- Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion

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IST RIESTER
NOCH ZU RETTEN?
Grüne Perspektiven
zur Zukunft der Privaten Altersvorsorge
Dokumentation des Fachgesprächs
am 23. März 2015 in Berlin
IMPRESSUM
Herausgeberin
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
www.gruene-bundestag.de
Verantwortlich
Markus Kurth MdB
Sprecher für Rentenpolitik
Nicole Maisch MdB
Sprecherin für Verbraucherpolitik
Gerhard Schick
Sprecher für Finanzpolitik
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Platz der Republik 1
11011 Berlin
E-Mail: @bundestag.de
Redaktion
Lars Denkena, Christian Wöhler
Bezug
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion
Info-Dienst
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Fax: 030 / 227 56566
E-Mail: [email protected]
Schutzgebühr
€ 1,50
Redaktionsschluss
September 2015
| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
INHALT: IST RIESTER NOCH ZU RETTEN? GRÜNE PERSPEKTIVEN ZUR ZUKUNFT DER PRIVATEN ALTERSVORSORGE
Über das Fachgespräch und diese Dokumentation ....................................3
Programm ......................................................................................4
Begrüßung .....................................................................................5
Markus Kurth ................................................................................ 5
Einführungsreferat ...........................................................................6
Prof. Dr. Frank Nullmeier ................................................................. 6
Panel I – Die Riester-Rente im Alterssicherungssystem. Entwicklung,
Probleme, Perspektiven ................................................................... 11
Dr. Peter Schwark ..........................................................................11
Axel Kleinlein ...............................................................................13
Markus Kurth ...............................................................................15
Panel II: Riester-Rente und Verbraucherschutz ...................................... 23
Hermann-Josef Tenhagen ...............................................................24
Prof. Dr. Gert Wagner .....................................................................27
Nicole Maisch ...............................................................................29
Panel III: Neustart der Riester-Rente durch ein staatliches Basisprodukt ...... 36
Lars Gatschke ...............................................................................36
Udo Philipp .................................................................................38
Dr. Marlene Haupt .........................................................................40
Dr. Gerhard Schick .........................................................................41
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion |
| Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
ÜBER DAS FACHGESPRÄCH UND DIESE DOKUMENTATION
Wie geht es weiter mit der Riester-Rente? Von rund
35 Millionen Förderberechtigten sorgen nur 6,4
Millionen im Sinne des Riester-Konzepts vor. Lediglich eine Minderheit hat so – theoretisch – die
Chance, auf diesem Weg das Absinken des gesetzlichen Rentenniveaus zu kompensieren. Ihrer
zentralen Funktion wird die Riester-Rente damit
auch nach dreizehn Jahren nicht gerecht. Gerade
GeringverdienerInnen gleichen ihre ohnehin geringen Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht mithilfe der geförderten privaten
Altersvorsorge aus, obwohl die Riester-Rente gerade diese Versicherten besonders begünstigen
sollte. Dieses Phänomen zieht sich inzwischen bis
tief in die Mittelschicht, wo die Zahl der RiesterVerträge seit Jahren zurückgeht. Dafür gibt es
Gründe: Hohe Vertriebskosten, zu geringe Renditen
und Produkte, die selbst für ExpertInnen kaum zu
durchschauen sind.
Die Bundesregierung resigniert. Von einer Fortentwicklung von Riester hat sie sich inzwischen abgewandt. Andrea Nahles verweist stattdessen auf die
Betriebsrenten, die künftig einer begrenzten
Gruppe einen Ausgleich des sinkenden Rentenniveaus ermöglichen sollen. Das reicht uns nicht.
Unser Ziel ist die Lebensstandsicherung für alle!
Vor diesem Hintergrund haben wir im Rahmen eines öffentlichen Fachgesprächs entlang der Frage
„Ist Riester noch zu retten?“ gemeinsamen mit Expertinnen und Experten über die Zukunft der Riester-Rente diskutiert. Die Diskussion gliederte sich
in drei Panels und stellte nach einer grundsätzlichen Bestandsaufnahme, die verbraucherpolitischen Aspekte und mögliche neue Wege in der privaten Altersvorsorge in den Blickpunkt.
Mit dieser Dokumentation möchten wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und allen Interessierten die Möglichkeit bieten, die kontroverse und
erkenntnisreiche Debatte zu rekapitulieren.
Viel Freude dabei wünschen Ihnen Ihre
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PROGRAMM
12.30 Einlass und Kaffee
13.00 BEGRÜßUNG
Markus Kurth MdB
Sprecher für Rentenpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Einführungsreferat
Prof. Dr. Frank Nullmeier
Zentrum für Sozialpolitik
Universität Bremen
13.30 PANEL I – Die Riester-Rente im Alterssicherungssystem. Entwicklung, Probleme, Perspektiven
Axel Kleinlein
Vorstandssprecher
Bund der Versicherten
Dr. Peter Schwark
Mitglied der Hauptgeschäftsführung
Gesamtverband der Deutschen Versicherungsgesellschaft
Prof. Dr. Gert G. Wagner
Technische Universität Berlin
Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen der Bundesregierung
Nicole Maisch MdB
Sprecherin für Verbraucherpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
16.00 PANEL III – Neustart der Riester-Rente
durch ein staatliches Basisprodukt
Dr. Marlene Haupt
Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik
Lars Gatschke
Verbraucherzentrale Bundesverband
Dr. Gerhard Schick MdB
Sprecher für Finanzpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Udo Philipp
Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft
Bündnis 90/Die Grünen
Markus Kurth MdB
17.00 Verabschiedung
14.30 Pause
Markus Kurth MdB
15.00 PANEL II – Riester-Rente und Verbraucherschutz
Hermann-Josef Tenhagen
Chefredakteur
Finanztip
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Moderation:
Ulrike Herrmann
Wirtschaftskorrespontin, taz
BEGRÜßUNG
MARKUS KURTH
Sprecher für Rentenpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Ich darf Sie, meine Damen und Herren, liebe Gäste,
ganz herzlich im Namen von Nicole Maisch, Dr.
Gerhard Schick und mir, Markus Kurth, begrüßen.
Wir haben uns zu dritt zusammengetan und dieses
Fachgespräch mit dem Titel „Ist Riester noch zu
retten?“ organisiert, um eine Bilanz der
geförderten privaten Altersvorsorge zu ziehen.
Wenn man sich gegenwartsbezogen die jüngsten
Meldungen zur gesetzlichen Rentenversicherung
ansieht, dann scheint ja alles in bester Butter zu
sein. Am Wochenende kam die Meldung, dass die
Renten im Westen um 2,1 Prozent und im Osten
um 2,5 Prozent erhöht werden und für das nächste
Jahr stehen wegen Nachholeffekten bis zu 4,5
Prozent Erhöhung der gesetzlichen Rente in
Aussicht. Damit steht die gesetzliche
Rentenversicherung im Moment recht attraktiv dar
und dies angesichts der Niedrigzinsphase auch im
Vergleich zur privaten Altersvorsorge. Das gilt umso
mehr, wenn man zusätzliche Leistungen, wie
Rehabilitation, Anerkennung von
Kindererziehungszeiten oder auch die
Erwerbsminderungsrente betrachtet. Insgesamt hat
sich der Leumund der gesetzlichen
Rentenversicherung auch vor dem Hintergrund der
diversen Börsen- und Finanzkrisen der
vergangenen Jahre stark verbessert. Etwas paradox
ist für mich als Grüner Kritiker des Rentenpakets
der Bundesregierung, dass das Rentenpaket auch
zu dem stark verbesserten Leumund der
gesetzlichen Rentenversicherung beigetragen hat,
obwohl es ja – wie wir wissen – zunächst mal auf
Pump, dass heißt zulasten der Rücklagen finanziert
ist. Aber das sind Paradoxien, mit denen man im
politischen Geschäft durchaus leben muss.
Dieses – wie gesagt – momentan positive Bild der
gesetzlichen Rentenversicherung war nicht immer
so. Vor eineinhalb Jahrzehnten sah das komplett
anders aus; da war die Rentenversicherung quasi
der kranke Mann der Sozialversicherung. Diskutiert
wurde der scheinbar unaufhaltsame Anstieg der
Beitragssätze und des Bundeszuschusses. Ich kann
mich noch an meine erste Legislatur ab 2002
erinnern: Da galt der Bundeszuschuss als Mühlstein
am Hals des Finanzministers. Jedes Jahr große
Sorgen, wie viele Milliarden wieder raufgepackt
werden müssen und was gab es auf der anderen
Seite? Den scheinbar vollständig überlegenen
Kapitalmarkt. Wir erinnern uns an die Jahre vor
2001 mit dem boomenden Dotcom-Markt. Neuer
Markt war das große Stichwort: Manfred Krug
verkaufte quasi als Pausenclown des CasinoKapitalismus im Werbefernsehen die T-Aktie.
Später hat er das sehr bedauert und sich dann
dafür entschuldigt, woraufhin die Deutsche
Telekom fristlos alle Werbeverträge gekündigt hat.
Aber diese kleine Rückblende mag vielleicht noch
mal in Erinnerung rufen, welch völlig andere
Wirklichkeitswahrnehmung um die
Jahrtausendwende vorherrschte. Und die
geförderte private Altersvorsorge, das Drei-SäulenModell, schien aus der damaligen politischen Logik
sehr vielen als folgerichtig.
Jetzt nach knapp 15 Jahren denken wir, dass eine
neue Bestandsaufnahme notwendig ist. Man muss
die Frage stellen, ob sich die Hoffnungen erfüllt
haben? Als Sozialpolitiker interessiert mich, ob die
Riester-Rente eigentlich die Funktion einer Säule
übernimmt? Gleicht die Riester-Rente das
gesunkene Rentenniveau aus und sind die mehr
als drei Milliarden staatliche Förderung über
Zulagen bzw. Steuergutschriften gut investiert? Aus
verbraucherpolitischer Sicht fragen wir uns, sind
die Riesterprodukte für die Verbraucher
transparent, verständlich und auch kalkulierbar?
Und finanzpolitisch fragen wir uns, ob alternative
Entwicklungspfade, alternative Möglichkeiten
denkbar sind.
Diese Fragen stellen wir uns als Grüne Fraktion. Es
ist auch nicht so, dass wir da bei Null anfangen.
Insbesondere Nicole Maisch und Gerhard Schick
haben auch schon in der vergangenen
Legislaturperiode die verbraucherschutzpolitischen
Aspekte intensiv bearbeitet. Wir haben in dieser
Legislaturperiode auch schon eine Kleine Anfrage
und mehrere schriftliche Fragen an das
Finanzministerium gerichtet, um Näheres über die
Inanspruchnahme zu erfahren. Es gibt also einen
Sockel, auf den wir aufbauen und gern weiter
entwickeln wollen. Dazu dient auch dieses
Fachgespräch, auf das ich mich sehr freue. Und
jetzt kommt der Zeitpunkt, an dem ich an Ulrike
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Herrmann überleiten darf, Wirtschaftsjournalistin
bei der taz, die wir gewonnen haben, um uns
durch diesen kompletten Nachmittag zu führen.
Viel Vergnügen, vielen Dank.
EINFÜHRUNGSREFERAT
Ulrike Herrmann
Hallo, auch ich fange natürlich mit einer
Vorstellung an. Sie haben es im Programm
gesehen: Herr Nullmeier wird mit einem kleinen
Vortrag beginnen, der in die heutigen Probleme
der Riester-Rente einführt, aber auch ganz kurz die
Entstehungsgeschichte dieser Reform beleuchtet.
Ich nehme an, Sie kennen Frank Nullmeier bereits.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass das hier so
eine Art Familientreffen ist und jeder jeden schon
mehrfach gesehen hat. Aber falls das nicht so ist,
stelle ich ihn kurz vor. Er ist Professor für
Politikwissenschaften in Bremen und leitet dort die
Abteilung Theorie und Verfassung des
Wohlfahrtsstaates am Zentrum für Sozialpolitik und
war auch Mitglied in der Rürup-Kommission. Er hat
28 Folien mitgebracht, aber trotzdem versprochen,
in 20 Minuten durch zu sein. Dieses Experiment
namens Power-Point werden wir jetzt gemeinsam
besichtigen. Herr Nullmeier.
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PROF. DR. FRANK NULLMEIER
Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
Vielen herzlichen Dank für die Möglichkeit, zum
Thema Bilanz der Riester-Rente einige einleitende
Bemerkungen vortragen zu dürfen. Ich möchte
Ihnen kurz darstellen, wie die Riester-Rente sich
seit ihrer Einführung 2001 entwickelt hat, welche
Wirkungen, insbesondere Verteilungswirkungen
eingetreten sind, wo die als sozialpolitische Reform
gestartete Riester-Rente verbraucherpolitische
Fragen berührt und welche möglichen Alternativen
und Reformoptionen heute zu beachten sind.
Markus Kurth hat in seiner Eröffnungsrede bereits
die Situation geschildert, in der die private
Altersvorsorge politische Unterstützung gewinnen
konnte. In den Jahren nach 1999 existierte eine
gänzlich andere politische Stimmung als heute – es
fehlte an der Offenheit, alle Lösungsmöglichkeiten
zu diskutieren, weil der überwiegenden Mehrheit
der politisch Beteiligten und der
Medienöffentlichkeit der traditionelle
Sozialversicherungsstaat nicht mehr als
zukunftsfähiges System erschien. Das galt im
besonderen Maße für die Alterssicherung, weil hier
die demographische Entwicklung einer
zunehmenden Lebenserwartung die
Finanzierungsproblematik deutlich verschärfte.
Zudem boomte der Kapitalmarkt und schien neue,
aussichtsreiche Möglichkeiten der Finanzierung
sozialer Sicherung zu bieten. So wurde die
grundsätzliche Wende möglich, die schließlich
2001 im Altersvermögens- und
Altersvermögensergänzungsgesetz vollzogen wurde,
Kürzungen der gesetzlichen Rentenversicherung,
die staatliche Förderung privater Vorsorge und die
Einführung einer gesonderten Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung stellten die
Kernelemente dieser Reform dar. Letztlich bildete
das Gesetzgebungspaket den Einstieg in eine 3oder 4-Säulen-Architektur mit der Grundsicherung
als unterster Stufe (Stufe Null), den
Leistungskürzungen in der gesetzlichen
Rentenversicherung in der ersten Säule, die
kompensiert werden sollten durch die
Entgeltumwandlung in der betrieblichen
Alterssicherung und durch die Riester-Förderung in
der privaten Vorsorgesäule. Was wurde von diesen
Umbauten erwartet?
Die finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen
Rentenversicherung schien nicht mehr auf dem
bisherigen Weg zu sichern. Man hatte schon einige
Schritte auf dem Weg einer zusätzlichen staatlichen
Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung
vorgenommen. Es entstand aufgrund der
Prognosen der Eindruck, dass es nur durch deutlich
erhöhte Beiträge möglich wäre, das Rentenniveau
dauerhaft zu erhalten. Im Zuge des internationalen
Trends einer Umstellung der Risikoverteilung von
Defined Benefits zu Defined Contributions wurde
auch in Deutschland die Rentenhöhe zu einer
Variable einer vorgegebenen Finanzierung: Man hat
das Sicherungsziel, die Lebensstandardsicherung,
nicht mehr in den Vordergrund gestellt, sondern
ging über zur Fixierung des Beitragssatzes zur
gesetzlichen Rentenversicherung auf 22 Prozent bis
2030. Das Sicherungsniveau sollte, so spätere
Korrekturen, zwar eine untere Größe nicht
unterschreiten, aber auch nicht mehr die
Lebensstandardsicherung gewährleisten. Dennoch
war die Lebensstandardsicherung noch nicht völlig
aufgegeben worden. Es herrschte die – zumindest
öffentlich bekundete – Idee vor, dass die Verluste
der gesetzlichen Rentenversicherung durch den
Aufbau der privaten Altersvorsorge und den Ausbau
der betrieblichen Rentenversicherung
auszugleichen seien. Die staatliche Förderung
sollte eine hohe Inanspruchnahmerate der RiesterRente entstehen lassen. Die im privaten Sektor
deutlich höheren Renditen als im klassischen
Umlageverfahren, das die Idee der Rendite zwar
nicht kennt, aber zunehmend unter dieser
Perspektive wahrgenommen wurde, sollten das
ihre tun, um das alte Sicherungsniveau halten zu
können.
Zu den Erwartungen gehörten auch Elemente, die
sich nicht auf das Sicherungsniveau und die Lage
der Rentner direkt bezogen, sondern Nebeneffekte
betrafen, die aber politisch durchaus im
Vordergrund standen: Im Zuge der
Finanzmarktliberalisierung war es eines der
wesentlichen Ziele, auch den deutschen
Finanzmarktsektor zu beleben und für den
internationalen Wettbewerb besser aufzustellen.
Von daher sollte das finanziell attraktive Feld der
Alterssicherung im größeren Maße für marktliche
Formen des Engagements geöffnet werden. Dies
galt sowohl für Versicherungsunternehmen als
auch für Banken, die in diesem Zeitraum stärker in
die Alterssicherung als Geschäftsfeld eindringen
wollten.
Auch die Arbeitsmarktseite spielte eine große Rolle:
Die Lohnnebenkosten sollten vor allem auf Seiten
der Arbeitgeber gesenkt werden. Ebenso sollte die
Einstellung des Bürgers zum Sozialstaat eine
andere werden: An die Stelle der Versorgungsmentalität des gesetzlich Versicherten sollte
Eigenverantwortung treten mit individuell
gewähltem Engagement im privaten Sektor für die
dem Einzelnen jeweils angemessene Form der
Zukunftsvorsorge.
Sowohl in der Wissenschaft als auch im politischen
Raum sind die Veränderungen durch die Reform
2001 sehr intensiv diskutiert worden,
insbesondere unter dem Gesichtspunkt eines
Bruchs mit den bisherigen Prinzipien der
Alterssicherung. Der Ausdruck ‚Paradigmenwechsel’
hat sich in der Wissenschaft festgesetzt. Die
Riester-Reform rücke ab von den klassischen
Prinzipien des Bismarckschen Sozialversicherungssystems bzw. – wie es in der international
vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung heißt –
weiche ab von dem konservativen
Wohlfahrtsstaatsmodell, das die Bundesrepublik
bisher mustergültig verkörperte. Wie
unterschiedlich die Deutungen im Einzelnen auch
waren, sie stimmten darin überein, dass zum
ersten Mal im Bereich der Alterssicherung eine
Teilprivatisierung durchgeführt wurde, die einen
‚Markt’ in einem elementaren Feld sozialer
Sicherung schuf und staatlich förderte. Es handelte
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sich dabei nicht um einen weitgehenden freien
Markt, sondern um einen staatlich durch
Subventionen erzeugten Markt, weshalb man von
einem ‚Wohlfahrtsmarkt’ sprechen kann. Damit
veränderte sich auch die Rolle der
Finanzdienstleistungsunternehmen. Sie wurden
nun zu einem Mitspieler in der Sozialpolitik.
In den Folgejahren sind einige weitere
Gesetzgebungen bedeutsam: Man hat finanzielle
Anpassungen vorgenommen, zum Beispiel bei der
Endstufe von vier Prozent Prämienzahlung für die
Riester-Beiträge. Die Zulagen haben sich von 183
auf 300 Euro für jedes Kind erhöht, welches nach
2008 geboren wurde. Die besondere
Familienkomponente wurde so weiter ausgebaut.
In einem Gesetz vom 2009 wurde ein einmaliger
Berufseinsteigerbonus von 200 Euro eingeführt für
Personen vor dem vollendeten 25. Lebensjahr, die
eine Riester-Förderung mindestens einmal
bedienen. Größere Umgestaltungen betreffen zum
einen die Zertifizierungskriterien, die 2004
reformiert wurden. Schon relativ bald nach dem
Einführungsgesetz haben die Versicherer dafür
gesorgt, dass die Abschluss- und Vertriebskosten
doch stärker zu Beginn der Laufzeit eingerechnet
werden können, um an den bisherigen
Gepflogenheiten in der Vertriebsstruktur der
Lebensversicherungen festhalten zu können. 2006
wurden die Unisex-Tarife entsprechend den EURegelungen eingeführt, begleitet von einer
Werbekampagne Ende 2005, die auf die letzte
Möglichkeit rekurrierte, für Männer günstigere
Bedingungen zu erhalten. Zudem wurden die
Leistungen der privaten Altersvorsorge an die
Reform der Altersgrenzen 2007 angepasst. Riestern
ist seitdem erst ab dem Alter von 62 Jahren
möglich. Weiterhin wurde der Wohn-Riester
eingeführt als Möglichkeit, entweder in der
Darlehensphase oder in der Ansparphase für eigen
genutzten Wohnraum die Riester-Förderung in
Anspruch zu nehmen. Im Jahr 2013 wurde die
Riester-Rente im Bereich des Verbraucherschutzes,
insbesondere der Informationspflichten, reformiert
und in seiner Anwendung weiter flexibilisiert. Das
sind die wesentlichen Reformen innerhalb der
knapp 14 Jahre seit Einführung im Jahre 2001.
Was hat sich seitdem an den ökonomischen
Rahmenbedingungen geändert? Auf die globale
Finanzmarktkrise 2008 folgte in vielen anderen
Regionen der Welt eine ausgeprägte
Konjunkturkrise, weshalb im angelsächsischen
Raum von „Great Recession“ gesprochen wird. In
der Bundesrepublik Deutschland erfolgte jedoch
nur in einem einzigen Jahr ein
Konjunktureinbruch, danach setzte wieder relativ
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stetiges Wachstum ein. In Europa mündete die
Finanzmarktkrise aber in etlichen Ländern (auch
durch die Übernahme der Schulden und Risiken
privater Banken) in eine Staatsschuldenkrise,
andere Beobachter sprechen auch von Eurokrise.
Europaweit haben sich die Zinssätze daraufhin fast
auf Null reduziert. Eine solche andauernde
Niedrigzinsphase ist ein grundlegendes Problem für
jede Form von kapitalgedeckter Vorsorge. Ein so
niedriges Zinsniveau war zu Zeiten der Einführung
der Riester-Rente nie erwartet worden. Auch der
für die Lebensversicherungen zentrale Garantiezins
ist auf 1,25 Prozent festgesetzt, das sind zwei
Prozentpunkte weniger als zum
Einführungszeitraum der Riester-Rente. Die weitere
Entwicklung wird von Ökonomen nicht einheitlich
prognostiziert. Einige erwarten eine Deflation bei
niedrigen Zinsen, andere rechnen mit einem
moderaten inflationären Prozess, der die
Blasenbildung an den Kapital- und
Vermögensmärkten auffängt. Jedenfalls muss auch
mit der Möglichkeit einer Fortdauer der
Niedrigzinspolitik mit gravierenden Konsequenzen
für risikoarme Formen der Kapitaldeckung
gerechnet werden.
Bisher fehlt eine zureichende Datenbasis, ein
vernünftiges System zur statistischen Erfassung der
Riester-Renten. Daher weiß man heute in vielerlei
Hinsicht zu wenig: Es fehlen Informationen zu den
Kalkulationsgrundlagen der Anbieter, zu den
Verwaltungskosten und Sterbetafeln, wir wissen
noch nicht einmal etwas Genaues über die soziodemografischen Merkmale der Riester-Sparer. Im
Vergleich zur Gesundheitspolitik ist dies eine
erstaunliche Lage. Dort dient die
Versorgungsforschung mit Krankenkassendaten
dazu, Wissen über die Verläufe der
Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen für
Verbesserungen im Gesundheitswesen nutzbar zu
machen. Über die individuelle Inanspruchnahme
der geförderten privaten Vorsorge und die Verläufe
von Policen samt Phasen des Ruhens und
Stornierungen existiert dieses Wissen nicht. Als
Informationsgrundlage zur Bilanzierung der
Riester-Rente kann auf Studien des DIW und der
Friedrich-Ebert-Stiftung, diverse
Renditeberechnungen einzelner Forschergruppen,
vor allem aber auch auf die Daten zurückgegriffen
werden, die der Grünen-Abgeordnete Kurth und
seine KollegInnen in der Antwort auf ihre Kleine
Anfrage von der Bundesregierung erhalten haben.
Es besteht aber auch damit keine Möglichkeit
festzustellen, wie viele Förderberechtigte es gibt.
Die Zahl der Riester-Verträge ist mit aktuell 16
Millionen niedriger als die Hälfte der Zahl der
geschätzt förderberechtigten Personen. Da es aber
wohl nicht selten ist, dass eine Person mehr als
einen Riester-Vertrag abschließt, ist zu vermuten,
dass weniger als die Hälfte der Förderberechtigten
auch Riester-Produkte erwerben. Der projizierten
Auflistung können sie entnehmen, welche
Vorsorgeformen in welchem Umfang genutzt
werden. Bedeutsamer aber ist, dass die
Gesamtzahl der Riester-Verträge beinahe stagniert:
Es gibt kaum noch Zuwächse im Riester-Bereich.
Wachstum zeigt sich allein noch beim WohnRiester.
Nach wie vor ist die Inanspruchnahme der RiesterFörderung sowohl nach Geschlecht als auch nach
Einkommen und Bildungsgrad höchst
unterschiedlich. Hier verfügen wir nun über Daten
aus der bereits erwähnten Bundestagsdrucksache,
aus den Untersuchungen des MEA in München
sowie des DIW In Berlin. Aus diesen
Untersuchungen und Statistiken geht hervor, dass
die Inanspruchnahmequote bei Personen mit
Niedrigeinkommen bei ungefähr 15 Prozent liegt
und bei Personen mit höherem Einkommen bei 42
Prozent. Besonders hohe Zulagenquoten bei
Personen mit niedrigem Einkommen haben mithin
nicht dazu geführt, dass diese Personengruppe das
Produkt überdurchschnittlich oder auch nur
durchschnittlich in Anspruch nimmt. Im
Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung
wird in einer Modellrechnung für einen
Standardrentner unterstellt, dass im Jahre 2020
125 Euro Riester-Rente erforderlich seien, um auf
eine Gesamtversorgungsquote von 50 bis 51
Prozent zu kommen. Im Jahre 2028 werden bereits
247 Euro benötigt, um diese Versorgungsquote zu
erreichen. Das ist eine nur für eine sehr kleine
Gruppe erreichbare Summe. Denn nur 6,4
Millionen Personen hatten im Jahre 2010
ungekürzte Zulagen erhalten, das sind unter 20
Prozent aller Personen, die förderberechtigt sind.
Das Bild von drei gleichen Säulen als Trägern der
Alterssicherung ist also keineswegs
aufrechtzuerhalten. Die gesetzliche
Rentenversicherung hat ein Volumen von ca. 260
Milliarden Euro. Die Riester-Renten umfassen
bisher ein Beitragsvolumen von mindestens 7,25
Millionen, wenn man nur die Zulagenfälle rechnet.
Unter Einbeziehung der Riester-Renten, die eine
Förderung durch Steuererleichterungen erhalten,
sind es nach dem Sozialbericht der
Bundesregierung 10,7 Milliarden Euro – ein
verschwindend geringer Betrag im Vergleich zur
gesetzlichen Rentenversicherung. Das könnte dazu
führen, die Hoffnung eher auf die betriebliche
Alterssicherung zu richten. Aber auch dort ist das
Volumen recht gering: Ohne die Alterssicherung des
öffentlichen Dienstes und die Beamtenversorgung
macht die betriebliche Alterssicherung nur 24
Milliarden Euro aus. Die zweite und dritte Säule im
privaten Sektor kommen zusammen – sehr grob
geschätzt – nicht über 10% der Gesamtsumme der
Alterssicherung in diesem Sektor hinaus.
Die Bundesregierung ist aktuell der Ansicht, dass
das Vorhaben der Riester-Vorsorge weiterhin
Bestand haben kann. Jedoch wird nicht mehr eine
möglichst alle Versicherten umfassende Nutzung
der geförderten privaten Vorsorge angestrebt. Den
wenigen offiziellen Äußerungen kann zudem eine
gewisse Tendenz zur Umstellung auf ein
Zweisäulensystem mit vorrangiger Stützung der
betrieblichen Alterssicherung entnommen werden.
Der Verband der betrieblichen Altersversorgung
proklamiert ausdrücklich die Idee, die RiesterFörderung langsam auslaufen zu lassen und die
betriebliche Alterssicherung als wesentliche
Ergänzung der Gesetzlichen Rentenversicherung
auszubauen – unter besonderer institutioneller
Mittlerstellung der Tarifparteien.
Die Bilanz der Riester-Rente sieht aktuell so aus: Zu
geringer Abdeckungsgrad, kein Ausgleich der
Leistungsverschlechterung in der GRV, kein
Ausgleich sozialer Ungleichgewichte und keine
neue tragfähige Architektur des gesamten
Alterssicherungssystems. Gemessen an den
ursprünglichen Zielsetzungen ist die Riester-Rente
gescheitert.
Die Einführung der Riester-Rente hat aber einen
wichtigen Nebeneffekt erzeugt, womit ich zu dem
zweiten Teil meiner Ausführungen gelange. Sie hat
die Verbraucherpolitik in die Sozialpolitik geholt.
Die Sozialpolitik war vor 2001 eine
verbraucherschutzferne Sphäre, Akteure waren die
Beteiligten in der Selbstverwaltung, die
Versicherungsbürokratie und die Rentenpolitiker.
Der Verbraucherschutz stand dieser Rentensphäre
recht fern. Das hat sich inzwischen gänzlich
geändert, auch weil die Riester-Rente eine zwar
staatlich geförderte, aber im Kern privatrechtliche
Beziehung darstellt. Nicht als Versicherte oder
Leistungsbezieher treten die BürgerInnen auf,
sondern als Kunden von Finanzdienstleistern.
Differenzierter stellt sich das Bild allerdings dar,
wenn die private Lebensversicherung einbezogen
wird, die schon sehr lange eine wichtige Rolle in
der deutschen Alterssicherung gespielt hat, auch
weil sie früher steuerlich stärker gefördert wurde.
In diesem mit der staatlichen Rentenpolitik wenig
verknüpften Feld war der Verbraucherschutz schon
seit längerem aktiv.
Den bisherigen Höhepunkt der Einbeziehung
verbraucherpolitischer Aspekte in die
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Alterssicherungspolitik stellt das
Altersvorsorgeverbesserungsgesetz aus dem Jahre
2013 dar. Im zweiten Panel dieses Workshops
werden die Vorzüge und verbleibenden Probleme
ausführlicher diskutiert werden können. So ist z.B.
weiterhin noch umstritten, wie groß der Umfang
der Informationspflichten sein sollte. Können die
Aufsichtsbehörden wirklich begleitend
kontrollieren? Soll es so etwas wie verpflichtende
Kostengrenzen geben oder nur eine Anzahl
anzuführender Kostenindikatoren und wenn ja,
welche? Müssen diese auf dem Informationsblatt
verkündet werden? Wie wird Rendite berechnet?
Welche Sterbetafeln sind zulässig? Können die
Firmen Sterbetafeln mit hohen Sicherheitsmargen
oder firmenindividuell angepasste Sterbetafeln
verwenden? Sollte bei den Abschluss- und
Wechselkosten noch weiter eingegriffen werden?
Und muss es nicht auch Sanktionen im Fall von
Verstößen gegen diese Transparenzregeln geben?
Die Kunden der Riester-Produkte könnten
angesichts all dieser Fragen enorm von einem
höchsten Maßstäben genügenden, in allen
Aspekten transparenten Musterprodukt profitieren.
Prämienrente gehen, die von mehr als 200
privaten Fonds und auch einigen staatlichen
Trägern angeboten wird. Was spricht für ein solches
Obligatorium? Es wäre ein gangbarer Weg, wieder
zurück zur Lebensstandardsicherung zu kommen.
Es würde vielen Menschen helfen, ihre
Überschätzung des Gegenwartsnutzens zu
überwinden. Es wäre ein kein neuer Zwang,
sondern nur eine Erweiterung der
Pflichtversicherung, wie sie die GRV kennt, nur für
den Bereich kapitalgedeckter Vorsorge. Es gibt aber
auch Gegenargumente. Die Begründungslasten für
staatlichen Zwang steigen, wenn es um die
Verpflichtung geht, privat zu sparen bzw.
vorzusorgen vergleichbar mit der privaten KfzHaftpflicht. Es werden schließlich auch
überschuldete Personen ohne eigene
Vorsorgefähigkeit verpflichtet zu sparen, ohne dass
von anderer Seite, wie bei den
Arbeitgeberbeiträgen in der GRV, ein weiterer
Beteiligter als Finanzier auftreten würde. Zudem ist
die aktuelle Niedrigzinsphase sicherlich nicht
besonders geeignet, Kapitaldeckung attraktiv
erscheinen zu lassen.
Damit komme ich bereits zu den Reformoptionen,
die in dem letzten Panel ausführlicher verhandelt
werden. Grundsätzlich bestehen zwei
Möglichkeiten einer Reform: Zunächst kann
versucht werden, die Nachfrage nach privater
Altersvorsorge zu steigern. So könnte man zum
Beispiel die Zulagen oder die steuerlichen Anreize
erhöhen, verändern oder umstrukturieren. Die
zweite Möglichkeit besteht darin, auf der
Angebotsseite verbesserte verbraucherpolitische
Regulierungen zu implementieren. Im Bereich der
Zertifizierung ließen sich ökologische
Anlagekriterien einführen. Diese Möglichkeiten
lassen sich durchaus miteinander kombinieren.
Eine andere Reformidee besteht darin, ein
Basisprodukt aus öffentlicher Hand könnte als
weiteres Angebot den Riester-Markt beleben. Diese
Idee wird auch seitens der Rentenversicherung
Baden-Württemberg verbreitet. Das Basisprodukt
vermeidet all die Nachteile, die die Riesterprodukte
aufgrund ihres Angebots durch private Firmen mit
sich bringen: Sterbetafeln mit Risikozuschlag,
Intransparenz in der Kostengestaltung, hohe
Provisionen und Marketingaufwendungen. Als
Anbieter kommt daher nur ein öffentlicher Träger
in Betracht. Es muss eine eigenständige, von der
gesetzlichen Rentenversicherung abgetrennte
Organisation sein. Aber ist es wettbewerbsrechtlich
zulässig, wenn dieses Basisprodukt ohne
Obligatorium eingeführt wird? Und selbst wenn
dies erlaubt wäre, welche Folgen hätte dies?
Könnte man die Riester-Rente noch retten, indem
man sie öffentlich-rechtlich überbietet?
Fraglich ist zudem, ob nicht doch, wie vor
Einführung der Riester-Rente erwogen, ein
Obligatorium sinnvoll wäre. Bei diesem Stichwort
bietet es sich an, das schwedische Modell einer
Rentenversicherung heranzuziehen mit einem
Pflichtbeitragssatz von 18,5 Prozent, von dem 2,5
Prozentpunkte in eine kapitalgedeckte
10 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
PANEL I – DIE RIESTER-RENTE IM ALTERSSICHERUNGSSYSTEM. ENTWICKLUNG, PROBLEME, PERSPEKTIVEN
Ulrike Herrmann
Vielen Dank Herr Nullmeier. Diese Thesen werden
wir jetzt in Panel I weiter diskutieren, Herr
Nullmeier und ich werden dazu auch die Plätze
tauschen. Das erste Panel wird sich mit der Frage
beschäftigen, ob Riester gescheitert ist? Die beiden
Kontrahenten treffen sich nicht nur hier, sondern
besonders gern auf Twitter, und wir werden jetzt
den Twitter-Schlagabtausch versuchen, live
nachzustellen. Auf der einen Seite Peter Schwark,
Volkswirt und Geschäftsführer bei der GDV für die
Themen Lebensversicherung und Altersvorsorge,
und auf der anderen Seite Axel Kleinlein,
Diplommathematiker, jetzt Vorstandsvorsitzender
des Bundes der Versicherten. Ich kann seinen
Lebenslauf nicht komplett zusammenfassen, aber
Stationen waren unter anderem die
Allianzversicherung und die Stiftung Warentest. Es
gilt für beide, dass sie ihr ganzes Berufsleben mit
Altersvorsorge und Lebensversicherung verbracht
haben. Da wir ja nun schon einen längeren Vortrag
hatten, würde ich es gerne künftig so machen,
dass es keine Eingangsstatements mehr gibt,
sondern dass wir gleich in die Diskussion
einsteigen. Wir werden versuchen, die Panel
untereinander abzugrenzen. Jetzt schauen wir in
Panel I auf die Makroökonomie und die Sicht der
Versicherungswirtschaft. Im zweiten Panel werfen
wir den Blick auf die Verbrauchersicht. Herr
Schwark, wir fangen mit Ihnen an. Einfache Frage,
ist Riester gescheitert? Wenn man Herr Nullmeier
hört, muss man eigentlich sagen, an dem Produkt
ist nichts gut und alles reformbedürftig. Sehen Sie
das auch so?
DR. PETER SCHWARK
Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft
Nein. Ich glaube auch nicht, dass Professor
Nullmeier das gesagt hat. Er hat sich ja mit der
gesamten Reform, Agenda, Diskussion, Historie und
Verlauf auseinandergesetzt und die Riester-Rente
ist nur ein Teil davon.
Wenn ich auf die Riester-Reform zurückschaue ist
das ja nichts anderes als das, was Herr Blüm sich
unter der vorherigen Regierung schon unter einem
anderen Namen überlegt hatte. Das ist im
Bundestagswahlkampf von der SPD kassiert
worden. Damit hat man die Wahl gewonnen. Auch
diese Mal wurde die Wahl ja mit einem sehr teuren
Rentenpaket gewonnen. Aber der demografische
Wandel fordert seinen Tribut, die neue Regierung
unter Rot-Grün musste akzeptieren, dass man den
gleichen Weg der Rentenreform doch wieder gehen
musste. Man tut rentenpolitisch quasi das Gleiche,
nennt es nur anders.
Schauen wir auf den demografischen Wandel. Der
Jahrgang 1964 ist mit 1,4 Millionen Menschen der
geburtenstärkste Jahrgang der Babyboomer. Der
Jahrgang 2004 umfasst hingegen nur noch
ungefähr 700.000 Menschen. Das sind die
demografischen Realitäten. Und deshalb ist die
Riester-Reform selbst alternativlos –
Entschuldigung für dieses Wort –, und deshalb ist
sie auch nicht gescheitert. Sie ist eine richtige
Antwort auf den demografischen Wandel. Der
Unterschied zur Vorgängerregierung war, dass man
zusätzlich zur Renten-Reform die Riester-Rente
eingeführt hat. Den Menschen wurde ein Angebot
zum Ausgleich der entstehenden Versorgungslücken
gemacht.
Ich glaube wir würden jetzt Zeit verschwenden,
wenn wir diskutieren, ob die Versorgungslücke nun
damit zu 100 Prozent, zu 110 Prozent oder zu 90
Prozent geschlossen wird. Diese Frage ist
letztendlich irrelevant. Fakt ist, dass die
Versorgungslücken entstehen, ob die Politik dies
will oder nicht. Es sei denn, sie akzeptiert, die
jüngeren Generationen massiv überzubelasten. Das
kann irgendwann zu einer Revolte führen. Weil die
Politik das sicher nicht will, hat sie auch anders
gehandelt. Die Riester-Reform ist insofern
überhaupt nicht gescheitert, auch weil 16
Millionen Menschen das Angebot angenommen
haben, das der Staat hier im Bereich der
nachgelagerten Besteuerung oder über
Zulagenförderung formuliert hat: nämlich für das
Alter vorzusorgen.
Eine berechtigte Frage ist sicherlich, warum die
anderen 16 Millionen Menschen nicht auf diesem
Weg vorsorgen. Viele haben, das sagen Umfragen,
bereits anderweitig vorgesorgt. Manche haben
auch kein Geld. Ich glaube, die meisten Menschen
machen etwas Vernünftiges – eine nicht geförderte
Rentenversicherung, eine Immobilienfinanzierung
oder die Riester-Rente. Die Dinge fügen sich
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 11
ineinander.
Ich kann nicht sehen, dass es tatsächlich
irgendetwas gibt, was diesen Paradigmenwechsel
fundamental in Frage stellt. Selbst die
Niedrigzinsphase nicht. Die ist ja kein Thema, das
den demografischen Wandel in irgendeiner Art und
Weise relativiert. Wenn durch niedrigere Zinsen aus
Vorsorgeprodukten heute weniger herauskommt,
dann kann es nur eine einzige Folgerung daraus
geben, nämlich mehr vorzusorgen. Und da ärgert
mich das Nichtstun der Politik, dass man sich hier
auf den Förderbeträgen einer anderen Zeit ausruht,
aus 2001, mit höheren Zinsen und noch
niedrigeren Einkommen, dass man den
Vorsorgebedarf der Bevölkerung nicht begleitet,
indem jetzt heute angepasst an die Entwicklung
auch höhere Vorsorgemöglichkeiten geboten
werden. Um 30 Prozent sind die Einkommen seit
2001 gestiegen, die Riester-Rente ist um Null
Prozent ausgedehnt worden. Anders die
betriebliche Altersvorsorge, die dynamisch
ausgestaltet ist. Wir müssen die Reform nach vorne
weiter entwickeln und nicht zurück. Ich glaube das
Zurückdrehen der Reformen, das wäre ein großer
Fehler.
Ulrike Herrmann
Sie haben jetzt gesagt, eigentlich müsste man noch
mehr Riestern. Aber es ist ja so, dass sogar die
ersten Versicherungen sich aus der Riester-Rente
wieder zurückziehen. Beispielsweise will ERGO
direkt gar keine Riester-Verträge mehr anbieten.
Gleichzeitig konzentrieren sich die Riesterverträge
letztlich auf wenige Versicherungsanbieter. Würden
Sie sagen, dass aus der Sicht der Verbraucher noch
einen Wettbewerb bei den Anbietern gibt?
keinen Mangel an Anbietern. Dass der eine oder
andere vielleicht auch ausländische Versicherer
anders gesteuert wird und entscheidet, wir ziehen
uns aus dem deutschen Markt mit klassischen
Garantieprodukten ganz zurück, das steht auf
einem anderen Blatt. Aber dies ändert
fundamental überhaupt nichts an dem
vollkommen ausreichenden Angebot mit RiesterVerträgen.
Ulrike Herrmann
Das klassische Misstrauen des Verbrauchers ist ja,
dass Riester sowieso nur ein gigantisches
Subventionsprogramm für die
Versicherungswirtschaft war – und er selbst nichts
davon hat. Es wurde sehr schön deutlich, dass
man endlos sparen muss, um auf minimale
Rentenbeträge zu kommen. Es entsteht der
Eindruck, dass eigentlich nur die Allianz profitiert
hat und natürlich Herr Maschmeyer. Aber ich
kann mir vorstellen, dass Sie das nicht so sehen.
Dr. Peter Schwark
Gut, die Riester-Rente ist ein schönes populäres
Thema, da kann man eine ganze Menge Kritik
darüber ausgießen. Aber die Kritik ist großteils
falsch. Ich selbst habe zum Beispiel einen RiesterVertrag. Ich erwarte daraus eine Rente von rund
500 Euro. Wer nur die Hälfte des Höchstbeitrags
einzahlt, der kann auch eine Rente von 200, 250
Euro erwarten. Die Zahlen, die wir vorhin gesehen
haben, sind überhaupt nicht unerreichbar.
Ulrike Herrmann
Wie viel zahlen Sie denn monatlich ein?
Dr. Peter Schwark
Dr. Peter Schwark
In jedem Fall, wir haben als Anbieter die
Lebensversicherer, Fondsgesellschaften, Banken
und die Bausparindustrie. Wir haben hier einen
sehr, sehr lebhaften Wettbewerb. Wenn sich ein
einzelner Direktversicherer zurückzieht, der schon
vorher entschieden hat, in dem Geschäft nicht
mehr aktiv sein zu wollen, weil er die
Beratungsleistung nicht anbieten kann und möchte
und seine 6000 Verträge – um die ging es hier –
an einen anderen Versicherer überträgt, damit sie
effizienter verwaltet werden, dann zeigt das
umgekehrt, dass der Wettbewerb und das
wirtschaftliche Denken in den Unternehmen
funktionieren, dass man letztendlich auch auf die
Kosten schaut. Mangel an Wettbewerb ist
überhaupt nicht das Problem. Ich sehe auch
Ich zahle den Höchstsatz ein und ich habe netto,
also nach Steuererstattung, ungefähr 11.500 Euro
eingezahlt. Mein aktuelles Vorsorgekapital beträgt
25.000 Euro, mit einer klassischen Riester-RentenVersicherung! Ich weiß nicht, wo hier überhaupt
das Problem ist. Die Produkte werden systematisch
schlecht geredet, das sehe ich als Problem an. Wer
eine Riester-Rente hat, sie sich anschaut und
rechnet, der sieht, das ist eine attraktive Sache.
Auch wenn ich mir jetzt zum Beispiel die Studien
der Friedrich-Ebert-Stiftung oder des DIW ansehe,
die übrigens alle, Kompliment Herr Kleinlein, unter
Ihrer Autorenschaft stehen – tatsächlich kenne ich
überhaupt keine namhafte Riester-Studie, die
nicht von Ihnen geschrieben worden wäre –, dann
muss ich sagen, die Kritik an den einkalkulierten
12 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Lebenserwartungen, die die Lebensversicherer
unterstellen, zielt ins Leere. Es gibt nämlich dafür
schon eine Lösung. Die nennt sich
Überschussbeteiligung. Risikoüberschüsse müssen
seit 2014 sogar zu mindestens 90 Prozent den
Kunden gut geschrieben werden, sodass die Frage,
mit welchem Sicherheitszuschlag eine Rente
kalkuliert wird, im Prinzip keine Rolle spielt.
Wenn der Vorschlag der Rentenversicherung in
Baden-Württemberg deshalb beispielhaft sein soll,
weil man dort über 30 oder 60 Jahre in die Zukunft
ganz ohne Sicherheitszuschläge rechnen möchte,
da kann ich nur sagen, das ist unvernünftig.
Sicherheitszuschläge sind gesetzlich vorgegeben.
Wer den Kunden etwas verspricht, der muss auch
alles tun, um sein Versprechen einzuhalten. Dazu
gehören eben Sicherheitszuschläge in der
Kalkulation. So was als Positiv-Beispiel zu feiern,
das finde ich schon etwas merkwürdig.
Ulrike Herrmann
Erst mal vielen Dank Herr Schwark, jetzt kommt
Herr Kleinlein dran, der schon die ganze Zeit
empört geschnauft hat. Zunächst die
Einstiegsfrage an Sie, die auch Herrn Schwark
gestellt wurde: Würden Sie sagen, Riester war ein
Irrweg? Sollte man das Produkt abschaffen, oder
hat Herr Schwark Recht, dass es eigentlich eine
unglaublich profitable Geldanlage ist?
AXEL KLEINLEIN
Bund der Versicherten
Leider ist Riestern ein Irrweg. Riester ist
gescheitert. Ich kann Herrn Schwark Recht geben,
wenn er meint, dass unter der Prämisse, die
Riester-Rente wäre alternativlos und zum zweiten,
man auch gar nicht gucken müsse, wie viel von der
Lücke geschlossen wird, ob es ein Totalverlust ist
oder nicht, dass wenn man diese beiden Prämissen
setzt, man natürlich zum Ergebnis kommt, Riestern
macht Sinn. Aber ehrlich gesagt, möchte ich
stattdessen ein Prinzip haben, bei dem man
hinterfragt, welche Alternativen ich denn habe.
Und es gibt in der Tat Alternativen zu einem
Riester-Konzept, selbst innerhalb des RiesterKonzeptes gab es sehr, sehr verschiedene Ansätze.
Wenn man mit Walter Riester spricht, dann kann
man auch durchaus feststellen, dass es ganz
verschiedene Ideen gab, die dann eben zum Teil
einfach nicht umgesetzt wurden und nicht den
Weg in die Umsetzung gefunden haben.
Ulrike Herrmann
Aber bleiben wir bei der Bestandsaufnahme. Das
Panel III macht ja die Alternativen. Herr Schwark
hat implizit referiert, was den
Versicherungsunternehmen immer vorgeworfen
wird: Nämlich, dass diese völlig sinnlose
Sterbetafeln kalkulieren, um dann große
Überschüsse zu produzieren, die sie bei sich selbst
parken und nicht an den Versicherten ausschütten.
Dieser Vorwurf sei Quatsch, es gäbe ja die
Überschussbeteiligung der Versicherten von 90
Prozent. Die Sterbetafel sei daher egal, würden Sie
das auch so sehen?
Axel Kleinlein
Auf keinen Fall, denn im Moment geht’s ja erst los,
dass überhaupt die ersten Rentner in den
Rentenbezug gehen. Wenn diese Rentner erheblich
früher versterben als kalkuliert, fallen ja erstmals
überhaupt nennenswerte Risikoüberschüsse an.
Das ist der erste Punkt: Hier haben wir einen
Generationeneffekt. Der zweite ist, dass die
Unternehmen ja nicht mit ein und derselben
Sterbetafel kalkulieren, sondern mit sehr, sehr
unterschiedlichen Sterbetafeln. Wenn Sie heute
eine Riester-Rente abschließen, dann wird Ihnen
mal eine Lebenserwartung von Mitte 90 und mal
eine Lebenserwartung von knapp 110 unterstellt,
je nachdem bei wem sie abschließen. Das führt
natürlich zu enormen Verwerfungen in diesem
ganzen Bereich der Risikoüberschussbeteiligung.
Wir sind froh, dass die Risikoüberschussbeteiligung
ab diesem Jahr rein rechnerisch mit 90 Prozent
einer Beteiligung auf den Weg gebracht wird. Aber
diese Beteiligung fließt ja nicht sofort an die
Kunden. Diese 90 Prozent fließen erst mal in die
Rückstände für Beitragsrückgewähr, dort können
sie in die freie RfB gestellt werden. Das kann
durchaus eine sehr, sehr lange Zeit dauern, bis
überhaupt irgendwann mal irgendwie
irgendwelche Euros und Cents aus diesen Werten
bei den Kunden landen. Nachvollziehbar ist das
nicht und wir wissen mittlerweile durch den BGH,
dass eine Nachvollziehbarkeit auch gar nicht
erwünscht ist. Das was wir erleben, sowohl bei der
Riester-Rente als auch bei den ganzen anderen
Lebensversicherungsprodukten, ist eine massive
Intransparenz. Die führt dazu, dass die gesamten
großen Bewegungen, wie viel Geld insgesamt an
Überschussbeteiligung irgendwohin fließt,
überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist, weder
für den Kunden noch für den Experten. Das ist eine
Blackbox der übelsten Sorte.
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 13
Ulrike Herrmann
Sie haben ja hier die einmalige Chance, im
Reichstag Ratschläge zu verteilen. Würden Sie der
Grünen Fraktion empfehlen, jetzt zu sagen, hier
müssen Kalkulationsvorgaben zu den Sterbetafeln
her. So dass man sich als
Versicherungsunternehmen nicht mehr überlegen
kann, was für eine Sterbetafel man sich selber
zusammen rechnet, sondern dass die Politik
vorgibt, wie die Sterbetafel auszusehen hat?
Axel Kleinlein
Also, wenn man „Wünsch Dir Was“ spielen würde,
ja. Aber das Ganze scheitert schon an Brüssel. Das
wird nicht möglich sein. Was wir aber tun können,
ist eine Aufsichtsbehörde zu forcieren, die hier mit
einem erheblich schärferen Auge guckt. Wir haben
im Ausland durchaus Aufsichtsbehörden, die
sagen, wir haben eine Zielsterbetafel, die finden
wir vernünftig. Jeder der davon abweicht,
insbesondere von der Lebenserwartung nach oben
hin stark abweicht, der muss das sauber
begründen. Das wäre der richtige Weg. Dazu
bräuchten wir aber eine Aufsichtsbehörde, die mit
einem starken Rückgrat hergeht und der
Versicherungswirtschaft einfach mal Kontra und
Paroli bietet.
Ulrike Herrmann
Aber es gibt doch eine Aufsichtsbehörde?
Axel Kleinlein
Es gibt eine Aufsichtsbehörde, ich wünsche mir
aber eine Aufsichtsbehörde mit einem starken
Rückgrat, die haben wir im Moment nicht.
Ulrike Herrmann
Noch mal eine Frage, die ich auch schon an Herrn
Schwark gestellt habe. Was die Verbraucherwirklich
beschäftigt, ich muss zugeben, auch mich, ist die
Frage, wer eigentlich von den Riester-Verträgen
profitiert hat? Ist es eine Milliardensubvention für
die Versicherungen gewesen, ja oder nein?
Axel Kleinlein
Also die Versicherungswirtschaft besteht ja nicht
nur aus den Versicherungsunternehmen. Hier sehe
ich gar nicht so hohe Gewinne, die durch Riester
14 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
eingefahren worden sind. Eher im Vertrieb. Sie
hatten ja schon den Namen Maschmeyer genannt.
Er hatte damals auch schon davon gesprochen,
dass man mit Hilfe der staatlich geförderten
Altersvorsorge richtig viel Geld verdienen kann. Ich
vermute, da ist viel gelandet, aber sehr, sehr viel
Geld ist einfach in einer unglaublichen Ineffizienz
dieses gesamten Systems versickert. Wir haben eine
Bürokratie, die ist enorm und überbordend ist
.Ausnahmsweise muss man hier nicht den
Versicherungsunternehmen den schwarzen Peter
zuspielen. Da ist von der Politik richtig was falsch
gemacht worden. Aber natürlich sind die
Verwaltungskosten der Unternehmen auch nicht
ohne. Ich kann es an der einen oder anderen Stelle
auch nicht verdenken, denn diese Verträge zu
verwalten, ist kein Spaß. Nicht von ungefähr hat
sich einer der größten Direktversicherer eben aus
dem Riester-Geschäft verabschiedet. Es ist einfach
nicht mehr rentabel, wenn man den
entsprechenden Ausführungen der
Versicherungsmanager Glauben schenken darf.
Unterm Strich: Riester hat dem Vertrieb was
gebracht.
Ulrike Herrmann
Und Arbeitsplätze geschaffen?
Axel Kleinlein
Und Arbeitsplätze geschaffen, nicht zuletzt auch
bei den Beamten.
Ulrike Herrmann
Noch mal eine Frage, die Herr Schwark auch schon
beantwortet hat, jetzt aus Ihrer Sicht. Herr
Schwark hat gesagt, okay wir haben Niedrigzinsen.
Das Ergebnis muss aber sein, dass man noch mehr
riestert, also andere Vorsorgemaßnahmen betreibt,
um diesen Zinsverlust auszugleichen. Was sagen Sie
zu dem Thema Niedrigzinsen? Kann man sagen,
Riester ist komplett unrentabel? Von Ihnen gibt es
den Spruch, man hätte das Geld genauso gut im
Sparstrumpf anlegen können. Oder sehen sie auch
einen anderen Ausweg aus dieser Niedrigzinszeit?
Axel Kleinlein
Zunächst mal als allerwichtigstes: Wenn ich jetzt
hier höre, dass aufgrund der Niedrigzinsphase
einfach noch mehr gespart werden soll, dann ist
das zynisch. Viele von denen, die eigentlich eine
zusätzliche Altersvorsorge dringend nötig haben,
sind genau diejenigen, die eben nicht die Mittel
haben noch etwas mehr zu sparen. Also, das ist
schon ausgesprochen zynisch. Die Niedrigzinsphase
zeigt jetzt natürlich genau die Schwächen der
kapitalgedeckten Vorsorge. So stark vorgeführt
wurde noch nie, dass die kapitalgedeckte
Altersvorsorge gar nicht richtig funktioniert. Wir
sollten deswegen nicht hergehen und sagen, wir
sehen keine Alternative, Riester wäre alternativlos,
sondern im Gegenteil. Wir sollten dringend nach
Alternativen suchen, auch wenn das Teil des
dritten Panels ist, ist es ganz wichtig, dass man
auch eben aus der ökonomischen Sichtweise
heraus die Aufforderung begreift, dass wir uns um
neue Möglichkeiten kümmern müssen. Wir
brauchen andere Lösungen, als nur das, was wir
bisher kennen.
Ulrike Herrmann
Letzte Frage: Über das Basisprodukt reden wir ja
noch, aber die andere Alternative ist, was auch in
den Zahlen von Herrn Nullmeier sehr deutlich
wurde: Wir gehen einfach komplett zur
Umlageversicherung zurück. Wir stärken die
gesetzliche Rentenversicherung, da ist ja sowieso
das meiste Geld, und wir lassen den ganzen
Unsinn mit – naja, das ist jetzt ein bisschen
polemisch formuliert - wir lassen das Experiment
kapitalgedeckter Altersvorsorge. Das war ein
Experiment, das man rechtfertigen kann. Aber jetzt
weiß man, dass es nicht funktioniert. Würden Sie
diese Sicht teilen oder finden Sie, man muss doch
irgendwie eine Alternative zur Umlageversicherung
betreiben?
Axel Kleinlein
Erst mal ganz knallhart aus Sicht des Bunds der
Versicherten. Wir kümmern uns um die privat
Versicherten. Da wären wir, in dem Moment wo
man sagen würde, Kapitaldeckung wird vollständig
gestrichen, natürlich gut raus. Dann bräuchten wir
diese ganzen schlechten und miesen Produkte der
Lebensversicherer nicht mehr zu beäugen und
weiter begleiten. Dann können wir uns um
vernünftige Themen kümmern. Es gibt auch viele
Punkte, wo die Versicherer sinnvolle Sachen
machen, wie bei der Haftpflicht. Aber angesichts
der demografischen Entwicklung ist es auch klar,
dass wir uns auf jeden Fall damit
auseinandersetzen müssen, wie wir auf diese
demografische Entwicklung antworten müssen. Da
sind die Politiker gefragt, deswegen sind wir hier
im Reichstag auch genau richtig. Wir als
Verbraucherverband sind nicht diejenigen, die die
Konzepte zur Lösung unserer demografischen
Probleme vorlegen müssen. Aber letztlich werden
wir nicht umhin kommen, das zu diskutieren.
Ulrike Herrmann
Erstaunlich, also zwischen den beiden gibt’s doch
Einigkeit. Wir haben hier Herrn Kurth, sozusagen
als Schiedsrichter, was nehmen Sie mit?
MARKUS KURTH
Als Schiedsrichter sehe ich mich hier durchaus
nicht, sondern ich will einfach die sozialpolitische
Perspektive einnehmen. Da erschüttert mich
wirklich geradezu das, was wir in unserer Anfrage
rausbekommen haben, nämlich dass der Grad der
Abdeckung so gering ist. Wenn nur 6,4 Millionen
Anspruchsberechtigte in vollem Umfang, also mit
vier Prozent ihres Einkommens vorsorgen, dann
heißt das, dass die Nichtabdeckung wirklich riesig
ist. Bei den jetzigen Zuwächsen, gut 400.000 mehr
Riester-Versicherungen oder ein Zuwachs von 2,3
Prozent, dauert es ungefähr fünfzig Jahre, bis alle
Anspruchsberechtigten auch mit einem RiesterVertrag versehen sind. Und da muss man sich als
Sozialpolitiker fragen, ob öffentliche Mittel an
dieser Stelle richtig eingesetzt sind. Es geht uns ja
jetzt nicht darum, private Altersvorsorge zu
diskreditieren. Da kann man sicherlich vieles
verbessern und da werden wir ja auch noch aus
verbraucherschutzpolitischer Perspektive einiges
diskutieren. Aber ich muss mir ja die Frage stellen:
Ist diese Mechanik denn aufgegangen? Die
Versorgungslücke von der Sie sprachen, Herr
Schwark, die ist ja nicht vom Himmel gefallen,
sondern die ist ja teilweise erst durch Riester
gerissen worden. Das war ja gerade die Logik und
die Idee des Ganzen, dass man die so genannte
Riester-Treppe macht. Auf der einen Seite die
Abstufung des Rentenniveaus und auf der anderen
Seite der Ausbau der Zulagenförderung, wobei man
davon ausgeht, dass vier Prozent Rendite jedes
Jahr zu erreichen sind. Diese vier Prozent Rendite
auf vier Prozent vom Brutto ist ja eine Zahl, die in
der Begründung zum Gesetzentwurf steht. Das ist
tatsächlich die Kalkulation des Gesetzgebers
gewesen. Und mir ist völlig schleierhaft, wie man
überhaupt an diese vier Prozent in der näheren
Zukunft rankommen will. Um die Niedrigzinsphase
jetzt wieder auszugleichen, müssten in Zukunft
Renditen von 6, 7 oder 8 Prozent erwirtschaftet
werden. Mir scheint das praktisch überhaupt nicht
machbar und insofern kann diese Mechanik
Absenkung Rentenniveau bei gleichzeitigem
Aufbau einer äquivalenten privaten Förderung gar
nicht funktionieren. Dann sieht man noch, dass
eigentlich Leute gefördert werden, die keine
zusätzliche Förderung bräuchten. Zum Beispiel
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 15
Männer in Einkommensgruppen oberhalb von
65.000 Euro Jahreseinkommen. Eine Fehlallokation
von öffentlichen Mitteln ist offensichtlich.
Zumindest vorerst muss ich zu dem Schluss
kommen und es gibt wenige Argumente, die
dagegen sprechen. Die andere große Gruppe, die
Riester gefördert sparen, Frauen ohne Einkommen,
können das sehr gut einsetzen, erst recht wenn sie
Kinder haben. Aber man darf vermuten, dass es
sich in vielen Fällen um die Ehefrauen eben jener
Männer, die mehr als 65.000 Euro verdienen,
handelt. Insofern bleibt im gesamten Bereich der
Geringverdiener wenig übrig.
Sie werfen uns als Politik nun generell vor - auch
wenn wir jetzt in der Opposition sind - wir würden
nichts tun. Die Optionen, die man da machen
kann, sind ja auch schwierig. Sollten wir jetzt die
Zulagen einer Förderung noch mal aufbauen und
anpassen, dann werden aber diese
Fehlallokationen noch mal verstärkt. Das läuft
dann nach dem Motto, wer hat, dem wird
gegeben. Und die andere Alternative, die ja gerne
immer gebracht wird, ist die Erhöhung der
Freibeträge bei der Grundsicherung im Alter. Denn
auch Sie haben erkannt: Das machen gerade viele
Geringverdiener nicht, da es für sie unlogisch ist,
wenn nachher die gesamte Riester-Rente in der
Grundsicherung in der Anrechnung landet. Aber
ein Freibetrag ist auch nicht so ohne weiteres
zielführend, denn wenn ich den für die private
geförderte Altersvorsorge einführe, dann stellen
sich die gesetzlich Versicherten die Frage, warum
das denn eigentlich nicht für sie gelten soll. Dann
führen wir womöglich noch in der gesetzlichen
Rentenversicherung eine Art Freibetrag ein. Da
habe ich allerdings persönlich die Befürchtung,
dass das gesamte System ins Rutschen kommt, weil
wir uns dann auf dem Weg zu einer Kombi-Rente
bewegen. Die Frage des Rentenniveaus wird anders
diskutiert werden, weil es gerade bei niedrigeren
Renten immer heißen wird, „das kann man ja
schön mit der Grundsicherung kombinieren“.
Damit wird das Umlagesystem und seine
Legitimität unterhöhlt. Das kann man
vernünftigerweise auch nicht wollen. Ich bin mir ja
bewusst, Herr Schwark, dass Sie und ihre Branche
jetzt in einer wirklich schwierigen Situation sind.
Aber für mich stellt sich ein ganz enormer
Begründungsbedarf, warum man diesen Pfad noch
weiter beschreiten will.
Ulrike Herrmann
Herr Schwark, Sie sehen aber gar nicht so besorgt
aus.
16 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Dr. Peter Schwark
Nein, überhaupt nicht. Zum einen muss ich sagen,
diese vier Prozent Rendite, wer hat die noch mal
gleich aufgeschrieben? Welche Regierung war denn
damals am Ruder? Das war Rot-Grün. Das war zwar
zu einem Zeitpunkt, als die Zinsen durchaus noch
bei 6 Prozent lagen. Das will ich deshalb auch
überhaupt nicht vorwerfen. Nur: Wenn die Zeiten
sich verändern, dann muss man die Dinge eben
erneut prüfen und daraus die richtigen
Schlussfolgerungen ziehen. Ich hatte schon gesagt,
die Schlussfolgerung gar nicht mehr vorzusorgen,
ist sicherlich die falsche. Es ist eher die Frage, mit
welchem Zinsniveau man heute realistisch rechnen
kann. Da geht’s gar nicht darum, ob man die
Produkte der Lebensversicherer, der
Fondsindustrie, der Banken oder der
Bausparindustrie betrachtet. Die niedrigen Zinsen
treffen natürlich alles. Sie träfen auch
irgendwelche Staatsfonds, vielleicht sogar noch viel
stärker, wenn Sie jetzt in so einer Situation neu
starten müssten und die ganzen Startinvestitionen
zu stemmen hätten.
Fakt ist, die Versorgungslücke ist
demografiebedingt. Die Politik gibt Antworten auf
Fragen, die auf dem Tisch liegen. Die RiesterReform hat die Antwort des Riester-Faktors
gegeben. Der Kern war aber nicht, dass die Politik
wirklich meinte, wir müssen jetzt die Beiträge für
die Riester-Vorsorge im Rentenniveau
berücksichtigen. Das muss man heute als
Beobachter auch mal kritisch sagen: Das ist ein
Märchen, das damals der Bevölkerung von RotGrün erzählt wurde. Man wollte einfach nur den im
Wahlkampf verbrannten Begriff „demografischer
Faktor“ vermeiden. Deshalb hat man die so
genannte Riester-Treppe exakt dem
demografischen Faktor von Herrn Blüm
nachgebildet. Dass man das dann anders
verkaufen wollte, kann ich im Sinne von
Politikmarketing nachvollziehen. Aber man soll das
doch bitte heute nicht mir vorwerfen. Schon gar
nicht als Vertreter einer Partei, die diese Politik
damals mitgestaltet hat.
Die Riester-Förderung, sie ist zielgruppengerecht.
Wer bekommt denn die Zulagen? Die Zulagen sind
ja die eigentliche Förderung, weil die steuerliche
Abziehbarkeit lediglich dem verfassungsrechtlichen
Gebot entspricht, den wir auch in der betrieblichen
Altersversorgung und in der gesetzlichen
Rentenversicherung haben. Wer 65.000 Euro
verdient, für den spielen Zulagen praktisch keine
Rolle, der profitiert wirtschaftlich allein von der
steuerlichen Abzugsmöglichkeit.
Ich kenne zufällig die Statistik: Die Gruppe derer,
die 65. bis 67.000 Euro verdienen, ist zwar
tatsächlich die Größte in der ganzen Statistik. Aber
sie ist es nur deshalb, weil alle Besserverdiener
sich dort sammeln, also auch die mit mehr als
67.000 Euro. Denn in dieser Gruppe geht es um die
Leute, die mindestens entsprechend der
Beitragsbemessungsgrenze verdienen. Das sind
gerade fünf Prozent der Riester-Sparer. Also alle die
65.000 Euro und mehr verdienen mit einem
Riester-Vertrag machen nur fünf Prozent der Sparer
aus.
Und bei den Zulagen? 57 Prozent der Zulagen
gehen an Frauen. Die Hälfte aller Zulagen entfallen
auf Kinderzulagen. Eine stärker
zielgruppengerechte Förderung kann ich mir aus
der Analyse der Zulagendaten überhaupt gar nicht
vorstellen. Und ich kann nur sagen, wenn man sich
nun ein neues Modell überlegt, dann werden
Frauen, dann werden Familien und dann werden
Ostdeutsche die Verlierer sein. Denn die sind die
aktuellen Gewinner der Riester-Rente. Das sind
eben nicht die besserverdienenden männlichen
Singles in Westdeutschland, im Gegenteil, die
machen großteils irgendetwas anderes. Von den
Zulagen profitieren genau die angepeilten
Zielgruppen der Sozialpolitik. So sind die Hälfte der
Riester-Sparer Geringverdiener mit unter 20.000
Euro Einkommen. Ich kann an den Zahlen nur
erkennen, dass Riester – wenn man sich das ganze
Thema sozialpolitisch anguckt – genau das im
Ergebnis ist, was man wollte.
Wenn jetzt auch nicht alle mitmachen, wenn wir
selbstkritisch über einen Grad der Abdeckung von
„nur“ 50 Prozent reden, dann wird sich wundern,
wer das im internationalen Vergleich betrachtet,
was wir in Deutschland an Verbreitungsgraden mit
einem freiwilligen Vorsorgemodell geschaffen
haben. Ich kenne kein Land in der ganzen Welt,
wo man mit einem freiwilligen Ansatz eine so hohe
Verbreitung erreicht hat.
Und politisch, auch haushaltspolitisch: Jeder, den
man mit Riester nicht erreicht, der kostet den
Finanzminister ja auch nichts. Ja, wo ist dann die
Verschwendung von Steuermitteln also das
Problem? Ursprünglich wurde mal mit 15 Milliarden
Euro bei Vollinanspruchnahme gerechnet,
tatsächlich kostet es heute nur drei Milliarden Euro.
Und damit haben wir die Hälfte der Berechtigten
erreicht. Natürlich kann man alles besser machen,
ich meine auch, wir müssen noch mehr Menschen
erreichen, das ist auch unsere Aufgabe als
Anbieter.
Die Bürger müssen auch mehr vorsorgen. Wenn die
Kunden ihre Zulagen nicht voll ausschöpfen, dann
ist das ein Punkt. Aber unsere Unternehmen
schreiben die Kunden jedes Jahr an und mahnen,
„ihr habt das nicht ausgeschöpft, überprüft das
bitte“. Dagegen steht natürlich eine gewisse
Trägheit beim Einzelnen. Es stellt sich da schon die
Frage, wer ist jetzt der richtige Adressat der Kritik?
Ich bin jedenfalls auch der Meinung, dass manche
Kritiker wahre Krokodilstränen vergießen wenn sie
beklagen, dass die Riester-Rente jetzt stagniert.
Insbesondere wenn es genau diejenigen sind, die
die ganzen letzten drei Jahre die Riester-Rente
massiv öffentlich kritisieren. Da darf man sich nicht
wundern, dass die Leute davor zurückschrecken.
Herr Kleinlein – noch mal an dieser Stelle mein
Kompliment, dass Sie da so viele Studien auf den
Weg gebracht haben, von Ökotest über die
Friedrich-Ebert-Stiftung bis zur DIW-Studie in
2011, nach der es im Riester-Neugeschäft so
richtig eingebrochen ist. Die
Grundsicherungsthematik, ich erinnere an den
Monitorbericht in 2008, war auch ein schwerer
Schlag. Ich glaube, das sich die Politik auch fragen
muss, stehen wir weiter hinter dieser
Weichenstellung? Ich hab das Gefühl nicht
wirklich. Aber dann den Anbietern das
vorzuwerfen, dass nicht alle riestern, das halte ich
für falsch.
Herr Kleinlein, ich will hier gar nicht im Detail auf
Ihre doch mit vielen Kraftworten belegte Kritik an
Lebensversicherungsprodukten im Einzelnen
eingehen, ich will nur sagen, ich teile sie nicht. Die
Kosten bei den Lebensversicherungsprodukten in
the long run sind absolut wettbewerbsfähig, in der
Regel sogar niedriger als die von
Wettbewerbsprodukten. Natürlich haben wir zu
Beginn der Vertragslaufzeit höhere Kosten, das will
ich zugestehen. Aber dafür sind wir auch in der
Lage, die Menschen zu erreichen, das zeigt auch
unser Marktanteil bei Riester mit knapp 11
Millionen Verträgen.
Wenn ich mich frage, was ist das Teuerste in der
freiwilligen Altersvorsorge? Das Teuerste ist Zeit.
Wer ein oder zwei Jahre später abschließt, verliert
viel, viel mehr Geld, als das was an
Abschlusskosten eingerechnet werden kann. Zudem
hat der Gesetzgeber mit dem LVRG uns noch
weitere Daumenschrauben angesetzt. Die
Abschlusskosten werden ab 2015 noch mal
deutlich reduziert, das ist gar keine riesterspezifische Angelegenheit. Sie betrifft alle
Lebensversicherungsprodukte.
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 17
Von daher sehe ich, dass der Zug absolut auf dem
richtigen Gleis steht. Jetzt müssen nur alle auch
mal anfangen, den Zug wieder mit anzuschieben
und dürfen sich nicht allein ins Bremserhäuschen
setzen. Das ist – wie gesagt – durchaus auch ein
Appell an die Politik.
Ulrike Herrmann
Ich kann mir vorstellen, dass sie beide jetzt ganz
viel sagen wollen, aber ich würde das doch gerne
zurückstellen. Ich würde jetzt gerne Fragen
zulassen, und dann kommen Sie dran, Herr
Kleinlein. Wir sammeln die Fragen, damit es
schneller geht. Sie wissen ja, um halb drei ist
schon wieder Pause, fünf Minuten mehr, sonst
verschieben sich auch alle anderen, das wollen wir
ja nicht. Deswegen kommen Sie jetzt dran mit
Ihren Fragen. Herr Kleinlein, Herr Schwark und
auch Herr Kurth schreiben sich das auf, und dann
ist als erstes mit der Beantwortung dieser Fragen
Herr Kleinlein dran. Wer hat denn Fragen? Ja, Herr
Gatschke schon mal.
Lars Gatschke
Wir haben mit unserem Modell eines Vorsorgefonds
komplexes System geschaffen, weil wir vermeiden
wollten, dass wir in ein Zwangssystem gehen
müssen. Wenn man sich das Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum
Modell der DRV Baden-Württemberg anschaut,
dann stoße ich bei einem freiwilligen System an
Grenzen des EU-Beihilferechts. Ein Weg dies zu
vermeiden, wäre, mit dem Fonds komplett im
System einer Sozialversicherung zu verbleiben und
dabei nicht unter den Unternehmensbegriff im
Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu fallen. Dies
bedeutet: Ich spare individuell auf einem Konto
unter dem Dach der DRV. Bei Eintritt bestimmter
Bedingungen wird das gebildete Kapital in
Entgeltpunkte umgerechnet und fließt über eine
kollektive Kapitalverwahrstelle ratierlich dem
Umlagesystem zu. Der Verbraucher erhält dann
entweder eine erhöhte Erwerbsminderungsrente,
Altersrente oder Witwenrente.
Ulrike Herrmann
Ja, vielen Dank, Wolfgang Strengmann-Kuhn. Sie
sehen, er kennt sich aus, hier gibt’s auch
Mikrophone, an die man rangehen kann.
Wolfgang Strengmann-Kuhn
Ja, schönen guten Tag, vielen Dank für die
18 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Eingangsstatements. Ich habe drei Anmerkungen,
drei kurze, vielleicht weniger Fragen, aber auch
Punkte, worauf dann reagiert werden kann.
Erstens, Alternativlosigkeit, das war damals nicht
das Argument, das ökonomische zumindest nicht,
sondern ökonomisch war das Argument, dass man
gedacht hat, die kapitalgedeckte Alterssicherung
hat eine höhere Rendite als die umlagefinanzierte.
Deswegen ist man dann zu dem Mix gekommen,
weil man gesagt hat, kapitalgedeckte
Alterssicherung hat eine höhere Rendite, aber ein
höheres Risiko. Das kann man dann mit einer
umlagefinanzierten Rentenversicherung
kombinieren, mit einer etwas geringeren Rendite
und einer höheren Sicherheit. Das war also ein rein
ökonomisches Kalkül von der Herangehensweise.
Zweiter Punkt: Es wird immer von Niedrigzinsphase
gesprochen, das klingt so, als würde das
irgendwann mal aufhören und dann hätte man
wieder Hochzinsen Das ist ökonomisch auch
Quatsch, weil allein durch den demografischen
Wandel klar ist – weil mehr gespart wird, mehr
Kapital gebildet wird – das dann auch die
Renditen sinken. Da haben Ökonomen schon ewig
lange drauf hingewiesen. Es ist nicht zu erwarten,
dass die Renditen irgendwann wieder so hoch
werden wie sie vielleicht in den 80er, 90er Jahren
mal waren. Trotzdem würde ich sagen, wenn man
es so wie in Schweden gemacht hätte, dann hätte
die Kapitaldeckung wahrscheinlich immer noch
eine höhere Rendite als die Umlagefinanzierung.
Aber wir haben es nicht so gemacht, sondern
freiwillig. Dass ist das erste Problem und das
zweite ist, wir haben es privat organisiert.
Freiwillig hat das Problem, dass wir nur die Leute
drin mit den guten Risiken haben, die machen es
und die mit den schlechten Risiken nicht. Das
macht das Ding teuer und die Renditen gering und
der zweite Punkt ist die private Versorgung, dass
dadurch viele Kosten entstehen, die bei einer
öffentlichen Versorgung nicht entstehen würden,
was die Renditen noch mal senken würde und das
ist dann das Problem, was wir haben.
Möglicherweise ist die Kapitaldeckung schlechter
von den Renditen als die Umlage. Dritte
Anmerkung ganz kurz zu den sozialpolitischen
Zielgenauigkeiten. Die Schrotflinte trifft vielleicht
auch manchmal so ein bisschen, aber es ist
natürlich eine Schrotflinte, so wie wir das fördern,
wenn man es tatsächlich zielgenau die
Geringverdiener fördern müsste, dann müsste man
das nachgelagert machen im Rentensystem durch
eine Garantierente oder wie auch immer. Wo sich
dann die zusätzliche Alterssicherung auch privat
lohnen würde und wo man die Geringverdiener
stärken würde. Aber ich glaube, das ist dann noch
mal ein Punkt für spätere Runden.
Ulrike Herrmann
Okay, vielen Dank, gibt’s weitere Fragen? Ja?
Kornelia Hagen, Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung Berlin
Ich wollte Herrn Schwark vor allen Dingen fragen –
er hat immer wieder davon gesprochen, dass die
demografiebedingte Lücke bei der
kapitalmarktgedeckten privaten Altersvorsorge
vorhanden ist. Gibt es die demografiebedingte
Lücke nicht auch generell? Ist es nicht ein Problem
beider Systeme, wo überhaupt nicht klar ist, ob es
jetzt ein Vorteil des einen oder des anderen
Systems gibt oder sogar noch einen Vorteil des
Umlageverfahrens? Das wäre für mich eine Frage,
der zweite Punkt, den ich noch ansprechen wollte,
ist Ihre Aussage: 16 Millionen ist doch eigentlich
ganz gut, mich wundert, woran messen Sie jetzt,
dass das ganz gut ist? Also wollen wir jetzt, dass
die Rentenlücke geschlossen wird? Und darüber ist
das unser Maßstab oder ist es der Maßstab, dass
wir statt 15 Milliarden nur 3 Milliarden Zulage
bezahlen? Ist mir ehrlich gesagt in Ihrer
Argumentation nicht klar geworden, da würde ich
ganz gerne noch mal Erklärungen bekommen.
Ulrike Herrmann
Ja, vielen Dank, und dann hatten Sie sich noch
gemeldet, genau.
Cliff Meißner
Cliff Meißner mein Name, einfaches Mitglied aus
Mitte. Ich habe eine Frage an Herrn Kleinlein und
seinem Vortrag. In Ihrem Vortrag haben Sie vorhin
erwähnt, dass Sie sich eine stärkere Behörde
wünschen würden und kurz danach haben Sie sehr
deutlich Kritik an einer überbordenden Verwaltung
geäußert und das hat sich ein bisschen gebissen in
meinen Gedanken und da war ich verwirrt, da
hätte ich ganz gerne eine Erklärung zu. Danke.
Ulrike Herrmann
Habe ich jetzt noch jemanden übersehen? Im
Augenblick nicht, dann hatte ich ja Herrn Kleinlein
versprochen, dass er jetzt als erster dran darf. Es
gab ja auch ein paar Fragen an Sie, also bitte.
Axel Kleinlein
Ich möchte mich hauptsächlich auf die Fragen
beschränken und nebenbei komme ich dann auch
auf das zu sprechen, was Herr Schwark geäußert
hat. Von Herrn Gatschke kam ja die Frage der vier
Prozent Rendite, Kostenquote 10 Prozent auf den
Beitrag - ist das überhaupt in irgendeiner Art und
Weise vorstellbar? Angesichts der aktuellen
Niedrigzinslandschaft, ist das natürlich nicht
vorstellbar. Aber vor zehn, fünfzehn Jahren gab es
die Produkte. Da haben wir aufgezeigt, dass hier
die Kostenquote deutlich höher war als diese zehn
Prozent. Zumal und das ist ganz, ganz wichtig,
ganz entscheidend, bei diesen ganzen
Renditebetrachtungen, die wir vor 15 Jahren
vorgelegt bekommen haben: Es ist immer nur die
Ansparfrist betrachtet worden, also nur der
Zeitraum bis Rentenbeginn. Was nach
Rentenbeginn passiert, das wurde nie betrachtet.
In den angesprochenen Studien, die ich gemacht
habe – übrigens auch nicht vollständig alleine –,
hatte ich zum Beispiel mit Frau Hagen sehr
intensive und wichtige Diskussionen. In diesen
Studien konnte ich rein zahlentechnisch
nachweisen, dass insbesondere im
Verrentungsprozess ganz viel an Geld und
Rentabilität verloren geht. Sodass wir am Schluss
letztlich zu diesem knalligen Begriff „lieber das
Geld ins Kopfkissen als in die Rentenversicherung
stecken“ gekommen sind. Das ist das
Rentabilitätsproblem. Das zieht sich momentan
auch durch die Fragen, die ich jetzt hier gehört
habe. Auch von Ihnen, Herr Gatschke. Bei dem
produktübergreifenden Wettbewerb haben wir ja
eben genau auch dieses Problem, wir haben eben
keinen echten funktionierenden
produktübergreifenden Wettbewerb. Die
Fondssparpläne und Banksparpläne landen nach
dem Alterszertifizierungsgesetz automatisch
spätestens ab Alter 85 immer in einem
Rentenversicherungsvertrag. Wer also außerhalb
eines Immobilien-Vertrags riestert, landet früher
oder später immer in den Fängen der
Versicherungswirtschaft. Die Stiftung Warentest hat
ja letzte Woche gezeigt, dass ein echter
Wettbewerb in Sachen Verrentung gar nicht
stattfindet. Das ist ein ernsthaftes Problem.
Und auch noch mal zum Thema Rendite von Herrn
Strengmann-Kuhn. Bei der Frage des
Renditevergleichs, kapitalgedeckte versus
umlagefinanzierter Rente, haben wir ja wirklich die
Ergebnisse von verschiedenen Studien. Die habe
nicht ich erstellt. Zu Ihrer Beruhigung Herr Schwark,
kommt hier im Ergebnis raus, dass die
umlagefinanzierte Rente eben aufgrund unserer
Verrentungsspezifikation deutlich besser
abschneidet als das, was die kapitalgedeckte
bringt. Kurz noch mal, weil Sie vorhin Ihren
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 19
eigenen privaten Riester-Vertrag so in den Himmel
gelobt haben. Ehrlich gesagt, würde ich mir
wünschen, dass jeder, der seinen eigenen RiesterVertrag dermaßen toll findet, sich bei allen
Steuerzahlern bedankt, die nämlich genau diese
Rentabilität erst ermöglichen. Denn wenn man
diese Zulagenförderung raus rechnen würde und
sich dann die Renditen anschaut, schaut es bitter
aus. Ein Dankeschön an die Steuerzahler würde ich
mir da an der Stelle wünschen.
Ulrike Herrmann
Herr Schwark, an Sie gingen ja auch direkte Fragen.
Dr. Peter Schwark
Ich profitiere überhaupt nicht von der
Zulagenförderung. Für mich ist es ein reines Modell
der nachgelagerten Besteuerung. Ob ich das in
dieser Form mache, über eine Rürup-Rente oder in
der gesetzlichen Rentenversicherung, ist steuerlich
quasi immer gleich. Ich finde das auch sachlich
richtig. Das Verfassungsgericht hat das Verfahren
übrigens so vorgegeben, insofern kann man da
nicht von Subventionen sprechen.
Ich will die Punkte kurz von hinten nach vorne
ansprechen: zunächst das Thema Umlageverfahren
versus Kapitaldeckung. Ich glaube tatsächlich
erstens, dass dieser Aspekt bei der Riester-Reform
keine relevante Diskussion war. Es ging darum, die
demografische Reform, die Herr Blüm zuvor
unternommen hatte, wirkungsgleich unter
anderem Namen fortzuführen, zusätzlich mit einer
kapitalgedeckten Ergänzungsvorsorge. Jeder
Versuch, die Rendite der gesetzlichen
Rentenversicherung mit privater Kapitaldeckung zu
vergleichen, muss daran scheitern, dass eine
gesetzliche Umlagefinanzierung nicht duplizierbar
ist. Alles Geld, was Sie da reingeben – das erinnert
mich so ein bisschen an das Gelddrucken durch
eine Zentralbank – ist so, wie ungedeckte Checks
herausreichen. Das Geld wird nämlich nicht
angelegt, sondern sofort wieder ausgegeben. Sie
haben lediglich ein Mehr an Ansprüchen in der
Zukunft gegenüber der künftigen Generation.
In der Vorsorgepolitik muss man die Grenzrenditen
betrachten, man kann nicht einfach die
Durchschnittsrendite der letzten Jahrzehnte
extrapolieren. Denn über die gesetzliche
Rentenversicherung kann man nicht zusätzlich (!)
vorsorgen. Ich will der gesetzlichen
Rentenversicherung damit überhaupt nicht ihre
Legitimation als zwangsobligatorisches System
absprechen, in den Proportionen wie sie heute
20 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
und künftig ist. Aber heute zusätzliches Geld
hinein zu geben, um damit zusätzliche Ansprüche
morgen zu generieren, das ist eine
Münchhausenerie. Das ist so, als würde man sich
am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können,
ergo logisch unmöglich. Faktisch entstehen
Verwässerungseffekte, wie bei der Geldschöpfung.
Einer druckt Geld. Der es bekommt, freut sich. Er
hat eine tolle Rendite. Fürs drucken wurde nur
Papier investiert. Tatsächlich ist aber gar kein
richtiger Wert entstanden. Die anderen leiden
darunter, weil ihr Geld per Saldo durch Inflation
weniger wert wird. Das gilt analog ganz genauso
auch für Ansprüche im Umlageverfahren, wenn
jemand sie durch freiwillige Zusatzbeiträge heute
zu Lasten der Zukunft vermehren möchte. Die
Ansprüche der anderen sinken künftig im Wert.
Stichwort fehlender Wettbewerb bei der Verrentung
in der Riester-Rente: Wenn ich mir die aktuelle
Ausgabe der „Finanztest“ anschaue, dann war das
Problem ja nicht, dass die Verrentung bei den
Versicherern schlecht ist. Das Problem war
umgekehrt, dass das die beste Möglichkeit des
Entsparens ist und nun viele aus den
Banksparplänen für die Auszahlung eine
Rentenversicherung wollen und sich darüber
ärgern, dass es dafür noch kein so breites
Marktangebot gibt. Dass es aktuell noch nicht viel
Wettbewerb gibt, das liegt daran, dass dieser Markt
gerade erst neu startet. Vorletztes Jahr sind noch
Änderungen vom BMF unternommen worden, die
den Wechsel erleichtern. Finanztest hat klar gesagt,
wir haben bei den aktuellen Zinsen ein Problem
bei den Auszahlplänen. Da kommt zu wenig
herum, so dass die Leute nun alle eine vernünftige
sofortbeginnende Rente wollen. Die Menschen
suchen eine vernünftige kollektive Absicherung,
die auch das Langlebigkeitsrisiko effizient
absichert. Und da liegt die DIW-Studie einfach
falsch. Das DIW hat ja selbst zugegeben, sie
betrachten nicht die Rentabilität aus individueller
Sicht, sondern volkswirtschaftlicher Sicht. Aber
wenn ich volkswirtschaftlich wie das DIW meine,
die Leute leben zehn Jahre weniger als die
Versicherer unterstellen, dann liegt für zehn Jahre
überflüssiges Rentengeld auf dem Tisch. Was mit
diesem Geld passiert, dafür gibt es gesetzliche
Regeln, nämlich dass dieses Geld über steigende
Renten an die Kunden rückerstattet wird. Deshalb
gibt es auch ökonomisch kein Problem was die
Langlebigkeitsthematik anbetrifft. Es gibt auch
individuell kein Problem, weil es bereits
gesetzliche Vorschriften dafür gibt.
Stichwort Kapitaldeckung: Ist das überhaupt der
richtige Weg? Frau Hagen, manchmal denke ich,
wir diskutieren so als würde der Kapitalmarkt mit
der Riester-Reform gerade erst entdeckt worden
sein. Tatsächlich haben wir ein Geldvermögen in
Deutschland von 6.000 Milliarden Euro. Und jetzt
reden wir ernsthaft darüber, wie wir 10 Milliarden
Euro aus Riester da irgendwo sinnvoll investieren
wollen? An diesen 10 Milliarden Euro von Riester
wird der Kapitalmarkt nicht zugrunde gehen. Und
keiner der anderen, denen die schon 6.000
Milliarden Euro Geldvermögen gehören, denkt so
verquer, dass ihr Geld eigentlich gar nichts wert
sei. Derartige Fragen stellen wir uns nur bei der
Riester-Rente, bei der kapitalgedeckten
Altersvorsorge. Dabei ist sie das Vehikel, um ein
bisschen die Vermögensverhältnisse zu
demokratisieren und gleicher zu verteilen.
Alterseinkünfte aus Vermögenseinkommen zu
generieren, ich wüsste jetzt nicht, warum das
gerade bei Riester nicht funktionieren sollte.
Dann ist das Stichwort genannt worden „Förderung
mit der Schrotflinte“. Ich glaube, es ist ein
Missverständnis über die politischen Ziele, wenn
wir die Riester-Rente allein unter dem
Gesichtspunkt des Geringverdieners diskutieren.
Ich habe mir noch mal die Gesetzesbegründung
angeschaut. Da ging es an keiner Stelle darum, alle
Geringverdiener zu erreichen und speziell deren
Altersarmut zu vermeiden. Es ging darum, der
Bevölkerung insgesamt ein Angebot zu machen,
um ihre Versorgungslücken auszugleichen. Damit
sich dieses Angebot auch Geringverdiener und
Familien leisten können, wurde mit dem
Zulagensystem eine zielgruppengerechte Förderung
eingeführt. Es ist aber nur ein Angebot. Wenn das
nicht angenommen wird, ist es kein Problem der
Riester-Rente, sondern ein Entscheidungsproblem
des Einzelnen, vielleicht ein Problem der
Grundsicherungsanrechnung. Das will ich
konzedieren. Deshalb sagen wir auch, sie müsste
geändert werden.
Stichwort gute Risiken – schlechte Risiken: Das gibt
es bei der Rentenversicherung überhaupt nicht. Da
reden wir vielleicht drüber, wenn man über
Todesfallversicherung spricht. Bei der
Rentenversicherung ist das
versicherungsökonomisch kein Thema, das hat
auch nichts mit der Rendite zu tun.
Dann noch kurz, nun bin ich bei Herrn Gatschke,
der Wettbewerb mit Bank- und Fondssparplänen:
Ich sehe, dass bei Banksparplänen grundsätzlich
nur wenig Angebot da ist, weil man die Produkte
ohne eine richtige Kostenkalkulation anbietet.
Letztendlich gibt es keine Vergütung für die
Beratung, deshalb wird das häufig nicht aktiv
angesprochen. Das zeigt einfach wie wichtig es ist,
Beratungsangebote zu machen und dass das auch
irgendwie finanziert werden muss. Erst dann
entsteht letztendlich Wettbewerb. Es gibt einen
intensiven Wettbewerb mit Fondssparplänen und
auch mit Bauspar-Riester. Von daher muss keiner
Sorgen haben, dass der Markt nicht sehr, sehr aktiv
ist.
Was die vier Prozent Rendite anbetrifft – wir haben
vorhin schon kurz darüber gesprochen – das würde
man heute wahrscheinlich nicht mehr in die
Berechnungen hinein nehmen. Aber wenn ich
mich in das Jahr 2001 zurückversetze und mir die
ganzen Berechnungen ansehe, dann muss ich auch
feststellen, dass auch die Prognosen zur
gesetzlichen Rentenversicherung nicht eingetreten
sind. Man hat damals mit zwei, drei Prozent
Rentensteigerung pro Jahr gerechnet. In
Wirklichkeit hatten wir vier Nullrunden und im
Schnitt ein Prozent Rentensteigerung. Da
kompensiert sich auch einiges gegeneinander zu
den niedrigeren Zinsen. In der langen Frist gibt es
eben immer Unsicherheiten, es werden die Dinge
nie exakt so laufen wie das ursprünglich mal
gedacht wurde. Das ist überhaupt kein spezielles
Problem der Riester-Rente.
Ulrike Herrmann
Erst mal vielen Dank Herr Schwark. Jetzt hat Herr
Kleinlein entdeckt, dass er eine Frage nicht
beantwortet hat, und dann kommen Sie dran, Herr
Kurth. Also Herr Kleinlein.
Axel Kleinlein
Ganz kurz nur zu der Frage, ob mein Fordern einer
stärkeren und mutigeren Aufsicht nicht dem
Jammern über eine zu überbordende Verwaltung
widerspricht. Nein, denn die Verwaltung, die ich
an der Stelle kritisiert habe, ist die Verwaltung bei
den Riester-Verträgen. Hier wurde eine extra
Zulagenstelle geschaffen. Das hatte politische
Gründe, keine sachlichen Gründe. Das ist etwas,
was die Verträge ungebührend mit Kosten belastet
hat und ausnahmsweise mal nicht die
Versicherungsunternehmen als Kostentreiber hat.
Ulrike Herrmann
So, und jetzt sind Sie noch dran, Herr Kurth.
Markus Kurth
Zunächst mal, Herr Schwark, um da ein
Missverständnis vielleicht auszuräumen: Ich hatte
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 21
den Eindruck, dass Sie als Versicherungsbranche es
ungerecht fanden, dass die Politik, sprich rot-grün,
diese Idee der Riester-Rente hatte und Sie jetzt bei
den Stellen, wo es Probleme gibt, die Vorwürfe
einkassieren müssen. Nach dem Motto: „Was
hatten wir doch für eine tolle Idee und ihr setzt es
so schlecht um“. Solche Vorwürfe richte ich nicht
ausschließlich an Sie. Vielleicht war einiges an der
Konzeption und der Idee nicht so, dass es
funktionieren konnte.
Ich möchte aber zum demografischen Wandel dann
doch nochmal was sagen. Nicht nur, dass dessen
Darstellung Anfang der Nullerjahre in der
politischen Debatte zumindest überzeichnet
daherkam. Es wird zudem vernachlässigt, dass es
verschiedene Stellschrauben gibt, um dem zu
begegnen. Wir können zum Beispiel die
Erwerbsbeteiligung - insbesondere bei Frauen ist
da noch viel Luft nach oben - weiter heraufsetzen.
Wir können Gruppen in die Rentenversicherung
einbeziehen, die jetzt nicht drin sind, wie die nicht
anderweitig abgesicherten Selbstständigen, um
mal eine Gruppe zu nennen, wo es durchaus einen
Bedarf gibt. Es gibt die Verlängerung der
Lebensarbeitszeit, die mit der Rente mit 67
gekommen ist und wo es wahrscheinlich nochmal
Veränderungen in den nächsten Jahren und
Jahrzehnten gibt. Es gibt den Beitragssatz, der ja
auch nicht bei 22 Prozent für alle Zeiten fest
gemeißelt sein muss. Hier gibt’s ja durchaus
unterschiedliche Ansichten über die
Arbeitsplatzwirksamkeit, da ist noch eine gewisse
Elastizität vorhanden. Es gibt den Bundeszuschuss
aus Steuern, der auch nochmal eine Stellschraube
bei der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Es gibt
sehr, sehr viele verschiedene Möglichkeiten, um
Niveau und Beitragssatz zu beeinflussen. Man hat
mit der – würde ich mal sagen – rhetorischen
Keule des demografischen Wandels auch recht
grobschlächtig um die Jahrtausendwende agiert.
Dann nochmal die Frage der Abdeckung. Wir haben
die Zahlen von der Bundesregierung: Es sind 6,4
Millionen, die in vollem Umfang mit vier Prozent
des Bruttos sparen. Das sind aber nur 20 Prozent,
knapp 20 Prozent. Das ist doch die entscheidende
Messgröße. Ich frage jetzt gar nicht, warum die
Andere das nicht machen; offensichtlich gibt es
aber gewisse Nutzenpräferenzen, die insbesondere
eben – das muss ich zur Kenntnis nehmen – die
Geringverdiener vornehmen. Zur Antwort auf die
Kleine Anfrage: Da haben wir die Entwicklung der
Riester-Verträge 2010 bis 2013 nach
Einkommensgruppen abgefragt und es ist
eindeutig, dass die unteren Einkommensgruppen
bis in die Mittelschicht hinein eine abnehmende
22 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Zahl an Verträgen haben. Wenn Sie jetzt sagen, 57
Prozent der Riester-Verträge sind bei den
Geringverdienern, wissen wir aber nicht inwieweit
das bespart wird. Vollständig oder überhaupt ist ja
die entscheidende Frage. Da kommt dann natürlich
die Frage der Risiken ins Spiel. Ich glaube, das hat
durchaus auch versicherungsmathematische
Konsequenzen. Denn wenn die Geringverdiener,
von denen wir wissen, dass sie eine geringere
Lebenserwartung haben, wenn die sich aus der
privaten Vorsorge verabschieden, dann bleibt im
Versichertenkollektiv das Landlebigkeitsrisiko
erhalten und damit zwangsläufig sinkende
Renditen, weil sie mit ganz anderen Sterbetafeln
kalkulieren müssen. Insofern ist die gesetzliche
Rente natürlich doch ein Mischsystem, was gute
und schlechte Risiken, wenn man
Langlebigkeitsrisiken so fassen will, eben mischt
und dann für eine andere Verteilung sorgt.
Noch ein Schlusspunkt zur Demografie. Auch die
Kapitalmärkte werden langfristig nicht davon
verschont bleiben. Denn die Generation, die auch
spart, die wird dann in 30, 40 Jahren entsparen
und gerne Produkte und Dienstleistungen für ihr
Kapital sehen wollen. Das muss dann ja auch von
irgendwem erwirtschaftet werden. Ich glaube
makroökonomisch sind wir sowieso mit dem
demografischen Wandel beschäftigt und meine
Prognose ist, dass wir ein völlig anderes
Erwerbsleben, eine andere Erwerbsbevölkerung
haben werden, die auch sehr viel älter sein wird
als heute.
Ulrike Herrmann
Erstmal vielen Dank an Sie drei. Das Gute ist, alle
drei werden auch weiterhin an der Tagung
teilnehmen. Das heißt, auch Herr Schwark bleibt
zum Glück und wird sich bestimmt auch beim
zweiten und dritten Panel noch mal aus den
Zuschauerreihen einmischen. Es ist also nur ein
kleiner Zwischenstand. Um drei geht’s weiter mit
dem zweiten Panel, das sich dann mit der
Verbrauchersicht beschäftigt. Bis dahin haben Sie
Pause. Sie haben mich ja inzwischen
kennengelernt, ich halte viel von Pünktlichkeit. Es
geht um drei weiter, aber jetzt können Sie erst mal
Kaffee trinken.
PANEL II: RIESTER-RENTE UND VERBRAUCHERSCHUTZ
Ulrike Herrmann
Herzlich Willkommen zur zweiten Runde, Sie
wissen ja, worum es geht, das gleiche Thema noch
mal aus der Sicht der Verbraucher. Eine kurze
Vorstellung des Podiums, obwohl ich sicher bin,
dass Sie alle Beteiligten kennen. Ganz außen von
mir gesehen, sitzt Hermann-Josef Tenhagen,
fünfzehn Jahre lang Chefredakteur von Finanztest.
Eine Publikation, die hier schon breit erwähnt
wurde. Seit Oktober 2014 nimmt er an einem
neuen Experiment teil. Er ist jetzt Chefredakteur
des gemeinnützigen Online-Magazins Finanztip.
Auf der anderen Seite Gert Wagner, Professor für
empirische Wirtschaftsforschung und
Wirtschaftspolitik an der TU Berlin,
Vorstandsmitglied des DIW, das auch schon
mehrfach hier erwähnt wurde, Vorsitzender des
Sozialbeirats und eben auch neu, Mitglied im
Sachverständigenrat für Verbraucherschutz. Neben
mir sitzt Nicole Maisch, seit 2007 im Bundestag
und Sprecherin für Verbraucherpolitik und
Tierschutz für die Grüne Fraktion. Ich würde das
gerne wieder so machen wie vorhin, dass ich
anfangs mit allen ein kleines Interview führe und
dann auch Sie bald mit Ihren Fragen einsteigen
können, zumal es bei der letzten Runde so war,
dass nicht mehr alle drankommen konnten, die
sich schon gemeldet hatten.
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 23
Herr Tenhagen, einfach als kleiner Überblick:
Riester-Rente, was ist aus Ihrer Sicht das größte
Problem für die Verbraucher?
HERMANN-JOSEF TENHAGEN
Finanztip
Das größte Problem für die Verbraucher ist, dass sie
in Zukunft nicht genug Rente bekommen werden,
um im Alter vernünftig leben zu können. Es geht ja
nicht um die Riester-Rente, sondern es geht um
die Leute, die als Ergänzung einer kleinen
gesetzlichen Rente eine zusätzliche Altersvorsorge
brauchen. Eine rot-grüne Regierung wie vorher
eine schwarz-gelbe Regierung haben aus
demografischen Gründen die gesetzliche Rente
zusammengestrichen und gesagt, ihr müsst da was
zusätzlich tun. Und die Verbraucher werden aus
zwei Gründen nicht genug Geld bekommen. Zum
einen, weil die Anbieter nicht so gut funktionieren,
wie sie sollten und zum zweiten, weil die
Kapitalmärkte nicht das tun, was man den
Verbrauchern damals so gesagt hat, was sie tun
würden.
Ulrike Herrmann
Angesichts dieser recht vernichtenden Kritik:
Wenn jemand zu Ihnen kommt und fragt, was soll
ich denn jetzt machen? Würden Sie dann sagen,
am besten gar nichts? Wenn diese ganzen Produkte
nichts taugen, kann man das Geld, wie Herr
Kleinlein gesagt hat, auch gleich in den
Sparstrumpf stecken? Ist das eine Alternative?
Hermann-Josef Tenhagen
Ich glaube, Herr Kleinlein hat seine Privatadresse
nicht genannt, damit man nicht weiß, in welchem
Sparstrumpf sein Geld liegt. Aber jetzt mal abseits
davon, nein, ich würde den Leuten tatsächlich
raten, einen Riester-Vertrag abzuschließen, einen
guten. Denn richtig viele Handlungsalternativen
gibt es - Stand heute - gar nicht. Eine
Handlungsalternative wäre die betriebliche
Altersvorsorge, aber da haben Sie beim
Unternehmenswechsel das Problem, dass sie die
Altersvorsorge oft nicht vernünftig mitnehmen
können. Es gibt’s zwar gesetzliche Regelungen,
aber das mit der Mitnahme funktioniert in der
Praxis nicht. Privates Sparen: Wenn Sie mit Aktien
24 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
an den Kapitalmarkt gehen wollen, können Sie
vielleicht deutlich mehr Rendite rausholen, aber da
müssten Sie sich intensiv beschäftigen, das tun
und wollen die meisten Leute nicht. Privates
Sparen über ein Versicherungsprodukt ohne
Förderung bringt Ergebnisse, die sind noch magerer
als mit Förderung. Im Banksparplan: Wir haben das
mal für eine Familie mit Kind durchgerechnet. Der
Riester-Plan der Volksbank Gronau-Ahaus, der
gelobt wird, der bringt ein halbes Prozent Rendite
selber und zwei Prozent durch die RiesterFörderung. Wollen Sie die zwei Prozent Förderung
links liegen lassen weilo Riester nicht optimal
funktioniert und sich drauf verlassen, dass die
Politik in den nächsten 15 Jahren eine bessere
Lösung findet? Würde ich nicht tun.
Ulrike Herrmann
Die erste Antwort - das war ja im ersten Panel
schon zu erkennen - ist, dass die Rendite bei
Riester im Wesentlichen dem Staat zu verdanken
ist. Deswegen sollte man, um die staatlichen
Gelder mitzunehmen, Riester machen, obwohl es
an sich nicht viel bringt. Ich fasse das jetzt mal so
zusammen. Finanztest und jetzt auch Finanztip
profilieren sich aber dadurch, dass sie den
Verbrauchern sagen, was von allen Produkten
immer noch das Beste ist. Egal, wie man es
bewertet: Was würden Sie sagen, was man als
Verbraucher nehmen soll? Fondssparpläne,
Versicherungen, Banksparpläne, Wohn-Riester?
Was ist aus ihrer Sicht von dieser breiten Palette
der Angebote das, was noch am meisten bringt?
Hermann-Josef Tenhagen
Das hängt ja wieder vom Einzelnen ab. Wenn sie
keine eigene Hütte kaufen oder bauen wollen, sind
Sie mit Wohn-Riester und einem RiesterBausparvertrag nicht so toll bedient. . Das heißt,
Sie müssen sich beim Riestern vorneweg
überlegen, wie alt sind sie, wollen sie eine eigene
Hütte haben, können sie mit Kapitalmarkt rauf und
runter leben und dann kommen sie zu einer
Produktkategorie: Riester-Versicherung, RiesterBaufinanzierung, Riester-Fonds oder RiesterBanksparplan. Beispielsweise kommen Sie zu
einem Riester-Fondssparplan als beste
Produktkategorie für ihre Bedürfnisse. Den kann
man inzwischen sogar mit Indexfonds machen
oder sie kommen zu einer RiesterBaufinanzierung, weil sie denken, sie wollen
irgendwann ein eigenes Haus oder eine eigene
Wohnung haben. Im nächsten Schritt müssen sie
sich in der Kategorie das beste Produkt aussuchen.
Das ist wie, wenn sie sagen die Sorte die für mich
passt ist Marmelade und nicht Nutella. Und dann
suchen sie sich die beste Sorte Marmelade aus.
Nur, dass die Konsequenzen für die Leute, wenn sie
eine schlechte Sorte Marmelade aussuchen, viel,
viel gravierender sind. Da fehlen ihnen schnell
10.000, 20.000, 30.000 Euro im Alter, nur durch
die Auswahl des falschen Riester-Vertrages, selbst
wenn sie die richtige Kategorie gewählt haben.
Ulrike Herrmann
Ich versuch's noch mal mit einer
Zusammenfassung: Erstmal kann man festhalten,
dass es nicht einfach Kategorien von Produkten
gibt, die prinzipiell sowieso nichts bringen und die
man abschaffen könnte. Alle diese verschiedenen
Produkte, Fonds, Banksparpläne und Wohn-Riester
sind berechtigt und man muss innerhalb der
einzelnen Kategorien gucken, was da das Beste ist.
Hermann-Josef Tenhagen
Es gibt eine einzige Kategorie an RiesterProdukten, die eigentlich überflüssig ist. Das sind
Fondspolicen, das liegt aber nicht einmal daran,
dass Fondspolicen prinzipiell eine schlechte Idee
wären, sondern es liegt daran, dass Fondspolicen
eigentlich eine Idee für Profis sind. Für jemanden,
der sehr genau weiß, warum er einen Policen, also
eine Versicherung als Chassis um seine Fonds
herum gemacht hat und wie er diesen Motor, der
sich unter der Haube versteckt, eben diesen Fonds
austauschen kann. Wenn Sie fragen, wie viel
Prozent der vier Millionen Leute, die so ein Produkt
abgeschlossen haben, den Fonds je ausgetauscht
haben, dann landen sie bei deutlich weniger als
fünf Prozent. Die Möglichkeit zu tauschen ist aber
der Hauptsinn überhaupt so ein Produkt
abzuschließen, das heißt 95 Prozent haben
offenkundig nicht begriffen, warum sie dieses
Produkt abschließen sollten. Von daher würde ich
sagen, dass da heftig was daneben geht. Dieses
Produkt ist in der Form und wie es jetzt unter die
Leute gebracht wird, überflüssig.
Ulrike Herrmann
Damit kommen wir zum Thema der mangelnden
Transparenz, das ein generelles Problem ist.
Umgekehrt meint dies, dass die Verbraucher gar
nicht verstehen, was los ist. Eine Idee ist - dies hat
Herr Nullmeier auch schon erwähnt -, dass es
Produktinformationsblätter geben soll. Ist dies aus
Ihrer Sicht eine sinnvolle Idee, und was müsste
passieren, damit diese Blätter auch so gestaltet
sind, dass der normale Verbraucher, nicht der
Bankexperte, diese dann versteht?
Hermann-Josef Tenhagen
Also ich habe mal Produktinformationsblätter
mitgebracht. Nur die Bausparkassen sind von der
Länge relativ gut, da sind es zwei Seiten, bei der
Allianz habe ich hier ein Produktinformationsblatt,
das hat sechs Seiten und bei der Uniprofi-Rente,
die bei den Volksbanken verkauft wird, sind es
zehn Seiten. Wenn Sie als Mitarbeiter bei einem
Vorstand wären, der Ihnen sagt, fassen Sie mir
doch mal auf einer Seite zusammen, was die Vorund Nachteile eines Produktes sind und Sie kämen
mit so einer Zusammenstellung auf zehn Seiten,
würden Sie, glaube ich, sechskantig wieder
rausgeworfen aus dem Vorstandsbüro. Warum
Kunden das mit sich machen lassen sollen, wenn
der Gesetzgeber sagt, macht ein Blatt, auf dem die
wesentlichen Dinge drauf stehen, und die kriegen
dann zehn Seiten, erschließt sich mir nicht. Dabei
sind wir noch gar nicht bei der Frage, ob die
Sprache der Produktinformationsblätter
verständlich ist, das ist die nächste Baustelle.
Meine Behauptung wäre, dass siebzig bis achtzig
Prozent der Leute das nicht verstehen.
Wenn sie mal draußen bei den Verbrauchern
fragen, da ruft einer an - ich hab das ja dauernd und sagt, er hat einen Riester-Vertrag, den will er
kündigen, der ist Mist. Dann ist meine erste Frage,
ist es eine Versicherung? Und da sagt er ja. Ist es
eine Versicherung mit Fonds oder ohne Fonds?
Weiß ich nicht. Und wenn Sie die mit solchen
Produktinformationsblättern konfrontieren, dann
kann daraus der Zweck, den dieses
Produktinformationsblatt hat, nicht erwachsen. Die
Leute können auf diese Art und Weise nicht
verstehen und auch nicht vergleichen.
Ulrike Herrmann
Jetzt noch mal eine Frage zu diesem letzten Blatt,
das mit den zehn Seiten auskommt. Ist das so, dass
neun Seiten überflüssig sind oder ist es so, dass die
zehn Seiten brauchen, weil das Produkt so komplex
ist?
Hermann-Josef Tenhagen
Nee, die brauchen zehn Seiten nicht, weil das
Produkt so komplex ist, sondern weil sie glauben,
dass sie so viele Dinge erklären müssen.
Möglicherweise hat an der einen oder anderen
Stelle auch der Gesetzgeber gesagt, sie sollen das
auch noch erklären, dass das so eine Länge
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 25
bekommt. Man kann das immer auch kürzer
erklären. Wissen Sie, ich bin ja Journalist, wie Sie
auch, und Sie wissen, die Kollegen von der BildZeitung – müssen auf 40 Zeilen manche Dinge
erklären, für die andere Romane schreiben. Ich
finde den Anspruch an jemanden, der für normale
Kunden ein Produkt erklärt, das so zu machen,
dass das auf einer Seite oder maximal zwei geht,
der ist nicht zu hoch. Im Zweifel müssen sich
diejenigen, die den Anspruch formulieren, was da
rein soll und diejenigen, die es formulieren,
solange zusammensetzen, bis das auf ein Blatt
geht. Sonst wird es nicht funktionieren, die Leute
können diese Informationsgeschichten so nicht
verarbeiten.
Ulrike Herrmann
Jetzt plaudere ich mal aus unserem telefonischen
Vorgespräch aus, dass Herr Tenhagen zu mir gesagt
hat, wenn man das Produktinformationsblatt
sinnvoll gestalten wolle, müsste man erst mal die
Fonds so standardisieren - ich zitiere, „dass die
Schwarte kracht“ - und dann würden nur noch
ganz wenige Fonds übrig bleiben und dann
bräuchte man auch kein Produktinformationsblatt
mehr. Habe ich das ungefähr richtig
zusammengefasst?
Hermann-Josef Tenhagen
Nein, wieder nicht, aber der erste Teil stimmt. Man
müsste die Produkte weiter standardisieren. Wie
viele dann über bleiben, würde man ja sehen. Das,
was ich versucht hatte in dem Gespräch zu sagen
war – ich sag das mal vorsichtig –, dass wenn Sie
so einen Vergleich von solchen Finanzprodukten
machen, ich hab das 15 Jahre lang bei der Stiftung
gemacht, dann haben sie fünfzig Angebote. Davon
sind drei, vier, fünf gut. 45 sind nicht so gut. Diese
45 Anbieter haben dann anschließend nur ein
Interesse zu verschleiern, dass sie nicht so gut
sind. Und die werden Ihnen erzählen, dass im
Himmel Jahrmarkt ist und was ihre Extraklausel
links unten auf der Seite 13 zu bedeuten hat, um
deutlich zu machen, dass ihr Produkt eigentlich gar
nicht verglichen werden kann und eigentlich was
ganz besonderes ist und deswegen so ein
Vergleich, bei dem es auf Platz 47 abschneidet,
eigentlich Unfug oder nicht zulässig sei. Das ist
genuin angelegt und wenn sie jetzt sagen, das ist
zu viel für die Leute, dann müssen sie dieses
Produktinformationsblatt und die
Vergleichskategorien mit denen der Kunde arbeitet,
soweit reduzieren, dass er es verstehen kann.
Kunden können Tagesgeld unterscheiden zwischen
1,0 und 0,4 Prozent. Selbst wenn die Kunden der
26 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Ostdeutschen Sparkassen rund 85 Milliarden Euro
auf Konten zu 0,05 bis 0,4 Prozent Zinsen
rumliegen lassen, obwohl sie mehr kriegen
könnten. Im Prinzip können Leute Zinssätze
unterscheiden und verstehen, wenn ich ein halbes
Prozent mehr kriege, ist das mehr Rendite.
Ulrike Herrmann
Okay, jetzt noch mal eine Frage, die schon in der
Gegend rumschwirrt: Wäre irgendwas gewonnen,
wenn man eine Honorarberatung hätte? Bisher ist
es ja so, dass am liebsten das empfohlen und
verkauft wird, was die meisten Provisionen bringt.
Das könnte man ja nur dadurch konterkarieren,
dass man die Beratung anders organisiert. Aber
Beratung muss auch bezahlt werden. Wäre
Honorarberatung eine Lösung oder auch nur ein
Placebo?
Hermann-Josef Tenhagen
Wenn man mit Honorarberatung in so einem
breiten Feld wie der Altersvorsorge tatsächlich
einen Unterschied machen will, dann muss man
sie vermutlich verpflichtend machen. Das hört sich
jetzt ganz schwierig an. Es gibt ein Beispiel aus den
USA, die Umkehrhypotheken. Umkehrhypothek (auf
Englisch reverse mortgage) bedeutet, wenn man
mit 70 ein abbezahltes Haus hat und die Rente
nicht reicht, aber man gerne in dem Haus wohnen
bleiben würde, kann man dort mit einer
Umkehrhypothek das Haus in Raten wieder an eine
Bank oder einen Finanzdienstleister verkaufen und
bekommt jeden Monat ein paar Hundert Dollar
darauf wie so eine Art Leibrente und kann
gleichzeitig lebenslang im Haus wohnen bleiben.
Das machen Leute, die um die 70 sind und sich
häufig finanziell nicht gut auskennen. Deswegen
hat sogar der amerikanische Gesetzgeber gemeint,
dass man diese Verbraucher schützen muss. Um die
zu schützen, hat er gesagt, da muss ein
Beratungsschein her, der ist obligatorisch und darf
nicht von dem Finanzdienstleister sein, der das
Haus kaufen will. Normalerweise wird diese
Beratung in den USA von der American Association
of Retired People (AARP) gemacht. Für die, die es
nicht so gut wissen, die AARP hat 38 bis 40
Millionen Mitglieder, dreimal so groß wie der
Gewerkschaftsbund, im wesentlichen Rentner, die
in jedem Wahlkreis sitzen und die kein
Wahlkreisabgeordneter zum Gegner haben möchte.
Das ist ein relativ gutes Schutzmodell. Das machen
die an so einer Stelle, weil sie sagen, dass es eine
wesentliche finanzielle Entscheidung ist und die
Leute ohne Beratung nicht in der Lage sind, es
selber zu machen. Die Frage, die sich dann wirklich
stellt ist, ob wir nicht im
Finanzdienstleistungsbereich in Deutschland auch
solche wesentlichen Entscheidungen haben, wo
wir das gerne haben möchten. Mir würde neben
der Altersvorsorge sicher Berufsunfähigkeit, also
die Frage, wie man das versichert, einfallen. Mir
würde auch einfallen, wenn sich jemand privat
krankenversichert, dass er so was vorher machen
soll. Das wären drei Anwendungsfälle, man kann
dann noch überlegen, ob eine große
Baufinanzierung nicht auch wegen der
Auswirkungen dazu gehört, die das für Leute hat
finanziell. Aber über so etwas muss man, glaube
ich, ernsthaft nachdenken und ohne
Scheuklappen, wenn sogar die Amerikaner das
können.
Ulrike Herrmann
Erst mal vielen Dank. Das war die Sicht aus der
Praxis mit regelmäßigen Telefonanrufen von
verzweifelten Verbrauchern. Jetzt noch mal die
andere Sicht, ein bisschen weiter von oben. Herr
Wagner, die empirische Verhaltensforschung zeigt,
dass es eine starke Gegenwartspräferenz gibt. Die
Leute sind nicht in der Lage, zwanzig Jahre weiter
zu denken und sich zu überlegen, wie ihr Alter
aussehen könnte, sondern geben das Geld lieber
jetzt aus oder sparen es irgendwie. Auf jeden Fall
wird es nicht angelegt. Ist es eigentlich eine gute
Idee, dass Riester freiwillig ist?
PROF. DR. GERT WAGNER
Technische Universität Berlin
Tut mir leid erst einmal vorausschicken zu müssen,
liebe Frau Herrmann: falls Sie wie gerade eben
auch aus unserem telefonischen Vorgespräch
zitieren, werde ich bestreiten, dass wir überhaupt
telefoniert haben. Zum zweiten möchte ich
vorausschicken, dass ich hier als Gert Wagner,
spreche und nicht als Vorstandsmitglied des DIW
für das DIW; und auch nicht als Vertreter eines
Beirats oder eines Sachverständigenrates. Ich
spreche also als Professor und Privatperson, aber
nicht als Vertreter irgendwelcher Institutionen.
Können Sie mir bitte Ihre Frage jetzt noch mal
stellen?
Ulrike Herrmann
Es geht um einen Begriff, der hier schon diskutiert
wurde, das Problem der Gegenwartspräferenz bei
den Verbrauchern. Sie können sich nicht vorstellen
- ich musszugeben, das geht mir auch so -, was in
dreißig Jahren ist und wie die Altersvorsorge dann
aussehen könnte. Aber wenn die Leute mit der
Zukunft überfordert sind, das war meine Frage, ist
es eigentlich eine gute Idee, dass Riester freiwillig
ist?
Prof. Dr. Gert Wagner
Die ursprüngliche Idee war ja nicht, dass es
freiwillig sein sollte, sondern die Idee von Walter
Riester war, dass man seine Vorsorge obligatorisch
macht. Nicht nur aufgrund einer
Gegenwartspräferenz für das Geldausgeben, die wir
alle haben, sondern weil auch einigen mit
niedrigem Einkommen eine Zusatzvorsorge schwer
fällt. Und genau das sind ja die Gruppen, die am
Ende von einer Zusatzversorgung am meisten
profitieren würden, weil die durch eine
Zusatzversorgung aus der Altersarmut
herausgehoben werden können.
Ulrike Herrmann
Also um eine meiner vielen „falschen“
Zusammenfassungen zu machen: Man hat die
Riester-Rente damals freiwillig gemacht, damit
nicht auffällt, dass viele Leute gar nicht das Geld
haben, um eine Riester-Rente anzusparen?
Prof. Dr. Gert Wagner
Das ist eine wirklich interessante Vermutung, aber
sie entspricht meines Erachtens nicht der Historie.
Nach meiner Erinnerung waren die
Versicherungsgesellschaften dagegen, dass es ein
Obligatorium im Bereich der privaten Vorsorge gibt.
Ulrike Herrmann
Und warum? Hatten Sie Angst, dass Sie die ganzen
schlechten Risiken erwischen oder dass es zu viel
Arbeit wäre?
Prof. Dr. Gert Wagner
Da müssen Sie die Versicherungswirtschaft fragen.
Ulrike Herrmann
Herr Schwark, das ist jetzt ungewöhnlich, aber Sie
dürfen sich einmischen, warum wollten sie kein
Obligo?
Dr. Peter Schwark
Wenn ich mich recht erinnere, hat Herr Riester in
der Tat einen obligatorischen Riester gewollt, aber
in der bAV. Hier hat er aber nicht die Zustimmung
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 27
von den Gewerkschaften bekommen und hinterher
– beim Privat-Riester – nicht die Zustimmung der
Bild-Zeitung. Die Bild-Zeitung hat getitelt
„Zwangs-Riester“, und damit war das ganz schnell
vom Tisch.
Prof. Dr. Gert Wagner
Das ist auch meine Erinnerung, Zwangsrente stand,
glaube ich, auf der Frontseite und damit war es
vorbei, weil in Deutschland Pflicht gerne mit dem
Begriff Zwang denunziert wird.
Ulrike Herrmann
Okay, warum das Riestern freiwillig ist, haben wir
geklärt. Dann bleibt die Frage der niedrigen
Einkommen. Das ganz große Problem ist, dass viele
Leute gar nicht das Geld haben, um jetzt
vorzusorgen und diese Lücke privat zu schließen.
Was ist denn Ihre Sicht, was man machen sollte,
um diese Versorgungslücke bei den niedrigen
Einkommen zu schließen? Dieses Problem kam
auch bei den Zahlen von Herrn Kurth sehr deutlich
raus.
Prof. Dr. Gert Wagner
Ich will erst mal sagen, dass Personen mit
niedrigen Einkommen, insbesondere wenn sie
Kinder haben, sehr stark von der Riester-Förderung
profitieren können. Aber für einige lohnt sich das
Riestern trotzdem nicht. Denn wenn jemand
anschließend doch auf Grundsicherung
angewiesen ist, ist es – gerade im neoklassischen
rationalen Modell der Vorsorge – irrational
anzusparen. Das Problem ist nur, dass man im
Vorhinein nicht genau weiß, zu welcher Gruppe
man am Ende gehören wird. Aber unter dem Strich
bedeutet das, dass viele, für die es sich
wahrscheinlich lohnen würde, trotzdem nicht
Riestern. Und wir trotz einer Förderung hier ein
Problem haben.
Ihre Frage war dann „Was kann man da machen?
Das ist eine sozialpolitische Frage, um die es am
Ende geht und die kann man wissenschaftlich
nicht beantworten, denn es kommt dabei auf
politische Wertvorstellungen an. Wenn man sich
nur im Rahmen der privaten Vorsorge bewegt,
dann wäre meine Antwort, dass man all das
machen muss, was hier diskutiert wird. Also
insbesondre für transparentere und
verständlichere Informationen sorgt. Weitet man
den Blick ist meine sozialpolitische Antwort, dass
man - realistisch betrachtet - die betriebliche
Altersvorsorge (BAV) ausbauen sollte, weil die über
Tarifverträge viel bessere Möglichkeiten hat, in die
28 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Breite zu wirken, als freiwillige private Vorsorge.
Allerdings hat man am Ende dann auch noch eine
Gruppe, die im Alter ein Armutsproblem haben
wird, weil sie bei Arbeitgebern beschäftigt war, die
keine entsprechende BAV angeboten haben. Aber
realistisch betrachtet wird man mit der
betrieblichen Vorsorge mehr erreichen als jetzt mit
Versuchen, die Riester-Rente auszubauen.
Ulrike Herrmann
Ich zitiere jetzt aus einer Publikation, und da ist
sehr deutlich, dass Sie zur Umlageversicherung,
also zur reinen gesetzlichen Rentenversicherung
zurückkehren wollen und dass Ihr Argument ist,
das könnten die Arbeitgeber mühelos stemmen,
denn die Lohnstückkosten in Deutschland sind gar
nicht hoch und die demografische Lücke ist
eigentlich gar nicht so dramatisch, wie sie immer
dargestellt wird.
Prof. Dr. Gert Wagner
So unkonditional habe ich das nicht geschrieben,
sondern in dem Text - ist auch auf der Homepage
des Wirtschaftsdienstes leicht nachlesbar argumentiere ich, dass man – wenn man
Gesamtbelastung der Vorsorgebeiträge betrachtet –
auch die umlagefinanzierte Altersvorsorge wieder
ausbauen könnte. So würde man sich viele
Probleme, die wir bei Riester und der betrieblichen
Altersvorsorge haben, ersparen. Aber in dem
gleichen Text steht, dass schon einiges
dafürspricht, in einer unsicheren Welt nicht alle
Äpfel in einen Korb zu legen und deswegen auch
zumindest ein bisschen kapitalgedeckte Vorsorge
zu treiben. Oder etwas vornehmer ausgedrückt: die
Vorsorge sollte diversifiziert erfolgen. Dieses
Argument, zusammen mit meiner persönlichen,
realistischen Einschätzung dessen, was politisch
möglich ist, komme ich zu dem Schluss, dass die
betriebliche Altersversorgung ausgebaut werden
sollte.
Ulrike Herrmann
Okay, Sie haben jetzt wirklich die Lunte ganz lang
ausgelegt.
Prof. Dr. Gert Wagner
Ich kann gerne noch was zur Umlagefinanzierung
versus Kapitaldeckung sagen. Das was vom
Ökonomie-Mainstream in den 80er und 90er
Jahren versprochen wurde, was die Kapitaldeckung
alles kann, hat damals schon nicht gestimmt. Und
inzwischen hat sich auch empirisch herausgestellt,
dass die Kritiker der Kapitaldeckung keineswegs
irreal argumentiert hatten. Um aber ehrlich zu
sein: Ich selbst habe in den 90er Jahren und
Anfang des neuen Jahrtausends auch zu denen
gehört, die sagten, es ist vernünftig zu
diversifizieren. Habe ich ja gerade eben wieder
gemacht. Denn eine umlagefinanzierte vom Staat
organisierte Altersvorsorge ist politischen Gefahren
ausgesetzt. Das haben wir ja auch in den letzten
15 Jahren deutlich bemerkt. Eine kapitalgedeckte
Vorsorge ist anderen Gefahren, nämlich denen des
Kapitalmarkts, ausgesetzt. Deswegen ist es
vernünftig, wenn man versucht die Gesamtgefahr
einer später unzureichenden Altersversorgung
durch eine Risikodiversifikation zu minimieren.
Ulrike Herrmann
Gut, dabei bleibt es erst mal. Jetzt wollte Herr
Tenhagen noch was sagen, und dann kommt die
politische Seite dran.
Hermann-Josef Tenhagen
Ich wollte noch eine Frage loswerden bei der
betrieblichen Altersvorsorge, die, die mich am
meisten beschäftigt. Ist die betriebliche
Altersvorsorge durch Gehaltsumwandlung in ihrer
aktuellen Form nicht Umverteilung von unten nach
oben?
Prof. Dr. Gert Wagner
Ja.
Hermann-Josef Tenhagen
Aber nur, wenn man dann die
Sozialversicherungsbeiträge auch bekommt.
Prof. Dr. Gert Wagner
Das halte ich für eine ganz andere Dimension. Das
ist die Frage, inwieweit sich die Gewerkschaften
bei Tarifverhandlungen durchsetzen. Die Antwort
ist aber vergleichsweise unabhängig davon,
welches Geld nun in die Altersvorsorge und
welches in die Direktlöhne gesteckt wird. Wenn die
Gewerkschaften schwach sind, gibt es an beiden
Stellen ein Problem.
Ulrike Herrmann
Jetzt würde ich doch gerne die Debatte zu der
Betriebsrente wieder ein bisschen einschränken.
Frau Maisch, Sie haben jetzt die Rolle, dass Sie mit
der Riester-Rente irgendwie umgehen müssen. Die
ist nun faktisch vorhanden, mit all ihren Mängeln.
Man kann sich natürlich theoretisch wünschen,
dass man das ganze System kippt und irgendetwas
anders macht, aber Sie sind erst mal damit
konfrontiert, ein Produkt, schlecht wie es ist, zu
verbessern. Welche Reformmöglichkeiten sehen
Sie? Einen ersten Punkt haben wir mehrfach ein
bisschen gestreift, nämlich diese
Produktinformationsblätter. Da kamen von Herrn
Tenhagen illustrative Beispiele, wie die
Verständigung mit den Verbrauchern komplett
scheitern kann. Was würden Sie also vorschlagen?
Hermann-Josef Tenhagen
Okay, dann sind wir uns einig, weil der Arbeitgeber
spart die Sozialversicherungsbeiträge und wenn der
die nicht komplett weitergibt an den Sparvertrag
des Arbeitnehmers, bedeutet das im Kern, dass der
Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge bei der
Entgeltumwandlung spart und dass der Mitarbeiter
hinterher weniger Altersvorsorge hat.
Prof. Dr. Gert Wagner
Ja. Wenn das so geschieht haben Sie recht. Aber ich
hatte eben nicht wegen dieses Arguments
zugestimmt, sondern weil im Moment bei weitem
nicht alle Arbeitnehmerschichten eine betriebliche
Altersversorgung haben. Die betriebliche
Altersversorgung ist gegenwärtig nach Branchen
und insbesondere nach Qualifikationen
differenziert vorhanden und deswegen läuft es
dann gewissermaßen auf die genannte
Umverteilung von unten nach oben hinaus. Aber
wenn man die BAV ausbaut, verschwindet diese
Umverteilung ja definitionsgemäß.
NICOLE MAISCH
Sprecherin für Verbraucherpolitik
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion
Wir sehen auf vier Feldern Verbesserungsbedarf bei
Riester.
Erstens: Wir brauchen eine Verbesserung der
Verbraucherinformation. Es wurde bereits
angesprochen: Information ist ein Thema, bei dem
sicher noch Verbesserungsbedarf besteht.
Das Stichwort Produktinformation ist schon
gefallen, hier sagen wir, dass
Produktinformationsblätter ein Schritt sind. Aber
für uns bedeutet Blatt Vorder- und Rückseite und
nicht zehn Seiten, die kaum jemand verstehen
kann. Zudem wollen wir eine stärkere
Standardisierung der Verbraucherinformation, wir
wollen alle relevanten Informationen in
verständlicher Art und Weise aufbereitet haben.
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 29
Damit auch Menschen, die weder Ökonomen noch
Bankkaufleute sind, diese verstehen können..
Ebenso wichtig ist, dass die Renteninformationen
aus den unterschiedlichen Quellen, seien es
betriebliche oder gesetzliche Rentenansprüche,
zusammengeführt und so aufbereiten werden
muss, dass deutlich wird, aus welchen Quellen ich
wie viel Rente erwarte. In einer verständlichen
Form. Ich hätte gerne etwas in der Art: „Nicole,
wenn du so weiter sparst und arbeitest, dann hast
du mit 65 Jahren eine Rentenerwartung von xx
Euro. Man könnte auch sagen: „Nicole, damit sich
dieses Produkt für Dich lohnt, dann musst du jetzt
noch 88,4 Jahre leben“. Damit könnte ich
umgehen. Bei vielen anderen Informationen, die
wir im Moment haben, ist es als Laie schwer
durchzusteigen.
Das heißt bei den Informationen sehen wir ganz
klar Verbesserungspotenzial und hier ist auch der
Staat in der Pflicht, Vorgaben zu machen, dass man
die Produkte untereinander vergleichen kann. Im
Moment ist es für die Anlegerinnen und Anleger
fast nicht zu beurteilen, ob dieses oder jenes
Produkt für sie besser ist, weil die Informationen
nicht standardisiert sind.
Zweitens: Mehr Verbraucherschutz beim Vertrieb
von Altersvorsorge. Verbraucherinformation ist aber
nur ein Feld, auf dem wir Verbesserungsbedarf
sehen. Das zweite ist der Vertrieb. Wir haben über
die Frage diskutiert, ob die Honorarberatung der
Ausweg ist? Wir haben bisher als Grüne immer die
Position vertreten, dass wir einen fairen
Wettbewerb zwischen Honorar und Provision
wollen In der letzten Legislatur hat es mit dem
Honorarberatergesetz erste Schritte gegeben, die
aber nicht dazu geführt haben, dass es einen
fairen Wettbewerb zwischen beiden Systemen gibt.
Ich glaube mittlerweile, dass mit dem derzeitigen
provisionsgesteuerten Vertrieb keine faire Beratung
möglich ist. Ich denke, wir können noch mal
Zwischenschritte probieren. Wir können die
Provisionen komplett transparent machen und sie
stärker über die Laufzeit der Produkte strecken und
uns dann angucken, ob es besser wird. Aber ich
bin überzeugt, dass wir am Ende doch feststellen
werden, dass Provisionen für den
Endkundenvertrieb etwas sind, wo man den
Widerspruch zwischen Interesse des Anbieters und
des beratungsbedürftigen Kunden, der Kundin,
eben nicht auflösen kann.
Drittens brauchen wir mehr Verbraucherschutz in
der Finanzaufsicht. Hier hat sich nach Grüner
Initiative ein bisschen was bewegt, in der
30 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Verzahnung von Aufsicht und
Verbraucherinformation. Wir kriegen jetzt den
Finanzmarktwächter. Das ist ein ganz wichtiger
Punkt, um zivilgesellschaftliche Akteure wie die
Verbraucherzentralen und die Aufsicht gut
miteinander zu vernetzen. Darüber hinaus braucht
es eine viel stärkere Verankerung des
Verbraucherschutzes als Aufsichtsziel bei der BaFin.
Der vierte Punkt ist die Frage wie die Produkte
beschaffen sein sollen, die wir uns für eine
staatlich geförderte Altersvorsorge wünschen. Ich
finde, wenn der Staat sich auf bestimmte Ziele
verständigt, beispielsweise bestimmte
Waffensysteme zu ächten, bestimmte
Energieformen wie die Atomenergie als Gesellschaft
insgesamt abzulehnen, dann ist es für mich nicht
schlüssig, dass wir Geld geben, damit Menschen
gefördert in Firmen investieren, die Streumunition
herstellen oder die durch Atomkraft Strom
erzeugen. Wir müssen diskutieren, was es für
ethische, soziale oder ökologische Kriterien für
Produkte der geförderten privaten Altersvorsorge
geben soll.
Es stellt sich darüber hinaus die Frage, wie
kosteneffizient diese Produkte sein sollen. Viele
Produkte lohnen sich im Moment für Verbraucher
nur deshalb, weil der Staat Geld drauflegt. Es ist für
ein Gemeinwesen aber nicht sinnvoll schlechten
Produkten Geld hinterherzuwerfen. Eigentlich
müssten diese Produkte besonders effizient sein.
Damit Leute, die denken, Riester, das ist staatlich
mit Siegel, da mache ich was Gutes, auch ein
entsprechend kosteneffizientes Produkt
bekommen.
Da sind die Fragen der Hello- und Goodbye-Kosten
und der Sterbetafeln sicherlich relevant.
Letzter Punkt, zum Thema Produkte: Ich hab jetzt
einiges gesagt, wie man an bestehenden
Produkten herumdoktern kann, ich glaube, da ist
viel drin für die Kundinnen und Kunden und am
Ende auch für den Staat, der Steuergelder effizient
einsetzen will. Aber natürlich muss man auch die
Frage stellen, ob wir nicht ein öffentlich
organisiertes Standardprodukt brauchen.
Dieses haben wir in unseren Konzepten übrigens
nie als Obligatorium, sondern als Opt-out System
angedacht. Aber dazu haben wir ein eigenes Panel
organisiert.
Ulrike Herrmann
Erst mal vielen Dank. Jetzt sind Sie wieder dran,
gibt’s Fragen? Herr Wagner darf noch mal kurz was
sagen.
Prof. Dr. Gert Wagner
Ich würde gern zu den Produktinformationsblättern
etwas sagen. Die sind ja in der Tat nur dann
wirklich aufschlussreich, wenn die drei Säulen
miteinander verglichen werden. Dazu muss man
Annahmen machen. Die Gesellschaft für
Versicherungswissenschaft und Gestaltung (GVG)
hat diesen Versuch schon einmal gemacht und ist
– nicht überraschend – gescheitert. Wahrscheinlich
wird der Versuch jetzt noch mal gemacht. Aber Sie
können sich vorstellen, wenn sie im Konsens
versuchen diese Produktinformation zu erstellen,
und es sitzen Vertreter der umlagefinanzierten
Sicherungsprodukte und der kapitalgedeckten
Versicherungsprodukte an einem Tisch, wie schwer
es ist, sich zum Beispiel darauf zu einigen, was der
angemessene Zinssatz für die Projektionen der
umlagefinanzierten und der kapitalgedeckten
Säulen sein wird. Dann gibt es noch vieleweitere
Details, an die man denken muss. Ich weiß nicht,
ob der Staat dieses Annahme-Problem lösen sollte,
indem er einfach verordnet, wie gerechnet werden
sollte. Klar ist: nur wenn es gelingt die drei Säulen
in aussagekräftiger Weise miteinander zu
vergleichen, ist ein Produktinformationsblatt
wirklich etwas wert für den Verbraucher. Was
verständlich ist hängt natürlich auf von der
Financial Literacy der Menschen ab, also deren
Kenntnissen von Mathematik und
Vorsorgeprodukten. Damit stellt sich im hier
diskutierten Zusammenhang auch die Frage was
man eigentlich an Weiterbildung machen müsste,
um den Verbraucher überhaupt in die Lage zu
versetzen sich – mit oder ohne
Produktinformationsblätter – ein rationales Urteil
zu bilden.
Ulrike Herrmann
Erst mal vielen Dank, das ganze Podium kommt
noch mal zum Schluss dran. Aber jetzt die Fragen,
die sammeln wir wieder, damit es schneller geht.
Herr Kleinlein hat sich gemeldet, Frau Hagen hat
sich gemeldet, Herr Schick hat sich gemeldet,
natürlich Herr Schwark. Ich glaube, erst mal Sie
vier, und dann gucken wir weiter. Also Herr
Kleinlein.
Axel Kleinlein
Ja, vielen Dank. Eine Frage an Frau Maisch und an
Herrn Wagner. Frau Maisch, Sie haben
angesprochen, dass insbesondere die Art und
Weise wie angelegt wird, für Sie auch sehr wichtig
ist - also ethische, soziale und ökologische
Kriterien. Jetzt haben wir ja - ich muss jetzt
trotzdem das böse Wort betriebliche Altersvorsorge
sagen - sehr spannende Vorstöße aus dem
Arbeitsministerium in Richtung betrieblicher
Altersvorsorge. Hier soll jetzt ein neuer Weg der
betrieblichen Altersvorsorge, insbesondere über die
Tarifparteien, aufgezogen werden. Zusätzlich hört
man auch, dass verstärkt in Infrastrukturprojekte
investiert werden soll. Da ist insbesondere aus dem
Gabriel-Ministerium demnächst zu erwarten, dass
vorgelegt wird, wie entsprechende Investitionen
vonstattengehen können. Jetzt ist die große Frage,
wie bewerten Sie es? Finden Sie es gut? Finden Sie
es förderlich, wenn man im Rahmen der
betrieblichen oder der Riester-Rente hergehen
würde und derartige Infrastrukturprojekte in der
geförderten Altersvorsorge nach vorne bringen will?
Insbesondere da dann die große Frage kommt:
Findet man so was wie die Berlin-BrandenburgFlughafenrente ganz toll oder will man demnächst
irgendwie die Stuttgart-21-Pension abschließen?
Da lauern Gefahren, da wir im Moment
infrastrukturmäßig erhebliche Defizite haben. Da
muss im Grunde genommen investiert werden und
wenn man die schwarze Null halten will, dann
muss irgendwoher das Geld kommen. Das schreit ja
geradezu danach, dass man hier hinterrücks
Altersvorsorgegelder in diese Milliardengräber
fließen lassen will. Ich überzeichne es jetzt ein
wenig. Wie sehen Sie das politisch, insbesondere
auch mit dem Blick auf die betriebliche
Altersvorsorge? Die gleiche Frage gilt natürlich für
Herrn Wagner aus der wissenschaftlichen Sicht.
Dr. Gerhard Schick
Danke, ich habe zwei Fragen. Die eine ist: Wenn
wir das, was verbraucherpolitisch möglich wäre,
auf einer Seite zusammenfassen, was würde es
eigentlich für die Größenordnung von
Beschäftigung im Vertrieb heißen, wenn es eine
deutliche Marktbereinigung geben würde? Ich
finde angesichts des Protestes gegenüber anderen
Lösungen muss man klar machen, was eigentlich
passiert, wenn man systemimmanent nur das
Notwendigste tut. Mich würde interessieren, wie
da die Einschätzungen sind. Die zweite Frage
betrifft die Kostendeckelung. Dies würde ich gerne
noch mal ein bisschen intensiver diskutieren. Es
gibt ja die Studie vom ITA-Institut, die aus einer
Diskussion im Finanzausschuss hervorgegangen ist.
Hier stand eigentlich schon bei der letzten
Reformrunde die Frage der Kostendeckelung im
Raum. Wenn man sich die unterschiedlichen
Kostenpunkte anschaut, die ja auf
Durchschnittswerten basieren, wird auch richtig
deutlich, wie viel Holz da eigentlich verloren geht.
Auch die Frage des Kostendeckels ist nochmal
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 31
spannend. Ist er möglich, ist er so wie
vorgeschlagen notwendig oder sollte man das erst
einmal bleiben lassen? Dies sollte in der Diskussion
nochmal eine Rolle spielen, denn es handelt sich
um einen gravierenden Eingriff. Ich meine aber, er
setzt an der richtigen Stelle an, wenn man
systemimmanent bleibt.
Dr. Peter Schwark
Eine Anmerkung zum Thema Honorarberatung. Wir
sind sicherlich für Wettbewerb zwischen
Provisions- und Honorarberatung. Aber ich möchte
davor warnen, jetzt allein auf die Honorarberatung
zu setzen. Stichwort Geringverdiener: Heute ist es
bei den Provisionen so, dass für einen großen
Vertrag mehr bezahlt wird als für einen kleinen
Vertrag. Honorarberatung kostet immer das gleiche.
Wir haben hier das Risiko, dass die Geringverdiener
komplett ausgegrenzt werden, dass wir eine
unüberwindliche Hürde aufbauen. Insbesondere
auch aus Liquiditätsgründen werden viele kaum
bereit und in der Lage sein, 600 Euro für eine
umfassende Beratung auf den Tisch zu legen. Das
würde ich in dieser Diskussion einfach mal zu
bedenken geben aus sozialpolitischen Gründen.
Das zweite Thema ist Effizienz. Natürlich wollen wir
gerade in der Förderung kosteneffiziente Produkte.
Aber ich denke, es ist auch nicht zu viel verlangt zu
erwarten, dass man sich auch noch mal mit der
Frage beschäftigt, wie man die Förderung selbst
effizienter abwickeln kann. Wir hatten
verschiedene Situationen, in denen Förderungen
zurückgebucht wurden. Wenn dann ein Anbieter
einzelne Verträge korrigieren muss, mehrfach dazu
mit dem Kunden korrespondiert, , sind das bei den
Größenordnungen, über die wir reden, enorme
Kosten - in zweistelliger Millionenhöhe –, die
umsonst anfallen.
Wir haben konkrete Vorschläge, wie man das
anders machen kann. Ich glaube, da sollte man
zuerst darüber nachdenken, bevor man anfängt,
Anbieter mit Kostenobergrenzen zu knebeln. Die
meisten Anbieter haben übrigens bei RiesterVerträgen überhaupt keine höheren Kosten als bei
nicht geförderten Produkten. Sie subventionieren
häufig sogar eher das aufwändige RiesterVerfahren aus ihrem Bestandsgeschäft. Die
unnötigen Bürokratiekosten, die uns entstehen,
reduzieren die Kostenüberschüsse, und das trifft
hinterher den Kunden. Wie können wir unnötige
Verwaltungs- und Bürokratiekosten vermeiden,
diese Frage muss zuerst adressiert werden.
Kornelia Hagen
Ganz spontan zu Herrn Schwark: Kosten können
reduziert werden indem man Call-Center anders
strukturiert oder abschafft und die Verbraucher
direkt mit Sachbearbeitern ihre Probleme
besprechen lässt. Denn die Call-Center wirken sehr
- sage ich mal - konfus, wenn es um die
Bearbeitung von Beschwerden oder Fragen beim
Riester-Vertrag geht. Das aber nur ganz nebenbei.
Ich hab an alle drei Fragen, an Herrn Tenhagen,
der ist ja der erste gewesen. Sie haben die
mangelnde Transparenz angesprochen und gesagt,
Produktinformationsblatt müssten ein bis zwei
Seiten umfassen. Wir wissen nun, dass die
Verbraucher nicht nur Gegenwartspräferenzen
haben, sondern wir vermuten auch, dass es naive
Verbraucher und gebildete Verbraucher gibt. Dass
Frau Maisch wahrscheinlich mit zwei Seiten
klarkommen würde, kann ich mir vorstellen. Aber
wir haben ja vorhin gehört, dass die
Geringverdiener das Problem sind, die in der Regel
auch in diesen Fragen der Finanzanlagen nicht so
– sage ich mal – gebildet sind. Ich glaube anders
als Herr Wagner es eben noch mal sagte, dass die
Weiterbildung zwar ein wichtiger Ansatzpunkt ist,
dies aber keine wirkliche Strategie sein kann. Es
gibt dazu amerikanische Studien, die ganz klar
davon ausgehen, dass finanzielle Allgemeinbildung
personenbezogen stattfinden muss. Wie geht man
mit diesem Problem um? Das ist eigentlich eine
Frage, die sich an alle drei richtet.
Ich würde gerne doch noch einen Punkt ergänzen.
Frau Maisch, Sie sprechen davon, dass die Aufsicht
sich verbessert hat. Das verstehe ich jetzt nicht. Der
Finanzmarktwächter hat keine Funktion, die
tatsächlich der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungen Vorgaben machen oder sie
zu Aufgaben verpflichten kann. Ich glaube, dass Sie
das vielleicht etwas positiv sehen. Den
Zusammenhang zur Aufsicht sehe ich da noch
nicht.
Christian Schwirten
Ich habe eine kurze Frage an Herrn Tenhagen,
anknüpfend an Ihre Produktinformationsblätter:
Sehen sie das Problem nur in der unzureichenden
Darstellung von bestimmten Merkmalen in den
Produktinformationsblättern? Oder darüber
hinausgehend, abgesehen von der aus Ihrer Sicht
nicht sinnhaften Fondspolice? In den einzelnen
Merkmalen der Riester-Rente?
Ulrike Herrmann
32 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Wir machen erst mal Schnitt. Ich fang jetzt einfach
mal bei Herrn Tenhagen an.
verpflichtet sie, die Kosten zu tragen. Das sind die
beiden Möglichkeiten, die man da hat, wenn man
den Leuten näher treten will.
Hermann-Josef Tenhagen
Letzter Punkt. Viele weitere Fragen hängen
tatsächlich an der finanziellen Allgemeinbildung.
Können die Leute eigentlich ihre
Zukunftspräferenzen richtig einschätzen? Das
Beispiel, das die Leute meistens noch irgendwie
auf die Reihe bringen ist zu sagen, ich glaube, ich
möchte mir irgendwann ein Haus oder eine
Wohnung kaufen. Die Frage, welche Produkte es
sonst noch gibt hat und welche Auswirkungen ein
Fondssparplan versus eines Banksparplans hat oder
ob man wie Papa und Mama früher eine
Versicherung abschließt, 100 Euro im Monat
einzahlt und sich bis zur Rente nicht mehr drum
kümmert, weil das sozusagen die Familientradition
ist, das weiß ich schlicht nicht. Ich glaube, da
gibt’s Leute, die so ticken und die das auch nicht
anders wollen und für die muss man dann gucken,
dass man eine preiswerte Lösung bekommt. Bei
der Frage, dass sich Präferenzen und das Leben
ändern, gibt’s ein ganz spezifisches Problem dieser
privaten Altersvorsorge, welche eigentlich weder
2000 noch heute vernünftig adressiert wird.
Traditionell hat man im Versicherungsbereich
Verträge für zwanzig Jahre gemacht. Eine
Lebensversicherung, die kriegte man Mitte fünfzig
oder Ende fünfzig ausgezahlt und gut war es.
Heute sollen die Leute mit dreißig Jahren einen
Vertrag abschließen, der bis 90 reicht, das sind
sechzig Jahre. Wie gut und wie vernünftig kann so
ein Vertrag sein? Wenn Sie jetzt mal einen
leitenden Mitarbeiter oder den
Vorstandsvorsitzenden eines großen deutschen
Versicherungsunternehmens fragen, wie lange in
die Zukunft könnt ihr die finanzielle Auswirkung
solcher Verträge tatsächlich vernünftig abbilden.
Dann sagt er, wenn er ehrlich ist, zwanzig Jahre,
bei der Ratingfirma Assekurata sagen die Experten
sogar nur fünf Jahre. Aber zwanzig Jahre reicht mir
dann schon, um das Problem mal ein bisschen zu
dimensionieren, was wir hier haben.
Fangen wir bei der Marktbereinigung an. Vor
einigen Jahren haben 400.000 Leute in
Deutschland Versicherungen verkauft, zurzeit sind
es 240.000, das sind wahrscheinlich mehr als in
der Rest-EU zusammen. Da sieht man mal ein
bisschen die Dimension von Marktbereinigung. Wir
haben hier tatsächlich einen ganz anderen Markt
als er anderswo ist und das hat auch
Auswirkungen. Die sind oft bei Ver.di organisiert,
Teil eins.
Teil zwei, Kostendeckelung. Kostendeckelung ist
deswegen eine Option, über die man nachdenken
muss, weil die Leute diese Kosten bisher gar nicht
vergleichen können. Und wenn Herr Wagner sagt,
dass es nicht möglich ist, die Kennzahlen
vernünftig in einem Graswurzelprozess
unterzubringen, dann spricht das dafür, dass der
Staat einschreiten muss und tatsächlich
Kostendeckel machen muss. Denn, wenn die
Experten sich untereinander in die Haare kriegen
und nicht erklären können, was preiswerter und
was weniger preiswert ist, wie soll denn der Kunde
das bitte machen. Das heißt, dass man vermutlich
einen Kostendeckel braucht. Ich sag jetzt nicht wie
der aussehen muss und wie der sein kann, das
weiß ich nicht, aber die Empirie spricht in der Tat
dafür.
Frage drei, Frau Hagen, Produktinformationsblätter.
Wenn die auf ein bis zwei Seiten beschränkt
wären, würde das eine Menge helfen. Das ersetzt
nicht finanzielle Allgemeinbildung und es ist auch
eine Frage der Kosten. Ich bin ja bei so einem
gemeinnützigen Portal, das die Informationen
kostenlos anbietet, wir haben uns was dabei
gedacht, als wir unsere Informationen für die
Nutzerkostenlos gemacht haben. Viele Leute sind
nicht mal bereit, vier Euro fünfzig für die Kosten
der Information auszugeben, die haben an
anderer Stelle auch das Problem. Da hat Herr
Schwark auch einen Punkt – muss man mal so
sagen – wenn es nämlich um Beratung geht,
müssen wir dafür sorgen, dass die Leute Beratung
in Anspruch nehmen können, auch wenn sie
zunächst nicht glauben, dass sie das können. Die
wissen ja gar nicht, dass sie 1200 oder 1500 Euro
an Provision in so einem Vertrag stecken und
finden deswegen auch 500 Euro Beratungskosten
hoch. Von daher gibt’s da zwei Möglichkeiten. Die
eine ist, dass man ihnen dabei hilft diese
Beratungskosten zu tragen und die andere ist, man
Ulrike Herrmann
Ja, vielen Dank, Frau Maisch, an Sie gingen ja auch
einige Fragen.
Nicole Maisch
Ich fange mit Frau Hagens Frage an. Ich denke,
dass die finanzielle Allgemeinbildung klare
Grenzen hat.
Wenn man sich vorstellt, man hätte nur noch
eineinhalb Seiten, standardisierte
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 33
Verbraucherinformation, dann ist es auch für die
Berater in den Verbraucherzentralen einfacher zu
entscheiden, welches Produkt geeignet ist und
welches nicht. Dann ist es einfacher, im Internet
Vergleichsportale aufzubauen, dann ist es auch für
mich als Kundin einfacher nachzuvollziehen, was
der Mensch in der Bank oder in der Versicherung
berät.
Natürlich gibt es trotzdem vertrauende Kunden –
und die gibt es durch alle Bildungsschichten –,.
die dann trotzdem denken, der „Herr
Bankbeamte“, der wird mich schon nicht
bescheißen, das kann man nicht auflösen. Das ist
dann eher eine Frage, wie Vertriebsstrukturen
aufgebaut sind. Trotzdem finde ich, dass man an
der Standardisierung festhalten muss, um
bestimmte Dinge nicht so leicht verschleierbar zu
machen.
Thema Honorarberatung, Herr Schwark. Da haben
Sie den wunden Punkt getroffen, deshalb haben
wir bisher auch immer gesagt, jetzt lass uns
Provisionen nicht verbieten, sondern versuchen
einen Wettbewerb hinzubekommen. Ob das am
Ende möglich sein wird, weiß ich nicht. Es gibt
ungelöste Fragen, zum Beispiel wie Sie dann noch
Haftpflichtversicherungen verkaufen. Es gibt ja
Quersubventionierungen auch unter den
Provisionen. Klar, das ist alles nicht geklärt, aber
genauso wenig ist geklärt, wie man am Ende
diesen immanenten Widerspruch, das eine Produkt
ist gut für den Kunden, aber das andere bringt mir
mehr Provision, wie man das auflösen will.
Dritter Punkt von Herrn Kleinlein, es waren ja zwei
unterschiedliche Sachen. Die eine Sache ist, dass
man bei Riester bestimmte Standards einziehen
will und es wird am Ende trotzdem nicht perfekt
sein. Wir kriegen zum Beispiel auch in der
Landwirtschaft nicht von heute auf morgen alles
auf Bio umgestellt. Aber ich will, dass auch
konventionelle Schweine nicht auf Spaltenböden
stehen, Und ähnlich ist es im Finanzmarkt. Wir
schaffen keine perfekten Verhältnisse von heute
auf morgen, aber gewisse Standards können wir
durchaus einziehen.
Das ist das, was ich mit Grundkriterien gemeint
habe.
Zur Frage, inwiefern man privates Geld, sei es in
der betrieblichen oder privaten Altersvorsorge zur
Finanzierung von Infrastrukturprojekten
heranziehen sollte: Es gibt in unserer Partei eine
große Sympathie dafür. Ich denke dann aber
immer mit Grauen an Herrn Altmaier, der in seiner
Zeit als Umweltminister ein derartiges
Finanzprodukt vorgestellt hatte. Das sollte wenn
ich mich recht erinnere zur Finanzierung, einer der
34 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
großen Stromtrassen von Nord nach Süd dienen. Es
warenpartiarische Nachrangdarlehen, die den
altersvorsorgewilligen Kunden da angedreht
werden sollten - also das denkbar ungeeignetste.
Meiner Auffassung nach kann man nicht sagen:
Weil etwas besonders sinnvoll für die
Transformation der europäischen Energieversorgung
ist, müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher
ihre Altersvorsorge investieren. Sicher muss man
auch überlegen, wie man bestimmte
gesellschaftliche Aufgaben bewältigt und dabei
vielleicht auch privates Kapital heranzieht - aber
nicht indem man Finanzierungsinstrumente
benutzt, die wir ansonsten für völlig ungeeignet
halten.
Ein weiterer Punkt: Können die Tarifparteien alles
lösen? Ich finde es gut, wenn sich viele Leute in
Gewerkschaften engagieren und ich glaube auch,
dass die Gewerkschaften im Sinne der
Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer hart
verhandeln. Aber es gibt weite Bereiche, die
einfach nicht tarifgebunden sind, wo die
Gewerkschaften keine Durchschlagskraft haben.
Deshalb ist gerade der Mindestlohn verabschiedet
worden. Und deshalb würde ich sehr warnen bei
der zusätzlichen Altersvorsorge, nur auf
betriebliche Lösungen zu setzen. Wenn man sich
anschaut: Wer hat Betriebsrenten und wer nicht?
Wie viele Frauen haben Betriebsrenten, wie viele
Männer? wie viele Gutverdienende, wie viele
Menschen mit kleinem Einkommen? Am Endeist ein
Mix, der auch die private Vorsorge beinhaltet,
vielleicht besser und auch immer ein Angebot etwa
für diejenige, die in einem Frisörgeschäft arbeitet
und eben dort keine betriebliche Altersvorsorge
hat.
Ulrike Herrmann
Ja, Herr Wagner.
Gert G. Wagner
Das waren ja sehr unterschiedliche Fragen.
Ich will bei dem Kostendeckel anfangen. Wenn es
volle Transparenz gäbe, bräuchte man den
Kostendeckel nicht.
Ulrike Herrmann
Denn es würde ja jeder sehen, dass ein Produkt
teuer ist?
Gert G. Wagner
Ja. Wenn diese Transparenz mit einer
Graswurzelbewegung der verschiedenen Anbieter
von Altersvorsorge nicht herstellbar ist, dann wäre
ein staatlich verordnetes Produktinformationsbaltt
ja immer noch ein milderes Instrument als ein
Kostendeckel. Ich halte beides –
Graswurzelbewegung und staatliche Verordnung –
für ziemlich unrealistisch. Denn die Riester-Rente
wurde ja aus der Idee geboren, dass die
Verbraucher komplett rational handeln und
ohnehin alles transparent ist. Insofern ist
wahrscheinlich unter pragmatischen
Gesichtspunkten der Kostendeckel das effektivste
Instrument.
Zum zweiten Punkt, die Honorarberatung: Es wäre
völlig konsistent, dass dann, wenn
Honorarberatung gemacht wird, der Staat
Gutscheine dafür ausgibt. Wenn er Riester ohnehin
subventioniert, dann sollte er auch die Beratung
subventionieren.
Vorschriften, die regeln, wo nun investiert werden
soll, sind der falsche Weg. Hinzu kommt: es gibt ja
auch durchaus ernstzunehmende Wissenschaftler,
die mit nachvollziehbaren Argumenten begründen,
dass dieses Infrastrukturproblem überhaupt nicht
existiert. Um nun auf Ihre Frage zurückzukommen:
Diese bedeutet für mich zu fragen, ob man
Spezialfonds verpflichtend machen sollten, damit
wir sowohl das Infrastrukturproblem lösen als auch
das Alterssicherungsproblem? Meine Antwort ist:
Nein. Wenn man sich auf Kapitaldeckung verlässt,
dann muss die volle Freiheit für Diversifikation
erhalten bleiben.
Ulrike Herrmann
Vielen Dank an Sie drei. Es war sehr interessant,
das Ganze noch einmal aus der Sicht der
Verbraucher zu sehen.
Mein dritter Punkt, Weiterbildung: Wenn man im
Kontext von Financial Literacy ernsthaft auf den
gebildeten Verbraucher setzt, muss man bereits in
der Schule ansetzen. Folgt man dem, und ich tue
das, wofür mein Kollege Gerd Gigerenzer am MPI
für Bildungsforschung wirbt, sollte man schon die
Schülerinnen und Schülern entsprechend
mathematisch ausbilden, damit sie mit Risiken
und Gefahren umgehen und dann auch
Produktinformationen vernünftig interpretieren
können. Dies kann man, realistisch betrachtet,
durch Weiterbildung für die Menschen im mittleren
und höheren Alter nicht mehr erreichen. Ich
betone es trotzdem, denn es wäre für sehr viele
Entscheidungen – privater, aber auch
gesellschaftlicher Natur – sinnvoll, wenn den
Kindern in der Schule ein besserer Umgang mit
Risiken und Gefahren beigebracht werden würde.
Ob man die zweite und dritte Ableitung bei
irgendwelchen Funktionen berechnen kann, ist für
die meisten komplett egal. Aber wirklich zu
verstehen, was der Zinseszins bedeutet, um mal
ein lebensnahes Beispiel zu bringen, wäre schon
ein gewaltiger Fortschritt.
Der letzte Punkt: Inwieweit sollte man
Kapitaldeckung mit Infrastrukturausbau verbinden?
Es gibt gute Gründe, warum in der Theorie der
Wirtschaftspolitik gesagt wird, für jedes Ziel sollte
es ein Instrument geben und ein Instrument sollte
nicht für mehrere Ziele eingesetzt werden. Das hier
ist ein Musterbeispiel dafür. Wenn ich bei der
langfristigen Vorsorge auf Kapitaldeckung setze,
dann müssen diejenigen, die diese organisieren,
so diversifizieren dürfen, wie sie es für vernünftig
halten. Denn die Diversifikation ist ja langfristig
der entscheidende Vorzug der Kapitaldeckung.
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 35
PANEL III: NEUSTART DER
RIESTER-RENTE DURCH
EIN STAATLICHES BASISPRODUKT
Ulrike Herrmann
Jetzt folgt das dritte Panel. Sie wissen: Thema ist
nun das Basisprodukt und die Frage, ob man
dieses als Alternative in den Markt einbringt oder
nicht?
Neben mir sitzt Lars Gatschke, Jurist, Mitarbeiter
beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Er
hat in den Vorgesprächen zu mir gesagt, er hätte
die Gesetzgebung zu Riester hoch und runter
begleitet und die Riester-Rente sei quasi sein
Lebensthema. Udo Philipp - er ist bei den Grünen
in der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und
Finanzen, gehört auch zur Rentenkommission der
Grünen Partei. Marlene Haupt arbeitet beim MaxPlanck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.
Man könnte sagen, auch bei ihr war die RiesterRente durchaus ein Lebensthema und
Lebensschicksal, denn ihre Dissertationsschrift
hieß: „Konsumentensouveränität im Bereich
privater Altersvorsorge“. Gerhard Schick kennen Sie
alle, er ist seit 2005 im Bundestag und der
finanzpolitische Sprecher der Grünen Fraktion. Wir
werden jetzt in diesem Panel drei verschiedene
Modelle des Basisprodukts vorgestellt bekommen,
mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Rolle
von Gerhard Schick wird natürlich sein, diese aus
Grüner Perspektive zu bewerten. Wir beginnen mit
dem Modell der Verbraucherzentralen.
LARS GATSCHKE
Verbraucherzentrale Bundesverband
Wir haben mit unserem Modell eines Vorsorgefonds
komplexes System geschaffen, weil wir vermeiden
wollten, dass wir in ein Zwangssystem gehen
müssen. Wenn man sich das Gutachten des
Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zum
Modell der DRV Baden-Württemberg anschaut,
dann stoße ich bei einem freiwilligen System an
Grenzen des EU-Beihilferechts. Ein Weg dies zu
vermeiden, wäre, mit dem Fonds komplett im
System einer Sozialversicherung zu verbleiben und
dabei nicht unter den Unternehmensbegriff im
36 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu fallen. Dies
bedeutet: Ich spare individuell auf einem Konto
unter dem Dach der DRV. Bei Eintritt bestimmter
Bedingungen wird das gebildete Kapital in
Entgeltpunkte umgerechnet und fließt über eine
kollektive Kapitalverwahrstelle ratierlich dem
Umlagesystem zu. Der Verbraucher erhält dann
entweder eine erhöhte Erwerbsminderungsrente,
Altersrente oder Witwenrente.
Ulrike Herrmann
Sie haben ja schon zwei wesentliche Dinge gesagt,
es ist freiwillig und eine Säule in der
Rentenversicherung. Wie ich es verstanden habe,
wäre die Rentenversicherung nur der Verwalter.
Das Geld würde also auch auf dem Kapitalmarkt
angelegt?
Lars Gatschke
Es ist ein klassisches Kapitaldeckungssystem.
Kapitaldeckung bedeutet lediglich, dass es ein
zeitliches Auseinanderfallen von Mittelzufluss
sowie Mittelabfluss und das Geld zwischenzeitlich
am Kapitalmarkt angelegt wird. Kapitaldeckung hat
insoweit den wesentlichen Vorteil, dass der
Kapitalfluss erst in dem Zeitpunkt erfolgt, in dem
ich das Geld zur Refinanzierung meiner Leistungen
benötige. Das Kapital steht der Kohorte zur
Verfügung, die es angespart hat und für die es
verwendet werden soll. Dies steht im Gegensatz zur
reinen Umlage, wo idealtypisch die Einnahmen die
Ausgaben decken und ich gerade keinen
Kapitalpuffer bilde. Zudem fallen die Personen von
Zahler und Empfänger auseinander. Wenn ich
beispielsweise einen Rentenabschlag rückkaufe,
fließt Geld unmittelbar der gesetzliche
Rentenversicherung zu und wird als Einnahme
verbucht. Dort wird es im Rahmen der Aufgaben
der DRV verwendet und kann unter Umständen
gleich wieder aus dem System heraus fließen. Es
muss mir aber nicht unbedingt in zukünftigen
Zeitperioden zur Verfügung stehen. Es kann
vielmehr sein, dass andere Mittel für die
Mehrleistung verwenden muss. Deswegen
brauchen für den Vorsorgefonds einen
Mechanismus der Kapitaldeckung, mit dem ich
Geld über Zeit transferieren kann, weil wir
ansonsten das Umlagesystem auf die Zukunft
betrachtet zusätzlich belasten. Es ist durchaus
sinnvoll, wie im vorherigen Panel auch gesagt
wurde, Umlage- und Kapitaldeckung getrennt
voneinander zu betreiben, weil ich unter
Umständen in derselben Zeitperiode
unterschiedliche Risiken und Auswirkungen von
Risiken habe. Das heißt: Wenn ich konjunkturell
Probleme habe, mag es im Kapitaldeckungssystem
nicht diese Probleme geben, oder umgekehrt. So
habe ich gegebenenfalls Ausgleichsmechanismen
und kann aus beiden Systemen Vorteile ziehen.
Deshalb ist Kapitaldeckung eine sinnvolle
Ergänzung zur Umlage.
Ulrike Herrmann
Haben Sie denn bereits geklärt, ob die
Rentenversicherung auch tatsächlich bereit wäre,
einen solchen Fonds zu verwalten?
Lars Gatschke
Sie verwalten ja augenblicklich bereits Geld, unter
anderem das der Nachhaltigkeitsrücklage. Natürlich
würde unser Basisprodukt mit erheblichen
Anlagebeträgen einhergehen. Wir würden aber
auch nicht unmittelbar die Deutsche
Rentenversicherung Bund mit dem
Anlagemanagement belasten. Vielmehr sollte die
entsprechende Kapitalverwaltung jeweils für einen
Zeitraum von fünf Jahren ausgeschrieben werden.
Die Ausschreibungskriterien und die Einhaltungen
der dort niedergelegten Vorgaben sollte von einem
mit entsprechenden Experten besetzten
Anlageausschuss erarbeitet und überwacht werden
Die Deutsche Rentenversicherung wäre damit nur
der offizielle, nicht aber der operative Betreiber des
Geschäfts.
Ulrike Herrmann
Angenommen, Sie würden jetzt ein derartiges
staatliches Basisprodukt mitten in der
Niedrigzinsphase starten. Halten Sie es für eine
gute Idee, mit staatlicher Kapitaldeckung zu
beginnen, wenn die Kapitaldeckung selbst gerade
in der Krise ist?
Lars Gatschke
Wenn ich - wie Lebensversicherungen - 80 Prozent
der Gelder in Anleihen investieren würde, hätte ich
in der Tat ein Problem mit der Niedrigzinsphase.
Aber Kapitalanlage unter SGB IV lässt wie etwa bei
den Zeitwertkonten andere Anlageformen zu. Im
Vorsorgefonds arbeite ich mit ganz anderen
Aktienquoten. Kapitalmarktschwankungen sind
über ein aktives Anlagemanagement abzumildern.
Dies beinhaltet ein aktives Ablaufmanagement für
die rentennahen Jahrgänge. Daran fehlt es im
schwedischen System. So wäre auch eine
Beitragserhaltungszusage gut darstellbar.
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 37
Ulrike Herrmann
Udo Philipp
Also, auch Sie wollen in die Aktien gehen. Das ist
der perfekte Übergang zu Udo Philipp. Ihr System
scheint ja dem der Verbraucherzentralen zu
ähneln. Aber der zentrale Unterschied ist ja, dass
Sie eine opt-out-Klausel vorschlagen. Das heißt,
jeder müsste in diesem System das staatliche
Produkt besparen, es sei denn, man sagt ganz
ausdrücklich, dass man dieses Basisprodukt nicht
möchte. Herr Schwark und andere haben
verdeutlicht, dies sei EU-rechtlich gar nicht
möglich.
Ich kann natürlich schlecht Menschen in eine
private Altersvorsorge hineinlenken, die dann
hinterher das Geld verlieren, weil es auf die
Grundsicherung angerechnet wird. Ein opt-out
erscheint mir nur dann sinnvoll, wenn das Produkt
sich auch für GeringverdienerInnen lohnt.
Ulrike Herrmann
Aber, um es hart zu formulieren: Dann kommt es
nie.
Udo Philipp
UDO PHILIPP
Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft
Bündnis 90/Die Grünen
Ein opt-out möchten wir gern, richtig. Ich wehre
mich allerdings gegen die Darstellung, dass dies
etwas zwangsähnliches wäre. Es wäre eine Form
der Wahl. Man hat eine Standardeinstellung und
man muss sich in die eine Richtung entscheiden
oder man hat eine andere Standardeinstellung und
muss sich in die andere Richtung entscheiden.
Ulrike Herrmann
Aber der Witz ist doch, dass möglichst wenig
aussteigen sollen.
Udo Philipp
Ist absolut richtig, es ist ja verhaltensökonomisch
und psychologisch immer wieder gezeigt worden,
dass dann wenn man die Standardeinstellungen in
eine Richtung setzt, in der Tat sehr viele Menschen
diese auch beibehalten. Zwar wollen wir eine optout-Regelung, aber man muss schon sehen, dass
die bisherige Ausgestaltung der Grünen
Garantierente dazu führen würde, dass Menschen
mit geringem Einkommen den großen Teil oder den
allergrößten Teil ihrer privaten Ersparnisse
verlieren, wenn sie diese in Anspruch nehmen.
Unter dieser Voraussetzung wäre ein opt-out
natürlich schwierig. Es ist für uns also insofern ein
Wunsch, den wir dann erst richtig realisieren
können, sobald das Problem der Garantierente
gelöst ist.
Ulrike Herrmann
Diesen Zusammenhang müssten Sie vielleicht noch
einmal erklären.
38 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Das hoffe ich nicht, aber das wird man sehen. Man
kann das staatliche Basisprodukt grundsätzlich
auch ohne opt-out starten. Die Frage ist: Macht
man ein opt-out, betreibt man, wie die
Amerikaner sagen nudging, versucht man sie also
anzustupsen in das staatliche Basisprodukt.
Versucht man auch ärmere Menschen anzustupsen,
wenn man weiß, dass sie ein hohes Risiko haben,
dass das Sparen dann letztlich gewissermaßen für
die Katz ist?
Ulrike Herrmann
Nun vertreten Sie die Auffassung, dass man vor
allen Dingen in Aktien investieren sollte und auch
in außerbörsliches Eigenkapital. Vielleicht können
Sie noch einmal erklären, warum das aus Ihrer
Sicht so attraktiv ist, gerade außerbörsliches
Eigenkapital, sprich Private Equity, zu stützen?
Udo Philipp
Gut. Sie haben das ja nun sehr gut verknüpft mit
meinem vorigen beruflichen Hintergrund. Es soll
natürlich kein Förderprogramm für die PrivateEquity-Industrie sein. Aber was mir sehr wichtig an
der Geschichte ist: Man sieht immer wieder, dass
der größte Teil der deutschen Unternehmen, die an
der Börse sind, ausländischen Investoren gehört,
dies betrifft zwei Drittel des Aktienbesitzes. In
einem Land wie Schweden, wo es private
Altersvorsorge in kapitalgedeckter Form gibt, die
auch in börsliches Eigenkapital investiert ist, ist es
genau anders herum. Dort ist die Mehrzahl der
Unternehmen in schwedischer Hand. Und ich
glaube auch, dass, ich möchte jetzt nicht
nationalistisch klingen, einem amerikanischen
Pensionsfonds deutsche Sozialpartnerschaft zu
erklären, etwas schwieriger ist als im Fall eines
deutschen Pensionsfonds. Ich bin außerdem der
festen Überzeugung, dass dann, wenn man junge
dynamische Unternehmen oder den ökologischen
Umbau der Wirtschaft fördern möchte, es mit
Schuldinstrumenten, mit Schuldtiteln wesentlich
schlechter funktionieren würde. Denn dies ist ein
wesentlich krisenanfälligeres, Derartiges lässt sich
über Eigenkapital sehr viel besser finanzieren.
nicht und ist es somit nur etwas für künftige
Generationen, die noch schlau genug waren,
keinen Riester-Vertrag zu haben?
Udo Philipp
Ulrike Herrmann
Aber dahinter steht ja eine These, die wir auch
schon bei Herrn Gatschke gehört haben: Die
festverzinslichen Papiere bringen wenig, Aktien
regelmäßig mehr. Da würde die Bankkauffrau, die
in mir steckt, sagen: Das ist so nicht richtig. Die
Finanzmärkte hängen zusammen, es gibt nur einen
Finanzmarkt mit verschiedenen Produkten. Und
wenn die Rendite auf Staatsanleihen sinkt, dann
ist es klar, dass die DAX-Werte steigen, weil damit
die Dividendenrendite sinkt. Am Ende ist die
Rendite überall wieder gleich. Das heißt: Ist es
eigentlich wahr, dass Aktien tatsächlich garantiert
lukrativer sind als Rentenprodukte? Oder, noch
schärfer ausgedrückt: Kann man nicht auch sagen,
dass gerade die Existenz der großen
amerikanischen Pensionsfonds, die es auch erst
seit dreißig Jahren gibt, eine wesentliche Erklärung
für die Blase auf den Finanzmärkten ist?
Udo Philipp
Also, wir haben es ja nicht begründet mit der
Rendite. Eine unserer Hauptbegründungen ist, dass
es für die Finanzierung der Wirtschaft letztlich
besser ist, wenn sich junge Unternehmen mit
Eigenkapital statt mit Fremdkapital finanzieren und dies gibt es in Deutschland unzureichend.
Wir versuchen zweierlei miteinander zu
verknüpfen: Das andere ist die Frage: Ist es für die
Alterssicherung der Menschen schlecht, wenn die
Alterssicherung stark in Aktien investiert wird? Und
man sieht an Schweden, das nun sicherlich nicht
als Hort des Kapitalismus verteufelt wird, dass es
wunderbar funktionieren kann. Die Aktien-Rendite
ist langfristig sicherlich nicht schlechter als die in
festverzinslichen Papieren, sie ist in der Regel sogar
etwas höher, weil man damit eine gewisse
Volatilität hat.
Zunächst bräuchten wir natürlich eine Mehrheit,
damit wir das Basisprodukt überhaupt einführen
können. Dann kann man sicher auch darüber
nachdenken, ob man die staatlichen Zulagen, die
man heute hat, mitnehmen kann oder ob man sie
verliert, wenn man seinen jetzigen Vertrag
kündigt. Wenn man nicht wechseln möchte,
müsste man den jetzigen Vertrag eben beitragsfrei
stellen und dann das neue Geld in den staatlichen
Basisfonds investieren.
Ulrike Herrmann
Vielen Dank. Herr Gatschke.
Lars Gatschke
Ich glaube, es ist auch zu kurz gegriffen, wenn wir
den Vorsorgefonds nur für Riester-Verträge
machen. Wenn man über solche Mechanismen
nachdenken will, dann muss man jedem Bürger
die Möglichkeit geben, in solche staatlichen
Produkte hineinzugehen. Dies kann nicht auf den
Kreis der Riester-Förderberechtigten reduziert
werden. Auch im Bereich der betrieblichen
Altersvorsorge besteht für die Arbeitnehmer bei der
Entgeltumwandlung das gleiche Problem wie bei
der Riester-Rente. Auch Arbeitgeber im KMUBereich sind oft überfordert. Darüber hinaus sind
Selbstständige verdonnert, ihr Geld in mehr oder
weniger lukrative Rürup-Verträge zu investieren.
Aus dieser Perspektive würde ich den Zugang
weiter fassen. Ich würde eher sagen, der
Arbeitgeber soll durchaus freiwillige Beiträge
einzahlen können, der Arbeiternehmer soll
Beiträge einzahlen können, der Riester-Sparer, der
Rürup-Sparer, wer auch immer. Dies muss mit
einer Harmonisierung der Förderbedingungen
einhergehen.
Ulrike Herrmann
Ulrike Herrmann
Angenommen, es gibt ein staatliches Basisprodukt
und jetzt wollen diejenigen, die schon einen
Riester-Vertrag haben, zu diesem wechseln, weil
sie annehmen, dass es ein viel besseres Angebot
darstellt. Wie käme man nach Ihren Plänen von
den jetzt bestehenden Riester-Verträgen hin zu
dem staatlichen Basisprodukt? Oder geht das gar
Danke, Herr Gatschke. Frau Haupt, das schwedische
Modell wurde bereits als das leuchtende Beispiel
erwähnt. Sie haben ja das schwedische Modell sehr
intensiv studiert. Halten Sie es für möglich, diese
skandinavische Version mehr oder minder direkt
nach Deutschland zu importieren, oder gäbe es
dabei Schwierigkeiten aus Ihrer Sicht?
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 39
DR. MARLENE HAUPT
Max-Planck-Institut für Sozialrecht und
Sozialpolitik
Es gibt unterschiedliche Bedingungen in beiden
Ländern, die ungefähr zur gleichen Zeit ihr
jeweiliges System eingeführt haben. Und ich
glaube nicht, dass es zielführend ist, jetzt über
eine Abschaffung zu diskutieren und einen
Neuanfang auf der grünen Wiese zu planen, denn
die gibt es einfach nicht mehr. Insofern bin ich hier
pragmatischer. Es gibt einiges, das Schweden sehr
gut macht. Hier könnte man durchaus einige
Aspekte übernehmen, ohne dass man alles
Bisherige verteufelt und noch einmal ganz von
vorne anfängt.
Ulrike Herrmann
Was würden Sie aus Schweden übernehmen?
Dr. Marlene Haupt
Die vier Felder, die Nicole Maisch vorhin schon
angesprochen hat, habe ich mir noch einmal
angesehen. Was läuft hier in Schweden anders?
Was sollte man sich zumindest einmal genauer
anschauen? Das erste waren ja die Informationen:
Schweden hat ein Informationsschreiben, einen
orangenen Brief, der ja sehr oft benannt wird. Er
besteht nur aus drei Seiten und beinhaltet die
umlagefinanzierte, also die gesetzliche und
gleichzeitig die kapitalgedeckte, sogenannte
Prämienrente.
inklusive Babys. Wie viele von den erwachsenen
Schweden, vielleicht sechs Millionen, sitzen auf
diesen Sofa-Fonds oder den staatlichen Fonds?
Und wie viele sind in den restlichen 800 Fonds?
Dr. Marlene Haupt
Ich habe es heute Morgen noch einmal
nachgeschaut. Es sind tatsächlich mittlerweile über
drei Millionen, die in diesem Sofa-Fonds sitzen,
ohne auf etwas anderes zu setzen.
Ulrike Herrmann
Also ungefähr fünfzig Prozent der
Anspruchsberechtigten?
Dr. Marlene Haupt
Mittlerweile ja. Es war ursprünglich so gedacht,
dass sie, wenn sie eben nichts machen, in diesem
Sofa-Fonds landen. Und sobald sie sich dann
entscheiden, doch eine andere Anlagestrategie zu
fahren, haben sie diesen automatisch verlassen
und konnten auch nicht wieder zurück. Aus den
Zahlen wird deutlich, dass sehr viele nach
Einführung des Systems versucht haben, sich in
dem Produktportfolio anderweitig zu bewegen.
Tatsächlich hat dann die Politik einen Rückzieher
gemacht und 2011 angefangen zu ermöglichen,
dass sie wieder hinein dürfen in den Sofa-Fonds.
Dies führte dazu, dass die Menschen – auch da so
Komplexität reduziert werden konnte – sich wieder
für dieses Produkt entschieden haben, das zudem
relativ gut performt. Damit haben wir im Moment
natürlich steigende Zahlen von Personen, die in
dem Staatsfonds sitzen.
Ulrike Herrmann
Aber wenn man, wie in Schweden, nur wenige
staatliche Fonds hat, die die meisten auch in
Anspruch nehmen.
Dr. Marlene Haupt
Man hat nicht wenige. Es gibt 800 Produkte, aus
denen die Schwedinnen und Schweden auswählen
können. Nur in dem Fall, in dem sie nichts tun,
sitzen sie im sogenannten Sofa-Fonds, der die
bequeme Couch sein soll, wenn sie nicht handeln
wollen. Und ansonsten bieten sich ihnen sehr viele
weitere Produkte, die sie miteinander kombinieren
können.
Ulrike Herrmann
Mit Blick auf die deutsche Landschaft interessant:
Es gibt ungefähr neun Millionen Schweden,
40 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Ulrike Herrmann
Ich hatte Sie ja bereits unterbrochen, als es um die
Transparenz ging, Sie wollten ja noch die anderen
Punkte von Frau Maisch abarbeiten. Den jährlichen
Brief haben wir schon diskutiert.
Dr. Marlene Haupt
In Schweden haben Sie zielgruppenspezifische
Informationen, was ja Frau Kornelia Hagen vorhin
auch angesprochen hatte. Die Informationshürden
werden relativ niedrig gehalten. So versucht man,
die Menschen über Apps zu motivieren. Außerdem
werden Papierbroschüren angeboten. Die
Betroffenen sollen also auf verschiedenen Wegen
erreicht werden. Das ist, glaube ich, relativ
innovativ. Der Vertrieb ist durch das Obligatorium,
was wir in Schweden haben, insofern anders
strukturiert, als dass man eigentlich keinen
Vertrieb hat. Sondern: Die Versicherten überweisen
Ihren Beitrag an die Rentenbehörde und diese
investiert die Gelder in Fonds. Sie wissen zwar, in
welchen Fonds sie investieren, aber der Fonds
kennt die Kundinnen und Kunden nicht. Er kann
sie nicht direkt bewerben und spart sich damit den
Vertriebsweg. Insofern unterscheidet sich also das
schwedische Verfahren von dem in Deutschland.
Gleichzeitig ist die Problematik der Aufsicht in
Schweden anders geregelt Grundsätzlich kann hier
jeder Fonds, der eine EU-Richtlinie erfüllt, Teil des
Prämienrentensystems werden. Seit Einführung des
Systems haben immer mehr Fonds partizipiert also muss es scheinbar auch für diese interessant
sein. Zum anderen sehen es die Regelungen der
zuständigen Behörde vor, dass einer Partizipation
nur unter der Bedingung, dass dem Rabattsystem
der Behörde zugestimmt wird, möglich ist. Wie
funktioniert dieses Rabattsystem? Wenn mehr Geld
in diese jeweiligen Fonds fließt, haben die
Produktanbieter bestimmte Skaleneffekte, die den
Kundinnen und Kunden zugutekommen müssen.
Das heißt: Je mehr Geld in einen bestimmten
Fonds investiert wird, desto größer sind die
Rabatte, die die Anbieter an die Versicherten
rückzahlen müssen.
Zu den Produktzielen, ein weiterer Punkt: Im
Kontext des Sofa-Fonds wird klar auf
umweltpolitische und auf ethische Ziele Wert
gelegt. Zudem gibt es eine Art Negativliste, die
definiert, warum der Sofa-Fonds kein Geld in als
kritisch bewertete Unternehmen investiert.
Die Kosteneffizienz spielte bereits in meinen
Ausführungen zum Rabattsystem eine Rolle. Dann
haben wir eine Kostendeckelung bei den
Verwaltungskosten, die bei 110 Kronen liegt, was
elf Euro entspricht. Zu den somit von jedem
Einzelnen maximal zu tragenden Kosten kommen
die Fondsmanagementgebühren hinzu, die
durchaus variieren können. Aber aufgrund der
Transparenz des Systems insgesamt und auch dank
des Rabattsystems sind diese wesentlich niedriger,
als dies dann der Fall wäre, würde man den
gleichen Fonds privatwirtschaftlich, also privat für
sich nutzen.
Ulrike Herrmann
Erst einmal vielen Dank. Das ist Schweden. Herr
Schick, wie viel lässt sich davon übernehmen?
DR. GERHARD SCHICK
Sprecher für Finanzpolitik
Bündnis 90/Die Grünen
Ich glaube, man muss vorneweg schicken: Wir
haben uns in der Fraktion noch nicht genau
geeinigt, was wir im Zusammenhang mit dem
Basisprodukt tun wollen. Dieses Fachgespräch dient
dazu, genau das zu eruieren. Wir haben im
Wahlprogramm deutlich gemacht, dass wir die
Riester-Rente grundlegend reformieren und ein
einfaches, kostengünstiges und sicheres
Basisprodukt einführen wollen. Das heißt: An der
Kapitaldeckung als einem Teil im System der
Alterssicherung wollen wir durchaus festhalten bei aller Betonung der gesetzlichen
Rentenversicherung. Und: Die Idee eines
Basisproduktes leuchtet uns ein.
Ich glaube, es ist wichtig, die verschiedenen
Perspektiven zu sehen. Da ist erstens die fiskalische
Sichtweise. Eine steuerliche Unterstützung für das
Sparen ist erst einmal begründungspflichtig. Ja,
warum sollte man das tun? Besonders
begründungspflichtig ist es dann, wenn die
Produkte selbst keine guten sind. Hier müsste man
gegenüber jedem, der Steuern zahlt, darlegen,
warum schlechte Produkte durch Steuern besser
werden sollten. Dann ist da zweitens die
Perspektive, die wir im vorherigen, im
verbraucherpolitischen Panel kennengelernt
haben: Warum haben wir eigentlich ein System,
das Menschen, die zwar Altersvorsorge machen
wollen und auch die Kapitaldeckung gut finden,
dazu zwingt, sich mit den komplexen Fragen des
Finanzmarktes zu beschäftigen?
Warum schaffen wir nicht ein System, das es für die
Menschen einfach macht, vorzusorgen? Wenn ich
über das Basisprodukt spreche, höre ich oft
sinngemäß Folgendes: „Es wäre doch toll, wenn
Politik mal etwas macht, was für mich passt. Ich
bin guten Willens, aber ich habe keine Lust, mich
mit Finanzfragen zu beschäftigen, weil ich in
meiner Freizeit lieber Tennis spiele.“ Und ich finde,
wir sollten Politik für die Menschen machen, wie
sie es wollen, anstatt für einen imaginären
Finanzmarkt-mündigen Verbraucher, den wir auch
in fünfzig Jahren Bildungssystemreform nicht
werden schaffen können. Das ist eine gute Idee
Grüner Politik. Ich merke, dass da viel Resonanz
ist. Auch bei dem Thema: Kriegen wir das
unbürokratischer hin, auch wenn wir gleichzeitig
die Produktinformation optimieren? Ich treffe so
viel Menschen, die trotzdem keine Lust haben,
diese Sachen zu lesen. Ich weiß nicht, ob es Ihnen
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 41
anders geht, aber ich treffe ganz viele Menschen,
die sich deswegen irgendwelchen im
Finanzvertrieb tätigen Bekannten und Freunden
anvertrauen, in der Hoffnung, dass die es gut mit
ihnen meinen. Leider werden in diesem
Vertriebssystem aber häufig die
Freundschaftsstrukturen ausgebeutet, was ich ganz
besonders perfide finde.
Das ist die verbraucherpolitische Sicht. Aus der
dritten Perspektive, welche vorher schon ein
bisschen angeklungen ist, muss man fragen: Was
sind eigentlich gute Gründe, Kapitaldeckung zu
machen? Wenn man die Kapitaldeckung zusätzlich
zur Umlage richtig findet, ist zu klären, wie das
Geld investiert wird – und zwar nicht nur unter
ethischen, ökologischen und sozialen
Gesichtspunkten, die bei den Grünen auf jeden
Fall immer dazu gehören - sondern auch
hinsichtlich der Frage, inwieweit es denn dann
sinnvoll ist, im Wesentlichen in Staatsanleihen zu
gehen? Ich finde, die Frage ist legitim, auch wenn
sie von Ihnen ein wenig abgewertet worden ist. So
einfach kann man es sich nicht machen an der
Stelle.
Die vierte Dimension bezieht sich sicherlich auf die
rechtlichen Grenzen, die wir werden einhalten
müssen. Es gibt die große Überlegung des
Übergangs. In der Grünen Fraktion sicher nicht
mehrheitsfähig ist nach meiner Auffassung ein
Obligatorium - und zwar nicht nur angesichts des
Grundgedankens, dass wir eine freiheitliche
Gesellschaft organisieren wollen, sondern auch aus
der Perspektive heraus, dass es Lebenssituationen
gibt, in denen die Altersvorsorge vielleicht nicht im
Mittelpunkt steht, sondern in denen man erst
einmal einen Kredit tilgt oder in denen man
gerade andere Bedürfnisse hat. Und dann ist ein
Obligatorium einfach sehr hart. Auf der anderen
Seite ist es nicht überzeugend, die völlige
Freiwilligkeit mit der Pamperung eines
aufgeblähten Finanzvertriebes zu bezahlen. In
diesem Rahmen bewegt sich, glaube ich, jetzt die
Debatte. Und das schwedische Beispiel spielt in
unserer Diskussion eine Rolle.
Man könnte natürlich auch sagen, dass Riester ein
Irrweg war und dass wir die Reform von damals
wieder rückgängig machen sollten. Dann müsste
man aber auch beim Rentenniveau einen anderen
Pfad einschlagen. Das ist ein Weg, der natürlich zu
diskutieren ist. Das ist heute auch ein bisschen
angeklungen. Ich meine aber, dass die
Kapitaldeckung richtig ist. Diese zyklische
Wiederkehr der Rentendiskussion finde ich
interessant: Anfang der 2000er Jahre schien die
42 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Umlage antiquiert. Man kam sich ja vor, als würde
man noch Schlaghosen tragen, wenn man die
Umlage okay fand. Ich habe auch damals immer
gesagt: Die Umlage ist das zentrale System. Und
genauso ist es jetzt nach der Finanzkrise so, dass
Kapitaldeckung plötzlich für viele out ist. Ich
glaube, dass wir Rentenpolitik nicht so zyklisch
diskutieren sollten. Es geht doch immer um 40, 50,
60, 70 Jahre, da können wir uns nicht von
kurzfristigen Moden treiben lassen. Im Vordergrund
stehen sollte die Grundüberlegung: Was ist
eigentlich ein langfristig stabiles System, das auch
im Sinne der Sicherung des Lebensstandards
Rendite generieren kann?
Ulrike Herrmann
Vielen Dank. Ich kann mir vorstellen, es gibt eine
ganze Reihe von Fragen.
Mike Weber, Rentenberater
Es wäre eine Frage an die Politik bezüglich des
angesprochenen Beratungsscheines. Man könnte
die Honorarberatung so regeln, dass jeder, der
bedürftig ist, einen Beratungsschein bekommt, wie
das ja bei der anwaltlichen Beratung heute auch
der Fall ist - allerdings mit der Maßgabe eines
angemessenen Honorars. Für 50 oder 70 Euro wird
niemand diese Aufgabe übernehmen, weil die
Waffengleichheit nicht gegeben ist. Der, der sich
einen freien Honorarberater suchen kann und 500
oder 1000 Euro bezahlt, wird nicht die gleiche
Leistung bekommen, wie der, der nur 70 Euro
bekommt.
Eine Frage an Herrn Gatschke: Wenn ich es richtig
in Erinnerung habe, sind diejenigen Banken in
Deutschland am schlimmsten von der
Finanzmarktkrise betroffen gewesen, die in
staatlicher Hand waren. Das waren insbesondere
die Landesbanken. Nun habe ich Sie so verstanden,
dass Sie ein staatliches Rentenfinanzierungssystem
aufbauen möchten mit einem Fonds, der staatlich
verwaltet werden soll. Meine Angst wäre, dass dort
die gleichen Experten wie in den Landesbanken
sitzen. Sollte man vor diesem Hintergrund nicht
anders vorgehen?
Ulrike Herrmann
Vielen Dank.
Marcel Duda, Grüne Jugend
Mein Name ist Marcel Duda, ich bin auch Mitglied
der Grünen Rentenkommission, allerdings dort für
die Grüne Jugend delegiert. Wir haben uns als
Grüne Jugend auch vor etwa einem Jahr mit der
Frage beschäftigt: Wollen wir eine kapitalgedeckte
Altersvorsorge, und wenn ja: Wollen wir dort ein
staatliches Basisprodukt?
Wir haben uns grundsätzlich gegen eine
kapitalgedeckte Altersvorsorge in unserer
Positionierung entschieden, aus folgenden
Überlegungen: Alle Rentenarten, sowohl die
umlagefinanzierte als auch die kapitalgedeckte
Altersvorsorge, speisen sich letztendlich aus
Cashflows, die in realwirtschaftlichen Prozessen
generiert werden müssen. Vor diesem Hintergrund
sind Aktien aus unserer Sicht genauso
konjunkturanfällig, wenn nicht noch
konjunkturanfälliger als Bonds. Das
umlagefinanzierte System hat sich da doch als
relativ stabil erwiesen. Aus unserer Sicht ist es
sozialpolitisch zumindest fragwürdig, warum wir
einzelnen Menschen die Risiken eines zunehmend
volatilen Kapitalmarktes aufbürden wollen, wenn
wir diese Kapitaleinkünfte, die ja immer stärker im
Vergleich zu den Löhnen steigen, auch zum
Beispiel über eine Kapitalertragssteuer abschöpfen
sowie etwa durch eine steuerfinanzierte
Grundrente gerechter verteilen könnten. Und
gerade wenn wir über Staatsanleihen im Kontext
der Pensionsfonds sprechen: Man hat es in Japan
gesehen. Dort wurden mit einer riesigen
Staatsverschuldung auch die privaten
beziehungsweise staatlichen Pensionsfonds
subventioniert, nach dem Muster: Linke Tasche,
rechte Tasche. Das bringt nicht viel.
Ulrike Herrmann
Ja, vielen Dank.
Thomas Lueg, Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft
Mein Name ist Thomas Lueg. Ich bin vom
Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft, ich hätte zwei Fragen und
vielleicht noch eine Anmerkung oder Empfehlung.
Zunächst zu dem Vorschlag von Herrn Gatschke. Ich
frage mich bei Ihrer Zielrichtung „einfach,
transparent, sicher“: Wie soll dieses neue
Basisprodukt einfach, transparent und sicher
werden, wenn Sie die Verrentung nach dem SGB VI
vornehmen, die Anlagepolitik vielleicht nach SGB
IV. Das SGB VI ist maßgeblich für die gesetzliche
Rentenversicherung und letztendlich auch für die
Höhe der Rente. Es ist ungefähr 150 Mal geändert
worden seit seiner Einführung. Wie soll das
eigentlich funktionieren? Wie würden Sie ein
Produktinformationsblatt für einen Kunden
ausfüllen, die berühmten zwei Seiten, wie dieses
Produkt funktionieren soll?
Und, an Herrn Philipp gerichtet: Ehrlich gesagt, ich
habe noch nicht verstanden, was Ihre Vorschläge
mit Altersvorsorge zu tun haben. Für mich riecht es
jetzt danach, dass opting-out EU-rechtswidrig ist
und dass es bei der Kapitalisierung von
Unternehmen auch außerbörslich letztendlich um
eine Förderung der Wirtschaft gehen soll. Ich habe
keine Idee, wie ein Sicherungsfonds aussehen soll.
Ich habe keine Idee, wie denn eigentlich die
Leistung aus diesem Konzept aussehen soll.
Dann vielleicht noch eine Empfehlung zu den
politischen Risiken. Sie sollten sich nicht nur mit
Schweden auseinander setzen, sondern vielleicht
auch mit Irland. Irland hat einen staatlichen
Pensionsfonds, der sehr viele der Kriterien erfüllt,
die auch bei den Grünen hoch im Kurs stehen. Es
sind relativ niedrige Verwaltungskosten und es
wurden ethische Kriterien der Kapitalanlage dort
berücksichtigt. Nur, was ist über die Krise passiert?
Man hat etwa 10 Milliarden aus diesem Fonds
herausgenommen, um dann zwei irische Banken
zu rekapitalisieren. Vorher gab es keine Probleme,
Transparenz und einen Jahresbericht. Sie sollten
sich das insbesondere als Lehrstück in Sachen
politischer Risiken anschauen..
Gast
Ich werde hier ja seit einiger Zeit etwas unruhig.
Herr Nullmeier hat den Aufschlag zum Thema
Paradigmenwechsel gemacht. Wir haben heute ein
Alterssicherungsniveau, der Standardrentner
bekommt, glaube ich, monatlich 1287 Euro brutto
bei einem Rentenniveau von 47 Prozent. Wenn
man dies auf das letzte Einkommen bezieht, sind
es 35 Prozent brutto. 35 Prozent: Das ist unsere
Alterssicherung zurzeit. 30 Prozent der
gegenwärtigen Rentner haben Anspruch auf eine
Betriebsrente, vier Millionen bekommen eine
Riester-Rente, eventuell. Das ist unsere
Alterssicherung zurzeit. Sie machen sich hier
Gedanken über Ergebnisse, die in zehn oder
zwanzig Jahren nach einer Ansparphase laufen.
Wie werden die Rentner der nächsten fünf oder
zehn Jahre abgesichert - bei dem gegenwärtigen
Rentenniveau, das noch weiter sinkt. Und, Herr
Gatschke, Sie wollen in Kapital anlegen. Wie
kommen Sie an Ihr Geld, wenn der DAX wieder
absinkt? Im Prinzip haben wir auf die lange Sicht
eigentlich keine andere Möglichkeit, als das
Rentenniveau wieder vernünftig so anzuheben,
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 43
damit die Rentner der nächsten Jahre vernünftig
gesichert sind - und nicht in zehn, zwanzig oder
dreißig Jahren.
Organisationsform einer Stiftung. Das Angebot
eines nicht-obligatorischen Basisproduktes ist
mithin nicht zwangsläufig eine staatliche Aufgabe.
Ulrike Herrmann
Ulrike Herrmann
Okay, vielen Dank, jetzt würde ich gern noch dem
Podium Gelegenheit geben.
Ja, vielen Dank.
Prof. Dr. Frank Nullmeier
Mir ist nicht ganz klar, wie mit einem Basisprodukt
ein echtes Problem der Alterssicherung gelöst
werden soll, wenn das Basisprodukt nicht
obligatorisch sein sollte. Ich verdeutliche dies
einmal am folgenden Punkt: Soll das Basisprodukt
für die GRV-Versicherten die Ausgleichsfunktion
erfüllen, die ursprünglich der Riester-Rente zur
Kompensation der Kürzungen in der GRV
zugeschrieben wurde? Dann kann es nur als
Obligatorium sinnvoll sein. Wenn man aber ein
obligatorisches Basisprodukt will, muss man sich
Gedanken machen, wie diejenigen befähigt
werden sollen, die Prämienzahlungen dafür
aufzubringen, die durch geringe Einkommen,
Überschuldung oder sonstige Tatbestände nur
wenig vorsorgefähig sind.
Wenn das Basisprodukt nicht als Obligatorium
ausgestaltet werden soll – und das Opt-Out-Modell
ist kein Obligatorium – dann geht es schlicht
darum, einen öffentlichen Träger ein
Vorsorgeprodukt anbieten zu lassen, das der
Versicherungswirtschaft Konkurrenz macht. Die
Konsequenz ist eine öffentlich-rechtlich
Einrichtung (als gemeinnütziges Unternehmen, als
öffentlich-rechtliche Stiftung, evtl. auch eine
privatrechtlich verfasste Einrichtung in öffentlichem
Besitz), die nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet
ist und deren Produktangebot besonders hohe
Standards an Transparenz, Verbraucherschutz und
Reduktion der Verwaltungskosten erfüllt. Das heißt
aber, dass mit dem Träger des Basisproduktes nur
ein weiterer Akteur den Vorsorgemarkt betritt. Eine
Anbindung an die DRV Bund ist genau aus diesem
Grunde nicht denkbar. Sie müsste zumindest aus
der unmittelbaren rechtlichen Trägerschaft
herauslöst werden. Für den Fall eines nichtobligatorischen Basisproduktes stellt sich mithin
das Riesenproblem, einen neuen öffentlichen
Träger gründen zu müssen. Es ließe sich allerdings
auch die Frage stellen, ob die Einführung eines
Basisproduktes nicht eher eine
zivilgesellschaftliche Aufgabe ist, eine
gemeinnützige Einrichtung zu gründen, die ein
allen verbraucherpolitischen Standards
entsprechendes Produkt anbietet, etwa in der
44 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Markus Kurth
Mich wundert durchaus, dass noch niemand
angesprochen hat, vor welchem grundlegenden
Problem ein Basisprodukt stünde, wenn es denn
die Funktion der Riester-Rente übernehmen soll.
Es müsste vier Prozent Rendite erwirtschaften, um
das Absinken des Rentenniveaus auszugleichen
diesen Niveauausgleich hinzukriegen. Dies wird
auch mit einem Basisprodukt mutmaßlich nicht
gelingen.
Eine zweite These: Ein opt-out und insbesondere
ein Obligatorium dürfte nicht zu tief in die Tasche
greifen. Ein Eigenbeitrag von vier Prozent vom
Bruttoentgelt, wie bisher vorgesehen, ist nach
meiner Auffassung, zu viel. Eine derartige Masse
zwangsweise oder auch im Rahmen eines opt-outModells anzusparen, das ist schon eine große
Portion. In Schweden sind es nur 2,5 Prozent,
deutlich weniger. Man stünde ohne Frage in der
Erklärungsschuld denjenigen gegenüber, die
vielleicht dringend Geldmittel für eine
Krankenbehandlung, für die Schuldentilgung oder
anderes benötigen.
Ich bin sicher, dass ein opt-out oder ein
Obligatorium nur eine Chance bei einer absolut
tragfähigen ersten Säule sein könnten, wie auch
die Riester-Rente nur eine Zukunft hat, wenn die
erste Säule stabil ist. Also darauf zu setzen, Udo,
einen größeren Freibetrag bei der Grundsicherung
einzuführen, ist wirklich keine attraktive
Perspektive. Ähnliches gilt für die Annahme,
Alterssicherung wäre in Zukunft eine Kombirente
aus einer gesetzlichen Rente oder der Grünen
Garantierente Grundsicherung plus private
Altersvorsorge. Attraktiv ist private Altersvorsorge,
wenn sie zusätzlich zu einem stabilen Sockel der
ersten Säule, der gesetzlichen Rente, besteht. Hier
sind vielleicht auch Berührungspunkte zur
Versicherungswirtschaft zu erkennen, von der ich
mir mehr Einsatz erhoffe - dass sie aus ihrer Sicht
deutlich macht, warum das Rentenniveau
möglichst oberhalb der Werte gehalten werden
muss, die bislang für 2030 anvisiert sind.
Hermann-Josef Tenhagen
Ich habe zwei Fragen: Was ist eigentlich mit
Altersarmut und spielt Riester dort eine Rolle? Zum
Hintergrund: 8,50 Euro pro Stunde ist dieser neue
Mindestlohn. Sie müssen 62 Jahre Vollzeitl arbeiten
und voll Beiträge für die gesetzliche Rente kleben,
um auf die Grundrente zu kommen. Sie wissen,
wie alt sie dann sind, wenn sie mit 17 angefangen
haben. Dies ist die erste Frage, die entscheidende.
Zur zweiten: Wenn man kapitalgedeckt vorsorgt,
basiert das auf einer Marktidee. Ein Markt basiert
darauf, dass Konkurrenz funktioniert. Wenn aber
jetzt auf der einen Seite gesagt wird, die Leute
können oder wollen diese unterschiedlichen
Produkte nicht verstehen, kann Markt so nicht
funktionieren. Das heißt entweder nehmen wir
wenigstens an, für einen großen Teil der Leute
kann der Markt funktionieren, weil sie es verstehen
können, wollen oder müssen. Dann ist eine
kapitalgedeckte Variante sinnvoll. Oder man sagt,
die Leute können oder wollen das nicht verstehen.
Man müsste in diesem Fall aber prinzipiell anders
über Altersvorsorge nachdenken, was auch im
Zusammenhang mit allen möglichen anderen
Produkten im Finanzmarkt zu der Frage führt, ob
wir sie dann noch haben wollen oder können. Da
ich persönlich durchaus eine Präferenz für
marktwirtschaftliche Lösungen habe, denke ich,
wir müssen alles Mögliche daransetzen, dass die
Leute es verstehen können. Ob sie es denn wollen?
Das können wir nicht beeinflussen in einem
vernünftigen freien Staat. Danke.
Ulrike Herrmann
Danke. Herr Strengmann-Kuhn.
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpolitischer
Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion
Ich möchte noch einmal das betonen, was Markus
Kurth hat es bereits angesprochen, dass die erste
Säule zu stärken ist Zu der Stärkung gehört auch,
dass die erste Säule armutsfest ist durch eine
Garantierente, Basisrente oder ähnliches. Wir
führen hier noch eine Diskussion. Aber insofern hat
die Riester-Rente nichts, aber auch gar nichts, mit
Altersarmutsbekämpfung zu tun, sondern muss on
top kommen.
Meine beiden Fragen sind erstens an Udo Philipp,
zum opt-out, das wir in den letzten Jahren auch
intern diskutiert haben. Was bedeutet das
eigentlich? Unter welchen Bedingungen darf man
herausoptieren? Ist es nur möglich, wenn man
angibt, eine andere Formkapitalgedeckter
Altersvorsorge zu nutzen? Gerhard Schick hat es
bereits diskutieret: Es gibt die einen, die eher dem
Staat und einem staatlich organisierten
Finanzprodukt vertrauen und es gibt die anderen,
die dem Staat ihr Geld nicht aushändigen
möchten, sondern es lieber privat mithilfe der
Versicherungswirtschaft anlegen. Ist das die einzige
Alternative oder gibt es noch weitere? Auch intern
haben wir diskutiert, dass es reicht, wenn man
sagt: Nein, ich will nicht. Dann wäre man
sozusagen runter vom Sofa.
Eine weitere Variante, und das würde ich gern auch
an Herrn Gatschke als Alternativmöglichkeit
weitergeben, ist, ähnlich wie Volker Meinhardt
oder Marcel Duda, zu sagen: Kapitaldeckung, um
Gottes Willen. Ich bin gerne bereit etwas zusätzlich
zu machen, aber bitte in der gesetzlichen
Rentenversicherung. Wäre es nicht auch eine
Möglichkeit, dies als weitere Option zu stärken freiwillige Zahlungen in die gesetzliche
Rentenversicherung, weil man dieser mehr traut
als dem Kapitalmarkt? So gäbe es also vier Gruppen
- diejenigen, die auf staatliche Kapitaldeckung
vertrauen, die, die auf private Kapitaldeckung
setzen, Menschen, die überhaupt nicht zusätzlich
sparen, und diejenigen, die im dargestellten Sinne
mit der gesetzlichen Rentenversicherung vorsorgen.
Ulrike Herrmann
Gern würde ich jetzt die Rednerliste schließen. Wir
fangen vielleicht mit Herrn Gatschke an.
Lars Gatschke
Ich hatte es in meinem Eingangsstatement gesagt:
Unser Konzept basiert nicht auf dem Ansatz, etwas
zu kompensieren und nur für ein Produkt da zu
sein. Es gab auch vor Riester bereits Altersvorsorge.
Sich etwas auf die hohe Kante für das Alter zu
legen, das ist ein Urprinzip. Früher gab es einen
Altenteil und ähnliches. Was wir den Verbrauchern
anbieten wollen, entsprich genau dem, was Herr
Schick gesagt hat: Wenn ich keine Lust habe, mir
darüber Gedanken zu machen, welches
Marktangebot zur Zeit und in Zukunft am besten zu
mir passen könnte, dann stecke ich das Geld in ein
Standardprodukt, das mir eine gewisse Sicherheit
bietet, in seinem Ansparprozess nachvollziehbar
ist, von einem Anlageausschuss überwacht wird
und eine akzeptable Rendite erwirtschaftet, weil
die Kosten auf ein Mindestmaß reduziert sind.
Wir kommen zu einer weiteren an mich gerichteten
Frage: Es gibt einen Anlageausschuss, der durch ein
umfangreiches Expertengremium besetzt ist, in
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 45
dem auch alle relevanten Stakeholder vertreten
sind. Der Ausschuss wird Anlagerichtlinien dazu
festlegen, wie dieser staatliche Fonds Geld zu
verwalten hat. Das ist für mich ein essentielles
Prinzip. Ich gebe nicht irgendeiner Institution
Milliarden, die dann das Geld verspekuliert,
sondern es gibt klare Regelungen, wie mit dem
Geld in bestimmten Szenarien umzugehen ist. Das
ist für mich Voraussetzung, um überhaupt
jemandem Geld anzuvertrauen. Dementsprechend
wird das Produktinformationsblatt hinsichtlich der
Anlageseite voraussichtlich genau diese Elemente
enthalten. Es wird im Kern deutlich werden, was
das Produkt kostet und nach welchen
Anlagegrundsätzen das Geld angelegt wird.
In der Tat weiß ich nicht, welche Geldleistung ich
monatlich erhalte, weil Rentenleistungen nach
dem SGB VI im Zeitpunkt des Bedingungseintritts
festgelegt werden. Die Höhe der Altersrente kenne
ich also nicht. Das ist bei Riester-Produkten, etwa
bei Barsparplänen und bei Fondssparplänen aber
genauso. Auch im Versicherungsbereich gibt es
erste Produkte, die im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses auch noch nicht festlegen,
welche Geldleistung ich in der Auszahlungsphase
erhalte. Das ist also nicht Neues. Und es macht
durchaus auch Sinn, Ansparphase und
Auszahlungsphase zu splitten. Dies erhöht den
Wettbewerb und verhindert, das ich mich schon
heute langfristig an einen unter Umständen
mäßigen Rentenfaktor binde
Noch einmal eine grundsätzliche Aussage: Wir
haben uns im Rentendialog der alten Regierung für
die freiwilligen Beiträge des Arbeitgebers in die
Rentenversicherung ausgesprochen. Wir haben es
sogar erweitert und gefordert, dass Arbeitnehmer
ebenfalls freiwillig in die gesetzliche
Rentenversicherung einzahlen können sollen.
Damit einher geht jedoch das Problem der
Umlagefinanzierung. Das Geld geht in das System
hinein und wird im selben Jahr wieder
ausgegeben. Freiwillige Beiträge könnten dazu
führen, im Jahr des Mittelzuflusses den Beitragssatz
in der Rentenversicherung massiv
herunterzufahren, um ihn dann bei der Zahlung
der erhöhten Altersrente wieder hochfahren zu
müssen. Über eine Kapitaldeckungskomponente
könnte ich ein Kapitalpolster aufbauen, das
Schwankungen bei den Beitragseinnahmen
ausgleichen kann und zukünftige Mehrleistungen
auf Grund individueller Zusatzzahlungen
demografiefest machen könnte.
Ulrike Herrmann
46 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
Danke, Herr Gatschke. Frau Haupt, hätten Sie Tipps
an die Grüne Fraktion?
Dr. Marlene Haupt
Ich glaube, das Wichtigste – da gebe ich Herrn
Strengmann-Kuhn vollkommen Recht – ist, dass
einiges an dem Obligatorium hängt in Schweden.
Vieles ist dort so günstig, weil es das Obligatorium
gibt und ich glaube, wenn man sich dafür
entscheidet, ein opt-out zu machen mit
verschiedenen Begründungen, dann wird man
nicht an das herankommen, was sich dort als
schöne IKEA-Welt liest. Das liegt natürlich in der
Sache selbst. Hinsichtlich der Transparenz und der
Informationen kann man aber sicherlich vieles
lernen, auch wenn man das System in Deutschland
grundsätzlich nicht verändern würde. Da lohnt der
Blick nach Schweden auf jeden Fall.
Ulrike Herrmann
Ja, vielen Dank. Herr Philipp, bei Ihnen gab es ja
sehr viele Fragen.
Udo Philipp
Vielleicht fange ich erst einmal mit einem Punkt zu
Markus Kurth und Wolfgang Strengmann-Kuhn an:
Es ist natürlich klar. Eine Reform der Riester-Rente,
so wie wir sie gedacht haben, ist nicht eine Lösung
der Altersarmut. Dies gelingt nur dann, wenn die
erste Säule funktioniert.
Wie funktioniert das opt-out? Wir haben in der Tat
lange darüber diskutiert und sind ganz klar zu dem
Schluss gekommen, dass wir kein Obligatorium
wollen. Das heißt eindeutig: Wenn eine Person
sagt, sie möchte nicht für die Rente vorsorgen,
dann muss sie selbstverständlich nicht für die
Rente vorsorgen.
Was hat das Ganze mit Altersvorsorge zu tun? Ist
das überhaupt vernünftig für die Menschen? Auch
das haben wir natürlich auch sehr intensiv
diskutiert. Welche Möglichkeiten gibt es heute aus
individueller Sicht? Die meisten gehen in ein
klassisches Versicherungsprodukt, was aufgrund
seiner Konstruktion, aufgrund des Garantiezinses
und aufgrund vieler anderer Faktoren eine relativ
geringe, um nicht zu sagen, sehr geringe Rendite
abwirft. Wenn man hingegen in das Basisprodukt
investieren würde, wäre es anders. Standardisiert
würde passiv investiert werden. In diesem Sinne
würden nicht Menschen arbeiten, die annehmen,
sie wüssten ganz genau, welche Firma sich wie
entwickeln wird und welches Infrastrukturprodukt
gut ist. Stattdessen sollen sie letztlich passiv
Indices nachbilden. So kann man auch angesichts
der Größe des Fonds mit extrem geringen Kosten
auskommen und damit natürlich auch bessere
Rendite erzielen. Wenn man für die Altersvorsorge
spart, heißt das ja, dass man jeden Monat
vielleicht fünfzig oder hundert Euro beiseitelegt
über viele Jahre und danach wiederum über viele
Jahre mehrere hundert Euro wieder herausnimmt.
Das heißt: Das, was normalerweise am
Aktiensparen so problematisch ist, nämlich dass
man die Volatilität als Problem empfindet - weil
man ja sagt, ich spare jetzt und ich könnte aber
morgen aufgrund eines persönlichen
Schicksalsschlages 50.000 Euro brauchen und dann
ist ausgerechnet an dem Tag die Börse im Keller,
deswegen gehe ich nicht in die Aktie - das ist ja
gerade nicht das Problem, wenn ich für die
Alterssicherung spare, weil ich dann jeden Monat
100 Euro oder 500 Euro ganz peu à peu wieder
herausnehme und so mit der Volatilität wunderbar
klarkomme., Die Schwankungen des DAX wurden ja
vorhin bereits angesprochen. Überblickt man
einen längeren Zeitraum, ist aber sehr gut zu
erkennen, dass die Rendite für Eigenkapital sehr
gut gewesen ist.
Ulrike Herrmann
Herr Schick hat jetzt die doppelte Aufgabe, noch
einmal einige Fragen zu beantworten, aber
gleichzeitig auch eine Richtung anzudeuten, was
die Grüne Fraktion aus diesem Fachgespräch
mitgenommen hat.
Dr. Gerhard Schick
Ich finde die Hinweise zu Irland und den
Landesbanken sehr valide. Ich rate allerdings, hier
die politischen Präferenzen zur Seite zu schieben
und ganz nüchtern zu sehen. Egal, ob die
Menschen staatlichen Systemen vertraut haben
oder individuell privat geplant haben, ob sie bei
Schiffsfonds der Commerzbank gelandet sind oder
aber ihr Geld in staatlich geförderten Systemen
investiert haben: Deutschland ist ein Meister darin,
seine mit hochtechnologischen Produkten erzielten
Erträge aus der Realwirtschaft in der
Finanzwirtschaft sinnlos zu verbraten. Wir sollten
mit diesem Schwachsinn aufhören. Und da sollten
wir die Ideologie zur Seite schieben, denn sowohl
die Landesbanken als auch die privaten Systeme
haben kläglich versagt. Und deswegen ergibt es
keinen Sinn, sich die Vorwürfe von rechts und links
des politischen Spektrums um die Ohren zu hauen.
Es ist alles sehr transparent, was da läuft. Es gilt,
einzig und allein darauf zu achten: Schaffen wir es,
in den jeweiligen Systemen Kontrollinstanzen
einzubauen, die sicherstellen, dass ein so
eklatantes Versagen von Finanzaufsicht und
Aufsichtsräten bezüglich interner corporate
governance, wie wir es in Deutschland bis heute
erleben, nicht noch einmal vorkommt?
Und das Zweite ist: Schaffen wir es, an bestimmten
Stellen gezielt Kostendeckel und Qualitätssicherung
einzuziehen, sodass nicht im laufenden System
sehr, sehr viel verbraten wird. Renditen sind
unsicher, Kosten hingegen sind sicher und
deswegen muss man auch an die Kostenseite
herangehen. Ich glaube, dass wird eine wichtige
Rolle spielen, weil die Diskussion hier häufig ein
wenig ideologisch ist und es in den letzten Jahren
einen sehr schlechten Track-Record in Deutschland
gab. So geht es nicht weiter.
Und da komme ich auf die Frage von Markus Kurth,
die ich die entscheidende finde. Ich glaube, daran
wird die Diskussion sich orientieren müssen.
Glauben wir, dass es mit einem verbesserten
System - durch systemimmanente Reformen gelingt, die Defizite zu lösen? Da sind wir uns
schon in unserem Wahlprogramm einig gewesen:
Nein. Denn im Rahmen dieses Systems bekommen
wir die Lücke wahrscheinlich nicht geschlossen.
Auch sehen wir, dass wir zu wenige Menschen
erreichen und dass wir gerade die Menschen, die
es dringend brauchen, nicht erreichen. Deswegen
bleibt für sehr viele Leute die Lücke ungeschlossen.
Da wollen wir nicht zuschauen. Ich glaube, hier
sind wir uns sehr einig.
Jetzt ist die Frage: Vertraut man einer neuen
Konstruktion von Kapitaldeckung und setzt darauf,
dass man - auch unter den Bedingungen der
nächsten Jahre - durch einen Standardweg, der
jedoch kein Obligatorium darstellt, diese Lücke
schließen kann? Und setzt man darauf, dass dieser
das Problem zwar nicht hundertprozentig löst, Herr
Nullmeier, aber doch weitgehend, weil es eben ein
Standardweg ist, den viele Leute auch bereit sind
zu gehen? Versucht man das Basisprodukt also so
zu gestalten, dass Freiheit und breite Streuung im
Versicherungssystem zusammengebracht werden?
Einigen wir uns darauf, dass wir zwar weder
hundert Prozent Freiheit noch eine
hundertprozentige Inanspruchnahme erreichen,
aber doch so viel, dass es in der Summe gut ist?
Oder aber glauben wir, dass wir letztlich keine
Lösung finden? Hier würde dann die die
Wachstumsdiskussion eine Rolle spielen. Glauben
wir, dass wir Renditen in dieser Größenordnung
generieren werden, damit man die Lücke füllen
kann? Ich finde, hier sollten wir sehr nüchtern
09/2015 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion| Riester | 47
diskutieren und eruieren, welche Erwartungen wir
an den privaten Kapitalmarkt richten können. Oder
glauben wir, dass das Schließen der Lücke nur über
die gesetzliche Rentenversicherung mit der
Garantierente und anderem realisiert werden
kann? Ich sehe, dass dies die entscheidende
Diskussion ist, die wir führen müssen.
Zur Frage, wie stark die Kostensenkung vom
Obligatorium abhängt: Ich glaube, ein opt-out
könnte Kosten reduzieren, auch da ein derartiger
Standardweg keine große Werbung finanzieren
müsste. Es ist klar: Ein einfaches Weiter-so kann es
nicht geben. Das gilt nicht nur für Riester - ich
nehme den Ball gern auf - natürlich dürfen wir
auch mit den Landesbanken nicht so
weitermachen wie bisher.
Ulrike Herrmann
Ja, vielen Dank. Die Veranstaltung ist jetzt zu Ende.
Ich glaube, ein Schlusswort verbietet sich. Alles,
was man sagen kann, ist: Es war wirklich sehr
interessant, auch für mich war es sehr interessant
- sowohl die Problembeschreibung als auch die
ersten Lösungen, die diskutiert wurden. Ich gebe
zurück an Markus Kurth.
Markus Kurth
Ein Schlusswort mache ich nicht, keine Sorge.
Vielen Dank, Frau Herrmann, für die Moderation.
Sie sehen und haben bemerkt, dass wir mitten in
der Diskussion sind. Gerhard Schick hat eben auch
noch einmal die Aufgaben, die vor uns stehen,
präzise beschrieben. Wir tun dies sowohl in der
Fraktion als auch im Rahmen der Partei - so auch
innerhalb der so genannten rentenpolitischen
Kommission, die im nächsten Frühjahr 2016 zum
Abschluss kommt. Nicht nur ich, sondern auch
viele weitere Mitglieder der Kommission, die heute
hier dabei waren und mitdiskutiert haben, freuen
sich natürlich über die vielen Anregungen und
Impulse und ich würde mich auch freuen, wenn
wir uns in einem ähnlichen Rahmen zur weiteren
Diskussion wiedersehen würden. Ich wünsche
Ihnen allen einen schönen und sicheren
Nachhauseweg. Vielen Dank für die Teilnahme.
48 | Riester | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | 09/2015
18/60
IST RIESTER NOCH ZU RETTEN?