungen ziehen
aber auch mehr Verkehr an. Der Zuwachs an Mobilität wird begrenzt durch
die Kapazität von Strassen, Flughäfen, Bahnlinien und Bahnhöfen.
Welches sind die wichtigsten technologischen Triebkräfte?
Technological Drivers
Availability of Information
Transport faster and cheaper
New search and mapping services
Tracking and Electronic Escort Services
Extreme Engineering
Environment Control Tech
0%
5%
10%
15%
in % der Rangpunkte
Source: GDI Expert-Survey, Jan 2006
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
20%
25%
30%
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Extreme Engineering
Wozu Ingenieure fähig sind, zeigen die Extrem-Hotels in Dubai: Der Quantensprung von der künstlichen Insel mit selbstversorgender Infrastruktur
zum Unterwasser-Hotel, zum Weltraum-Hotel in der Erdumlaufbahn oder
auf dem Mond ist nicht mehr gross. High-Tech-Kreuzfahrtschiffe, mobile
Hotels und Hyperdomes sind die Vorreiter.
Faktor Umwelt
Qualität und Erhaltung der natürlichen Ressourcen werden zu wichtigen
Faktoren der Ferien- und Reiseindustrie. Umwelt-, Wasseraufbereitungsund Wetterkontrolltechnologie müssen in ihren Dienst gestellt werden. Denn
ohne technische Fortschritte in der Umwelttechnologie, Wasseraufbereitung
und Wettermanipulation könnte sich das Risiko für Naturkatastrophen in
vielen Ferienregionen zuspitzen.
Ökonomische Triebkräfte
Stagnierendes Mittelklasse-Einkommen
In Westeuropa steht das Ende der Industriearbeit bevor. Viele Wirtschaftszweige und Arbeitsplätze wandern ab. Dadurch stagnieren oder sinken die
mittleren Einkommen. Die Mittelschicht sieht sich gezwungen, wieder mehr
und länger zu arbeiten. Da Einkommen und Kaufkraft stagnieren, stagnieren auch die Reiseausgaben.
Preisdruck durch Globalisierung
Liberalisierung und Globalisierung schreiten weiter voran. Globale
Informations-, Güter-, Kapitalströme wachsen und damit auch die Konkurrenz. Je stärker die Ferienangebote standardisiert werden, umso härter
wird die Konkurrenz zwischen den Destinationen. Überkapazitäten, steigender Wettbewerbsdruck und beschleunigte Innovationszyklen bedeuten, dass sich die Preisspirale schneller nach unten dreht und die Margen
schrumpfen.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
22
2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Verschärfter Wettbewerbsdruck
Der Wettbewerbs- und Preisdruck nimmt zu. Touristen erwarten mehr
Leistung für weniger Geld – also Business-Class-Service für Economy-Preise.
Reise-Discounter wachsen, Billigangebote ziehen neue Konsumentengruppen an.
Boomendes Asien
Es findet eine enorme Verschiebung von Reichtum und Macht Richtung
Osten statt. Dort gibt es drei Milliarden potenzielle neue Kapitalisten. In
Indien und China entsteht eine schnell wachsende Mittelklasse, die reisen
will und sich dies auch leisten kann. Bereits heute könnten 110 Millionen
Chinesen Business-Klasse reisen. Bis im Jahr 2020 sollen 120 Millionen
Chinesen pro Jahr Urlaub im Ausland verbringen. Fehlende Sprachkenntnisse
zwingen sie vorerst noch zu Gruppenreisen.
Welches sind die wichtigsten ökonomischen Triebkräfte?
Eonomlcal Drivers
Liberalization of the economy
Booming Asia
Polarization of demand for cheap luxury offers
Everything will become cheaper
End of industrial work in Western Europe
Growing vulnerability of financial markets
0%
5%
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in % der Rangpunkte
Source: GDI Expert-Survey, Jan 2006
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
20%
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Prognosen der World Tourism Organization (UNWTO)
Die globalen Reisemärkte verzeichnen ein seit Jahren nahezu ungebrochenes Wachstum. Tourist 2020 von UNWTO rechnet auch künftig mit
einer jährlichen Wachstumsrate von 4 Prozent.
Gemäss UNWTO gewinnen die Nischen-Destinationen zunehmend
Marktanteile: 1950 hatten die Top-5-Destinationen einen Marktanteil
von 71%, 2002 betrug der Marktanteil der Top-5 nur noch 35%.
Die stärksten Wachstumsfelder sind laut der internationalen Tourismusorganisation: Kulturreisen, Kreuzfahrten, Short Breaks, internationale
Meetings und Ökotourismus.
Gemäss den Prognosen von Tourismus Vision 2020 der UNWTO
über schrei ten internationale Reisen 2020 die Marke von 1,56 Mil liarden pro Jahr. Davon sind 1,2 Milliarden intraregionale Reisen und
0,4 Milliarden Fernreisen. Bei den touristischen Totalankünften pro
Region führen Europa (717 Millionen Touristen), Ostasien und Pazifik
(397 Millionen) sowie Nord- und Südamerika (282 Millionen), gefolgt von
Afrika, dem Mittleren Osten und Südasien.
Für Ostasien und Pazifik, Südasien, den Mittleren Osten und Afrika
wird eine Wachstumsrate von über 5 Prozent pro Jahr prognostiziert,
verglichen mit einem Weltdurchschnitt von 4,1 Prozent. Die entwickelten Regionen Europa und Nord- und Südamerika dürften unterdurchschnittliche Wachstumsraten zeigen. Europa soll den höchsten Anteil der
Weltankünfte behalten, allerdings soll er von 60% (1995) auf 46% (2020)
fallen.
Fernreisen sollen von 1995 bis 2020 weltweit stärker zunehmen (+5,4%
pro Jahr) als intraregionale Reisen (+3,8%). Dementsprechend verschiebt
sich das Verhältnis zwischen intraregionalen Reisen und Fernreisen von
82:18 (1995) auf 76:24 (2020).
Quelle: Tourism 2020 Vision http://www.world-tourism.org/facts/menu.html
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
24
2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Ökologische Triebkräfte
Natur im Mittelpunkt
Reine Natur wird knapper und dadurch wertvoller. Das Wirtschaftswachstum
in Asien beschleunigt den Naturverbrauch. Intakte und unberührte Natur
wird Luxus und immer öfter unter Schutz gestellt. Die Nachfrage nach
ökologisch intakten, wilden Landschaften wächst. Doch der Zugang zu
Biosphärenreservaten wird limitiert. Nur eine bestimmte Anzahl Besucher
pro Monat erhält Zugang zu Weltkulturerbe- und Weltnaturerbe-Gebieten.
Die Ferienanbieter werden verantwortlich für das richtige, nachhaltige
Verhalten der Touristen.
Stauschäden
Der Bau neuer Verkehrswege und die Kapazitäten des Verkehrsnetzes hinken
der Zunahme des Verkehrs hoffnungslos hinterher. Die Staus werden von
Jahr zu Jahr länger und die Stauschäden höher. Betroffene Gebiete werden
als Feriendestinationen unattraktiv, und Reisen kann zur Tortur werden.
Ende der Ölreserven
Natürliche Ressourcen werden knapper, besonders fossile Energie und Wasser. Es müssen alle verfügbaren Möglichkeiten zum Energiesparen genutzt
werden. Wenn das Benzin knapper wird, verteuert sich das Fliegen wieder.
Wasserkrise
Der Wasserverbrauch ist im Tourismus überdurchschnittlich hoch. Sauberes
Wasser wird zum Schlüsselwert einer Destination. Die Verfügbarkeit von frischem Süsswasser limitiert das Wachstum von Massen-Tourismus-Resorts
im Nahen Osten.
Welches sind die wichtigsten ökologischen Triebkräfte?
Evironmental Drivers
Unspoilt nature will become rare
Change of climate
The end of the oil age
Traffic jams will become chronic
Hole in the ozone layer
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in % der Rangpunkte
Source: GDI Expert-Survey, Jan 2006
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Klimaveränderung
Regionale Klimavorteile verschieben sich. Klimasichere Gebiete gewinnen. Klimaunsicherheit zwingt viele Tourismusgebiete, sich grundlegend
neu auszurichten; anderseits können auch bisher unwirtliche Gebiete – wie
zum Beispiel Sibirien – aufgrund der Klimaerwärmung touristisch besser
erschlossen werden.
Sonne als Gefahr
Sun? Just say no! Durch die Vergrösserung des Ozonlochs wird Sonne zunehmend gefährlich. Badeferien müssen mit den Warnhinweisen versehen werden: «Sonnenbaden gefährdet Ihre Gesundheit.»
Politische Triebkräfte
Weniger Vertrauen in die Politik
Die Gesellschaft misstraut Politik und Wirtschaft. Nonprofitorganisationen
erleben einen Aufschwung. Sie geniessen eine grössere Glaubwürdigkeit als
die Politik oder die Wirtschaft.
Politische Unsicherheiten
Kriege, Konflikte, Anschläge, Epidemien verhindern oder schränken das
Reisen ein. Bestimmte Destinationen oder bestimmte Reiseformen werden
nicht mehr für Touristen zugänglich. Nimmt die Bedrohung zu, müssen die
Sicherheitsmassnahmen, Visabestimmungen und Einreisekontrollen weiter
verschärft werden. Die Kosten für die Sicherheit beim Reisen steigen.
Welches sind die wichtigsten politischen Triebkräfte?
Political Drivers
Political insecurities will increase
Growth of terrorism
Opening up of China
Faith in politics will decline
Disintegration of shared values
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in % der Rangpunkte
Source: GDI Expert-Survey, Jan 2006
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
20%
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2. Triebkräfte der Veränderung im Tourismus
Clash of Cultures
Interkulturelle Konflikte weiten sich aus und spitzen sich weiter zu. Die
Toleranz zwischen Kulturen nimmt ab. Dadurch wir das Reisen (wieder)
gefährlicher.
Umgekehrt führt höhere politische Stabilität in manchen Gebieten dazu,
dass neue Gebiete touristisch erschlossen werden. Dadurch wird der
Wettbewerb zwischen den Destinationen noch härter. Durch die Öffnung
könnte China mit seinen vielen unentdeckten Schönheiten bis in fünfzehn
Jahren die meistbesuchte Tourismusdestination werden. Auch Kriegs- und
Konflikt gebiete der jüngsten Vergangenheit, bekannt geworden durch
Nachrichtensendungen, werden zu Touristenattraktionen.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
27
Megatrends und Gegentrends
3. Megatrends und Gegentrends und die
Folgen für die Travel Industry
_Ferienreisen bleiben im Kern ein Massengeschäft.
_Create-it-Yourself-Reisen werden immer beliebter.
_2020 wird es so gut wie keine unbekannten Destinationen mehr geben.
_Einfachheit wird zum Privileg und bedeutet auch VIP-Behandlung.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
28
Megatrend
Megatrends sind substanzielle
Veränderungen von Strukturen
und Prozessen sowie Werten
und Verhaltensweisen, die in den
Megatrends und Gegentrends
Megatrend und Gegentrend
Folgen für Ferienreisen 2020
Individualisierung
Folgen der Individualisierung
Trend: Der Einzelne interessiert
sich vor allem für sich selbst. Das
Individuum wird zum Dreh- und
Angelpunkt der Gesellschaft.
Ferienreisen bleiben im Kern ein
Massengeschäft. Individual- und
Pauschalreisende benutzen dieselbe Infrastruktur – die gleichen
Flughäfen, die gleichen Hotels, die
gleichen Strände. Sie besichtigen
die gleichen Denkmäler, folgen
den gleichen Geheimtipps und
essen und shoppen in den selben
In-Quartieren und In-Lokalen.
Je mehr Menschen reisen, umso
kleiner ist die Chance, touristisch
unerschlossene Gebiete zu finden
und sich ausserhalb von ausgetretenen Pfaden zu bewegen. Es wird
Folgen
der Individualisierung
auch
morgen
noch Massenkonsum
geben, doch weniger organisiert
und individualisierter. Reisen
werden immer weniger pauschal
und immer öfter à la carte gebucht
(Taylor made). Herkömmliche
Kategorien werden aufgehoben
und die gewünschten Service- und
Komfort-Module individuell
zusammengestellt, zum Beispiel der
Billigstflug mit dem Fünfsternhotel
und der Hormontherapie. So können etwa Ferien in Indonesien in
zigtausend Varianten angeboten
werden. Die «neuen Senioren» oder
«Aging Babyboomers» kurbeln die
Nachfrage nach massgeschneiderten
Ferienreisen zusätzlich an.
Sie sind mit zunehmendem
Alter immer stärker auf individualisierte Services angewiesen: Diäten,
Spezialeinrichtungen, -betten,
-badezimmer, Rollstuhlgängigkeit,
Komfortsitze im Flugzeug oder
Reisebus usw. Sie wollen deswegen
aber nicht in Seniorengruppen
reisen und in Seniorenresorts
absteigen.
nächsten zehn bis fünfzehn Jahren
weltweit quer durch verschiedene
Branchen wirksam sein werden.
Wer sich ein Bild von der Zukunft
machen will, muss nicht nur
die wichtigsten Zeitströmungen
kennen, sondern auch die Kräfte,
Stichworte: «It’s all about me»,
Selbstverwirklichung,
Selbstverbesserung, Ich-AG,
Vereinzelung, Personalisierung,
«Have it your way», «Was will
ich und wo bekomme ich es?»
die sich ihnen entgegensetzen.
Jeder Trend hat einen Gegentrend.
Im Folgenden wird untersucht,
wie sich die wichtigsten
Megatrends und Gegentrends*
auf die Nachfrage und das Angebot
von Ferienreisen auswirken.
* basierend auf der GDI_Studie Nr.
4, «Megatrends Basic», von David
Bosshart und Karin Frick, GDI 2003
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
29
Megatrends und Gegentrends
Individualreisen mit wirklich persönlicher One-to-one-Betreuung,
Privatinseln, Privatchauffeuren,
Folgen der Individualisierung
Privatflugzeugen,
private Raumfahrt- und Urwaldexpeditionen
bleiben Luxus und werden auch in
Zukunft nur sehr beschränkt
verfügbar sein. Zum One-to-onePackage gehört auch eine wachsende Nachfrage nach globalen
Direktverbindungen wie globalen
Privattransport-Services oder Flügen
mit «Halt auf Verlangen»
(www.netjets.com).
«Der Urlaub wird 'Adel' und
'Neureichtum' in nie gekannter
Weise darstellen können. Ferien
machen wird ein neues soziales
Gut werden. Die verloren
gegangenen sozialen Differenzierungsmöglichkeiten in den
westlichen Industrie- und Konsumgesellschaften werden durch
neue Formen des Urlaubmachens
und Reisens abgelöst.»
(H. Jürgen Kagelmann)
Individualisierung wird zunehmend vorausgesetzt. Aus Sicht der
Kunden ist Individualisierung ein
wesentliches Qualitätsmerkmal
und wird bei Qualitätsprodukten
selbstverständlich erwartet. Wer
Qualitätskunden zufrieden stellen
will, muss persönlich werden und
frei kombinierbare Reisebausteine
anbieten.
«Reisebüros werden in Zukunft
Star-Designer engagieren um ihre
Reiseprogramme zu entwerfen.
Diese Reisekreationen werden
zu Sammlerstücken in dem Sinn,
dass sie für ausgewählte Kunden
massgefertigt, nur einmalig
Der individualisierte Massentourismus setzt voraus, dass man
die Bedürfnisse und Wünsche
der Konsumenten immer besser
kennt. Kundendaten werden das
wichtigste Kapital. Damit wird der
Trend zum Online-Reisebüro zum
Programm. Denn: Die Anbieter von
Internet-Reisen wissen besser, was
ihre Kunden suchen und können
aufgrund von ausgeklügelten kollektiven Empfehlungssystemen viel
bessere Reiseempfehlungen bieten
als ein herkömmliches Reisebüro es
je kann. – So wie die Konsumenten
bereits heute von Amazon bessere
Buchempfehlungen erhalten als von
einem herkömmlichen Buchhändler.
durchgeführt werden und damit
das Ferienerlebnis zur Legende
machen.»
(Joël Henri)
Neue Nischen für Reiseanbieter
liegen in der nächsten Stufe
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
30
Megatrends und Gegentrends
der Individualisierung: der
Reiseorganisation nach Mass. Bei
diesen massgeschneiderten Reisen
steht das Erlebnis-Design im
Vordergrund und nicht der Luxus.
Denkbar ist, dass Star-Reisedesigner
einzigartige Reiseprogramme entwerfen, die nicht wiederholbar sind.
Für eine kleine Zahl privilegierter
Reisender beginnt ein Wettrennen
um den aussergewöhnlichsten
Urlaub. Die Reisekonzeption könnte
zu einem sehr geschätzten, fast
künstlerischen Akt und «TravelDesigner» zu Medienstars werden.
Gegentrend
«Die Sehnsucht nach Liebe und
Erotik ist eines der Hauptmotive
um wegzufahren. Trotzdem wird
es in der Tourismusbranche kaum
thematisiert. Die Generation
50+ wird Erotik viel stärker und
offener leben; sie hat bereits
Neo-Tribalisierung
Folgen der Neo-Tribalisierung
Trend: Entstehung von neuen
Gemeinschaften. Die Menschen
suchen wieder vermehrt nach
Gemeinschaftsformen, die
ihnen Orientierung, Sicherheit,
Geborgenheit, Halt und auch
Wissen vermitteln.
Reisen bringen Menschen
zusammen. Das Bedürfnis nach
persönlicher Begegnung und
Zusammensein mit Familie und
Freunden ist häufig Ziel der Reise.
Touristen erwarten künftig mehr
Meeting- und Dating-Services.
Stichworte: Zugehörigkeit,
Gemeinschaft, Vernetzung.
Bei Frauen hat sich das durchschnittliche Zeitfenster für «Dating»
in den letzten zwanzig Jahren von
1,3 Jahren auf 12,0 Jahre erhöht.
(Silverstein, Trading up, 2004)
viele Liebeserfahrungen gemacht
und die Lust und die Sehnsucht
nach Liebe hören ja mit dem
Älterwerden nicht auf.»
(Felizitas Romeiss-Stracke)
Die wachsende Zahl der Singles
benötigt Dienstleistungen, die
ihnen helfen, ihr Sozial- und
Liebesleben zu organisieren:
Die Sehnsucht nach Liebe und
Sex ist eines der Hauptmotive, um
wegzufahren. Trotzdem wird es in
der Tourismusbranche kaum thematisiert. Die Generation 50+ wird
Lust und Liebe viel stärker und
offener leben. Sie hat bereits viele
Liebeserfahrungen gemacht, und
die Sehnsucht nach Liebe hört im
Alter nicht auf.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
31
Megatrends und Gegentrends
Dank «Consumer Intelligence
Networks» verschiebt sich die
Macht zum Kunden. Konsumenten
vernetzen sich und informieren
sich zunehmend unabhängig von
Herstellern und Handel. Egal, ob
man ein Hotel oder einen Golfplatz
sucht, man wird diejenigen
bevorzugen, die von einem Freund
empfohlen werden – oder
zumindest vom Freund eines
Freundes. Ein schlecht behandelter Kunde erzählt seine negative
Erfahrung online tausend
anderen weiter.
Information ist billig und immer
und überall im Überfluss verfügbar. Das Internet erlaubt eine
grosse Übersicht sowie rasche
Preis- und Leistungsvergleiche.
In Zukunft gibt es daher keine
Geheimtipps mehr – ausser denjenigen, die von Vertrauten und
Vertrauenswürdigen, also mir ähnlichen Menschen, geäussert werden.
Kunden beraten Kunden:
Die Masse der vernetzten Kunden
bildet eine Art «höhere Intelligenz»
und wird zur wichtigsten
Entscheidungsinstanz, die jedem
noch so brillanten Experten vorgezogen wird: Reiseinformationen,
Hitlisten – Tipps, Empfehlungen,
Kritiken – werden künftig von
Kunden für Kunden generiert. Dies
sind die einzigen Ratings, denen die
Kunden wirklich vertrauen.
Die Fotos auf www.flickr.com
zeigen, wie es am Ferienort wirklich
aussieht, Kritiken auf
www.hotel-kritik.net oder
www.kayak.com sagen, wie gut der
Service in einem Hotel wirklich ist,
www.airlinecheck.com oder
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
32
Megatrends und Gegentrends
www.airlinemeals.com informiert
darüber, was man in Airlines
wirklich isst.
«Live local»: In einer Netzwerkgesellschaft hat man überall auf
der Welt Freunde, bei denen man
übernachten und temporär wohnen
kann. Dies möchte man auch, weil
es authentischer und persönlicher
ist als in anonymen Hotelketten
oder Resorts. Über Ebay – und ähnliche Plattformen – kommen auch
immer mehr Privatunterkünfte auf
den Markt. Wer etwas Geld dazu
verdienen oder neue Menschen
kennen lernen will, vermietet ein
Zimmer oder auch nur das Sofa.
Home Swapping, der Wohnungstausch und Dienste wie
www.couchsurfing.com eröffnen neue Perspektiven für
Billigtourismus und authentische
Ferienerlebnisse, bei denen Lifeseeing und nicht Sight-seeing im
Zentrum stehen.
Megatrend
Komplexität
Folgen der Komplexität
Trend: Dynamik wie Komplexität
explodieren. Die Ungewissheit
nimmt zu. Das Unverständliche
wächst schneller als das
Verständliche. Wir verstehen
immer weniger, was um uns
herum passiert, verlieren den
Überblick und die Kontrolle.
Die Komplexität und Anforderungen im Beruf und im Privaten
wachsen weiter. Die modernen
Lebensläufe sind gekennzeichnet
durchBrüche,Lebensabschnittspartnerschaften, Patchworkfamilien,
Berufswechsel, Sabbaticals,
Wiedereinstieg, zweite und dritte
Karrieren. Das normale Leben ist
voll Abwechslung, Aufregung und
Veränderung. Wer nicht permanent
neu dazulernt, verliert schnell den
Anschluss, versteht die Welt nicht
mehr und wird zu Hause zum
Fremden. Wer nicht im Internet
suchen und buchen, SMS schreiben, digital fotografieren kann,
gerät ins Abseits. Das normale
Leben ist anstrengend und auf-
Stichworte: Netzverdichtung,
Ungewissheit, Kontrollverlust,
Informationsüberlastung.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
33
Megatrends und Gegentrends
regend genug. Da bleibt wenig
Lust auf Abenteuer und Neuentdeckungen übrig.
Wenn der Alltag immer chaotischer
wird, wir beruflich zur Mobilität
gezwungen werden und immer
öfter unterwegs sind, suchen wir
zum Ausgleich in den Ferien mehr
Normalität und Stillstand, bleiben zu Hause oder fahren jedes
Jahr wieder an denselben Ort. Der
Erholungsbedarf bleibt hoch, doch
die physische und psychische Energie
für Aktivferien ist beschränkt.
Gegentrend
Einfachheit
Folgen der Einfachheit
Trend: Die Menschen wollen nicht
noch mehr Möglichkeiten,
sondern mehr Orientierung,
Klarheit und Überschaubarkeit.
Das Reiseangebot explodiert. Wir
können jedes Jahr zwischen mehr
Destinationen, mehr Aktivitäten
und mehr Komfort-Levels wählen.
Doch mehr Information führt
auch zu mehr Konfusion. Mit der
Anzahl der Auswahl- und Kombinationsmöglichkeiten steigt die
Wahrscheinlichkeit von Missverständnissen und Komplikationen.
Zudem machen strengere Sicherheitsbestimmungen das Reisen
komplizierter.
Stichworte: «weniger ist mehr»,
Reduktion von Optionen und
Funktionen, klare Kriterien, einfache Lösungen.
Die Vielfalt des Angebots droht
immer mehr Reisende zu überfordern. Wie sollen sich tausende über
Achtzigjährige auf Grossflughäfen
bewegen? Wie sollen Massen von
Chinesen ohne Reiseerfahrung und
Fremdsprachenkenntnisse individuell durch Europa reisen? Welches
kaufkräftige Doppelverdienerpaar
hat Zeit, sich ein Städte-Weekend
bis ins kleinste Detail (bis zum
Blumenschmuck im Hotelzimmer)
zusammenzustellen?
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
34
Megatrends und Gegentrends
Einfache, aber smarte Pauschalen
werden auch in Zukunft gefragt sein.
Denn Einfachheit wird zum Privileg
und bedeutet auch VIP-Behandlung:
Auf der «Fast Line»kommt man überall ohne Schlange-stehen schnell und
unkompliziert hin. Gepäcktransporte
von Tür zu Tür, direkte private
Transfers zwischen zu Hause, Airport
und Hotel erleichtern das Reisen.
Anderseits ermöglicht Einfachheit
auch mehr Reisearrangements für
«Dummies». Dank elektronischen
Begleitservices können und werden
in Zukunft auch Kinder, Behinderte
und 100-Jährige öfter allein reisen.
Reisende erhalten elektronische GPSSchutzengel und können so automatisch «ferngesteuert», überwacht,
geführt und betreut werden, so dass
sie sich (und ihre Angehörigen)
sicher fühlen.
Megatrend
Ökonomisierung
Folgen der Ökonomisierung
Trend: Der Markt diktiert den
Takt und die Spielregeln. Der Zeit-,
Kosten- und Wettbewerbsdruck
nimmt in allen Lebensbereichen zu.
Gesellschaft und Politik sind ein Teil
der Wirtschaft und nicht mehr
umgekehrt. Die Dynamik der
Finanzmärkte prägt die Dynamik
der Arbeits- und Konsummärkte.
Das bedeutet Tages- oder
Minutenpreise statt Fixpreise,
Marktwert statt Nutzwert, Handel
statt Lagerhaltung. Flexible
Preisbildung wird die Regel. In
immer mehr Märkten herrscht rigoroses Yield-Management.
Der Billigtrend verändert auch
die Reisegewohnheiten. Tägliche
Tiefstpreise sind normal und
werden erwartet – nicht nur für
Kurzstrecken, sondern auch für
Langstreckenflüge. Die Reisenden
stellen bei knapper werdendem
Geld- und Zeitbudget genauso hohe Ansprüche wie früher.
(Der Business-Kunde ist ein
Billigkunde.)
Stichworte: Liberalisierung,
Shareholder-Value, Benchmarking,
Effizienz und Effektivität, «Was
bringts mir?»
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
Das Selbst- und Preisbewusstsein
der Konsumenten steigt. Sie
haben mehr Reiseerfahrung, sind
qualitätsbewusst, besser gebildet, haben Zugriff zu besseren
Informationen und fordern immer
mehr für immer weniger. Selbst
von Billigangeboten wird hohe
Qualität erwartet. Die Forderung
lautet: Qualitätsreisen zu günstigen
Preisen.
35
Megatrends und Gegentrends
Wachsender Preisdruck und sinkende Margen zwingen Anbieter,
ihre Angebote immer mehr zu
standardisieren. Dadurch werden
Ferien mehr und mehr zu austauschbaren Massenprodukten
und der Preis zum zentralen
Entscheidungskriterium.
Discount-Angebote, das heisst
Standardisierung mit wenigen
Varianten («Executive Economy»),
werden in Zukunft noch wichtiger.
«Viele werden absteigen, wenige
werden aufsteigen (80:20). Die
'Arme Mitte' ersetzt 2020 den
Mittelstand in Deutschland.»
(Peter Wippermann)
«It's a do-it-yourself world»:
Selbstservice, Online-Booking, SelfChecking werden in Zukunft genauso normal sein wie Selbstbedienung
im Supermarkt. Zentrale Faktoren
für die Akzeptanz sind: Einfachheit,
Usability und Zeitersparnis.
Persönliche Betreuung und
Bedienung wird zum Luxus, den
sich nur noch Premium-Kunden
leisten können: «Ob jemand einen
Flat-Screen TV besitzt oder nicht,
wird einem weniger über diesen
Konsumenten sagen, als wenn man
betrachtet, welche Dienstleistungen
er in Anspruch nimmt, wo er lebt
und welche Kontrolle er über die
Arbeit derjenigen hat, die für ihn
arbeiten.»
(Dalton Conley, NYT, 05-29-05)
«Ich sehe grosse Sanierungsprogramme auf uns zukommen
bei den traditionellen Massendestinationen, also zum Beispiel
spanische Küste, Mallorca, zentrale
Alpen. Eine gewisse Zeit lang kann
man diese Angebote noch über
Resteverwertung an den Mann bringen, aber das Ende ist absehbar.»
(Felizitas Romeiss-Stracke)
Travel-Agents müssen ihre Services
automatisieren und zu OnlineDiensten mutieren (One-ClickBooking) oder sich auf PremiumKunden und VIP-Services spezialisieren analog einer Privatbank.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
36
Gegentrend
«Von der Tsunami-Hilfe in Indonesien bis zu den aufständischen
Kommunen in Chiapas taucht
das Gespenst eines massenhaften
NGO- oder Revolutionstourismus
auf, der sich auf keinen Fall als
solcher begreifen kann, aber durchaus auf touristische Ressourcen,
Transportmittel, Unterkünfte,
Megatrends und Gegentrends
Dekommerzialisierung
Folgen der Dekommerzialisierung
Trend: Der Grenznutzen der
Ökonomisierung sinkt, die ungewollten Nebenfolgen wachsen
schneller als der Wohlstand. Das
Vertrauen zwischen Gesellschaft
und Wirtschaft schwindet, der
Druck der Stakeholder nimmt
zu und beeinflusst Angebote und
Markenstrategien der Anbieter.
Der Druck von Seiten der Politik
oder NGOs zur Umsetzung
von Umwelt- und Ethik-Codes
wird zunehmen. Touristische
Grossprojekte sind in Westeuropa immer schwerer realisierbar.
Zerstreuungsmöglichkeiten,
angewiesen ist.»
(Marcus Hammerschmitt)
Megatrend
Stichworte: NGOisierung,
Stakeholder-Orientierung,
bewusster Konsum, ÖkoKonsum, Konsumboykott, AntiGlobalisierungsbewegung.
Flexibilisierung
Folgen der Flexibilisierung
Trend: Wenn man nicht weiss,
was morgen sein wird, ist die beste
Strategie, flexibel und damit anpassungsfähig zu bleiben. Der flexible,
dynamische, aktive und kreative
Mensch, stets zur Arbeit bereit
und permanent erreichbar, ist die
Leitfigur der globalen Gesellschaft
und 24 Stunden täglich in Betrieb.
Kurzaufenthalte: Die globale
Nonstop-Gesellschaft erzwingt
eine laufende, zumindest virtuelle
Präsenz. Die Menschen verreisen
daher eher kürzer, dafür häufiger.
Last-Minute-Buchungen und
Umbuchungen nehmen weiter zu.
Stichworte: Sofortorientierung,
Echtzeit-Bedürfnis-Befriedigung,
Opportunismus, Partnerschaften
auf Zeit, Kurzfristigkeit, schnelles
Wechseln von Wohn- und
Arbeitsorten, globale Orientierung.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Re-Naturalisierung, das Bewahren
und Sanieren der touristischen
Infrastruktur werden in Westeuropa in den nächsten fünfzehn
Jahren viel grössere Bedeutung
haben als der Aufbau neuer
Anlagen.
Die Zukunft des Ferienreisens
Flexibilität zählt wie Individualisierung aus Sicht von Kunden zu
generellen Merkmalen von
Qualitätsprodukten. Der Kunde
erwartet die hochgradige
Flexibilität, die von ihm als Arbeitskraft gefordert wird, seinerseits von
Reisedienstleistern, und ist auch
darauf angewiesen. Handy sei Dank
fordert er diese Flexibilität nicht
nur beim Buchen, sondern immer
öfter auch während der Reise ein.
Die Diskrepanz zwischen den
Ansprüchen der Kunden und den
Möglichkeiten der Travel-Agents
birgt Konfliktpotential.
37
Gegentrend
«Wir werden in Zukunft mehrere
Heimaten haben, wo wir uns
regelmässig aufhalten. Ein zweiter
oder dritter Ort, wo wir zu Hause
sind, ist oft auch verbunden mit
einem anderen, zweiten Leben,
neuen Arbeitsmodellen und kreativen Auszeiten.»
(Felizitas Romeiss-Stracke)
Megatrends und Gegentrends
Werteorientierung
Folgen der Werteorientierung
Trend: Wenn wir irritiert sind,
dann suchen wir Werte, die uns
stabilisieren und Rückhalt geben.
Traditionelle Werte wie Integrität,
Verlässlichkeit, Qualität, soziale
Verantwortung, Respekt und
Ordnung gewinnen wieder an
Bedeutung. Die Kunden suchen
vermehrt nach dauerhaften
Werten, nach «ehrlichen» und
authentischen Produkten und
Dienstleistungen.
«In einer Zeit der endlosen
Übertreibung und Beschleunigung
ist der Kampf um echte
Erfahrungen die neue Revolution.
Es entsteht eine wahrhafte
Bewegung zur Rückkehr zum
Natürlichen, Authentischen.»
(David Boyle)
Stichworte: Ethik, Moral, grüner und ethischer Konsum,
Dauerhaftigkeit, Langfristigkeit,
Loyalität, Ehrlichkeit, keine
«Heisse-Luft-Produkte».
Die Menschen möchten sich in
zunehmendem Mass dadurch
unterscheiden, was sie tun, und
nicht dadurch, was sie kaufen.
Freiwilligenarbeit, ökologisches,
soziales und kulturelles
Engagement wird zum Erlebnis.
Anstelle von Standardferien nehmen sich Menschen vermehrt
längere Auszeiten für nichtkommerzielle Projekte. (Marlboro zum
Beispiel setzt mit der SummerJobbing-Initiative, 100 Jobs in
Marlboro Country, heute schon
auf Arbeit statt auf Abenteuer.)
«Home will be the most popular
destination in 2020, as everything
is available there – the rest of the
world is boring when it isn’t downright dangerous – and it’s cheap,
so we can spend more on a lot of
other stuff, e.g. local wellness services. Also because work etc. takes
you away from home so much you
don’t want or need
to travel on your holidays.»
(Klaus Æ. Mogensen und Anders
Bjerre)
Megatrend
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
In alten Gesellschaften mit gesättigten Märkten kann man eine
langsame Verschiebung vom
Wettbewerb der Preise zum
Wettbewerb der Werte beobachten. Wer alles schon erlebt hat,
sucht feste Werte. Die Nachfrage
nach stabilen, dauerhaften
Werten, nach Authentizität,
Sinn, Nachhaltigkeit, Herkunft,
Verständlichkeit und Natürlichkeit
wächst.
Konvergenz
Folgen der Konvergenz
Trend: Die grössten Wachstumsund Innovationspotenziale liegen
heute nicht mehr innerhalb eines
Marktes, sondern gleichsam dazwischen: in der Annäherung unterschiedlicher Branchen und Märkte.
2020 wird es keine abgrenzbaren
Ferien-Freizeit-Bereiche mehr
geben. Denn Ferienreisen vermischen sich mehr und mehr mit
anderen Tätigkeiten. Sie sind die
Verlängerung einer Geschäftsreise,
Die Zukunft des Ferienreisens
38
Megatrends und Gegentrends
Verschiedene Branchen verschmelzen zu neuen Märkten.
Stichworte: Konvergenz von
Produkten und Dienstleistungen
aus verschiedenen Bereichen zu
neuen Lösungsangeboten, nahtloser Service vom ersten Job bis zur
Pensionierung.
werden mit einem schönheitschirurgischen Eingriff verbunden,
sind Teil eines Auslandpraktikums
usw.
Es wird immer mehr hybride
Angebote geben: Hotels, die mit
Kliniken, Schulen oder Museen
zusammenwachsen, Ferienclubs,
die auch Handwerksarbeitsstätten
haben, Hochhäuser mit WellnessResorts, Kreuzfahrtschiffe mit temporären Arbeitsplätzen.
Folgende Konvergenzmärkte
werden stark wachsen:
Medizin-Tourismus:
_Erstklassmedizin zu Dritteweltpreisen, postoperative Betreuung,
Kuraufenthalte, Medical Wellness,
Alternativmedizin.
Hotels and more:
_Hotel als «Brand»-Land: BulgariHotels & Resorts, Adidas-Hotel
_Hotel als Show room und
Plattform für Product Placement:
Ritz Carlton offeriert ein
«Key to Luxury programme» in
Kooperation mit Mercedes Benz,
Etap Hotels mit Ikea-Rooms,
Holiday Inn mit Nickelodeon
Family-Suites
_Hotel als Galerie: Exklusive
Kunstinszenierungen, in denen
man temporär wohnen kann.
_Kreuzfahrtschiff / Ferien-Resorts
als Zweitwohnsitz: Freedomship als
schwimmender Stadtstaat.
Werbeferien und Degustationsreisen:
_Flugzeuge und Hotel-Minibars
sind ideale Orte für FoodDegustationen. Dort sind die
potenziellen Kunden offen und
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
39
Megatrends und Gegentrends
können nicht ausweichen.
_Gratis-Ferien oder Flüge für
globale Power-Shopping-Touren
können zum Beispiel als Anreize
für Shopping-Meilen- und LoyaltyPunkte-Sammler eingesetzt werden.
Humanitäre, Freiwilligen- oder
Wohlfahrtsorganisationen und
Tourismus:
_Es werden neue Services
für freiwillige, wohltätige
Arbeits- und Katastrophenhilfseinsätze benötigt.
Auch die Helfer brauchen
touristische Infrastruktur.
Gegentrend
Hyperspezialisierung
Folgen der Hyperspezialisierung
Trend: Die Verschärfung des globalen Wettbewerbs und das Ende der
Massenmärkte zwingt mittlere und
kleinere Anbieter, den Erfolg mehr
und mehr in Nischen zu suchen
und sich stärker zu spezialisieren.
Der Trend geht von Massenzu Nischenmärkten. Der
Tourismusmarkt von morgen
wird aus 10 000 neuen Nischen
(«Nouveau Niches») bestehen.
Via Internet findet der Kenner
und Liebhaber exklusive
Nischenangebote einfach und
schnell. Individualisten, die sich
von der Masse abheben wollen
und stets auf der Suche nach dem
ganz Besonderen sind, können ihre
Wünsche endlos verfeinern.
Stichworte: Kernkompetenzen,
Fokussierung, Nischenmärkte.
Hoch spezialisierte Anbieter
profitieren umgekehrt von den
gesättigten Erfahrungen im Sinne
von «alles schon gesehen», «alles
schon erlebt». Der relativ geringe
Investitionsbedarf zur Kreation
eines neuen Nischenangebots
– Extrem-Gardening im
Hochgebirge, Reise auf einem
Frachtschiff – zieht auch viele neue
Anbieter an, die ihr Glück oder
einen Nebenerwerb suchen.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
40
Megatrend
«Diese Gesellschaft wird veralten
auch in Hinsicht auf Reise- und
Freizeitstile und das bedeutet
gegenüber dem derzeitigen Stand
eine tendenzielle Verarmung
der Ausdrucks- und
Verhaltensmöglichkeiten.»
(H. Jürgen Kagelmann)
Megatrends und Gegentrends
Erlebnisökonomie
Folgen der Erlebnisökonomie
Trend: Der Kampf um die
Aufmerksamkeit und gegen die
Langeweile fordert ein stetiges
Aufwarten mit neuen Attraktionen.
In gesättigten Märkten ist die
Erlebnisqualität wichtiger als die
Produktqualität. Kunden suchen
keine Waren mehr, sondern
letztlich Geschichten, Träume,
Erfahrungen und Emotionen.
Wann war das letzte Mal, dass
Sie etwas zum ersten Mal taten?
Wie kann man Reisen wieder zu
einem Erlebnis machen?
Stichworte: Emotionalisierung,
Erlebnisökonomie, Event-Kultur,
Entertainment, «All business is
showbusiness».
2020 wird es so gut wie keine unbekannten Destinationen mehr geben.
Die Welt ist entdeckt, die mehrheitlich reizübersättigten westeuropäischen, älteren Kunden haben
alles schon erlebt. Das Aufrüsten
mit ständig neuen Attraktionen
und zusätzlichen Stimulationen
wirkt vor diesem Hintergrund
kontraproduktiv. Der Trend geht
deshalb vom Adrenalin-Kick zum
Endorphin-Kick. Statt Rausch und
Ekstase werden meditative Ruhe
und spirituelle Erlebnisse gesucht.
«Fun» wird auch in Zukunft
wichtig bleiben, Spass gehört zum
Leben, dies ist eine anthropologische Konstante. Doch das FunSegement wird nicht wachsen, es
findet keine «Ballermannisierung»
der Gesellschaft statt.
«We are always looking for something different – so go to the unbelievable (like space travel, the tallest
hotel in Dubai, a skislope in Thailand)
– go for the unusual (extremes)
or the other end chill-out in the
most easiest way possible (five-star
hotel, island or in the desert). Very
«Komfort gewonnen, Vergnügen
verloren»: Je komfortabler die Welt
wird, umso mehr verschwindet das
Vergnügen. In gesättigten Märkten
wird es immer schwieriger, zusätzliche Lust zu erfahren. Wenn Ferien
zur Routine oder zur Ware oder
«Commodity» werden, verschwindet die Lust.
extreme you’ll want to ski in the
desert or want a soft adventure
holiday camping in the forest.»
(Tricia Warwick)
Deshalb werden die übersättigten,
überbehüteten, überprogrammierten Menschen auch morgen
noch temporär ausbrechen und die
Kontrolle verlieren wollen: raus
aus der Komfort- und Kontrollzone, rein in die Wildnis. Extreme
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
41
Megatrends und Gegentrends
Erfahrungen werden dabei nicht in
spektakulären Achterbahnfahrten
gesucht, sondern in elementaren
Erlebnissen, zum Beispiel darin,
ohne Zentralheizung und fliessendes Wasser zu leben. Leben wie
früher, wie zu Gotthelfs Zeiten,
oder überleben ohne HightechEquipment im Urwald oder
Hochgebirge werden attraktiv.
«Escape wird so lange der Hauptwunsch der Reisenden bleiben, so
lange sie gute Gründe dafür haben.»
(Marcus Hammerschmitt)
Das Gehirn ist das primäre
Erlebnisorgan. Und Extremerfahrungen spielen sich primär
im Kopf ab. Für Extrem-Trips
ist daher keine Ortsveränderung
notwendig. Reisen zu sich selbst,
Selbsterfahrung und Ego-Trips
werden unterstützt von neuen
Lifestyle-Drogen und VirtualReality-Systemen. Sie werden in
Zukunft an Bedeutung gewinnen.
Gegentrend
«Das Verhalten und die wesentlichen Äusserungen der Touristen
waren in den letzten 20 Jahren
banal stabil. Nun scheint sich aber
doch langsam etwas zu verändern,
nicht erst seit dem 11. September
2001. 'Runterkommen',
'etwas für sich tun', stabiles
Bedürfnisökonomie
Folgen der Bedürfnisökonomie
Trend: Das Leben in der
Erlebnisgesellschaft erschöpft die
Menschen. Je mehr wir uns leisten
können, umso mehr stossen wir
an die Grenzen unserer physischen
Ressourcen. Zeit, Aufmerksamkeit,
Sinn, Ruhe und Raum werden die
neuen Luxusgüter.
Relax-Angebote werden wichtiger
als Unterhaltung. Die neuen
Luxusgüter sind Zeit, Raum und
Ruhe. Ruhe-Zonen respektive
mobiltelefon-freie Ruhe-Zonen
werden ebenso normal wie rauchfreie Zonen.
Ambiente und auch Regression
werden wichtiger.»
(Felizitas Romeiss-Stracke)
Stichworte: Zeit, Aufmerksamkeit,
Raum und Ruhe werden zu einem
raren und begehrten Gut.
Der Erholungs- und Regenerationsbedarf in einer alternden
Gesellschaft steigt insgesamt. Der
gesellschaftliche Leistungsdruck
nimmt zu, und damit bleibt auch
der Erholungsbedarf hoch.
Bequemer reisen: Ältere Reisende
(mit Rückenleiden, Kreislaufproblemen, Prostata-Erkrankungen, Diabetes usw.) ertragen
die Torturen des Transports immer
schlechter und haben einen noch
höheren Bedarf nach Komfort.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
42
Megatrends und Gegentrends
Rückzugsangebote werden an
Bedeutung gewinnen: zum Beispiel
künstliche Inseln für temporären,
totalen Reizentzug und ungestörten
Tiefschlaf (Schlafkuren).
Megatrend
«Dubailand is a piece of Dubai.
It’s job is to increase tourist inflow
to Dubai by creating an Orlando or
Las Vegas type environment
in the Middle East. We’re not
talking about gambling but talking
about leading entertainment theme
parks, museums, attractions, rides
etc. The role of Dubailand within
the global tourist industry is that
we stand at a very unique point
in terms of geographic presence
Globalisierung
Folgen der Globalisierung
Trend: Informationen, Wissen
und Trends verbreiten sich
wesentlich schneller als in vergangenen Epochen. Dies führt zu
einer weltweiten Angleichung der
Lebensstile und Konsumwünsche.
Die globale Mobilität von
Menschen und Produkten nimmt
zu. Zugleich steigt der globale
Wettbewerbsdruck auf Preise und
Löhne. Die Kluft zwischen Armen
und Reichen wächst.
Die globale Mobilität nimmt
weiter zu. Je mehr der
Informationsverkehr und die
Datenströme wachsen, desto mehr
wird auch der Personenverkehr
wachsen. Reisen gilt nicht mehr
als Luxus, sondern als Menschenrecht.
and that is east to west and also
across Africa and Asia and a little
bit on the European side.»
(Ghassan Abu Ghazaleh)
Stichworte: Konzentration,
Standardisierung,
McDonaldisierung, Global
Sourcing (globale Optimierung
der Lieferkette).
Volatilität und Verletzlichkeit
von Reisedestinationen erhöhen
sich. Kritische Ereignisse (Krieg,
Terror, Seuchen) haben globale
Auswirkungen. Sicherheit wird
teurer, aber kann nicht wirklich
gekauft werden. Kunden brauchen
das Gefühl der Sicherheit, das paradoxerweise mit der Omnipräsenz
von Sicherheitsleuten nicht
zunimmt.
«Time share will come back louder.
To have more than one home will
become usual and normal.
It will always be the opposite
to where they live and where
they are resident.»
(Tricia Warwick)
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Nomadische Lebensweisen
nehmen zu, weil Arbeit, Ausbildung und Familie es erfordern
oder einfach, weil es möglich
ist. Zudem wird mit mobiler
Kommunikation, mehr und
billigeren Flugverbindungen das
Zusammenleben auf Distanz
einfacher. Familie und Freunde
sind immer öfter über die
ganze Welt verteilt. Es wird
zunehmend normal, mehrere
Heimaten zu haben.
Die Zukunft des Ferienreisens
43
Gegentrend
«Revenge Tourism: Being rich
and arrogant tourists in an increasingly poor USA – while the richer
Chinese and Russians do the same
in Europe.»
(Klaus Æ. Mogensen und Anders
Bjerre)
Megatrends und Gegentrends
Babelisierung
Folgen der Babelisierung
Trend: Lokale und regionale
Produkte und Dienstleistungen und
Traditionen gewinnen nicht zuletzt
als Reaktion auf die Globalisierung
wieder an Bedeutung. Einfachheit,
Übersichtlichkeit, Vertrauen stärken lokale Netze.
Die Reisenden aus den unterschiedlichsten Kulturen und
Subkulturen treffen vermehrt
aufeinander. Konflikte zwischen
verschiedenen Reisegruppen
nehmen zu, und die Verständigung
wird schwieriger. (Wie gehe
ich richtig mit Asiaten, Russen,
Amerikanern, Franzosen um?)
Stichworte: Fragmentierung,
Ethnisierung, Regionalisierung,
Relokalisierung.
Die soziale Polarisierung, die Kluft
zwischen Arm und Reich nimmt
zu und damit auch der
Fremdenhass. Nicht alle Touristen
sind überall willkommen, je nach
Destination werden Touristen
aus bestimmen Ländern
(Amerikaner, Araber, Russen) häufiger offen diskriminiert werden.
Reiseströme aus China nehmen
zu – Englisch genügt immer
weniger zur globalen Verständigung. Mehrsprachigkeit wird
in internationalen Tourismusdestinationen zum Muss.
Der Familienbegriff muss neu
definiert und erweitert werden.
Welche Art von Familien haben
Anrecht auf Vergünstigungen?
Food Nations: Die Liebe zu einem
Land geht durch den Magen. Lokale
Spezialitäten und Kulturdenkmäler
ziehen auch in Zukunft Touristen
an.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
45
Evolution des Tourismus
4. Evolution des Tourismus
_Es wird kaum neue Träume geben. Basismotive und fundamentale
Sehnsüchte, die Ferienreisende antreiben, sind stabil.
_Die Menschen suchen die Momente des Glücks vermehrt in elementaren Erfahrungen und im temporären Rückzug.
_Immer mehr Menschen reisen ohne grosse innere Beteiligung, einfach
weil es möglich ist.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
46
Evolution des Tourismus
Reisemotive im Wandel der Zeit
Reisen ist ein zentrales Motiv in der Literatur der vergangenen Jahrhunderte.
Reisebücher und -berichte prägten die Vorstellungen von fremden Ländern
und die Erwartungshaltung Reisender bis heute massgeblich.
Im Lauf der Geschichte sind die Reisemotive vielfältiger geworden. Für die
steinzeitlichen Nomaden war das Reisen die übliche Lebensform. Not und
Kriege zwangen Menschen immer wieder dazu, sich auf den Weg zu machen.
Nachdem die Menschheit sesshaft geworden war, kamen Pilgerreisen auf, zum
Beispiel nach Jerusalem oder Santiago de Compostela. In der frühen Neuzeit
unserer Zeitrechnung nahmen Abenteuerreisen in ferne, exotische Länder zu,
etwa Südamerika: Die Reisenden beschrieben fremde Länder und Sitten in
Reisetagebüchern für die Daheimgebliebenen.
Im Barock wurden Bildungsreisen, so genannte Kavalierstouren, für junge
Adlige Pflicht. Sie sollten nicht nur die Sitten an anderen europäischen
Höfen und fremden Sprachen kennen lernen, sondern vor allem einflussreiche Kontakte knüpfen. Ab dem 18. Jahrhundert spielte die Selbsterfahrung
eine grosse Rolle. Der Reisende wollte sich auf romantischen Reisen besser kennen lernen und weiterentwickeln, angeregt durch neue kulturelle,
sprachliche und gesellschaftliche Erfahrungen in der Fremde. Dazu reiste er
durch Mitteleuropa; vor allem Frankreich und Italien waren beliebte Ziele.
1835 erschien der erste Reiseführer von Karl Baedeker: «Rheinreise von Basel
nach Düsseldorf». Diese Strecke war vor allem bei Engländern sehr beliebt.
Berichte über die Forschungsreisen Alexander von Humboldts wurden im
19. Jahrhundert in ganz Europa zu Bestsellern. Die Faszination für das Fremde
war gross. Aber auch die Natur in der eigenen Umgebung – Wandern ohne
Ziel – wurde beliebt. Vor allem die Romantiker flohen vor dem Alltag in
die Alpen. Goethes Italienreise löste einen Italienboom aus. Die Suche nach
Kunst und Werten der Antike entsprach dieser Zeit. Jeder, der es sich leisten
konnte, machte sich auf den Weg. Wenig später drehte sich alles um Amerika:
Auswanderer beschrieben es als wahres Schlaraffenland und lösten neue
Emigrationswellen aus.
Das 20. Jahrhundert war von politischen Reisen geprägt. Russland wurde
während der Oktoberrevolution intensiv von Linksintellektuellen bereist.
Reportagen über die politische Situation in Ländern der ganzen Welt wurden
Bestandteil der Allgemeinbildung. Weiterhin waren aber auch die Vereinigten
Staaten ein wichtiges Ziel. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg galt «das Land
der unbegrenzten Möglichkeiten» als Trendsetter schlechthin. Kultur und
Gesellschaft der USA wurden aufmerksam beobachtet und kopiert.
In den 1960er und frühen 1970er Jahren wandte sich die Science-FictionLiteratur unter dem Titel «New Wave» der Erforschung der menschlichen
Innenwelt zu. Mit allen möglichen Mitteln – vom Drogenexperiment bis zur
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
47
Evolution des Tourismus
Virtual Reality Technologie –, erkundete der Ich-Tourist seinen «Inner Space».
Fantastische Science-Fiction-Reisen wurden zum Programm für Themenparks und virtuelle Spielwelten.
Die folgende Darstellung zeigt die Entwicklung der Reisemotive mit Beispielen
aus der Literatur.
Neolithikum
Für Nomaden ist Unterwegssein die normale Lebensform.
(Jungsteinzeit)
Nachdem die Menschheit vor rund 10 000 Jahren sesshaft wurde,
10 000 v. Chr.
erhält das Reisen eine neue Bedeutung.
700 v. Chr.
In der «Odyssee» von Homer irrt der Held durch den gesamten Mittelmeerraum,
bevor er nach 20 Jahren heimkehren kann.
Mittelalter
Mittelalterliche Menschen unternehmen kaum freiwillige, unterhaltsame Reisen,
11. – 14. Jh.
sondern sind notgedrungen zu einem Ziel unterwegs. Pilgerreisen führen nach
Santiago de Compostela, Jerusalem oder an andere Wallfahrtsorte. Literarisches
Beispiel: «Canterbury Tales» von Geoffrey Chaucer um 1400. Bildungsreisen an
fremde Höfe sind Bestandteil der adligen Erziehung.
15./16. Jh.
Berichte über Abenteuerreisen ins neu entdeckte Südamerika erzählen
von Land und Leuten.
17. Jh.
Auf Kavalierstouren durch Mitteleuropa, insbesondere Italien,
sollen junge Adlige fremde Sprachen, Länder und Hofkulturen kennen lernen.
18. Jh.
Der erste Reiseführer von Karl Baedeker, «Rheinreise von Basel nach Düsseldorf»,
erscheint 1835. Selbsterfahrung spielt bei den romantischen Reisen eine grosse Rolle.
Literarisches Beispiel: «A Sentimental Journey through France and Italy»
von Laurence Sterne, 1768. Exotische Welten wie die Südsee wecken grosse
Faszination: Der «edle Wilde» wird zum Idealbild des Menschen verklärt. Literarisches
Beispiel: Georg Forsters «Reise um die Welt» von 1777.
19. Jh.
Berichte von Forschungsreisen nach anderen Kontinenten werden populär.
Literarisches Beispiel: Alexander von Humboldt: «Voyage de Humboldt et Bonpland.
Première Partie. Relation historique du Voyage aux Régions équinoxiales du Nouveau
continent», 1845 -1862. In der Romantik flieht der Reisende in die Natur, beim
Wandern vor der Alltäglichkeit. Die Alpen als Reiseziel verkörpern diese Rückwendung:
«Dort ist es noch so, wie es früher war.» Literarisches Beispiel: Joseph von
Eichendorff: «Aus dem Leben eines Taugenichts», erschienen 1826. Goethes
«Italienische Reise», erschienen im Jahr 1816, löst eine Welle von Bildungsreisen
nach Italien aus. Die Antike avanciert zum Vorbild. Wirtschaftskrisen und die
Beschreibungen der Vereinigten Staaten als Schlaraffenland lösen die grösste
Massenemigration des 19. Jahrhunderts aus.
20. Jh.
In den 1920er Jahren werden aus den USA avantgardistische Gesellschafts- und
Kunstformen importiert. Politische Reisen kommen auf: Russland wird während
der Oktoberrevolution Ziel intellektueller Linker. Mit der Reportage entsteht eine
neue Art des Reiseberichts: 1925 erscheint «Der rasende Reporter» von Egon Erwin
Kisch. Während des Dritten Reiches werden aus finanziellen und politischen Gründen
kaum Reisen unternommen. Auch nach dem Krieg fehlen Infrastruktur, Zeit und Geld
dafür. Seit den 1970er Jahren sind Infrastruktur und finanzielle Mittel in grossem Mass
vorhanden. Nun kann sich der Tourismus als Massenphänomen entwickeln.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
48
11. -14. Jh
Evolution des Tourismus
15. -16. Jh
17. Jh
18. Jh
Reisemotive von gestern, heute und morgen
Selbsterfahrung / Romantik
Heimkehr / Liebe
Sinn / Erlösung / Pilgerreise
Exotik
Bildungsreisen
Erziehung / Kavalierstouren
Abenteuer / Freihheit
Entdeckung
Forschungsreisen
Not / Krieg
Gefahr / Kosten
Meilensteine
11. -14. Jh
15. -16. Jh
17. Jh
18. Jh
Erfindung des Buchdrucks
und Verbreitung von Landkarten
Die Übersicht verdeutlicht, wie sich die Reisemotive mit der Zeit differenzierten: Auf die lebensnotwendige und
berufsbedingte Reisetätigkeit folgte das Reisen aus Sinngründen zu Pilgerorten oder auf Kreuzzügen. In den komplexer gewordenen Gesellschaften kam das Interesse an anderen Kulturen auf. Entdeckung, Wissen, Bildung und
damit verbundenes Prestige wurden wichtig. Das Interesse verlagerte sich mehr und mehr in das eigene Innere.
Mit dem Individuum im Mittelpunkt rückte die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit in Auseinandersetzung
mit fremden Sitten, andersartiger Kunst und neuen Ideen als Reisemotiv in den Vordergrund. Aber nicht nur das
zunehmende Selbst-Bewusstsein, sondern auch die zur Verfügung stehende Infrastruktur trug zur vermehrten
Reisetätigkeit bei. Heute sind die Gefahren des Unterwegs-Seins geringer, das Wissen und die Reise-Erfahrung haben
zugenommen, Anleitungen machen das Reisen einfacher. Dank neuer Transportmittel wird das Reisen schneller
und billiger; steigende Einkommen erlauben auch breiten Bevölkerungsschichten, um des Erlebnisses, der Erholung
und des Vergnügens willen zu reisen. Der Weg für das Massenphänomen Tourismus ist frei geworden.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
49
Evolution des Tourismus
20.Jh
19. Jh
21. Jh
ewige Jugend
Selbstverbesserung
Wohlbefinden / Wellness
Gesundheit
Erholung
Hyper-Regeneration
Globetrotter
Weltverbesserung
Selbsterneuerung
in die eigene oder fremde Erinnerung reisen
Zusammensein
Life Seeing
Grenzerfahrung / Fantasy-Trips
Naturromantik
Parks
Vergnügungsreisen
Sight Seeing
Sport
Experimentelle Reisen
egal, ich reise, weil ich kann
20.Jh
19. Jh
Schnellere und billigere Transportmittel
Eisenbahn...
21. Jh
... Auto / Flugzeug
Der erste Reiseführer von Carl Baedeker
Thomas Cook organisiert die erste Pauschalreise
Welches sind die wichtigsten Reisemotive von morgen?
Recreational
Diversionary
Experiental
Experimental
Tribal
Existential
Whatever
0%
5%
10%
15%
20%
25%
Rangliste der wichtigsten Reisemotive, geordnet nach Wachstumspotential.
Hohes Potential an erster Stelle, wenig Potential zuletzt.
Source: GDI Expert-Survey, Jan 2006
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
30%
50
Evolution des Tourismus
Warum wir in die Ferien reisen
Motive und Wünsche,
die Ferienreisende antreiben.
Egal
Reisen erscheint als beste von vielen Möglichkeiten, sich zu unterhalten und die Zeit zu
vertreiben. Je mehr Menschen mit viel Zeit und wenig Geld reisen können, umso wichtiger werden Reisen als billiges Unterhaltungsmittel. Vor diesem Hintergrund schaffen
die Billigangebote die Nachfrage: Man reist, weil man es (sich leisten) kann.
Erholung
Reisemotiv ist die Suche nach konzentrierter Erholung, Entspannung und Regeneration.
Ferien haben die Funktion «emotionaler Medizin» gegen Erschöpfung, Stress,
Depression und Einsamkeit. Reisen und Urlaub ermöglichen den Rückzug in eine
geschützte Welt, in der man verwöhnt wird.
Selbsterfahrung
Wer alles schon gesehen und erlebt hat, will andere Formen der Wahrnehmung kennen
lernen. Verreisen dient dann der Suche nach neuen Erfahrungen und Empfindungen.
Ziel ist nicht, neue Orte zu sehen, sondern mit neuen Augen zu sehen, um sich zu finden.
Reiseziel ist letztlich das Ich. Neue bewusstseinserweiternde Mittel und Technologien
könnten einen wachsenden Markt für Selbsterfahrungs-Trips schaffen.
Ablenkung und Vergnügen
Reisemotiv ist die Suche nach Vergnügen, Sport, Spiel und Ausbruch aus dem Alltag.
Der Komfort der Wohlstandsgesellschaft bewirkt Langeweile und den Wunsch nach
Abwechslung und Stimulation. Reisen erscheint als Fluchtmöglichkeit in ein leichtes
Leben und eine glückliche Traumwelt – verkörpert etwa im Lebensgefühl der DisneyWelt.
Abenteuer und Experiment
Hinter dem Reisen steht die Suche nach Abenteuer und Auseinandersetzung mit
Fremdem. Ziel ist die Befreiung von der Begrenztheit des Bekannten und Eigenen.
Der Reisende bricht auf, um Neues zu entdecken. Reisen steht für Vitalität. In Zukunft
werden auch Achtzigjährige Abenteuerreisen unternehmen.
Zusammensein
und emotionale Nähe
Die Suche nach Liebe und Zusammensein mit Partner, Familien und Freunden ist ein
wichtiges Reisemotiv. Je mehr Familien und Freunde über die ganze Welt verstreut
sind, umso mehr werden diese wichtigsten Bezugspersonen das Ziel von Reisen.
Sinngebung
Auf der Suche nach Sinn, Glück, Erlösung und Transformation wird gereist, um Teil von
etwas Grösserem zu werden und um seinen Weg zu finden. In gesättigten Märkten
wächst die Sehnsucht nach Sinn. Der Reisende will sich nicht besser unterhalten oder
erholen, sondern sich verändern. Die «We-are-what-we-Do»-Bewegung wächst. Nicht
wo wir Ferien machen, sondern was wir dort tun, wird wichtiger. Der sinnsuchende
Tourist will sich engagieren und etwas bewegen.
Diese Typologie der Reisemotive baut auf einem häufig zitierten Modell von Eric Cohen
auf und wurde vom GDI weiterentwickelt.
Erik Cohen: Rethinking the Sociology of Tourism. In: Annals of Tourism Research 6, 1997
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
51
Thesen zum Tourismus 2020
5. Thesen zum Tourismus 2020
_Der Massentourismus von morgen findet in Hyper-Holidayhubs statt.
_Heimweh wird wichtiger als Fernweh.
_Eine wachsende Zahl von Singles braucht Services, die ihnen helfen, ihr
Sozial- und Liebesleben zu organisieren.
_Das Gefälle zwischen Reich und Arm zeigt sich im Tourismusbereich
besonders stark.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
52
Thesen zum Tourismus 2020
Im Tourismus zeichnen sich zwei dominierende Entwicklungsrichtungen ab.
Megahubs: Der Massentourismus wird «grösser, billiger, spektakulärer»:
Touristische Megahubs machen den verarmenden Massen Westeuropas
und der aufsteigenden Mittelklasse Asiens traditionellen materiellen Luxus
zugänglich(er).
Nouveau Niches: Die alten, reifen Tourismusmärkte erfahren eine Auffrischung durch «neuen Luxus für alle»: Sie werden «natürlicher, (lebens-)
naher, sanfter, sozialer und gesünder».
Hyper-Holidayhubs: «more inclusive» nach Mass
Der Massentourismus von morgen spielt sich in Hyper-Holidayhubs ab.
Am Mittelmeer, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, China
und Brasilien entstehen riesige Ferienresorts. Diese hypermodernen
Erholungszentren bieten das ganze Spektrum dessen, was das Herz begehrt:
Wärme in allen Abstufungen, von der prallen Sonne bis zur wohldosierten
Thermo-Kur, Liebe von unverbindlicher Intimität bis zum romantischen
Abenteuer, körperliche Regenerierung vom Billig-Facelifting bis zur individuellen organischen Anti-Aging-Behandlung. Und dies alles komfortabel
unter einem Dach – einschliesslich Flughafen.
Entspannung, gute Gefühle und Jugendlichkeit stehen für die erweiterten
Grundbedürfnisse moderner Menschen. Abseits des verantwortungsvollen,
hektischen Alltags möchte man sich fallen lassen und umsorgt werden. Das
erweiterte Mega-Hotel wird zum «Third home», einem vertrauten und
doch unverbindlichen Refugium. In ihren Ferien geniessen die modernen
Nomaden die schönen Seiten des Lebens, wie es ihnen gerade gefällt: Edle
Weine, teure Zigarren und Sangria. Das gilt auch für Erotik und Liebe, die
im Alltag mangels Zeit und Gelegenheit oft auf der Strecke bleiben.
Convenience-Ferien
Um ein wenig Ferienstimmung zu erzeugen, genügen eigentlich bereits eine
kurze Pause, ein Liegestuhl, ein wenig Sonne und eine nette Aussicht. Stärkere
Ferienerlebnisse muss der Reisende aufwändig vorbereiten: Dazu gehört,
Destination, Unterkunft, Routen zu planen, Termine zu reservieren, Familie
oder Partner zu überzeugen und Koffer zu packen. Wer im Alltag stark gefordert ist, dem fehlt allerdings die Energie für aktive Ferienvorbereitungen.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
53
Thesen zum Tourismus 2020
Erschöpfte und Ferienreife suchen deshalb günstige, unkomplizierte Ferien
in guter Basisqualität. Davon ausgehend, dass der Überlebenskampf in
Westeuropa insgesamt wieder härter wird, sinken auch die Ferienansprüche.
So wie sich die meisten Menschen nach einem anstrengenden Arbeitstag
kein kulturell, sportlich oder gesellschaftlich anspruchvolles (Fernseh-)
Programm antun, suchen sie für die kurze Flucht aus dem Alltag auch kein
anspruchsvolles Ferienprogramm.
Individuell angerichtet
Holiday-Hubs bieten die passenden Fertigferien, industriell so weit vorgefertigt, dass sie nur noch ausgepackt und angerichtet werden müssen.
Vergleichbar mit Fertiggerichten aus dem Supermarkt werden «Ferien
aus der Retorte» in hoher Qualität mit vielen individuellen Zusätzen und
Erlebnisverstärkern angereichert. Die Einkaufsmacht grosser Resorts und
stark rationalisierte Herstellungsprozesse erlauben es, Fertigferien zu attraktiven Preisen anzubieten.
Baukastensystem für Anbieter
Die Herstellung einzelner Komponenten und des Erlebnis-Designs übernehmen Spezialisten. Sie entwerfen Konzepte für neue Parks, Kinder-, Bäder-,
Spiel-, Sport- und Schlafwelten. Sie entwickeln neue Business-Modelle und
Prototypen und vermarkten die Konzepte global. Sind die Erfolgsfaktoren
von «guten Ferien» einmal entschlüsselt, können sie an unterschiedlichen
Standorten reproduziert werden. Wer eine neue Destination aufbauen will,
sucht sich auf dem Markt die passenden Bausteine und kombiniert sie in
Hinblick auf die gewünschte Zielgruppe. Genügend Landreserven und gute
Verkehrsverbindungen vorausgesetzt, können Holiday-Hubs überall auf der
Welt errichtet werden.
Da egal ist, ob ein Ferienzentrum in Dubai, Tansania oder der Südtürkei
steht, unterscheiden sich einzelne Ferienparadiese vor allem in Qualität und
Zusammenstellung ihres Angebots. Die Verdichtung von möglichst vielen
Attraktionen an einem Ort – Shopping Malls, Museen, Unterwasserparks,
Sport-Stadien, Designer-Hotels, Gourmet-Restaurants – soll garantieren,
dass die Faszination der Besucher möglichst lange anhält, und das Gefühl
vermitteln, ständig das Beste zu verpassen.
Bequem und billig
Das Zeitalter des Massentourismus ist also noch nicht vorbei. Solange der
globale Wettbewerbsdruck und damit der individuelle Leistungsdruck steigen, nimmt der Bedarf nach billiger und bequemer Erholung zu. Weiterhin
wollen die Menschen mindestens einige Tage im Jahr aus ihrem Alltag ausbrechen. Das Bedürfnis zu reisen, bleibt stark, doch die Erwartungen an die
Ferien nehmen ab. Man reist, wie man heute fernsieht: ohne grosse innere
Beteiligung und ohne lange über die Auswahl nachzudenken. Reisen funktioniert als Zeitvertreib und problemlose Unterhaltung, kann aber einen
trostlosen Alltag nicht verdrängen.
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens
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Thesen zum Tourismus 2020
Sicher und qualitativ hochstehend
Dementsprechend wächst die Nachfrage nach günstigen Ferien in guter
Basisqualität. Sie kann nur befriedigt werden, indem einzelne, vorgefertigte
Ferienkomponenten an einem Mega-Resort zusammengestellt werden. Im
Unterschied zu Individualreisen garantiert ein solches Ferienzentrum mehr
gleichbleibende Qualität, Zufriedenheit und Sicherheit. Denn dort sind alle
angebotenen Dienstleistungen – und sogar die Gäste, die sich darin aufhalten
– strikten Qualitäts- und Sicherheitskontrollen unterworfen.
Konkurrenz durch andere Vergnügungen
Je mehr die Magie der Ferienreisen verblasst, umso mehr konkurrenzieren
sie mit anderen Vergnügungen, die man sich ab und zu gönnt: Ersatzbefriedigungen wie Luxus-Autos, exklusive Weine, Designer-Möbel, DesignerMode, Wellness am Mittag oder zu Hause.
Beispiel Dubailand
Dubailand ist der weltweit grösste und abwechslungsreichste Freizeitpark.
Er erstreckt sich über 18 Millionen Quadratmeter und bietet Themenparks
und Attraktionen für alle denkbaren Kundensegmente. Bis zum Jahr 2010
soll Dubailand 15 Millionen Besucher pro Jahr anziehen.
Auch in Oman entsteht ein weiterer Hyper-Holiday-Hub, eine Ferienwelt,
in der unter einem Dach alles nur Erdenkliche angeboten wird: «Medina
Zarka», die «Blaue Stadt», umfasst Hotels, Hyper-Märkte, Freizeitanlagen,
Ferien-Villen und Spitäler.
«Dubai has a beach destination,
shop destination and now we are
building an entertainment core.
Freizeitpark auf See
Zu den Mega-Hubs zählen neben Retorten-Städten auch Kreuzfahrtschiffe
als schwimmende Erlebniswelten. Im Mai 2006 geht die «Freedom of the
Seas», das grösste Kreuzfahrschiff der Welt, auf Jungfernfahrt. Es umfasst
Kletterwände, eine Schlittschuh- und Inline-Skating-Bahn. Im 10x12
Meter grossen Wellenbecken kann man auf einer künstlichen Riesenwelle,
dem «FlowRider», surfen.
If the visitors can do all the activities in one week, then they won't
come back but if they think that they
could only do 30%, then they will
come back to try out the rest if they
enjoyed the quality around it all.»
(Ghassan Abu Ghazaleh)
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Attraktionen von Dubailand
_The Attractions and Experience World: Pharaohs Theme Park, Giants World,
Kids World, Global Village, Space & Science World, Space Hotel, Tourism Park,
Film World, Desert World Theme Park, Snow World, Aviation World, Water Park,
The Castles, Arabian Theme Park
_The Sports and Outdoor World: Extreme Sports World, Dubai Sports City,
Racing World, Polo World, Golf World
_The Eco-Tourism World: Petting Zoo, Animal World, Equestrian Centre,
Light & Sound World, Gardens World, Dinosaur World, Science and History
Museum, Bio World, Sand Dune Hotel, Sandstone Villas, Camp World, Desert
Safari
_The Themed Leisure and Vacation: Andalusian Resort & Spa, Women’s World,
Wonders World, Holiday World
_The Retail and Entertainment World: Mall of Arabia, Factory Outlets, Auction
World, World Trade Park, The Flea Market
_The Downtown: The Towers, Dubai Walk, Virtual Games World, Teen World
Die Zukunft des Ferienreisens
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Thesen zum Tourismus 2020
Care and Comfort
Wer oft Arbeits- und Wohnort wechselt, viel unterwegs und öfter mit Fremden als mit seiner Familie zusammen ist, träumt nicht mehr von exotischen
Ländern. Der mobile Mensch ohne feste Wurzeln, in mehreren Gesellschaften zu Hause, sehnt sich nach einem Zuhause. Diese Sehnsucht wird
umso stärker, je weniger sie sich realisieren lässt. Das Heimweh soll in den
Ferien und auf Reisen besänftigt werden.
Die fortschreitende globale Liberalisierung macht Selbstverantwortung,
Selbstmanagement und Eigenvorsorge zur Pflicht jedes Einzelnen. Mit
zunehmendem Überlebenskampf wächst der Wunsch (zumindest temporär),
Verantwortung abzugeben, sich bedienen und verwöhnen zu lassen. Doch
immer öfter ist niemand da, der einen umsorgt.
Wunsch nach Geborgenheit
Die traditionelle Mutter und Ehefrau ist eine aussterbende Spezies. Nehmen
weder die Opferbereitschaft der Frauen noch das Engagement der Männer
für Haushalt und Familie zu, wächst mit der Erwerbstätigkeit der Frauen
auch das Versorgungsdefizit. Die Betreuung von Kindern, Küche und müden
Männern wird vermehrt ausgelagert und teilweise aufgegeben. Das Bedürfnis
nach Geborgenheit, Kuscheln und Umsorgen wird vermehrt ausser Haus
getragen, zum Beispiel in die Ferien.
Die Sehnsucht nach einer behüteten Welt hat Reisende schon früher angetrieben. Touristen fallen oft und gerne in kindliche Verhaltensweisen zurück.
Sie verlangen sofortige Aufmerksamkeit und Wunsch-Befriedigung, wollen
dominant sein, bewundert und versorgt werden, ohne die Konsequenzen
tragen zu müssen.
Verunsicherung und Rückzug
Doch die naive Reiselust wird kaum mehr wachsen. Sie kollidiert mit einer
Häufung neuer Bedrohungen (Tsunami, SARS, 9/11, New Orleans), die
in ihrer Intensität bisher unbekannt waren. Kurzfristig bleibt das Reiseverhalten nahezu unverändert, doch längerfristig wird es stärker durch negative Erwartungshaltungen geprägt. Die Unausweichlichkeit der jüngsten
Katastrophen hat das Urvertrauen der Reisenden grundlegend erschüttert.
Die wachsende Verunsicherung der Menschen führt zu einem immer deutlicher werdenden Trend, den Urlaub «sicher» zu verbringen. Die Nachfrage
nach allen Arten von geschlossenen und überwachten Ferienanlagen und
Freizeitresorts wird stark zunehmen. Es wird eine Art «Rückzug» geben in
Form von erdgebundenem Reisen, der Besinnung auf Innerliches, soziale
und geografische Nahbereiche und dem Aufsuchen «sicherer Zonen».
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Thesen zum Tourismus 2020
Hotel Mama
Die Reisenden von morgen träumen weniger vom Reiz des Fremden als vom
realen «Hotel Mama», wo sie umsorgt, gehätschelt und verwöhnt werden
und sich sicher fühlen können. Inneneinrichtungen von Hotelzimmern gleichen sich mehr und mehr privaten Wohnugseinrichtungen an und setzen
Trends für den Heimbereich. Entscheidend für den Wohlfühl-Effekt ist aber
nicht nur die Ausstattung, sondern die persönliche Betreuung, die emotionale Nähe und Aufmerksamkeit: die Streicheleinheiten, die den müden und
hungrigen Seelen geboten werden.
Social Hubs for Meeting and Mating
Reisemärkte sind Beziehungsmärkte. Wir reisen, um Familie und Freunde
zu treffen, um neue Menschen kennen zu lernen, um unverbindlichen Sex
zu haben oder weil wir heimlich doch noch auf die grosse Liebe hoffen.
Dabei steht nicht unbedingt die Wunscherfüllung, sondern das Wünschen
im Vordergrund. Für die Positionierung eines Ferienorts wird es immer
wichtiger werden, wer dort verkehrt und wie gross die Chancen sind, dort
spannende Menschen zu treffen. Die Reisenden werden erwarten, dass sie
Dates und Networking buchen können.
Die herkömmlichen Praktiken der Partnersuche erweisen sich unter den heutigen Lebensbedingungen als ungenügend. Während der Ausbildungszeit,
wenn die Chancen, den Wunschpartner zu finden, optimal sind, setzt der
moderne Mensch andere Prioritäten. Nach der Ausbildung fliesst die meiste Energie in berufliche Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung. Die
Wahrscheinlichkeit, zufällig einem passenden Lebenspartner zu begegnen,
sinkt – während die Ansprüche an potenzielle Partner steigen. Eine wachsende Zahl von Singles benötigt deshalb Services, die ihnen helfen, ihr Sozialund Liebesleben zu organisieren.
Das Ungleichgewicht der Geschlechter sorgt auch in Zukunft für die
Dynamik der Nachfrage: Nach Schätzungen der UNO leben heute weltweit
50 Millionen mehr Männer als Frauen. Während in China, Indien, Bangladesh, Pakistan und Nordafrika Millionen von Frauen fehlen, besteht in
den Industrieländern ein Frauenüberschuss. In unserem Kulturkreis haben
vor allem gut ausgebildete, beruflich erfolgreiche Frauen über dreissig Probleme, den passenden Mann zu finden. Nach Berechnungen des Ökonomen Roderick Duncan vom Georgia Institute of Technology fehlen auf dem
amerikanischen Heiratsmarkt für Akademikerinnen rund zwei Millionen
Männer. In Europa droht ein ähnlicher Mangel, der sich künftig noch verschärfen wird. Immer mehr Frauen bleiben ledig.
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Thesen zum Tourismus 2020
Neue Kennenlernangebote
Der Aufwand zur Partnersuche gilt als wesentliches Hindernis für das
Kennenlernen von Partnern. Vermittlungsdienste gehören zu den erfolgreichsten Internetanbietern der letzten Jahre. Diese neuen Angebote werden
intensiv und mit zunehmender Selbstverständlichkeit genutzt. Sie erlauben es
hoch qualifizierten Frauen und Männern, bei der Partnersuche mit der gleichen Systematik vorzugehen wie im Job. Im Unterschied zum Internet sind
On-Land bisher keine neuen Plattformen oder Marktplätze für Partnersuche,
Socializing und Networking entstanden. Es gibt keine Assessment-Parks, wo
man potenzielle Partner evaluieren kann.
Als Ergänzung zu den Online-Single-Börsen, Chatrooms und NetworkingPlattformen werden auch neue On-Land-Angebote entstehen. Reiseanbieter
arbeiten künftig viel enger mit Softwareanbietern zusammen. Die Partnervermittlungsdienste liefern die Softwarelösungen, die Ferienanbieter die
Bühne und die Mitspieler für mögliche Liebesgeschichten.
Potenzial bei allen Altersgruppen
Angesichts des Booms bei Partnervermittlungsdiensten im Internet ist es
erstaunlich, dass sich noch kein Reiseanbieter auf diesem Gebiet positioniert
– und zum Beispiel die Idee des Ferienclubs weiterentwickelt – hat. (Ferienclubs
waren ursprünglich eine Plattform für ungezwungenes Kennenlernen. Sie
haben sich damit einen schlechten Ruf eingehandelt, sind zu Familienclubs
mutiert und langweilig geworden.)
Neben den beruflich erfolgreichen Singles mittleren Alters werden auch
die alternden Babyboomer verstärkt Partnervermittlungsdienste nutzen,
um einen neuen Lebensabschnittspartner zu suchen. Die Online-Partnervermittlung boomt nicht zuletzt darum, weil es On-Land für ältere Menschen
keine Alternativen gibt. Es gibt keine Orte, wo Menschen im reifen Alter einfach und unkompliziert neue Partner oder Lover kennen lernen können.
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Ferien als emotionale Medizin
In einer alternden Gesellschaft steigt der Erholungs- und Regenerationsbedarf. Je älter wir werden, desto mehr Zeit brauchen wir, um uns von
grossen Anstrengungen oder Krankheiten zu erholen. Die Beliebtheit von
Wellnessferien verdeutlicht den wachsenden Erholungsbedarf und das veränderte Gesundheitsverständnis. Der neu entstehende Gesundheitsferienmarkt besitzt enormes Potenzial.
In der Hitparade der Werte steht Gesundheit seit Jahren ungeschlagen ganz
oben und wird zunehmend zum Synonym für ein ideales Leben. Dem gesteigerten Gesundheitsbewusstsein steht ein zwar wachsendes, doch höchst verwirrendes Angebot gegenüber. Für den Gesunden, der noch gesunder werden will, ist die Orientierung schwierig.
Ferien als Power-Station
Im Unterschied zur Getränke- und Food-Industrie, die seit Jahren neue
Energy-Drinks und Power-Riegel kreiert und damit überdurchschnittliche
Erfolge erzielt, hat die Tourismusbranche bisher keine überzeugende PowerFormel gefunden. Zwar gibt es Wellnessangebote für jedes Budget, fast jedes
Leiden und jeden Geschmack. Doch es existiert kein Programm, das nachweisbar in kürzester Zeit maximale Erholung garantiert. Wellness ist eine
Blackbox, bei der niemand weiss, was wirklich gesund macht und was nur
fauler Zauber ist.
Wachstumsmarkt Gesundheit
Gesundheit ist ein Wachstumsmarkt, weil der Hunger nach Gesundheit und
der Kampf gegen das Altern schier unendlich sind. Verbesserte Diagnose
und Früherkennung von Gesundheitsrisiken veranlassen die Menschen,
ihre Aufmerksamkeit stärker auf Empfindlichkeiten zu konzentrieren. Viele
sind für Angebote offen, die eine gesundheitsfördernde Wirkung versprechen. Gesundheit wird in den kommenden Jahren die wichtigste Selling
Proposition von immer mehr Ferienanbietern.
Der Wettbewerb um die besten Plätze im vielversprechenden neuen Gesundheitsferienmarkt hat gerade erst begonnen. Wer an der Spitze dabei sein will,
braucht ein überzeugendes und klar profiliertes Angebot. Er muss nachweisen, dass seine Kur belebt, die Abwehrkräfte stärkt und das Wohlbefinden
steigert. Es werden viele neue Labels, Listen, Ratings und Meinungsportale
entstehen, die Orientierung bieten und Gesundheit vermarkten.
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Thesen zum Tourismus 2020
Red-Bull für Körper und Seele
Bei den Gesundheitsferien von morgen wird weniger die Hardware, also
Bäderanlagen, Saunas, Fitnessräume, im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Software, das heisst die Methode und das Programm, das uns
gesünder machen soll. Wer das Red-Bull für Ferien erfindet, ist an keine
Destination gebunden und kann sein Energize-Programm überall auf der
Welt anbieten.
Chirurgische Eingriffe werden in Zukunft noch mehr standardisiert, automatisiert und von Robotern in spezialisierten Zentren – zum Beispiel als Teil
von Ferien-Hubs – durchgeführt. Die Patienten werden gewissermassen ab
Fliessband im Minutentakt operiert und unmittelbar danach wieder entlassen. Die post-operative und emotionale Betreuung der Patienten ist zunehmend Privatsache und muss daher immer öfter in den Ferien stattfinden.
Vor allem Alleinstehende und Hightech-Medizin-Enttäuschte werden in
den Ferien vermehrt emotionalen Rückhalt suchen.
Energy-Ferien
Auch Menschen mit einer robusten Konstitution suchen Alternativen,
die schneller und besser heilen. Wer wenig Zeit und genug Geld hat, will
Erholungsphasen gezielter nutzen, um neue Energie aufzubauen. Der gesunde Schlaf wird in Zukunft den gleichen Stellenwert haben wie heute gesunde
Ernährung. Genauso wie der Gast heute individuelle Diäten erwartet, wird
er in Zukunft persönliche Schlaf-Menüs erwarten, die vom Raumklima über
die Bettwäsche bis zur Massage alles auf seine Bedürfnisse abstimmen.
Ankommen statt weglaufen
In den reifen Märkten und alten Gesellschaften Westeuropas entsteht ein
neues Wohlstandsverständnis. Mehr Lebensqualität bedeutet Ruhe, Raum
und mehr Zeit für sich und seine Lieben. Die Reisenden von morgen suchen
immer öfter das Vertraute und nicht das Fremde. Wie Odysseus nach einer
langen Irrfahrt, mit vielen Täuschungen, Enttäuschungen und flüchtigen
Verführungen, haben sie eine grosse Sehnsucht nach Heimkehr. Ferien werden zunehmend zu Hause, in der Region oder bei der Familie verbracht.
Die Gesellschaften der westlichen Industriestaaten werden seit fünfzig Jahren
immer reicher. Doch die Menschen sind dabei nicht glücklicher geworden. Sie
verdienen mehr, sind besser ernährt, besser ausgebildet als jede Generation
zuvor. Trotzdem nehmen Scheidungen, Selbstmorde und Depressionen stetig zu. Die Unzufriedenheit wächst, und mehr Menschen fangen an, ihren
Lebensstil in Frage zu stellen. Optimismus und Fortschrittsgläubigkeit, einst
Antriebskräfte der Wohlstandsgesellschaft, erfüllen sich schon lange nicht
mehr.
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Thesen zum Tourismus 2020
Enttäuscht von den «leeren Versprechen», wenden sich immer mehr Menschen immateriellen Glücksbringern zu: Intakte Familien und Gemeinschaften, Gesundheit, Vertrauen, Moral und Religion stehen wieder ganz
oben auf der Werteliste. Gesucht wird ein Lebenssinn, der über das Anhäufen
von materiellen Gütern hinausgeht. Die alternden Babyboomer verstärken
diesen Trend. Denn ältere Menschen haben andere Werte und Wünsche
als junge Menschen. Je älter wir werden, desto mehr hängt das Glück von
immateriellen Werten ab, von persönlichen Erfahrungen statt von Besitz,
spannenden Beziehungen statt langweiligen Egotrips.
Ferien in der Nähe
Damit wird Nähe generell attraktiver. Ferien zu Hause, im erweiterten Sinn
als «zu Hause in der Region» verstanden, werden zunehmen. Für die Puristen
unter den alternden Babyboomer wird die Nähe und die Lebensqualität
wichtig, weil sie schon viel gesehen haben und überall waren. Sie suchen eine
Destination, die sie leicht, schnell und bequem erreichen können.
Für den periodischen Kurzurlaub bleiben wir in Zukunft am liebsten in der
Nähe. Für die Schweizer heisst das: Tessin, Wallis, allenfalls noch Toskana
und Südfrankreich. Spazieren, Wein und Olivenöl probieren, einkaufen,
Freunde einladen und treffen, oftmals kombiniert mit kulturellen Interessen,
bestimmen den Tag. Benötigt und erwartet wird nicht das Teuerste, aber
gute Basisqualität. Denn die alternden Babyboomer haben noch eine gute
Zeit vor sich und müssen mit ihrem Geld haushälterisch umgehen.
Nachholbedarf im Osten
In Osteuropa und Asien hingegen besteht nach wie vor Nachholbedarf auf
dem Weg von der Spass- zur Sinngesellschaft. Wohlstand hat für junge
aufsteigende Länder wie China und Indien eine andere Bedeutung als für
die satten Gesellschaften Westeuropas. In jungen, frühindustrialisierten
Ländern bedeutet Wohlstand vor allem Materielles. Er wird gemessen an der
Anzahl Wohnungen, Autos, Videokameras und Mobiltelefonen. Da sich in
Zukunft die Mehrzahl der Konsumenten in Asien befindet, wird die asiatische Welt auf die Gestaltung der führenden Ferienangebote einen bestimmenden Einfluss haben.
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Die Zukunft des Ferienreisens
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Thesen zum Tourismus 2020
In Westeuropa zeichnet sich folgendes neues Verständnis von Wohlstand
und Luxus ab:
Traditioneller, materieller Luxus
Neuer Luxus
Grössere Autos / grössere Strassen
Kein Verkehr
Swimming Pool
Garten mit altem Baumbestand
High Life, Party
Kochen und Lesen
Gucci oder Prada
Selbermachen
VIP-Tickets und Opening Nights
Seinen Kindern beim Sport zusehen
Wohltätigkeitsbälle
Freiwilligenarbeit
Volle Agenda, Hyperaktivität
Zeitsouveränität
Jet Set
Ankommen
Fast Forward
Slow Down
Künstliche Inseln (Dubai)
Renaturalisierung, unberührte Natur
(North Island Seychellen)
Vorteil, abzocken
Fairness
Manolo Blahnik, High Heels
Barfuss
Übermut, Exotik
Sinn, Geist, Balance
Die beliebtesten «Reiseziele» im Jahr 2020
Die Segmentierung in einen grossen Massenmarkt (Discount, McHoliday)
und in differenziertere Premium-Märkte schreitet fort. Beliebtheiten im
herkömmlichen, ortsabhängigen Sinn gibt es nicht mehr. Entscheidend
wird nicht, wohin man reist, sondern was man dort macht und wen man
dort trifft. Damit treten die Unterschiede zwischen Reichen und Armen im
Tourismusbereich so stark wie nirgends sonst zutage.
Superluxus
Reisen bleibt ein wichtiges Thema der Superreichen. Denn durch Reisen lässt
sich Erfolg besser als irgendwie sonst jenseits von Materiellem ausdrücken:
Wer sich eine Woche Haifisch-Tauchen vor Guadeloupe für 100 000 USDollar leisten kann, gehört definitiv zur finanziellen Elite. Und darum geht
es den Reichsten der Reichen mehr und mehr: Sie wollen unter sich sein,
sich nur noch untereinander messen.
Da Luxusreisen aber auch bei den nur «ziemlich Reichen» im Trend liegen
(Seit 9/11 will man das, was man hat, voll und ganz geniessen, gerade so, als
gäbe es kein Morgen.), müssen sich die Superreichen nach unten abschotten
und neue Formen des Luxus entwickeln: früher oder exaltierter als alle anderen. Exklusivität und Privatsphäre sind die Schlüsselbegriffe.
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Thesen zum Tourismus 2020
Generationenunterschiede
Die Elite wird übers Portemonnaie ausgelesen. Dabei unterscheidet sich bei
den verschiedenen Generationen die Motivation für den Hang zum Luxus.
Die Jüngeren zeigen durch ultraluxuriöse Reisen, wie weit sie den anderen
ihres Alters bereits voraus sind. Babyboomer sehen sich als «Pfadfinder».
Statt in Firmen wird nun in Erlebnisse, ins eigene Leben und in die Familie
investiert. Ältere beweisen sich durch das Reisen ihre anhaltende Jugend und
Vitalität.
Während sich die Erben grosser Vermögen eher wie Stars benehmen und
nach Anonymität und Kontrolle streben (indem sie zum Beispiel nur handverlesene Gäste zur Geburtstagsfeier auf der Privatinsel einladen), sucht, wer
sich das grosse Geld selbst erarbeitet hat, nach dem Kontakt mit den richtigen Leuten. Die Abschottung der traditionell reichen Familien stellt für ihn
ein Problem dar.
Luxus
Nicht jeder Luxuswunsch wird durch Luxusgüter befriedigt. Neuer Luxus
meint Privatsphäre und Erlebnisse: Ein Wochenende lang zu Hause mit
allen Familienmitgliedern unter echten, alten Bäumen den Schatten geniessen oder auf der eigenen Insel Familie und Freunde bei Full-Service versammeln, ungestört Zeit für sich selbst haben. Dazu werden auch neue Räume
unter Wasser (bei Wal-Beobachtungstouren im U-Boot) oder im Weltraum
(beim Astronautentraining in Baikonur mit anschliessendem echtem oder
simuliertem Flug zum orbitalen Habitat «Infinity») entdeckt.
Ganzheitliche Erfahrungen könnten sein, eine Woche lang wie ein Sultan in
einem echten Palast zu leben oder wie in den 1930ern mit Gewändern der
Epoche in einem Zeppelin zu fliegen. Die Suche nach dem Echten macht auch
vor Prominenten und anderen Erfolgreichen nicht Halt. Statt ein Interview
mit Mrs. X im Internet zu sehen, will man sich persönlich mit ihr unterhalten, am besten bei einer Tasse Tee in ihrem Garten. Erlebnisintensität
durch personalisierten Service bis ins ausgeklügeltste Detail mit einer stilvollen Betreuung sind die entscheidenden Merkmale. Der Kunde will etwas
Einzigartiges erleben, das er immer wieder gerne erzählt.
Auch in Zukunft gibt es die Möglichkeit, für 25 000 Dollar eine Suite auf
der MS Europe zu buchen. Da aber der allgemeine Lebensstandard bis 2020
erheblich sinkt, wird es ein immer grösserer Luxus, in kurzer Zeit seinen
ganz eigenen individuellen Wünschen und Sehnsüchten nachzugehen (oder
auch nur Zeit, Ort und Service-Level der Reise zu bestimmen) –, egal ob auf
See, im Gebirge oder im Weltraum.
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Thesen zum Tourismus 2020
Billig
Billig bleibt, was pauschal und für die Reiseveranstalter einfach zu handhaben ist: all-inclusive-Urlaub auf Mallorca für die Familie, in Thailand für das
Ehepaar. Billig bleibt auch, was sich an die Massen wendet: Rentnerkolonien
in Billiglohnländern mit standardisierten Pflegedienstleistungen (mitfinanziert von der Pflegekasse), Flüge nach San Francisco für 100 Euro oder
die Mittelmeer-Kreuzfahrt zum Schnäppchenpreis mit EasyCruise für das
authentische Gefühl auf See.
Wem Zeit und Ziel egal sind, der kann auch heute schon supergünstig reisen:
Karstadt bietet eine Daunenjacke für 199 Euro plus New York-Fluggutschein
an. Philips verkauft DVD-Player mit Bonusflugschein und Ryan Air verschenkt Flüge und finanziert sich über Zusatzdienstleistungen.
Neu könnten virtuelle, realitätsbasierte Reisen sein: Per sinnstimulierender
Software wird ein Besuch in der Verbotenen Stadt oder in den Labyrinthen
der Pyramiden möglich – zuhause am PC oder in Reisezentren der Nachbarstadt –, virtuelle Reiseführerin und vor Ort gesammelte Geruchsproben
inklusive. Bis 2070 können uns vielleicht, wie im Film «Total Recall», die
Erfahrungen einer Reise ins Gedächtnis implantiert werden. Die Souvenirs
fürs Wohnzimmerregal gibts natürlich dazu.
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Die Zukunft des Ferienreisens
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Anhang
6. Anhang
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Anhang
Experten
Persönliche Interviews
_Abu Ghazaleh Ghassan, Director Strategic Development Dubailand, Dubai
_Bhatia Ankur, Executive Director The Bird Group und Managing Director,
Amadeus India, New Delhi, India
_Bosshart David, CEO, Gottlieb Duttweiler Institut, Rüschlikon
_Hammerschmitt Marcus, Science Fiction Autor, Tübingen
_Henry Joël, Gründer des ersten Labors für experimentellen Tourismus
und Autor des «Lonely Planet Guide to Experimental Travel», Strasbourg
_Kagelmann H. Jürgen, Dr. Diplom-Psychologe, Dozent für Tourismuswissenschaft an der Ludwig Maximilians Universität München
_Malhorta Hemant, Finanzanalyst, Gurgaon, India
_Mogensen Klaus Æ. und Bjerre Anders, Zukunftsforscher, The Copenhagen
Institute for Future Studies, Copenhagen
_Romeiss-Stracke Felizitas, Prof. Dr., BSF Büro für Sozial- und Freizeitforschung, München
_Wadhawan Sunil, Business Head Corporate Travel, BTI Sita, Gurgaon,
India
_Wharwick Tricia, Group Director of Sales, Jumeirah Group, Dubai
_Wippermann Peter, Gründer Trendbüro Hamburg, Hamburg
Persönliche Interviews zu Reisemotiven in der Literatur
_Brenner Peter J., Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft
an der Universität zu Köln, Köln
_Wöhler Karlheinz, Professor für empirische und angewandte
Tourismuswissenschaft an der Universität Lüneburg, Lüneburg
_Fritsch-Rössler Waltraud, Prof. Dr. für Literaturwissenschaft, LeopoldFranzens-Universität Innsbruck, Innsbruck
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Anhang
Online Surveys
1. Travel Trends and atypical customer behaviour and wants
Respondents: 141 Kuoni Travel Agents
Date: Oct 10th - Oct 31st 2005
Software and Support: groupVison (Switzerland), Anthony Adams
2. Tourism Horizons 2020
Respondents: 71 Travel and Holiday Experts, strategically-oriented managers and consultants
Date: Jan 26th, - Feb 4th, 2006
Software and Support: groupVison (Switzerland), Anthony Adams
Quellen
_Adams Douglas: The hitchhiker’s guide to the galaxy, New York 2005.
_Antony Rachel, Henry Joël: Experimental Travel, Lonley Planet 2005
_Bauer Thomas G., McKercher Bob: Sex and Tourism: Journeys of Romance,
Love and Lust, New York 2003
_Bolz Norbert: Das konsumistische Manifest, München 2002
_Bosshart David: Cheap: The Real Cost of the Global Trend for Bargains,
Discounts and Consumer Choice, London 2005
_De Botton Alain: Kunst des Reisens, Frankfurt 2002
_Boyle David: Authenticity: Brands, Fakes, Spin and the Lust for Real Life,
London 2003
_Canestrini Duccio: Schiessen Sie nicht auf Touristen!, Zürich 2006
_Cetron Marvin, Fred DeMicco, Owen Davies: Hospitality 2010:
The Future of Hospitality and Travel, New Jersey 2005
_Credit Suisse, Swiss Issues: Reisemarkt zwischen Globalisierung und
Kostendruck, Zürich 2005
_Enzensberger H.M.: Aussichten auf den Bürgerkrieg, Frankfurt 1993
_European Travel Commission (ETAG): Tourism Trends for Europe,
Bruxelles 2004
_Furedi Frank: Therapy Culture; Cultivating Vulnerability in an Uncertain
Age, London 2003
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Die Zukunft des Ferienreisens
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Anhang
_Future Foundation on behalf of Cendant Travel Distribution Services:
The World of Travel in 2020, London 2005
_Gross Michael: The New Luxury, in Travel + Leisure, June 2005
_Hammerschmitt Marcus: Instant Nirwana: das Geschäft mit der Suche
nach dem Sinn, Berlin 1999
_Houellebecq Michel: Möglichkeit einer Insel, Köln 2005
_Institute for the Future: Infrastructure for the New Geography, Menlo Park
2004
_Iyer Pico: Why we travel, in salon.com, March 18, 2000
_Kagelmann Hans-Jürgen (Hg.): Tourismuswissenschaft. Soziologische,
sozialpsychologische und sozialanthropologische Untersuchungen,
München 2003
_Kagelmann Hans-Jürgen: Tourismus quo vadis, München 2000
_Miegel Meinhard: Epochenwende. Gewinnt der Westen die Zukunft?
Berlin 2005
_Poon Auliana: A New Tourism Scenario – Key Future Trends, Tourism
Intelligence International 2003
_Potts Rolf: Vagabonding: An Uncommon Guide to the Art of Long-Term
World Travel, New York 2003
_ Young Pelton Robert: The World's Most Dangerous Places, New York 2003
_Raymond Martin: The Tomorrow People: Future consumers and how
to read them today, London 2003
_Romeiss-Stracke Felizitas, Karl Born: Abschied von der Spassgesellschaft.
Freizeit und Tourismus im 21. Jahrhundert, München 2003
_Sterling Bruce: Tomorrow Now. Envisioning the next fifty years,
New York 2002
_Theobald William F. (Ed.): Global Tourism, 2nd ed., London 1998
_The Thomson Future Holiday Forum: A future-gazing study
of how holidays are set to change over the next 20 years, London 2004
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Anhang
_Valhouli Christina: Hotels of the Future, www.forbes.com
_Virtuoso: The 2004 Virtuoso Luxereport, 2004
_Weiermair Klaus, Mathies Christine (Ed.): The Tourism
and Leisure Industry shaping the future, New York 2004
_World Tourism Organisation UNWTO: The Tourism 2020 Vision,
www.world-tourism.org
_Yeoman Ian, Munro Colin: Tomorrow’s World, Consumer, Tourist,
www.visitscotland.com
_Zschocke Martina: Mobilität in der Postmoderne. Psychische Komponenten
von Reisen und Leben im Ausland, Würzburg 2005
Links (Auswahl)
_www.clubofamsterdam.com
_www.flickr.com
_future.iftf.org
_www.luxist.com
_www.psfk.com
_www.shapingtomorrow.com
_www.trendwatching.com
_www.tourism-intelligence.com
_www.ubercool.com
_www.wordspy.com
_www.world-tourism.org
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Gottlieb Duttweiler Institut
Das Gottlieb Duttweiler Institut – unkonventionell und wegweisend
Seit über vierzig Jahren ist das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) ein
Garant für unabhängige Forschung, welche quere und unkonventionelle
Denkweisen nicht nur zulässt, sondern fördert. So entstehen neue Ansätze
und wegweisende Ideen. Dank weltweiter Vernetzung funktioniert das GDI als
Wissensplattform, auf der wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen am
Puls der Zeit erforscht, diskutiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden. Das GDI ist ein Ort der Begegnung, ein Ort der kühnen Ideen, ein Ort
der Überwindung von mentalen Grenzen.
Mehr als ein Think-Tank
Das GDI gehört in den Themenfeldern Handel, Konsum und Megatrends zu den
führenden Forschungs- und Wissenszentren. In erster Linie ist es ein internationaler Think-Tank. Doch das allein wäre zu wenig. Die Wissensvermittlung
mittels Studien, Büchern, Referaten, Workshops, Beratungen und im Magazin
GDI IMPULS ist ein zentrales Anliegen des GDI. Weil es sich auch als Ort der
Begegnung versteht, organisiert es Eigenveranstaltungen wie Konferenzen,
Tagungen, Themenabende oder Seminare. Zusätzlich steht es einer breiten
Öffentlichkeit als Veranstaltungsort zur Verfügung. Diese vier Schwerpunkte
machen das GDI zu einem Kompetenzzentrum für alle Fragen rund um die
Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Thematische Schwerpunkte
_ Gesellschaftlicher Wandel und Konsumtrends
_ Innovationen im Handel und Dienstleistungsbereich
_ Trends und Analysen der Food-Industrie
_ Formen von Verkaufs- und Vertriebskanälen
Gottlieb Duttweiler Institut
Langhaldenstrasse 21, CH-8803 Rüschlikon/Zürich
Telefon +41 44 724 61 11, Fax +41 44 724 62 62
www.gdi.ch
Autoren dieser Studie
David Bosshart, CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und
Gesellschaft, einem der führenden europäischen Think-Tanks. Er ist Autor
diverser Publikationen, u.a. von «Kultmarketing», «Die Zukunft des Konsums»,
«Billig» sowie Referent bei Veranstaltungen in Europa, den USA und Asien.
Schwerpunkte seiner Arbeit sind Handel und Konsum, Management und
gesellschaftlicher Wandel.
Karin Frick, Ökonomin, Leiterin der Abteilung Research und Mitglied der
Geschäftsleitung des Gottlieb Duttweiler Instituts. Sie analysiert seit über
10 Jahren Megatrends und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft und
Konsum. Sie ist Autorin diverser Publikationen/Studien, u.a. «Megatrends
und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft und Konsum», «Die Zukunft der
Frau», «Radical Trends Guide», «Generation Gold».
100 Jahre Kuoni – Jubiläums-Trendstudie
Die Zukunft des Ferienreisens