Der erste Abend - Schreibtagebuch

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Der erste Abend - Schreibtagebuch
Willkommen in unserer exklusiven, kleinen Runde!
Wir sind sechs Rollenspielerinnen, die sich jeden Dienstagabend treffen, um in eine andere Welt
einzutauchen. Bis jetzt halten wir das seit mehr als zehn Jahren durch, wobei wir die
Veränderungen der verschiedenen Spiele wie Dungeons and Dragons stets mitgemacht haben.
Nun, im Zuge der Einführung der vierten Edition haben wir uns dazu entschlossen, eine letzte,
große Kampagne in 3.5 zu spielen. Unsere Spielleiterin versprach uns, uns in ganz Faerûn herum
führen zu wollen. Ein Grund, um noch einmal mit einem Charakter ganz von vorn zu beginnen.
Meine Aufgabe wird es sein, Aktionen wie Würfelwürfe oder auch nur sinnlose ZwischendurchUnterhaltungen und die Hauptgeschichte penibel fest zu halten. Parallel zueinander werdet ihr
auf einer Seite unsere außerspielerischen Geschehnisse verfolgen, während auf der anderen Seite
unsere Charaktere handeln werden. Dabei muss gleich betont werden, dass unsere Spielleiterin
nicht jede Regel jedes Regelwerkes penibel einhalten wird, so dass es womöglich zu
Unstimmigkeiten kommen könnte, wenn ihr unsere Geschichte lest. Überseht es einfach und
macht es in eurer Runde anders oder gar besser. Zweck dieser Notierung der letzten 3.5-Runde
ist es, die guten, alten Zeiten noch einmal zu verinnerlichen und die Erinnerung an Vergangenes
der vorherigen Jahre aufrechtzuerhalten, sie nacherleben zu können, wann immer wir die Lust
danach verspüren. Nun aber soll unsere letzte Runde ihren Anfang nehmen. Am dritten Dienstag
im Mai des Jahres 2008.
Es ist Dienstagabend, der 27.Mai 2008. Ich komme von einer anstrengenden, vierstündigen
Sitzung der angewandten Sprachwissenschaft und bin glücklich, meine Freunde auf mich warten
zu sehen. Um unsere Tafelrunde sitzen sie herum und werden gleich über mich herfallen, um zu
erfahren, wie mein Referat in dem Kurs zu Wolframs „Parzival“ gelaufen ist. Auch sie ist da, sie
deren Anblick ich jede Woche nur einmal genießen darf. Der Platz neben ihr ist wie immer frei,
denn bis auf sie wissen alle, dass ich diese Frau verehre. Selbstverständlich lasse ich mir selbiges
nicht anmerken (und auch durch diese Geschichte, wird sie es wohl nicht erfahren, denn vorerst
bleibt diese Schrift ein Geheimnis von mir und der Spielleiterin). Sie nämlich bevorzugt Männer
und man hat mich eindringlich gewarnt, ihr auch nur irgendwie näher zu kommen und damit die
Runde womöglich zu sprengen. Dabei spielen wir inzwischen solange zusammen, dass ich
glaube, man könnte uns selbst durch den Tod nicht trennen. Und anders als bei anderen Gruppen
in Musik, Film und Rollenspiel haben wir unsere Besetzung noch nie geändert. Umso ärgerlicher
ist es, dass mich unsere Spielleiterin gewissermaßen dazu nötigt, dieser Frau näher zu kommen,
denn sie hat eine spezielle Rolle. Doch das könnt ihr später im Prolog nachlesen. Nun nehmt
euch ruhig erst einmal die Zeit dazu, die Charaktere zu bestaunen, die wir uns gebastelt haben.
Ihr findet sie auf der zweiten Seite in einer größeren Übersicht aufgestellt. Ich arbeite noch daran,
Bilder für sie zu finden, denn mit meinen eigenen Zeichenkünsten ist es leider nicht weit her.
Rizzen
M ensch, weiblich, Schurke 1.Stufe, chaotisch-neutral, Gottheit:
Garagos
Attribute: ST 13, GE 15, KO 12, IN 16, W E 15, CH 13
Rüstungsklasse: 15
Rettungswürfe: REF 4, W IL 2, ZÄH 1
Ausrüstung: Rapier (M eisterarbeit, +2, 1w6+1), Dolch (+1, 1w4+1),
Beschlagene Lederrüstung (+3)
Fähigkeiten: Hinterhältiger Angriff, Fallen finden, Silberne Hände,
Flinke Finger, Verbesserte Initiative
Cromben
Schildzwerg, männlich, Barbar 1.Stufe, chaotisch-neutral,
Gottheit: Uthgar (Blauer Bär)
Attribute: ST 16, GE 16, KO 16, IN 11, WE 14, CH 10
Rüstungsklasse: 18
Rettungswürfe: REF 3, WILL 4, ZÄH 5
Ausrüstung: Zwergische Streitaxt (Meisterarbeit, +6, 1w10+3),
Wurfbeil (+2, 1w6+3), Brustplatte (+5)
Fähigkeiten: Kampfrausch, Dunkelsicht, Dickschädel,
Waffenfokus
Rob
Mensch, männlich, Kämpfer 1.Stufe, chaotisch-neutral, Gottheit: Garagos
Attribute: ST 16, GE 13, KO 13, IN 13, WE 12, CH 12
Rüstungsklasse: 16
Rettungswürfe: REF 2, WIL 2, ZÄH 4
Ausrüstung: Langschwert (+5, 1w8+3), Kompositbogen (lang, Meisterarbeit, +3,
1w8+2), Kettenhemd (+4)
Fähigkeiten: Heftiger Angriff, Heldenglück, Verbesserte Initiative, Waffenfokus
Inia
Waldelf, weiblich, Waldläufer 1.Stufe, chaotisch-neutral, Gottheit: Fenmarel Mestarine
Attribute: ST 19, GE 17, KO 13, IN 13, WE 18, CH 10
Rüstungsklasse: 16
Rettungswürfe: REF 5, WIL 4, ZÄH 3
Ausrüstung: Langschwert (+5, 1w8+4), Kurzschwert (+5, 1w6+4), Langbogen (+4,
1w8), Beschlagene Lederrüstung (Meisterarbeit, +3)
Fähigkeiten: Erzfeind (Waldelf), Spuren lesen, Tierempathie, Dämmersicht,
Kernschuss, Waidmann
Lynneth
Mensch, weiblich, Barde 1.Stufe, chaotisch-gut, Gottheit: Lliira
Attribute: ST 13, GE 15, KO 13, IN 14, WE 12, CH 17
Rüstungsklasse: 15
Rettungswürfe: REF 4, WIL 3, ZÄH 1
Ausrüstung: Dolch (+1, 1w4+1), Kurzbogen (Meisterarbeit, +3, 1w6)
Fähigkeiten: Zauber, Bardenwissen, Bardenmusik, Verbesserte Initiative, Kernschuss
Es gibt auch eine Vorgeschichte, die hier kurz erzählt sein soll. Wir Vier, Rizzen, Rob, Inia
und Cromben, haben uns bereits im Eiswindtal, nördlich des Grates der Welt kennen gelernt.
Alle Vier haben wir eine wenig beeindruckende Geschichte zu verzeichnen. Während ich
als Mensch unter Drows aufgewachsen bin, wohlgemerkt als Sklave, der schließlich fliehen
konnte, kommt Cromben vom Grat der Welt und ist aus seiner Gemeinschaft
ausgeschlossen worden, weil er sich nicht als Handwerker verdingen wollte, sondern jeden
zum Kampf herausgefordert hat, der ihm in die Quere kam. So haben wir uns schließlich
auch getroffen. Rob ist ein verurteilter Verbrecher, was er gemacht hat, will er uns nicht
sagen. Jedenfalls wurde er aus seiner Heimat, dem Dolchtal, vertrieben und traf uns
schließlich im Eiswindtal, in der einen Kneipe an, in der Cromben gerade einen Halb-Ork
von massiven Ausmaßen zum Kampf herausgefordert hatte. Inia stieß auf unserem Weg zu
einem Grabmal zu uns, eben jenes Grabmal, das uns später noch Sorgen bereiten sollte. Inia
war eine Waldelfe, die seltsamerweise Waldelfen über alles hasst. Soweit wir es verstanden
haben, wurde sie wohl permanent nur verspottet, wofür können wir aber nicht sagen. An
ihren Kampfkünsten liegt es jedenfalls nicht. Wenn sie ihr Langschwert und ihr
Kurzschwert durch die Lüfte schneiden lässt, wird uns immer ganz unwohl. Das Grabmal
war wohl verflucht. Jedenfalls trafen wir zuvor auf einen alten, sterbenden Mann, der uns
dies bekundete, wie ihr im ersten Abschnitt des Prologs lesen könnt. Mara meint, für uns
unerfahrene Abenteurer wäre das Grabmal viel zu deftig gewesen, aber schwört, dass wir
eines Tages dorthin zurückkehren werden, schon alleine, um zu erfahren, was es mit
unserem Fluch nun auf sich hat. Sie wollte einzig und allein, dass wir das Gold gleich am
Anfang des Dungeons finden, mit dem wir schließlich Lynneth in Luskan freigekauft haben.
Und ihr dürft jetzt den Prolog lesen, während in meinem Kopf noch immer rumspukt:
„Es ist verflucht“, stöhnt Mara und
bekommt einen Hustenanfall.
Wir brechen in schallendes Gelächter aus.
Selbst, wenn ihre Versuche die Stimmen
anderer nachzuahmen, sehr gut gelungen sind,
so geht es doch immer auf ihre Eigene.
Mara, 27 Jahre alt
Medizinstudentin, 12.Semester
geht dem interessanten Hobby des
Briefmarkensammelns nach
Spielleiterin
Als sie Niewinter erwähnt, freuen wir uns alle, denn wir haben Neverwinter Nights als
Mehrspieler mit Mara als Spielleiterin durchgespielt und die Stadt hat eine große Bedeutung.
Denn Niewinter ist die Stadt der Abenteuer, in der sich selbst Erststufencharaktere ein goldenes
und ruhmreiches Näschen machen können, wenn sie nicht vorher bei einer der zahlreichen
Aufgaben sterben. Aber Mara ist fair, ganz sicher schickt sie uns nur gegen ein paar Krieger in
den Kampf, wenn überhaupt. Sie kramt eine Karte hervor und knallt sie in unsere Mitte. Vor uns
eröffnet sich die Welt Faerûns in all ihrer Pracht. Um die Stadt Luskan ist ein roter Kringel
gesetzt und mit einem roten Filzstift wurde auch unser weiterer Weg eingezeichnet. Er reicht bis
Niewinter.
„Ihr seid von Luskan bis Niewinter ungefähr zwei Tage unterwegs. Ihr dürft euch also mal schön
zwei Wegrationen aus euren Charakterbögen streichen.“
„Oh, Dreck! Ich hab’ nich’ an die
Bea, 26 Jahre
Eri(ka), 27 Jahre
Wegrationen gedacht! Naja, dann muss
MTA
Floristin
Rob sich halt was jagen“, heult Bea auf.
spielt Rob
spielt Inia
„Und Inia auch. Aber der Wald ist ja gleich
kocht gerne
treibt viel Sport
in der Nähe“, stellt Eri fest. Trottel!
Prolog
a hattet ihr nach einer tagelangen Wanderung vom Grat der Welt nach Süden hin endlich
Luskan erreicht, ward glücklich über euren Pfund von sage und schreibe zwanzigtausend
Goldmünzen und was passierte? In Luskan musstet ihr Lynneth frei kaufen, die von
Geldverleihern dazu gezwungen wurde, die Schulden ihres Vaters abzubezahlen, als Lustmagd,
obwohl sie noch ein Kind von unschuldigen vierzehn Jahren war. Nicht nur das, Rizzen kam
auch noch auf die Idee, sie gänzlich aus den Händen dieser geldgierigen Zuhälter zu befreien und
opferte dafür ihren Anteil an dem ganzen Vermögen, das ihr erst vor wenigen Tagen in einem
alten Grabmal in der Nähe des Grates der Welt erbeutet hattet. Dieses Gold war noch dazu
verflucht, wie es schien, denn Rizzens Nächte waren seit dem Besuch im Grabmal unruhig
gewesen und stetig musste sie sich an die Worte des alten Mannes erinnern, der in ihren Armen
gestorben war.
s ist verflucht!“ Diese Worte hallten in Rizzens Kopf permanent wieder, selbst, als sie das
verfluchte Gold für Lynneth ausgegeben hatte. Inzwischen aber habt ihr Luskan verlassen.
Zwei Tagesreisen auf euren müden Füßen seid ihr mittlerweile entfernt und euer nächstes Ziel ist
Niewinter.
uckt mal, die Wolke sieht aus wie die Rüstung, die ich auf dem Markt von Luskan gesehen
habe.“ Cromben ist immer noch deprimiert darüber, dass er sich die Rüstung nicht kaufen
konnte, weil sie Lynneth aus den Händen dieser Geldverleiher und Zuhälter befreien mussten.
Rizzen pfeift vor sich her, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Als wäre es auch gar nicht ihre
Schuld, dass der arme Zwerg so leiden muss. Dabei war die Rüstung prächtig. Einen solchen
Bänderpanzer bekommt man nicht in jeder Stadt, noch dazu keinen so wertvollen. Angeblich
lege Magie über ihm, hatte der Verkäufer in Luskan Cromben erzählt. Magie, die es möglich
machte, Bolzen, Pfeile und sogar die kleinen Steine aus den Schleudern von versteckten
Halblingen, abzuwehren. Rizzen seufzt genervt. Die ganze Zeit spricht Cromben über nichts
Anderes. Rüstung hier, Rüstung da und seine armen dreitausend Goldmünzen. Sie sind
Abenteurer, da ist es doch möglich, dass sie schon im nächsten Grabmal noch viel mehr finden.
Sie lässt sich rücklings auf die Wiese fallen und zu ihrem Erstaunen muss sie feststellen, dass die
Wolke tatsächlich wie der Bänderpanzer aussieht, den es in Luskan gegeben hatte. Garagos treibt
seine Späßchen mit ihr. Lynneth sitzt abseits auf einem größeren Stein am Wegesrand und singt
leise ein Wanderlied. Crombens Ohren sind anderes gewöhnt, doch die Stimme des Mädchens
gefällt ihm. Sie hat sowieso ein Stein bei ihm im Brett, denn immerhin war sie ihm gegenüber
äußerst freundlich und aufgeschlossen, was Cromben seit dem Verlassen seiner Heimat eher
selten erlebt hat. Auch Rizzen mag den Klang der kindlichen Mädchenstimme, schließt die
Augen und träumt vor sich hin. Am Tag kann sie träumen, denn am Tag lässt es sich nicht
blicken. Es, dessen Namen sie nicht kennt. Es, das sie stets nur den Fluch nennt. Den Fluch, der
sie noch immer begleitet. Das Geheimnis des Grabmals konnten sie nicht lüften, nur die
zwanzigtausend Goldmünzen, die gleich im Eingangsbereich in einer großen Truhe verborgen
gewesen waren, hatten sie an sich genommen. Dafür war ein Kampf gegen zwei Ratten von
eigenartiger Größe notwendig gewesen, aber sie sind ausgebildete und gute Kämpfer. Kein
Problem also. Nichts, womit man sich länger beschäftigen musste. Aber da hatten sie sich
getäuscht und nun folgt ihnen dieser Fluch inzwischen schon über eine Woche. Rizzen hat
seitdem kein Auge mehr zugetan und wenn die Müdigkeit ihren Körper ins Traumland zerrt,
trifft sie dort auf unheimliche Gestalten und kann vermeintlich Stimmen in ihrem Kopf hören.
Aber sie ist nicht die Einzige. Obwohl Lynneth damals noch nicht zu ihrer Gruppe gehört hat,
scheint sie den Fluch wahrzunehmen, denn ängstlich schmiegt sie sich jede Nacht an ihre
Befreierin. Sie hat es auch schon gesehen. In der ersten Nacht in der Herberge im roten Viertel
von Luskan. Es war nur ein Schatten, der den Mond verdunkelt hat, aber es war da gewesen und
hatte sie zu Tode erschreckt. Seitdem begleitet es auch ihre Träume.
„Sagt mal, wo bleiben unsere beiden Jäger denn? Die sind jetzt schon wieder ewig weg. Jedes
Mal dasselbe! Kaufen sich einen Haufen Kinkerlitzchen in der Stadt, denken aber nicht daran,
sich Proviant für den nächsten Marsch einzustecken!“ grummelte Cromben in seinen Bart.
D
E
G
„Echt mal, daran hättet ihr wirklich
Susanne, 28 Jahre
denken können. Jetzt hängen wir alle paar
Lehrerin
Stunden am Wegrand fest, damit ihr ein
spielt Cromben
harmloses Vögelchen oder einen Hasen erlegt.
betreut ehrenamtlich Hundebabies
Beeilt euch wenigstens mal ein bisschen!“
Mara beschwichtigt unsere ungeduldige Zwergenfrau und holt ihre Würfel raus. Ihre Würfel ist
untertrieben. Sie hat keine Würfel, sie hat wahre Orks, die uns andauernd niederstrecken. So ein
unverschämtes Glück, wie Mara mit diesen Würfeln hat, gibt es kein zweites Mal auf der Welt
und auch nicht in Faerûn. Sie räuspert sich, blättert in ihrem schlauen Spielleiter-Handbuch,
grinst auf diese unverschämte Weise, die uns zeigt, dass es gleich richtig Ärger gibt.
„So, wollen wir doch erst einmal wissen, wie viel ihr über euer Jagdgebiet wisst. Ihr dürft gerne
alle, auch die, die sich am Wegesrand ausruhen. Ihr könnt den Anderen ja einen Tipp geben.“
Wissen über Lokales. Das haben nur meine süße Schurkin Rizzen und Lynneth.
„Oh Garagos! Das ist ja mal so was von
Davy (meine Wenigkeit), 26 Jahre
in die Hose gegangen! Ich hab’ eine 1 gewürfelt.
Germanistikstudentin, 8.Semester
Macht zusammen eine 7.“ Na klasse! Eine Sieben. spielt Rizzen
Da kann ich froh sein, wenn ich Niewinter kenne.
ist heterosexuellen Frauen verfallen
„Bei mir sieht es leider auch nicht besser aus. Ich
Andrea, 26 Jahre
hab’ nur eine 5 gewürfelt und damit eine 9.
Aber komm, der Niewinterwald ist doch bekannt.“ Notarsgehilfin
So ist sie. Sie ringt um jeden Würfelpunkt. Ja, auch spielt Lynneth
ihr bin ich verfallen. Aber das ist ja meine Marotte. ist die einzige Hete bei uns
„Jaja, reg dich nur nicht gleich wieder auf“, beschwert sich Mara und nickt bedächtig. Sie wird
uns also verraten, was es mit dem Niewinterwald auf sich hat und Inia und Rob sind gewarnt.
Allerdings wird sie das auch nicht davon abhalten, dennoch jagen zu gehen, wie ich sie kenne.
Und ich habe Recht. Sie haben sich in diesen gefährlichen Wald aufgemacht.
„Ich bleib’ mal stehen, ich glaube, ich habe da gerade etwas durchs Gebüsch hüpfen sehen“,
bemerkt Bea mit einem süffisanten Lächeln und Mara zieht nur die Augenbrauen hoch. Hier
bestimmt noch immer sie, was wir sehen. Darum würfelt sie und dann ist wiederum sie es, die
lächelt. Bea schluckt laut und der Würfel in ihrer Hand rollt nervös hin und her.
„Soso, dann würfle mal auf Entdecken. Wollen wir doch sehen, was du siehst.“
„17 insgesamt. Sag ich doch, dass ich da was durchs Gebüsch habe hüpfen sehen.“ Bea lacht.
„Hüpfen? Ich dachte immer, Schlangen würden kriechen, aber vielleicht können mittelgroße
Schlangen mit abschreckend rotem Muster ja auch hüpfen.“ Ich wusste es. Dieser Würfel und
Beas und Eris Schusselei wird uns alle noch Kopf und Kragen kosten.
„Ihr dürft gerne einmal Initiative würfeln.“ Mara deutet auf ihre Würfel, jetzt sind sie fällig.
„Initiative für Rob ist 21. Hau rein!“
„Mist, Inia hat nur eine 10 und die Schlange?“
„Darf mit einer 12 gleich nach Rob. Die Schlange ist ungefähr vier bis fünf Meter von euch
entfernt, ihr kommt also locker an sie ran mit einem Spielzug.“
„Sehr gut, dann haut Rob mit seinem Langschwert drauf und hat eine 13.“
„Sensationell, aber die Schlange hat eine RK von 16.“ Mara kann sich vor Lachen nicht halten.
„Gut, ich beruhig mich ja schon. Also, die Schlange wagt mal einen Biss in Richtung von Robs
Oberschenkel, aber oh, auch nur eine 13, damit haut sie wohl daneben.“
„Inia eilt gleich heran und mit einem Schlag ihres Langschwerts, das tausend Mal besser ist als
Robs, und hat eine 17. Trifft die? Ja, klasse. Schaden, satte 12 Punkte.“
Mara stöhnt auf. 12 bei einer mittelgroßen Schlange heißt Matsch.
„Und wenn wir die auffuttern, gibt es Immunität gegen Schlangengift, richtig?“ strahlt Bea.
„Falsch. Weißt du denn gar nichts über Biologie? Das Gift steckt in den Giftdrüsen der Schlange
und wenn wirklich Gift im Schwanz ist, stirbst du jämmerlich, klar?“ Mara lächelt hinterhältig.
I
nzwischen haben sich Inia und Rob auf die Jagd gemacht, ohne einzukalkulieren, in welche
Gefahren sie sich begeben könnten. Denn neben dem Weg, der nach Niewinter führt, liegt
nicht nur irgendein Wald, sondern der Niewinterwald und dieser ist berühmt dafür, das Grauen
zu beherbergen. Bis jetzt sind selten Überfälle auf Niewinter erfolgt und der Wald bleibt still,
aber jeder, der ihn betritt oder auch nur streift, hat Respekt vor dem, was darin lauern mag. Aber
da Inia und Rob nichts weiter übrig bleibt, müssen sie jetzt hinein, um Essen zu besorgen und
nicht zu verhungern. Ihnen ist die Gefahr bewusst, aber sie müssen sich ernähren. Vor allem Rob,
der mit seinen über zwei Metern Körpergröße Energie benötigt. Sie entfernen sich nicht allzu
weit vom Weg. Mit dem Wind werden Crombens und Rizzens Stimmen zu ihnen getragen und
Inia mit ihren empfindlichen Ohren achtet darauf, dass es auch dabei bleibt. Sich in diesem Wald
zu verirren, könnte Probleme mit sich bringen. Da bleibt Rob stehen und reckt seinen Kopf ein
Stück vor. Der zwei Meter zehn große Mann erblickt vor sich eine Schlange. Auf ihrer
schuppigen Haut zeichnet sich ein dunkelrotes Muster ab. Hinzu kommt ein bedrohliches
Zischen in seine Richtung, das verkündet, dass sie keine Sympathien für den Menschen hegt.
Noch bevor Inia ihre Fähigkeiten als Schlangenbändigern einsetzen kann, stürzt sich Rob auf die
Schlange. Diese fühlt sich bedroht. Jeglicher Betörungsversuch würde scheitern, das weiß die
erfahrene Waldläuferin. Also bleibt auch ihr nichts Anderes übrig, als ihr Schwert zu ziehen. Als
Rob auf die Schlange zustürmt, ist er jedoch zu übermütig oder die Schlange zu klein. Sein
Schwert trifft neben dem Kopf der Schlange auf den Boden. Diesen Moment der Schwäche nutzt
die Schlange. Ihr Kopf stößt vor, doch statt ihre Giftzähne in das Fleisch des Kämpfers zu
bohren, verbeißt sie sich in dem ledernen Stoff seiner Hose. Bevor sie wieder los lassen kann, ist
Inia da und gegen ihre sonstigen Gepflogenheiten lässt sie ihr Schwert mit einem Streich
niedergehen. Ein letztes Zucken fährt durch die zwei Teile der Schlange, bevor sie liegen bleibt,
ihre Zähne noch immer in Robs Hosenbein. Vorsichtig entfernt er den Kopf und wirft ihn ins
Unterholz. Inia hebt den Schwanz auf. Gebraten schmeckt der vielleicht nicht gut, aber er ist
nahrhaft und wird sie satt machen. Wenn sie noch länger auf Jagd gehen, wird Cromben wütend
werden. Sie packt den Schlangenschwanz, während Rob ein paar Hölzer aufsammelt. Ein kleines
Feuer wird für diese karge Speise genügen. Als sie zum Rastplatz ihrer Freunde zurückkehren,
senkt sich die Sonne langsam wieder dem Horizont entgegen. Wenn sie sich nach ihrer Speise
anstrengen, können sie vor Einbruch der Finsternis Niewinter erreichen. Es ist still geworden.
Nur das Knistern des kleinen Feuers am Wegrand ist zu hören. Rizzen ist auf der weichen Wiese
eingeschlafen, Cromben überprüft die Schneide seiner Axt, Lynneth beobachtet ängstlich den
Waldrand und Inia und Rob starren in die Flammen ihres Feuers, über dem der
Schlangenschwanz brät. Eine friedlichere und zugleich bedrohtere Stille hat keiner von ihnen je
erlebt. Der Schlangenschwanz schmeckt, ganz wie erwartet, scheußlich, aber aus irgendeinem
Grund hat Rob das irrwitzige Gefühl, dass er fortan gegen Gift immun sein wird. Inständig
hoffen Cromben und Inia, dass er nicht auf die Idee kommt, seine Giftimmunität zu testen. Aber
nach dem Essen will Rob zum Glück sofort aufbrechen, um Niewinter noch zu erreichen.
„Noch zwei Stunden und wir liegen in den weichen Betten einer noblen Herberge“, freut er sich
und tritt Rizzen in die Seite. Mürrisch dreht sie sich um und schläft weiter.
„Hey, aufstehen, faules Pack, wir haben keine Zeit, um jetzt schon zu pennen! Steh auf!“ brüllt
er sie an und tritt noch einmal zu, diesmal fester. Rizzen packt nach seinem Bein und zieht ihn zu
Boden. Rob kommt mit einem Scheppern auf dem Boden auf und schreit vor Schreck. Inia und
Cromben brechen in Gelächter aus, sogar Lynneth, die sonst sehr zurückhaltend ist, wagt ein
Kichern. Rob schlägt Rizzen auf den Hinterkopf und ermahnt sie, das nicht noch einmal zu tun.
„Wirst wohl langsam übermütig, was? Denk dran, dass ich dir geholfen habe, die Kleine
freizukaufen und du schuldest mir noch dreitausend Goldmünzen.“
„Mir auch“, murmelt Cromben, fühlt sich aber nicht wohl, denn das Geld hat er immerhin für
einen guten Zweck ausgegeben und es jetzt zurück zu verlangen, fühlt sich nicht gut an.
„Ich will mein Gold auch zurück haben. Gute Taten, meinetwegen, aber nicht auf meine Kosten,
verstanden, Drowsklavin?“ Inia redet sonst nicht viel und auch jetzt sind ihre Worte verbittert.
Rizzen nickt, achtet aber nicht auf die Beleidigung. Dennoch schmerzt die Erinnerung.
„Och, nimm’s ihr nicht übel, Davy, aber meine Waldelfe hat nur ein Charisma von 10“,
entschuldigt sich Eri und tätschelt meinen Kopf über den Tisch hinweg. In ihren Augen ist
Rizzen ein Kind, wie ich noch ein Kind bin. Da beugt sich Mara an mir vorbei und flüstert
Lynneth etwas zu. Diese greift zu ihren Würfeln.
„14 auf Entdecken und 10 auf Lauschen“, verkündet sie und alle zucken zusammen. Was hat
Mara da schon wieder ausgeheckt? Sie nickt bedächtig und räuspert sich. Zeit für eine neue
Begegnung. Hoffentlich nicht zu unserem Nachteil.
Ein Waldbrand, auch das noch! Mara legt eine Karte auf den Tisch und offenbart ein Waldgebiet,
das teilweise in Flammen steht. In der Mitte der Flammen liegt ein kleines, undefinierbares
Geschöpf, aber wir ahnen alle, um was es sich handeln könnte, auch wenn wir diese Kreatur so
früh im Spiel nicht erwartet hätten.
„Ein Feuerelementar? Jetzt schon? Der kann uns alle platt machen, wenn er Lust hat“, flucht Bea
und greift zu ihren Würfeln. Sie ist so überhitzt wie Rob. Irgendwie erschaffen wir uns ständig
Charaktere, die sich unseren eigenen Verhaltensweisen anpassen. Mara schüttelt den Kopf und
erklärt, dass der kleine Feuerelementar wohl kurz vorm Sterben steht, was Andrea zu einem
bedauernden Seufzer animiert. Wenn es jemanden in unserer Welt gibt, der eine rechtschaffene,
gute Gesinnung vertritt, dann ist es wohl diese Frau.
„Ich wirke auf die rote Kugel Magie entdecken und danach einen Wurf auf Zauberkunde, bitte.“
Sie hat leider nur insgesamt eine 10. Das bedeutet, sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keine
Ahnung haben, um was für einen Zauber es sich handelt und ob er für ihre Bardin nutzbar sein
wird. Aber das hat Andrea noch nie davon abgehalten, es zu probieren.
„Super, während sich unsere Bardin ihrer Magie zuwendet, schaut Rob sich mal um, ob ich noch
mehr von diesen Waldbrandstiftern im Dickicht entdecken kann. Klasse, eine 11.“
„Nein, kannst du nicht, aber ihr dürft gerne mal alle auf Entdecken würfeln, wenn ihr mögt.“
Gesagt, getan. Vier weitere Würfel rollen über den Tisch, stoßen aneinander und bleiben liegen.
Ich würfle eine 14 und komme damit insgesamt auf eine 19, was mich wohl etwas entdecken
lassen wird, wenn es etwas zu entdecken gibt. Susannes Zwerg schafft es auf eine 17 und was
soll ich sagen? Unsere Waldelfen-Waldläuferin mit ihrem Waldbonus des Waidmann-Talents
bringt es auf sage und schreibe 26. Wahrscheinlich findet sie so sogar ein
Feuerelementarbabyflämmchen im dichtesten Dickicht des ganzen Waldes. Huch, da fliegt
erneut Andreas Würfel an mir vorbei. Auf ein Zeichen von Mara hat sie noch einmal gewürfelt
und verzeichnet eine 17. Für was das wohl wieder ist?
Das war es also. Bardenwissen. Darauf hätte ich auch gleich kommen können. Scheinbar war ihr
Wurf diesmal erfolgreicher als der letzte Wissenswurf. Da hat Mara wohl die Regeln wieder
etwas erweitert oder der kleinen Bardin ist beim Anblick des zu Asche zerfallenen Wesens doch
noch die Geschichte mit den Feuerelementaren eingefallen. Alle grinsen sich an, nur Mara
räuspert sich. Sie will wissen, was wir vorhaben. Denn es gibt mehrere Möglichkeiten, das
Problem anzugehen. Bea ist sofort dafür, zum Vulkan Dankglut aufzubrechen, aber da wird es
ganz sicher nicht nur kleine Feuerelementare geben, so dass wir Anderen ein bisschen zurück
schrecken. Selbst Inia, die sonst Rob brav und treu folgt, wird von Eri zurück gepfiffen.
„Also echt, ich bin auch dafür, wir gehen nach Niewinter. Ich will keinem fiesen Feuerelementar
begegnen, der mich für den Mörder seiner Babies hält oder so was in der Art“, meint sie und
nuckelt an ihrem Strohhalm, der in einem Glas Cola steckt. Ihr Muntermacher. Damit ist der
Beschluss gefasst. Bea gibt sich geschlagen. Sie kommt ganz sicher noch zum Vulkan, aber
vorher noch ein paar Erfahrungspunkte sammeln, kann ja eigentlich auch für ihren Rob nicht
schlecht sein. Stufe 2 zu erreichen, täte uns allen gut, egal, was uns beim Vulkan auch erwarten
mag. Doch was Mara tatsächlich für uns vorgesehen hat, erahnt keiner von uns. Wir sind nur
froh, als wir endlich in Niewinter ankommen. Dort können sich Rob und Inia dann doch endlich
mal ein paar Vorräte besorgen. Susanne kann mir nur beipflichten.
W
ährend sich Inia, Rizzen und Rob noch darum streiten, wer wem etwas schuldet, entdeckt
Lynneth etwas am Waldrand. Es ist nur ganz klein. Sie kann es kaum zwischen dem
dichten Unterholz sehen. Es scheint zu taumeln, jedenfalls bewegt es sich ganz langsam und
schließlich fällt es zu Boden. Um das kleine Wesen herum, flammt das Unterholz auf.
„Bei Lliira, da ist Feuer und irgendetwas liegt dort in den Flammen, schnell!“ Sie rennt zum
Waldrand und setzt ihren Rucksack ab, um ihren Wasserschlauch heraus zu ziehen. Hoffentlich
ist noch genug darin, um das Feuer zu löschen. Doch da ist auch schon Rizzen an ihrer Seite, um
mitzuhelfen. Da sie das Feuer schnell entdeckt haben, gelingt es Rizzen und Lynneth mithilfe
des Wassers in ihren Trinkschläuchen den kleinen Brand unter Kontrolle zu bringen, während
Cromben mit der flachen Seite seiner Axt die letzten Flämmchen im Keime erstickt. Als der
Rauch ein wenig abgezogen ist und durch die Baumkronen in den dunkler werdenden Himmel
entschwindet, können sie am Boden eine zitternde, kleine Kreatur erkennen. Sie ist schwarz wie
Kohle und stößt hustend immer wieder kleine Rauchwolken aus.
„Was ist denn das?“ fragt Lynneth und beugt sich zu dem Wesen hinunter, aber Rizzen packt sie
an der Schulter. Das Mädchen ist erst Vierzehn und hat noch keine Ahnung, dass ihr Mitleid
tödliche Folgen haben kann. Zwar erkennen die fünf Gefährten nicht, um was für ein Wesen es
sich genau handelt, aber dass es das Feuer verursacht hat und demnach auch schwere
Verbrennungen auf humanoider Haut auslösen kann, wissen alle. Lynneth hält das nicht ab. Sie
nimmt aus ihrem Rucksack eine Decke heraus und legt sie um die kleine Kreatur, deren Feuer
endgültig erloschen ist. In ihrem Schoss hustet es noch ein paar Mal, bevor es stirbt und zu
Asche zerfällt. Alles, was zurück bleibt, ist ein roter Stein von der Größe einer Goblinfaust.
ynneth weist die Anderen darauf hin, ein Stück zurückzuweichen. Sie zeichnet mit dem
Finger ein seltsames Muster in die Luft und erhebt einen Spruch, der in Gesang übergeht.
Die rote Kugel beginnt zu leuchten, als würde das kleine Wesen wieder zum Leben erweckt,
doch dann versiegen das Leuchten und Lynneths Gesang. Nach einer eingehenden Untersuchung
wendet sich die junge Bardin ihren Begleitern wieder zu und schüttelt den Kopf, bevor sie die
Kugel aufhebt und in ihr Goldsäckchen steckt, in dem sich nur ein paar Münzen befinden.
„Ein Zauber liegt auf dieser Kugel, doch übersteigt seine Macht noch meine Fähigkeiten. Wenn
wir in sicherer Umgebung sind, wo nichts anbrennen kann, werde ich es ausprobieren.“
„Du kannst zaubern? Mädel, du überrascht mich, ehrlich“, staunt Cromben.
„Dich sollte eher überraschen, was ein solches Wesen hier am Waldrand zu suchen hat. Ich
glaube kaum, dass es ganz alleine unterwegs war, oder?“ bemerkt Rob und sieht sich weiter um.
Überall können diese kleinen Feuerteufel, seiner Meinung nach, lauern.
ber Rob kann im Unterholz nichts sehen. Anders als die Waldläuferin der Gruppe. Sie geht
ein Stück weiter in den Wald hinein, hockt sich hin und fährt mit der Hand über den
Waldboden. Auch Cromben und Rizzen ist es aufgefallen. Eine Brandspur, die von dem kleinen
Wesen herrühren muss. Sie führt tiefer in den Wald hinein und für die erfahrene Waldläuferin
dürfte es kein Problem sein, die Spur zu verfolgen. Doch die kleine Gruppe zögert, bis Lynneth
ihre zarte Stimme erhebt und sich erst einmal räuspern muss, bis alle ihr zuhören.
„Mir ist da noch etwas eingefallen. In Luskan gibt es viele, die aus dem Süden kommen. Manche
durchstreifen den Niewinterwald, aber viele meiden ihn auch. Angeblich gibt es dort unter dem
Vulkan Dankglut eine Menge Feuerelementare. Wäre es nicht möglich, dass die kleine Kreatur
eines von ihnen war und dass es Probleme beim Vulkan gibt? Wir sollten schnellstmöglich nach
Niewinter und dort Bericht darüber abgeben. Immerhin speist die Wärme des Vulkan den
Niewinter-Fluss und wenn er erkalten sollte, was würde dann mit den Bewohnern der Stadt
werden? Niewinter hat sich doch soeben erst von der Pest, vom Heulenden Tod, erholt.“
ob sieht zwar noch sehnsüchtig in die Richtung der Felsklüfte, dem Gebirge, in dem sich der
Vulkan Dankglut befindet, doch ihr brecht schließlich nach Niewinter auf. Vor euch liegen
noch zwei Stunden Fußmarsch, der sehr ruhig verläuft. Unterwegs begegnet euch niemand, kein
Händler, kein Wanderer, was für die Umgebung um Niewinter untypisch ist. Aber schließlich
erreicht ihr die gewaltigen Stadttore. Noch vor wenigen Jahren hat dahinter diese schreckliche
Pest geherrscht. Jetzt aber ist alles still. Als ihr näher tretet, erkennt ihr vier Wachen am Tor.
L
A
R
„Ohje ohje, Niewinter steckt wieder in der Klemme und wer muss helfen? Die armen Abenteurer,
die sich wieder von den Feuerelementaren verkohlen lassen können.“ Bea gähnt und streckt sich.
„Natürlich, dafür seid ihr doch da. Um Niewinter zu retten, immer und immer wieder“, scherzt
Mara und wird von Beas Gähnen angesteckt. „Ich würde sagen, ihr plaudert noch mit den
Wachen und dann ist Schluss für den heutigen Abend, einverstanden?“
Alle nicken. Ich bin auch müde, aber unheimlich gerne in Andreas Nähe, so dass mein Nicken
eher zaghaft wirkt. Wenn dieser Abend vorbei ist, sehe ich Andrea erst nächste Woche wieder.
Was für eine deprimierende Vorstellung.
„Fang ja nicht noch an, vor der Wache zu heulen, Andrea. Das ist peinlich. Wir sind eine
chaotisch-neutrale Truppe und du machst voll einen auf Paladinöse“, murrt Bea. In
Gesinnungsfragen ist sie immer sehr penibel. Aber sie hat vergessen, dass Andreas Bardin
chaotisch-gut ist, von daher darf sie so nett zu der Stadtwache sein. Ihre uns alle noch umbringen
werdende Probierlust dagegen, symbolisiert wunderbar ihr chaotisches Verhalten.
„Ja, vielleicht werde ich ja im weiteren Verlauf noch eine Paladinöse.“ Andrea streckt ihr die
Zunge raus. Die Zwei necken sich immer so. Es ist wie mit mir und Eri. Nichts davon ist böse
gemeint. Manchmal streiten wir uns über die nächste Vorgehensweise, aber nie so, dass wir alles
hinschmeißen würden. Bis jetzt haben wir noch jedes Abenteuer erfolgreich beendet.
„Würfle doch mal bitte auf Diplomatie, wenn du den Herren überzeugen willst“, unterbricht
Mara die kleinen Neckereien und Andrea freut sich. Als Bardin hat sie heute ordentlich zu tun.
„Eine 20. Hoffen wir das Beste.“ Sie faltet die Hände und betet, bis Mara sie beruhigen kann.
„Na herrlich, jetzt dürfen wir wieder draußen pennen.“ Eri klappert ungeduldig mit ihren
Würfeln. Es ist spät am Abend und sie hat zu viel Cola getrunken.
„Tja, tut mir Leid, ein paar Punkte besser und die Wache hätte euch eingelassen, aber so ist euer
Schicksal ihm völlig gleichgültig. Allerdings habt ihr eine Bardin dabei.“ Mara zwinkert. Ein
breites Grinsen zeigt sich auch in meinem Gesicht. Wie vorteilhaft diese Klassen doch sind! Im
Kampf völlig unbrauchbar, aber für solche Situationen einfach perfekt. Andrea knufft mich in
die Seite und da ich davon nicht genug haben kann, lästere ich noch ein wenig weiter über die
Barden, die nur unnütze Anhängsel im Kampf sind. Andrea hält mir den Mund zu und in Maras
Augen glitzert Wissen. Sie schüttelt den Kopf und ich ergebe mich, damit Andrea würfeln kann.
Andrea (Auftreten Gesang): 26
Andrea (Auftreten Tanz): 23
Hauptmann der Wache (Kämpfer 4.Stufe, Wille): 15
So, das war es denn für heute. Wir packen unsere Würfel zusammen und wollen langsam
aufbrechen. Mir fällt es wie immer schwer, Maras Wohnung zu verlassen. Bea diskutiert noch
lauthals mit ihr über die nächsten Abenteuer und drängt darauf, den Vulkan erforschen zu dürfen,
während ich mit Andrea und Susanne schon einmal die Treppen hinunter steige. Eri muss auch
noch oben geblieben sein. Überrascht uns alle nicht. Eri und Bea hängen aneinander wie die
Kletten. An der Tür verabschieden wir uns von Susanne, die meint, Cromben wäre auf Lynneths
und Rizzens Seite und würde seine beiden Mädels ganz sicher weiterhin beschützen. Wir
resümieren kurz noch über die Geschehnisse, bis wir Bea und Eri auf der Treppe hören und uns
von dannen schleichen. Andrea geht noch ein Stück mit mir. Über uns ist der Himmel klar und
so warm wie jetzt, war es seit Monaten nicht mehr.
„Es ist verflucht“, erhebt da Andrea ihre Stimme und lacht, während ich nur die Augen verdrehe.
„Ich glaube, ich werde heute Nacht tatsächlich von einem Fluch träumen“, erkläre ich und
steckte die Hände tiefer in die Jackentaschen. Das ist meine Methode, meine Aufregung
gegenüber Andrea zu vergessen, die jetzt schon mehrere Jahre anhält. An der nächsten
Straßenecke verabschieden wir uns. Eine Umarmung, mehr verlange ich nicht und sie bleibt mir
nicht verwehrt. Nächste Woche sehen wir uns wieder, das sind ihre letzten Worte an dem Abend.
W
as wollt Ihr, Fremde? Niewinter hat seine Tore geschlossen“, bemerkt eine der Wachen
mit tiefer, grollender Stimme. Er scheint nicht gut auf euch zu sprechen zu sein und dass,
wo er euch nicht einmal kennt. Das ist kein gutes Zeichen. Da tritt Rizzen vor, verbeugt sich
elegant und zieht ihren Dolch hervor, den sie dem Wächter an die Kehle hält.
„Für Abenteurer wie uns sind Wachen wie Ihr kein wirkliches Problem, verstanden?“
In diesem Moment richten sich die Spitzen von drei Hellebarden auf ihren Kopf. Rizzen lächelt.
„Wartet, bitte. Meine Begleiterin hat es nicht so gemeint. Wir haben einen langen, anstrengenden
Tag hinter uns. Seit mehreren Tagen wandern wir von Luskan nach Niewinter und wir haben
merkwürdige Geschehnisse zu melden. Als wir am Niewinterwald vorbei zogen…“
„Das will ich gar nicht hören, Mädchen. Außerdem, was macht so ein junges Ding in einer
Truppe voller Gesindel? Halten sie dich als Sklavin, da können wir gleich abhelfen.“
„Nein, mein Herr, ganz im Gegenteil. Sie haben mich erst aus der Sklaverei befreit und wollten
mich nach Niewinter bringen, denn in Luskan bin ich nicht sicher. Bitte hört uns an, mein Herr.“
a schön“, grummelt die Wache. Aus irgendeinem Grund widersteht er dem Gefühl, die fünf
Abenteurer sofort ins Gefängnis von Niewinter zu bringen. Wahrscheinlich tut ihm die
Kleine einfach Leid. Rizzen bleibt von den anderen Wachen dennoch unter Beobachtung,
während sie mit dem Finger über ihren Dolch fährt. Inzwischen erklärt Lynneth der Wache, was
im Niewinterwald geschehen ist. Die Augen der Wache weiten sich, er wendet sich flüsternd an
einen Anderen, der nur nickt und durch eine kleinere Eisentür, die in die Mauer um Niewinter
eingelassen ist, verschwindet. Nicht alle von euch deuten dies als ein gutes Zeichen.
„Jaja, wir haben in letzter Zeit Ärger mit den Feuerelementaren, das ist schon richtig. Wir
vermuten, dass die Luskan dahinter stecken. Darum waren wir auch leicht ungehalten, euch
gegenüber und darum ist auch das Stadttor in nördlicher Richtung verschlossen. Wir lassen hier
keine Luskan mehr rein und auch für euch machen wir da keine Ausnahme. Trotzdem danke für
die Informationen. Wir werden uns darum kümmern und jetzt verschwindet von hier.“
Er stößt das junge Mädchen mit seiner Hellebarde leicht an, um sie von sich zu drücken. Das war
eine deutliche Ansage. Rizzen, Cromben und Rob ziehen ihre Waffen. Sie wollen die Nacht
nicht draußen verbringen und wo sollen sie jetzt auch noch hingehen?
„Mir egal, wo es euch hin verschlägt. Nur haut von hier ab, hier kommt keiner durch, kapiert?“
om langen Tag erschöpft, habt ihr keine Lust wirklich noch gegen die Wachen anzutreten,
zumal sie deutlich besser gerüstet aussehen als ihr. Aber kampflos geschlagen wollt ihr
euch nicht geben. Als ihr ein kleines Feuer in der Nähe der Mauer entzündet und euch friedlich
gegeben habt, stimmt Lynneth ein Lied an und tanzt dazu. Es ist ein eher trauriges Lied von
einem alten Kämpfer, der in seinen letzten Tagen noch ein wenig Liebe findet, was den
Hauptmann besonders zu treffen scheint. Erst hören die Wachen eher beiläufig hin, doch nach
und nach kommen sie näher und sind völlig fasziniert von der jungen Bardin. Dem Hauptmann
der Wache laufen sogar Tränen über die Wange, als das Schauspiel endet.
„Was für eine schöne Geschichte“, säuselt er und seine Männer nicken alle betrübt. Der
Hauptmann wischt sich im Gesicht herum. Rob, Rizzen, Cromben und Inia grinsen sich an,
während Lynneth eher Mitleid für die Wache empfindet, die sich jetzt erhebt.
„Ach Mensch, ich kann euch doch hier draußen nicht schlafen lassen. Mit so einem talentierten
und jungen Ding. Na schön, ihr dürft rein. Keiner, der so wunderbar singen kann, kann ein
Verräter aus Luskan sein. Los, öffnet ihnen die Tür und bringt sie zur Blanken Planke.“
Die Wachen springen sofort auf und lassen euch durch die Eisentür passieren. In der Stadt
herrscht Stille. Es ist mitten in der Nacht und nur Diebesgesindel oder zwielichtige Gestalten
treiben sich hier noch herum. Ihr seid mitten im Schwarzseeviertel gelandet, dem Viertel der
Reichen und Adligen. Die Wache führt euch zu einer Herberge, hinter deren Fenstern gerade die
letzten Lichter erlöschen. Er deutet auf die Tür und schenkt Lynneth ein letztes Lächeln, bevor er
seine nächtliche Schicht am Stadttor wieder aufnehmen muss. Ihr betretet die Herberge und
obwohl der Wirt mit so späten Gästen nicht mehr gerechnet hätte, ist er recht zuvorkommend
und weist euch ein großes Sechs-Bett-Zimmer im ersten Stock zu, wo ihr es euch gemütlich
machen könnt. Doch auch in jener Nacht lassen die unruhigen Träume Rizzen nicht los.
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