Der Nahostkonflikt

Transcription

Der Nahostkonflikt
Der Nahostkonflikt:
Die brennende Frage der
euro-mediterranen Zusammenarbeit
von Akram Belkaïd
Akram Belkaïd lebt und arbeitet in Paris.
I
st die Union für das Mittelmeer (UfM) auf
dem Weg in die Bedeutungslosigkeit oder
hat sie gar bereits ihren letzten Atemzug
getan? Wenn man einer Vielzahl von Experten Glauben schenken darf, ist der Prozess
erloschen – zum Opfer gefallen sowohl dem
Gaza-Krieg und dem zaghaften Vorgehen der
Europäer als auch der Gleichgültigkeit der arabischen Regierungen gegenüber dem Leiden der
Palästinenser. Für die Öffentlichkeit in den südmediterranen Ländern ist es undenkbar, einen
Prozess zu unterstützen, in dem Israelis und
Palästinenser an einem Tisch sitzen, als wenn
nichts gewesen wäre. Dementsprechend verärgert sind die Bürger über ihre Regierungen, welche vor einem Dilemma stehen, streben sie doch
insgeheim nichts mehr an, als die stille – andere
würden sagen beschämende – Normalisierung
des Verhältnisses zum hebräischen Staat.
die Union auf die mediterranen Anrainerstaaten zu beschränken. Eine Absicht, die die Deutschen erzürnte und zu heftigen Spannungen
zwischen Paris und Berlin geführt hatte. Der
französische Präsident lenkte daraufhin ein und
deklarierte die UfM fortan als einen Prozess,
der alle Länder des Mittelmeerraums mit allen
EU-Mitgliedsstaaten verbinden sollte. Aber auch
von diversen arabischen Ländern wurde die Initiative mit Argwohn aufgenommen. Während
die einen sie als den verdeckten Versuch auffassten, Bedingungen für eine erzwungene Normalisierung mit Israel zu schaffen, befürchteten
die anderen, sie könnte den Ausbau ihrer jeweils eigenen Beziehungen zur EU im Rahmen
der Nachbarschaftspolitik verhindern. Und die
Türkei sah in dem Projekt von Anfang an eine
diplomatische Methode, ihren Beitrittskandidatenstatus zu unterminieren.
Blicken wir aber zunächst zurück auf die Lancierung des Projektes, das ja schon zu Beginn
unter ungünstigen Vorzeichen stand. So war es
Nicolas Sarkozys ursprüngliches Ziel gewesen,
Ende der Utopie
Nicht mal ein Jahr nach der offiziellen Geburt
der UfM in Paris im vergangenen Jahr hat die
geopolitische Realität wieder Einzug gehalten
und damit die Utopie, oder gar die Laienhaftigkeit dieses Unterfangens offen gelegt. Wie
konnte man annehmen, ein multilaterales mediterranes Projekt von Relevanz könnte ohne die
Lösung der palästinensischen Frage langfristig
Erfolg haben?
Fast vierzehn Jahre ist es her, dass der Barcelona-Prozess in der Folge des ersten Golfkriegs
und der Euphorie nach dem Vertrag von Oslo
mit (fast) der gleichen Versprechung wie die
UfM gegründet wurde: den Mittelmeerraum zu
einer Region des Friedens und – insbesondere
mithilfe der Wirtschaft – des Wohlstands zu
machen.
Vereinzelten Ländern wie Marokko und (mit
Einschränkungen) Tunesien ist es gelungen,
vom euro-mediterranen Prozess zu profitieren.
Insgesamt konnte „Barcelona“ seine Versprechen aufgrund des unilateralen Verhältnisses,
in dem Europa dem wenig verhandlungsgeschickten Süden die Bedingungen diktierte, jedoch nicht halten. Der eigentliche Grund für die
euro-mediterrane Stagnation liegt im Stillstand
des Nahost-Friedensprozesses. Unzählige Kriege, darunter jener im Libanon im Jahr 2006, die
Intifada und die Fortführung des Siedlungsbaus
im Westjordanland, haben wesentlich die Blockade hervorgerufen, die bis jetzt andauert.
Und genau hierin liegt der Kernpunkt des Problems. Bis heute sind die europäischen Staatsführer davon überzeugt, dass eine Intensivierung
der Beziehungen und des Austausches mit der
mediterranen Region auch ohne grundlegende
Änderungen der Situation der Palästinenser
möglich ist. Ob offiziell oder nicht gehen sie davon aus, dass die arabischen Regime in der Lage
seien, ihre Position zu ändern und sich über die
Entrüstung ihrer Bürger hinwegzusetzen. Seit
zwanzig Jahren setzen die Europäer auf dieses
Pferd und seit zwanzig Jahren verlieren sie die
Wette!
Zerstörte Amerikanische Schule in Gaza, Januar 2009 (© European Communities/ECHO/Thorsten Muench)
Seite 20
Aufschlussreich hierfür ist das Zaudern der Europäischen Union, die Nahost-Friedensinitiative
zu unterstützen, die bereits vor immerhin sieben Jahren lanciert wurde. Sie bildet eine ernst-
hafte Bemühung zur Stabilisierung auf der Basis des einfachen Prinzips „Land für Frieden“.
Im Erfolgsfall wäre sie ein ausgezeichneter Katalysator für die Annäherung der EU an seine südlichen Nachbarn. Und dennoch findet sie bislang keine Aufnahme in den Kanon möglicher
Lösungen der EU. Es ist ebendiese abwartende
Haltung der Europäer in Bezug auf alles, was
Palästina berührt, die sämtliche ihrer Projekte
unglaubwürdig macht, den euro-mediterranen
Beziehungen eine andere Dimension zu geben.
Wechselseitige Abhängigkeit
Müsste man sich vor diesem Hintergrund nicht
über die Stagnation der UfM freuen? Das könnte
man schon aus reiner Lust am Spott über Nicolas
Sarkozy. Aber eine Lösung drängt. Ob man es
will oder nicht: die Zukunft der südlichen Anrainerstaaten der EU, oder genauer gesagt des Maghrebs, liegt im Norden. Und genauso trifft das
Umgekehrte zu. In einer Welt, in der die Finanzkrise um sich greift und die Transportpreise in den
kommenden Jahren verhängnisvoll in die Höhe
schießen werden, rücken Nähe und Geographie
als zentrale Wirtschaftsfaktoren wieder in den
Vordergrund. Aber es gibt eine noch entscheidendere, weil unausweichlichere Größe: die
Demografie. In den kommenden Jahrzehnten
werden die Hände im Norden fehlen, während
sie sich im Süden multiplizieren. Wer wird die
Renten im Norden bezahlen, wenn nicht die Arbeiter aus dem Süden? Wo werden die europäischen Unternehmen neue Märkte finden, wenn
nicht im südlichen Mittelmeerraum?
Damit sich der Süden bereit erklärt, durch seine
Sozialbeiträge die Renten im Norden zu finanzieren, bedarf es verstärkter Investitionen und
der Schaffung von Arbeitsplätzen durch Europa
im Maghreb. Optimistisch gesehen, kann man
davon ausgehen, dass Europa früher oder später
zugeben muss, dass es keine andere Wahl hat,
als entschlossen in die Länder am südlichen
Mittelmeerufer zu investieren.
Dieser Realität mögen viele im Norden bisher
nicht ins Auge sehen. Noch ist die Vorstellung
in Paris, Brüssel oder Berlin schwer durchzusetzen, dass außer der Energie weitere erschöpf-
liche Ressourcen im Maghreb und in der EU
existieren könnten. Sobald die Menschen im
Süden die Renten derer im Norden bezahlen,
werden die wechselseitigen Beziehungen nur
noch schwer in Frage zu stellen sein. Ebendiese
Konstellation könnte in dreißig bis vierzig Jahren
eintreten. Gesetzt den Fall, dass die Palästinenser
bis dahin ihre Rechte und ihre Würde wiedergewonnen haben.
Dieser Text erschien ursprünglich unter dem Titel „Feu l’UPM?“ am 26.3.2009 in Le Quotidien
d’Oran. Übersetzung: Irina Saal.
1 Gemeint ist die 2002 vom saudischen Kronprinzen
Abdullah lancierte arabische Friedensinitiative. Sie sieht
den Rückzug Israels auf die Grenzen von vor dem SechsTage-Krieg 1967 vor und fordert einen Palästinenserstaat
mit Ostjerusalem als Hauptstadt sowie eine „gerechte
Lösung“ für die palästinensischen Flüchtlinge. Im Gegenzug sollen die arabischen Staaten Israel in vollem Umfang
diplomatisch anerkennen und die Sicherheit des Landes
garantieren.
MMIG_english_185x120 17.06.2009 13:18 Uhr Seite 1
C
M
Y
CM
MY
CY CMY
K
German Trade Fairs
Marketplaces
of the world.
Ask for information from the representatives
of German industry / German trade fair
companies in your country.
www.auma.de
Mediterranes 1/2009
Probedruck
Seite 21