Landesverrat: Der Fall des 1944 in der Schweiz hingerichteten

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Landesverrat: Der Fall des 1944 in der Schweiz hingerichteten
LANDESVERRAT:
DER F A L L DES 1944
IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN
A L F R E D QUADERER
PETER GEIGER
Inhalt
1. EINLEITUNG
111
Fragestellung, Quellengrundlagen
III
Verrat, Spionage, Landesverrat
112
2. LANDESVERRÄTER-URTEILE IN DER
SCHWEIZ IM ZWEITEN WELTKRIEG
113
Übersicht und Liechtensteiner Anteil
113
Todesurteile und Hinrichtungen
113
3. DER FALL «QUADERER, ROOS UND
KONSORTEN»
115
Alfred Quaderer und sein Umfeld
115
Die konkreten Straftaten
118
Der Militärgerichtsprozess
120
Warum das Todesurteil?
121
Warum keine Begnadigung?
123
Die Hinrichtung am 7. Juni 1944
128
4. INFORMATION DER ÖFFENTLICHKEIT
UND REAKTIONEN
131
5. FRAGEN ZUM FALL QUADERER
137
Rechtsstaatliches Verfahren?
137
Strafzwecke: Abschreckung, Sühne,
Gerechtigkeit?
137
Was hätte Quaderer vor einem liechtensteinischen Gericht erwartet?
137
Landesverräter auch gegenüber
Liechtenstein?
138
Verhältnismässigkeit: Den Kleinen
gehängt?
139
6. ZEIT UND MENTALITÄT
140
Quellen und Literatur
141
110
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
1
Einleitung
Am 6. Juni 1944 begann an der französischen
Westküste in der Normandie die grosse westalliierte Invasion. In jenen folgenden Junitagen entschied sich nicht nur das Schicksal Hitlerdeutschlands, sondern endete auch das Leben unzähliger
einzelner Soldaten und Personen in der Schlacht,
wie es etwa der Spielfilm «Saving Private Ryan»
(1998) veranschaulicht. Am zweiten Invasionstag,
dem 7. Juni 1944, wurde auch das Leben des 24jährigen Liechtensteiners Alfred Quaderer aus
Schaan beendet: Er wurde in der Schweiz als Spion
und Landesverräter erschossen.
Damals erfuhr man im Fürstentum von der Hinrichtung Quaderers. Sie wurde in den Radionachrichten mitgeteilt. Doch wusste man schon seinerzeit nur Vages zur ganzen Sache. Seither hat sich
auch das Wenige fast ganz verloren. Im Folgenden
soll der ausserordentliche Fall des Alfred Quaderer
detailliert dargelegt und analysiert werden, mit
Blick auch auf sein Umfeld, den Fakten folgend,
aus den Quellen dokumentiert.
FRAGESTELLUNG, QUELLENGRUNDLAGEN
Die einen Liechtensteiner betreffende Landesverräter-Hinrichtung gibt Anlass zu einer Reihe von
Fragen. Was bedeutete Landesverrat damals in der
Schweiz? Warum erfasste die Todesstrafe auch
Liechtensteiner? War er der einzige? Was hatte er
konkret verübt? Welches waren seine Motive? War
er sich der Schwere und der Konsequenzen seines
Handelns bewusst? Wie lief das Strafverfahren ab?
Hätte man ihn nicht begnadigen können? Unternahm man von Liechtenstein aus etwas für ihn?
Unter was für Umständen erfolgte die Hinrichtung?
Was erfuhr die Öffentlichkeit und wie reagierte
sie? Wäre Quaderer in Liechtenstein auch als Landesverräter abgeurteilt worden? Hat man mit ihm
den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert?
Die Quellengrundlagen für die nachfolgenden
Ausführungen sind vielfältig. Sie sind am Ende des
Beitrags im Einzelnen aufgeführt. Daher wird auf
Anmerkungen verzichtet, diese wären sehr zahlreich und würden sich ständig wiederholen. Alle
Aussagen, puzzleartig gewonnen, sind aus den angegebenen Quellen überprüfbar. Zu nennen sind
insbesondere die Archivakten im Bundesarchiv in
Bern - für die der Oberauditor der Schweizer
Armee dem Verfasser die Einsichtnahme speziell
erlaubt hat - , im Landesarchiv in Vaduz und im
Staatsarchiv St. Gallen. Das gerichtliche Hauptdossier zu Alfred Quaderer ist zwar gegenwärtig im
Bundesarchiv in Bern nicht auffindbar, doch lässt
sich praktisch alles aus den Akten der übrigen
Prozessbeteiligten, welche drei grosse Aktenbündel
füllen, erschliessen. Vieles enthielten auch die 1945
und 1946 gedruckten offiziellen Berichte von General Guisan, des Schweizer Generalstabschefs, des
Armeeauditors und des Sicherheitsdienstes der
Schweizer Armee über die Aktivdienstzeit von 1939
bis 1945. Für schweizerische Zeitungsmitteilungen
von 1944 sind der «Werdenberger & Obertoggenburger», das «St. Galler Tagblatt» und die «Ostschweiz» genutzt, ebenso das «Liechtensteiner
Volksblatt» und das «Liechtensteiner Vaterland»
durchgesehen worden. Zeitzeugen haben dem Verfasser Auskünfte zum Thema gegeben, so vorab
Fürst Franz Josef II. und der damalige Schaaner
Pfarrer Johannes Tschuor sowie einige weitere
Personen. Doch ausser Episodischem wussten und
wissen die Zeitzeugen wenig zum Fall Quaderer,
vor allem nicht die konkreten Einzelheiten, Taten
und Zusammenhänge.
Der Zürcher Strafrechtler Peter Noll hat 1980
sein Buch «Landesverrat, 17 Lebensläufe und Todesurteile» publiziert. Darin analysiert er die
Gerichtsakten der in der Schweiz hingerichteten
Landesverräter im Hinblick auf das rechtsstaatliche Verfahren. Allerdings hat Noll - als Bedingung
für Akteneinsicht - alle Namen geändert, selbst in
Quellenzitaten. So ist auch der bei Noll aufscheinende «Max Gisinger, Schwyz» blosses Pseudonym,
dem Leser allerdings kaum als solches erkennbar
und zu unliebsamen Verwechslungen geeignet. In
Wirklichkeit verbirgt sich darunter nämlich der
damals in Zug lebende Alfred Quaderer. Dennoch
ist Nolls Buch für die Kernfrage der Rechtsstaatlichkeit des Gerichtsverfahrens zentral und auch zu
vielen Detailfragen aufschlussreich. Schliesslich
111
hat Nikiaus Meienbergs faktenmässig sehr gut recherchierte, kritisch wertende Reportage von 1975,
«Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.»,
einige wertvolle Hinweise auch zum Fall Quaderer
geliefert.
Das Problem der Namen: Mit Pseudonymen hat
Noll 1980 die Täter anonymisiert. Selbst der sonst
so ungenierte Meienberg nennt 1975 Verräternamen nur mit Anfangsbuchstaben, so «Ernst S.» für
den von ihm beschriebenen Ernst Schrämli, «Q.»
für den einmal beiläufig angesprochenen Alfred
Quaderer, «R.» für dessen Komplizen Kurt Roos. In
der Kriegszeit hingegen waren Namen und Personalien von Verurteilten und Hingerichteten am
Schweizer Radio verlesen und als amtliche Mitteilungen mehrfach in den Zeitungen veröffentlicht
worden. Ebenso sind die wichtigeren verurteilten
Spione in den offiziellen Berichten des Generalstabschefs und des Armeeauditors von 1945/46
offen genannt, damals und seither für jedermann
zugänglich.
Setzt man, wie es hier im Folgenden geschehen
soll, die zahlreichen Fakten und Daten aus allen
oben genannten Quellen zusammen, so ergibt sich
ein recht dichtes und klares Bild des Falles. Dabei
werden die realen Namen der Handelnden genannt
- sie waren seinerzeit schon öffentlich - , nicht um
ihr Andenken zu schmälern, sondern um die historische Wirklichkeit objektiv wiederzugeben, Verwechslungen zu vermeiden und auch um ihnen
selber und den damals Lebenden und Handelnden
gerecht zu werden.
Der Verfasser dankt: Dem Personal des Bundesarchivs, speziell dem Oberauditor der Armee für
die Einsichtnahme in die Prozessakten im Bundesarchiv Bern; dem Personal des Landesarchivs in
Vaduz, jenem des Staatsarchivs St. Gallen, hier
Dr. Silvio Bucher, sowie des Staatsarchivs Zürich;
des Stadtarchivs Zug, hier Dr. Christian Raschle;
den Zeitzeugen, insbesondere Fürst Franz Josef IL,
Pfarrer Johannes Tschuor, Schaan, Professor Armin Linder, St. Gallen, und Ing. Meinrad Lingg,
Schaan; für Einzelmitteilungen weiteren Personen,
besonders auch Hermann Quaderer, Schaan, und
Erich Quaderer, Vaduz, Neffen von Alfred Quade112
rer; ebenso Professor Ernst Nigg, Vaduz, für Einsicht in nachgelassene Papiere seines Vaters, des
damaligen Regierungssekretärs Ferdinand Nigg;
für Einzelauskünfte verschiedenen Behördenstellen in Liechtenstein und in der Schweiz, so Hans
Meier von der Landespolizei, Vaduz, dem Zivilstandsamt in Vaduz, dem Zivilstandsamt der Stadt
Zug, hier Irene Schwendimann, dem Zivilstandsamt der Stadt Zürich; dem Kommandanten der
Festung Sargans, Oberst Ulrich Bär; schliesslich
dem Liechtenstein-Institut in Bendern und dessen
Personal, insbesondere der Bibliothekarin Eva
Rückstätter. Für die Besorgung der Abbildungsvorlagen sei dem Jahrbuch-Redaktor lic. phil. Klaus
Biedermann, der Buchgestalterin Silvia Ruppen
sowie der Schaaner Gemeindearchivarin lic. phil.
Eva Pepic gedankt.
Der vorliegende Beitrag erwächst als Nebenprodukt aus dem umfassenden Forschungsprojekt
«Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg», welches der
Verfasser am Liechtenstein-Institut in Arbeit hat.
VERRAT, SPIONAGE, L A N D E S V E R R A T
Verrat wurde und wird in allen Gemeinschaften
als schlimmstes, schändlichstes Vergehen eingestuft. Durch die Verratshandlung verbündet sich
die Verräterperson mit dem Feind. Verraten kann
man Geheimnisse oder Personen oder die Gemeinschaft als Ganzes. Geheimnisverrat wird landläufig
als Spionage umschrieben. Auseinanderzuhalten
sind hierbei militärischer, wirtschaftlicher und
politischer Nachrichtendienst, ebenso die Länder,
gegen welche dieser sich richtet oder denen er
dient. Die Begriffe «Verrat», «Verräter» wurden
seinerzeit im Sprachgebrauch unscharf umgrenzt.
In Liechtenstein rief man den Hitleranhängern als
Schimpfwort «Verröter!» nach. Damit meinte man
den Verrat an der Gemeinschaft als Ganzem, im
Sinne von Landesverrat.
Nicht alle Spionage ist Landesverrat. Als Landesverrat wurden in der Schweiz Verratshandlungen gewertet, die gegen das existentielle Landesinteresse, nämlich das Überleben der Schweiz im
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADER ER / PETER GEIGER
2
Landesverräter-Urteile
in der Schweiz
im Zweiten Weltkrieg
Zweiten Weltkrieg, gerichtet waren. Spionage, die
ein fremdes Land betraf und sich nicht gegen die
Schweiz richtete, war nicht Landesverrat, sondern
verbotener Nachrichtendienst. Im politischen Bereich galt auch das Bemühen nationalsozialistischer Schweizer, die Schweiz ans Dritte Reich
anzuschliessen, als Landesverrat. Doch war die
Todesstrafe gegen politische Landesverräter in der
Schweiz nicht möglich; gegen solche Schweizer
sprach man lange Gefängnisstrafen aus, ab 1943
konnte man sie, wenn sie im Reich weilten, ausbürgern. Um diesen politischen Landesverrat geht
es hier aber nicht. Die schweizerischen Landesverräter-Urteile ergingen wegen militärischer Spionage und Sabotage zum Nachteil der Schweiz. So
auch im Fall des Alfred Quaderer und der mit ihm
in der Schweiz Verurteilten.
Besonders merkwürdig erscheint der Umstand,
dass mit Quaderer ein Liechtensteiner als schweizerischer Landesverräter hingerichtet wurde. Der
Tatbestand des Landesverrats war nicht auf
Schweizerbürger beschränkt, er betraf auch Personen, welche in enger Verbindung zur Schweiz
standen. Hier war Liechtenstein inbegriffen, gerade in der Kriegszeit.
Man mag schliesslich fragen, wozu die folgende Ausbreitung der Einzelheiten, bis hin zu den
sehr konkreten Hinrichtungsmomenten, denn diene. Alfred Quaderers Einzelschicksal wirft Lichtkegel in dunkle Ecken, in Verwicklungen und Zusammenhänge der Kriegszeit, auf das soziale Umfeld, auf parallele Lebensläufe, auf Mentalitäten,
auf banale Motive für Verratshandlungen ebenso
wie auf existentielle Staatsinteressen, auf Politikfelder der Schweiz, Liechtensteins und des Dritten
Reiches. Schärfe und Nähe der Lichtkegel machen
erst die realen Details sichtbar, aus denen die Einzelleben bestehen und das Ganze der Geschichte
sich webt.
Ü B E R S I C H T UND LIECHTENSTEINER ANTEIL
In der Schweiz wurden wegen militärischen Landesverrats im Laufe des Krieges und bis zum Ende
des Aktivdienstes - das heisst bis zum 20. August
1945 - insgesamt 33 Todesurteile ausgesprochen,
daneben noch 50 lebenslange Zuchthausstrafen sowie weitere 218 zeitliche Zuchthausstrafen. Todesurteile gab es danach keine mehr, wohl aber weitere lebenslange und zeitliche Zuchthausstrafen
wegen Landesverrats.
Nicht alle Verurteilten waren Eidgenossen. Die
33 gefällten Landesverräter-Todesurteile ergingen
gegen 22 Schweizer, sieben Deutsche, drei Liechtensteiner und einen Franzosen. Die gegen Liechtensteiner gefällten Todesurteile machten somit
immerhin neun Prozent aus. Unter den 50 mit
lebenslangem Zuchthaus bestraften Landesverrätern figurierte ein Liechtensteiner. Die 218 zeitlichen Zuchthausstrafen für Landesverrat betrafen
neben 140 Schweizern und 59 Deutschen auch
13 Liechtensteiner, daneben vier Italiener, einen
Belgier und einen Franzosen. Schweizerische Spionage-Urteile, die nach dem 20. August 1945 ergingen, erfassten nochmals weitere Personen aus
Liechtenstein.
Die in der Schweiz gegen die Liechtensteiner,
darunter einige wenige Frauen, ausgesprochenen
Zuchthausstrafen wegen Landesverrats und wegen
Nachrichtendienstes für fremde Staaten waren
lang. Allein nach den bis zum 31. Januar 1945 gefällten Urteilen waren es für 13 liechtensteinische
Personen zusammen 89 Strafjahre. Mit später dazu
kommenden Urteilen ergaben sich weit über 100
Jahre Zuchthaus für Personen aus Liechtenstein
wegen Spionagedelikten gegen die Schweiz zugunsten Hitlerdeutschlands.
T O D E S U R T E I L E UND HINRICHTUNGEN
Hier interessieren wegen des Falles Quaderer
speziell die Todesurteile. Von den insgesamt 33
schweizerischen Todesurteilen wurden sieben im
Jahre 1942,zehn im Jahre 1943,13 im Jahre 1944
113
- darunter zwei gegen Liechtensteiner, nämlich
Alfred Quaderer und Willy Kranz - sowie noch drei
im Jahre 1945 gefällt, davon eines wiederum gegen
einen Liechtensteiner, nämlich Theo Wolfinger.
Insgesamt 17 Todesurteile gegen Landesverräter
wurden in der Schweiz vollstreckt, und zwar in den
Jahren 1942 bis 1944, darunter jenes an Alfred
Quaderer. Ein Verurteilter wurde 1945 begnadigt.
15 Todesurteile wurden in contumaciam gefällt, in
Abwesenheit der Angeklagten, so dass sie nicht
vollstreckt werden konnten. Unter diesen abwesend zum Tod Verurteilten waren die zwei erwähnten Liechtensteiner Kranz und Wolfinger.
Im bürgerlichen Strafrecht, das heisst im nichtmilitärischen Bereich, war die Todesstrafe in der
Schweiz abgeschafft, und zwar durch das neue
Strafgesetzbuch von 1937, das 1938 in der Volksabstimmung angenommen wurde und auf den
1. Januar 1942 in Kraft trat. Daher gab es im
Zweiten Weltkrieg auch keine Schweizer Todesurteile wegen politischen Landesverrats.
Dagegen blieb im 1927 neu gefassten schweizerischen Militärstrafgesetz die Todesstrafe - trotz
Einwänden von sozialdemokratischer Seite - beibehalten, wenn auch eingeschränkt auf «Kriegszeiten» oder «unmittelbar drohende Kriegsgefahr».
Solche bestand von 1939 bis 1945. Zur Anwendung
kamen vorab die Artikel 86 und 87 des schweizerischen Militärstrafgesetzes (MStG) von 1927.
Nach Artikel 86 MStG galt die Verletzung militärischer Geheimnisse als «Verräterei», nämlich
das Ausspähen und Weitergeben von «Tatsachen,
Vorkehren, Verfahren oder Gegenständen, die mit
Rücksicht auf die Landesverteidigung geheimgehalten werden», an einen fremden Staat, an dessen
Agenten oder an die Öffentlichkeit. Als Strafe war
Zuchthaus vorgesehen, in Zeiten des aktiven Truppenaufgebots nicht unter drei Jahren. Störte oder
gefährdete der Täter durch seine Verratshandlungen die Unternehmungen des schweizerischen
LIeeres, so konnte in Zeiten des Aktivdienstes lebenslängliches Zuchthaus, in Kriegszeiten gar die
Todesstrafe verhängt werden.
Nach Artikel 87 MStG wiederum galten als
«militärischer Landesverrat» Sabotagehandlungen,
114
durch welche in Zeiten aktiven Truppenaufgebots
Unternehmungen des schweizerischen Heeres direkt und indirekt gestört oder gefährdet wurden,
insbesondere durch Beschädigung oder Vernichtung von Heereseinrichtungen sowie durch Behinderung von deren Betrieb. Als Strafen war in
schweren Fällen ebenfalls lebenslängliches Zuchthaus, in Kriegszeiten die Todesstrafe möglich.
Nachdem Hitler am 10. Mai 1940 seine westlichen Nachbarstaaten überfiel, auch die Schweiz
sich unmittelbar militärisch gefährdet sah, zudem
deutlich wurde, wie verheerend sich beim deutschen Einbruch in den Niederlanden, in Belgien,
Luxemburg und Frankreich Spionage und Sabotage auswirkten, erliess der Bundesrat zweieinhalb Wochen darauf, am 28. Mai 1940, eine Verordnung, gemäss welcher bei militärischem Geheimnisverrat nach den Artikeln 86 und 87 MStG
generell auf lebenslängliches Zuchthaus oder Todesstrafe erkannt werden konnte. Dies bedeutete
eine Verschärfung der Strafandrohung für militärischen Landesverrat und sollte klar abschreckend
wirken.
Auffällig ist indes der Umstand, dass das erste
Todesurteil erst über zwei Jahre später, am 25.
September 1942, gefällt wurde und die erste Hinrichtung erst im November 1942 geschah, es war
jene des St. Gallers Ernst Schrämli. Die Gerichte
hatten 1939, 1940 und 1941 bei Spionagefällen
noch verhältnismässig milde Strafen verhängt. Als
sich aber 1941 und 1942 die von Deutschland gegen die Schweiz gerichtete und in der Schweiz verübte Spionage verstärkte und schliesslich ganze
einheimische Spionageringe aufgedeckt wurden,
sah man es für notwendig an, härter zu urteilen,
um drastisch darzutun, dass die Verräter die Existenz des Landes und das Leben der Bewohner gefährdeten.
In diesen zeitlichen und rechtlichen Rahmen im
Kriegsverlauf fügen sich Handlungen und Schicksal
Alfred Quaderers ein. Quaderer handelte nicht
allein, er gehörte zu einem verzweigten Spionagenetz. Im betreffenden Prozess im März 1944 wurden zwei Dutzend Personen abgeurteilt.
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
3
Der Fall «Quaderer, Roos
und Konsorten»
A L F R E D Q U A D E R E R UND SEIN U M F E L D
Alfred Quaderer, am 20. April 1920 geboren, war
Liechtensteiner Bürger von Schaan. Er wuchs hier
bis zur fünften Klasse Primarschule auf. Er sei da
glücklich gewesen, sagte Alfred später. Familie und
Freunde riefen ihn «Fredy». Dann zog die Familie
nach Zug, dort arbeitete der Vater, Josef Alfred, bei
Landis und Gyr, er war Elektroingenieur und ein
Erfinder. Die Familie Quaderer wohnte an der
Schwertstrasse 22. 1933 starb die ältere Schwester
von Alfred an Tuberkulose, 17-jährig. Die verbleibende Schwester Klara war ein Jahr jünger als
Alfred. Der Vater wurde magenkrank, was Geld
verschlang. Der Junge fühlte sich in Zug isoliert. Er
durchlief die Sekundärschule und absolvierte eine
Lehre als Maler für Dekorationen und Schriften.
Nach der Lehre wechselte er oft die Stelle, die Malerarbeit gefiel ihm nicht. Zeitweilig war er ohne
Arbeit.
Alfred Quaderer hatte in Zug bei den Pfadfindern den zwei Jahre jüngeren Kurt Roos, geboren
1922, kennengelernt. Die zwei Freunde verbrachten fortan die ganze Freizeit miteinander. Quaderer
hatte später eine Freundin in Uster. Roos kam aus
unerfreulichen Familienverhältnissen, war Gymnasiast, trat aber vor der Matura aus und arbeitete als
kaufmännischer Angestellter. Gemeinsam verübten
Quaderer und Roos schliesslich die Verratshandlungen, ab 1941. Leitend war dabei der etwas ältere Quaderer.
Von sich aus wären sie wohl nicht auf die Idee
gekommen, Spionage zu treiben. Die beiden bewunderten zwar die deutschen Waffenerfolge, aber
sie waren im Grunde unpolitische Burschen, verkehrten im Zuger Tanzclub, fuhren Ski, suchten
Vergnügen. Und etwas Geld. Nationalsozialisten im
ideologischen Sinne waren sie nicht, auch wenn
Quaderer später im Verhör aussagte, er sei «sehr
für die Deutschen eingenommen» gewesen. Vielmehr spannen sich die Fäden über die liechtensteinische Herkunft und die verwandtschaftlichen
Beziehungen.
In Feldkirch lebte nämlich ein etwas älterer Cousin von Alfred Quaderer, der 1911 geborene Willy
Als Bub in Schaan sei er
glücklich gewesen: Alfred
Quaderer. Ausschnitt aus
dem Klassenfoto (siehe
übernächste Seite),
um 1930
115
Weh, dessen Mutter eine Quaderer aus Schaan war.
Weh war Österreicher, seit 1938 Deutscher. Als
Nationalsozialist hatte er vor 1938 schon der illegalen NSDAP angehört. Weh war Baumeister im Feldkircher Baugeschäft Hilty. Alfred Quaderer verbrachte 1939 Ferien bei Weh in Feldkirch und fuhr
mit ihm auf Baustellen und unter anderem auf
den Brenner. Weh vermittelte dem 19-Jährigen ein
positives Bild des Dritten Reiches.
Im Krieg wurde Weh dann 1941 von der deutschen «Abwehrstelle Bregenz» der deutschen M i litärspionage beauftragt, Spionageergebnisse aus
der Schweiz zu beschaffen. Weh sagte später, er sei
dazu gezwungen worden, sonst wäre er in den
Krieg einberufen worden. Willy Weh kam im Frühjahr 1941 zu Besuch zu den Verwandten nach Zug,
mit Hintergedanken. Er sass mit der Familie Quaderer im Garten, man plauderte. Alfred begleitete
ihn noch durch die Stadt zum Bahnhof, da gab Weh
ihm plötzlich 50 Franken und forderte ihn auf, gegen mehr Geld militärisch Interessantes zu liefern.
Vom Geld verlockt, sagte Alfred zu. Den Vater Quaderer hatte Weh bei jenem Besuch in Zug ebenfalls
zur Spionage gedrängt, unabhängig vom Sohn.
Widerstrebend spähte auch der Vater in der Folge
einiges für Weh aus.
Alfred begann im Frühsommer 1941, an Weh
militärische Informationen zu liefern. Weh wiederum bewog ihn, weitere Personen in der Schweiz
anzuwerben. Alfred zog sonach bald seinen Freund
Roos ins Vertrauen und im Sommer 1941 ins
Geschäft. Er nahm Roos mit nach Liechtenstein,
zum Volksfest in Vaduz am 15. August 1941, dem
Vorabend des Fürstengeburtstages. Bei der nächsten Liechtensteinfahrt, wenig später, führte Quaderer Roos nach Schaan. Hier trafen sie sich mit Quaderers Cousin, der auf der Schaaner Post arbeitete.
Dieser lud sie zum Mittagessen ins mütterliche
«Bierhüsle» und führte sie nachher zu Weh in ein
Schaaner Privathaus. Quaderer übergab dort gestohlenes schriftliches Militärmaterial an Weh, und
Weh seinerseits überredete nun auch Roos zur
Spionage. Weh, der bei dieser Unterredung die Ziele des Nationalsozialismus pries, instruierte Quaderer und den Neuspion Roos, was sie zu tun und
116
wie sie vorzugehen hätten-. Sie sollten schweizerische Festungsanlagen ausmachen, Truppeneinheiten und Truppenbewegungen notieren, militärisches Instruktionsmaterial sowie topographische
Karten beibringen. Als Zwischenträger für Quaderer/Roos und Weh fungierte zeitweilig der erwähnte Schaaner Cousin, indem er als Postangestellter Aufträge von Weh telefonisch nach Zug
übermittelte oder Wehs Briefe an sie in Buchs zur
Post brachte - was schliesslich die Schweizer Ermittlungen erleichterte. Zur Rolle von Weh sagte
Alfred Quaderer im späteren Gerichtsverfahren im
März 1944 dann aus:
«Bei meinen ganzen Vorgehen war der Angeklagte
Weh die treibende Kraft.»
Willy Weh und andere Agenten der deutschen
Abwehr in Vorarlberg spannen weitere Fäden. In
Feldkirch arbeitete bei der dortigen Industrie- und
Handelskammer als Grenzgänger der 1921 geborene Liechtensteiner Willy Kranz aus Nendeln.
Kranz war aktives Mitglied der nationalsozialistischen «Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein». Als 18-Jähriger war er 1939 an deren gescheitertem Anschlussputsch beteiligt gewesen.
Der junge Kranz wurde nun von Feldkirch aus ab
1941 ebenfalls Richtung Schweiz eingesetzt, als
Kopf eines wachsenden Spionagenetzes in der
Schweiz und in Liechtenstein. Im Spätherbst 1941
wurde Willy Kranz durch Weh mit Quaderer und
Roos in Kontakt gebracht, indem er ihnen am
22. November 800 Franken Spionageentgelt nach
Zug zu überbringen hatte. Kranz, in Zug zuerst
unter dem Decknamen «Willy Ring» auftretend,
sagte zu Quaderer, er sei «gelernter Spion», er
habe einschlägige «Kurse in München, Innsbruck
und Berlin besucht». Kranz kam danach zu Treffen
mit Quaderer und Roos nach Zug, Zürich, Ziegelbrücke, Luzern und Erstfeld. Er brachte Geld und
neue Aufträge und ü b e r n a h m Material. Quaderer
händigte ihm auch in Schaan und Nendeln Spionagecouverts aus. Kranz übergab sie Weh, zumeist
in Schaan, wo Weh unauffällig geschäftlich verkehren konnte. Weh brachte die Beute im Auto nach
Feldkirch, wo seine Abwehr-Auftraggeber sie er-
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HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Auf dem Klassenfoto der
Primarschule Schaan,
um 1930: Alfred Quaderer
sitzt hinten in der mittleren Reihe in der fünften
Bank (sein Kopf verdeckt
im Bild die rechte Hand
von Lehrer Alfons Kranz,
rechts Pfarrer Josef
Büchel). Siehe den Bildausschnitt auf der vorangehenden Seite
117
hielten. Mindestens zehn solcher Übergaben konnten im Prozess nachgewiesen werden, wahrscheinlich waren es mehr. In umgekehrter Richtung floss
das Geld, gelegentlich 200 bis 300 Franken, damals ein guter Monatslohn. Kranz übergab das
Geld Quaderer, ein Teil davon ging an Roos.
Gerichtlich nachgewiesen wurde Quaderer der
Erhalt von zusammen gut 1200 Franken, für Roos
von gut 800 Franken, innert eineinhalb Jahren. Die
angesichts der UnVerhältnismässigkeit des Risikos doch geringen Summen beziffern die Erbärmlichkeit des Spionagegeschäfts. Die beiden jungen
Männer, wie Kranz auch, verfügten zusammen mit
ihrem Arbeitsverdienst dank der Spionagefranken
über mehr Geld für Alltag und Freizeit.
In Wehs und Kranz' Auftrag gingen Quaderer
und Roos ihrerseits in der Innerschweiz verratswillige Personen an und gewannen sie zum Mittun.
Es handelte sich vorab um einige Militärdienstleistende, von denen sie Informationen erlangten.
Willy Kranz seinerseits organisierte weitere
Spione, Liechtensteiner und Schweizer. Angeworben wurde etwa auch der Balzner Maler und Textilreisende Josef Arnold Vogt, geboren 1907, der
kurzzeitig in Vorarlberg arbeitete und darauf mit
Spionageaufträgen, als Handelsreisender getarnt,
per Bahn und Postauto durch die halbe Schweiz
fuhr, im Gebirge wanderte und eifrig militärische
Anlagen ausspähte. Zu Flause in Balzers installierte
Vogt auch zeitweilig einen aus dem Reich eingeschmuggelten Funkapparat, den er in einem Kurs
in Stuttgart zu bedienen gelernt hatte. Willy Kranz
setzte für die Spionageaufträge und für Vermittlerdienste von der Schweiz nach Liechtenstein auch
einzelne Familienmitglieder ein, so insbesondere
seinen italienischen Schwager Pietro Rossi, der in
Näfels im Glarnerland wohnte und Gelegenheit hatte, dort zu spionieren.
So ergab sich schliesslich ein Spionagering von
zusammen mindestens 25 Personen. Die wichtigsten Figuren darin waren als Organisatoren Weh
und Kranz und als regelmässige Hauptspione Quaderer, Roos und Vogt. Nur die beiden Organisatoren wussten von allem, die einzelnen Spionierenden dagegen hatten keine Übersicht, sie kannten
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meist nur eine Kontaktperson. Quaderer und Roos
standen zwischendrin, auf zwei Ebenen: An Weh
und Kranz hängend, spionierten sie hauptsächlich
selber, warben aber zudem weitere Personen an,
die für sie spionierten. Das ganze Spionagenetz
war eines von verschiedenen, die in der Schweiz und teilweise eben in und über Liechtenstein - für
LIitlerdeutschland gegen die Schweiz tätig waren.
Nach eineinhalb Jahren Tätigkeit flog es anfangs
1943 auf. Die auf immer mehr Personen ausgedehnten Untersuchungen brachten die Einzelheiten allmählich ans Licht, allerdings nicht an die
Öffentlichkeit.
DIE K O N K R E T E N S T R A F T A T E N
Quaderer spionierte zuerst ab dem Juni 1941 allein,
danach von Ende August 1941 an meistens mit seinem Freund Roos zusammen, gelegentlich agierte
noch jeder zusätzlich auf eigene Faust. Die Spionagetätigkeit erstreckte sich so vom Sommer 1941
an über eineinhalb Jahre hinweg bis zur Verhaftung am 2. Januar 1943. Was verriet Alfred Quaderer konkret? War es so schwerwiegend, dass es
dem Todesurteil rief?
Auf Wehs Anweisung notierte Alfred Quaderer
im Sommer 1941 bei jeder Gelegenheit Einteilungen, Nummern und Standorte von Schweizer Soldaten, vor allem in Zug, Baar und Zürich. Er meldete sie Weh, der ihm dafür 50 Franken gab. Quaderer brachte Weh im Sommer 1941 zweimal je
drei Schweizer Landkarten ins Fürstentum.
Im August 1941 sah Quaderer in Zug im leerstehenden Hotel «Casino», wo er Malerarbeiten
verrichtete, militärische Akten des Platzkommandos, das hier einquartiert war, auf den Tischen
liegen. A m Abend entwendete er dort solche Akten, die ohne grosse Sorgfalt in einem Koffer verwahrt waren. Darunter fand sich ein «rotes Büchlein», das Verzeichnis der Korpssammelplätze aller
schweizerischen Grenztruppen, das waren deren
Mobilisationsstandorte. Er fuhr darauf am Sonntag
nach Schaan, begleitet von Roos. Die Grenze überquerten sie im Postauto von Trübbach nach Bal-
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zers. Die militärischen Papiere aus dem CasinoDiebstahl hatte Quaderer in einem gelben Couvert
auf sich. An der Rheinbrücke mussten sie dem
Schweizer Heerespolizisten nur die Pässe zeigen.
Durchsucht wurden sie auch nachher beim Grenzübertritt nie. Als Weh in Schaan die fette Spionagebeute übernahm, stellte er Quaderer, wenn er ihm
weitere «solche Sachen» bringe, für später eine
einträgliche Stelle im Baugeschäft in Feldkirch in
Aussicht. Dies war jenes oben schon erwähnte Zusammentreffen mit Weh, bei dem Quaderer Roos
erstmals in Kontakt mit Weh brachte und Weh jenen anwarb.
Für Hitlerdeutschland war besonders das
Schweizer Reduit - der ab 1940 im Ausbau befindliche befestigte Zentralraum der Alpen - mit seinen
Zugängen und Anlagen von Interesse. Im Spätsommer 1941 spähten Quaderer und Roos gemeinsam
am Zugersee und am Ägerisee Tanksperren und
Bunker aus, so die Panzer- und Minensperren
«Murpfli» und «Lothenbach». Lothenbach liegt am
Zugersee an der engen Strasse zwischen Zug und
Schwyz. Sie erstellten genaue Skizzen der Sperren,
mit Eintragung der Örtlichkeiten, der Minenkammern und der Zündleitungen. Die Angaben gingen
an Weh.
Weh zahlte gut für das «rote Büchlein» der
Korpssammelplätze, wünschte aber auch ein Verzeichnis der Korpssammelplätze aller schweizerischen Truppen, sie wären in einem «grünen
Büchlein» zu finden. Quaderer stahl im Oktober
1941 auch dieses «grüne Büchlein» aus den CasinoBüros des Zuger Platzkommandos, dazu noch das
«weisse» Verzeichnis aller Mobilmachungsfunktionäre der Armee sowie andere greifbare Unterlagen. Quaderer brachte die Ausbeute, begleitet
von Roos, Anfang November 1941 ins Fürstentum
nach Schaan und übergab alles Weh.
Kurt Roos absolvierte vom 23. November 1941
bis zum 21. März 1942 die Schweizer Rekrutenschule, erst in Luzern, ab Mitte Februar in Mendrisio. Da boten sich Gelegenheiten. Roos stahl in
der Rekrutenschule einen Minenwerfer-Aufschlagzünder. Er schickte den Zünder per Post an Quaderer, dieser händigte ihn in Thalwil an Willy Kranz
aus. Roos beschaffte auch Waffenreglemente der
Schweizer Armee, über Quaderer gingen sie an
Weh, ebenso mehr als 20 Landkarten.
Auf Aufforderung von Weh drang Quaderer, teils
allein, teils unter Mithilfe von Roos, in den ersten
Monaten des Jahres 1942 erneut und wiederholt
ins Zuger Platzkommando ein. Einmal, im Januar
1942, blieb die Aktion erfolglos, weil die Abwartfrau erschien.
Willy Weh traf am 16. April 1942 in Zürich mit
Quaderer und Roos zusammen. Er gab ihnen
eine ganze Reihe neuer Aufträge. Unter anderem
sollten sie «das neue 20 mm-Flab-Geschoss» der
Schweiz beschaffen oder wenigstens den Fabrikationsstandort feststellen, das Geschoss weise
einen hochempfindlichen Zünderkopf auf, präzisierte Weh. Diese Mission konnten die beiden
offenbar nicht erfüllen.
Einige Tage später brach Quaderer in der Nacht
vom 21./22. April 1942 wieder ins Zuger Platzkommando ein. Er konnte grosse Umschläge mit
zahlreichen Verzeichnissen über Kompaniebüros,
Mannschaftsbaracken, Magazine, Stallungen und
ebenso zu Panzer- und Strassensperren im Reduit
mitnehmen, dazu Kriegsmobilmachungsplakate.
Im Sommer 1942 ü b e r n a h m Quaderer eine
Arbeitsstelle als Maler in Erstfeld, im GotthardReduitgebiet. Weh erteilte ihm sogleich Ausforschungsaufgaben, er solle Anlagen, Truppentransporte und Ähnliches beobachten und melden.
Quaderer kundschaftete einen für das Armeehauptquartier im Bau befindlichen Stollen am
Gotthard aus. Roos sollte ihm dazu auch Zeichnungen anfertigen, was aber nicht gelang. Quaderer
gab im November 1942 seine Stelle in Erstfeld auf.
Kurt Roos leistete im Juni und Juli 1942 als
Infanterie-Kanonier Aktivdienst in seiner Truppeneinheit, der Stabskompanie 48 im Gebirgsinfanterie-Regiment 37. Und im August 1942 absolvierte
er noch einen Hochgebirgskurs der 8. Division im
Gotthardgebiet. Bei dieser Gelegenheit spionierte
Roos die Festung «Sasso da Pigna» aus. Dieses
neue Kasemattenwerk lag 800 Meter östlich des
Gotthard-Hospizes, es war seit dem Herbst 1941 im
Bau und erhielt vier 10,5 cm-Kanonen und vier
119
15 cm-Kanonen, die ersteren waren ab Mitte 1943
schussbereit, die zweiten 1944. Roos nun lieferte
Quaderer nach seinem Hochgebirgskurs einen genauen Plan des Festungswerks «Sasso da Pigna»,
samt Angaben über die Postierung der Geschütze,
Maschinengewehre, Munitionsstollen und Unterkünfte.
Quaderer und Roos verleiteten auch drei weitere, junge schweizerische Wehrmänner, darunter
einen Korporal, dazu, ihnen gegen Geld militärisch
Geheimes zu verraten. So erlangten sie von zwei
Funkern Chiffrierverfahren und Codes der schweizerischen Funkertruppen, Angaben über die Einrichtung des Funkerzentrums Morschach ob dem
Vierwaldstättersee und über die von dort bestehenden Verbindungen zum Armeestab und zu den
Armeekorpskommandos, dazu Informationen über
die Organisation und den Betrieb von Funkerstationen im Gebiet von Altdorf über Luzern bis nach
Interlaken und zum Sustenpass. Alles kam in deutsche Hände, über Kranz und Weh nach Feldkirch
und von dort nach Bregenz und weiter.
Mit all den von Quaderer und Roos begangenen
Handlungen, so wertete später das Gericht, waren
Teile des Reduits und insbesondere «das Gerippe
der Abwehrorganisation» der Schweiz verraten.
Die Folgen galten als grossenteils irreparabel.
Deutschland hätte bei einem Angriff die Mobilisation der Schweizer Armee erheblich stören oder
sogar verunmöglichen können. Der organisierte
Widerstand der Schweiz war gefährdet. Entsprechend urteilte das Militärgericht.
DER MILITÄRGERICHTSPROZESS
Das Treiben von Alfred Quaderer, Kurt Roos und
Konsorten, wie der grössere Spionagering etwa
genannt wurde, flog Anfang 1943 auf. Manches
war aufgefallen, die Spionierenden waren im Grunde unprofessionelle Dilettanten. Die Spionageabwehr hatte unter anderem die Diebstähle im Zuger
Platzkommando entdeckt. Sie stiess auf Quaderer,
der observiert wurde.
120
Alfred Quaderer wurde am 2. Januar 1943 an
der Grenze in Buchs aus dem Postauto heraus
verhaftet, als er von Schaan aus mit Roos und zwei
Schaaner Cousins nach Wildhaus zum Skifahren
unterwegs war. In Kürze sass fast der ganze Spionagering in Haft, ausser den beiden Köpfen Willy
Weh und Willy Kranz, die in Feldkirch blieben.
Alfred Quaderer wurde zuerst im Rathaus in Buchs
und dann in Zürich polizeilich verhört und bald ins
Bezirksgefängnis St. Gallen verlegt. Am 13. Januar
1943 begann die gerichtliche Voruntersuchung.
Quaderer gestand, nach anfänglichem Leugnen.
In Untersuchungshaft genommen wurde auch
der Vater, Josef Alfred Quaderer. Bei ihm fand man
nämlich Fotos und geographische Karten mit militärischen Einträgen von Anlagen am Zugerberg
und am Zürichsee. Gleiches hatte er Weh geliefert.
Quaderer senior starb aber schon im März 1943
während der Untersuchungshaft in St. Gallen. In
Schaan hielt sich bis heute die Meinung, er habe
Selbstmord begangen. Als Todesursache ist indes
ein durchgebrochenes Magengeschwür genannt.
Quaderer senior wäre angesichts des Belastungsmaterials zweifellos ebenfalls verurteilt worden,
aber sicher nicht zum Tode.
Die Strafuntersucbung, die sich bald auf über
zwei Dutzend Verdächtige erstreckte, und die Vorbereitung der Anklagen füllten das ganze Jahr 1943
und die Monate bis zum März 1944. Alfred Quaderer sass in dieser ganzen Zeit als Untersuchungshäftling in Einzelhaft in St. Gallen; bis zum Ende wurden es fast eineinhalb Jahre. Er empfand das Gefängnisessen als knapp, Zigaretten mangelten ihm.
Straffälle nach Militärstrafgesetz wurden nicht
von bürgerlichen, sondern von Militärgerichten behandelt. Neben den Divisionsgerichten bestanden
Territorialgerichte. In der Strafsache «Quaderer,
Roos und Konsorten» urteilte das Territorialgericht
3b in St. Gallen.
Das Verfahren lief ab wie bei einem zivilen
Gericht. Ein militärischer Untersuchungsrichter,
Hauptmann E. Brunner, führte die Voruntersuchung, danach erfolgte die Überweisung ans Gericht durch den Auditor - wie der Ankläger oder
Staatsanwalt hiess -, und darauf kam es zur
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Hauptverhandlung. Auditor war Major Paul Popp,
St. Gallen. Jeder Angeklagte hatte einen Verteidiger. Für Alfred Quaderer amtete der St. Galler Dr.
Rolf Zollikofer, Rapperswil, als Pflichtverteidiger.
Dem Territorialgericht 3b gehörten sieben Richter
an, alles Militärpersonen. Vorsitzender «Grossrichter» war ein hoher Offizier, in diesem Falle Oberstleutnant Hans Roth aus Zürich. Richter waren drei
weitere Offiziere, nämlich ein Oberst, ein Oberstleutnant und ein Oberleutnant, sowie drei Unteroffiziere, nämlich ein Fourier, ein Wachtmeister
und ein Korporal. Alle Mitglieder des Gerichts
stammten aus der Ostschweiz, nämlich aus den
Kantonen St. Gallen, Appenzell und Glarus, der
Vorsitzende aus Zürich.
Ein Todesurteil kam nur zustande, wenn mindestens sechs der sieben Richter dafür stimmten.
Nach dem LJrteil gab es die Möglichkeit der Kassationsbeschwerde an das Militärkassationsgericht,
welches das Urteil bei Gesetzesverletzung oder
willkürlichem Ermessen für nichtig erklären konnte, dann wäre es zur Neubeurteilung ans Gericht
zurückgegangen. Nach Abweisung einer Kassationsbeschwerde blieb als letztes ein Begnadigungsgesuch an die Vereinigte Bundesversammlung.
Die Hauptverhandlungen gegen insgesamt 22
Personen des Spionagerings fanden im März 1944
in St. Gallen statt. LIauptangeklagte waren hierbei
Alfred Quaderer, Kurt Roos und Willy Kranz - diese drei wurden zum Tode verurteilt - sowie Willy
Weh, Pietro Rossi, Josef Arnold Vogt und die zwei
Funker-Pioniere Willy Llürlimann und Georg Ursprung - die alle zu lebenslänglichem Zuchthaus
verurteilt wurden - , dazu der Füsilier-Korporal
Alois Landolt, der 20 Jahre Zuchthaus erhielt. Die
weiteren Strafen bewegten sich von 14 Jahren
Zuchthaus an abwärts.
WARUM DAS T O D E S U R T E I L ?
Die gesetzlichen Grundlagen für das schwerste
Urteil, jenes des Todes, waren gegeben. Quaderers
Taten erfüllten den Tatbestand nach Artikel 86
Militärstrafgesetz, nämlich die Störung und Ge-
fährdung der Unternehmungen des LIeeres, indem
er «das Gerippe der Abwehrorganisation» der
Schweiz verraten hatte (dieses und die in diesem
Abschnitt folgenden Zitate folgen den bei Noll wiedergegebenen Quellenstellen). Das urteilende Gericht folgerte:
«Verrat objektiv schwerster Art ist somit begangen
worden.»
Aber, argumentierte das Gericht, die Todesstrafe,
als «das schwerste Übel
das man einem Menschen zufügen kann», sollte grundsätzlich nur ausgesprochen werden, wenn auch «subjektiv schwerste Schuld» vorliege. Eine solche bejahte das
Gericht ebenfalls. Einziges Motiv Quaderers sei
«Geldgier» gewesen. Mit Deutschland, für das er
spionierte, verbänden ihn keine «vaterländischen»,
allenfalls «achtenswerten Momente», keinerlei
«ethische Beweggründe». Er sei skrupellos vorgegangen, habe
«hemmungslos
alles ausspioniert
und, verraten,
was ihm zugänglich
war».
Er habe die Geheimnisse, um mehr Geld zu erlangen, ratenweise verkauft und dabei zeitweilig noch
seinen Freund Roos hintergangen.
Das Gericht war sich bewusst, dass Quaderer
Liechtensteiner, nicht Schweizer war. Es argumentierte indes, als Liechtensteiner sei er
«Bürger eines mit der Schweiz in engster Freundschaft verbundenen ... Landes»,
das wie die Schweiz zur Zeit nicht in den Krieg einbezogen sei; er sei in der Schweiz aufgewachsen,
habe hier die Schulen besucht, hier eine Malerlehre absolviert und ein Auskommen gefunden;
während die Schweizerbürger Aktivdienst leisten
mussten, habe er hier weiterleben können wie zuvor. Er aber habe in verabscheuungswürdiger Weise «Verrat dem Gastlande gegenüber» begangen.
Der Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, plädierte
für Quaderer auf lebenslängliches Zuchthaus. Doch
das Gericht brach über Quaderer den Stab, indem
es einstimmig zum Schluss kam:
«Es liegt... sowohl subjektiv wie objektiv ein Fall
schwerster Art vor, der im Interesse der Landessicherheit die Todesstrafe
erheischt.»
121
Das Urteil für Alfred Quaderer wurde am 18. März
1944 vom Territorialgericht 3b ausgesprochen, in
St. Gallen, im Gerichtshaus an der Neugasse 3, im
heute noch dunkel getäferten Bezirksgerichtssaal,
unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In eigentümlich dürrer Rechtssprache besagte es:
«Quaderer Alfred Hermann
wird schuldig erklärt der wiederholten
Verletzung
militärischer
Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der wiederholten versuchten
Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne der Verräterei, der Anstiftung
zur Verletzung militärischer Geheimnisse im Sinne
der Verräterei, der versuchten Anstiftung
hiezu,
der wiederholten
Gehilfenschaft
zur Verletzung
militärischer
Geheimnisse, des Ungehorsams gegen allgemeine Anordnungen,
des wiederholten
Verurteilungen wegen
Landesverrats im Fall
Quaderer, Roos und Konsorten am 18. März
1944. Die hier wiedergegebene amtliche Mitteilung aus dem «Werdenberger & Obertoggenburger» («W&O») vom
22. März 1944 erschien in
praktisch allen Schweizer
Zeitungen sowie wörtlich
gleich, ausser mit leicht
geändertem Titel, auch im
«Liechtensteiner Volksblatt» vom 23. März 1944
militärischen Nachrichtendienstes,
des wiederholten Diebstahls, der wiederholten
Hehlerei
und einstimmig
verurteilt:
1. zum Tode durch
Erschiessen.»
Gleichentags wurden im selben Saal auch die
andern 21 Urteile gefällt, darunter die Todesverdikte gegen Kurt Roos und den allerdings abwesenden Willy Kranz. Weitere Urteile waren schon in
den Tagen zuvor ergangen, unter anderem gegen
Liechtensteiner.
Mit solchem Ausgang hatten Quaderer und Roos
nicht gerechnet, weder während ihrer Spionagetätigkeit noch während des Prozesses. Ein erstes
Todesurteil war erst in den letzten Monaten ihrer
Spionagezeit, nämlich wie erwähnt im September
Verurteilungen roegen Conbesoerrotes
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3 u dj t h a u s ,
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6. U r f p r u n g © e o r g , geb. 1922, <yunfer=SBio=
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fjeren 3ud)thausftrajen o e r u r t e i l t .
rote 3ug, j u l e b e n s l ä n g l i d j e m 3 u d ) t f j a u s ,
inne 10 3ahren (Einftetiung i n ber b ü r g e r l i c h e n g f j r e m
D i e SBcrurieilten haben i n ber 3eit oom Som=
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mer 1941 b i s D e j c m b e r 1942 m i l i t a r i f d j e ffie=
Deut*
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SBe-p o r a l , S t u b e n t , oon unb i n SRüfels, su 2 0 3 a fj = ten u n b j u m t e i l fid) burd) (Einbrüche roidjtige
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LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
1942 ergangen, die erste Hinrichtung im November
1942 erfolgt. Bis dahin jedenfalls hatten Quaderer
und Roos kaum an eine solche Sanktion für ihr
Treiben gedacht.
Auch im Laufe der Untersuchungshaft waren
Quaderer und Roos, die auch im Gefängnis «in geheimer Verbindung miteinander» standen, offenbar noch zuversichtlich. Roos schrieb nämlich aus
der Haft an seine Mutter, sie solle, um bei Willy
Weh aus Feldkirch noch Geld zu erlangen,
«ruhig ziehmlich übertreiben: Todesurteil od. bestenfalls Lebenslänglich».
Demnach erwartete Roos weder das erste noch das
zweite. Roos wie Quaderer hegten auch gar kein
ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Sie sahen sich
selber eher als kleine Ganoven denn als grosse
Staatsverräter. Zudem vertrauten sie auf ihre Jugendlichkeit als Milderungsgrund.
Und Quaderer spekulierte darauf, als Liechtensteiner ebenfalls weniger hart beurteilt zu werden.
In den beiden Tagen vor dem eigenen Todesurteil
war Quaderer auch in den parallel geführten Landesverräterprozessen gegen weitere Mitangeklagte, so insbesondere gegen den Deutschen Willy
Weh, im Gerichtssaal vernommen worden. Das
Gericht sprach gegen den abwesenden Weh, den
Kopf des Spionagerings, Anwerber Quaderers und
ebenfalls NichtSchweizer, in der Tat nicht die
Höchststrafe, sondern eine lebenslängliche Zuchthausstrafe aus. Mit mehr rechnete Quaderer gewiss nicht, eher mit weniger.
Solche Erwartung hatte sich nun als eitel erwiesen. Nun begann das Hoffen auf Gnade. Es dauerte
81 Tage und erfüllte sich nicht.
WARUM KEINE BEGNADIGUNG?
Zwei Tage nach dem Todesurteil erhielten die Mutter Anna und die 22-jährige Schwester Klara, die
wieder in Schaan weilten, von Pflichtverteidiger
Dr. Zollikofer die Nachricht vom Todesurteil. Sie
waren der Verzweiflung nahe. Die Mutter suchte
den Schaaner Rechtsvertreter Louis Seeger auf, der
sogleich das weitere Vorgehen mit dem Pflicht-
verteidiger Dr. Zollikofer eingehend besprach. Zollikofer hatte vorsorglich Kassationsbeschwerde
angekündigt. Diese zog er aber wieder zurück, da
keine Erfolgsaussicht bestand. Dafür reichte Alfred
Quaderer über Dr. Zollikofer am 28. März 1944 ein
Gesuch um Begnadigung ein, ebenso tat Roos.
Zuständig für Gnade war die Vereinigte Bundesversammlung. Ende März 1944 tagten gerade die
eidgenössischen Räte in der Frühjahrssession.
Doch die Begnadigungsgesuche von Quaderer und
Roos kamen einige Tage zu spät, um noch behandelt werden zu können, da Vorinstanzen involviert
waren. Die am 30. März zusammentretende Vereinigte Bundesversammlung beriet daher nur das
Begnadigungsgesuch eines andern zum Tode verurteilten Landesverräters, des Majors Ernst Pfister,
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Kommentar im «Liechtensteiner Volksblatt» vom
23. März 1944, unter Vermischtem. In der gleichen
Nummer waren Namen
und Strafen der Hauptverurteilten detailliert
publiziert (siehe die vorangehende Abbildung)
123
das sie mit 210 gegen 15 Stimmen ablehnte. Ungünstiges Omen, doch hatte Pfister immerhin als
Offizier Verrat geübt. Die Präsidentenkonferenz der
Räte verzichtete darauf, für die neuerlichen zwei
Gnadengesuche eine ausserordentliche Bundesversammlung einzuberufen, und so mussten Quaderer und Roos bis zur Sommersession Anfang
Juni warten. Solange konnten sie und ihre A n gehörigen hoffen. Mit dem ergangenen Urteil waren sie formell nicht mehr in Untersuchungshaft,
sondern in «Sicherheitshaft», vorerst immer noch
im Bezirksgefängnis St. Gallen. Auf Weisung von
Grossrichter Roth wurden sie am Nachmittag des
4. April 1944 einzeln in die kantonale Strafanstalt
St. Jakob, die im Bereich des heutigen Olma-Areals
lag, transferiert, bis zur Erledigung des Begnadigungsgesuchs.
Mutter und Tochter unternahmen verzweifelte
Rettungsschritte. Die Mutter bat die liechtensteinische Regierung eindringlich, diese möge ebenfalls
ein Gnadengesuch an den Bundesrat zuhanden der
Bundesversammlung einreichen und dazu auch
eine Befürwortung durch den Fürsten erlangen. Ihr
Sohn sei verleitet worden, durch schlechte Kameraden und durch einen Verwandten - gemeint war
Weh - , der das Vertrauen der Familie schändlich
missbraucht habe. Sie sei sicher, dass ein Begnadigungsgesuch des Landesfürsten und der liechtensteinischen Regierung angesichts der «ausgezeichneten Beziehungen» mit den schweizerischen
Behörden von Erfolg begleitet sein werde. So könne ihrem Sohn doch das Leben erhalten bleiben.
Zugleich gelangte die Schwester, die wegen des
ihrem Bruder drohenden Schicksals unter Angstzuständen litt, flehend an den Fürsten. Sie bat um
Audienz. Sie erhoffte des Fürsten persönliche Fürsprache bei den Schweizer Behörden.
Fürst Franz Josef II. gewährte keine Audienz, er
liess das schwesterliche Bittschreiben der Regierung übergeben. Er beschied, eine allfällige Intervention in Bern komme nur durch die Regierung in
Frage. Mit einem Vorstoss der Regierung in Bern
zugunsten von Quaderer war der Fürst aber einverstanden. Zu einem eigenen Schritt in Bern zugunsten des zum Tode verurteilten Liechtensteiners
124
war Franz Josef nicht geneigt, er hatte - wie er
dem Verfasser später als Zeitzeuge sagte - mit den
in der Schweiz verurteilten Verrätern und auch
mit Alfred Quaderer «gar kein Mitleid». Wäre die
Audienz für die Schwester zustande gekommen,
hätte er sich vielleicht doch erweichen lassen.
Der Verurteilte seinerseits richtete Anfang April
1944 ein kurzes Schreiben an den Fürsten. Darin
entschuldigte er sich als «Landeskind» beim Fürsten, dem «Landesvater», für die seinem Vaterlande
zugefügten «Beleidigungen», und versprach:
«Ich will sühnen & sühne als Liechtensteiner
mit
Schneid & wie es sich gehört.»
In diesem Schreiben an den Fürsten dankte Quaderer zugleich der Regierung. Der wohl auf Anraten
des Verteidigers abgefasste Brief diente offenbar
auch den Anstrengungen zur Begnadigung. Diese
hätte Umwandlung in lebenslängliches Zuchthaus
und irgendwann doch wieder Entlassung bedeutet.
Solches und nicht den Tod hatte der Verurteilte vor
Augen, wenn er von Sühne schrieb.
Die liechtensteinische Regierung teilte im April
der Schwester mit, die Regierung habe
«im. Einvernehmen
mit Seiner Durchlaucht
dem
Fürsten das uns Mögliche wegen der Begnadigung
Ihres Bruders
unternommen».
In der Tat intervenierte die Regierung beim Politischen Departement in Bern zugunsten einer Begnadigung. Regierungschef-Stellvertreter Dr. Alois
Vogt gab dort auch das Bittschreiben der Mutter
zur Einsicht.
Begnadigungsgesuche gingen einen festgelegten
Weg über mehrere Stationen, und sie wurden eingehend erwogen. Der Bundesrat befasste sich
damit, und zwar aufgrund von Bericht und Antrag
des Militärdepartements. Dieses holte seinerseits
vorgängig die Stellungnahme des Armeeauditors,
des Leiters der ganzen Militär Strafrechtspflege, ein.
Darauf hatte die spezielle Begnadigungskommission von Nationalrat und Ständerat das Gesuch
zu beraten. Alle genannten beratenden Behörden
stellten Antrag. Schliesslich beschlossen definitiv
über die Begnadigung alle National- und Ständeräte gemeinsam, als Vereinigte Bundesversammlung tagend, gemäss Bundesverfassung zuständig.
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
Verfolgen wir den Gang von Quaderers Begnadigungsgesuch genauer.
In seinem persönlichen Begnadigungsgesuch
machte Quaderer sein jugendliches Alter, seine
ausländische Nationalität und besonders sein umfassendes Geständnis, das zur Aufklärung der
ganzen Spionagesache sehr beigetragen habe, geltend. Er hoffte dadurch auf Strafmilderung, jedenfalls Umwandlung des Todesurteils.
Sein Pflichtverteidiger, Dr. Zollikofer, der schon
im Prozess auf lebenslanges Zuchthaus statt der
Todesstrafe plädiert hatte, argumentierte zuhanden des Armeeauditors für Begnadigung: Die Begnadigungsinstanz dürfe den Fall anders behandeln als das Gericht, sie könne «rein menschliche
Werte und ethische Momente berücksichtigen», sie
dürfe Gnade walten lassen, ohne die Autorität des
Gerichts zu verletzen. Zollikofer wies darauf hin,
dass mit Quaderer erstmals ein Ausländer durch
ein Schweizer Militärgericht zum Tode verurteilt
würde. Bezüglich von Kurt Roos, den Zollikofer
ebenfalls vertrat, verwies er ebenfalls auf dessen
volles Geständnis, auf die Reue sowie den - für
Quaderer freilich belastenden - Umstand,
«der junge Roos habe völlig unier dem Einfluss des
Quaderer
gestanden».
Der Armeeauditor - dies war damals Oberstbrigadier Jakob Eugster - referierte diese Verteidigerargumentation zwar dem EMD weiter, beantragte
aber ebenfalls Ablehnung der Gesuche von Quaderer wie von Roos.
Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD)
wiederum erstattete seinerseits am 24. April 1944
Bericht und Antrag zuhanden des Bundesrates.
EMD-Vorsteher war seit Ende 1940 der freisinnige
Bundesrat Karl Kobelt. Aus dem Rheintal stammend und in St. Gallen aufgewachsen, war Kobelt
1933 bis 1940 St. Galler Regierungsrat, 1939/40
auch Nationalrat gewesen. Im Militär war er Generalstabsoberst. Das EMD schloss sich dem A n trag des Armeeauditors an und empfahl dem Gesamtbundesrat ebenfalls Ablehnung der beiden
Gnadengesuche. Es argumentierte gegenüber den
Überlegungen des Verteidigers - die es ebenfalls
weitergab -, die Begnadigungsbehörde dürfe der
Strafjustiz nicht in den A r m fallen, besonders wenn
es um die höchsten Güter, um Erhaltung und Verteidigung des Staates selbst, gehe. Das Territorialgericht 3b habe bei Quaderer den Urteilsspruch
«wohl erwogen», indem es nämlich unter den zahlreichen im gleichen Verfahren Beurteilten den
Liechtensteiner Josef Arnold Vogt, den Italiener
Pietro Rossi und die zwei Schweizer Funkersoldaten Willy Hürlimann und Georg Ursprung nur zu
lebenslangem Zuchthaus verurteilt habe, während
aber für Quaderer, so das EMD, galt:
«Die Schwere der Verfehlungen und das verletzte
Interesse
verlangen
die volle Anwendung
der
Schärfe des Gesetzes und damit den Vollzug der
Todesstrafe.»
Und nach ähnlichen Erörterungen zu Roos, dessen «raffinierte», «von einem stark verbrecherischen Willen» zeugende Taten ebenfalls wesentlich
schwerer wögen als jene der lebenslänglich Verurteilten, schloss das EMD seine ablehnende Stellungnahme zu den Gnadengesuchen von Quaderer
und Roos buchstäblich vernichtend:
«Staat und Armee können nur durch die Vernichtung solch niederer und gemeiner Kreaturen vor
weiterem Schaden geschützt werden. Milde und
Gnade Hesse sich hier nicht rechtfertigen
und
müsste als Schwäche ausgelegt
werden.»
Auch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) war zur Stellungnahme zuhanden
des Bundesrates eingeladen, es erstattete einen
«Mitbericht» zum obigen EMD-Antrag. Geführt
wurde das EJPD seit 1941 vom konservativen
Bundesrat Eduard von Steiger. Er war Berner und
Exponent der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei
(BGB, heute SVP). Der EJPD-Mitbericht argumentierte: Es stelle sich die Frage, ob Gründe zur Milde, um «Gnade für Recht zu setzen», vorlägen. Die
schweizerischen Strafgesetze gäben den Richtern
bereits weitgehende Möglichkeiten, die Strafe abzustufen. Die Verletzungen militärischer Geheimnisse durch Quaderer seien «ausserordentlich
schwer». Er habe von Juni 1941 bis zum 1. Januar
1943 spioniert, über eineinhalb Jahre lang, aktiv,
initiativ, Komplizen werbend, für eine Spionage125
Organisation, deren Zweck ihm bekannt war. Besonders schwer wögen die Einbrüche ins Platzkommando sowie die Beschaffung und Weitergabe
von Angaben über den Chiffrierverkehr, über
Funkstationen, über den Standort einer Telephonstation des Armeestabes und über den Reduitstandort des Armeehauptquartiers im Kriegsfall.
Trotz seines jugendlichen Alters von 21 Jahren
beim Beginn seines Tuns sei sich Quaderer der
Tragweite seiner Verrätereien bewusst gewesen.
Man könne ihn daher weder als Verleiteten noch
als jungen Unbesonnenen ansehen. Bezüglich der
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Der Bundesrat beantragt
Ablehnung. «W&O» vom
17. Mai 1944
126
liechtensteinischen Nationalität Quaderers fährt
das EJPD fort:
«Als verfehlt würden wir es sodann
betrachten,
dem Umstand entscheidende Bedeutung
beizumessen, dass Quaderer Liechtensteiner
ist.»
Dies wäre anders, wenn ein Ausländer zugunsten
seines eigenen Landes handelte, was bei Quaderer
indes nicht zutreffe, denn ein Interesse, die schweizerische Wehrkraft zu kennen, um gegen sie auftreten zu können, besitze Liechtenstein nicht,
«im Gegenteil ist für diesen Staat die Selbständigkeit und Neutralität der Schweiz wohl kaum von
geringerem Wert wie für diese selbst.»
Quaderer habe aber auch nicht für Liechtenstein,
sondern für den deutschen Nachrichtendienst spioniert. Für Quaderer sei die Schweiz «Gastland»,
mit seinem Heimatland durch den Zollanschlussvertrag wirtschaftlich weitgehend verbunden. Würden solche in der Schweiz wohnende Ausländer
durch mildere Bestrafung «privilegiert», so müsste
dies das Ausland geradezu animieren, Spione dieser Kategorie anzuwerben. So pflichtete die von
Bundesrat Eduard von Steiger unterzeichnete
EJPD-Stellungnahme vom 12. Mai 1944 ebenfalls
dem EMD-Antrag bei, die zwei Begnadigungsgesuche seien abzulehnen.
Wenige Tage darauf standen die Gesuche Quaderer und Roos auf der Traktandenliste der
wöchentlichen Bundesratssitzung. Der Bundesrat
tagte am 16. Mai 1944 von 9 bis 13.30 Uhr. Alle Mitglieder der schweizerischen Landesregierung waren anwesend: Bundespräsident Stampfli, die Bundesräte Pilet-Golaz, Etter, Celio, von Steiger, Kobelt,
Nobs. Zu erledigen waren 37 grosse und kleinere
Geschäfte. Vor der Behandlung der zwei Begnadigungsgesuche wurde unter anderem der Truppenablösungsplan des Heeres für die Sommermonate
1944 beraten und verabschiedet, wenige Traktanden nach der Begnadigungssache wurde ein 57Millionen-Kredit zur Flugzeugbeschaffung bewilligt, dann ging es noch um die ausserordentliche
Finanzvollmacht, Pferde- und Maultierzucht, Hinterrheinwasserkräfte und um die Botschaft zu Geschäftsbericht und Jahresrechung der SBB. Dazwischen das kurze Traktandum der Begnadigungsge-
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
suche, die offenbar nicht oder kaum diskutiert wurden. Das Bundesrats-Protokoll hält dazu lapidar
fest, dass der Bundesrat «antragsgemäss» - nämlich EMD und EJPD folgend - beschloss:
«Der Bundesrat beantragt der
Begnadigungskommission zu Händen der Bundesversammlung
die
Abweisung der beiden Begnadigungsgesuche
Quaderer und Roos.»
Die nächste Behandlung erfolgte in der Begnadigungskommission der eidgenössischen Räte. Die
Kommission versammelte sich am Vormittag des
25. Mai 1944 unter dem Vorsitz ihres Präsidenten,
Nationalrat Brawand aus Grindelwald. Der Kommission waren die Akten zur Einsicht verfügbar.
Das Ergebnis der Beratungen - über die kein Protokoll geführt wird - wurde gleichentags amtlich mitgeteilt:
«Die Kommission beschloss, der Vereinigten Bundesversammlung
die Abweisung der Gesuche zu
beantragen.»
Zehn Tage später begann in Bern die Sommersession der eidgenössischen Räte, am Montag, 5. Juni.
Am Dienstag wurde die Session fortgesetzt, es war
der 6. Juni 1944, in der Frühe hatte in der Normandie die Invasion begonnen. Am nächsten Tag,
Mittwoch, 7. Juni, dem zweiten Invasionstag und
dritten Sessionstag der eidgenössischen Räte, traten diese zur Vereinigten Bundesversammlung zusammen. Die gemeinsam im Bundeshaus im Nationalratssaal anwesenden 226 National- und Ständeräte Hessen sich von der Begnadigungskommission über die Fälle von Alfred Quaderer und
Kurt Roos und ihre Begnadigungsgesuche ins Bild
setzen sowie zusätzlich von Vertretern der Armee
und des Eidgenössischen Militärdepartements über
Fragen militärischer Geheimniswahrung informieren. Dann wurde abgestimmt, geheim. Man folgte
den Anträgen von Bundesrat und Kommission: Bei
Quaderer stimmten nur 15 Räte für Begnadigung was lebenslängliches Zuchthaus bedeutet hätte und 211 gegen Begnadigung, also für Hinrichtung.
Bei Roos fiel das Ergebnis eng aus: 104 Stimmende
wollten Milde walten lassen, doch 120 lehnten Gnade ab.
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Die Begnadigungskommission schlägt Abweisung
vor. «W&O» vom 26. Mai
1944
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Die Vereinigte Bundesversammlung beschliesst
am Mittwoch, 7. Juni
1944, Abweisung der
Begnadigungsgesuche.
Amtliche Mitteilung im
«W&O» vom 9. Juni 1944
127
Das Stimmenverhältnis lag bei Quaderer im
üblichen Rahmen, praktisch gleich wie im Falle des
erwähnten Verräters Major Pfister Ende März
1944. Das Stimmenverhältnis bei Roos aber stellte
immerhin den knappsten Ablehnungsentscheid bei
Landesverräter-Gnadengesuchen überhaupt dar.
Die Parlamentarier stuften Quaderers Vergehen als
noch schwerer ein als dasjenige von Roos, der jünger und von Quaderer hineingezogen war. Zur Begnadigung von Roos reichte es dennoch nicht.
Alles war vergeblich gewesen, das Gnadengesuch Quaderers und des Pflichtverteidigers Zollikofer, die verzweifelten Bemühungen der Mutter
Anna und der Schwester Klara beim Fürsten und
bei der Regierung, die Intervention der liechtensteinischen Regierung in Bern in Absprache mit
dem Fürsten. Als zu schwerwiegend werteten nach
dem Gerichtsurteil und den Anträgen von Bundesrat und Begnadigungskommission auch die eidgenössischen Volks- und Ständevertreter die Verratshandlungen.
Die Bundesversammlung entschied übrigens in
allen Fällen ausser einem ebenso, die Gnadengesuche von zum Tode verurteilten Landesverrätern
wurden durchwegs abgelehnt, erst im März 1945,
kurz vor Kriegsende, wurde schliesslich ein junger
Franzose begnadigt.
DIE HINRICHTUNG A M 7. JUNI 1944
Noch am selben Mittwoch, 7. Juni 1944, an dem
der Beschluss der Bundesversammlung über Nichtbegnadigung gefasst war, erfolgte die LIinrichtung
von Alfred Quaderer, 24 Jahre, und von Kurt Roos,
22 Jahre alt.
Schon am Vortag, dem 6. Juni, war Alfred Quaderer vorsorglich - nämlich für den Fall eines
negativen Entscheids der Bundesversammlung nachmittags durch zwei St. Galler Kantonspolizisten aus der Strafanstalt St. Jakob in St. Gallen in
den Kanton Zürich überführt und der Zürcher Kantonspolizei übergeben worden, offenbar in Winterthur, wie eine Angabe auf der Überführungsweisung annehmen lässt.
128
Die ungewöhnliche Überstellung in den Kanton
Zürich war nötig geworden, weil die allfällige Vollstreckung im Kanton Zürich stattfinden musste,
durch «Truppen aus der Innerschweiz». Quaderer
und Roos hatten in Zug gewohnt, Roos war Soldat
in der Innerschweiz gewesen. Bei einem verurteilten Armeeangehörigen hatten Soldaten aus der
gleichen Truppeneinheit ihren Verräterkameraden
zu exekutieren. Bundesrat Kobelt als EMD-Vorsteher und Oberstbrigadier Eugster als Armeeauditor
hatten ihrerseits bereits Oberst Thomann, den
Kommandanten des Gebirgsinfanterie-Regiments
37, für den Fall, dass die Bundesversammlung die
Begnadigung ablehne, mit dem Vollzug der Todesstrafe an Quaderer und Roos auf den Ahend des
7. Juni beauftragt. Aus Thomanns Regiment war
das Exekutionskommando zu stellen, möglicherweise aus der Stabskompanie 48, der Roos angehörte.
Auf der Überweisung stehen zwei auffällig
herausgehobene Vermerke: «transportfähig» und
«Vorsicht (englisch schliessen)». Das letztere ist wie eine Nachfrage des Verfassers bei der Landespolizei in Vaduz und von dort bei der Kantonspolizei Zürich ergeben hat - eine Fesselungsart, die
seinerzeit beim Transport von Häftlingen mit grossem Fluchtrisiko öfter angewandt wurde und zugleich unauffällig war: Eine dünne Kette war mit
einem Schloss am einen Handgelenk und mit
einem zweiten Schloss am gegenüberliegenden
Fussgelenk festgemacht, dabei lag die Kette unter
dem Rockärmel, die Hand steckte in der Hosentasche, von wo die Kette durch ein Loch durch das
andere Hosenbein zum Fuss hinablief, und zwar so
straff, dass Gehen nur in leicht gebückter Haltung
möglich war. Flucht war unmöglich, obwohl die
zweite Hand frei war. Aussenstehende erkannten
kaum, dass ein Schwerverbrechertransport vor
sich ging. In dieser Weise wurde Alfred Quaderer,
den man mit Grund als fluchtgefährdet einstufte,
«englisch» gesichert von St. Gallen nach Zürich
gebracht. Die Polizei wollte kein Risiko und kein
Aufsehen.
Alfred Quaderer war zweifellos klar, was diese
Verlegung bedeutete. Ihm wurden alle seine weni-
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gen Effekten mitgegeben, im kargen Verzeichnis
ist neben Pass, Ausländerausweis, Kleidungsstücken, Schreibzeug und anderen kleinen Utensilien
mit Bleistiftschrift angefügt: «1 Testament». Quaderer und Roos verbrachten die letzte Nacht und den
letzten Tag, an dem in Bern über ihr Leben entschieden wurde, in Zellen der Zürcher Kantonspolizei.
Die Hinrichtung geschah am Mittwoch, 7. Juni,
abends um acht Uhr, wohl in einem Wald - es hiess
auch, in einer Kiesgrube - , offenbar in der Umgebung der Stadt Zürich; der Todesschein ist vom
Zivilstandsamt der Stadt Zürich ausgestellt worden
und nennt «Zürich» als Todesort. Quaderer und
Roos wurden miteinander exekutiert. Die Hinrichtungsprotokolle zu Quaderer und Roos sind im
Bundesarchiv zur Zeit (1999) zwar nicht auffindbar. Doch das Procedere war durch bundesrätliche Verordnung im Detail reglementiert. Zwei
durch Noll publizierte Protokolle anderer Hinrichtungen sowie Meienbergs Recherchen zur Erschliessung des Landesverräters Ernst Schrämli
bestätigen, dass durchwegs genau nach Reglement
verfahren wurde. Daher wissen wir, wie sich auch
die Hinrichtung von Quaderer und Roos abgespielt
haben muss.
Anwesend mussten gemäss Verordnung sein:
Der Regimentskommandant, hier Oberst Thomann
vom Gebirgsinfanterie-Regiment 37; ein Polizeioffizier des Vollzugskantons, hier von Zürich; dann
vom Territorialgericht 3b, welches das Urteil gefällt
hatte, der Vorsitzende Grossrichter, hier Oberstleutnant Hans Roth von Zürich, der Auditor (Ankläger), hier Major Paul Popp von St. Gallen, der
Gerichtsschreiber, hier Hauptmann Ernst Matter
von Münchenstein, und der Pflichtverteidiger, hier
Dr. Rolf Zollikofer; dazu das mit Camion herangeführte Erschiessungskommando, nämlich ein
Offizier mit 20 Unteroffizieren und Soldaten des
Gebirgsinfanterie-Regiments 37, wohl aus der
Stabskompanie 48, in der Roos Aktivdienst geleistet hatte; ein Offizier der Heerespolizei mit zwei
(hier sicher vier) Heerespolizisten; zwei Militärärzte; ein Geistlicher. Nachdem alles bereit stand,
brachten die Heerespolizisten die abseits gehal-
tenen Verurteilten herbei, verbanden ihnen die
Augen, fesselten sie an Stämme oder Pfähle, der
Grossrichter verlas die Urteilsdispositive samt
Rechtskraft- und Vollzugsvermerken, stellte durch
Befragen der Verurteilten nochmals deren Identität
fest, ermächtigte darauf den Regimentskommandanten, die Hinrichtung durch Erschiessen vornehmen zu lassen, der Feldprediger leistete letzten
Zuspruch, der Regimentskommandant gab gemäss
dem in seinen Händen liegenden schriftlichen
Vollstreckungsbefehl des Eidgenössischen Militärdepartements vom selben Tage den Befehl zum
Erschiessen an den Offizier des Pelotons, dieser
erteilte das Kommando an die 20 Mann, die bis dahin in einer Reihe, jeder eine scharfe Patrone im
Karabiner, mit dem Rücken zu den Verurteilten gewartet hatten, sich nun exakt nach den Befehlen
umdrehten, anlegten, auf das Kommando «Feuer»
gleichzeitig schössen, 20 Schüsse in einem, auf die
Llerzgegend, hier verteilt auf die zwei Opfer, diese
sanken in die Stricke, das Erschiessungskommando marschierte sogleich ab, selber stumm, die zwei
Ärzte stellten den Tod fest - wäre er nicht eingetreten, hätte der Pelotonoffizier noch mit der Pistole
den Todesschuss vornehmen müssen - , die Ärzte
beurkundeten den Tod, der Kommandant erklärte
die Vollstreckung des Urteils für beendet und entliess die Urkundspersonen.
Das Ganze dauerte vom Eintreffen auf dem
Richtplatz bis zur Exekution knapp dreissig Minuten, für die Verurteilten vom LIeranführen bis zum
Tod etwa zehn Minuten. Für Alfred Quaderer wie
für Kurt Roos ist in den Akten im Bundesarchiv und
in Zürich die exakte Vollstreckungszeit vermerkt:
«20 Uhr 12».
Quaderer und Roos haben sich im Unterschied
zu manchen anderen zuletzt keineswegs gefasst
verhalten. Dies wissen wir aus der Aussage eines
bei ihrer Hinrichtung Anwesenden. Sein Zeugnis
ist öffentlich überliefert, wenn auch etwas verschlüsselt, nämlich bei Nikiaus Meienberg. Dieser
befragte 1974 Dr. Rolf Zollikofer zu «Ernst S.»,
dem ersten hingerichteten Landesverräter Ernst
Schrämli. Zollikofer hatte Schrämli ebenfalls amtlich verteidigt und dessen Exekution beigewohnt.
129
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Das alliierte Dberfommanbo gibt bie
Schrämli habe sich, erinnerte sich Zollikofer, auf
dem Hinrichtungsplatz nicht gesträubt, andere
dagegen, so überliefert Meienberg Zollikofers beiläufige Bemerkung,
«hätten geschrien und getobt in ihren letzten Momenten, Q. und R. zum Beispiel».
«Q. und R.» - das waren Quaderer und Roos, deren
Erschiessung Zollikofer als Verteidiger ebenfalls
von Amtes wegen mitansehen musste. Sie nahmen
ihr verschuldetes Schicksal nicht an, sie wollten
leben, Verzweiflung brach angesichts des Todes
durch.
Die Leiche jedes Hingerichteten wurde anschliessend auf dem Platz in den wegen des Blutes
mit Sägemehl ausgestreuten Sarg gelegt, dieser
wurde vernagelt.
An jenem Mittwoch, 7. Juni 1944, dem Tag der
Hinrichtung von Quaderer und Roos, war es kalt
gewesen, wie den damaligen Zeitungen zu entnehmen ist, in den Bergen war Schnee gefallen. In der
Nacht auf Donnerstag regnete es, es war Fronleichnam, die Dreischwestern trugen «weissen Flor».
Der Feldgeistliche teilte Quaderers Tod dem
Schaaner Pfarrer Tschuor mit. Dieser musste die
Nachricht der Mutter und der Schwester überbrin130
gen. Sie verwanden sie zeitlebens kaum. Sie waren, des Sohnes und Bruders beraubt, schuldlos
mit bestraft.
Die Angehörigen konnten den Toten am Wohnoder Heimatort begraben lassen oder aber auch die
Bestattung den Hinrichtungsbehörden überlassen.
Alfred Quaderer ist weder an seinem Heimatort
Schaan, wo Mutter und Schwester nun wohnten,
noch an seinem Wohnort Zug beerdigt. Er wurde
vielmehr - wie die Recherchen beim Zivilstandsamt
der Stadt Zürich ergeben - in Zürich begraben, auf
dem Friedhof Sihlfeld, Grab Nr. 95, gewiss eilig und
still. Aus dem Umstand, dass die entsprechende
Mitteilung durch das Armeekommando, Abteilung
für Sanität, ans Zivilstandsamt Zürich erfolgte (am
15. Juni 1944), darf man schliessen, dass die Bestattung von der Armee veranlasst wurde, wenn
auch im Einvernehmen mit der Mutter Anna Quaderer geb. Rüegg, die selber aus Zürich stammte.
Sie und die Verwandten wünschten wohl Aufsehen
in Schaan wie in Zug zu vermeiden.
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
4
Information der Öffentlichkeit
und Reaktionen
Wurde die Öffentlichkeit in der Kriegszeit über den
Spionageprozess, das Urteil und die Hinrichtung
Quaderers informiert? Auch in Liechtenstein? Und
wenn, wie weit? Sind Reaktionen feststellbar, insbesondere im Fürstentum? Gab es Regungen des
Mitleids, Aufforderungen zur Milde? Oder Rufe
nach Strenge? Wurde das Urteil kommentiert, kritisiert oder bejaht?
Die Interessenlage bezüglich einer Veröffentlichung von Spionageurteilen war für die Schweiz
anders als für Liechtenstein. In der Schweiz bestand ein vitales Interesse daran, aktive oder
potentielle Verräter abzuschrecken und den Widerstandsgeist zu stärken. Um solche Effekte zu erzielen, musste die Öffentlichkeit über Verräter und
deren schwere Bestrafung informiert werden.
In Liechtenstein dagegen waren Enthüllungen
über Landsleute, die im Solde Hitlerdeutschlands
Spionage gegen die Schweiz trieben, überaus peinlich, weil dies sowohl Verwandte und Bekannte in
Verdacht zog als auch den kleinen Staat selber ins
Zwielicht der Unzuverlässigkeit gegenüber der
schützenden Schweiz tauchte.
In der Schweiz erfolgten «amtliche Mitteilungen» über die Spionageurteile. Die Namen der Täter und ihre Strafen wurden in den Radionachrichten verlesen und in den Schweizer Zeitungen
veröffentlicht. Auch das Ergebnis der Stationen,
welche die Begnadigungsgesuche durchliefen, sowie die Hinrichtungen wurden in der Presse mitgeteilt, wie zu zeigen sein wird.
Die beiden Liechtensteiner Zeitungen informierten über die in der Schweiz verurteilten Spione
unterschiedlich. Das «Liechtensteiner Volksblatt»
nannte ihre Namen. Das «Liechtensteiner Vaterland» verschwieg sie. Stellung nahmen beide Blätter. Dies ist nachfolgend ebenfalls darzulegen.
Im März 1944 wurde wenige Tage nach Prozessende die Öffentlichkeit durch Radio Beromünster
und weitere Stationen und durch die Schweizer
Zeitungen über die Urteile des Territorialgerichts
3b gegen 22 Personen des Spionagerings Quaderer,
Roos und Konsorten ins Bild gesetzt, indem die
Personalien der 13 Haupttäter mit den Todesstrafen, den lebenslänglichen und den langjährigen
Zuchthausstrafen publiziert wurden. Über die
Straftaten selber hiess es allerdings nur sehr allgemein, die Spionierenden hätten in der Zeit vom
Sommer 1941 bis zum Dezember 1942 «militärische Geheimnisse und Anlagen ausgespäht oder
verraten», auch «durch Einbrüche wichtige militärische Dokumente verschafft und ins Ausland abgeliefert». Mehr Einzelheiten erfuhr man nicht, das
besagte «Ausland» blieb unbenannt, doch war klar,
dass es nur Hitlerdeutschland sein konnte. Die Zeitungsveröffentlichung wurde mit dem Satz «Amtlich wird mitgeteilt» eingeleitet. Der in Buchs erscheinende «Werdenberger & Obertoggenburger»
brachte den Text am 22. März 1944 und setzte
darüber die fettgedruckten Titelzeilen: «Verurteilungen wegen Landesverrates, Drei Todesurteile».
A m folgenden Tag, 23. März 1944, konnte man
die gleiche, wörtlich identische «amtliche» Mitteilung mit allen Namen auch im «Liechtensteiner
Volksblatt» - dem Parteiorgan der Fortschrittlichen
Bürgerpartei - finden, unter dem dicken Titel:
«Verurteilte Spionageorganisation, Drei Todesurteile; hohe Zuchthausstrafen». Darin konnten die
Bewohner des Fürstentums unter anderem lesen,
dass Alfred Quaderer und Willy Kranz «zum Tode
durch Erschiessen», Josef Arnold Vogt, Willy Weh
und Pietro Rossi «zu lebenslänglichem Zuchthaus»
sowie Paula Rossi geb. Kranz «zu 4 Jahren Zuchthaus, 15 Jahren Landesverweisung» verurteilt worden waren.
In der gleichen Ausgabe des «Liechtensteiner
Volksblatts» vom 23. März 1944 stand an anderer
Stelle bei vermischten Meldungen ein kurzer Kommentar mit dem kleinen, unscheinbaren Titel «Betrübliche Erscheinungen». Er nimmt Bezug darauf,
dass man am Abend über «Radio Beromünster und
andere Sender» sowie tags darauf «in allen Zeitungen» die Ergebnisse des Spionageprozesses und
die Todesurteile gegen zwei Liechtensteiner und
das lebenslängliche Urteil gegen einen weiteren
Liechtensteiner erfahren konnte; die Namen nennt
er nicht. Der liechtensteinische Zeitungsschreiber
nimmt darauf wertend Stellung:
«So beklagenswert
diese Unglücklichen sind und
so schwer sie ihre Verfehlungen büssen müssen, so
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<lA länglichem 3ud>thau£, anbere jn mehr ober mc= Sin
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n* allerbingä im "Jlueilanbe abwefetrb ift. (Ein brit*
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cu= men, bafj baä fcblimme Sd)i<ffal, welches bie lic
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Spaltenlange «Klarstellung» auf der Frontseite
des «Liechtensteiner
Vaterland» vom 25. März
1944, ohne Nennung von
Namen
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kommen wir doch nicht um die Feststellung
dass diese verurteilten Leute sich nicht nur
gegen die Gesetze eines ausländischen
vergangen, sondern sich auch gegen ihr
land schwer verfehlt haben.»
herum,
schwer
Staates
Heimat-
Der Kommentator fährt fort, die bisherige Serie
von Spionagefällen, in welche von Zeit zu Zeit ein
Liechtensteiner verwickelt gewesen sei, zeige sich
«alles andere als dem Land zuträglich», das liechtensteinische Ansehen leide darunter, die Folgen
habe eines Tages das ganze Volk Liechtensteins zu
tragen. Die Urteile seien hoffentlich Warnung genug, dass Ähnliches sich nicht wiederhole.
Aus diesem Kommentar, der offensichtlich von
der «Volksblatt»-Redaktion stammte oder von ihr
inspiriert war, spricht zwar etwas Mitleid mit den
Verurteilten - die «Unglücklichen» seien «beklagenswert» -, aber keine Kritik an der Schwere der
Urteile. Diese erschienen dem «Volksblatt»-Kommentator auch aus liechtensteinischer Sicht als
gerechtfertigt, da die Spione sich auch gegen das
eigene kleine Heimatland und Volk «schwer verfehlt» hätten.
Darauf brachte zwei Tage später das «Liechtensteiner Vaterland» - Organ der Vaterländischen
Union - am 25. März 1944 eine längere Stellungnahme, als «Korr.»-Zusendung, unter dem klein
gehaltenen Titel «Zur Klarstellung», aber immerhin
auf der ersten Seite plaziert, nach dem Geschäftsbericht der Sparkasse. Der Korrespondent weist
ebenfalls auf die in Radio und Zeitungen veröffentlichten Spionageurteile hin. Unter den zum Tode
Verurteilten befänden sich «leider auch zwei Liechtensteiner», ein weiterer Liechtensteiner habe lebenslängliches Zuchthaus erhalten. Namen nennt
der Kommentator nicht. Doch holt er ebenfalls zur
Bewertung aus. Mit den auch Liechtensteiner betreffenden Urteilen sei «ein äusserst betrübliches
Kapitel für unser Land» zu Ende gegangen. Nach
Bekanntwerden der Urteile des Schweizer Militärgerichts habe sich in Liechtenstein
«eine Welle der Empörung gegen die an solchen
Machenschaften
beteiligten
Inländer»
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gerichtet. Die Verurteilten habe «ein schlimmes
Schicksal» ereilt. Dieses werde wohl fortan vor jeder ähnlichen Versuchung abschrecken. Nach solcher Einleitung - die wie im «Volksblatt»-Kommentar neben etwas Mitleid für die Verurteilten die Berechtigung des Urteils nicht in Zweifel zieht kommt der «Vaterland»-Korrespondent dann zu
seinem eigentlichen Anliegen:
«Um aber allem falschen Argwohn und aller Verallgemeinerung im Urteil über unser Land und Volk
entgegenzutreten,
möchten wir folgendes
klarstellen»,
nämlich dass Liechtenstein gleich zu Beginn des
Krieges strikte Neutralität verkündet habe, dass
die Landesbehörden diese neutrale Haltung stets
ängstlich geübt hätten, dass die Behörden keine
Schuld an den dunklen Machenschaften der Spione
trügen, vielmehr kräftig eingeschritten seien, wenn
auf liechtensteinischem Territorium verbotener
Nachrichtendienst aufgedeckt wurde. Der «Vaterland»-Text fährt fort:
«Das liechtensteinische
Volk missbilligt
entschieden und verurteilt die Teilnahme von Inländern an
diesen Spionagefällen.
Dass dabei in allen Fällen
zur Llauptsache auch Schweizer massgebend
beteiligt waren, wird durchaus nicht als Entschuldigung
angesehen.»
Liechtenstein und sein Volk wolle, so schliesst die
«Klarstellung», die Neutralitätspflichten gewissenhaft erfüllen und insbesondere alles vermeiden,
was mit seinen Pflichten auf Grund des «Wirtschaftsanschlusses an die Schweiz» im Widerspruch stünde.
Mehrere Aspekte sind in dieser «Vaterland»Stellungnahme zum Spionageproblem interessant.
Erstens wird die von Liechtensteinern gegen die
Schweiz verübte Spionage deutlich missbilligt.
Zweitens weist die vom Korrespondenten erwähnte
«Welle der Empörung» der Liechtensteiner gegen
die im März 1944 verurteilten liechtensteinischen
Spione - Quaderer und Konsorten - darauf hin,
dass deren Taten und die Urteile im Lande doch
erregtes Tagesgespräch waren. Drittens werden
die strengen Urteile nicht kritisiert, weder das
Todesurteil noch die sehr langen Zuchthausstrafen.
Viertens aber erweist sich als eigentliches Motiv für
die ganze Stellungnahme die Sorge um das Image
des Landes und der Liechtensteiner, und zwar gerade im Hinblick auf die ausspionierte Schweiz,
von der man auch wirtschaftlich völlig abhing. Die
Klarstellung erfolgte, wie es am Schluss hiess,
«damit nicht bei Lands- und volksunkundigen
LIörern und Lesern eine falsche Auffassung
hervorgerufen wird».
Solche Llörer und Leser mochte es vorab in der
Schweiz, aber auch bei den nun, 1944, bald siegreichen Alliierten geben.
Das «Liechtensteiner Vaterland» druckte neben
dieser Stellungnahme weder die erwähnte amtliche Mitteilung, wie sie in den Schweizer Zeitungen
und im «Liechtensteiner Volksblatt» erschien, noch
sonst etwas zum Fall Quaderer und Konsorten ab.
Reine «Vaterland»-Leser erfuhren aus ihrer Zeitung ausser der «Klarstellung» nichts, weder Namen noch Urteile noch Vergehen noch etwas über
den Gang des Begnadigungsgesuchs und über die
erfolgte Hinrichtung.
Das «Liechtensteiner Volksblatt» informierte,
wie schon gezeigt, in dieser Sache offener. Es äusserte sich erneut in der Ausgabe vom 1. April 1944,
und zwar in einem Leitartikel (von «E.») unter dem
breiten Titel «Staat - Volk - Einzelgänger». Die Mitarbeit von Liechtensteinern an einer gegen die
Schweiz arbeitenden grossen Spionageorganisation habe «im Lande allerhand unangenehme Gefühle wachgerufen», und «über den Rhein an uns ergangene Anfragen» hätten einige «Verwunderung»
gerade befreundeter Schweizer ausgedrückt. Der
Leitartikler argumentiert vorerst in ähnlicher Richtung wie ein paar Tage zuvor der «Vaterland»-Korrespondent: Staat und Volk trügen keine Schuld, sie
hielten die «Ehre unseres Landes» und den «guten
Ruf unserer unbedingten Neutralität» aufrecht. Die
Täter seien «Einzelgänger». Dann aber holt der
Leitartikler zu einer politischen Abrechnung aus,
indem er fragte, wie es im Fürstentum zu solchen
Machenschaften - zu Spionage gegen die Schweiz
für Hitlerdeutschland - kommen konnte: Den
Boden dazu bereitet und Schuld habe jene sich
«volksdeutsch» nennende und sich masslos auf133
bauschende, unliechtensteinische Bewegung, die
das Land in Gefahr gebracht habe. Gemeint war
die einheimische nationalsozialistische «Volksdeutsche Bewegung in Liechtenstein», die von 1938 bis
1945 bestand, 1939 einen Anschlussputsch versuchte und vor allem von 1940 bis 1943 lautstark
hitlerdeutsch agitierte. Dort seien «die Schuldigen
unter den Einzelgängern zu suchen». Das Land
und das liechtensteinische Volk aber hätten von
Anfang an und dauernd ihre «grundsätzliche Einstellung» gegen die «grosse Lüge» und die «faszistische Idee» jener Bewegung gestellt.
Der «Volksblatt»-Leitartikel verfocht zugleich
eine innenpolitische Stossrichtung, indem er die
tatsächliche nationalsozialistische Nährlösung für
die einheimischen Spione geisselte und auch indirekt herausstellte, dass das «Liechtensteiner Vaterland» und mit ihm die Vaterländische Union, deren
Führung weniger Distanz zur «Volksdeutschen Bewegung» hielt, diesen Zusammenhang verschwieg.
A m 31. März 1944 berichtete das «St. Galler Tagblatt» kurz unter dem Titel «Zwei neue Begnadigungsgesuche von Landesverrätern», dass Quaderer und Roos Begnadigungsgesuche eingereicht
hatten, diese aber erst in der Junisession der
Einzeltäter und Verantwortung der NS-Bewegung
im Lande: Leitartikel
im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 1. April 1944
Staat -
Bundesversammlung behandelt werden könnten,
so dass sie solange zuwarten müssten. Einen Tag
später brachte das «Liechtensteiner Volksblatt» die
amtliche Mitteilung, Major Pfisters Gnadengesuch
sei mit 210 zu 15 Stimmen abgelehnt worden. Den
liechtensteinischen Lesern stand vor Augen, was
Quaderer erwarten mochte. Danach blieb es einen
Monat still.
Anfang Mai 1944 folgte ein neuer Artikel zum
Thema, der unter anderem am 3. Mai in der «Ostschweiz», am 4. Mai im «Liechtensteiner Volksblatt» und am 5. Mai im «Werdenberger & Obertoggenburger» - wo der Schlussabsatz wegblieb erschien, mit dem überall gleich lautenden Titel:
«Verräter bitten um Gnade». Darin werden die drei
Todesurteile gegen Quaderer, Roos und Kranz kurz
rekapituliert - mit Namen - , das Verfahren betreffend Kassationsbeschwerde und Begnadigung erläutert und der Zusammentritt der Begnadigungskommission in Bern auf den 24. Mai angekündigt.
Kranz habe weder Kassation noch Begnadigung
begehrt, da er landesabwesend verurteilt sei und
daher die Strafe nicht zu fürchten brauche - «wenigstens vorläufig». Der Autor, offensichtlich ein
Schweizer Korrespondent, stellt danach Überle-
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tat im fianbe allertjanb unangenehme (Befühle S3orfid)t ber §anbt)nbung poiitifdjer 97cad)tmit'
londinerufcn. 3n foleben 3ufaminent)cingen tel honnte bas SSoIh nid)t anbers. als fid) ge•miroc ber Siame 2iecf)tenftein beffer nidjt ge» gen biefe grofje 2 ü g e (teilen, es aijiite bic ©e=
minnt. aud) in ber uns befreunbeten Sdjroeis fafjren unb begegnete bem unlauteren SScgin»
nicht, ober beffer gefagt, gerabe beshalb nidjt, nen burd) bic bem 2iechtenfteincr eini'"- "
rotil roir in 2iecbtenftein auf ungetrübte Se= meffenheit. 2Bcnn ffiinseloö"—
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134
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
gungen zum Ausgang an: A m mutmasslichen Entscheid der Begnadigungskommission wie der Bundesversammlung zu Quaderer und Roos seien
«kaum Zweifel möglich». Höchstens sei bei Quaderer in Betracht zu ziehen, dass er liechtensteinischer Staatsbürger sei und so als Ausländer nicht
sein eigenes Land verraten habe. Dies als mildernden Umstand walten zu lassen, «wird jedoch gerade in der Heimat Quaderers abgelehnt». Die liechtensteinische Presse habe sich nach der Verurteilung von Quaderer, Kranz und Vogt
«mit aller Schärfe gegen die verräterischen
Landsleute ausgesprochen
und ihre Verurteilung
begrüsst»,
gerade im Hinblick auf das enge Verhältnis zur
Schweiz. Der schweizerische Autor folgerte denn,
die früheren Stellungnahmen des «Liechtensteiner
Volksblatts» und des «Liechtensteiner Vaterlands»
etwas forcierend:
«Wenn also Quaderer als erster Ausländer
wegen
Vergehens gegen den Staatsschutz
hingerichtet
wird, so ist dies nicht nur juristisch korrekt - auch
ausländische Gerichte beurteilen straffällige
Ausländer nicht milder als die eigenen
Staatsangehörigen -, sondern lässt sich auch vom Standpunkt der auswärtigen Beziehungen durchaus vertreten.»
Daher, so schliesst der Artikel, werde die Bundesversammlung nach Erwägung dieser Momente «aller Voraussicht nach» bei Quaderer und Roos zum
gleichen - negativen - Ergebnis gelangen wie bei
den bisherigen Gesuchen von
«zum Tode verurteilten
Feinden unserer
staatlichen Sicherheit».
Der schweizerische Verfasser dieses Artikels kannte die Materie offensichtlich gut. Erstaunlich erscheint, dass dieser Text einen Tag nach seinem
Erscheinen in der «Ostschweiz» auch im «Liechtensteiner Volksblatt» veröffentlicht wurde, unter
der Rubrik «Aus der Schweiz», und zwar ohne
weiteren Kommentar. Die Erklärung ist einfach:
Das «Liechtensteiner Volksblatt» wurde in A u im
schweizerischen Rheintal gedruckt, dort wurden
auch Texte, etwa Meldungen aus der Schweiz, ohne
getiefte bitttn um ©noce
3n Sern Hit am 2J. SRai iw Scgnaii.
gungshommiffion ber SSunbesoirfammluncj
jufammen. um bie anträgt übet bie bängijt,
Segnabtgungsgtfudje ju beteinigen. SRit 1*
tum oom 18. SJlärj bat. roie erinnerlich, tea
£ttritoriaigeri<f)t 3B eine Spicmagtorgani.
fation abgeurteilt unb babei äuget höbet
3ucbtbausflrafcn auch bret lobesurteil« gt<
fätlt, nöm(icf) gegen Sllfreo fxrmann £uaberer, oon Schaan (Siechtenftein). fturt JJo.
bann 800s, oon &as(e (Sutern), unb SSül^
Rranj. oon (Eichen (2ied)tenftein). 2Bäb,ttiu>
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ber £>?iniai Quaberer» abgelehnt. £ t e ^icne
bes gürftentums Siechtenftein bat fid) >m 2hfchlufe an bic Verurteilung ber fiiechtenfteiner
Quaberer. Äran3 unb Sogt mit aller Schürfe
gegen bic oerräterifeben Canbsleute auseje«
fproeben unb ihre SkrarteHung begrübt, rot*
bei fie auf bas befon&crs enge Scrtraucns-ocrbältnis bei beiben Staaten hinroics. Senn
olfo Quaberer als erftcr Sluslänber rocgen
Vergehens gegen ben Staatsfchufc Eingerichtet
roirö. fo ift bics nicht nur juriftifd) horrcht —
auch auslänbifebe (Berichte beurteilen ftraffäl.
(ige SUwlänbcr nicht milber als bie eigenen
Gtciatsangchörigcn —, fonbern läfet fid) auch
oom Stanbpunht ber ausroärtigen Scaiehutp
<icn burdjaus oertreten. 3n Grroägung aller
biefer Sloincntc roirb bie Sunbcsrurfainm«
lung aller Slorausficht nach bei 6er Wtutteb
lung ber (Bnobcngcftichc Quaberer unb 3ioo*
jum felbcn (srgcbnii gelangen roie bei ben
früheren ©efuchen oon jum lobe oerutteilten
Seinben unferer ftaatlichen Gichctheit
Artikel im «Liechtensteiner Volksblatt» vom 4. Mai
1944, unter der Rubrik
«Aus der Schweiz». Tags
zuvor hatte ihn «Die
Gstschweiz» gebracht. Er
erschien auch in andern
Schweizer Zeitungen, so
am 5. Mai 1944 kürzer im
«W&O»
135
Einzelabsprache mit der Vaduzer Redaktion eingerückt. Dies scheint hier geschehen zu sein. Dem
liechtensteinischen «Volksblatt»-Leserpublikum war
hier jedenfalls eine sehr pointierte Meinung vorgesetzt.
Damit aber hatte es dann auch sein Bewenden:
Im «Liechtensteiner Volksblatt» wurde danach
keinerlei Meldung mehr zu Quaderer veröffentlicht,
weder zum Gang des Gnadengesuchs noch zur Hinrichtung. Dieses plötzliche und auffällige öffentliche Schweigen auch im Mehrheitsblatt geschah
zweifellos bewusst, durch Einwirken der Bürgerpartei oder der Regierung, die von Dr. Josef Hoop
geführt war, auf die Redaktion. Die öffentliche
Erörterung des Falles und des Themas wurde als
nicht mehr opportun angesehen. Alfred Quaderer
war damit in seiner Heimat schon fünf Wochen vor
der Hinrichtung totgeschwiegen.
Indes wurde über dem Rhein, etwa im «Werdenberger & Obertoggenburger» in Buchs, regelmässig
über die weiteren Stationen berichtet, so dass man
auch im Ländchen sehr wohl Bescheid wissen
konnte. A m 17. Mai 1944 wurde der Leserschaft auf
der ersten Seite unter der Rubrik «Das Neueste
vom Tage» mitgeteilt: Der Bundesrat beantrage
Ablehnung der Begnadigung der zum Tode verurteilten Landesverräter Roos und Quaderer. Eine
gute Woche darauf, am 26. Mai, hiess es unter der
gleichen Rubrik, auch die Begnadigungskommission der beiden Räte schlage der Bundesversammlung Abweisung der Gnadengesuche vor.
Am 7. Juni ging an Agenturen, Zeitungen und
Radio eine längere amtliche Mitteilung aus Bern:
Die Vereinigte Bundesversammlung habe heute die
Gesuche der beiden zum Tode durch Erschiessen
verurteilten Alfred Quaderer und Kurt Roos abgelehnt. Die amtliche Mitteilung enthielt auch eine
Begründung der Ablehnung zuhanden der Öffentlichkeit: Quaderer und Roos hätten einer Spionageorganisation «zugunsten eines kriegführenden
Staates» - Deutschland wurde nicht genannt angehört. Während eineinhalb Jahren hätten sie
«Werke und Massnahmen unserer Landesverteidigung ausgekundschaftet und an das Ausland
verraten». Sie seien dazu auch mehrmals in «eine
136
militärische Kommandostelle» eingedrungen. Sie
hätten «in voller Einsicht in die Verwerflichkeit
ihrer Handlungen» agiert. Die amtliche Mitteilungwelche die Folgerungen der Bundesversammlung
zusammenfasst - fährt fort:
«Durch die mit grosser Umsicht und Gründlichkeit
vorbereiteten und durchgeführten
Verbrechen haben sie die Wirksamkeit
wichtiger
Anordnungen
unserer Landesverteidigung
in hohem Masse in
Frage gestellt und das Leben vieler
schweizerischer Wehrmänner aufs Spiel gesetzt. So musste
trotz des jugendlichen Alters der Angeklagten
die
volle Strenge des Gesetzes Platz greifen.»
Die amtliche Mitteilung enthielt ebenfalls das Stimmenverhältnis. So erfuhr man auch in der Öffentlichkeit und in Liechtenstein, dass Quaderers Gesuch - und Leben - mit 211 zu 15 Stimmen überdeutlich fiel, jenes von Roos dagegen nur knapp.
Der «Werdenberger
& Obertoggenburger»
brachte diese Mitteilung aber erst am Freitag, 9.
Juni, unter dem Titel «Die Begnadigungsgesuche
Quaderers und Roos' abgelehnt». Daher konnte
man in der gleichen Ausgabe vom 9. Juni 1944
schon auf der ersten Seite zuoberst «Das Neueste
vom Tage» lesen: Der Nationalrat hat den Geschäftsbericht beraten, der Ständerat hat Vollmachtenbeschlüsse genehmigt, und:
«Die zum Tode verurteilten Landesverräter
Roos
und Quaderer sind am Mittwochabend
hingerichtet
worden.»
Und: Der Eisenbahnverkehr auf der Mont-CenisLinie ist stillgelegt, Köln ist in der Nacht bombardiert worden, 30 britische Bomber seien abgeschossen, und das alliierte Oberkommando hat die
erste Phase der Invasion für abgeschlossen erklärt.
Wir können zur Informationspolitik und zu Reaktionen festhalten: Über den Spionageprozess, die
Urteile und die Hinrichtungen im Fall Quaderer
wurde in der Schweiz die Öffentlichkeit durchaus
informiert, über die Verratshandlungen selber allerdings nur summarisch, da militärische Geheimnisse tangiert waren. In Liechtenstein dagegen
wurde ungleichmässig informiert - vom Minderheitsorgan gar nicht - , und nach kurzem wurde
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
5
Fragen zum Fall Quaderer
auch die offene Information des Mehrheitsorgans
gestoppt, zweifellos aus innen- und aussenpolitischen Rücksichten. Dennoch konnte man hier über
Schweizer Zeitungen und Radio das Wesentlichste
erfahren. Auch in Liechtenstein distanzierte man
sich entrüstet von den aufgeflogenen Spionen, welche Einzeltäter seien, und man betonte die korrekte Haltung des Landes, nämlich von Seiten des
«Volksblatts» die konsequente Ablehnung des Nationalsozialismus und von Seiten des «Vaterlands»
die strikte Neutralität. Man nahm auch hier die
Urteile als selbstverschuldet hin, auch das Todesverdikt gegen den in der Schweiz einsitzenden
Quaderer, wies aber von Bürgerparteiseite auch
den einheimischen Nationalsozialisten der «Volksdeutschen Bewegung» Mitverantwortung am Verrat und damit an Quaderers Schicksal zu. Kritik an
der Todesstrafe oder Anstösse zur Milde wurden,
ausser im Familienkreis, nicht manifest. Auch
Fürst und Regierung taten mit dem halbherzigen
Vorstoss in Bern wenig.
In der Schweiz wurden eine ganze Anzahl weiterer Spionage-Urteile gegen Liechtensteiner oder
Personen mit Beziehungen zu Liechtenstein gefällt.
Im März 1945 folgte noch ein drittes schweizerisches Todesurteil - nach Quaderer und Kranz wegen militärischen Landesverrats gegen einen
Liechtensteiner, nämlich gegen Theo Wolfinger von
Balzers. Überdies war auch ein Todesurteil gegen
den in Liechtenstein lebenden Schweizer Emil
Scherzinger ergangen. Kranz und Wolfinger und
Scherzinger entgingen der Hinrichtung nur, weil
sie während des Krieges nicht in der Schweiz
gefasst wurden. Kranz und Wolfinger und ebenso
Weh wurden aber nach dem Krieg von den alliierten Besatzungsbehörden an die Schweiz ausgeliefert, sie verbüssten dort nach neuen Urteilen
teils lange Zuchthausstrafen, so wie etliche weitere Liechtensteiner auch. Wieder andere in der
Schweiz verurteilte liechtensteinische Spione konnten dies vermeiden, indem sie die Schweiz bis zur
Verjährung nicht mehr betraten.
RECHTSSTAATLICHES VERFAHREN?
Des Strafrechtlers Peter Noll Untersuchung der
Prozesse der 17 in der Schweiz hingerichteten Landesverräter, darunter eben Quaderer, zeigt, dass
durchwegs rechtsstaatlich korrekt verfahren wurde. Quaderer wurde nicht einfach rasch gefasst,
abgeurteilt und exekutiert. Die Untersuchung wurde sorgfältig geführt, ebenso die Gerichtsverhandlung und das Begnadigungsverfahren.
Grundsätzlich problematisch aber war und
bleibt vor allem, worauf auch Noll hinweist, die
verhängte und vollstreckte Todesstrafe.
S T R A F Z W E C K E : A R S C H R E C K U N G , SÜHNE,
GERECHTIGKEIT?
Auf was für Strafzwecke zielte die Verhängung
der Todesstrafe für Landesverräter? Wurden sie
erreicht? Im Vordergrund standen damals Abschreckung und Sühne, auch Herstellung von Gerechtigkeit.
Die Abschreckung diente der Abwehr weiteren
Verrats. Die Verrätereien gingen denn auch nach
Bekanntwerden der ersten Todesurteile, im Herbst
1942, sogleich auffällig zurück. Das Risiko erschien
nun plötzlich als zu hoch, wegen ein paar hundert
oder tausend Franken das Leben zu verlieren.
Auch Alfred Quaderer, der kein Nationalsozialist
war, sondern leichtes Geld im Auge hatte, rechnete
während seines Tuns gewiss nie damit, dass er auf
dem Richtplatz enden könnte.
Sühne wurde gefordert, für den als niederträchtig gewerteten Verrat, der die Existenz des Landes
und das Leben seiner Bewohner gefährdete. Für
das schwerste Verbrechen, den Verrat, galt die
schwerste Sühne, der Tod. Quaderer äusserte Bereitschaft zu «sühnen», aber nicht mit dem Tod.
Gerechtigkeit schien aber dem Gericht, den
Behörden, der Bundesversammlung und der Öffentlichkeit in den schwersten Fällen erst durch
den Tod des Verräters wiederhergestellt, waren
doch gleichzeitig Hunderttausende in Angst um ihr
Leben, auch bereit zum Einsatz des Lebens für die
137
Verteidigung des Landes. Sogar der Theologe Karl
Barth, der später die Todesstrafe grundsätzlich
ablehnte, befürwortete sie w ä h r e n d des Zweiten
Weltkrieges für Landesverräter, angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung der Schweiz.
WAS H Ä T T E QUADERER VOR EINEM L I E C H TENSTEINISCHEN GERICHT E R W A R T E T ?
Quaderer hatte zum Nachteil der Schweiz spioniert. Wäre sein Tun auch in Liechtenstein strafbar
gewesen? Mit welchen Konsequenzen? Diese an
sich hypothetische Frage lässt sich in diesem Falle
sehr konkret beantworten. Denn gerade die in der
Schweiz später als Landesverräter zum Tode verurteilten Spione Willy Kranz, Emil Scherzinger und
Theo Wolfinger waren wegen ihrer Spionagetaten
aufgrund schweizerischer Liinweise Ende 1942
schon in Liechtenstein verhaftet und 1943 in Vaduz
auch verurteilt worden. Wir dürfen daher davon
ausgehen, dass sich für Alfred Quaderer hier ein
Strafmass in ähnlichem Rahmen ergeben hätte.
Willy Kranz wurde vom liechtensteinischen Kriminalgericht im März 1943 wegen verbotenen militärischen Nachrichtendienstes zu einem Jahr und
neun Monaten Kerker verurteilt, Wolfinger zu zwei
Jahren Kerker, Scherzinger zu zweieinhalb Jahren
Kerker. In der Schweiz dagegen wurden, wie weiter
oben erwähnt, alle drei später für die gleichen
Spionagevergehen zum Tod verurteilt. Kranz, Wolfinger und Scherzinger entwichen allerdings schon
im April 1943 aus dem Vaduzer Gefängnis, nach
Deutschland.
Auch Quaderer, dessen Spionagetaten mit jenen
von Kranz vergleichbar waren, hätte also, wäre er
in Liechtenstein verhaftet und hier verurteilt worden, mit einer Kerkerstrafe von etwa zwei Jahren
rechnen müssen.
Der ins Auge springende Unterschied in der Beurteilung der gleichen Tatbestände gründete darin,
dass sich erstens die Verratshandlungen gegen die
Schweiz und nicht direkt gegen Liechtenstein richteten und dass sie zweitens im Fürstentum nicht
von einer Strafnorm erfasst wurden, welche sie als
138
Landesverrat gewertet hätte, sondern nur vom
«Spitzelgesetz» von 1937, dem «Gesetz betreffend
den Schutz der Sicherheit des Landes und seiner
Bewohner», mit entsprechendem Strafrahmen. Auf
«Hochverrat» wäre zwar auch im liechtensteinischen Strafgesetz noch die Todesstrafe gestanden.
Aber Spionage für oder gegen ein fremdes Land in diesen Fällen für Deutschland, gegen die
Schweiz - galt nicht als Hochverrat, sondern nur
als verbotener Nachrichtendienst.
L A N D E S V E R R Ä T E R A U C H GEGENÜBER
LIECHTENSTEIN?
Hatten Alfred Quaderer und weitere wegen Landesverrats in der Schweiz verurteilte Liechtensteiner auch Landesverrat an Liechtenstein verübt?
Nach dem Wortlaut der liechtensteinischen Gesetze
offensichtlich nicht, jedenfalls nicht im Sinne des
Hochverrats nach Strafgesetzbuch, wie oben gezeigt. Juristisch waren sie also keine liechtensteinischen Landesverräter.
Zumindest politisch und moralisch allerdings
rückten sie in die Nähe auch des liechtensteinischen Landesverrats, des «Hochverrats». Quaderer
und die weiteren für Hitlerdeutschland spionierenden Liechtensteiner gefährdeten nämlich durch
ihren Verrat gegen die Schweiz auch das Fürstentum und seine Bewohner existentiell. Wie die
militärische Bedrohung der Schweiz Liechtenstein
mit einschloss, so umgriff Landesverrat gegen die
Schweiz auch Verrat gegen Liechtenstein. Entlang
dieser Linie wurde damals, wie hier sichtbar
geworden ist, auch in den Schweizer Instanzen
und ebenso in der liechtensteinischen Presse
und Öffentlichkeit argumentiert. Diese Überzeugung war es ja eigentlich gewesen, welche für Gericht und Behörden in der Schweiz den Ausschlag
gegeben hatte, Quaderer ohne Milde dem Tod zu
überantworten.
Selbst die liechtensteinische Gesandtschaft in
Bern hielt ein Jahrzehnt nach dem Krieg im
Zusammenhang mit Begnadigungseingaben von
Liechtensteiner Spionen, die 1955 noch in Schwei-
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
zer Gefängnissen einsassen, im selben Sinne fest:
Handlungen gegen die militärische Bereitschaft der
Schweiz im Zweiten Weltkrieg seien letztlich indirekt auch gegen Liechtenstein gerichtet gewesen.
VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT: DEN KLEINEN
GEHÄNGT?
Trotz allem - war die Todesstrafe für die Verratshandlungen von Alfred Quaderer und seinesgleichen wirklich verhältnismässig? Hat man ihn nicht
als den sprichwörtlichen Kleinen exekutiert?
In der Tat waren die Verurteilten, wie auch
Quaderer, in der Regel arm oder ärmlich, nicht vom
Leben verwöhnt, auch wenn sie nicht aus Not
handelten, schlecht integriert auch. So schwer gewogen wurden ihre Vergehen aber, weil sie den
vitalsten Bereich, Existenz und Leben, betrafen.
Und weil es Taten waren, nicht nur Gedanken oder
Worte, sondern Werke, verboten, von Sanktion
bedroht, fassbar. Und weil diese eindeutig waren,
nicht ambivalent wie etwa wirtschaftliche Kooperation und Kollaboration. Denn die wirtschaftliche
Zusammenarbeit mit Hitlerdeutscbland, insbesondere die Lieferung von Rüstungsmaterial und
kriegswichtigen Gütern, war nicht nur nicht generell verboten, sondern hatte aus Schweizer wie
Liechtensteiner Sicht immer auch als nützlich erachtete Seiten, indem sie Arbeit schuf, die lebenswichtigen Einfuhren aus dem Reich sicherte, vielleicht Hitler gar vom Angriff abhielte.
deutschen Bewegung in Liechtenstein»? Waren sie
etwa besser als Quaderer? Die Frage nach der Verhältnismässigkeit ist auch die Frage nach der Gerechtigkeit. Gegenüber der tödlichen Konsequenz,
welche Quaderer als militärischen Landesverräter
traf, empörte damals und störte noch später viele
im Fürstentum das ungeschorene Davonkommen
vieler und Grösserer, welche ähnliche Ziele mit andern Mitteln angestrebt hatten. Wie gezeigt, wäre
Quaderer in Liechtenstein mit etwa zwei Jahren
Kerker davongekommen. Man hat in Liechtenstein
gewartet, bis der Krieg vorbei war, und dann jene
Bewegungs-Führer, die 1939 den Anschlussputsch
verantworteten, auch gerichtlich abgeurteilt, ebenso den ab 1940 tätigen, anschlussbereiten Landesleiter der «Volksdeutschen Bewegung», Dr. Alfons
Goop, der für die einheimische NS-Bewegung und
für deren Mitleiter, einschliesslich «Umbruch»Kampfblatt-Redaktoren, die ganze Verantwortung
und eine mehrjährige Strafe auf sich nahm.
So kann man sagen.- Ja, man hat mit den Landesverrätern in der Schweiz, einschliesslich Quaderer, die Kleinen erschossen, aber nicht weil man
nur die Kleinen hängen und die Grossen laufen
lassen wollte, sondern weil sie, obwohl Kleine,
Grosses verbrochen, das Land und das Leben der
Bewohner durch Verrat tödlich gefährdet hatten.
Dass dem so war, dessen waren sich allerdings
Quaderer und Roos und manche andere nicht wirklich bewusst.
Und die Verhältnismässigkeit gegenüber den
Bemühungen der Anschluss-Leute, hierzulande der
Anschluss- und «Umbruch»-Aktivisten der «Volks139
6
Zeit und Mentalität
Zum Schluss muss man sich aus der Rückschau die
Zeitbedingungen vergegenwärtigen: Zweiter Weltkrieg, die Schweiz und Liechtenstein vom Krieg
umflossen, Gefährdung von allen Seiten, Unsicherheit, ob man nicht angegriffen werde, Pflichten,
kriegswirtschaftliche Einschränkungen, Zukunftsund Lebensangst, Todesangst. Da erschienen Verratshandlungen gegen das eigene Land als Dolchstösse, Verräterei als eine Form der Kriegführung,
die Verräter als Feinde, als zum Feind übergelaufene Soldaten, denen man schliesslich, nach Gerichtsverfahren zwar, auf dem Richtplatz auch mit
der Waffe entgegentrat. In jener Zeitsituation und
Stimmung wussten sich die Behörden mit der Bevölkerung in solcher Bewertung der Landesverräter, auch der Todesurteile, einig.
Auch in Liechtenstein nahm man den Prozess
gegen Alfred Quaderer und seine Hinrichtung, die
man erfuhr, offenbar mit Interesse, aber ohne grosses Mitleid hin. Viele waren empört ob des verräterischen Treibens. Manche, zumal die aktiven NSGegner, empfanden Genugtuung über die Strafe.
Diese erschien als hart, aber gerecht und nötig. Im
Krieg galt ein Menschenleben wenig, gar das eines
Verräters. Die Behörden zeigten wenig Eifer, zugunsten des Lebens von Quaderer einzuwirken,
das Landesinteresse, die Bewahrung des guten
Verhältnisses zur Schweiz, ging vor. Quaderer war
seit der Primarschulzeit landesabwesend, halb
fremd, Schweizer Dialekt redend, man kannte ihn
hier kaum mehr. Nach dem Krieg redete man
wenig mehr davon, man wusste auch nichts Genaues.
Eines führt der hier geschilderte Fall des Alfred
Quaderer gerade auch für das kriegsverschonte
Liechtenstein drastisch vor Augen: Ins allgemeine
Kriegsgeschehen waren lauter Einzelschicksale
eingebettet, und es ging um Leben und Tod.
Dass freilich der Tod auch im extremsten
Schuldfall einem Menschen nicht als gerichtliche
Strafe von Staates wegen zugefügt, sondern ihm
sein Letztes, das Leben, immer bewahrt werden
sollte - wie es die Überzeugung des Verfassers ist -,
dies hat in jener extremen Zeitsituation nicht der
allgemeinen Mentalität entsprochen.
140
LANDESVERRAT: DER FALL DES 1944 IN DER SCHWEIZ
HINGERICHTETEN ALFRED QUADERER / PETER GEIGER
QUELLEN UND
LITERATUR
ARCHIVQUELLEN
Liechtensteinisches
Landesarchiv (LLA): RF
219/28. - RF 224/303. RF 224/460. - RF 234/
131. - S 75/203. -Weitere
Einzelakten.
Bundesarchiv Bern:
E 5330 1982/1, Bände
92-94, 98/124/1943. E 5330 1982/125. Protokoll des Bundesrates
vom 16. Mai 1944.
Staatsarchiv St. Gallen:
A116/1383.
Akten aus dem Nachlass
von RegierungschefStellvertreter Ferdinand
Nigg (dem Verfasser
freundlicherweise zur
Einsicht gegeben von
Professor Ernst Nigg,
Vaduz; die Akten heute
auch im LLA).
Stadtarchiv Zug (freundliche Auskunft von Stadtarchivar Dr. Christian
Raschle).
Zivilstandsamt Vaduz.
Zivilstandsamt der Stadt
Zug: Todesschein Alfred
Quaderer (freundliche
Auskunft von Irene
Schwendimann).
Zivilstandsamt der Stadt
Zürich: Todesschein Alfred
Quaderer, Begräbnisangabe (freundliche
Auskunft von Hrn. Steinmann).
GEDRUCKTE QUELLEN
Bericht an die Bundesversammlung über den Aktivdienst 1939 bis 1945 von
General Guisan (März
1946).
Bericht des Chefs des
Generalstabes der Armee
an den Oberbefehlshaber
der Armee über den
Aktivdienst 1939-1945
(von Generalstabschef
Jakob Huber, November
1945).
Bericht des Armeeauditors
(Oberstbrigadier Jakob
Eugster), in: Bericht des
Generaldajutanten der
Armee an den Oberbefehlshaber der Armee
über den Aktivdienst
1939 bis 1945, S. 239-265
(20. August 1945).
Die Tätigkeit des Sicherheitsdienstes der Armee
(von Oberst Müller und
Oberst Jaquillard), Nachtrag Nr. 2 zum Bericht
vom November 1945 des
Chefs des Generalstabes
über den Aktivdienst 1939
bis 1945. In: Bericht des
Chefs des Generalstabes
(siehe dort), S. 463-513.
Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 19181945, Serie E: 1941-1945,
Bd. III, Dok. Nr. 258
(Schreiben von Köcher
ans Auswärtige Amt.
1. September 1942).
Schweizerisches Militärstrafgesetz (MStG), Bundesgesetz vom 1 3. Juni
1927.
Schweizerische Militärstrafgerichtsordnung
(MStGO), Bundesgesetz
vom 28. Juni 1989.
Schweizerisches Strafgesetzbuch (StGB), Bundesgesetz vom 21. Dezember
1937.
Österreichisches Strafgesetz über Verbrechen,
Vergehen und Übertretungen vom 27. Mai 1852,
eingeführt im Fürstentum
Liechtenstein mit der
fürstlichen Verordnung
vom 7. November 1859.
In: Amtliches Sammelwerk
der Liechtensteinischen
Rechtsvorschriften vor
1863, Liechtensteinisches
Landesgesetzblatt 1967,
Nr. 34.
ZEITZEUGEN-INTERVIEWS DES VERFASSERS
Armin Linder t, St. Gallen,
vom Juni 1976.
Johannes Tschuort,
Pfarrer von Schaan, vom
LI. und 31. Mai 1988.
Fürst Franz Josef IL
von Liechtenstein t, vom
10. Februar 1989.
Meinrad Lingg, Schaan,
vom 29. Januar 1998.
Weitere Einzelmitteilungen
verschiedener Personen.
Gesetz betreffend den
Schutz zur Sicherheit des
Landes und seiner Bewohner vom 1 7. März 1937
(seinerzeit «Spitzelgesetz»
genannt), Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
1937, Nr. 3.
ZEITUNGEN
Werdenberger & Obertoggenburger (W&O). (Buchs),
1939-1945; hier speziell
März bis Juni 1944.
Liechtensteiner Volksblatt,
März bis Juni 1944.
Liechtensteiner Vaterland,
März bis Juni 1944.
St. Galler Tagblatt (Ausschnitte 1944 im Staatsarchiv St. Gallen, s. oben).
Die Ostschweiz (Ausschnitte 1944 im Staatsarchiv St. Gallen, s. oben).
Die Jugend, Mitteilungsblatt des Fürstlich-Liechtensteinischen Pfadfmderund PfadfinderinnenKorps, ab April 1944,
1945.
141
LITERATUR
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Ein biographisches Lexikon. Zweite Auflage.
Zürich, München, 1992.
Bonjour, Edgar: Geschichte
der schweizerischen
Neutralität, Vier Jahrhunderte eidgenössischer
Aussenpolitik, Band V:
1939-1945. Zweite, durchgesehene Ausgabe. Basel,
Stuttgart, 1971.
Geiger, Peter: Krisenzeit,
Liechtenstein in den
Dreissigerjahren 19281939. 2 Bände. Vaduz,
Zürich, 1997.
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In: Geiger, Peter / Waschkuhn, Arno (Hrsg.): Liechtenstein: Kleinheit und
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Die Schweiz im Nachrichtendienst des Zweiten
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Stuttgart, 1972.
Meienberg, Nikiaus: Die
Erschliessung des Landesverräteres Ernst S. Zürich,
1992 (erstmals veröffentlicht 1975 in Nikiaus
Meienberg: Reportagen
aus der Schweiz; verfilmt
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Dindo 1975).
Meier, Adolf: Eschner
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142
Noll, Peter: Landesverräter. 17 Lebensläufe und
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im Krieg 1933-1945.
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Gotthardverteidigung mit
Festungsartillerie. In:
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Nr. 14 / Sommer 1999,
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Unser Alpenkorps. Hrsg.
vom Gebirgsarmeekorps 3.
Ölten. 1983.
Wanger, Manfred: Stammtafeln der Bürgerfamilien
von Schaan.Schaan,
1989.
BILDNACHWEIS
ANSCHRIFT DES AUTORS
S. 115 und 117:
Gemeindearchiv Schaan.
PD Dr. Peter Geiger
Im obera Gamander 18
FL-9494 Schaan
S. 123, 132, 134 und 135:
Landesarchiv und Landesbibliothek, Vaduz («Liechtensteiner Volksblatt»,
«Liechtensteiner Vaterland»).
S. 122, 126, 127 und 130:
BuchsDruck («W&O»),
Buchs.