Burkhard Scherer, Studio Bremerhaven 6.November 2011

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Burkhard Scherer, Studio Bremerhaven 6.November 2011
Burkhard Scherer, Studio Bremerhaven
6.November 2011
Premierenbericht „Faust“ von J.W. von Goethe
am Stadttheater Bremerhaven (5. November 2011)
Mod.: Man könnte das auch für Übermut oder Tollkühnheit halten, was man am Stadttheater Bremerhaven seit der letzten
Spielzeit, dem Amtsantritt des neuen Intendanten Ulrich Mokrusch, zur Eröffnung jeweils treibt: Immer munter ran an die
dicken Bretter! Im letzten Jahr war das Brittens Oper „Peter Grimes“, gefolgt von Sophokles´ „König Ödipus“, heuer ein
selbstkreiertes Amalgam von Shakespeares „Sommernachtstraum“ und Purcells „Fairy Queen“. Zwischenergebnis: Alle Bretter aber so was von gebohrt, dem Publikum zu Freude und Ergetzen. Da könnte man sich nun auf Macherseite erleichtert
entspannt zurücklehnen und es etwas leichter-seichter angehen lassen, aber das scheint irgendwie nicht zum Programm zu
gehören, denn nun war am Samstag noch die Premiere von Goethens „Faust, der Tragödie erster Teil“. Und Goethes vielschichtiges Textgebirge gelungen auf die Bühne zu hebeln, ist doch deutlich das, was man heute eine Herausforderung nennt.
Operation gelungen? Burkhard Scherer:
Die Geschichte um den gelehrten Dr. Faust und seine junge Geliebte Margarete dürfte in unseren Breiten etwa so bekannt
sein wie die Weihnachts- oder Schöpfungsgeschichte. Wie da noch erneut Spannung und Aufmerksamkeit erzeugen? Könnte
klappen durch Einsatz jeder Menge schräger Effekte. Etwa so: Auf der Suche nach paranormaler Verstärkung geht Dr. Faust
auf eine Pudelshow. 113 Pudel, aber nur in einem steckt Mephisto. Faust wählt den falschen, die Pudeldame Mizzi. Die wird
schnell krank, und der Tierarzt ist zur Kur in Meran. So etwa. Oder was mit ganz viel Sex und Schall und Rauch! Und nun
schnell Schluß mit solchem Kokolores, denn nichts von solchem findet sich in dieser Inszenierung. Aber alles, was dazugehört. Da singt Gretchen sehnsuchtsvoll
8/0.56 Es war ein König in Thule...
da ist Fausts Studierzimmer auf der Vorderbühne, links der Totenschädel, rechts die Schreibtischlampe, und der Doktor
ringend in der Mitte:
9/0.16 Ich habe nun Philosophie....klug wie zuvor
Und das soll ja nun nicht alles gewesen sein!
12/0.00 Ich fühle mich bereit, auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen, zu neuen Sphären reiner Tätigkeit
Vielleicht hilft da das Tütchen Kokain, das Faust sich ins Zahnfleisch massiert hat, oder auch was Himmlisches:
13/0.00 Christ ist erstanden, Freude den Sterblichen....
Dann man raus vor die Tür und ins volle Leben, auf der Suche nach der neuen Bahn durch den Äther. Sieht nach Aufbruch
da aus:
14/1.00 Vom Eise befreit sind Strom und Bäche....Hoffnungsglück
Das ist doch schon mal was, und dann ist da noch der anhängliche Pudel an Fausts Fersen:
19/0.10 Sei ruhig, Pudel! Renne nicht hin und wieder. Lege dich hinter den Ofen nieder , mein bestes Kissen geb´ ich dir.
Wäre für jeden Nur-Pudel ein Top-Angebot, aber der hier ist ja mehr, viel mehr:
20/0.48 Das also war des Pudels Kern.Ich salutiere dem gelehrten Herrn. Bist du Geselle ein Flüchtling der Hölle? Ich bin der
Geist, der stets verneint. Und das mit Recht, denn alles was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht. Drum besser wärs, daß
nichts entstünde.
Und im Bunde mit diesem undurchsichtigen Gesellen geht´s dann schon hinaus ins verschärfte Leben, zum Beispiel mit den
Damen, genauer: Der Dame, Gretchen:
27/0.12 Mein schönes Frollein, darf ich wagen,meinen Arm und Geleit ihr anzutragen? ..
Bin weder Frollein, weder schön, kann ungeleitet nach Hause gehn.
Das war noch nix. Zweiter Versuch:
32/0.30 Ich weiß zu gut, daß solch erfahrenen Mann mein Abendgespräch nicht unterhalten kann. - Ein Blick von dir , ein Wort,
mehr unterhält als alle Weisheit dieser Welt!
Ja, so wird da langsam ein Schuh draus, große Liebe - mit großen tragischen Konsequenzen.
38/0.28 Stöhn, auweh! Nun ist der Lümmel zahm! Nun aber fort, wir müssen gleich verschwinden, denn schon entsteht ein mörderisch Geschrei..kreischbrüll etc.
Das war Gretchens Bruder, der da gerade sein Leben aushauchte, und er bleibt ja nicht der einzige.
39/0.18 Dies irae, dies...
Es gab anhaltenden Premierenapplaus nach diesen 110 Minuten Faust am Samstag im dreiviertel besetzten Haus, und dieser
Berichterstatter hat sich keine Minute gelangweilt und ist dieser konzentrierten Inszenierung konzentriert gefolgt. Goethes
Personal wurde verschlankt, sein Text zusammengestrichen und nuanciert statuarisch geliefert, mit angemessenen Intensitäts-und Tempowechseln, durchbrochen von musikalischen Einsprengseln zwischen griechischem Chor und Bänkelgesang.
Insgesamt: Eine sehr sehenswerte Geschichte.
Und nach dem Spiel diskutierten Deutschlehrer in den dem Theater nahen Gasthäusern, ob die Streichung dieser oder jener
ihrer Lieblingsszenen legitim war. Und wenn die Gasthäuser nicht zwischendurch geschlossen wurden, tun sie das noch
heute.