Der Raufbold, Steffi und ein Arsch - Spiele-Autoren

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Der Raufbold, Steffi und ein Arsch - Spiele-Autoren
erleben
„Ein bunter Haufen alter Männer“
Wenn auf demselben Platz Schalker und Dortmunder, Kölner und Mönchengladbacher jede Woche
90 Minuten lang friedlich zusammen Fußball spielen, dann muss es etwas Größeres sein, das sie
verbindet. „Wir haben eine ähnliche Sicht, wie wir
das Spiel angehen: ernsthaft, aber nicht verbissen“, sagt Jens Michalski (35), der vom ersten Tag
an dabei ist. Vor fünf, sechs Jahren – so genau
weiß das auf Anhieb niemand – hat Jochen Altrogge (35), Projektentwickler in der Immobilienbranche, den „bunten Haufen alter Männer“ zwischen
30 und 50 in der Olympiahalle zusammengebracht, als er mit Kickerkumpeln auf der Suche
nach einem winterfesten Platz war. Altrogge hält
die Truppe zusammen.
Der Montagabend beginnt mit den üblichen Kabinengesprächen über den aktuellen Bundesligaspieltag und führt übers Hallenparkett, wo absolutes „Blutgrätschenverbot“ gilt, auch mal in die
Kneipe nebenan, denn in der urigen Halle wacht
der noch urigere Hausmeister Helmut darüber,
dass niemand Bier in die Kabine schmuggelt.
Was verbindet die mal zehn, mal zwölf recht unterschiedlichen Männer – Lehrer, Medienschaffende,
ein Weinhändler, ein Sozialpädagoge? „Der Humor.
Und Freundschaft! Nicht mit allen, aber jeder in
dieser Runde hat zwei, drei Jungs, die ihm näherstehen“, sagt Jens, der Hörfunktechniker, der früher mal Landesliga gespielt hat in seiner Heimatstadt, 120 Kilometer entfernt. Seither währt die
Verbindung zu Frederik und Stefan, die es auch
hierher verschlagen hat, und jeden Montag lebt sie
neu auf in der Olympiahalle.
Sechs wahre Geschichten über Spielk ameraden
Der
Raufbold,
Steffi
und ein Arsch
Von Fred Bogner und Anna Schöll / Fotos: Cornelis Gollhardt
Das Leben bietet zahllose Möglichkeiten, uns spielend vom Rest der
Welt abzusondern. Patiencen folgten im 19. Jahrhundert demselben
Prinzip wie in der Gegenwart brandaktuelle Spiele-Apps fürs Smartphone: Sie vereinzeln den Menschen. Das Leben bietet aber zwischen
Krabbelgruppe und Senioren-Skatabend auch unzählige Gelegenheiten, spielerisch mit anderen in Beziehung zu treten. Selbst im Zeitalter
der tragbaren Gamekonsolen bleiben Spielernaturen nicht gern alleine;
mindestens jede vierte Game-Stunde in Deutschland entfällt auf soziale Netzwerke oder Rollenspiele in virtueller Gemeinschaft, ermittelte
unlängst eine Studie des holländischen Marktforschungsinstituts Newzoo. In einigen Städten treffen sich mittlerweile einander völlig Unbe14
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kannte in Clubs, um in ungezwungenem Ambiente gemeinsam neue
Gemeinschaftsspiele zu testen. „Spielebar“ nennt sich der Trend, den
etwa die Bazibar in München setzt. „Viele Gäste kommen allein zu uns,
aber bleiben es nicht“, sagt Inhaber Reza Massahi, „Kontakte lassen
sich kaum schneller knüpfen als beim Spielen.“
Eine Spielkameradschaft funktioniert bereits, wenn Menschen sich
darauf verständigen, sich regelmäßig gemeinsam zu zerstreuen. Bei
allen Spielkameraden, die „play“ traf, entwickelten sich aber darüber
hinaus mit der Zeit engere Beziehungen. Ob wir wollen oder nicht:
Spielen verbindet – und ohne menschliche Nähe verliert man auf
Dauer den Spaß am Spiel.
„Im Spiel geht’s nur um den Sieg“
Tess Niedermeyer und Charlie Henner aus Los Angeles sind ein Paar im Leben und im Spiel. Seit
acht Wochen auf Reisen kreuz und quer durch Europa, füllen sie jede Wartezeit mit „Gin Rommé“,
bei dem beide Spieler Kombinationen oder Folgen
sammeln müssen, um zu punkten. „Wir sind inzwischen ein bisschen süchtig danach“, sagt Charlie
eine Stunde vor dem Anschlussflug. Und Tess:
„Wir sind zwar zusammen, aber im Spiel geht’s
nur um den Sieg, da schaut jeder auf sich selbst.“
Zwanzig Jahre alt sind sie, Studenten. Er will einmal Musiker werden, sie Schauspielerin – und eine
gute Kartenspielerin. Denn darin ist er momentan
der Bessere, sind sich beide einig. „Manchmal haben wir kleine Wetten laufen: Wer verliert, zahlt
dem anderen sein Lieblingsessen, eine Portion
Pommes zum Beispiel. Oder ich bekomme eine
halbstündige Massage.“ Zuletzt musste Tess das
Abendessen übernehmen, ein „Wine Dinner“ sogar. Tausende von Partien haben sie schon hinter
sich, „und das kann ewig so weiter gehen“, sinniert sie, „hoffentlich immer verbunden mit einem
Gespräch“. Sie sagt das so, als ginge es nicht nur
ums Kartenspiel ... „Der größte Spaß an ‚Gin Rommé‘ ist, Tess zu schlagen“, sagt Charlie. „Du bist
so ein Arsch“, erwidert sie. Und dann lachen beide
dieses amerikanische Lachen, kehlig und kurz, das
uns sagen soll: Das Leben ist ein Wettbewerb, du
musst das Beste aus dem machen, was du auf der
Hand hast.
Übrigens: Im „Gin Rommé“ steckt auch ein wenig
Patriotismus. Denn erfunden haben es im Jahre
1909 Elwood und Graham Baker in New York.
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erleben
„Nicht nur Nerds machen so was“
Ein netter Abend unter Freunden, ein paar Bier,
viele Lacher, in der Mitte ein Spiel. Sie kennen
sich schon lange, könnte man meinen, wenn man
sich die Runde am Küchentisch so ansieht. Doch
tatsächlich haben sich die fünf Kommilitonen, drei
Männer und zwei Frauen zwischen 21 und 23 Jahren, gerade erst in dieser Konstellation kennengelernt. Drei von ihnen studieren Geographie. Für sie
dürfte das Spiel kein Problem sein, denn bei „Carcassonne“ geht es darum, mit Hilfe von Landschaftskärtchen Städte, Wege und Wiesen zu bauen, und zwar möglichst große. Am Ende gibt’s
dafür Punkte. René ist der engagierteste Spieler
am Tisch, der Stratege, der Punktejäger. Er hat die
Runde zusammengebracht mit seinem Vorschlag
zu einem Spieleabend: „Nicht nur Nerds machen
so was“, sagt René. Und Steffi: „Man muss sich
nicht erst lange kennen, um miteinander spielen
zu können.“ Sie ist eher zurückhaltend, auch beim
Anlegen der Kärtchen. Marcel, rechts neben ihr,
ist offener, lacht gerne und steckt die anderen damit an, reißt sie mit. „Zwei am Tisch lerne ich
heute erst durchs Spielen kennen“, strahlt er,
setzt sein gelbes Männchen auf die Wiese und
lässt damit seine taktische Ausrichtung durchscheinen. Fünf Spieler, fünf Temperamente, fünf
„Carcassonne“-Philosophien. Jannis legt seine
Karte zu Annas Vorteil an. Die freut sich, während
René die Hände überm Kopf zusammenschlägt:
So viel Eintracht macht ihn fassungslos. Hier prallen Spielkulturen aufeinander. Was für ein Abend!
Nach drei Stunden sind sich alle einig: Es wird
nicht der letzte gewesen sein.
„Wir sparen nicht mit Komplimenten“
Tennis hat Uwe Maaß (70, re.) und Karl Dahm (71)
vor zwei Jahrzehnten zusammengebracht. Aber
dass aus der Spielpaarung eine Freundschaft wurde, verdanken sie wohl den gemeinsamen Interessen über den Court hinaus. Zwei Ingenieure – der
eine Spezialist für Abwasserleitungsbau, der andere für Maschinenbau – fanden schnell gemeinsame
Gesprächsthemen. Und entwickelten gemeinsame
Vorstellungen vom genussreichen Leben. „Wir unternehmen viel. Wir gehen zusammen essen, wir
fahren gemeinsam in Urlaub.“ Natürlich waren
Wimbledon dabei und Flushing Meadows in New
York und Indian Wells in Kalifornien, Schauplätze
großer Tennisturniere. Und natürlich haben die
beiden ihre festen Spieltage neben den Terminen
mit der zweiten Mannschaft: mittwochs und freitags die Doppel in der Halle, solange der Winter
währt; im Sommer montags und freitags je zwei
Stunden für die Spiele, die gelegentlich erst im
Tiebreak entschieden werden. Eines der Geheimnisse ihrer langen Spielkameradschaft, da sind sie
sich einig, lautet: „Wir sparen nicht mit Komplimenten, ob im Spiel oder darüber hinaus, wenn
dem anderen etwas gelingt – ein guter Schlag, eine
gute Restaurantempfehlung.“ Uwe Maaß hat beim
Bier danach keine Mühe zu bekennen, dass Karl
der bessere Tennisspieler ist: „Schneller ist er und
mit einem besseren Auge unterwegs als ich.“ Karl
Dahm hat seinen Frieden gemacht mit der schärfsten Waffe seines Lieblingsgegners. Wenn er ans
Netz vordringt, kontert Uwe gerne mit dem hoch
geschlagenen Lob. „Und den haue ich dann meistens ins Netz“, schmunzelt Karl.
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play
„Auf die Dauer war das zu stressig“
Bis vor zwei Jahren hat Stefan Heil (35) mindestens zehn Stunden pro Woche auf dem Planeten
Norrath verbracht, um mit seiner Gilde Abenteuer
zu bestehen und Schlachten zu schlagen. Mit festen Verabredungen zum Raid, dem gemeinsamen
Angriff, und er musste sich pünktlich einloggen,
um dabei zu sein. So sind die Regeln für Menschen, die „Everquest II“ sehr ernst nehmen, das
wohl bekannteste Online-Rollenspiel neben „World
of Warcraft“. „Manche nehmen es ein bisschen zu
ernst“, meint Stefan heute, „und feinden sogar
Mitspieler persönlich an“, wenn die Leistung nicht
stimmt. „Auf die Dauer war mir das zu stressig.“
Inzwischen erweckt Stefan seine Figur „Rattsfatts“, einen Raufbold aus der Kriegerklasse, nur
noch „nach Lust und Laune“ zum Leben – eine
humanoide Ratte, die bevorzugt Monster auf sich
lenkt, um die Magier zu schützen.
Von seinen Spielkameraden in der Gilde „Unity“,
verstreut über hunderte Kilometer zwischen der
Nordsee und Österreich, dem Rheinland und Brandenburg, kennt er lediglich die Stimmen – aus
Teamspeak, der Sprechverbindung übers Netz
(deshalb das Headset).
„In meiner intensiven Zeit haben wir uns als Gilde
sogar mindestens einmal im Jahr persönlich getroffen“, erinnert sich Stefan. Alles vorbei ...
Die einzige Spielkameradin auf Norrath, die Stefan
wirklich persönlich kennt, ist Alina. Die beiden
sind sich im wahren Leben begegnet, am Arbeitsplatz, und sind ein Paar. Heute spielen sie manchmal im selben Raum „Everquest II“ – sie am Notebook, er am PC. Wenn sie Lust dazu haben ...
„Wir haben heute noch gar nicht ...“
Wenn es mal wieder sehr hektisch war im Büro
des Fernsehredakteurs Thorsten Rudnick (46, 2.
v. l.) und die Anspannung gerade ein wenig von
ihm abfällt, steht garantiert jemand in der Tür und
sagt: „Wir haben heute noch gar nicht gekickert.“
Und dann kickern die Macher der Kölner Regionalsendung „WDR Lokalzeit“ zwei gegen zwei,
vielleicht zehn Minuten lang. „Manchmal hält mir
ein Kollege nur auffordernd den Ball hin. Und
schon folge ich.“ Wie jede Kickertruppe versammelt auch diese Champs und Luschen. Thorsten
gehört zweifellos zu den Champs. „Weil der Planungsredakteur es am nötigsten hat, den Kicker
zu beprügeln, um den Kopf frei zu bekommen“,
sagt er trocken. Beinahe wäre der Tisch, den 30
Leute aus dem Team für rund 700 Euro gemeinsam angeschafft hatten, den Sicherheitsvorschriften zum Opfer gefallen, als „Brandlast“. Mit Verweis auf den Sprinkler an der Decke konnte
Studioleiter Ingo Hülsmann die Spielstätte aber
retten, zählt er doch selbst zu den Champs. Anders als sein Vize Lothar Lenz, der aber auch fröhlich immer wieder mal antritt. Ulrike Hauswirth ist
eine der wenigen Frauen am Tisch. Nur diese dürfen die Regel brechen, niemals die Stangen
durchzudrehen. 120 potenzielle Spielkameraden
und etwas körperlicher Ausgleich, das sind die
großen Vorzüge des Bürokickerns. Nur eins vermisst Thorsten Rudnick: ein neues Ritual für Verlierer. „Als wir noch den Vorgänger bespielt haben, musste, wer zu null unterging, unterm Tisch
hindurchkriechen. Das geht beim neuen Modell
leider nicht mehr.“
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