Russische Innenpolitik Januar 2016 Nr. 81

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Russische Innenpolitik Januar 2016 Nr. 81
Russische Innenpolitik Januar 2016
Nr. 81
Folgende Themen werden behandelt:
•
Gryslow – neuer russischer Vertreter in der Ukraine-Kontaktgruppe
•
Rating der Gouverneure für 2015
•
Umfrage zum Zustand der Gesellschaft
•
Vorgezogene Staatsdumawahl
Zusammenfassung
Anfang 2016 wurde bekannt, dass der russische Präsident Wladimir Putin am 26.
Dezember 2015 Boris Gryslow zum Vertreter Russlands in der Trilateralen Kontaktgruppe zur Regulierung der Situation in der Ukraine ernannt hatte. Diese Dreiergruppe, der auch Vertreter des ukrainischen Präsidenten und der Separatistengebiete
angehören, war im Rahmen der Minsker Verhandlungen im September 2014 gebildet
worden. Boris Gryslow ist als KGB-Kollege Putins aus ihren St. Petersburger Zeiten
und späterer Innenminister und Staatsdumavorsitzender politisch hochrangiger als der
bisherige Vertreter Russlands. Damit signalisiert Putin, dass er die Entwicklungen in
der Ostukraine direkt kontrollieren will. Möglicherweise ist Gryslow von Putin autorisiert, in der Ukrainefrage substantielle Zugeständnisse zu machen. In einem Interview
erklärte Gryslow am 18. Januar, dass seine Ernennung der „Erweiterung des Horizonts bei der Suche nach Kompromissen und effektiven Entscheidungen“ diene. Bei ihm
bestehe „kein Zweifel, dass wir in der gegenwärtigen Zeit ernsthaft vorankommen
können bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen“.
Am 27. Januar veröffentlichte die „Stiftung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft“
ihr 2015-Rating der Effektivität der Gouverneure. Diese 2012 gegründete Stiftung,
die vom ehemaligen Leiter der Verwaltung für Innenpolitik der Präsidialadministration geleitet wird, ermittelt das Rating danach, wie die Bevölkerung die Arbeit des Spitzenpersonals der Region einschätzt. In der Gruppe der zehn besten Gouverneure
verblieb – trotz Verlust eines Punktes - das Oberhaupt der Republik Tschetscheniens,
Ramsan Kadyrow. Ende Januar hatte er die nicht-systemische Opposition als „Volksfeinde“, „Verräter“ und „Schakale“ bezeichnet, die nach dem „russischen Gesetz bestraft werden müssen“.
Mitte Januar wurden auf dem VII. Gajdar-Forum die Ergebnisse einer Studie des
Meinungsforschungsinstituts über die „Krise und die Gesellschaft“ diskutiert: Die Einkommen der Bevölkerung würden sich verschlechtern und die Proteste wachsen. Die
Bindung der wirtschaftlichen Agenda an die politische sei bisher noch nicht erreicht.
Der größte Teil der Gesellschaft unterliege nicht mehr der illusionären Vorstellung,
dass die Krise bald vorüber sein werde. Das Protestpotential steige selbst in wohlhabenden Regionen wie in der Stadt Moskau, in der Region Krasnodar und in der Republik
Tatarstan. Putins Rating sei geschützt. Im Falle der Krise würden die Menschen keine
Beschwerden an Putin richten, denn die Krise komme von außen. Das Rating der
Machtpartei „Einiges Russland“ hänge allerdings von der Bewertung Putins ab. Wenn
das Wirtschaftswachstum sinke, dann sinke als Nächstes auch das Rating Putins.
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Jetzt schon beginnen „Einiges Russland“ und die von Putin geführte „Volksfront“ mit
ihren Vorbereitungen auf die auf den 18. September 2016 vorgezogene Wahl der
Staatsduma. Beide wollen ihre Aktivitäten in den Regionen nicht duplizieren, um so
geographisch mehr Regionen abzudecken. Die Machtpartei will sich auf die Wahlen
besser vorbereiten als 2011. Russische Experten meinen, dass „Einiges Russland“ neue
Ideen brauche. Bisher gewann die Machtpartei durch Putins Namen. Jetzt soll Putin
aus der Wahlagenda herausgehalten werden.
Gryslow – neuer russischer Vertreter in der Ukraine-Kontaktgruppe
Anfang Januar 2016 wurde bekannt, dass der russische Präsident Wladimir Putin am 26. Dezember 2015 Boris Gryslow zum Vertreter Russlands in der Trilateralen Kontaktgruppe zur Regulierung der Situation in der Ukraine ernannt
hat.1 Diese Dreiergruppe war im Rahmen der Minsker Verhandlungen im September 2014 gebildet worden. Ihr gehören der Vertreter des ukrainischen Präsidenten, der ehemalige ukrainische Präsident Leonid Kutschma, der Vertreter
Russlands und die Vertreter der „Demokratischen Volksrepublik Donezk“
(DVD) und der „Demokratischen Volksrepublik Luhansk“ (DVL) an. Der neue
russische Vertreter Boris Gryslow ist politisch hochrangiger als der bisherige
Vertreter Russlands, der Diplomat und Arabist Asamat Kulmuchametow, der
2014 eine aktive Rolle in den Gesprächen um die chemischen Waffen des syrischen Präsidenten Baschar-al-Assad gespielt hatte. Kulmuchametow gehört
weiterhin der russischen Vertretung der Kontaktgruppe an, jetzt unter der Leitung Gryslows.
Gryslow war Putins KGB-Kollege in dessen St. Petersburger Tagen, als Gryslow Firmen leitete, die von ehemaligen KGB-Offizieren gegründet worden waren. Von 2001 bis 2003 war Gryslow Innenminister und dann bis 2011 Vorsitzender der Staatsduma. Seit 2002 ist er parallel Vorsitzender des Höchsten Rats
der Machtpartei „Einiges Russland“. Gryslow ist zudem einziges Ständiges
Mitglied des Sicherheitsrats, ohne an der Spitze eines wichtigen Machtorgans
zu stehen, was normalerweise die Voraussetzung dafür ist, diese Position innehaben zu können.
Vertreter in der Kontaktgruppe sind Alexander Sachartschenko als DVDPremier und Igor Plotnizkij als DVL-Oberhaupt. Im vergangenen Jahr waren
drei Rebellenkommandeure (Pawel Dremow, Alexej Mosgowoj und Alexej
Bednow) getötet worden, deren Killer zum russischen Militärischen Nachrichtendienst GRU gehörten. Und im Sommer 2015 waren die Truppen in den
beiden „Volksrepubliken“ direkt dem russischen Verteidigungsministerium unterstellt worden, so der bekannte amerikanische Russland- und UkraineAnalytiker Anders Aslund2
Mit der Ernennung des politischen Schwergewichts Gryslow als Vertreter
Russlands in der trilateralen Kontaktgruppe signalisiert Putin, dass er die Entwicklungen in der Ostukraine direkt kontrollieren will. Das Projekt Neurussland mit der Einordnung von acht ukrainischen Regionen in den russischen
Staatsverband ist zu Ende. Die Finanzierung der beiden Separatistengebiete
kostet Russland schätzungsweise jährlich 1-2 Mrd. $.
1
http://www.vedomosti.ru/politics/articles/2016/01/12/623597-grizlovuregulirovaniyu-donbasse
2
http://www.atlanticcouncil.org/blogs/new-atlanticist/new-russian-managementof-the-donbas-signifies-putin-may-be-ready-to-negotiate
2
Die jetzigen beiden Separatistenführer haben kein politisches Mandat mehr
und müssen Russland gehorchen. Kremlnahe Analytiker meinen, dass es bei der
überraschenden Ernennung von Gryslow wichtig gewesen sei, dass der nicht
dem Außenministerium oder dem Verteidigungsministerium nahesteht.
Möglicherweise ist Gryslow von Putin autorisiert, in der Ukrainefrage substantielle Konzessionen zu machen. Am 11. Januar reiste Gryslow nach Kiew und
sprach mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. In einem langen
Interview in der Tageszeitung „Kommersant“ erklärte Gryslow am 18. Januar
nach dem ersten Treffen der trilateralen Kontaktgruppe in diesem Jahr am 13.
Januar in Minsk, dass seine Ernennung der „Erweiterung des Horizonts bei der
Suche von Kompromissen und effektiven Entscheidungen“ diene.3 Weiter
führte er aus: „Bei mir besteht kein Zweifel, dass wir in der gegenwärtigen Zeit
ernsthaft vorankommen können bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Meine Treffen in Kiew und Minsk bestätigen das nur.“ Gryslow bezeichnete die gegenwärtige Situation nicht als Sackgasse. Es gebe „viele Wege und
bahnbrechende Handlungsvarianten“.
Rating der Gouverneure für 2015
Am 27. Januar veröffentlichte die „Stiftung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft“ ihr 2015-Rating der Effektivität der Gouverneure.4 Diese Stiftung, die
2012 gegründet worden war, wird vom Polittechnologen Konstantin Kostin geleitet, der vorher Leiter der Verwaltung für Innenpolitik der Präsidialadministration war. Zu den Gründern der Stiftung gehörten u.a. der Verband der kleinen und mittleren Unternehmer, „Opora Rossii“ und der Verband der Großindustriellen, die „Russische Union der Industriellen und Unternehmer“.
Die Gouverneure wurden in drei Ratinggruppen eingeteilt:
1. Gruppe mit sehr hohem Rating (mehr als 75 Punkte),
2. Gruppe mit hohem Rating (75-55 Punkte),
3. Gruppe mit mittlerem Rating (55-40 Punkte).
Bei der Erstellung des Ratings war maßgebend, wie die Bevölkerung die Arbeit
des Spitzenpersonals der Region einschätzt. Andere wichtige Faktoren waren
der KOL-Faktor und der Zugehörigkeitsfaktor. Der KOL-Faktor misst die
Einmischung der Exekutive der Region in die Tätigkeit der politischen Parteien und die Probleme bei der Sicherstellung konkurrierender, offener und legitimer Wahlprozeduren. Der Zugehörigkeitsfaktor erfasst die Interessenkonflikte des Gouverneurs und seiner Stellvertreter, welche die Massenmedien und die
gesellschaftliche Kontrolle registriert haben, und den Missbrauch der Dienstvollmachten,
dabei
besonders
Verstöße
gegen
die
AntiKorruptionsgesetzgebung, welche die Rechtschutzorgane und die Gerichte
festgestellt haben.
Die zehn besten Gouverneure (in Klammern die Anzahl der Punkte) sind: Platz
1: D.N. Kobylkin (erdölreiche Region der Jamalo-Nenzen, 97), Platz 2: A.D.
Artamonow (Gebiet Kaluga, 95), Platz 3: Je.S. Sawtschenko (Gebiet Belgorod,
94, verglichen mit dem letzten Rating um 4 Punkte zugelegt), Platz 4 und 5:
R.N. Minnichanow (Republik Tatarstan, 93, 1 Punkt weniger) und W.W. Jakuschew ([Erdöl]Gebiet Tjumen, 93, 2 Punkte zugelegt), Platz 6 und 7: A. Tulejew ([Kohle]Gebiet Kemerowo, 92, 3 Punkte weniger) und R.A. Kadyrow (Re-
3
http://www.kommersant.ru/doc/2895166
4
http://civilfund.ru/mat/view/95
3
publik Tschetschenien, 92, 1 Punkt weniger), Platz 8: S.S. Sobjanin (Stadt
Moskau, 90), Platz 9: S.Ju. Orlowa (Gebiet Wladimir, 89, 3 Punkte zugelegt),
Platz 10: R.W. Kopin (Region Tschukotka, 88, 2 Punkte verloren).
Eine andere Analyse nahm die Wirtschaftszeitung RBK vor.5 Sie stellte jeweils
fünf Gouverneure zusammen, die 2015 am meisten zugelegt haben bzw. am
meisten Punkte verloren haben. Am meisten haben 2015 zugelegt: Wassilij Golubew (Gebiet Rostow, 18 Punkte), Alexander Drosdenko (Gebiet Leningrad,
16 Punkte), Alexej Orlow (Republik Kalmückien, 15 Punkte), Wladimir Wladimirow (Region Stawropol, 15 Punkte), Pawel Konkow (Gebiet Iwanow, 13
Punkte). Die Region Rostow mit dem Gouverneur Wassilij Golubew konnte
mit 18 Punkten am meisten von allen zulegen wegen der aktiven Teilnahme der
Region an der Umsetzung der Lebensmittelsicherheitspolitik und aufgrund der
Anerkennung des Erfolgs der Wohungswirtschaftspolitik durch die Bevölkerung.
Am meisten Punkte verloren folgende Gouverneure: Walerij Schanzew (Gebiet
Nischnij Nowgorod, -21 Punkte), Sergej Morosow (Gebiet Uljanowsk, -16
Punkte), Oleg Kowaljow (Gebiet Rjasan, -15 Punkte), Natalja Komarowa (Region der Chanten und Mansen, -13 Punkte), Aslan Tchakuschinow (Republik
Adygeja, -11 Punkte). Der Gouverneur des Gebiets Nischnij Nowgorod, Walerij Schanzew, verlor mit 21 Punkten am meisten von allen, weil er Meinungsverschiedenheiten mit der Kreml-Administration hatte, so Stimmen von „Einiges Russland“ und von der „Volksfront“. Die personelle Situation des Gouverneurs ist trotzdem stabil.
Das Oberhaupt der Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, verlor einen
Punkt und verblieb im stabil gebliebenen Zehn-Punkte-Rating. In der letzten
Januar-Woche tat sich Kadyrow mit Angriffen auf die nicht-systemische Opposition in Russland hervor, die er als „Volksfeinde“, „Verräter“ und „Schakale“
bezeichnete, die nach dem „russischen Gesetz bestraft werden müssen“.6 Diese
nicht-systemische Opposition benutze föderale Medien wie den Radiosender
„Echo Moskwy“, den Fernsehkanal „Doschd“ und die Wirtschaftszeitung RBK.
Er verspricht der nicht-systemischen Opposition in der tschetschenischen psychiatrischen Klinik Brjaguny eine starke Injektion, es können auch – wenn nötig - zwei sein. Laut einer Umfrage des Moskauer „Lewada-Zentrums“, die
vom 22.-25. Januar unter 1.600 Personen über 18 Jahren in 137 Bevölkerungspunkten in 48 Regionen durchgeführt worden war, hielten 59 % der Befragten
die Äußerungen Kadyrows über die nicht-systemische Opposition für unzulässig, 15 % für zulässig.7 Der Respekt für Kadyrow sank von 35 % auf 15 %, die
negative Wahrnehmung Kadyrows stieg von 5 % auf 10 %.
Aufgrund der Staatsdumawahl im September ist wohl damit zu rechnen, dass
im 2016-Rating Veränderungen eintreten. Die Präsidialadministration kann
nach Aussage des Politologen Walerij Chomjakow vor Wahlen das Rating zu
Erziehungsmaßnahmen nutzen, indem dem Gouverneur verschiedene Signale
gesendet werden, die seine Position verringern.8 Auf diese Weise kann verhindert werden, dass er versucht, seine Leute in die Wahllisten einzusetzen. Außerdem: Wenn die Präsidialadministration den Wunsch hat, dass jemanden zu-
5
http://www.rbcdaily.ru/politics/562949999377218
6
http://izvestia.ru/news/601935
7
http://www.levada.ru/2016/01/28/kadyrov/
8
http://www.rbcdaily.ru/politics/562949999377218
4
rücktritt, dann schafft sie die Illusion, dass Experten auf Probleme hinweisen,
und die Regierung hört sie.
Eine andere Stiftung, die sich „Petersburger Politik“ nennt, bewertet monatlich
die sozio-politische Stabilität in den Regionen.9 Sie stellte fest, dass am 1. Dezember 2015 die Lohnrückstände 3,89 Mrd. Rubel (45,5 Mio. €) betrugen. Die
größten Rückstände gab es in Moskau und St. Petersburg. Der Ökonom Jewgenij Gontmacher, der von 1992 bis 2003 Stellvertretender russischer Sozialminister war und seit 2009 Stellvertretender Direktor des Moskauer „Instituts
für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen“ der Russischen Akademie
der Wissenschaften ist, vertritt die Meinung, dass die Verzögerungen der
Lohnzahlungen unbedeutend sind und nur in wenigen Regionen bestehen, so
dass sie keine Auswirkungen auf die politische Stabilität haben dürften.
Umfrage zum Zustand der Gesellschaft
Am 15. Januar berichtete die Zeitung „Kommersant“ über die Ergebnisse der
Studie des Meinungsforschungsinstituts WZIOM „Die Krise und die Gesellschaft“, die auf dem VII. Gajdar-Forum Mitte Januar in Moskau diskutiert
wurden.10 Sie stellt fest, dass die Einkommen der Bevölkerung sich verschlechtern und die Proteste wachsen werden. Der Artikel trägt die Überschrift „Das
Selbstwertgefühl der Bürger hat das Niveau von 2008 erreicht“. Die Staatsdumawahl 2016 wird bei der Bevölkerung nicht ein Gefühl positiver Veränderungen hervorrufen, und deshalb wird die Unterstützung von „Einiges Russland“
zurückgehen. Die Bindung der wirtschaftlichen Agenda an die politische ist
bisher noch nicht erfolgt.
Der größte Teil der Gesellschaft unterliege nicht mehr der illusionären Vorstellung, dass die Krise bald vorbei sein wird. Vielmehr werde sich die finanzielle Situation der Bürger noch verschlimmern. Die Krise laufe in drei Stadien ab:
Start (Dezember/Januar 2015), langsame Verschlechterung der Lage (Mai
2015) und die gegenwärtige Verschärfung. „Wir befinden uns in der Phase der
Erschöpfung der Wirkung der Anti-Krisen-Mechanismen der Regierung“,
stellte der Leiter der WZIOM-Abteilung für Überwachungsstudien, Oleg
Tschernosub, fest. Zum Jahreswechsel 2014/15 und im September/Oktober
2015 wuchs die Gruppe der materiell benachteiligen Bürgern zweimal. Eine
Reihe von Indikatoren für das soziale Wohlbefinden erreichten das Niveau des
Krisenjahres 2008.
Die Soziologen sehen als Risiko die Regionalisierung der sozialen Spannungen,
weil die Legitimierung der regionalen Mächte viel niedriger sei als beim Präsidenten. Das Protestpotential steige selbst in wohlhabenden Regionen wie in der
Stadt Moskau, der Region Krasnodar und in der Republik Tatarstan. In einigen
Regionen muss die Machtpartei mit einem niedrigeren Ergebnis als bei der
Parlamentswahl 2011 rechnen.
Die Krise wird von der Bevölkerung getrennt von ihren Beziehungen zur Spitze
des Staates wahrgenommen. Das Anwachsen von Armut und der Rückgang der
Mittelklasse entsprechen der Situation von Mitte 2011. Es besteht das Risiko
schwerer sozialer Proteste, aber wahrscheinlich nur lokal.
9
http://www.vedomosti.ru/politics/articles/2016/01/13/623779-ekonomicheskayanapryazhennost-protestam
10
http://www.kommersant.ru/doc/2891273
5
In einem langen Interview erklärte der Präsident des Moskauer Meinungsforschungsinstituts „Fond Öffentliche Meinung“, Alexander Oslon, am 20. Januar,
dass die Bereitschaft der Bevölkerung zu protestieren geringer ist im Gefühl der
Krise.11 Im August 2014 waren 19 % bereit zu protestieren, im März 2015
20 %, im Dezember 2015 24 %. (An Hand dieser Zahlen sollte man eigentlich
zur gegenteiligen Schlussfolgerung kommen als Oslon.) Bei der Einschätzung
der Arbeit der regionalen Führer ging deren positive Beurteilung etwas zurück:
August 2014 53 %, März 2015 49 %, Dezember 2015 46 %.
Putins Rating sei geschützt. Nach der Krimannexion hätten die Menschen die
Emotion und das Gefühl, dass Putin der Krise widerstehen könne. Im Fall der
Krise würden die Menschen keine Beschwerden an Putin richten, denn die Krise komme von außen. Das Rating der Machtpartei „Einiges Russland“ hänge allerdings von der Bewertung Putins ab. Wenn das Wirtschaftswachstum sinke,
dann sinke als Nächstes auch das Rating Putins.
Vorgezogene Staatsdumawahl
Die Staatsdumawahl 2016 ist von Dezember auf den 18. September, den einheitlichen Wahltag, an dem auch regionale und kommunale Wahlen stattfinden, vorgezogen worden. Es wird nach Parteilisten gewählt und nach Direktkandidaturen. Die Wahlhürde beträgt 5 %.
Schon jetzt beginnen Parteien, sich auf die Wahl vorzubereiten, und fangen mit
Wahlkampagnen an. „Einiges Russland“ und die 2011 von Putin gegründete
Bewegung „Volksfront“ als Zusammenschluss gesellschaftlicher Organisationen
wollen bei der Vorbereitung der Wahlen ihre Aktivitäten in den Regionen
nicht duplizieren und so geographisch mehr Regionen abdecken.12
So planen „Einiges Russland“ und die „Volksfront“ verschiedene thematische
Foren im ganzen Land, die monatlich zweimal in den kommenden fünf Monaten stattfinden sollen.13 Die Machtpartei will sich auf die Wahlen besser vorbereiten als 2011. Als Forumsthemen sind u.a. vorgesehen: Gesundheit, Industrie
Landwirtschaft, Kampf gegen die Korruption. Dabei sollen die Foren die thematischen Besonderheiten der jeweiligen Region berücksichtigen. So dürfte
sich z.B. das Forum in St. Petersburg mit der Kultur befassen, das Forum im
Ural-Gebiet Swerdlowsk mit der Industrie usw. Russische Experten meinen,
dass „Einiges Russland“ neue Ideen braucht und auf die Regionen und die Konsolidierung deren Leiter setzt. Bisher hat „Einiges ‚Russland“ durch Putins
Namen gewonnen, jetzt werde Putin aus der Wahlagenda herausgehalten.
Die Wahlkampagne zu den Regionalwahlen werden elf Experten der Präsidialadministration in den Regionen überwachen.14 Es werden am 18. September 30
Gouverneure und 14 regionale Parlamente gewählt. Da am selben Tag auch die
Staatsduma gewählt wird, dürften die Experten der Präsidialadministration unter Führung der Stellvertretenden Leiterin der Verwaltung der Präsidialadministration für Innenpolitik, Tatjana Woronowaja, auch die Staatsdumawahl mit
im Auge haben.
Präsident Wladimir Putin und das Verfassungskomitee der Staatsduma haben
am 25. und 26. Januar ein Gesetzespaket gebilligt, das vorsieht, dass in jedem
11
http://izvestia.ru/news/601912
12
http://www.kommersant.ru/doc/2890358
13
http://www.rbcdaily.ru/politics/562949999080598
14
http://izvestia.ru/news/573315
6
Wahllokal nur zwei Vertreter einer Partei als Wahlbeobachter vertreten sein
dürfen.15 Manche Experten befürchten eine leichtere Fälschung von Wahlergebnissen. Andere Experten meinen, dass sich gar nichts ändern werde.
Der umstrittene langjährige Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission,
Wladimir Tschurow, der seit 2007 die Zentrale Wahlkommission leitet, werde
bis zum Sommer zurücktreten.16Außerdem soll die Zentrale Wahlkommission
neu formiert werden. Der Menschenrechtsrat beim Präsidenten sei bereit, eigene Kandidaten zu nominieren. Die Opposition möchte den Mechanismus der
Wahlkommission ändern, glaubt aber nicht, das bis zum Sommer schaffen zu
können.
Herausgeber
Deutsch-Russisches Forum e.V.
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Autor
Prof. Dr. Eberhard Schneider
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http://www.newizv.ru/politics/2016-01-25/233457-sokrashennoenabljudenie.html
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http://www.newizv.ru/politics/2016-01-19/233164-karaul-ustal.html
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