Auf dass das Ei springt

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8 bis 12 Stunden, nachdem die Brunstsymptome abklingen, die Kuh sich wieder beruhigt, erfolgt der Eisprung.
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Was geschieht in der Kuh, wenn sie stierig wird? Wie und wann kommt es zum
Eisprung? Hat die Energieversorgung der Kuh Auswirkungen auf Eizelle und Eisprung?
Fragen, die zum Fruchtbarkeits-Know-how jedes Betriebleiters dazugehören.
jbg. Der Energiemangel kristal­
lisiert sich immer stärker zur
weitreichenden Ursache von Un­
fruchtbarkeit und erfolglosen Be­
samungen heraus. Die Wissen­
schaft hat in den letzten Jahren
interessante Zusammenhänge von
Stoffwechselstörungen und Frucht­
barkeitsstörungen gefunden. Nun
gibt sie Erklärungen, wie die «von
aussen» weder zu erkennenden
noch zu unterscheidenden Störun­
gen in der Reifung, Freisetzung
und Befruchtung der Eizelle mit
einer mangelhaften Energieversor­
gung der Kuh zusammenhängen.
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Wichtig: Auch bereits länger zu­
rückliegende Energielöcher wir­
ken noch lange negativ nach.
Eine Eiblase wächst
Die Entwicklung der Eizellen be­
ginnt schon während des Fetalle­
bens, wenn die zukünftige Kuh
noch nicht geboren ist, sondern als
Fötus im Bauch ihrer Mutter ist. In
ihrer Ausreifung unterbrochen,
werden sie auf den Eierstöcken
«schlafend» gespeichert. Wäh­
rend jedes Brunstzyklus werden
mehrere Eizellen in mehreren Sti­
mulationswellen aus diesem Ru­
hezustand geweckt: Sie beginnen
zu wachsen. Auch die sie umge­
benden kleinen Versorgungszel­
len vergrössern und vermehren
sich. Sie bilden schliesslich die
Wand einer kleinen Blase um die
Eizelle herum, in der die Eizelle
geschützt liegt. Eines dieser Bläs­
chen arbeitet sich zur sogenannten
Brunstblase hervor und hemmt
über einen komplizierten hormo­
nellen Regulationsmechanismus
das weitere Wachstum aller ande­
ren kleineren Eibläschen. Bei
Brunstbeginn misst eine solche
Brunstblase ca. 12 mm im Durch­
messer. Innerhalb 24 Stunden
wächst sie auf ca. 18 mm, bis sie
als dünnwandiges, prallgefülltes
Bläschen an der Oberfläche des
Eierstocks liegt.
Stoffwechsellage spiegelt
sich wider
Je grösser die Blase wird, desto
mehr Flüssigkeit wird in ihrem In­
nenraum gebildet. Über diese
Flüssigkeit wird die Eizelle er­
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nährt. Sie hat für die Versorgung
und Reifung der Eizelle eine
Schlüsselrolle. Aktuelle Untersuchungen brachten wichtige Erkenntnisse, wie sich diese «Brunstblasenflüssigkeit» in Abhängigkeit
von der Stoffwechsellage der Kuh
in ihrer Zusammensetzung ändert.
Die Konzentration von Blutzucker, Harnstoff, aber auch von
Azetonstoffen bei Stoffwechselschieflage ist in der Blasenflüssigkeit ungefähr gleich wie im Blutspiegel: Wenn die Kuh gut mit
Energie versorgt wird, wird auch
ihre Eizelle in der Brunstblase gut
ernährt. Wird der Stoffwechsel
der Kuh wegen hoher Harnstoffwerte oder Azetonstoffen belastet,
muss auch die Eizelle mit diesen
Giften kämpfen. Stoffwechselstörungen der Kuh ändern also die
Zusammensetzung der Brunstblasenflüssigkeit und schädigen die
Eizelle. Eine Trächtigkeit kommt
mit solchen Eizellen nur schwer
zustande. Da die Eizellenentwicklung und -reifung mehrere Wochen dauert, wirken sich Energiemangelzustände in der ganz
frühen Laktation häufig auch noch
dann negativ aus, wenn die Kuh
wieder besamt werden soll. Bei
nur kurzer Rastzeit sind diese Effekte natürlich am stärksten.
Interessant: Die Flüssigkeit in der
Brunstblase ist in einer induzierten
Brunst nach einer tierärztlichen Prostaglandingabe (3-Tages-Spritze)
anders zusammengesetzt als in einer natürlichen Brunst – die Eizelle
wird anders versorgt. Ist daher auch
die Trächtigkeitsrate verändert?
Eisprung nach Brunstende
Die Brunstblase bildet ein Brunsthormon (Östrogen), welches wiederum über einen komplizierten Mechanismus dem Sexualzentrum im
Gehirn signalisiert, dass die Brunstblase nun reif genug für den Eisprung ist. Die Hirnanhangdrüse
schüttet darauf das Eisprunghormon (LH) aus. Die Eizelle wird von
den Blasenwandzellen entkoppelt,
die Blasenoberfläche an einer Stelle
aufgelöst. Während des Eisprungs
reisst hier die Blasenwand ein. Die
Brunstblasenflüssigkeit spült die
Eizelle in den Eileitertrichter, der
sich über die Eisprungstelle des Eierstocks angelegt hat. Der sogenannte «Eisprung» ist in Wirklichkeit also eine «Ei-Ausspülung».
Beim Rind findet dieser Vorgang
nach dem Abklingen der äusseren
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Eizelle mit Versorgungszellen
Brunstblasenwand
Mikroskopisches Bild eines Eisprungs. Die Brunstblasenoberfläche ist
eingerissen, die Blasenflüssigkeit spült nun die grosse Eizelle, die von
kleinen, schwarz gefärbten Versorgungszellen umgeben ist, hinaus.
Brunstsymptome statt: Normalerweise rund 24 bis 36 Stunden nach
Beginn der Hauptbrunst bzw. 8 bis
12 Stunden nach deren Ende.
Der optimale Besamungs­
zeitraum
Die Samenzellen müssen nach der
Besamung noch ca. 6 Stunden im
weiblichen Genitaltrakt ausreifen,
bis sie überhaupt befruchtungsfähig
sind. Sie werden an der Eileiterwand
gebunden und «frisch gehalten» bis
nach dem Eisprung. Die Ankunft einer gesunden Eizelle im Eileiter setzt
die gereiften Samenzellen schlagartig wieder frei, die Befruchtung kann
stattfinden. Damit die zeitlichen Abläufe zueinander passen, sollte zwischen 12 und 24 Stunden nach
Beginn der Hauptbrunst/des Duldungsreflexes besamt werden.
Verzögerter Eisprung
wegen Energiemangels
Viele Betriebsleiter beklagen sich,
dass dieser vorgeschlagene opti-
male Besamungszeitraum für
manche ihrer Kühe nicht geeignet
ist. Eine lang anhaltende Brunst
oder eine Eiblase, die viele Stunden nach der eigentlich richtig terminierten Besamung immer noch
nicht gesprungen ist, sind dann als
Ursache für eine schlechte Trächtigkeitsrate in der Diskussion. Woher kommen diese zeitlichen Entgleisungen im Brunstablauf?
In Untersuchungen aus den 70erund 80er-Jahren schwanken die
Angaben, wie oft ein Eisprung
später als 24 Stunden nach dem
Abklingen der äusseren Brunstsymptome vorkommt, zwischen
19 und 31%. In einer neueren Studie (SARMENTO und BRAUN,
2006), die Kühe auf Betrieben in
Baden-Württemberg untersucht,
entdeckte man bei 46% der Tiere
eine nichtgesprungene Eiblase 12
Stunden nach dem Brunstende.
Das Phänomen ist also bei modernen Kühen wirklich häufig. Arbeiten der Uni Giessen zeigen, dass
ein grosser Zusammenhang zwischen einer hohen Milchleistung
der Kuh bzw. einer schlechten
Energieversorgung in der Brunst
Neue Forschungsergebnisse
Eine schlechte Energieversorgung der Kuh schädigt deren Eizellen
für längere Zeit und stört auch über diese Schiene die Fruchtbarkeit.
Ein Energiemangel bringt zudem die zeitlichen Abläufe während des
Eisprungs durcheinander und schiebt diesen hinaus. Besamung und
Eisprung passen nicht mehr zusammen.
Auch Eisprungspritze oder Doppelbesamungen sind nicht die Schlüssel zum Erfolg, wenn die Energieversorgung nicht passt.
und einem verspäteten Eisprung
besteht (WEHREND und BOSTEDT, 2005). Insbesondere ein
niedriger Blutzuckerspiegel ist für
eine Verzögerung des Eisprungsprozesses verantwortlich.
Die Wissenschaftler vermuten daher, dass eine gezielte Propylenglykolgabe kurz vor oder während
der Brunst bei Problemkühen, die
immer wieder umrindern, einen
positiven Effekt auf die Entwicklungsfähigkeit der Eizelle und den
Ablauf des Eisprungs haben könnte. Zur Abschätzung der Trächtigkeitschancen kann vor dem Einsatz von besonders wertvollem
(z.B. gesextem) Samen zudem ein
Ketosetest (z.B. Ketolac®) helfen.
Die Auswirkungen des Energiemangels auf die Abläufe vor und
während des Eisprungs allein
durch den Einsatz von Hormonen
(z.B. Eisprungspritze) wieder gerade zu bügeln, wird dagegen nur
in Ausnahmefällen zum Erfolg
führen. Dazu sind die Störungen
während der Eizellreifung und ihrer Freisetzung in den meisten Fällen viel zu komplex, als dass sie
durch eine einzige Spritze kompensiert werden könnten. Langfristig wird nur die intensive Ursachenforschung und -behebung
helfen.
Bringts eine Doppel­
besamung?
Ein anderer logischer Ansatz zur
Problemlösung wäre, Kühe mit
verzögertem Eisprung/verlängerter Brunst einfach doppelt (z.B. im
Abstand von 24 Stunden) zu besamen, um die zeitlichen Abläufe
von Besamung und Eisprung trotz
Verspätung optimal zusammenzubringen. Leider haben wissenschaftliche Untersuchungen keine
deutliche Verbesserung im Befruchtungsergebnis durch Doppelbesamungen bei verzögertem
Eisprung ergeben. Man geht davon aus, dass die Eizelle in diesen
Fällen überaltert und dadurch
nicht mehr befruchtbar ist oder
dass das Gebärmuttermilieu
durch die lang anhaltende Brunsthormonwirkung und z.B. Azetonstoffe für einen Embryo ungünstige Bedingungen bietet. In der
Praxis ist zudem die Diagnosestellung, ob es sich um einen verzögerten Eisprung handelt oder
nicht, schwierig, sollten doch die
Eierstöcke zur Besamung nicht
berührt werden.
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