Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern

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Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern
Stephan Weiss
G r a f i s c h e Z a h l z e i c h e n a u f We i n f ä s s e r n
Im 14. und besonders im 15. Jahrhundert weitet sich der Handelsverkehr erheblich aus. Betroffen ist auch der Transport von Wein. Handelszentren liegen in Süddeutschland – hier vor allem Regensburg, Nürnberg, Passau und Ulm – sowie in
Österreich und entlang des Rheins über Köln bis Flandern. Nicht nur Käufer und
Verkäufer müssen sich über die Menge des Handelsgutes einig sein, auch der Zoll
und andere Abgaben entlang der Handelswege bemessen sich nach der Menge.
Wein wird fast ausschliesslich in Fässern transportiert. Sie besitzen je nach Ursprungsort nicht nur verschiedene Grössen, sondern auch unterschiedliche Formen bzw. Proportionen. Ein möglichst einfaches Verfahren zur Bestimmung des
Fassinhaltes wird gesucht. Daraus entwickelt sich die Fassmesskunst, ein Teil der
Visierkunst. Das Fassvolumen wird mittels Visierstäben, auch Visierruten genannt, die besonders geteilte Skalen tragen, durchgeführt. Über das Verfahren
geben Publikationen1 umfassend Auskunft, es wird deshalb hier nicht erläutert.
Aus historischen Texten wissen wir, dass Weinfässer mit Angaben zu ihrem
Volumen markiert worden sind. Allerdings existieren nur wenige Quellen, die über
die verwendeten Zahlzeichen Auskunft geben.
Diese Zahlzeichen dienen der Darstellung einer Quantifizierung. Ihre Analyse
zeigt, wie Menschen Einheiten und Untereinheiten gezählt, zusammengefasst und
grafisch dargestellt haben, ohne dabei auf die gebräuchlichen römischen oder indoarabischen Zahlzeichen zurückzugreifen. In der einschlägigen Literatur wird diese
Analyse nicht für alle Varianten der grafischen Zahlzeichen durchgeführt, sie soll
deshalb hier nachgeholt werden.
Mönchsziffern
Die Stadt Brügge und ihr Aussenhafen Damme in Flandern waren spätestens seit
dem 13. Jahrhundert und bis wenigstens in das 18. Jahrhundert hinein Umschlagplätze für Wein. Das sogenannte Damme Manuskript, entstanden wahrscheinlich
vor 1400, gibt eine Anleitung zur Herstellung eines quadratischen Visierstabes
und zu dessen Gebrauch.2 In der Praxis des Visierens verwendeten die Visierer die
in Bild 1 dargestellten Zeichen. Sie wurden auf Visierruten verwendet, ob sie auch
auf Fässern angebracht wurden steht nicht zweifelsfrei fest.
1
2
Z. B. Folkerts 1974 [2] u. 2008 [3]
Meskens 1999 [9]
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2
Die Zeichen repräsentieren ganzzahlige Werte für die Einer 1 bis 9, für die Zehner
10 bis 90, für die Hunderter 100 bis 900 und für die Tausender 1000 bis 9000. Das
tragende Element aller Zeichen ist ein senkrechter Strich. Zusätzliche Elemente
sind für die Einer rechts oben, für die Zehner links oben, für die Hunderter rechts
unten und für die Tausender links unten angebracht. Diese zusätzlichen Zeichen
sind symmetrisch zur Horizontalen und zur Vertikalen. Damit ist für jede Zehnerpotenz ein eigener Quadrant reserviert. Man kann annehmen, dass die Symmetrie
der Zeichen deren Erkennen erleichterte. Eine Null gibt es nicht, stattdessen
bleibt der betreffende Quadrant unbesetzt. Da alle grafischen Elemente aus geraden Strichen bestehen lassen sie sich leicht in Holz einritzen.
Mit dem Anordnen von maximal vier Zeichen übereinander, für jede Zehnerpotenz eines aus dem Vorrat, lässt sich jede ganze Zahl bis 9999 aufbauen. Im
Bild links ist, wie im Beispiel bei Meskens, die Zahl
1397 zusammengestellt.
Das Zeichensystem erlaubt im Gegensatz zum römischen eine einfache Darstellung von grossen Zahlen.
In begrenztem Umfang kann man mit den Zeichen
sogar rechnen (4+1=5, 6+1=7, nicht jedoch
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1+2=3). Das mag beabsichtigt gewesen sein, bringt jedoch keine Vorteile.
Mit diesen grafischen Zeichen identisch sind die Darstellungen in einem Manuskript aus dem 16. Jahrhundert, dem sogenannten Bruges(II) Manuskript3, sowie
bei Vaerman (Bild 2). Letzterer publiziert sein Rechenbuch um 1720. Er schreibt
darin, dass manche Visierer diese ungewöhnlichen Zeichen auf ihre Visierstäbe
auftragen, um ihre Fertigkeiten vor der Allgemeinheit zu verbergen. Sie nennen
die Zeichen compotes, abgeleitet von lat. computare, berechnen, abschätzen, hier
im Sinne von zusammenzählen.
In der ersten Tafel links gibt Vaerman eine zweidimensionale Anordnung der
Einer (I), Zehner (X), Hunderter (C) und Tausender (M) von 1 bis 9. Die zweite
Tafel rechts zeigt alle Zeichen für 1 bis 100. Das Beispiel für eine Zusammenstellung rechts unten, bezeichnet mit 1720, stellt tatsächlich die Zahl 1920 dar.
Dieses Zeichensystem, auch Mönchsziffern genannt, wurde im späten 13. Jahrhundert von Zisterzienser-Möchen aus dem Grenzgebiet zwischen Belgien und
Frankreich entwickelt und bis in das 15. Jahrhundert hinein in Europa benutzt.
Ihre Verwendung beschränkte sich nicht nur auf Visierstäbe und möglicherweise
auf Weinfässer. Sie waren universell in Gebrauch als Seitenzahlen, in Registern, in
wissenschaftlichen Werken und auf Instrumenten.
3
King 2001 [6], S. 239
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„Teeckens van de Ritzinghe“
Vaerman zeigt neben den Compotes ein weiteres variantenreiches System zur grafischen Darstellung der Volumina von Fässern (Bild 3). Es soll, wie er schreibt, von
alten Zeiten her innerhalb der Stadt Brügge verwendet worden sein.
Die Zeichen (teeckens) sind aus Strichen aufgebaut und werden in das Fass eingeritzt. Erläuterungen hierzu gibt Vaerman auf S. 141.
Das System baut auf den Volumeneinheiten Stoop und Zester auf. Es gilt
4 Pint = 2 Vierendeel = 1 Stoop (etwas weniger als 2,5 Liter),
4 Stoop = 1 Schreef, 4 Schreef = 1 Zester,
23 Zester = 1 Fass einschliesslich Traubenrückstände,
22 Zester = 1 Fass ohne Rückstände.4
Seine grafische Aufstellung der Zeichen ist geordnet nach der Anzahl der Zester
und mit numerischen Grössenangaben versehen, sodass eine Analyse des Aufbaus
erleichtert wird.
Soweit seine Erläuterungen rekonstruierbar sind markiert ein Querstrich auf kleinen Behältern 1 Zester oder auf grossen Behältern 5 Zester oder als zwei Querstriche 11 Zester. Senkrechte Striche können auf kleinen Behältern 1 Stoop oder
auf grossen Behältern 1 Zester bedeuten. Winkelzeichen zeigen die Bruchteile
Viertel oder Halb an.
Das System ist additiv aufgebaut und verwendet Bündelungen entsprechend den
Teilungen der Volumeneinheiten. Der Strich als einziges Element kann je nach
Lage und Zusammenhang unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Damit wird
das Zeichensystem mehrdeutig und setzt bei der Interpretation Sachkenntnisse in
der Lagerung von Wein voraus.
Den Teeckens sehr ähnlich sind Zeichen auf einer Pergamentrolle des Sint Janshospitaal in Brügge aus dem 15. Jahrhundert.5
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Angaben bei Meskens 1999 [9]
King 2001 [6], S. 338
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Röderzeichen
Köln war im 15. Jahrhundert ein zentraler Umschlagplatz für den Handel mit
Wein auf eigenen Märkten ebenso wie in Richtungn Ostseeraum. Über das Visieren von Fässern, die in Köln verkauft werden sollten, schreibt der Historiker
Klaus Militzer6:
„Gehörte der angelandete Wein schon einem Kölner Kaufmann, musste jener
nun wie der Käufer am Rhein den Rheinmeister benachrichtigen. Die beiden
Rheinmeister waren für ein Jahr gewählte ehemalige Ratsherren, die für die
Steuererhebung und die Ordnung am Rheinufer, vor allem aber für den Weinhandel am Ufer zuständig waren. Sie schickten nach eingetroffener Anzeige
einen Röder zum Schiff, der mit Hilfe einer Visierrute den jeweiligen Fassinhalt errechnete und sein Ergebnis in den Fassdeckel ritzte. Das war die berühmte Kölner Ritzung, die von allen Zollstellen unterhalb Kölns anerkannt
wurde. Die Zöllner oder Steuereinnehmer verließen sich auf die Angaben der
Kölner Röder und erhoben nach der Ritzung die fälligen Abgaben. Der Händler sparte dadurch Zeit, Ausgaben für neue Berechnungen und schonte seinen
Wein, weil die Fässer nicht erneut geöffnet werden mussten.“
In Bild 4 sind diese sogenannten Röderzeichen einschliesslich einer eingehenden
Erklärung ihres Aufbaus aus Quellen zur Geschichte des Kölner Handels bei
Kuske 1917 [8] wiedergegeben. Die verwendeten Volumeneinheiten heissen
1 Fuder = 6 Ohm; 1 Ohm = 26 Viertel7.
1 Fuder hatte den Inhalt von ca. 850 bis 950 Liter.
Folgt man den Erläuterungen in dieser Quelle haben die Visierer folgende Zeichen
benutzt und kombiniert:
Fuder
1 Fuder = 6 Ohm.
Ohm
1/2 Ohm
1 Ohm,
kumulierbar bis einschliesslich 5 Striche. Dann folgt als
Bündelung ein neues Zeichen für 1 Fuder = 6 Ohm.
Viertel
1 Viertel
5 Viertel
6
7
Militzer 1993 [10]
Die Bezeichnung Viertel hat nichts mit dem vierten Teil eines Ganzen zu tun.
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Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern
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Die Anordnung der grafischen Elemente geschieht derart, dass im Zentrum die
Anzahl der Ohme gesetzt ist, wenn nötig gebündelt auf Fuder. Zusätzliche Zeichen
für die Anzahl der Viertel und für ein halbes Ohm werden, wenn darunter stehend,
hierzu addiert und, wenn darüber stehend, subtrahiert. In der Schreibweise der
Positionen
minus Anzahl Viertel, minus halbe Ohm
Anzahl Fuder od. Ohme
plus Anzahl Viertel, plus halbe Ohm
Eine solche grafische Darstellung ermöglicht, die Grundgrösse Ohm plus und
minus ihrer Hälfte und ihrer Untereinheit Viertel anzugeben.8 Damit bleibt das
System bei der alten Methode der subtraktiven Schreibung von Zahlen, wie sie
auch das römische Zahlensystem verwendet.
Eine plausible Erklärung für diese Schreibweise liegt darin, dass die Visierer das
Ergebnis ihrer Messungen so abgelesen haben.
Ein quadratischer Visierstab, auch Visierrute genannt, trägt zwei Skalen: eine
quadratisch geteilte Durchmesser- oder Tiefenskala und eine gleichmässig geteilte
Längenskala. Die Teilung ist mittels Punkten ausgeführt, die nichts mit Längenmassen zu tun haben. Ohne auf Einzelheiten der Skalenteilung und des Messvorgangs einzugehen läuft das Visieren wie folgt ab: man bestimmt zunächst die mittlere Tiefe des Fasses auf der Tiefenskala und merkt sich die abgelesene Zahl. Sodann misst man die innere Länge des Fasses mit der Längenskala und behält auch
diese Zahl. Schliesslich werden beide Zahlenwerte multipliziert und das Produkt
ergibt die Anzahl der Volumeneinheiten auf die das Fass eingerichtet ist.
Kern führt in seinem Visierbuch folgende Beispiele auf:
Eine Visierrute sei eingerichtet auf die kleinere Volumeneinheit Sechzehntel eines
Eimers. Betragen die Messwerte in der Tiefe 8 und in der Länge 16 Punkte, dann
enthält das Fass 8 * 16 = 128 kleine Einheiten. Das sind 128 / 16 = 8 Eimer.
Ergeben die Messungen eine Tiefe von 4 und eine Länge von 14 dann sind das 4 *
14 = 56 kleinere Einheiten oder 3 Eimer plus ein halber Eimer. Man kann aber
auch so rechnen: fiele die Länge auf 16, dann enthielte das Fass 4 Eimer. Tatsächlich ist es in der Länge zwei Punkte kürzer und das allein sind 4 * 2 = 8 kleinere
Einheiten oder ein halber Eimer, sodass der Inhalt 4 – 1/2 Eimer beträgt.9
Vor allem der Gebrauch einer Wechselrute10 kann dazu führen, dass das Messergebnis aus Teilergebnissen zusammengesetzt werden muss, wenn die Messungen
von Tiefe und Länge nicht auf ganze Punkte fallen.11 In mehreren seiner zahlreichen Beispiele kommt Kern nach einer Volumenbestimmung zum Ergebnis von
Ein Zeichen in Bild 4 gibt 7 Ohm + 1 Viertel. Dieses Viertel macht 0,55% des Volumens. Dabei
kann es sich, wenn es durch Visieren bestimmt wurde, nur um einen theoretischen Messwert
handeln, denn eine solche Genauigkeit kann der Visierer praktisch nicht erreichen.
9
Kern 1531 [5], fol. XXII und XXIIIr.
10 Eine Wechselrute trägt eine Tiefenskala und mehrere Längenskalen, die auf Volumen eingerichtet und jeweils besonderen hervorgehobenen Punkten auf der Tiefenskala zugeordnet sind.
8
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der Art
„...so findestu /2/ omen / und 4 viertel minder 1 maß / sovil helt das vaß innen.“
Abgesehen von den benutzten Volumeneinheiten entspricht diese Feststellung dem
Aufbau der Röderzeichen. Begünstigt werden derartige mehrteilige Ergebnisse zudem auch von der Tatsache, dass zu einer Volumeneinheit mehrere nicht-dezimal
geteilte Untereinheiten existieren.
Visierziffern
Eine weitere Quelle für grafische Zahlzeichen zur Darstellung des Volumens findet
sich nahezu identisch in drei Rechenbüchern. Es sind dies
* das Weinkauffpüchlein eines anonymen Autors, um 1550 [1],
* die Künstliche Rechnung von Christoff Rudolff in den Ausgaben 1546,
1550, 1566, 1580, 1601 [12] (weitere Ausgaben habe ich nicht geprüft) sowie
* das Rechenbüchlein von Adam Ries, Ausgabe 1629 [11].
In den Texten werden die Zeichen explizit Visierziffern genannt. Die Texte unterscheiden sich sowohl in den Abbildungen als auch in den Erklärungen nur geringfügig, sodass man den Eindruck hat, die späteren seien abgeschrieben oder aber
allen liege eine noch unbekannte Vorlage zu Grunde.
Wegen der grossen Übereinstimmung der Texte in den Quellen sei jener aus dem
Weinkauffpüchlein ausgewählt und nachfolgend in leichter lesbarem Deutsch wiedergegeben.
„Wie man die Visierziffer erkennen kann“
„Zum ersten ist es notwendig zu wissen / wie man ihre Charactere beschreibt /
Es gibt keine besondere Änderung zu den anderen Ziffern / ausser bei Fünf
und Sieben / und sie stehen so in der Ordnung.“12
Die theoretische Begründung gibt Folkerts 1974 [2], auf S. 29. Beispiele aus der Praxis finden
sich bei Kern 1531 [5], fol. XXXIIII f. und in anderen Visierbüchern.
12 Sterner 1891 [13] nimmt die Ziffern in seiner Geschichte der Rechenkunst auf S. 139 in der
Vergleichung historischer Zahlzeichen mit auf und nennt als Quelle das Weinkauffbüchlein (S.
143). Hill 1915 [4] zeigt sie ebenfalls, nennt als Quelle das Rechenbüchlein von Christoff
Rudolff 1526 und schreibt auf S. 53 „In den Weinkellen von Wien wurden die Fässer entsprechend ihrem Inhalt mit Zeichen der gezeigten Art markiert“ (Übers. vom Autor). Spätere Publikationen führen sie nicht mehr auf.
11
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11
„Die Halben werden allein mit einer Linie oder einem Strichlein unterschieden / denn sooft ein Strichlein durch eine Ziffer geht / nimmt sie einen halben
Eimer / Und das geschieht allein bei den Eimern und nicht bei den Vierteilen.13
Dabei ist auch besonders zu beachten / wenn bei einer Ziffer drei kleine Punkte stehen / So hält dieses Fass genau so viele Eimer / und kein Vierteil mehr
oder weniger / wie hier gezeigt ist.“14
„Wenn aber ein Fass einige Vierteil mehr oder weniger zu den gefundenen
Einer enthält / sollst du merken dass dies zu beschreiben mit zwei Zeichen
geschieht / das Eine zeigt an wieviel Vierteil es mehr sind / das Andere wieviel
Vierteil es weniger sind.“
(minus Vierteile)
(plus Vierteile)
Eimer und Vierteil sind Volumenmasse mit dem Verhältnis 1 Eimer = 12 Vierteil. Wie gross die
Einheit Eimer tatsächlich war lässt sich nicht sagen, weil sie von Region zu Region variierte.
Hier geht es nur um die Notation der Masseinheiten.
14 Die Punkte werden wohl auch dazu gedient haben, eine nachträgliche Veränderung des
Zeichens zu verhindern
Das Zählen in Schritten von einem Halben erfolgt subtraktiv nach dem Schema: (1 – 1/2), (1),
(2 – 1/2), (2), (3 – 1/2), (3), (4 – 1/2), (4), usw. In gleicher Weise sind auch Halbe auf manchen
Skalen von quadratischen Visierruten markiert. Ein Schrägstrich bedeutet minus ein Halbes:
13
(Bild aus Kern 1531 [5], fol. VIr)
Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern
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„Die (Anzahl der) Eimer die das Fass enthält / werden oben auf das Zeichen
geschrieben und die Vierteil die es mehr oder weniger enthält werden unten
an das Zeichen gesetzt wie dann hernach in vielen Exempeln gesehen wird.“
Es folgen 16 Beispiele von Notationen. Zwei nicht leicht deutbare sind nachfolgend
herausgegriffen.
(1 Eimer plus ein
Vierteil)
(3 Eimer minus 1/2
Eimer minus 3 Vierteil)
Nach diesen Lesebeispielen folgt schliesslich
„Und nachdem manchmal an den Fässern sich die Ziffer lehnen oder
aufrichten bleibt es doch immer bei dieser angezeigten Meinung.“15
Aus den Erläuterungen ergibt sich, dass es sich bei dieser Art von Visierziffern um
eine Kombination aus grafischen Elementen und indo-arabischen Ziffern, letztere
in einer frühen Form, handelt (Bild 5). Ausgehend von der Anzahl der Eimer wird
die Addition oder Subtraktion von Teilen grafisch nur hervorgehoben, ihre Quantität ist mit Ziffern benannt.
In summarischer Schreibweise
Anzahl der Eimer [– ein halber Eimer] [± Anzahl Vierteil]
15
Gemeint ist wohl, die Zeichen können ihre Lage verändern, wenn die Fässer gerollt werden,
und bleiben dennoch erkennbar.
Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern
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Die Summanden in eckigen Klammern kommen zur Anzahl der Eimer wahlweise
hinzu. In vorhergehenden Abschnitt wurde bereits dargelegt, dass sich diese Notation auf die Methoden beim Visieren von Fässern zurückführen lässt.
Zwischenergebnisse beim Visieren
Ein zunächst rätselhaftes Bild mit Ziffern auf einem Weinfass gibt Köbel in seinem
Visierbuch [7] aus dem Jahr 1515.
Bild 6: Zahlen an einem Fass
aus Köbel 1515 [7], fol. XVIIIr
Der Visierer hat auf einer Fassdaube nebeneinander die Zahlen -VII in römischen
Zahlzeichen und mit einem kurzen vorangestellten Querstrich, die 4 in einer älteren Form des indo-arabisches Zahlzeichens und schliesslich II wieder in römischen Zahlzeichen geschrieben. Möglicherweise ist die rechte Zahl noch nicht fertig notiert und deshalb grösser.
Über die Bedeutung dieser Zahlen schreibt Köbel nichts. Es gibt jedoch indirekte
Hinweise. In seinem Visierbuch haben alle Bilder einen unmittelbaren Bezug zum
Inhalt des Abschnitts. Das Bild oben ist zwischen zwei Abschnitte eingefügt. Der
Vorhergehende gibt eine Anleitung zur Konstruktion der Skalen einer Quadratrute mit Hilfe eines Fasses mit bekanntem Inhalt. Der darauf folgende Abschnitt
Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern
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erläutert die Berechnung des Fassvolumens aus den Messwerten für Länge und
mittlerem Durchmesser nach dem Visieren eines Fasses. Sie müssen zur Bestimmung des Volumens multipliziert werden. Die beiden Messwerte sind bei Köbel im
Text mit römischen Zahlzeichen angegeben.
Im Visierbuch von 1531 schreibt Köbel auf fol. CIX r. unten, dass der Visierer den
mittleren Durchmesser und die Länge des Fasses auf das Fass selbst oder ein kleines Brett schreiben soll. Genau das ist im Bild oben geschehen.
Es spricht sogar einiges dafür, dass es sich bei dem Fass um ein Normfass mit bekanntem Inhalt handelt, das zum Fertigen der Skalen diente. Für diese Annahme
spricht das Loch im Fass rechts unten. Es wurde zur genauen Bestimmung des
Fassvolumens vor dem Befüllen mit Wasser verschlossen und zum schnellen Entleeren wieder geöffnet.
Die Bedeutung des kurzen waagerechten Strichs vor der Zahl links und der 4 in
der Mitte bleibt unbekannt.
••••••••••••
Bildnachweis
Bild 5 vom Autor, alle anderen aus den genannten Quellen.
Literatur
1
Anonym: Weinkauffpuechlein. Nürnberg 1555
2
Folkerts, Menso: Die Entwicklung und Bedeutung der Visierkunst als Beispiel der
praktischen Mathematik der frühen Neuzeit. In: Humanismus und Technik, Bd. 18
(1974), S. 1-41
3
Folkerts, Menso: Die Fassmessung (Visierkunst) im späten Mittelalter und in der frühen
Neuzeit. In: Gebhardt, Rainer (Hrsg.): Visier- und Rechenbücher der frühen Neuzeit
(Schriften des Adam-Ries-Bundes Annaberg-Buchholz Bd. 19) 2008
4
Hill, G.F.: The Development of Arabic Numerals in Europe, 1915
5
Kern, Ulrich: Eyn new Kunstlichs wolgegründts Visierbuch, 1531
6
King, David A.: The Ciphers of the Monks. A Forgotten Number-Notation of the Middle
Ages. Stuttgart 2001.
7
Köbel, Jacob: Eyn new geordnet Vysirbuch. Oppenheym 1515, 1531
8
Kuske, Bruno: Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter,
Bd. III, 1917
9
Meskens, Ad et al.: Wine-Gauging at Damme. The Evidence of a Late Medieval
Manuscript. In: Histoire et mesure Bd. 14 (1999) S. 51-78
10
Militzer, Klaus: Handel und Vertrieb rheinischer und elsässischer Weine über Köln im
Spätmittelalter. In: Geschichtliche Landeskunde - Band 40: Weinbau, Weinhandel und
Weinkultur, 6. Alzeyer Kolloquium 1990. Hrsg. von Alois Gerlich. 1993
URL http://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/aufsaetze/militzer-handel.html
Grafische Zahlzeichen auf Weinfässern
11
Ries, Adam: Rechenbüchlein auff den Linien und Ziffern. Nürnberg 1629
12
Rudolff, Christoff: Kunstliche Rechnung mit der Ziffer vnd mit den zal Pfennigen.
Augsburg 1546, 1550, 1566, 1580, 1601
13
Sterner, Matthäus: Geschichte der Rechenkunst, 1891
14
Vaerman, Jan: Academia Mathematica, ca. 1720
15
Wedell, Moritz: Zählen. Semantische und praxeologische Studien zum numerischen
Wissen im Mittelalter. 2011
Sept. 2015
http://www.mechrech.info
15