Strafrecht Frühjahr 2016

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Strafrecht Frühjahr 2016
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Rechtsanwaltsprüfung Frühjahr 2016
Bewertung der schriftlichen Prüfungsarbeit im Strafrecht
vom 18.03.2016
I. Aufgabenstellung:
Prüfungsaufgabe war die Anfechtung eines Schuldspruches samt Verurteilung
zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zur Zahlung von Schadenersatz an eine Privatbeteiligte und zum Ersatz der Verfahrenskosten. Gleichzeitig
war ein Beschluss auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu bekämpfen.
Mit dem Urteil, das auch einen nicht anzufechtenden Freispruch enthielt, war
die Berufungswerberin der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB
und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB schuldig erkannt worden.
Nach dem Urteilstenor hatte die Angeklagte in Eschen
1. eine fremde Sache beschädigt, und zwar zwischen 30.09.2013 und
01.10.2013 eine Zimmertür in der von ihr zuvor gemieteten Wohnung durch
Verursachung von sechs Kerben mittels eines unbekannten Gegenstandes, wodurch dem Wohnungseigentümer ein Sachschaden in unbekannter Höhe entstand,
2. am 31.07.2014 Sonja Wagenthaller-Ortler am Körper misshandelt und
dadurch fahrlässig verletzt, indem sie mit beiden Händen gegen deren
Oberkörper stiess, wodurch die Genannte stürzte und mit dem rechten
Fuss gegen ein Holzpodest prallte und dadurch ein Hämatom und Prellungen am rechten Unterschenkel erlitt.
Die Berufungswerberin wurde deshalb zu einer gemäss § 43 Abs 1 StGB unter
Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten, zur Zahlung von CHF 482.25 an die Privatbeteilig-
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te Sonja Wagenthaller-Ortler und gemäss § 305 StPO zum Ersatz der mit CHF
650.00 bestimmten Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
Zudem wurde der Widerruf der bedingten Nachsicht betreffend einen mit
dem Vorurteil zu 01 KG.2011.5 ausgesprochenen Strafteil von 200 Tagessätzen
beschlossen.
Das Verfahren bzw das Urteil wies insbesondere folgende Mängel, Unklarheiten bzw Nichtigkeiten auf:
1. Dem Protokoll über die Schlussverhandlung war nicht zu entnehmen, ob
diese öffentlich war.
2. Laut der Urteilsausfertigung beträgt die Dauer der Probezeit drei Jahre,
während sie nach dem Protokoll der Schlussverhandlung mit zwei Jahren
verkündet wurde. Deshalb war eine Urteilsberichtigung zu beantragen.
3. Die Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatzeit waren zu beiden
Urteilsfakten mangelhaft bzw nicht hinreichend begründet. Diese Mängel
konnten als prozessuale und materielle Nichtigkeiten nach § 220 und §
221 StPO geltend gemacht werden.
4. Die Verfahrensergebnisse ermöglichten insbesondere Ausführungen zur
Schuldberufung zum Faktum § 125 StGB, weil die Beschädigung der Wohnungstür durch den Lebensgefährten der Angeklagten Dieter Seewald im
Raum stand. Mit diesem Hinweis wurde auch im Berufungsverfahren die
Angeklagte von diesem Vorwurf freigesprochen.
5. Die Strafe war zu streng. Die Erschwerungsgründe waren zum Teil nicht
richtig. Die Probezeit betrug die Maximalfrist.
6. Der Zuspruch an die Privatbeteiligte, der sich auf einen Schmerzensgeldanspruch sowie auf den Ersatz von Krankenhauskosten stützte, war betreffend die zweite Position unrichtig.
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7. Die Verfahrenskosten wären wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Angeklagten gemäss § 308 StPO für uneinbringlich zu erklären gewesen.
8. Der Beschluss im Widerrufsverfahren war neben seiner inhaltlichen Anfechtbarkeit durch den Hinweis (auch) auf generalpräventive Erfordernisse zudem gesetzwidrig begründet. Weiters erfolgte er ohne die Anhörung
der Angeklagten und ohne die Einsicht in den Vorakt (§ 335a StPO).
II. Prüfungsschema und Punkteverteilung:
1. Formales, Aufbau, Sprache:
2 Punkte
2. Antrag auf Urteilsberichtigung:
2 Punkte
3. Frage nach der Öffentlichkeit der Schlussverhandlung
(§ 181 Abs 1 StPO)
1 Punkt
4. Mögliche Geltendmachung prozessualer
Nichtigkeiten nach § 220 StPO
Zum Faktum § 125 StGB:
Zum Faktum § 83 Abs 2 StGB:
4 Punkte
1 Punkt
Mögliche Geltendmachung materiellrechtlicher
Nichtigkeiten nach § 221 StPO
Zum Faktum § 125 StGB:
2 Punkte
Zum Faktum § 83 Abs 2 StGB:
6 Punkte
5. Ausführungen zur Schuldberufung
Zum Faktum § 125 StGB:
5 Punkte
Zum Faktum § 83 Abs 2 StGB:
2 Punkte
6. Ausführungen der Strafberufung:
9 Punkte
4
7. Bekämpfung des Zuspruches an die Privatbeteiligte:
2 Punkte
8. Geltendmachung der Uneinbringlichkeit der Kosten:
2 Punkte
9. Bekämpfung des Beschlusses im Widerrufsverfahren:
8 Punkte
10. Schlussanträge:
4 Punkte
__________
50 Punkte
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Für die zutreffende/vertretbare Geltendmachung weiterer Rechtsmittelargumente waren zwei Zusatzpunkte möglich. Für Ausführungen zur mangelnden
Strafwürdigkeit der Tat § 42 StGB) und zur Anwendung der Diversion standen
mangels erkennbarer Aussichtslosigkeit keine Zusatzpunkte zu.
Bei offenkundigen Unrichtigkeiten konnten bis zu zwei Punkte abgezogen
werden.
Folgende Kalküle wurden angewandt:
47-50 Punkte:
sehr gut
44-46 Punkte:
sehr gut bis gut
41-43 Punkte:
gut
37-40 Punkte:
gut bis genügend
30-36 Punkte:
genügend
0-29 Punkte:
nicht genügend
Vaduz, am 06.04.2016
(Dr. Walter Krabichler)