Was vom Ruhm übrig bleibt

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Was vom Ruhm übrig bleibt
Wer kennt sie noch, die
Fußballvereine vergangener
Zeiten und ihre Spielstätten,
wenn das Scheinwerferlicht
einzig auf die großen Stadien
und Vereine der Gegenwart
gerichtet ist?
Das Ausstellungsprojekt der
Deutschen Sozial-Kulturellen
Gesellschaf t in Breslau und
wochenblatt.pl „Was vom
Ruhm übrig bleibt …“ greift
diese Frage auf und nimmt
den Betrachter mindestens
noch bis zum 17. Juni in
Breslau und bald hof fentlich
auch in Oldenburg auf eine
Spurensuche in die Breslauer
Fußballgeschichte mit – während Slask Wroclaw noch die
Meisterschaf t 11/12 feiert ...
von Till Scholtz-Knobloch
www.wochenblatt.pl
U
Was vom Ruhm übrig bleibt ...
Breslauer Fußballarchäologie
50
Seit 1920 spielte der BFV 06 „An den Oswitzer Friedhöfen“;
der Platz bot 6.000 Zuschauern Platz. Heute zeigt selbst die
Nachnutzung Verfallsspuren!
nter Denkmalschutz stehen mittlerweile
unzählige
Bauwerke.
Feine Jugendstillvillen, Gebäude aus der
Gründerzeit, Häuser verschiedensten
Alters, deren Architektur typisch für die
Epoche ist, in welcher sie erbaut wurden. Auch schlichte Gebäude aus den
Fünfzigern oder Fabrikgebäude, wie das
Fagus-Werk in Alfeld, das im letzten
Jahr sogar auf den Status des UNESCOWeltkulturerbes gehievt wurde, werden
„ausgezeichnet“ und können mitunter sogar Touristen anlocken.
Fußballstadien haben da einen deutlich
schwereren Stand. Obwohl sie oft über
Jahrzehnte Anlaufstelle für unzählige
Zuschauer sind oder waren, historische
51
Vorwärts-Rasensport
Gleiwitz (Gliwice)
Preußen Zaborze
Beuthner SuSV 09 (Bytom)
DFB-Gründungsmitglied SV Blitz
Spiele in ihnen ausgetragen wurden
und sie ebenfalls über architektonische
Besonderheiten ihrer Erschaffenszeit verfügen, wird nur selten eine schützende
Hand über die Stadien gelegt, um sie für
nachkommende Generationen zu erhalten. Es ist noch gar nicht so lange her,
dass im Fußball-Norden Deutschlands
der VfB Oldenburg aus seiner ehemaligen Spielstätte „Donnerschwee“ ausziehen musste, und in unserer nordvier-Ausgabe Nummer 15 berichteten
wir unlängst über die Einmottung des
Stadions Marienthal, wo der SC Concordia
Hamburg unter Flutlicht nahezu unzählige Fußballschlachten austrug.
In einer Zeit der großen Fußballtempel
mit
aufgeblähten
internationalen
Wettbewerben müssen die Anhänger
historischer Stadionarchitektur zunehmend länger suchen, um historische
und gleichzeitig noch im Spielbetrieb
befindliche Fußballplätze mit dem Flair
früherer Tage auf der Fußballlandkarte
zu finden. Die Fans der RegionalligaNord-Aufsteiger Victoria Hamburg und
des VfR Neumünster sollten es daher zu
schätzen wissen, alle zwei Wochen in typische Stadien ihrer Zeit pilgern zu können – jedenfalls was den geschichtlichen
Gesichtspunkt betrifft. Auch die AdolfJäger-Kampfbahn von Altona 93 und das
Rudolf-Kalweit-Stadion der Blauen vom
SV Arminia Hannover gehören zu den
größeren, nördlichen Grounds, auf denen
seit Jahrzehnten in beinahe unveränderter
Umgebung dem Leder nachgestellt wird.
In anderen Ländern, wie z. B. Polen,
verläuft die Entwicklung analog. Viele
Plätze, auf den denen in früheren Tagen
bedeutsame Spiele ausgetragen wurden, sind nicht mehr vorhanden oder in
Vergessenheit geraten, während dieser
Tage in Polen die EM das Fernseh- und
Straßenbild beherrscht. Die Deutsche
Sozial-Kulturelle Gesellschaft mit Sitz in
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Breslau hat nun in Zusammenarbeit mit
der in Polen verlegten und in deutscher
und polnischer Sprache verfassten Zeitung
„Wochenblatt“ eine Ausstellung ins Leben
gerufen, bei welcher es sich um die bedeutendsten Breslauer Vereine und damit die
Geschichte des Fußballs in Breslau dreht.
Neben vielen Informationen gibt es historische Bilder sowie aktuelle Aufnahmen
von Stadien oder Stadionfragmenten zu
sehen, die aus der Zeit stammen, als sie
Kulisse z. B. bei Spielen um deutsche
Meisterschaften waren, heute jedoch ein
nahezu unbeachtetes Dasein zwischen
Wohnblocks oder anderswo fristen.
Till Scholtz-Knobloch, Chefredakteur vom
wochenblatts.pl, hat viel Zeit und Herzblut
in die Ausstellung investiert, die im
Anschluss an ihre Premiere in Schlesien
auch in Braunschweig, Salzgitter und möglichst noch in Oldenburg ihre Pforten öffnen soll. Einen kleinen historischen Abriss
über den Fußball in Breslau, garniert mit
einigen Bildern, wollen wir in diesem
Zusammenhang in nordvier vorstellen –
für den Fall, dass der geneigte Leser in
diesen Tagen keine Zeit hat, eine Reise
nach Schlesien anzutreten.
Aus der Breslauer Fußballgeschichte vor 1945
2010/11
spielten
646
SeniorenHerrenmannschaften in Niederschlesien
mit seinen über 2,8 Mio. Einwohnern.
Zum Vergleich: Der Fußballverband der
Freien Hansestadt Bremen (660.000
Einwohner) hatte gleichzeitig 654 SeniorenHerrenmannschaften im Spielbetrieb. Im
Fußball sind also über viermal so viele
Deutsche gegenüber Polen im Verein organisiert. Das traditionell stark entwickelte
deutsche Vereinswesen stand auch vor dem
Krieg in Breslau in voller Blüte.
Neben den dort führenden Vereinen
komplettierten Klubs wie dem VSV
Union Wacker 08, SC Alemannia 09,
PfL, SC Minerva Rasenfreunde 09, SV
Straßenbahn, SV Großmarkthalle 1892, SV
Grüneiche 1924, SC Sturm Brockau, PostSV Stephan, SC Askania 09, FC Eintracht
07, SC Deutsch Lissa, SC Hundsfeld, BBC
22, SC Viktoria, SV Borussia Carlowitz, BBC
Teutonia 22, SC Falke oder SC Germania
den „Breitensport“. Parallel existierten
Vereine mit eigenen Meisterschaften
der
Deutschen
Turnerschaft
(DT),
des „Rotsports“ (Kommunisten), der
Deutschen Jugendkraft (DJK) als katholische Sportorganisation und des
Arbeitersports (ATSB; 1924 wurde Stern
Breslau Deutscher ATSB-Vizemeister.
Nach der Gleichschaltung durch die Nazis
wurde der Verein als 1. FC Breslau neu
gegründet).
Wo heute im Stadtbild Breslaus oft nichts
mehr auf einstige sportliche Erfolge hinweist, finden wir morbide Relikte des Zahns
der Zeit. Es sind meist nicht die großen
Arenen, die wir heute kennen, aber schon
nach dem 1. Weltkrieg drängten sich oft
fünfstellige Zuschauermassen auf Plätzen,
die nun neben kleineren Holztribünen
auch mit gemauerten Stehtraversen für
neue Zeiten tauglich gemacht wurden und
denen man heute ihre einstige Bedeutung
nicht mehr ansieht.
Die Verstädterung gab den Menschen über
die Klubs ihres Viertels ein Heimatgefühl
ganz neuer Art. Einige wenige Plätze wurden auch nach 1945 Träger eines solchen
Heimatgefühls wie etwa das Stadion an
der ul. Oporowska des WKS Slask (zuvor Sportpark Gräbschen), von dessen
Ursprüngen heute jedoch fast niemand
mehr etwas ahnt. Und wer weiß, jetzt wo –
wie einst bei der Schlesierkampf bahn – alle
vom neuen EM-Stadion sprechen, könnte
auch das Stadion an der ul. Oporowska
mehr und mehr ins Abseits geraten, bis
eines Tages auch hier der Zahn der Zeit zuschlägt und Wehmut hinterlassen wird.
Im April 2012 feierte Polen 170 Jahre
Eisenbahn bezogen auf die damals in
deutschen Grenzen befindliche Strecke
Breslau-Ohlau. Hingegen soll im Fußball
dieses „Bodenprinzip“ (also die heutigen
Grenzen) nicht gelten? Dr. Eugeniusz
Piasecki ließ als Turnlehrer 1890 erstmals
im galizischen Lemberg Fußball spielen,
wo 1903 der erste Klub „Slawa“ gegründet wurde. Beides sind zentrale Eckdaten
der Fußballfrühgeschichte in Polen. Aber
sind wir konsequent und legen die gleichen Maßstäbe wie bei der Eisenbahn an,
dann ist bezogen auf die heutigen Grenzen
Breslau die Wiege des Fußballs in Polen,
auch wenn damals polnische Akteure fehlten.
Denn hier war es am 6. September 1892
zu einem ersten öffentlich dargebotenen
Fußballspiel von Mitgliedern des ATV
(Alter Turn-Verein) Scheitnig gekommen.
Die Fußballer des ATV gründeten am 13.
Oktober 1898 auch den ersten schlesischen
Fußballklub, den FC Breslau, der bis 1908
auf dem Spielplatz an der Pferderennbahn
Scheitnig kickte und der sich ab 1910 VfB
(Verein für Bewegungsspiele) nannte. Ob
nun erstes Spiel 1892 oder erster Klub
1898, nirgendwo im Gebiet des heutigen
Polens begann der Fußball früher! Feiern
wir also nicht nur die EM, sondern auch
120 Jahre Fußball im Gebiet des heutigen
Polens.
Auch als sich am 28. Januar 1900 in
Leipzig Vertreter von 86 Fußballvereinen
versammelten, um den Deutschen
Fußball-Bund zu gründen, war Breslau
vertreten. Dort allerdings durch den aus
einem Radfahrverein hervorgegangenen
SV „Blitz“ (ab 1907 VfR), von dem sich
1901 der dritte „Pionier“ SC Schlesien 01
abspaltete.
In Schlesien war jedoch erst am 25.
Februar 1903, dem Jahr der ersten
deutschen Meisterschaft, der „Verband
Breslauer Ballspielvereine“ durch den FC,
den SV Blitz, den SC Schlesien 01 und
einem Vorläufer der Vereinigten Breslauer
Sportfreunde, den SC Preußen 02, gegründet worden. 1904 fanden sich die Vereine
aus der Textilstadt Forst und aus Cottbus
zu einem Verband der Niederlausitz zusammen. Die Verbände Breslaus und der
Niederlausitz wurden am 18. März 1906
zum Südostdeutschen Fußballverband
(SOFV) mit der Maßgabe vereinigt, die
noch unorganisierten Gebiete in Schlesien
und der Mark Posen mit in ihre Reihen
zu nehmen. Das bevölkerungsreiche oberschlesische Industriegebiet bildete noch
im Gründungsjahr unter Beteiligung von
SC Diana, SC Germania und dem ersten
Kattowitzer Klub Preußen 05 (später 1. FC
Kattowitz), Borussia Myslowitz, Preußen
06 Ratibor sowie dem oberschlesischen
Pionier Ratibor 03 den dritten SOFV-Bezirk
neben der Niederlausitz und Breslau. 1910
gelang es dem SOFV dann auch Posen zu
Fragment vom Stadion des
SC Hertha Breslau
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einer Bezirksgründung zu führen – mehrere Jahre hatten der Deutsche Sportverein
(DSV) Posen und Britannia Posen mangels
lokaler Konkurrenz im Breslauer Bezirk
mitgespielt. Sechster Bezirk wurde 1911
die Oberlausitz, wo der SC Preußen Görlitz
(später STC) die Entwicklung 1906 ins
Rollen brachte.
Neue Vereine schossen nach dem 1.
Weltkrieg wie Pilze aus dem Boden. An
den Fronten hatten sich die Soldaten
der Völker, ehe oder nachdem sie aufeinander schossen, gegenseitig das neue
Spiel beigebracht und freundschaftlich
im Sport die Kräfte gemessen. In der
Chronik des DFB hieß es 1925 zu seinem 25-jährigen Bestehen mit Blick auf
Posen und Ostoberschlesien: „Durch den
Krieg und seine Folgen sind dem SOFV
schwere Gebietsverluste entstanden, wie
sie im Verhältnis zur Größe des SOFV
kein anderer Landesverband im DFB zu
erleiden hatte“. Dennoch nahm die Zahl
der Aktiven im SOFV rapide zu, denn
der ursprünglich elitäre Fußball wandelte sich nach dem Krieg zum Sport der
Massen, denn nun hatten auch Arbeiter
die nötige Freizeit. Sportlich ist dies daran abzulesen, dass manche Pionierklubs
den Anschluss verloren und nun die
durch Arbeiter geprägten Großstadtklubs
aus Hindenburg, Beuthen oder Gleiwitz
Erfolge feierten. Der SOFV mit seiner
Geschäftsstelle an der Viktoriastr. 85 (ul.
Lwowska) und später an der Piastenstr. 31
(ul. Piastowska) existierte nur bis zur nationalsozialistischen Gleichschaltung 1933,
die immerhin sportlich mit der Bildung
einer gesamtschlesischen Gauliga für den
neuen „Sportgau Schlesien“ als einen der
16 Gaue in Deutschland einen erheblichen
Fortschritt brachte.
Nach der Aufgliederung in eine nieder- und
eine oberschlesische Gruppe 1941 erfolgte
1943/44 der Spielbetrieb in Niederschlesien
kriegsbedingt nur noch in fünf Gruppen.
In einer Endrunde setzte sich der STC
Hirschberg als Meister vor der Breslauer
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SpVg 02 durch, ehe am 26. September
1944 die wegen Papiermangels gemeinsam erscheinenden Fachzeitschriften
„Fußball/Kicker“ verkündeten, dass „im
Gau Niederschlesien der Sportbetrieb
ruht“. Mit dem Zusammenbruch galten
alle Vereine als aufgelöst.
Wer ahnt schon, dass auf diesem freilich
veränderten Areal schon bis 1945 großer
Fußball geboten wurde.
Nach der Vertreibung bestritt eine schlesische Auswahl immerhin von Zeit zu Zeit
Spiele gegen andere Auswahlteams wie 1951
vor vollen Rängen gegen Niedersachsen
anlässlich der Hannovermesse im Stadion
des SV Arminia Hannover. Während jedoch der polnische Klub Pogon Lemberg
durch den polnischen Konsul in der
Ukraine 2009 neugegründet wurde, wartet z. B. die Breslauer SpVg 02 noch auf
ihre Wiedergeburt.
Meister des Südostdeutschen
Fußballverbandes (SOFV):
1906, 1907: SC Schlesien 01 Breslau;
1908: VfR 1897 Breslau; 1909: SC
Allemannia Cottbus; 1910: VfR 1897
Breslau; 1911: FC Askania 01 Forst,
1912; ATV 1896 Liegnitz; 1913, 1914:
FC Askania 01 Forst; 1920-24: Vereinigte
Breslauer Sportfreunde; 1925: FC Viktoria
01 Forst; 1926: Breslauer SC 08; 1927:
Vereinigte Breslauer Sportfreunde; 1928:
Breslauer SC 08; 1929 SC Preußen 1910
Zaborze; 1930-33 Beuthener SuSV 09.
Meister der Gauliga Schlesien:
1934, 1937: Beuthener SuSV 09, 1935-36,
1938-41: Vorwärts-Rasensport Gleiwitz
Meister der Gauliga Niederschlesien:
1942:
Breslauer
SpVg
02,
1943:
Luftwaffen-SV Reinecke Brieg, 1944: STC
Hirschberg
Anmerkungen: Schlesien Breslau und der
VfR fusionierten 1934 zum VfR Schlesien
1897 Breslau, die Vereinigten Breslauer
Sportfreunde und der Breslauer SC 08
1933 zur Breslauer SpVg 02.
DSKG Breslau
D
ie Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft
wurde bereits 1957 im niederschlesischen
Waldenburg (Wałbrzych) gegründet, wo im
Gegensatz zum übrigen Niederschlesien ein
Teil der Bevölkerung der Vertreibung 1945
entging, da hier zahlreiche Fachkräfte im
Bergbau benötigt wurden. Einer Waldenburger
Familie und noch dort gebürtig entstammt
z.B. Sportreporter Marcel Reif.
Nach der schwierigen Zeit der Polnischen
Volksrepublik wurde der Verband 1991 in Niederschlesiens Hauptstadt Breslau (Wrocław)
neu registriert.
Von den 640.000 Einwohnern der Stadt hat
ein erheblicher Anteil selbst vertriebene
Vorfahren; ein Großteil der Neusiedler nach
1945 kam dabei aus der heute ukrainischen
EM-Stadt Lemberg, die bis zur Teilung Polens
durch das Dritte Reich und die Sowjetunion
1939 zu Polen gehörte.
Die DSKG widmet sich vor allem der Kulturarbeit, der Pflege und Popularisierung der
deutschen Sprache sowie regionalen Traditionen. Zu den Hauptaufgaben gehören darüber
hinaus die Aufarbeitung und Vermittlung
der niederschlesischen Geschichte und des
kulturellen Erbes Niederschlesiens. Weitere
Schwerpunkte sind die Jugendarbeit, die
Arbeit mit Kindern sowie die Unterstützung
der Mitglieder im sozialen Bereich.
Die DSKG vertritt die deutsche Minderheit in
der multikulturellen Stadt und ist die Dachorganisation für die deutsche Minderheit in
Niederschlesien. Dabei wird besonderer Wert
auf gute Zusammenarbeit mit der Mehrheitsgesellschaft und mit anderen Minderheitenorganisationen gelegt.
Internetseite: www.ntkswroclaw.vdg.pl
55
Camillo Ugi
A
uch wenn er keine echte „Breslauer
Lerge“ war – Camillo Ugi wurde von
den Fußballfans in Schlesien als ihr erster
Star geliebt. Der Sohn eines italienischen
Vaters war 1906 mit dem VfB aus seiner
Heimatstadt Leipzig Deutscher Meister geworden, spielte zwischen 1909 und 1912 15
Fritz („Seppl“) Blaschke
Mal in der deutschen Nationalmannschaft
und war damit, als es ihn 1912 nach Breslau
zog, Rekordnationalspieler des DFB. Als
Elektromechaniker, der Kinematographen
herstellte, ging er 1905 zum erfolgreichen
SC Germania Sao Paulo nach Brasilien.
Doch beruflich lief es wegen mangelnder
Sprachkenntnisse nicht gut, er kehrte nach
Leipzig zurück. Nach kurzen Intermezzi
in Frankreich und beim FSV Frankfurt
war er Teilnehmer der Olympischen Spiele
1912 von Stockholm, wo er mit dem 16:0
der deutschen Mannschaft über Russland
den bis heute gültigen Rekordsieg feierte.
Nach Olympia nahm Ugi ein Angebot
des Fußballmäzens Leo Levin bei den
aufstrebenden Breslauer Sportfreunden
Breslauer
Spielerlegenden
an, verbunden mit der Aussicht, eine eigene Werkstatt für Kinematographen zu
eröffnen. Der 1. Weltkrieg beendete die
Breslauer Zeit, und nach dem Krieg landete Ugi wieder in Sachsen. Ugi starb
1970 in Leipzig. Ausgerechnet sein einziges Länderspiel in seiner Heimatstadt
Leipzig bestritt er als Spieler der Breslauer
Sportfreunde und somit als erster schlesischer Nationalspieler!
D
er 1899 in Breslau geborene Blaschke
galt als erster echter schlesischer
Topspieler. „Seppl“ begann seine Lauf bahn
bei den Breslauer Sportfreunden und feierte den ersten großen Erfolg 1920 mit
dem Endrundensieg über den SC Union
06 Oberschöneweide (heute 1. FC Union
Berlin), als er mit einem Tor vier Minuten
vor Schluss die Wende einläutete, die drei
Minuten später sein Freund Hermann
Pohla mit dem 3:2 perfekt machte.
Viermal gelang Blaschke mit den
Sportfreunden der Einzug in die
Endrunde der Deutschen Meisterschaft,
ehe er 1924 zum Lokalrivalen BSC 08
wechselte. Mit diesem schaltete der feine Techniker sensationell den damals
führenden Dresdner SC im Achtelfinale
aus.
Karrierehöhepunkt
war
der
4:3-Viertelfinalsieg nach Verlängerung in
Grüneiche (Dabie, heutiger Sleza-Platz)
1929 gegen Bayern München. 12.000
Fans feierten den dreifachen Torschützen
frenetisch! Kurios ist, dass Blaschke nie
in die Nationalmannschaft berufen wurde. Nach der Vertreibung führte er den
VfB Oldenburg 1949 als Trainer in die
erstklassige Oberliga.
Die sogenannte „Breslau-Elf“, die 1937 in
der Schlesierkampfbahn Dänemark mit 8:0
besiegte (Foto), gehört zu den größten und
bekanntesten Mannschaften in der Geschichte Deutschlands, die von Sportjournalisten
1999 immerhin unter die Top-ten bei der
Suche nach der Mannschaft des Jahrhunderts
gewählt wurde.
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Camillo Ugi und Fritz Blaschke kickten jedoch
schon einige Jährchen vor der Zeit der
„Breslau-Elf“.
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Endspiel um die deutsche
Meisterschaft 1909 in Breslau
Vereinigte Breslauer Sportfreunde
und Breslauer SC 08
In Gräbschen spielte fast immer die
Nr. 1 – ob „02“ oder WKS Slask
Die Gelb-Schwarzen aus den Huben –
SC Hertha 1915 Breslau
Gauliga-Dauerbrenner –
SC Vorwärts 1910 Breslau
Emporkömmling der 40er-Jahre –
SC Alemannia Breslau
1
1
D
D
D
D
909 wurde der deutsche Meister in
Breslau auf dem „Semmlerplatz“ des SC
Schlesien 01 an der Kaiser-Wilhelm-Straße
(ul. Powstanców Slaskich) in Kleinburg
(Borek) ermittelt, der noch kein Stadion,
sondern vermutlich eine abgesteckte Wiese
gewesen sein dürfte. Häufig wurde damals
noch auf Weiden oder Exerzierplätzen gespielt. 1.500 Zuschauer wohnten am 30.
Mai dem 4:2-Erfolg vom Karlsruher FC
Phönix über den Berliner Thorball- und
Fußball-Club Viktoria 1889 bei. Das Areal
ist bis heute nicht genau lokalisiert, befand sich vermutlich leicht nördlich des
Straßenbahndepots.
920 gelangten die „Vereinigten Breslauer
Sportfreunde“ bis ins Halbfinale der
Deutschen Meisterschaft, 1929 ebenso
der Breslauer SC 08. Beide Vereine wurden 1933 zur Breslauer Sportvereinigung
1902 zusammengeschlossen, die im
Sportpark Gräbschen an der Opperauer
Straße (Stadion ul. Oporowska) kickte.
Doch nach dem Zusammenschluss stand
„02“ in Schlesien bereits im Schatten von
Beuthen 09 und Vorwärts-Rasensport
Gleiwitz, das ebenfalls 1936 ein Halbfinale
erreichte. Ein Vorrücken in ein Endspiel
der deutschen Meisterschaft blieb ihnen
allen jedoch versagt.
Historische Spiele
und Klubs
ie Breslauer Sportvereinigung 1902
(Breslauer SpVg 02 oder kurz „Breslau
02“) entstand 1933 durch Fusion der
„Vereinigten Breslauer Sportfreunde“ –
die 1913 aus dem Zusammenschluss vom
„Verein Breslauer Sportfreunde“ (bis 1911
SC 1904) und SC dem Preußen hervorgegangen waren – und dem Breslauer SC
08. Die Fusion initiierten die Nazis, die
einen dominierenden Breslauer Klub für
die 1933 gegründete Gauliga Schlesien
schaffen wollten – schließlich wurden zwei
ehemalige Halbfinalisten der Deutschen
Meisterschaft vereint. Zudem folgte der
Zusammenschluss dem allgemeinen
Bestreben nach Großvereinen, mit denen
man oft milieubedingte Verankerungen
zu sprengen suchte. Dass dabei mit den
Vereinigten Breslauer Sportfreunde ein
jüdisch-großbürgerlich geprägter Klub
verschwand, war aus Sicht der Nazis ein
positiver Begleiteffekt. In dieses Bild fügt
sich ebenfalls ein, dass der neue Klub
im Sportpark Gräbschen (Stadion ul.
Oporowska) mit 15.000 Plätzen angesiedelt wurde, der nach dem 1. Weltkrieg für
Vereine des Arbeitersports in Deutschland
angelegt worden war, die 1933 zwangsaufgelöst wurden.
er SC Hertha 1915, der anfänglich einen Ball als Wappen führte, erlebte
seinen Zenit kurz vor Kriegsbeginn als
bester Klub der Stadt. Das 1920 bezogene
Stadion an der Schönstraße (ul. Piekna) in
den Huben fasste 10.000 Zuschauer und ist
noch heute in der Struktur erkennbar.
er Spiel-Club Vorwärts 1910 war an
der 51er Straße (frühere Lange Gasse;
ul. Dluga) unscheinbarer Dauergast in der
Gauliga. Platzstruktur und Zuschauerwälle
sind noch gut zu erahnen. Auf dem benachbarten Autohandelsgelände dürfte
Platznachbar Minerva gekickt haben.
er Spiel-Club Alemannia Breslau von
1909, der 1941 in die Gauliga aufstieg, spielte am „Rosenthaler Kanal“ an
der Neptunstraße (ul. Jugoslawianska).
Heute lässt sich der Platz anhand örtlicher
Begebenheiten nicht mehr lokalisieren.
In der folgend auszugsweise wiedergegebenen Ewigen Gauligatabelle findet sich
der Verein auf Platz 26:
Schlesierkampfbahn (Olympiastadion)
F
ür das in den 20er Jahren erbaute
Stadion wurde der Architekt Richard
Konwiarz, der nach der Vertreibung
aus Kriegstrümmern in Hannover das
Niedersachsenstadion anlegen ließ, 1932
mit der Olympischen Bronzemedaille für
Architektur ausgezeichnet. Polen gastierte
1935 in der Schlesierkampf bahn und verlor
gegen die deutschen Gastgeber 1:0.
Die deutschen Sportjournalisten wählten
1999 die Weltmeisterelf von 1954 als deutsche Mannschaft des Jahrhunderts. Unter
den Top Ten findet sich aber auch
die legendäre „Breslau-Elf“, die in einem
atemberaubenden Spiel am 16. Mai 1937
in der Schlesierkampf bahn Dänemark vor
40.000 Zuschauern unter Trainerduo Sepp
Herberger (WM-Trainer 1954) und Otto
Nerz 8:0 besiegte; fünffacher Torschütze
dabei war Otto Siff ling vom SV Waldhof
aus Mannheim.
In
weiteren
Länderspielen
spielte Deutschland 1939 in der
Schlesierkampf bahn 4:4 gegen das
Protektorat Böhmen und Mähren sowie
1941 4:0 gegen die Slowakei.
Deutsche Schlesienauswahl 1951 in Hannover
Der SC Hertha 1915, der anfänglich einen Ball als Wappen führte und später ein Kleeblatt,
erlebte seinen Zenit kurz vor Kriegsbeginn als bester Klub der Stadt. Das 1920 bezogene Stadion
an der Schönstraße (ul. Piękna) in den Huben fasste 10.000 Zuschauer und ist noch heute in der
Struktur erkennbar.
1. Vorwärts-Rasensport Gleiwitz 185
2. Breslauer SpVg 02 183,
3. Preußen Hindenburg (ehem. Preußen
Zaborze) und Breslauer FV 06 145,
5. Beuthener SuSV 09 138,
6. SC Hertha 1915 Breslau 132,
7. SC Vorwärts 1910 Breslau 84 (…)
14.SV 33 Klettendorf 39 (…)
23.VfB Breslau 18 (…)
26.SC Alemannia 09 Breslau 12 (…)
31. 1. FC Breslau 10 (…)
35. Luftwaffen-SV Immelmann Breslau 5
„02“ konnte jedoch die sportlichen
Erwartungen nicht erfüllen, auch wenn
man in Breslau meist führend war (1935
lagen jedoch Vorwärts und der BFV 06
vor „02“, 1936 der BFV 06 sowie 1939 und
1940 der SC Hertha).
Bild links: Telegramm aus Breslau nach
Karlsruhe im Jahr 1909 zur Meisterschaft des
Karlsruher FC Phönix (heute Karlsruher SC)
Erfolgreicher Gauligist –
Breslauer FV 06
Das VfB-Stadion und der Sieg
über den FC Bayern
Elitärer VfR Schlesien 1897
D
er Pionier VfB Breslau kam sportlich später nicht mehr mit und spielte
nur in zwei Saisons Gauliga. Auf dem
VfB-Platz in Grüneiche bezwang 1929 jedoch der Breslauer SC 08 den FC Bayern
München im Viertelfinale der deutschen
Meisterschaft in einem dramatischen
Spiel vor 12.000 Zuschauern mit 4:3 nach
Verlängerung. Lina Radke-Batschauer lief
hier nach dem 800m-Olympiasieg 1928 in
Amsterdam eine Ehrenrunde.
D
M
er Breslauer FV 06 brachte mit Richard
Hanke einen Nationalspieler hervor,
der beim 1:1 1930 gegen Norwegen in
Breslau sogar den deutschen Treffer erzielte.
Der Verein entstand 1912 durch Fusion des
SC Pfeil von der 51er Straße (ul. Dluga) mit
dem SV Corso vom Gandauer Exerzierplatz.
In der Meisterschaftsendrunde 1927 schied
der spätere Dauergast in der Gauliga im
Achtelfinale beim damals großen VfB
Leipzig (heute 1. FC Lokomotive) aus.
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it der Fusion 1934 vom SC Schlesien
01 und VfR 1897 fanden sich die einstigen elitären Pioniere nach anfänglichen
Trennungen und Abspaltungen wieder
zusammen – nicht jedoch in Kleinburg,
sondern am 1913 vom SC Schlesien 01 bezogenen Platz an der Kürassierstraße (ul.
Hallera). Der mehrmalige südostdeutsche
Meister konnte vereint nicht mehr an alte
Erfolge im Fußball anknüpfen, soll jedoch
den gepf legtesten Platz gehabt haben.
SV 33 Klettendorf –
das schlesische Hoffenheim
M
it der Gleichschaltung der Nazis wurden Vereine des
Arbeitersports zwangsaufgelöst. Vermutlich die Kicker
des verbotenen Arbeitervereins „Freie Turnerschaft (FT) BreslauSüdost“ gründeten außerhalb der Stadtgrenzen im damals noch
verträumten Dorf Klettendorf mit 2.800 Einwohnern (1975 zu
Breslau eingemeindet) den SV 1933, der sich mit braun-weißen
Vereinsfarben zu „tarnen“ wusste. Nach vier Aufstiegen in Folge
erreichten die Klettendorfer 1937 die Gauliga und waren als
Dorf klub das „schlesische Hoffenheim“ damaliger Zeit.
Der Aufstieg der Männer des 6.000 Plätze fassenden Stadions
an der Gaswerkstraße (ul. Dozynkowa), die sich bis 1940 in der
Gauliga halten konnten, war dank des Sponsors, der Zuckerfabrik
von Rath, Schöller und Skähne möglich.
Die erfolgreichste Saison des Underdogs! Auswärts konnte
Klettendorf zwar nur bei Absteiger SC Vorwärts 1910 Breslau
mit einem 2:0-Sieg punkten. Die größte Saisonüberraschung
war jedoch der 2:0-Heimsieg des SV 33 über den späteren
Schlesienmeister SpVgg Vorwärts-Rasensport Gleiwitz.
Gauliga Schlesien 1937/38:
1. Vorwärts-Rasensport Gleiwitz (Gliwice)
2. Breslauer SpVg 02 (Wroclaw) 3. SC Preußen 1910 Hindenburg (Zabrze) 4. SC Hertha 1915 Breslau (Wroclaw) 5. SV 33 Klettendorf (Klecina) 6. Reichsbahn SG Gleiwitz (Gliwice) 7. Sportfreunde Klausberg (Mikulczyce) 8. Breslauer FV 06 (Wroclaw) 9. Vorwärts Breslau (Wroclaw) 10. Beuthener SuSV 09 (Bytom) 29:7
27:9 19:17
18:18 16:20 15:21 15:21
14:22 14:22
13:23 55:19
56:28
34:29
25:40
24:47
33:33
22:33
27:26
24:35
38:48
59