Rocker tanzen Twist im Kuhstall

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Rocker tanzen Twist im Kuhstall
ZO/AvU
MONTAG, 12. SEPTEMBER 2011
REGIONALKULTUR l 9
Rocker tanzen Twist im Kuhstall
GOSSAU. Von Donnerstagbis Samstagnacht feierten Jungund Altrocker zum vierten
Mal im Kuhstall der Familie
Messerli. Beim «Rock im Stall»
zeigte sich die Spider Murphy
Gang mit grosser Spielfreude.
IMRE MESTERHAZY
«Laue Nächte, heisser Sound, Bier,
‹zwägi Lüüt› und dementsprechend
ausgelassene Stimmung», so ein Besucher der vierten Ausgabe von «Rock
im Stall» in Gossau. Etwas populis­
tischer, dafür komprimierter drückte
es sein Kumpel aus, der extra wegen
der Spider Murphy Gang aus dem
Bündnerland angereist war: «Huara
geeeil!»
Der Stall mit respektablen 40 auf 16
Metern Grundfläche ist üblicherweise
die gute Stube von zehn Zuchtkühen,
die derweil aus erwähntem Anlass auf
der Weide campierten. Dies dürfte
das geringste Problem der fünf Leute
vom Organisationskommitee und
ihrer achtzig wackeren Helfer ge­
wesen sein. Schwieriger ist es wohl,
den «Papierkram» und den reibungslosen Ablauf eines solchen Anlasses
zu koordinieren.
Bekannte Rocker im Stall
Waren es am Fest vor zwei Jahren gut
2000 Gäste, so muss dieses Wochenende deutlich mehr Rockfans nach
Gossau gelockt haben. Dafür sorgte
unter anderem das Programm, das
­einige neue und alte Namen trug. Am
Donnerstag legten die Blaumeisen
vor, die deutsche Partyband, die in
ihrem Repertoire auch Schweizer
Klassiker wie «Swiss Lady» oder
«Giggerig» hat. Eine etwas härtere
Gangart schlugen dann die Lokal­
matadoren Other Fools am Freitag
ein. Sie wärmten den Stall für den
Hauptact China auf.
Die Spider Murphy Gang ist schon etliche Jahre unterwegs, spielt aber immer noch einen mitreissenden Rock ’n’ Roll. Bild: Imre Mesterhazy
Die Formation Supersonic hatte
dann die Ehre, vor dem eigentlichen
Hauptkonzert des diesjährigen «Rock
im Stall» aufzutreten. Ein mit Fans
rappelvoller Stall begrüsste dann die
Spider Murphy Gang. «Pfüati Gott!»
Die Münchner Rocker starteten altbewährt bayrisch. Und wenn auch der
Weg im Musikgeschäft etwas steiler
wird: «I ziags net aus, meine Rock-’n’Roll- Schuah» ist die Devise. Und die
hat Frontmann Günther Sigl mindes-
Stimmgewaltiger Auftritt
mit heimischer Klavierbegleitung
WEISSLINGEN. In der
Mehrzweckhalle Widum in
Weisslingen traten am Samstag
Marc Sway und Freda Goodlett
auf – und wurden am Piano von
einer lokalen Grösse begleitet.
MICHEL SUTTER
Heimspiele sind etwas Besonderes.
Das gilt nicht nur für den Sport, sondern auch für die Musik: Einheimische Künstler werden für gewöhnlich
frenetischer empfangen als Musiker,
die aus einer anderen Stadt oder gar
einem anderen Land kommen.
Das spürte auch Christian Roffler
am Samstagabend kurz nach halb
neun Uhr. Dann nämlich betrat er als
Erster die Bühne in der Mehrzweckhalle Widum in Weisslingen. Unter
grossem Jubel der rund 240 Besucherinnen und Besucher setzte sich der
Musiklehrer aus Weisslingen für sein
erstes Heimkonzert überhaupt ans
Keyboard.
Mit Witz und Coverversionen
Seine beiden musikalischen Partner,
Marc Sway und die gebürtige Amerikanerin Freda Goodlett, kamen kurz
darauf ebenfalls auf die Bühne. Mit
dem Klassiker «Love the One You’re
With» von Stephen Sills eröffnete das
Trio sein Konzert und damit den musikalischen Reigen von Hits, wie beispielsweise «Just the two of us», «No
Woman No Cry» oder auch «Don’t
Worry Be Happy», bei dem das Publikum zum Erstaunen von Marc Sway
die Melodie voller Enthusiasmus mitpfiff.
Fast alle Songs sangen Marc Sway
und Freda Goodlett, die mit ihrer
Soulstimme und durch ihre unglaubliche Bühnenpräsenz faszinierte, im
Duett. Sway liess es sich aber nicht
nehmen, auch sein musikalisches Flair
unter Beweis zu stellen. Beim ersten
Song übernahm er den Gitarrenpart,
während er bei anderen Stücken für
die Perkussion sorgte.
Zwischen den Songs sorgte er auch
immer wieder für die Unterhaltung
des Publikums. So persiflierte er einen
spanischen Sänger mit tiefer Stimme,
wobei der Halbbrasilianer Sway sich
damit nicht weit von seinen eigenen
Wurzeln wegbegeben musste. Der
Komponist und Sänger wohnt im
Glatttal in Pfaffhausen und hat einige
seiner Lieder in Fällanden geschrieben. Ob auch «Losing» dazugehört,
war am Abend in Weisslingen nicht
auszumachen. Jedenfalls kündigte er
ihn scherzhaft mit «der Song handelt
davon, dass man etwas verliert – mein
Portemonnaie» an. Auch während der
Songs brachte er das Publikum immer
wieder mit überzogenem Gesang zum
Lachen. Kein Zweifel: Marc Sway war
der Leader der an für sich gleich gestellten Musiker.
Roffler fühlte sich zu Hause
Der heimliche Star des Abends war
aber Christian Roffler, der seit einigen
Jahren auch Mitglied von Marc Sways
Band ist. Dass er zum Trio gehört, das
seit zwei Jahren in kleineren Locations auftritt, ist Zufall: «Ein winziger
Musikclub hat mich mal angefragt, ob
es möglich wäre, ein solches Konzert
mit Sway zu machen», erzählt er.
«Dann haben wir ungeprobt gespielt.»
Mittlerweile treten sie 10 bis 20 Mal
pro Jahr in dieser Formation auf, zum
ersten Mal allerdings in Weisslingen.
«Für mich ist das natürlich ein spezieller Auftritt», gesteht Roffler. «Ich
kenne hier sehr viele Leute, und man
merkt auch, dass die Stimmung hier
sehr gut ist.»
Gekonnt vermischt
Die Stimmung erreichte bereits beim
sechsten Song ihren Höhepunkt. Bei
«Just the Two of Us» spielte Roffler
plötzlich die Akkorde von «Papa Was
A Rolling Stone», bei dem sowohl
Sway als auch Goodlett stimmlich
ihren wohl stärksten Moment an diesem Abend erwischten. Für grossen
Applaus sorgte dann später auch noch
Rofflers rasantes Solo am Piano, mit
dem er sein Können demonstrierte.
Insgesamt präsentierten sich an
diesem Abend in Weisslingen die drei
Protagonisten – ein Pianist, ein musikalisches Multitalent und ein charismatisches Stimmwunder – in Höchstform. Das Publikum quittierte den
Auftritt denn auch mit viel Applaus.
Das Trio wird wohl auch bei seinen
nächsten Auftritten für Furore sorgen
– auch wenn es dann für Christian
Roffler kein Heimspiel mehr sein
wird.
tens seit 1977 an, als er und seine
­M itstreiter die Spider Murphy Gang
gründeten.
Die gutgebuchten Jungs gaben auch
in Gossau ein Konzert voller Spielfreude und Energie. Mit ihrem schnör-
kellosen Rock ’n’ Roll brachten sie die
Glastrennwand zum Freilichtfumoir
zum Zittern. Und beim von allen
erwartenden Skandalsong um das
­
leichte Mädchen Rosi tanzten alle
­Rocker im Stall enthemmt den Twist.
Kampf mit Worten
im Haus der Sprachen
HINWIL. Am Samstag öffnete
das Übersetzerhaus Looren
zum siebten Mal seine Türen.
Diesmal für vier Schweizer
Poeten, die zu einem
Mundart-Poetry-Slam antraten.
JÉRÔME STERN
Zwischen Kuhweiden, Obstbäumen
und Haselhecken liegt das Übersetzerhaus Looren. Beim Buffet vor dem
Eingang begrüsst Leiterin Gabriela
Stöckli vertraute Gäste. «Wir wollten
unserem Stammpublikum sprachlich
etwas Neues vorstellen und gleichzeitig neue junge Gäste begeistern», erklärt sie charmant. «So kamen wir auf
die Idee eines Poetry-Slams.»
Im Festzimmer sind die Fenster
verdunkelt. Hier, wo wochentags
einsame Übersetzer an Worten und
­
Sätzen feilen, sind jetzt alle Sitzplätze
belegt – Treppenstufen und Fenstersimse eingerechnet.
Aus allen Ecken der Schweiz
Gäste aller Altersklassen warten auf
die jungen Poeten, vier Schwergewichte der Szene: Simon Chen aus
­Fribourg für die Westschweiz und auf
Berndeutsch, der Sankt Galler Etrit
Hasler vertritt die Ostschweiz. Mit
Daniel Schellenberg ist ein Zürcher
am Start, und die amtierende SlamEuropameisterin Lara Stoll verteidigt
nicht nur die Frauenehre, sondern
auch ­diejenige als Schaffhauserin.
Üblicherweise sind Poetry-Slams
Wettbewerbe, doch heute gibt es keine
Jury und damit auch keinen Sieger.
Doch eine besondere Herausforderung erwartet die Teilnehmer: Zu­
sätzlich zum freien Vortrag müssen
sie Gedichte Schweizer Autoren in
Mundart übersetzen und rezitieren.
So weit die Ausgangslage – doch wie
werden die Poeten diese Herausforderung meistern?
Das Einkaufsgrauen
Daniel Schellenberg beginnt mit
einem furiosen Vortrag. Sein «Mut
zur Wut» ist ein wütender Aufschrei
gegen den Terror der Einkaufswägelchen, gegen versperrte Yoghurtregale
und stereotype Fragen: «Händ Si öisi
Chaarte? Und wänd Si öisi Märkli?»
Kurz – gegen alles, was mit dem täg­
lichen Einkauf zu tun hat. Als zweiter
tritt Simon Chen vors Mikrofon. Er
parodiert einen Schweizer, der sich in
Englisch versucht: «No, you can not go
around with me like that! What him
then falls in?» Und liefert gleich die
Übersetzung: «So kannst du nicht mit
mir umgehen! Was fällt dir denn ein?»
Lara Stoll huldigt selbstironisch
Lebenskrisen für jede Budget- und
Altersklasse: «Spätestens ab 30 wird
sicher alles besser. Das sehe ich deutlich beim heutigen Publikum.»
Heimlicher Sieger wird aber Etrit
Hasler mit seiner Rede über die libyschen Verhandlungen von Bundesrat
Merz. Den tosenden Schlussapplaus
haben die vier dann gleichermassen
wohlverdient.