Mk 1,14-20 - Perikopen.de

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Mk 1,14-20 - Perikopen.de
3. Sonntag im Jahreskreis (B): Mk 1,14-20
Mk 1,14-20 kombiniert zwei Abschnitte, mit denen im Markusevangelium das öffentliche Wirken Jesu
beginnt. In den Vv. 14-15 steht Jesu Verkündigung des Evangeliums Gottes im Zentrum, in den Vv.
16-20 folgt die formal parallel dargestellte Berufung zweier Brüderpaare: in den Vv. 16-18 die von
Simon Petrus und Andreas, in den Vv. 19-20 die von Jakobus und Johannes.
Kontext
Eine besondere Rolle am Evangelienanfang kommt Mk 1,14f zu. In der Exegese umstritten ist, ob die
Vv.14f zum Schluss des Markusprologs (Mk 1,1-13) gehören oder zum Beginn der öffentlichen
Verkündigungstätigkeit Jesu in Galiläa (Mk 1,16-39). Für beide Zuordnungen gibt es gute Gründe.
Für die traditionelle Zuordnung, der auch die Leseordnung folgt, sprechen die Inklusion von V.14 mit
V.39 durch die „Verkündigung“ in ganz „Galiläa“, die neue Zeitangabe (nach der „Auslieferung“ des
Täufers) und ein Ortswechsel. Nicht mehr der Jordan und die ihn umgebende Wüste ist Schauplatz
der kommenden Ereignisse, sondern Galiläa.
Auf der anderen Seite bildet der Begriff „Evangelium“ eine Inklusion um 1,1 und 1,14. Bemerkenswert
ist in beiden Fällen die Genitivverbindung: „Evangelium Jesu Christi“ und „Evangelium Gottes“, die
sonst im Mk nicht mehr vorkommt. Beide Genitivverbindungen interpretieren sich gegenseitig: die
Heilsbotschaft über Jesus, den Christus (1,1) gibt es nur, weil dieser Jesus selbst als Sohn Gottes, d.h.
als legitimer Beauftragter Gottes, die Heilsbotschaft Gottes verkündigt hat (1,14); diese wiederum
wird als solche nur beglaubigt durch sein – im Schicksal des Täufers (V.14a) – schon angedeutete und
dem Willen Gottes entsprechende Lebenshingabe. Der Rückbezug auf Johannes den Täufer, d.h. die
Verknüpfung von „Auslieferung“ des Täufers und Beginn der Verkündigung Jesu sowie die
Anknüpfung an dessen Umkehrruf (Vv.5 + 15), sind weitere Hinweise für die Vv.14f als Schluss des
Prologs.
Nehmen wir die Bezüge von Mk 1,14-15 nach vorne und nach hinten ernst, ist diese kleine Einheit am
besten als eine Art Scharnier zwischen dem Prolog und dem Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu zu
verstehen. Damit sind die Vv.14f sowohl Höhepunkt und Abschluss des Prologs als auch
programmatische Überschrift über den ersten Teil des Evangeliums (Mk 1,16-8,26).
Der Beginn der Verkündigung Jesu (Mk 1,14-15)
Die Heilsbotschaft Gottes, die Jesus in Mk 1,14f verkündet, ist natürlich keine bestimmte, konkrete
Predigt Jesu, sondern der Kern seiner Predigt, verdichtet in zwei Sätzen. Das wird unterstützt durch
die allgemeine Angabe zur Region, in der er seine Verkündigung beginnt. Es werden keine
bestimmten Orte genannt, z.B. Kafarnaum oder Nazaret, sondern Markus spricht ganz allgemein von
Galiläa, dem nördlichsten Gebiet des jüdischen Palästina. Das, was Jesus hier sagt, verkündet er
überall in Galiläa.
Jesus verkündet die Heilsbotschaft Gottes (V.14)
14
Μετὰ δὲ τὸ παραδοθῆναι τὸν Ἰωάννην ἦλθεν ὁ
Ἰησοῦς
εἰς
τὴν
Γαλιλαίαν
κηρύσσων
τὸ
εὐγγέλιον τοῦ θεοῦ
Nachdem Johannes ausgeliefert worden war,
kam Jesus nach Galiläa und verkündete die
Heilsbotschaft Gottes.
Nach der Versuchung in der Wüste durch den Satan (1,12f) ist Jesus fähig und bereit, das Evangelium
Gottes zu verkünden, auch gegen alle Widerstände. Wann genau er mit seiner Verkündigung beginnt,
lässt Markus offen. Die Verknüpfung mit der Auslieferung des Johannes in V.14 lässt auf jeden Fall
einen längeren Zeitraum vermuten, der zwischen der Taufe Jesu und dem Beginn seines öffentlichen
Wirkens verstrichen sein muss. Möglicherweise hielt Jesus sich sogar bis zur Gefangennahme des
Täufers bei diesem auf, jedenfalls weilte er nicht in Galiläa, in das er erst jetzt wieder zurückkehrt.
Die Erwähnung der Gefangennahme des Täufers in V.14a ist allerdings keine bloße Zeitangabe zur
Orientierung des Lesers, auch keine bloße historische Reminiszenz, sondern ein erster Hinweis auf
das Leidensschicksal, das Jesus mit Johannes teilen wird. Das wird insbesondere durch das für die
Gefangennahme des Täufers verwendete griechische Verb παραδίδωμι („ausliefern, dahingeben“)
deutlich, dass in der zweiten Hälfte des Evangeliums terminus technicus für das Leidensschicksal Jesu
werden wird (z.B. 9,31; 10,33). Die passivische Formulierung ist dabei als passivum divinum zu
deuten. Nicht Herodes und seine Helfershelfer sind die eigentlich Handelnden, sondern der
Handelnde hinter den sich selbstherrlich gerierenden Akteuren ist Gott selbst, der die Absichten der
Mächtigen in ihr genaues Gegenteil verkehrt. Die Auslieferung des Johannes gehört daher zum
göttlichen Heilsplan, ebenso wie die Auslieferung Jesu in die Hände der Hohenpriester,
Schriftgelehrten und Älteten. Für die LeserInnen des Evangeliums, die ja wissen, dass Johannes und
Jesus einen gewaltsamen Tod durch die Mächtigen erlitten haben, ist das Schicksal des Täufers „eine
Vorabbildung dessen, was Jesus auf seinem Weg widerfährt.” (Eckey 65)
Obwohl Jesus das gleiche Schicksal wie der Täufer erwartet, unterscheidet sich seine Verkündigung
jedoch von der des Täufers, da er keine Umkehrtaufe zur Vergebung der Sünden verkündigt (V.4),
sondern die Heilsbotschaft, die Gute Nachricht Gottes (V14b). Der Begriff εὐαγγέλιον erinnerte die
heidenchristlichen AdressatInnen zunächst an die mit dem Kaiserkult verbundenen „Guten Nachrichten“, z.B. die „Siegesbotschaften“ des Kaisers oder das mit dem Erscheinen des Kaisers heraufziehede
Heilsereignis, gefeiert in seiner Geburt. In Verbindung mit den Anspielungen auf das Jesajabuch im
Prolog (z.B. Jes 40,3 auf den Täufer; Jes 42,1 auf Jesus) und der Qualifikation des εὐαγγέλιον als der
Heilsbotschaft Gottes ruft der Evangelist jedoch die Ankündigung der Heilszeit (εὐαγγελίζομαι) aus
Jes 52,7-9 und 61,1-4 wach, die zudem in Jes 52,7 wie an unserer Stelle mit dem Königtum Gottes
verbunden wird.
Der Inhalt der Heilsbotschaft Gottes (V.15)
καὶ λέγων ὅτι Πεπλήρωται ὁ καιρὸς καὶ
Dabei sagte er: „Die Zeit ist erfüllt, und nahe
ἤγγικεν ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ: μετανοεῖτε καὶ
gekommen ist das Königtum Gottes. Kehrt um
πιστεύετε ἐν τῷ εὐαγγελίῳ.
und vertraut auf die Heilsbotschaft.“
15
In V. 15 spricht Jesus zum ersten Mal im Mk selbst. Seine Heilsbotschaft besteht aus zwei, formal
deutlich voneinander getrennten Doppelsätzen.
Der erste Doppelsatz in V.15ab ist eine Proklamation der angebrochenen Zeitenwende und damit
zugleich als Zuspruch und Hoffnungszusage zu verstehen. In ihm stellt Jesus kategorisch fest, dass
die Zeit erfüllt und das Königtum Gottes nahe gekommen ist. Doch nicht irgendeine Zeit hat sich
erfüllt, sondern die von Gott selbst bestimmte Zeit ist zu einem guten, vollen Ende gekommen. Diese
Art von Zeit,
die nicht mit der messbaren, kontinuierlich fließenden Zeit, dem χρόνος zu
verwechseln ist, wird durch den griech. Begriff καιρός ausgedrückt. Diese erfüllte Zeit wird in V.15b
durch die unmittelbare Nähe des Königtums Gottes qualifiziert.
Die βασιλεία τοῦ θεοῦ kann beides bedeuten, Königreich und Königsherrschaft. Die Wendung zielt
also sowohl auf den Raum, den die Herrschaft umgreift, das Land, in dem jemand König ist, als auch
auf das, was Aufgabe des Königs ist, was sein Handeln ausmacht. Sie hat daher statischen wie
dynamischen Charakter. In V.15b dominiert durch das Verb „nahe gekommen” auf den ersten Blick
zwar der dynamische Charakter, so dass wir besser von Königsherrschaft sprechen müssten als von
Königreich, auf der anderen Seite herrscht Gott nach jüdischem wie christlichem Glauben aber immer
als König, so dass die Wendung „Königsherrschaft Gottes“ das Besondere dieser Botschaft nur
unangemessen wiedergibt. Tatsächlich fallen in V.15b beide Bedeutungen der βασιλεία τοῦ θεοῦ
zusammen, so dass ich mich für die beide Bedeutungen übergreifende Übersetzung „Königtum
Gottes“ entschieden habe: unmittelbar vor der Tür steht die Königsherrschaft Gottes, die sich
endgültig in Raum und Zeit durchgesetzt hat, so dass daneben die Mächte des Bösen keinen Bestand
mehr haben.
Das „Königtum Gottes“ ist für die AdressatInnen Jesu wie für die des Evangelisten – anders als für
uns heute – besonders qualifiziert: da ist zunächst der Begriff βασιλεία, der nicht irgendeine
Herrschaft, irgendein Reich meint, sondern die Königsherrschaft, das Königreich. Die Königsherrschaft aber unterscheidet sich in der Antike wesentlich von anderen Herrschaftsformen durch ihre
Legitimität. Nicht die Demokratie, die in der Antike sowieso nur recht schwach ausgeprägt war, steht
ihr entgegen, sondern Tyrannei und Despotie, also Gewaltherrschaft. Der wahre König Israels ist
zugleich auch der Hirte Israels; wenn nun Gott selbst sein Königtum durchgesetzt hat, dann ist Freude
für Israel angesagt, dann kann Israel mit Heil rechnen, mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, mit
Trost und Rettung. Insbesondere die nachexilischen (prophetischen) Texte sind voll von solchen
Hoffnungsbildern (vgl. neben Jes z.B. auch Zef 3,14f oder die JHWH-König-Psalmen).
Nicht völlig klar ist das Verständnis der Nähe von Gottes Königtum. Ist es unmittelbar bevorstehend
oder als schon gegenwärtige Größe zu begreifen? Wahrscheinlich ist beides der Fall, so dass schon in
dieser ersten Rede Jesu vom nahegekommenen Königtum Gottes der Doppelaspekt der Reich-GottesVerkündigung Jesu insgesamt enthalten ist, das „Schon“ und das „Noch nicht“. Das Königtum Gottes
hat sich noch nicht endgültig durchgesetzt, sonst wäre es nicht nur nahe gekommen, sondern schon
da, aber es ist so nahe, dass es schon in dieser Welt Raum greift und insbesondere in den Worten und
Taten Jesu selbst Wirklichkeit geworden ist. Es ist so nahe, dass die einzig angemessene Reaktion auf
seine Nähe die im zweiten Doppelsatz (V.15cd) geforderte Umkehr und der Glaube an eben diese
Heilsbotschaft ist. Aus der Zusage vom Kommen des Königtums Gottes ergibt sich für die
Angesprochenen der Imperativ: kehrt um und glaubt/vertraut.
Der Umkehrruf Jesu knüpft an die Umkehrverkündigung des Täufers an. Doch ist er nicht als reiner
Willensakt für moralisch starke Persönlichkeiten zu verstehen, sondern hat seine Basis im Vertrauen
auf die Heilsbotschaft, wie Jesus im zweiten Teil des Doppelsatzes formuliert. Das griech. Verb
πιστεύω bedeutet in erster Linie „vertrauen” und erst in zweiter Linie „glauben” im Sinne von „etwas
für wahr halten”. „Vertrauen” ist aber ein Beziehungswort. Indem ich dem Evangelium, der
Freudenbotschaft vom Königtum Gottes vertraue, vertraue ich Gott selbst, der seine Königsherrschaft
in unserer Welt errichten will. In einem solchen Vertrauen kann ich gar nicht anders als meinen Sinn,
meine Absicht zu ändern – so die ursprüngliche griechische Bedeutung von μετανοέω – und diesem
Königtum entsprechend zu leben.
Der doppelte Zuspruch der Botschaft Jesu lautet daher: 1. die Königsherrschaft Gottes ist nahe
gekommen, 2. ihr müsst ihr nur vertrauen, euch auf sie einlassen. Für die Leserinnen und Leser des
Mkev bedeutet das auch: vertraut auf Jesus, auf den, der euch das Evangelium Gottes auslegt, nicht
nur mit Worten, sondern mit seinem ganzen Leben bis hin zum Tod.
Die Berufung zweier Brüderpaare in die Nachfolge Jesu (Vv.16-20)
Zweimal kurz hintereinander ruft Jesus im Vorübergehen ein Brüderpaar in seine Nachfolge. Bei
beiden Brüderpaaren handelt es sich um Fischer, die beim Ruf Jesu gerade ihrer beruflichen Tätigkeit
nachgehen. In beiden Fällen lassen sie sofort alles liegen, stehen auf und folgen Jesus nach. Beide
Kurzberichte sind streng parallel aufgebaut und orientieren sich im Aufbau an der Berufung des
Elischa durch Elija (1 Kön 19,19-21).
Die kleine Einheit beginnt damit, dass Jesus am Meer von Galiläa, dem See Genezaret entlanggeht.
Von V.14 her, worin Galiläa als Verkündigungsraum Jesu genannt wird, richtet sich der Blick des
Evangelisten jetzt auf das Meer von Galiläa, wie der See im Mk immer genannt wird, und sein Ufer.
Dieser Raum wird im Mk der bevorzugte Wirkungsraum Jesu in Galiläa sein. Jesus befindet sich
wahrscheinlich in der Nähe von Kafarnaum, da Jesus zusammen mit den vier Berufenen in der
folgenden Perikope in diese Stadt geht, in der zumindest Simon nach 1,29 auch zu wohnen scheint.
Die Berufung von Simon und Andreas (Vv.16-18)
Καὶ παράγων παρὰ τὴν θάλασσαν τῆς
Und als er am Meer von Galiläa entlang ging, sah
Γαλιλαίας εἶδεν Σίμωνα καὶ Ἀνδρέαν τὸν
er Simon und Andreas, den Bruder Simons, wie
ἀδελφὸν
sie Rundnetze ins Meer warfen; denn sie waren
16
Σίμωνος
ἀμφιβάλλοντας
ἐν
τῇ
θαλάσσῃ: ἦσαν γὰρ ἁλιεῖς.
Fischer.
καὶ εἶπεν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς, Δεῦτε ὀπίσω μου,
Und Jesus sagte zu ihnen: „Auf, mir nach, und
καὶ ποιήσω ὑμᾶς γενέσθαι ἁλιεῖς ἀνθρώπων.
ich werde euch zu Menschenfischern machen.“
καὶ εὐθὺς ἀφέντες τὰ δίκτυα ἠκολούθησαν
Und sofort verließen sie ihre Netze und folgten
17
18
αὐτῷ.
ihm nach.
Jesus geht also in der Nähe von Kafarnaum am See entlang und sieht die beiden Brüder Simon und
Andreas beim Auswerfen der Netze. Interessant sind die Namen: „Andreas” ist ein durch und durch
griechischer Name und bedeutet: Mannhaftigkeit, Tapferkeit, Mut. „Simon” ist ebenfalls ein häufiger
griechischer Name, gleichzeitig aber auch die Gräzisierung des hebr. Schimeon. Die griechischen
Namen lassen darauf schließen, dass Simon und Andreas aus einer jüdischen Familie stammen, die
gegenüber den umgebenden griechischen Einflüssen relativ aufgeschlossen war, zumindest was die
Namen der Kinder betraf. Beide, Simon und Andreas stehen bis zu den Knien im Wasser und fischen
von hier aus mit dem kreisrunden Wurfnetz.
Der Anruf Jesu in V.17 erfolgt für die LeserInnen plötzlich und hat einen überraschend unbedingten
Charakter: „Auf, mir nach!” ist ein Befehl, dem man sich kaum entziehen kann. Die folgende
Begründung verlangt letztlich, die Berufsfischerei aufzugeben und auf Menschenfang zu gehen. Mit
der Wendung „Menschenfischer” knüpft Jesus geschickt und überzeugend an den bisherigen Beruf
des Brüderpaares an. Sie motiviert und überzeugt auch deshalb, weil sie damit die Angst vor dem
Neuen nimmt und suggeriert, dass die neue Tätigkeit durchaus in der Kompetenz von Fischern liegt.
Der positive Sinn des Bildwortes hat übrigens keine Parallele in jüdischen Texten. Erstaunlich ist dann
die Reaktion der Brüder. Sie „machen keine Vorbehalte gegen die Berufung geltend, sondern geben
augenblicklich ihre bisherige Berufstätigkeit auf und leisten der Aufforderung, hinter dem schon
weitergehenden Jesus herzugehen, sofort und fraglos Folge (18).” (Eckey 71)
Die Berufung von Jakobus und Johannes (Vv.19-20)
Καὶ προβὰς ὀλίγον εἶδεν Ἰάκωβον τὸν τοῦ
Und als er ein wenig weiter ging, sah er Jakobus,
Ζεβεδαίου καὶ Ἰωάννην τὸν ἀδελφὸν αὐτοῦ, καὶ
den (Sohn) des Zebedäus, und seinen Bruder
αὐτοὺς ἐν τῷ πλοίῳ καταρτίζοντας τὰ δίκτυα, 20
Johannes, auch sie im Boot, wie sie die Netze
καὶ εὐθὺς ἐκάλεσεν αὐτούς. καὶ ἀφέντες τὸν
flickten. Und sofort rief er sie. Und sie ließen
πατέρα αὐτῶν Ζεβεδαῖον ἐν τῷ πλοίῳ μετὰ τῶν
ihren
μισθωτῶν ἀπῆλθον ὀπίσω αὐτοῦ.
zusammen mit den Tagelöhnern, und gingen
19
Vater
Zebedäus
im
Boot
zurück,
weg, ihm nach.
Auch hier geht Jesus wie in den Vv.16-18 am Ufer des Sees entlang und sieht das Brüderpaar Jakobus
und Johannes. Diesmal tragen beide durch und durch jüdische Namen. Zusätzlich werden sie
qualifiziert durch den Vaternamen „Zebedäus”. Im Unterschied zu Simon und Andreas fischen sie
allerdings nicht, sondern bessern im Boot Auslegenetze (δίκτυα) aus, die für den Fischfang in tiefem
Wasser bestimmt sind. Die Tatsache, dass sie ein Boot besitzen, könnte auf eine gegenüber Simon und
Andreas wirtschaftlich etwas bessere Situation hinweisen. Dazu passen auch die Tagelöhner in V.20,
die zum Fischfang angeheuert wurden.
Der Ruf Jesu an Jakobus und Johannes wird in V.20 von Mk noch knapper berichtet als der an Simon
und Andreas. Obwohl die Aufforderung zur Nachfolge und das Menschenfischerwort nicht
wiederholt werden, gelten sie aber wohl auch für diese Szene. In der Reaktion liegt gegenüber der
Reaktion von Simon und Andreas noch eine Steigerung, denn die Zebedäussöhne lassen nicht nur
ihren Beruf hinter sich, sondern auch ihre Familie, vor allem den Vater.
Historizität und Deutung der beiden Berufungserzählungen
Die zwei kurzen Erzählungen über die Berufung von zwei namentlich genannten Brüderpaaren sind
insofern historisch, als es sich um die vier Jünger handelt, die nicht nur im Mkev als Jüngergruppe
herausgehoben werden, sondern auch im Zwölferkreis und in der frühen Kirche eine wichtige Rolle
spielten. Das betrifft nicht nur den Erstberufenen Simon Petrus, sondern auch Jakobus und Johannes
sowie Simons Bruder Andreas. An ihnen wird prototypisch die Radikalität der durch den Ruf Jesu
erfolgten Lebenswende verdeutlicht. Sie sind die ersten, die Jesu Botschaft vom nahe gekommenen
Königreich Gottes glauben, indem sie ihr Denken und Handeln ganz auf diese Botschaft ausrichten
und auf den, der sie übermittelt, Jesus.
Dagegen ist es eher unwahrscheinlich, dass die Art und Weise der Berufung tatsächlich wie
beschrieben stattgefunden hat. Nirgends wird gesagt, dass die zwei Brüderpaare Jesus schon
irgendwann vorher gehört hätten. Sie haben auch keine Wundertaten gesehen. Schon der Evangelist
Lukas hatte Schwierigkeiten mit dieser Vorstellung und erzählt die Berufung der beiden Brüderpaare
erst nach den Wundertaten in Kafarnaum (Lk 5,1-11). Merkwürdig ist auch, dass zwei Brüderpaare
berufen werden, also immer zwei Menschen, keine Einzelnen. Das widerspricht unserer heutigen,
sehr individuellen Vorstellung von Berufung. Gegen eine historisierende Deutung der mk
Berufungserzählungen spricht auch die ganz andere Darstellung im Joh 1,35-42 (vgl. 2. Sonntag im
Jahreskreis B). Danach folgt auf das Wort des Täufers hin zuerst Andreas Jesus, Andreas trifft dann
seinen Bruder Simon und führt diesen mit den Worten: „Wir haben den Messias gefunden.” zu Jesus.
Vom sofortigen Verlassen der Netze ist nirgends die Rede.
Tatsächlich handelt sich um zwei ideale Szenen, die ihr biblisches Vorbild in der Berufung des Elischa
durch den Propheten Elija haben. Die Übereinstimmungen im Aufbau zwischen unseren beiden
kleinen Erzählungen und 1 Kön 19,19-21 sind frappierend. Alle drei Erzählungen bestehen aus vier
Teilen:
1.
Der Berufende trifft diejenigen, die er berufen will bei ihrer Berufsausübung an.
2.
Die Berufung erfolgt durch eine Zeichenhandlung oder durch einen Ruf.
3.
Die Berufenen lösen sich sofort aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld: Sie geben ihren Beruf auf
und verlassen gegebenenfalls auch ihre Eltern.
4.
Die Berufenen folgen dem Berufenden nach.
Gegenüber der hebräischen Fassung von 1 Kön 19,19-21 verschärft die LXX die Berufung Elischas
noch, da Elija ihm nicht erlaubt, von seinen Eltern Abschiedzunehmen. Auffällig in der LXX-Fassung
ist auch das dreimalige ὀπίσω Ἠλίου bzw. ὀπίσω σου, also dieselbe Präposition wie in Mk 1,17.20.
Auch Elischa kennt Elija nicht, jedenfalls wird nichts darüber berichtet. Wie Jesus hat Elija vorher in
der Wüste eine Versuchung bestanden. Die Parallelen sind erstaunlich. Es gibt aber auch
Unterschiede, die bei genauerer Betrachtung alle auf eine Überbietung Elijas hinauslaufen. a) Die
Versuchung Jesu durch den Satan ist bedrängender als die Versuchung Elijas. b) Jesus beruft gleich
vier Nachfolger, nicht nur einen. c) Elija beruft Elischa durch eine Zeichenhandlung, Jesus allein durch
das Wort. d) Elischa bittet darum, von den Eltern Abschied nehmen zu dürfen. Die zwei Brüderpaare
lassen dagegen sofort alles liegen und stehen und folgen Jesus.
Doch Jesus wird nicht einfach um der Überbietung willen mit Elija verglichen, sondern die
Elischaberufung durch Elija verweist auf die Notwendigkeit von Jüngern für Jesu Verkündigung. Elija
erkannte, dass er seinen prophetischen Auftrag nur erfolgreich durchführen kann, wenn er
Unterstützung durch einen Menschen erhält, der bereit ist, sich genauso kompromisslos und radikal
für die Sache Gottes einzusetzen wie er selbst und schließlich sein Werk weiterführt. Beides trifft auch
für Jesus und seine Sendung zu, allerdings erkennt der mk Jesus das schon zu Beginn seines
öffentlichen Wirkens und nicht erst nach einer existentiellen Krise wie Elija.
Für seine LeserInnen will Markus mit diesem Anfang sagen: Jesus braucht missionarische Menschen,
um die Nähe der Gottesherrschaft zu verkünden und zu leben. Ohne Menschen, die sich radikal und
kompromisslos auf die Heilsbotschaft Jesu einlassen, so wie damals Elischa auf den Ruf Elijas, wird
sich die Gottesherrschaft nicht durchsetzen. Die grundlegende Verkündigung Jesu aus 1,14f zielt also
auf die Bildung von Gemeinschaft. Diese Menschen müssen in die Schule Jesu gehen, von ihm lernen.
Das aber können sie nur, wenn sie bereit sind mit ihm mitzugehen, zu sehen wie er von Gott spricht,
wie er heilt, wie er mit Menschen umgeht, wie er schließlich für seine Verkündigung in den Tod geht.
Auf die Mission verweist auch die paarweise Berufung. Denn in allen Evangelien, auch bei Mk (6,713), sendet Jesus seine Jünger paarweise aus. Alleine das Evangelium zu verkünden überfordert
Menschen, sie brauchen Halt, Ermutigung, Korrektiv durch Gleichgesinnte. Wie sie im Beruf
zusammen gearbeitet haben, so sollen sie auch als Menschenfischer zusammen arbeiten.
Angelika Strotmann
Dschulnigg, Peter, Das Markusevangelim, ThKNT 2, 2007; Eckey, Wilfried, Das Markusevangelium. Orientierung am Weg
Jesu. Ein Kommentar, Neukirchen-Vluyn 1998; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, EKK II/1, 1978; Klauck, HansJosef, Vorspiel im Himmel? Erzähltechnik und Theologie im Markusprolog, BTHSt 32, 1997; Schenke, Ludger, Die Botschaft
vom kommenden „Reich Gottes“, in: ders. u.a., Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen, Stuttgart 2004, 106-147; ders., Das
Markusevangelium. Literarische Eigenart – Text und Kommentierung, Stuttgart 2005.