Nicht ohne validierte Methoden an die Öffentlichkeit

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Nicht ohne validierte Methoden an die Öffentlichkeit
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Nicht ohne validierte Methoden an die Öffentlichkeit
Wenn die Presse über Lebensmittelskandale berichtet, beschäftigen sich amtliche
Lebensmittelchemiker eingehend mit den Vorwürfen. Im vorliegenden Fall waren dies
Bubble Teas. Diese stark gezuckerten Getränke auf der Basis von Grün- oder Schwarztee
werden mit Sirup gemischt und je nach Geschmack mit festen oder gallertartigen
flüssigkeitsgefüllten Kugeln gemischt. Wissenschaftler aus Aachen hatten festgestellt, dass
die untersuchten Bubble Teas Giftstoffe enthielten.
Lebensmittelchemiker Dr. Dirk Lachenmeier (37) vom Chemischen und
Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe ist seit 2003 für Getränke zuständig. Er prüfte die
vermeintlich gesundheitsgefährdenden Bubble Teas.
Sie haben Bubble Teas auf eine Gesundheitsgefährdung hin
untersucht.
Einerseits wurden diese im Rahmen der Routinebeprobung untersucht, denn es ist eine der
Aufgaben der amtlichen Lebensmittelüberwachung, stichprobenartig den Lebensmittelmarkt
zu überprüfen. Andererseits haben wir diese Getränke dann schwerpunktmäßig beprobt,
nachdem in einigen Presseartikeln zu lesen war, dass Bubble Tea gesundheitsschädliche Stoffe
enthält.
Zu diesem Ergebnis kamen Chemiker der RWTH Aachen…
Ja, und zwar in Zusammenarbeit mit dem Hersteller eines Analysegerätes.
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Dr. Dirk Lachenmeier © privat
Waren Ihre Ergebnisse identisch mit denen der Kollegen?
Nein. Wir konnten nicht bestätigen, dass unsere untersuchten Bubble Teas die genannten
Stoffe wie Styrol oder Acetophenon enthalten. Wir haben mit diversen Methoden, teilweise mit
mehreren Methoden über die normale Analytik hinaus danach gesucht, fanden diese Stoffe
allerdings nicht.
Wie erklären Sie sich, dass Ihr Ergebnis anders als das der Kollegen der
RWTH Aachen ausfiel?
Dafür gibt es zwei Erklärungen: Erstens waren dies nicht die exakt identischen Produkte, wobei
es nur wenige Hersteller von Vorprodukten für Bubble Teas gibt. Zweitens ist das dortige
Verfahren möglicherweise nicht valide gewesen.
Wie lässt sich sicherstellen, dass amtliche Untersuchungsergebnisse
hieb- und stichfest, also valide gemacht werden können?
Dafür gibt es verschiedene Vorschriften. Amtliche Untersuchungseinrichtungen sind laut einer
EU-Verordnung gezwungen, validierte Analysemethoden anzuwenden und müssen extern
akkreditiert sein. Hier überprüft ein externer Gutachter unsere Analytik auf ihre Richtigkeit und
Vorgaben, vor allem auf die Validierung von Analysemethoden.
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Wie lief das im Fall Ihrer Bubble-Tea-Untersuchung genau ab?
Proben des Bubble Tea. © CVUA Karlsruhe
Es gibt bestimmte Anforderungen an eine Analysemethode. Es muss die
Nachweisempfindlichkeit, die sogenannte Nachweisgrenze, gegeben sein; diese ist nötig, um
den gesuchten Stoff in den zu vermutenden Konzentrationen zu detektieren. So hatten die
Aachener Chemiker Acetophenon mit 100 ppb (Teile pro Milliarde) angegeben. Entsprechend
stellten wir unsere Methode darauf ein. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist, dass das Ergebnis
präzise ausfällt. Das heißt, bei mehrmaliger Bestimmung sollte das gleiche Ergebnis erzielt
werden bzw. die Schwankung sollte innerhalb eines bestimmten Toleranzbereiches liegen.
Das heißt, dass die von Ihnen ermittelten Ergebnisse in jedem Fall
reproduzierbar sind?
Ja. Dies ist ein wichtiges Kriterium. Weiterhin ist die Richtigkeit von großer Bedeutung.
Beispielsweise kann man diese Richtigkeit überprüfen, indem man eine bekannte
Konzentration von einem Stoff einer Lebensmittelmatrix hinzudotiert und genau diese wieder
findet.
Haben die Kollegen in Aachen dieselben Validierungsmethoden
angewandt wie Sie?
Das weiß ich nicht. In der Publikation der Arbeitsgruppe waren Ergebnisse einer
Methodenvalidierung nicht genannt.
Mit welchen Methoden gingen Sie vor bei Ihrer Untersuchung?
Wir haben beispielsweise für Styrol eine Kombination aus Gaschromatographie mit
Massenspektrometrie (GC-MS) verwendet, und für Acetophenon entwickelten wir eine NMRMethode, das ist eine Kernspinresonanzspektroskopie (NMR = nuclear magnetic resonance).
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Wie aufwendig muss man sich eine Validierung von Methoden
vorstellen?
Das ist immer mit ziemlich viel Aufwand verbunden. Es gibt genau genommen zwei Schritte:
erstens die Entwicklung einer Methode und zweitens, wenn dies gelungen ist, die
Methodenvalidierung. Dabei kann sich aber beispielsweise herausstellen, dass der
Analysenfehler zu groß und nicht akzeptabel ist. Dann muss man erneut bei null anfangen. Im
besten Fall dauert eine solche Methodenneuentwicklung einige Wochen, bei schwierigen Fällen
mehrere Monate. Ein großer Teil dieser Zeit entfällt auf die Validierung.
Das erklärt vielleicht, dass nicht immer solche MethodenValidierungen vorgenommen werden?
Ohne Validierung ist es eigentlich unverantwortlich - insbesondere in externen Mitteilungen wie
Gutachten oder bei Bevölkerungsinformationen über gesundheitlich relevante Inhaltsstoffe Analysenbefunde zu veröffentlichen. Solche Ergebnisse besitzen keinen Wert beziehungsweise
sie können Schaden anrichten, wenn falsche Maßnahmen abgeleitet werden.
Wenn eine Methode validiert ist, ist dann nochmals eine Bestätigung
durch einen externen Gutachter notwendig?
Bunt, zuckrig, aber nicht gesundheitsgefährdend. © CVUA KA
Ein amtliches Labor in der Lebensmittelüberwachung muss extern akkreditiert werden. Dabei
wird insbesondere auch die Validierung und deren Dokumentation überprüft. In der Regel
nehmen amtliche Laboratorien auch an externen Vergleichsuntersuchungen teil. Dies kann Teil
einer Validierung sein.
Für spezielle Untersuchungen wie bei Bubble Tea wird das noch nicht angeboten, wohl aber für
konventionelle Untersuchungen wie Methanol in Spirituosen oder Zucker in Limonade. Hier
gibt es regelmäßig von verschiedenen Organisatoren Laborvergleichsuntersuchungen. Bei
Teilnahme erhält man eine Probe zugeschickt, untersucht diese und vergleicht sie mit den
Ergebnissen anderer Labore.
Hat die amtliche Lebensmittelüberwachung in anderen
Bundesländern oder in Europa Zugang zu Ihren Ergebnissen und den
validierten Methoden, wenn dort eine Untersuchung der Bubble Teas
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ansteht?
Im Rahmen von verschiedenen Arbeitsgruppen besteht ein Austausch mit anderen
Bundesländern und auch europaweit. Die von Ihnen angesprochene Bubble-Tea-Methode ist
zur Veröffentlichung in einer Zeitschrift angenommen und steht prinzipiell jedem offen. Die
Methodenvalidierung ist dabei aber nicht direkt übertragbar. Selbst wenn ich meine validierte
Methode an ein anderes Labor gebe, muss diese dort nochmals revalidiert werden.
Warum ist das so?
Es gibt einfach zu viele Einflussfaktoren. Es müsste genau das gleiche Gerät eingesetzt werden,
die Labortemperatur müsste identisch sein, andere Glasgeräte werden eingesetzt usw.
Wenn ein neues Getränk - nennen wir es mal Trendgetränk - aus dem
außereuropäischen Ausland auf den deutschen Markt kommt - was
muss passieren, dass Sie es analysieren, beziehungsweise geschieht das
schon vorbeugend?
Im Prinzip sieht das EU-Lebensmittelrecht die primäre Verantwortung beim Hersteller
beziehungsweise beim Importeur. Dieser muss gewährleisten, dass das in den Verkehr
gebrachte neue Lebensmittel sicher ist. Wir führen dann stichprobenartige Kontrollen durch,
bei Erzeugnissen aus dem Ausland auch als Einfuhruntersuchungen. Generell untersuchen wir
eine bestimmte Anzahl von Proben pro Einwohner, die risikoorientiert auf Warengruppen
verteilt werden. Eine Innovation wie die Bubble Teas hätte eine höhere Priorität als zum Beispiel
die Analyse von Cola. Die Sachverständigen der Untersuchungsämter und die
Lebensmittelkontrolleure haben einen sehr guten Überblick über das Warensortiment und
beproben solche neuen Lebensmittel bevorzugt.
Sind die analytischen Geräte und Methoden in der Lage, alle
möglichen Getränkemischungen hinreichend zu untersuchen, vor
allem dann, wenn man keinen konkreten Verdacht hat, sondern
unbekannte Substanzen aufspüren möchte?
Hier sind wir in Baden-Württemberg im Bundesvergleich durch das NMR-Gerät, das wir in
Karlsruhe haben, sehr gut aufgestellt. Die NMR-Technik kann man für diese Non-TargetAnalysen (nicht-zielgerichtete Analysen) verwenden. In diesem Untersuchungsbereich nimmt
Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle in Deutschland ein, mit einem von wenigen NMRGeräten, die in der amtlichen Lebensmittelüberwachung eingesetzt sind.
Warum haben nur wenige Untersuchungsämter dieses NMR-Gerät
und was macht es so geeignet für lebensmittelanalytische
Untersuchungen?
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Es ist relativ teuer, ca. der Wert eines Einfamilienhauses in der Großstadt. Dieses Gerät erkennt
bestimmte Atome in chemischen Substanzen. Man kann beispielsweise die hochempfindliche
Wasserstoff-NMR machen; Wasserstoff ist in fast allen organischen Substanzen enthalten.
Insofern kann ich auch Stoffe finden, nach denen ich gar nicht gesucht habe, im Gegensatz zu
anderen Analyseverfahren wie Gaschromatographie etc. Entdecke ich mit NMR eine in meinen
Proben sonst nicht übliche Zusammensetzung, dann lässt sich eine Strukturzuordnung für
diese unbekannte Substanz vornehmen.
Ein offenkundig analytischer Tausendsassa wie das NMR bedarf wohl
gründlicher Einarbeitung und eines großen Sachverstandes…
Es war wohl zunächst ein Hinderungsgrund für die Einführung von NMR in die
Lebensmittelüberwachung, da die Geräte als zu kompliziert gegolten haben. Aber mittlerweile
sind diese so weit entwickelt, dass sie wie ein GC- oder HPLC-Gerät gesteuert werden können.
Die Bedienungsfreundlichkeit ist gegenüber früher deutlich gestiegen.
Gibt es Ihrer Einschätzung nach akuten Forschungsbedarf bei der
Lebensmittelanalytik? Sie publizieren viel und haben den Puls am Ohr
der Wissenschaft.
Primär ist die Grundlagenforschung bei den Universitäten angesiedelt. Was ich im Bereich der
Anwendung beobachte: Die Geräte werden immer empfindlicher und damit gibt es immer
mehr Möglichkeiten, geringste Spuren aller Arten von Substanzen in Lebensmitteln zu finden.
Das ist vielleicht auch ein Problem der Risikokommunikation. Um auf die Bubble Teas
zurückzukommen, war es sicherlich nicht sachgerecht, die Ergebnisse mit reißerischen
Schlagzeilen als Gesundheitsrisiko darzustellen; selbst dann nicht, wenn man unterstellt, dass
die Analyseergebnisse bestätigt worden wären. Die vorgefundenen Konzentrationen lagen
unterhalb jeglicher Grenze, von der ein Risiko für den Verbraucher ausgeht.
Die Fragen stellte Walter Pytlik, BioRegionUlm.
Quelle:
labor & more, 7/12. Foodanalytik: Blubbern und Glibbern. GCxGC: Eine neue Dimension in der Analytik von Bubble Tea, S. 6265
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Fachbeitrag
15.07.2013
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BioRegionUlm
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Lebensmittelanalytik - Angewandter Verbraucherschutz
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