O tti S chmid

Transcription

O tti S chmid
Otti Schmid mit
dem Trans-Ocean
Weltumseglerpreis
SeemannsClub der
Hasta Luego!
Otti
Shanty Sin
-
Segeln, wie es am sch nsten
Otti Schmid
Otti Schmids Fahrt zur See ist noch
nicht ›zu Ende. Noch lange nicht. Der
ehemalige ›Swissair-›Pilot, der in den
Trans-OceJahren 1995 bis 1998 mit seiner «Ha
sta Maæana» die S dsee befuhr und
seine zwar h ufigen, aber eben nicht
immer ›romantischen ›Erlebnisse im
Buch «Hasta ›Ba›nanas» niederschrieb,
setzte seine Reise fort. ber ThailandSVE
und ›Madagaskar f hrte ihn der Weg
nach S dafrika und ber Brasilien in
die ›Karibik. Wie gewohnt am ›liebsten
in (weiblicher) Begleitung, notfalls
aber auch allein. Ottis ›Heimat ist das
CCS
Meer, zweifellos. Heimat ›ge›blieben ist
aber auch das Dorf ›Hemishofen ›bei
Stein am Rhein, ›
ge›blieben sind seine Freunde, die er
nicht vergisst, die er ›regelm ssig
beYCS
sucht und denen er die j ngsten Aben
teuer erz hlt. Noch ›immer Fernweh?
Noch keine Musse, sich zur Ruhe zu
setzen? Mag sein, die Zeit daf r
kommt. Vorderhand aber geht es
ISCYRA
›weiter. Und die Freunde Otti Schmids,
von Trinidad bis Darwin, von Nosy Be
Hasta
Lue -
T. O . P.
B
O O K S
Otti Schmid
Hasta
Luego!
T.o.p. Books
Vom gleichen Autor sind erschienen:
«Hasta Bananas», Amouröses Segelabenteuer in der Südsee
ISBN 3-9521225-4-8 (April 2000)
«Hasta Bananas», Sailing and Romance in the South Seas
ISBN 3-952125-8-0 (August 2003)
Erste Auflage
© 2004 T.O.P. Books GmbH
Consulting: Rosenfluh Publikationen, Neuhausen am Rheinfall
DTP, Layout und Umschlaggestaltung: Willum Møller
Lektorat: Urs von Schroeder
Fotos: Otti Schmid, Urs von Schroeder, Jenny Griffiths
Peter Kägi (Coverphoto), Helmut van Straelen (Foto Rückseite)
Illustrationen: Klaus Beerli
Druck: Stamm & Co., Schleitheim
ISBN 3-9521225-9-9
3
Hasta
Luego!
F r meine Schwester Dor
Inhalt
40 000 Seemeilen: Ein Kreis schliesst sich
Im Auge des Drachens
Affentheater in Kalimantan
Von Seeräubern verschont
Im Land des Lächelns
Diese verdammten Felsen!
Samichläuse am King’s Cup
Albträume im Indischen Ozean
Haie und nochmals Haie
Inferno in der Wasserwüste
Wo die Toten tanzen
Am Kap der Stürme
Great White – born in South Africa
Ein Wal, wilde Pferde und ein paar Heilige
Willkommen im Knast!
Im Taumel des Passats
Brasil, Brasil … todo bem!
Ende einer langen, langen Reise
Zurück im Hafen
Die Hasta Mañana
Ambon Rally: Teilnehmerliste
Nautische Erläuterungen
Kontakte
11
15
31
45
81
93
109
125
137
155
169
181
195
199
221
225
249
287
299
306
307
308
320
Europa
Azoren
Bermudas
Madeira
Kanarische
Inseln
Bahamas
Kapverdische
Inseln
Afrika
Trinidad and Tobago
Port of Spain
Îles du Salut
Kourou
Fernando
de Noronha
Jacaré
Südamerika
St. Helena
Salvador
Brasilien
SüdafrikaRicha
Hout Bay
°
90
W
°
60
W
30° W
0°
Kapstadt
30° E
Asien
Sri Lanka
Thailand
Phuket
Galle
Strasse von Malakka
Malediven
Singapore
Kalimantan
Addu
Kumai
Seychellen
Flores
Bo
rn
eo
Bali
Mayotte
Nosy Be
Darwin
Ma
dag
ask
ar
Dzaoudzi
Ambon
Indonesien
Chagos
Archipel
Mauritius
Port Louis
Saint Pierre
La Reunion
Australien
ards Bay
0°
E
15
0°
E
E
°E
12
0°
E
80
18
60°
40 000 Seemeilen: ein Kreis
schliesst sich
urz vor dem Ziel hatte das Schicksal plötzlich brutal zugeschlagen. Wir befanden uns vor der südamerikanischen Küste, als die Grossschot auf unserer «Hasta Mañana» bei einer
Patenthalse auf die Steuerbordseite sauste und meine
holländische Segelpartnerin Sanne verletzte. Glück und Pech
liegen beim Segeln so nahe beieinander. Jetzt, als wir uns dem
Trinidad & Tobago Yacht Club nähern, löst sich die grosse
Spannung, die mich in den letzten Tagen und Wochen begleitet
hat. Ein Kreis hat sich geschlossen. Als ich vom Klubhaus zum
Boot zurückkehre, ist es mit einem Banner geschmückt: «Otto,
around the world – congratulations!» Ich bin zu Tränen gerührt.
Segler von den umliegenden Booten kommen an Bord. Eine Party
steigt. Ich bin glücklich. So glücklich wie schon lange nicht mehr.
Es ist der 13. Juli 2003. Über
acht Jahre sind es her, seit ich in
Südfrankreich einwasserte, um
die Erde mit meinem neuen Boot
zu umrunden. Auf dem Weg in
den Pazifik genoss ich in Trinidad den Karneval, wo ich –
nach mehr als 40 000 Seemeilen
im Kielwasser – jetzt zum zweiten
Mal anlegte. Ja, ich liess mir Zeit,
sehr viel Zeit für meine Reise. Ein
Übermass bleibender Eindrücke
brannte sich in diesen Jahren in
Gratulation – Otto hat die Erde
mein Gedächtnis ein. In der
umsegelt!
K
11
Südsee kam meine Zeit lange zum Stillstand. Dort blieb ich
während ein paar Jahren gefangen, fasziniert von den tropischen
Eilanden und seinen warmherzigen Menschen. In den Weiten des
Stillen Ozeans und den weltabgeschiedenen Buchten erfüllten
sich meine Träume. Oft brachte ich Tausende von Seemeilen
mutterseelenallein hinter mich. Wehmut vermischt sich mit
Genugtuung, wenn ich zurückblicke. Ich war traurig, den Pazifik
hinter mir zu lassen, und zugleich zufrieden und bereichert von
der Fülle und Intensität der Erlebnisse. Nie vergessen werde ich die
unglaubliche Gastfreundschaft, Fröhlichkeit und spontane
Hilfsbereitschaft, die mir immer wieder und überall zuteil wurden.
Die ersten Jahre meiner Reise habe ich in meinem Buch «Hasta
Bananas» beschrieben, das in deutscher und englischer Sprache
erschienen ist. Neue Küsten, neue Inseln, neue Horizonte öffneten
sich vor mir auf dem langen Weg von Australien über Indonesien
nach Malaysia und Thailand und über die Weiten des Indischen
Ozeans und des Südatlantiks.
Jetzt hat sich der Kreis also geschlossen, und ich bin heil
zurück. Das ist nicht selbstverständlich, denn trotz moderner
Technik bleibt eine solche Reise ein Abenteuer, das mit vielen
Herausforderungen verbunden ist. Gefahren lauern überall auf
dieser Welt, die durch den globalen Terrorismus nicht sicherer
geworden ist. Auch Yachties sind zunehmend bedroht. So wurde
der bekannte Segler Sir Peter Blake im Amazonasgebiet zum
Opfer eines Mordes. Im Roten Meer wurden harmlose Segler
beschossen und in Venezuela ein Skipper vor den Augen seiner
Frau umgebracht. Vielleicht nur wegen ein paar Dollars. Ich bin
dankbar, dass mich grobes Unheil und Krankheiten verschonten
und dass ich auch eine glückliche Hand bei der Wahl meiner
Crewmitglieder hatte. Auch wenn meine Weltumseglung abgeschlossen ist, meine Neugier ist geblieben. So ist auch meine
Reise noch nicht zu Ende. Ich liebe es, unterwegs zu sein. Auf
dem Wasser fühle ich mich ruhig und gelassen, weil ich weiss,
dass dort vorne, hinter dem Horizont, neue Länder und neue
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Menschen auf mich warten. Der Wind pustet munter in die
Segel. Die Reise geht weiter!
Otti Schmid: ein Kurzporträt
Der Bauernbub: Ich wurde am 6. Dezember 1938 auf der «Bleiche», einem Restaurant und Bauernhof oberhalb Stein am Rhein,
geboren und wuchs mit drei Geschwistern auf. Nicht Bauer, wie
mein Vater sich das wünschte, sondern Mechaniker wollte ich
werden und machte eine Lehre bei der SIG in Neuhausen. Dann
besuchte ich das Technikum in Winterthur, wo ich von 1959 bis
1962 Elektrotechnik studierte. Schon im ersten Semester
faszinierte mich ein Plakat der Swissair: «Studentenflugkurse – die
Swissair braucht Piloten!» Der erste Kontakt mit der Swissair fiel
ernüchternd aus. Das Verdikt lautete: Zuerst das Studium mit
Diplom abschliessen, mindestens Unteroffizier werden und einige
Segelflugstunden nehmen. Ich schaffte das alles.
Der Linienpilot: 1965 trat ich in die Schweizerische Luftverkehrsschule in Kloten ein, im Herbst 1966 bekam ich einen
Swissair-Vertrag. Meine ersten Einsätze absolvierte ich als Copilot
auf CV-440 «Metropolitan», einem legendären Propellerflugzeug.
Später wechselte ich auf die DC-9, meinen ersten Jet. Schon 1969
folgte die Umschulung auf die DC-8, das damals grösste
Langstreckenflugzeug der Swissair. Mein Arbeitsgebiet wurde die
grosse, weite Welt, genau so, wie es das Plakat im Technikum
verheissen hatte. Ab 1975 flog ich als DC-9-Kapitän auf Europastrecken, dann folgte der Airbus A310. In den letzten vier Jahren
führte ich MD-11 mit über zweihundert Passagieren an Bord über
die Meere. 12 561 Flugstunden wurden mir bei meiner
Pensionierung am 31. März 1994 bestätigt. 12 561 Stunden ohne
eine ernsthafte kritische Situation.
Der Starsegler: Meine Eltern beglückten uns Kinder mit einer
H-Jolle, die wir im Rhein an eine Boje hängten. Die Kunst des
Segelns brachten wir uns selbst bei. 1971: Paul Keller verkaufte mir
sein 1948 gebautes Starboot 2709 «Easy Rider», und ich trat der
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Segelvereinigung Eschenz bei. 1976 machte ich in Estavayer
zusammen mit Reini Küng an der Fock an meiner ersten
Schweizermeisterschaft mit. Der Segelvirus hatte sich längst bei
mir eingenistet. Ich startete an unzähligen Regatten im In- und
Ausland für den Yacht Club Schaffhausen. Höhepunkte der Starsegelei waren die Weltmeisterschaften 1987 in Chicago, 1989 auf
Sardinien, 1990 in Cleveland und 1992 in San Francisco.
Der Ehemann und Familienvater: Linienpilot bei der Swissair,
Fluglehrer bei der Motorfluggruppe Zürich, in der Freizeit Segler –
dieses Leben entsprach meinem Naturell. Aber es ist nicht zu
ändern: Ich entpuppte mich als lausiger Ehemann und nur
mittelprächtiger Vater. Zwei Eheversuche scheiterten kläglich.
Meine beiden Söhne Oliver (1961) und Ronald (1964) kauen wohl
noch heute an den Folgen meiner unsteten Lebensart. So lebe ich
nun seit Jahren als Single in wechselnden Beziehungen.
Der Hochseesegler: 1994, einen Monat vor meiner Pensionierung, kaufte ich in Oslo die 40-Fuss-Stahl-Sloop «Hasta Mañana»,
hängte mein bürgerliches Leben an den berühmten Nagel und
begab mich auf eine Reise, in der es keine Zwänge mehr gibt. Mit
dem Ziel, die Erde zu umfahren, segelte ich im Mittelmeer los.
Urs von Schroeder: Auszüge aus seinem Tagebuch
Wild entschlossen heuerte unser Lektor Urs von Schroeder im
September 2002 als Segel-Anfänger in Kapstadt als Koch bei mir
an, um mit der «Hasta Mañana» den Südatlantik zu bezwingen. In
diesem Buch finden Sie Auszüge aus seinem Tagebuch. Hier das
erste Beispiel.
«Wie anders ist diese Art des Reisens. Wie anders als das Fliegen, das
unsere Seelen laufend vergewaltigt. Hier kommen unsere Seelen noch
mit. Wir gewähren ihnen die Zeit zum Abreisen, genügend Zeit
unterwegs und die Zeit zum Ankommen. Wir reisen, von den Launen
des Meeres und des Windes bestimmt, wohl auf die natürlichste Art der
Welt.»
14
Im Auge des Drachens
Darwin
res
Ambon
Sulawesi
Komodo
Lombok
FloBali
ommer 1998. In der Marina der Cullen Bay von Darwin liegen wir angenehm in der Nähe des Eingangs. Eine Schleuse
hält das Wasserniveau konstant. Bei 6 Meter Tidendifferenz
ist das eine nützliche Einrichtung. 500 australische Dollars pro
Monat bin ich los für diesen Luxus. Vor dem Darwin Sailing Club,
der das Ambon-Rally organisiert, könnte man gratis liegen. Allerdings hängt man weit draussen vor Anker und muss das Dinghy je
nach Tageszeit über eine grosse Distanz bis zum Wasser schleppen.
Mein gegenwärtiger Begleiter heisst Markus Zeberli und kommt
aus Opfershofen im Thurgau. Er begleitet mich seit Cairns anstelle
von drei Frauen, die mitkommen wollten, aber einfach nicht auftauchten.
In der trockenen Jahreszeit ist das Wetter hier angenehm
warm, so um die 30 Grad, während im Süden Australiens Winter
mit kaltem und regnerischem Wetter herrscht. Diese Tatsache
treibt viele Backpacker in den Norden. Hier lerne ich auch
Schweizer kennen: «Swiss Chris», der auch am Ambon-Rally
teilnimmt, Hedy und Hans Ryffel, deren Segelboot «Enigma» am
gleichen Steg liegt, Paul, der mich auf einem Markt anspricht,
nachdem er die Edelweiss an meinem Swissair-Rucksäckchen
entdeckt hat. Bei ihm wohnen zwei Holländer. Zusammen fahren
wir zum südöstlich der Stadt gelegenen Sandy Camp, um Krokodile zu jagen. Keine Angst: nur mit der Kamera! Wir mieten ein
kleines Motorboot und finden tatsächlich jede Menge «Crocs» in
der Flussmündung. Sie dösen reglos in der Sonne oder lauern im
Wasser auf Beute. Träge gleiten die Biester ins Wasser, sobald sie
unseren Motor hören. Lassen wir uns treiben, kommen wir noch
S
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näher heran. Kalter Schauer rieselt mir über den Rücken. Man
weiss ja nie!
Für das Ambon-Rally, das am 25. Juli beginnt, haben sich trotz
der unstabilen politischen Lage in Indonesien 51 Mannschaften
in drei Klassen gemeldet. Ein Jahr zuvor waren es noch über
hundert. Ich habe mich in der Rallyklasse eingetragen. Hier ist
eine Minimalcrew von zwei vorgeschrieben. Den Motor darf man
brauchen, was allerdings einen Zeitzuschlag zur Folge hat. Das
grösste Boot ist die Brigantine «Eye of the Wind» aus England mit
132 Fuss, die kleinste die «Artemis» mit 30 Fuss Länge. Das Rally
wird seit 1976 jährlich durchgeführt und geht über 600 nautische
Meilen zum Ziel bei Amahusu auf der Insel Ambon. Diese gehört
zu den Molukken, die bekannt für ihre Gewürze sind. Für die
Rally-Zulassung muss ich die umfangreichen Vorschriften für
Kategorie 1 der Australian Yachting Federation erfüllen. John, der
für den Safety Check verantwortlich zeichnet, händigt mir eine
Liste aus. Ich mache mich unverzüglich an die Arbeit. Die
Rettungsinsel muss ich kontrollieren lassen. Eine Danboje mit
Flagge fertige ich selbst an. Die Plastiküberzüge an der Reling
müssen weg, könnte sich doch unterhalb am Drahtseil Rost
bilden. Alle losen Teile wie Rettungsring und Fender sind mit dem
Bootsnamen zu bezeichnen, nicht mit aufgeklebten Buchstaben,
sondern mit Farbe gepinselt. Ich denke aber nicht nur an die
Sicherheit. Da mein Kühlschrank kurz vor Darwin schlapp
machte, baue ich das neue australische Modell «Supa Kool» ein.
Die Firma Rado Refrigeration macht es für 700 Aussie-Dollars
möglich, dass ich wieder kühles Bier an Bord habe. Der Kompressorteil passt genau zwischen Kühlschrank und Spülbecken. Einmal mehr erweist sich, wie nützlich mein klappbares Mountain
Bike ist, um zu den weit verstreuten Läden zu kommen.
Zwei Tage verbringe ich mit einer Wilderness-Tour im
Litchfield National Park. Wir sind 20 Personen im Bus, darunter
Pia, eine frühere Swissair-Flugbegleiterin aus Goldach. Unser
Chauffeur und Betreuer heisst Bob. Dieser Park ist für seine
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spektakulären Wasserfälle und unberührte Natur bekannt. Am
ersten Tag können wir viermal im plätschernden Wasser baden.
Beim Abendessen – dazu wird sogar kühler Weisswein kredenzt –
geniessen wir auf einem Hügel den Sonnenuntergang. Dann
singen wir am Lagerfeuer zu Gitarrenklängen. Wir nehmen sogar,
bis zum Hals im Wasser suhlend und Bier schlürfend, ein Mitternachtsbad in einem natürlichen Pool, an dem Bob einige Kerzen
aufgestellt hat. Die Nacht verbringen wir unter freiem Himmel,
durch ein Netz vor Moskitos geschützt. Der zweite Tag führt uns
nach einer längeren Wanderung durch einen dichten Wald zu den
Wangi Falls.
Die Zeit mit meinem Besatzungsmitglied Markus geht ihrem
Ende entgegen. Er will noch etwas reisen, bevor er wieder in die
Schweiz fliegt. Dafür zieht die St. Gallerin Pia für einige Tage bei
mir ein, denn alle Backpacker-Unterkünfte sind belegt. Am 20. Juli
gesellt sich Christofel aus Holland zu uns. Er war Tauchlehrer in
Cairns und gehört zu meiner Rally-Crew. Nach Pias Abschied
bekomme ich einen neuen Gast: Annette aus Muri. Ich lernte die
junge Schweizerin in der Jugendherberge kennen. Sie möchte
auch am Ambon-Rally mitsegeln und freut sich, dass wir sie
mitnehmen, denn ihr Australien-Visum läuft bald ab.
Weiter dazu stossen soll Peter
Hagmann, der als Flugzeugspengler bei der SRTechnics
arbeitet. Er wird erst kurz vor
dem Start um 04:35 Uhr mit
der Qantas einfliegen, sofern
er als Freiflugpassagier überhaupt mitkommt. Jedenfalls
mache ich den Schleusentermin mit dem Wärter Dick so
aus, dass Peter am Starttag
noch aufspringen könnte,
Der Alkohol sollte reichen
17
sollte er mit einem Tag Verspätung eintreffen. Meine Sorgen sind
unbegründet. Alles klappt, und wir sind komplett. Zehn Karton
Bier, eine Kiste Rum und als Geschenk vom «Downtown Dutyfree
Shop» 24 Büchsen Rum-Cola-Mix verschwinden im Bauch des
Bootes. Meine Crew erledigt den Einkauf der Nahrungsmittel. Der
hier lebende Schweizer Hans chauffiert sie zum Einkaufszentrum.
Überhaupt ist diese gute Seele eine grosse Hilfe. Er zeichnet mir
auf einer Karte auch mögliche Ankerplätze in Indonesien ein. Er
war dort zusammen mit seiner Frau Hedy während mehreren
Jahren mit dem Boot «Enigma» unterwegs. Als mir ein paar Karten
fehlen, leiht er mir diese grosszügig aus.
Stressig wird es erst, als ich bei einer Inspektion im Masttop
feststelle, dass das Achterstag mit Isolatoren defekt ist. Es dient
gleichzeitig als HF-Antenne und muss ersetzt werden. Ob das
noch reicht vor dem Start? Innert zwei Tagen schaffe ich es. Beim
ersten Versuch bringe ich es fertig, das neue Teil verkehrt anzubringen. Hans hilft auch hier. Er hievt mich schon zum vierten
Mal in dieser Woche zum Masttop hoch. Endlich sind wir bereit.
Bereit auch für die Farewell Party im herrlich gelegenen DSCGelände. Dort lernen wir unsere «Gegner» etwas näher kennen.
Wir erfahren auch, dass der Schweizer Fritz Messerli, der Skipper
der «Athene III», vor den
Augen seiner Frau beim
Kontrollieren des Ankers
auf den Salomonen von einem
Krokodil
getötet
wurde. Ich habe seine Berichte jeweils im CCS-Magazin gelesen. Traurig.
Nein, so möchte ich meine
Seglerkarriere
jedenfalls
Vor dem Start ist Schabernack erlaubt
nicht beenden.
Am 25. Juli verlassen wir die Cullen Bay um 05:30 Uhr und
gehen etwas östlich der Schleuse vor Anker. Noch ist es stockdun-
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kel. So legen wir uns wieder schlafen. Um 07:30 Uhr wecke ich
meine Crew. Das Wassertaxi des DSC holt uns zum ChampagnerFrühstück ab. Die Stimmung im Darwin Sailing Club ist aufgeräumt. Das ABC-Fernsehen macht Interviews. Dietrich, ein Crewmitglied der «Gemini Contender», blüht vor der Kamera förmlich
auf. Ich liebe diese Stimmung vor dem Start zu einer Regatta. Es
kribbelt leicht im Bauch. Wird es wohl Wind haben um elf Uhr?
Es hat. Wir schmuggeln uns auf die bevorzugte Seite der Startlinie.
Im Bug der Fregatte «Goolong» der Royal Australian Navy knallt
der Startschuss. Die andere Seite der Startlinie ist durch ein rote
«Perkins Shipping»-Barge des Hauptsponsors begrenzt. Wir
kommen gut weg, werden aber kurz darauf vom Spinnaker der
Swan 57 «Cowrie Dancer» abgedeckt. Leider verfügen wir über
keinen Spinnaker. Es ist allerhand los. Zuschauerschiffe behindern
die startenden Boote, und der Spinnaker der «Evanna» gerät ins
Trudeln. Eine Yacht bleibt sogar in einer Untiefe stecken, kurz
bevor wir eine Boje vor dem East Point runden.
Der Wind frischt auf Beaufort 4 bis 5 auf, das sollte uns gegen
Abend bis ins Lee der Insel Brathurst bringen, dort wo in den
letzten Jahren wenig Wind herrschte. Wir haben Glück, der Wind
scheint sich zu halten. Wir passieren die Insel kurz nach Einbruch
der Dunkelheit. Ich bin froh, in Peter einen guten Segler an Bord
zu haben. Auch Annette hat den Hochseeschein und segelt auf
dem Thunersee 420-er Jolle. Sie ist still und blass. Der Seegang hat
plötzlich zugenommen. Ich backe noch schnell ein Brot, bevor es
allzu schlimm wird. Christofel gewöhnt sich schnell ans Segeln
und ist eine nützliche Hilfe. Gegen Abend unterhält er uns mit
seiner Gitarre. Wir machen dreistündige Wachen. Ungefähr bei
Halbzeit fangen wir einen 105 Zentimeter langen Mahi Mahi.
Obwohl es Peters erster Fisch ist, den er zerlegt, leistet er saubere
Arbeit. Es ist uns klar, was an den nächsten zwei Tagen auf dem
Speisezettel steht: Fischgerichte in allen Variationen.
Morgens um 07:33 und nachmittags um 15:33 Uhr geben wir
unsere Position auf SSB 4483 KHZ an die Regattaleitung durch.
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Unser erstes Etmal beträgt 170 Meilen, dann 150 und 136. Je
näher wir unserem Ziel kommen, desto schwächer wird der Wind.
Immerhin scheint eine Ankunft in der Bucht von Ambon gegen
Mittag des vierten Tages wahrscheinlich. Wir sind glücklich, als
wir in die mit bewaldeten Hügeln gesäumte Bucht einlaufen. Die
Überfahrt war schnell und schmerzlos. Noch liegt ein schwieriges
Stück vor uns, als wir das Cap Nusanive um 13:30 Uhr passieren.
Es sind noch 5 Meilen bis zum Ziel. Wir können zwei weitere
Yachten ausmachen. Peter steuert, und wir versuchen, die Segel im
wechselhaften Wind so zu setzen, dass unser Boot immer etwas
Fahrt behält. Wir wollen den Motor nicht benutzen, denn bis jetzt
haben wir null Motorstunden. Das wird zur Nervensäge. Endlich,
um 15:36 Uhr, fahren wir durchs Ziel. Erlöst geben wir unserer
Freude Ausdruck und gehen unmittelbar in der Nähe vor Anker,
um einzuklarieren. Schon nach wenigen Minuten kommen sieben
(!) lachende dunkelhäutige Beamte in schönen Uniformen an
Bord. Wir bewirten sie mit Tee und Biskuits. Nach nur zwanzigminütigem Papierkrieg sind wir offiziell in Indonesien.
Steckbrief der Hasta Mañana
Engholm 40S, Knud Olson Design
● Sloop aus Stahl, 40 Fuss oder 12,2 Meter lang, 3,80 Meter
breit, Tiefgang 2,1 Meter
● Segelflächen: Gross 35 m2, Rollgenua 47 m2,
Sturmfock 10 m2
● Wasser: 400 Liter, Diesel: 700 Liter
● Windgenerator: Air-Marine
● Instrumente und Autopilot: Tecnautic, WindfahnenSteuerung: Windpilot Hamburg, Radar: Furono 1721,
SSB: IC-M810, VHF: Sailor, GPS: Garmin 128
● Notausrüstung: Rettungsinsel der Ballonfabrik Augsburg,
EPIRB: Kannad.
●
Indonesien ist das viertgrösste Land der Erde mit über 200 Mil-
20
lionen Einwohnern. Davon leben 60 Prozent auf der Insel Java.
Der Staat zählt offiziell 13 677(!) Inseln. «Tanah dan Laut», Land
und Meer, nennen ihn die Einheimischen. Indonesien blickt auf
eine wechselvolle Geschichte zurück. Fast 350 Jahre regierten
niederländische Kolonialherren über den Archipel. 1908 wurde
eine politische Einheit geschmiedet mit Java als Zentrum. Im
Zweiten Weltkrieg überfielen die Japaner das Land. Nach ihrer
Kapitulation erklärte Sukarno, der Freiheitskämpfer und erste
Präsident, am 17. August 1945 Indonesien unabhängig. Seine
Bewohner sind schöne, durchwegs schlanke und freundliche
Menschen. Jeder Versuch, sich auf Indonesisch zu verständigen,
wird honoriert. Ich habe einen «Language Survival Kit» dabei und
mir schon vor der Ankunft einige Wörter angeeignet: Dari mana,
ke mana? (Woher kommst du, wohin gehst du?), Tidak apa apa
(macht nichts), Belum (noch nicht, weder ja noch nein), Terima
kashi (danke), Apa kabar? (Wie geht es?), Kabar baik (Mir geht’s
gut).
Was sofort auffällt:
Ambon ist hügelig,
stark bewachsen und
feucht. Hier herrscht
von April bis Oktober
Regenzeit. In Bali ist es
umgekehrt: Dort dauert die Regenzeit von
Oktober bis April. Das
aufgefangene Regenwasser füllt unsere
Es zischt – wir saufen ab
Tanks schnell. Den ersten Abend verbringen wir in den zahlreichen Beizchen, die speziell für das Ambon-Rally geöffnet werden. Am Schluss landen wir
im «Walang-Café». Hier hat Christofel – von einem Jungen am
Keyboard begleitet – grossen Erfolg als Karaokesänger. Der Abend
endet allerdings misslich. Unser Holländer zieht unser vor dem
21
Restaurant angebundenes Dinghy etwas zur Mauer hin. Beim
Einsteigen schneidet eine versteckte Koralle einen 10 Zentimeter
langen Schnitt in die Schlauchwand, aus der zischend Luft
entweicht. Etwas belämmert stehen wir morgens um drei Uhr da.
Schliesslich finden wir einen Segler, der uns zusammen mit
unserem «Malta»-Aussenborder zu unserem Boot bringt. Die
kläglichen Reste des Bötchens sichern wir an einem Baum. Die
Reparatur am nächsten Tag gelingt. Zum Glück habe ich Reparaturmaterial mit Zweikomponentenkleber dabei.
Natürlich besichtigen wir auch die Insel. 200 000 Einwohner
sollen hier leben. Das Strassenbild beherrscht ein friedliches
Nebeneinander von Autos, Motorrädern und dreiräderigen
Ritschkas. Das «Becak» genannte Gerät ist ein halbes Velo mit
einer vorne angebrachten Sitzbank für zwei Personen. Ambon
wird auch Nelkeninsel genannt. Neben Vanille und Muskatnuss
sind die Nelken hier die Haupteinnahmequelle. Diese werden
auch den «Kretek»-Zigaretten beigemischt, die den unverkennbaren süsslichen Geruch verströmen. Annette erleidet im
unglaublichen Durcheinander des Marktes einen Kulturschock
und meidet in den nächsten Tagen die Stadt. Ambon gehört zur
Molukkengruppe mit über 1000 Inseln und insgesamt einer
Million Einwohnern.
Das Ambon-Rally ist zu einer wichtigen Einnahmenquelle für
Amahusu geworden. Für 200 australische Dollars bekomme ich
beim Wechseln 1 340 000 Rupien. So werde ich für kurze Zeit
Millionär! Nach dem Währungszusammenbruch ist diese Region
für uns unglaublich günstig geworden. Die Preisverteilung findet
im Rahmen einer traditionellen Tanzdarbietung im Baileo Oikumene-Zentrum statt. In der Rally-Klasse belegen wir nach berechneter Zeit den 8. Platz. Der für dieses Rennen von John Punch aus
Darwin speziell gebaute Katamaran stellte einen neuen Streckenrekord von etwas über 53 Stunden auf und gewann damit die als
Preis ausgesetzten 5000 Dollar. Wir sind zufrieden. Das AmbonRally ist eine gute Möglichkeit, das drei Monate gültige Cruising
22
Permit (Reiseerlaubnis) zu erhalten. Am Montag nach der Preisverteilung können wir ausklarieren. Als Ziel geben wir Bali an. Die
in einer Hütte sitzenden Beamten wollen fünf Kopien des Cruising
Permits, der Bootspapiere und der Crewlisten. Speziell Freude
haben sie, wenn ich meinen «Hasta Mañana»-Stempel unter ein
Dokument setze.
Mit Peter nehme ich mir den «Malta» vor, dessen Impeller
gewechselt werden muss. Im Handbuch steht für diesen Fall
lakonisch, man soll den Motor zum nächsten Yamaha-Händler
bringen. «Es goht nünt über en Bootsbauer an Bord», stelle ich
grinsend fest. Peter strahlt. Er absolvierte seine Lehre als Bootsbauer
bei Peter Wagner in Eschenz. Ohne ihn hätte ich beim
Impellerwechsel alt ausgesehen. Beim «Zeise»-Generator, der wegen
Öldruckverlustes automatisch abstellt, weiss er auch keinen Rat. Das
Motorenöl ist ausgelaufen, ein ernsteres
Problem. Ab sofort müssen wir unsere
Batterien mit dem Bukhdiesel laden.
Beim Ankereinholen gibt die elektrische Ankerwinsch ein komisches Knattern von sich. Das Getriebe ist defekt.
Wir wechseln auf Handbetrieb. Es ist
mühsam, den schweren Anker mit der
Kette hochzukurbeln, aber es funktioniert.
Am 4. August laufen wir zur 300
Peter repariert alles
Meilen entfernten Buton-Strasse auf
der Insel Sulawesi aus. Einmal mehr nehmen wir im plätschernden Regen eine Dusche. Es schaut so aus, als wolle der Niederschlag nie mehr aufhören. Wir geniessen den zusätzlichen Platz
an Bord, nachdem Christofel auf die «Jasmink» gewechselt hat,
um in Nordsulawesi die Tauchgründe zu erkunden. Der Wind
reicht knapp zum Segeln. Schon in der ersten Nacht, als ich die
Wache um 01:00 Uhr übernehme, glänzt das Meer im Mondschein. Endlich hat der Regen aufgehört. Dieser Törn ist ein
23
Vergnügen. Nach vier Tagen fahren wir um Mitternacht bei
Mondschein in die Button Strait ein, die an der nördlichen Stelle
6 Meilen breit und 60 Meilen lang ist. Bei Anbruch eines neuen
Tages erreichen wir eine Stelle mit Untiefen, die schwierig zu
passieren ist. Am Nachmittag nähern wir uns der engsten und nur
etwa 200 Meter breiten Stelle. Wir haben Glück mit nur noch 2
Knoten starkem Rückenstrom. Die Landschaft ist hügelig. Wären
keine Palmen am Ufer und würde man die Hitze wegdenken, man
könnte sich glatt an den Rhein versetzt fühlen. Als wir ein Dorf
passieren, begrüssen uns unzählige Kinder in Kanus. In der
Schweiz haben die Kinder ein Dreirad – hier fahren sie Kanu. «Hey
misterrr!» schreien sie und nähern sich winkend. Vor der Stadt
BauBau (Buton) finden wir einen Ankerplatz auf acht Meter
Wassertiefe etwas östlich der Pier. Immer wieder winken uns
fröhliche Menschen aus vorübergleitenden Booten zu. Sofort
machen wir uns bereit zum
Landgang. In der Nähe des
Abwasserkanals binden wir
unser Beiboot fest. Es stinkt
fürchterlich, doch es ist unglaublich, wie freundlich die
Menschen sind. «Hey misterrr,
Besucher in der Buton-Strasse
how arrre you?» tönt es uns
überall entgegen. Bei unserer Rückkehr auf die «Hasta Mañana»
plärrt aus Lautsprechern am Turm einer Moschee der Muezzin.
Viele Frauen tragen hier einen Tschador.
Um uns vor ungebetenen nächtlichen Besuchern zu schützen,
habe ich beim Niedergang einen Infrarotalarmgeber angebracht.
Sollte jemand ins Boot wollen, so gibt es einen Höllenlärm. Um
vier Uhr früh erwache ich. Es geht schon wieder los. In der nahen
Stadt werden die Muslime laut zum Frühgebet gerufen. Das dauert
bis genau fünf Uhr. Hühner krähen mit bellenden Hunden um die
Wette. Der Vollmond steht am Himmel. Undefinierbare Düfte
wehen zu uns herüber. Per Becak lassen wir uns für umgerechnet
24
5 Räppli zum Markt von BauBau fahren. Das Einkaufen wird zu
einem Erlebnis der besonderen Art. Unsere neuen Sprachkenntnisse setzen wir sofort um: «Berapa sekilo kentang?» (Was kostet das Kilo Kartoffeln?), «Bisang» (Bananen), «Kelapa» (Kokosnuss). Harun, ein Ambonese, winkt uns in sein kleines Restaurant,
wo wir für wenig Geld köstlich essen. Dann motoren wir zur
5 Meilen westlich gelegenen Nirwana Beach und geniessen das
Baden und Schnorcheln im klaren Wasser. Von Indonesien sind
wir angenehm überrascht. Zumindest hier ist nichts von einer
Krise zu spüren, schon gar nichts von Aggressionen gegen
Touristen. Alle scheinen sich zu freuen, dass wir uns für sie und ihr
Land interessieren.
Der Passat hält durch, und nach zweimal 24 Stunden laufen
wir in die Bucht vor Labuanbajo auf der Insel Flores ein. Dieses
idyllisch gelegene Fischerdorf gilt als Ausgangspunkt für einen
Bootstörn zur Insel Komodo, wo die berüchtigten Warane leben.
Gertrudis Laut von der Touristeninformation organisiert unseren
Trip nach Loh Liang. Nach dreistündiger Fahrt mit einem
Motorboot machen wir fest und vertrauen uns dem jungen Führer
Johannes an. Der Marsch bis zum Wasserloch dauert zwei
Stunden, doch sind dort keine Warane zu sehen. Dann werde
wohl einer bei der Küche sein und dort auf Futter warten, meint
Johannes. Die Spannung steigt. Bis vor kurzem wurden Ziegen
geschlachtet und als Köder ausgelegt, um die Warane anzulocken.
Diese sind gute Jäger. Mit ihren mächtigen Schwänzen erschlagen
sie ihre Beute und vertilgen sie mit Haut, Haaren und Knochen.
Auch Touristen sind schon spurlos verschwunden! Tatsächlich
liegt ein ansehnliches Exemplar hinter dem Küchenhaus.
Johannes scheucht das Tier mit seinem Stock auf. Es hebt den
Kopf und züngelt mit seiner gespaltenen Zunge. Dann schaukelt
es mit eigenartigen Bewegungen in den nahen Schatten und lässt
sich bereitwillig fotografieren. Die Warane gehören zu den
ältesten Tiergattungen – Jurassic Parc lässt grüssen! Auf Komodo
soll es noch über 1000 dieser Spezies geben. Sie werden bis vier
25
Meter lang und um die 60 Jahre alt. Unser Ausflug nach Komodo
hat sich gelohnt.
Von Komodo folgen wir der Inselkette entlang nach Banta
und Subawa. «Wir haben einen Fisch an der Angel!» schreit
Annette plötzlich. Es ist wieder ein Mahi Mahi. Er hat die ideale
Grösse von 65 Zentimetern. Wir freuen uns. Eine Stunde später
wird ein Teil davon zu einer Fischsuppe. Mein Rezept: Knoblauch
und Zwiebel dünsten. Etwas Ginger beimischen, mit Weisswein
ablöschen, mit Wasser ergänzen, dann die Fischstückchen und
ein Briefchen Gemüsesuppe hinzufügen und zum Schluss fein
gehacktes Gemüse in den Sud geben, das, was gerade verfügbar
ist. Heute haben wir Kabis und geschnittene Bohnen. Dann
kommt das, was meine Suppe wirklich ausmacht: eine Büchse
Kokosmilch reingiessen und mit Thai-Chili-Sauce würzen. Das
ergibt einen süsssauren Geschmack. Nach dem Essen soll es etwas
brennen im Mund, damit das kühlende Bier nachher noch besser
schmeckt.
Die Insel Lawang bei Lombok vor Einbruch der Nacht anzulaufen, schaffen wir nicht mehr. Während des ganzen Tages
hatten wir bis zwei Knoten Gegenstrom. Also wird unser nächstes
Ziel die Gili-Insel Trewangan. Weil wir vor dem Morgengrauen
ankommen würden, machen wir kurz entschlossen einen
zweistündigen Badehalt. Genau so wie auf dem Untersee. Wir
bergen die Segel und lassen uns treiben. Badeleiter runter und rein
ins 500 Meter tiefe Meer, allerdings ohne Annette. Ihr ist das – «so
mitten im Meer» – zu unheimlich. Kaum habe ich die Taucherbrille aufgesetzt, erkenne ich einige Quallen mit langen Tentakeln. Ob die wohl giftig sind? Vorsicht ist auf jeden Fall geboten.
Nach dem Sonnenuntergang und einem «Sundowner» fahren wir
unter Motor weiter. Seit wir Labuanbajo verlassen haben, lässt uns
der Südostpassat im Stich. Der Wind ist wechselhaft oder überhaupt nicht vorhanden. Ich habe Wache von 04:00 bis 07:00 Uhr.
Annette und Peter schlafen noch, als ich kurz vor sieben Uhr bei
der Badeinsel in der Nähe von Fischerbooten vor Anker gehe. Als
26
Vorgeschmack auf die sonnenhungrigen Touristen in Bali
umschwärmen uns jede Menge schnorchelnder Männlein und
Weiblein. Wir liegen unmittelbar neben einem Riff. Infolge der
starken Strömung hängen wir mit dem Heck im Wind. Wir
bringen den Heckanker aus, um diese Lage zu stabilisieren. Den
Tag verbringen wir mit Baden und Faulenzen. Im Osten dominiert
auf der Insel Lombok der 3765 Meter hohe Vulkan Rinjani die
Kulisse. Den Kraterrand kann man von Senaru aus in einer dreitägigen Tour besteigen. Im Westen schimmert der Kegel des
Gunung Agung (3142 m) auf der Insel Bali durch die Wolken.
Bis nach Bali sind es noch 55 nautische Meilen. Wir müssen
also zeitig losfahren. Das Aufstehen um halb sechs Uhr ist noch
erträglich, doch dann geht es los mit der «Übung Morgengrauen», wie einst im Militär. Der Heckanker hat sich festgekrallt
und lässt sich trotz allen Bemühungen vom Beiboot aus nicht
lösen. Also holen wir zuerst den Buganker ein. Dann lassen wir
uns zurücktreiben und nehmen die Heckankerleine an den Bug
der «Hasta Mañana». Nach ungeduldigen Manövern unter
Maschine und einigen Schweisstropfen kommt der Anker endlich
frei. Auf unserer Fahrt begegnen uns unzählige Auslegerkanus
unter Segeln mit meistens zwei Männern an Bord. Ein Segler, der
sich uns nähert, johlt «Independence Day Race» herüber. Heute,
am 17. August 1998, feiert Indonesien 53 Jahre Unabhängigkeit.
Der Wind bläst jetzt stärker, und wir haben 5 Knoten (!) Rückenstrom. Wir sausen nur so dahin und kommen früh an. Schon um
halb zwei Uhr suchen wir die schlecht markierte Einfahrt zum
Hafen von Benoa. In der Bali International Marina angekommen,
begrüsst uns Dick, ein Amerikaner, der diese Marina leitet. Schon
in Darwin hatte ich ihn per E-Mail angeschrieben. Gegenüber
liegt ein neuer 38 Meter langer Schoner. «Yanneke Two» und
«RTYC Hamilton» prangen auf dem Heck. Die siebenköpfige
Crew ist am Dauerputzen und hebt kaum die Köpfe, als wir
gegenüber anlegen. Der Eigner dieses Luxusbootes soll ein
Schweizer sein.
27
In der Marina von Bali zahlen wir etwa 20 Franken pro Tag
28
Bali ist erstaunlich gross: 140 Kilometer lang und 80 Kilometer
breit. Unzählige Jets mit Touristen donnern Tag und Nacht über die
Marina. Hier mussten die Becaks einer Unzahl von Motorrädern
weichen. Helmbewehrt behaupten sich die Fahrer im Strassenverkehr. Es ist an allen Ecken und Enden zu spüren: Hier sind die
Hindus die erdrückende Mehrheit, mit einer Kultur, die trotz der
anschwellenden Touristenströme intakt geblieben ist. Schon etwas
ausserhalb der grossen Zentren ist die in sich geschlossene Lebensweise der Balinesen zu spüren. Wir mieten einen Bus und lassen
uns von unserem Chauffeur Hanu, der leidlich englisch spricht,
einen Teil der Insel zeigen. Neben dem Fahrer liegt ein aus Palmblättern geflochtenes Körbchen mit gefärbten Reiskörnern,
Blumen und Beeren. Opfergaben an die Götter oder um die bösen
Geister friedlich zu stimmen? Wir fahren in den Norden zum
Danau Batur, einem Kratersee. Die Aussicht ist überwältigend.
Dann geht es entlang der Krete zum malerisch gelegenen Pura
Batur-Tempel. Hier müssen wir unsere Beine mit gemieteten
Sarongs verhüllen, um eintreten zu dürfen. Weiss gekleidete
Gläubige beten mit unüberhörbarem Gemurmel. Dann kommt
eine junge Frau, die auf ihrem Kopf ein Tablett voller Opfergaben
balanciert. Sie stellt an bestimmten Orten kleine Körbchen mit
Blumen, Bananen und Eiern hin und lässt sich gerne fotografieren.
Zu unserem Erstaunen gibt sie uns ein paar Bananen und
Mandarinen von ihren Opfergaben. Dann fahren wir weiter nach
Tegallalang. In diesem hügeligen Tal sind die Reisterassen speziell
kunstvoll angelegt, genährt durch reichlich vorhandenes Wasser,
das in kleinen Kanälen zugeführt wird. Die Felder sind so
modelliert, dass nicht der kleinste Flecken ungenutzt bleibt. Die
Gestaltung der Felder ist Männerarbeit, Frauen sind nur für die
Ernte zugelassen. Fröhlich winken uns die Männer in den Feldern
zu.
Das Mittagessen nehmen wir in Ubud ein, wo viele Touristen
damit beschäftigt sind, allerlei Kunstgegenstände zu erhandeln.
Dann fahren wir zu einem weiteren bekannten Tempel: Tanah
29
Lot. Dieser trohnt schön gelegen auf einem vom Meer umspülten
Felsen. Wir haben gerade Niedrigwasser. Unterhalb stehen
Gläubige geduldig in einer Kolonne, um sich mit heiligem Wasser
besprenkeln zu lassen. Mit lautem Gebimmel nähert sich eine
Prozession. Am Fusse des Felsens angelangt, verharren die Pilger
während über einer halben Stunde im Gebet. In der Hindu-Kultur
werden familiäre Ereignisse wie Heirat, Geburt und der Tod mit
grossem Zeremoniell begangen. Besonders feiern die Hindus den
Tod, bedeutet dieser doch nicht das Ende, sondern einen Neuanfang. Die Seele wird neu geboren, hoffentlich in einem höheren
Lebewesen. Das Zeremoniell einer grossen öffentlichen Verbrennung kann drei Tage dauern und ist sehr kostspielig.
Dann fliegen Annette und Peter ab, er zurück in die Schweiz,
sie nach Australien. Wir waren ein gutes Team. Was ich besonders
schätze, beide nehmen sich die Zeit, der «Hasta Mañana» eine
Generalreinigung angedeihen zu lassen. Zu meiner Freude
überlässt mir Peter seine Südamerika-Musikkassette, während mir
Annette ihre neue Madonna-CD «Ray of light» schenkt. Dann bin
ich wieder einmal allein. So ist halt mein Seglerleben. Ich beginne,
mein nächstes Teilstück nach Singapore vorzubereiten.
«Otti hat die Hast abgeschüttelt, die uns zivilisatorische Menschen
versklavt. Er hat zu jener Gelassenheit gefunden, die wir uns so oft
wünschen und von der wir träumen. Es ist ihm völlig egal, ob wir in fünf,
zwölf oder dreissig Tagen ankommen. Das macht für ihn keinen
Unterschied. Denn was sind schon fünf, zwölf oder dreissig Tage? Der
Weg sei das Ziel, sagt er immer wieder.»
30
Affentheater in Kalimantan
Bali
Kalimantan
Batam
Sin
gapore
er Ponton ist zwar etwas schief, doch mein Boot liegt in der
Bali International Marina gut. Die Stromanschlüsse sehen
gefährlich aus. Sie sind offen verdrahtet und kaum geschützt. Wasser steht zwar auch zur Verfügung, aber es ist nicht
trinkbar. Hier muss ich den ganzen Papierkrieg der Immigration,
der Health, dem Harbour Master, der Navy und dem Zoll neu
erledigen, obwohl ich im selben Land geblieben bin. Die beiden
Marina-Angestellten Wayan und Made sind behilflich, sobald ein
Problem auftaucht. Lustig, hier in Bali werden die Kinder
nummeriert: Wayan, der Erste, Made, der Zweite, Dena, der Dritte.
Nachdem der Bürokratie Genüge getan ist, fliege ich in 45 Minuten nach Ujung Pandang, dem einstigen Makassar auf der Insel
Sulawesi. Makassar – schon in der Schulzeit übte der Name dieser
Stadt auf der früher Celebes genannten Insel einen eigenartigen
Reiz auf mich aus. Erstes Fernweh regte sich damals in mir. Dort
betrieb Arnold Schmid, in Stein am Rhein «Millionenschmid»
genannt, eine Perlenfischerei. Er besass auch Tee- und Kaffeeplantagen. Arnold war ein Bruder meines Grossvaters und
beschäftigte über vierzig Fischer. Dieses kleine Kolonialreich war
unter dem Firmennamen Arnold Schmid Corporation, P.O.
Box 97, Makassar registriert. Jetzt stehe ich hier und versuche mir
vorzustellen, wie es aussah, als Arnold Schmid (1874–1960) anfangs des letzten Jahrhunderts seine Geschäfte betrieb. Er war
auch mit einer Indonesierin liiert und hatte mit ihr eine Tochter
namens Dora, die er später zusammen mit seinen Kindern Rudolf
und Lisbeth im «Lindenberg» in Stein am Rhein aufzog. Arnolds
erster Sohn, auch er auf den Namen Arnold getauft, führte die
D
31
Geschäfte in Indonesien nach dem Zweiten Weltkrieg weiter,
doch konnte er die Verstaatlichung des Besitzes nicht verhindern.
Zusammen mit den holländischen Kolonialherren musste auch er
das Land verlassen, als es 1948 unabhängig wurde. Unsere Familie
Schmid stammt übrigens vom Steiner Bürger Johann Rudolf
Schmid vom «Schwarzenhorn» ab. Dieser war Gesandter des
deutschen Kaisers in Konstantinopel gewesen, dem heutigen
Istanbul. «Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten», sagte der
Pfarrer bei der Abdankung nach Arnolds Tod am 19. Dezember
1977. Er war viermal verheiratet gewesen. Zwei Kinder wurden in
Indonesien, eines in Amerika und die Tochter Monika in Stein am
Rhein geboren. Schon unser Vorfahre Felix Schmid dichtete:
Felix Schmid, der jung ward ich genannt
und hab ganz sicherlich gleich wie mein Vatter zwar
Erlitten viel Kummer, Angst und Gfahr
Weil nun zum vierten Mal ich so oft
müssen verhürathen mich
Gott woll uns unser Sünd vergeben und helf uns z’sammen
ins ewige Leben.
Offenbar habe ich das Fernweh, die ungebrochene Reiselust
und meinen unsteten Lebenswandel von dieser Familie geerbt! Ich
versuche, in Makassar Spuren zu finden – vergeblich. Selbst in
zwei Museen ist nichts zu entdecken. Was soll’s, ich gebe mich
dem Hochgefühl hin, hier an diesem für mich bedeutsamen Ort
zu sein. Abends sitze ich im Kareba-Musicafé beim Losari Beach
Hotel, höre Musik und mache ab und zu ein Tänzchen mit einer
lokalen Schönen.
Mit Garuda Airlines fliege ich nach ein paar Tagen wieder
zurück nach Denpasar. Im Mata Hari Shopping Center mache ich
die Bekanntschaft Windas. Sie arbeitet dort als Verkäuferin und
kommt aus Java. Für eine Schicht pro Tag und viermal in der
Woche erhält sie ganze 200 000 Rupiahs oder zwanzig US-Dollar
32
Ein Brief an den Flugkapitän
33
pro Monat. «Gehen wir mal aus?» schlage ich vor. «You give me
tip, I go with you, ok?» antwortet sie ziemlich schnippisch. «We
have monetary crisis in Indonesia, me bankrupt.» Wer kann es ihr
verübeln, dass sie etwas dazuverdienen will, zumal sie eine kleine
Tochter hat. Für «Massage Komplet» kann sie 80 bis 100 000
Rupien in einer Stunde verdienen. Ich treffe sie in Sanur bei den
Gang Indah No 21 Bungalows.
Natürlich darf ich an einer Klassenzusammenkunft meines
Schuljahrganges 1939 in Stein am Rhein nicht fehlen. Kurzentschlossen fliege ich in die Schweiz. Ich bin zwar 1938 geboren,
wurde aber als nicht schulfähig ein Jahr zurückgestellt. So geniesse
ich eine Woche im heimatlichen Studio in Hemishofen. Es läuft
viel. Wir zügeln meine Mutter ins Altersheim von Stein am Rhein,
wo sie ein schönes Zimmer mit eigenen Möbeln bezieht. Ich treffe
meine Söhne, schwimme im Rhein und segle unseren Ahab mit
den neuen Segeln in Steckborn. Auch besuche ich Susi in Zürich,
die mich längere Zeit in Neuseeland und Australien begleitet hat.
Als Konditorin gehört sie zu den Frühaufstehern. So auch am 3.
September 1998. Schon früh scheppert Radio-24-Musik aus ihrem
Radiowecker. Plötzlich wird die Sendung unterbrochen: «Swissair
MD-11 SR111 auf dem Flug von New York nach Genf bei Halifax
abgestürzt!» meldet der Sprecher. Ich bin sprachlos und geschockt.
Diesen Flugzeugtyp habe ich während meiner letzten vier Jahre als
Swissair-Captain geflogen. Mich treibt es mit allen Kräften nach
Kloten. Vielleicht ist dort mehr zu erfahren. Blödsinnigerweise
geht mir das Gedicht F.W. Bernsteins im Kopf herum:
Äusserst merkwürdige Geschöpfe lauern auf der Landebahn,
haben windschlüpfrige Köpfe, Flieger sind’s mit Flügeln dran.
Mancher Flug damit getätigt, führt zu unverhofftem Sturz.
Flugzeug ist dann sehr beschädigt und der Flug war oft
sehr kurz!
Am Flughafen ist nichts zu erfahren, erst später in den
34
Fernsehnachrichten. Der verunglückte Captain, Urs «Zimi» Zimmermann, war früher einer meiner Copiloten auf DC-9 und hätte
nach seiner Ankunft seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Auch
unter der Kabinenbesatzung stosse ich auf Bekannte, mit denen
ich schon geflogen bin. 229 Tote sind insgesamt zu beklagen, jeder
Einzelne mit seiner besonderen Geschichte. Ganze Familien
wurden ausgelöscht. Oberverschissen!
Auf dem Flug nach Singapore und Jakarta hocke ich mit
gemischten Gefühlen in einer MD-11. In Bali komme ich wieder
auf andere Gedanken. Vorerst montiere ich eine neue elektrische
Ankerwinsch, die ich in den USA bestellt hatte. Dann trifft meine
neue Crew ein, das holländische Paar Marcelle und Marc. Sie
haben sich auf meine Notiz am Anschlagbrett in der Marina
gemeldet. Wir verstehen uns sofort ausgezeichnet und lachen viel
zusammen. Die zwei wollen bis Batam mit mir segeln: eine halbe
Fährenstunde südlich von Singapore. In den indonesischen
Gewässern brauche ich eine Besatzung, denn es sind unglaublich
viele Schiffe unterwegs und nachts oft nicht beleuchtet. Das
erfahren wir später auch: Manchmal zählen wir bis zwanzig
Schiffe in 24 Stunden und müssen rund um die Uhr einen
aufmerksamen Ausguck haben.
Am 14. September verlassen wir Benoa und gehen nach einem
Angewöhnungstörn im geschäftigen und geräuschvollen Fährhafen in der Padang Bay eine Nacht vor Anker. Am Morgen setzen
wir die Segel, um die 450 Meilen entfernte Insel Kalimantan (Borneo) anzulaufen. Es ist sonnig und heiss mit einem südöstlichen
Wind von 10 bis 15 Knoten. In der Nähe der Stadt Kumai befindet
sich ein Orang-Utan-Habitat. Das wollen wir unbedingt besuchen.
Unterwegs machen wir einen Stopp bei der Insel Mamburit in der
Kangean-Gruppe. Dort umringen uns sofort Kanus mit Fischern.
Alle wollen an Bord kommen. Staunend werfen sie einen Blick
durchs Fernglas und möchten Geschenke. Wir geben her, was wir
entbehren können. Als Gegengeschenke bekommen wir einen
frisch gefangenen Fisch und Kokosnüsse. Abends, beim Besuch im
35
Dorf, umzingeln uns unzählige Kinder. «Hey mister, how are
you?» begrüssen sie uns. Die Bucht von Kumai erreichen wir
nachts um 22:00 Uhr. Weil es ungünstig ist, dem Fluss mit nur 4
bis 5 Meter Wasser unter dem Kiel zu folgen, gehen wir in der
riesigen Bucht kurz entschlossen vor Anker. Neben dem Ankerlicht lassen wir auch das Motorenlicht am Mast brennen. Wir
wollen für die Fischer sichtbar
bleiben. Am GPS setze ich
0,1 NM Toleranz im Ankeralarm. Dieser weckt uns zweimal in dieser Nacht. Der Anker hält im Schlick nicht
richtig. Wir stecken mehr
Kette, und ich erhöhe die
Toleranz auf 0,3 NM, dann
haben wir Ruhe. Als wir am
Morgen aufwachen, ist kein
Land zu sehen. Es sind noch
40 Meilen bis Kumai. Gegenüber der Stadt, vor der unzähJien, unser Guide
lige Frachtsegelschiffe liegen,
lassen wir den Anker in den Schlick fallen. Sofort taucht ein junger
Mann auf und bietet sich als Guide für den Tanjung-Nationalpark
an. Er nennt sich Jien und will uns mit seinem Speedboot in einer
Stunde zu den Orang Utans bringen. Das tönt gut.
Das Affentheater beginnt am nächsten Morgen. Mit Passkopien bewaffnet, müssen wir im 15 Kilometer entfernten Pangkalanbun die Besuchsgenehmigung holen. Ein junger Polizist
füllt im Spechtsystem auf einer altersschwachen Schreibmaschine genüsslich die nötigen Formulare aus. Diese Mühe kostet
nicht einmal etwas, doch nimmt der Ordnungshüter gerne ein
Trinkgeld an. In Kumai bemühen wir uns um die zweite
Bewilligung beim Kantor PHPH, der Nationalparkverwaltung.
Am folgenden Morgen holt uns Jien schon früh mit seinem Boot
36
und einem Onkel am Steuer ab. Das kleine Boot zischt, durch
einen 40-PS-Aussenbordmotor geschoben, übers spiegelglatte
Wasser. Wir folgen dem
Fluss zum Camp 2 des
305 000 Hektar umfassenden Schutzgebietes.
Orang Utan bedeutet
übrigens Waldmensch
auf Malaiisch. Diese
Primaten, aus den Händen von Wilderern und
Eintrittsbewilligung für den Nationalpark
illegalen Händlern gerettet,
werden
hier
wieder an das Leben in
der freien Wildbahn
gewöhnt.
Im Camp 2 werden
unsere Papiere geprüft,
dann marschieren wir
durch dampfenden Regenwald zur Fütterungsstelle. Die beiden Ranger stossen eigenartige
Schreie aus: Essenszeit
für die Menschenaffen.
Wir blicken gespannt in
den Wald, nachdem wir
eine kleine Lichtung
erreicht haben. Kaum
Tom nähert sich
sind Bananen und mit
Wasser verdünnte Milch bereit, schwingen sich hoch in den
Bäumen die Tiere zum Futterplatz heran. «Es kommen nur die
Tiere, die auch kommen wollen», erklärt Jien. «Möchten sie
abwechslungsreichere Kost, so müssen sie selbst dafür sorgen.» Es
37
ist das Ziel, die Orang Utan zur Selbständigigkeit vorzubereiten.
Das Schauspiel ist einzigartig. Sieben oder acht Tiere sind gekommen und tun sich an den Bananen und am Milchwasser
gütlich, dann taucht noch eine Mutter auf und geniesst ganz
offensichtlich ihren Auftritt. Ihr Junges krallt sich krampfhaft in
ihren langen, rotbraunen Haaren fest und versucht, auch etwas
von den Bananen zu kriegen. Die grössten Exemplare sind etwa
ein Meter fünfzig gross. Kaum haben sie alles aufgefressen,
verschwinden sie wieder lautlos im Regenwald.
An unserem nächsten Ziel,
im Camp Lecky, finden wir nur
einige kleine Äffchen hoch in
den Baumkronen. Sie hangeln
sich von Ast zu Ast und tollen
herum. Unten am Bootssteg
machen wir uns zum Baden im
sauberen Wasser bereit und essen unseren Lunch. Ohne beLetzte Einkäufe in Kumai
sondere Ankündigung taucht
Tom auf, ein ansehnlicher und zutraulich scheinender Orang
Utan. Plötzlich macht er einen Sprung auf den Steg und schnappt
Jiens Seife. Er hockt in die Nähe nieder, seift seine Arme ein und
steckt sie nach Gebrauch kurzerhand in seinen Mund. Dann
nähert sich bedächtig Princess dem Steg, eine Mutter mit ihrem
Jungen. Auf der unteren Plattform angekommen, schwingt sie
sich ins Wasser und nimmt ein Bad. Wir sind entzückt. Über eine
Stunde unterhalten uns die gutmütigen Tiere mit allerlei Schabernack.
Am nächsten Morgen kaufen wir auf dem farbenfrohen Markt
ein. Trotz Fliegen, die über das Fleisch kriechen, erstehen wir ein
halbes Kilo Rindfleisch und ein gerupftes Huhn, das die Verkäuferin vor unseren Augen ausnimmt und in mundgerechte Teile
zerhackt. Kühlschränke gibt es hier keine. Die Fahrt in der Javasee
und an der Insel Belitung vorbei zur 660 Meilen entfernten Insel
38
Batam ist langweilig. Wetter, Wind und Strömungen sind wechselhaft, die Tiefe beträgt kaum mehr als 30 Meter. Mit meiner
jungen Crew habe ich Glück. Marcelle und Marc sind Segler und
haben schon Boote in Holland oder am Mittelmeer gechartert. Sie
machen eine einjährige Weltreise und lieben es auch förmlich,
wieder einmal zusammen zu kochen.
Am 27. September, einem Sonntag, habe ich Wache von 04:00
bis 07:00 Uhr. Ich backe ein Brot aus Schweizer Mehl. Kaum ist der
Himmel klar geworden, stelle ich einen Riss im oberen Drittel der
Genua fest. Das muss wohl nachts in einer Gewitterböe passiert
sein. Wir werden die Genua austauschen müssen. Kein Hauch weht,
ich starte den Motor, aber es kommt kaum Kühlwasser aus dem
Auspuff. Der Fall ist klar: Der Impeller in der Kühlwasserpumpe, die
Seewasser ansaugt, ist futsch. Von Sonntagsruhe also keine Spur. Ich
mache mich daran, den defekten Teil zu wechseln. Trotz der in
Neuseeland hinter der Türe der Steuerbordkoje angebrachten
Serviceöffnung erfordert es Geschick und einige Verrenkungen, um
an das Pumpengehäuse heranzukommen. Nach einer Stunde ist es
geschafft. Fröhlich sprudelt wieder Wasser aus dem Rohr. Zusammen mit Marc setze ich
dann die Ersatzgenua.
Um doch noch etwas
Sonntagsstimmung aufkommen zu lassen, machen wir einen Badehalt
und tummeln uns im
lauwarmen Meer. Marc
stellt durch die Taucherbrille fest, dass in der
Nähe des Kiels ein ansehnlicher Black Kingfish seine Position hält,
auch wenn wir uns ihm
nähern.
Heiratsantrag auf dem Äquator
39
Am 28. September um 16:25 Uhr zeigt unser GPS einen
Breitengrad von 00° 00.000. Wir passieren den Äquator von Süd
nach Nord, ein guter Grund zum Feiern. Wir springen ins Meer,
worauf ich einen rührenden Akt erlebe. Über dem Äquator
schwimmend, fragt Marc seine Marcelle: «Willst du meine Frau
werden?» Sie umarmen sich und gehen beinahe unter. «Natürlich
werde ich dich heiraten!» entgegnet die Liebste nach viel
Gespritze. In Ermangelung von Champagner trinken wir Tequila,
so, wie es sich gehört: mit Zitrone den Handrücken befeuchten,
Salz drauf streuen, abschlecken und mit Tequila spülen. Wir
wiederholen das, bis unsere Köpfe voll und die Flasche leer ist. Ich
werde zum Kochen verknurrt, taumle in der ganzen Galley herum
und brauche entsetzlich lange, bis mein Pilzrisotto fertig ist.
Sozusagen als Verlobungsgeschenk übernehme ich die Hundewache. Radio Schweiz International meldet, dass Gerhard
Schröder die Wahl zum Bundeskanzler in Deutschland gewonnen
hat.
Das Timing ist perfekt. Im Morgengrauen des sechsten Tages
erreichen wir den Schifffahrtsweg östlich der Insel Batam.
Singapore ist im Morgendunst schwach auszumachen. Noch sind
es 35 Meilen bis zur Teekay Marina, die in einer Bucht bei der
Waterfront City liegt. Gegen Abend erreichen wir den Steg.
Manager Jim weist uns einen Platz im schwach besetzten Hafen
zu. Weshalb diese Flaute? «Folgen der Krise in Indonesien», erklärt
Jim trocken. «Sogar die Singapori, denen es noch gut geht, sind
sparsam geworden.» Er präsentiert uns stolz seinen drei Wochen
alten Sohn Jason. Mit nicht geringerem Stolz stellt seine junge
indonesische Frau Alia fest, dass er mit 4,5 Kilo das schwerste
Neugeborene im Spital gewesen sei. Für den bald 64jährigen Jim
ist es das sechste Kind und Alia seine dritte Frau. Na ja, sie machen
einen glücklichen Eindruck.
«Nirgendwo auf der Welt sind Seeräuber so gefährlich wie in
den Gewässern zwischen den Philippinen, Indonesien und
Thailand. 20 von 34 Piratenangriffen, die in den ersten drei
40
Monaten dieses Jahres (1996) weltweit gemeldet wurden, ereigneten sich in Südostasien. Aus den Philippinen wurden zwischen
Januar und März allein zehn Attacken gemeldet, acht aus Indonesien. Als besonders gefährlich gelten alle indonesischen Häfen,
das Gebiet um Manila, sowie die Bucht von Bangkok.» Diese nicht
gerade beruhigende Nachricht las meine Mutter in den Schaffhauser Nachrichten. «Otti, pass uf!» ermahnte sie mich besorgt.
Wie recht sie hat. Ich spreche Alia auf das Seeräuberproblem in
Indonesien an. Sie gibt mir gute Ratschläge: «Mister Otto, wenn
sie kommen, dann müssen Sie freundlich bleiben. Sie haben
41
höchstens Messer und keine Pistolen. Sie wollen vielleicht etwas
Geld oder Bier und gehen dann wieder!»
Zum Glück haben wir Batam ohne Probleme erreicht. Die
Teekay Marina liegt eine halbe Fährenstunde von Singapore
entfernt, und das Pier ist in nur zehn Minuten zu Fuss erreichbar.
Die Waterfront City ist ein zu Zeiten der Hochkonjunktur
erstellter Komplex mit Hotel, Klubhaus, Wasserskilift, Bungy-jumping, Affenshow, Restaurants und als Höhepunkt Indoorskifahren
auf echtem Schnee, nebst einem Winter-Themenpark. Ich reibe
mir die Augen. Auch am Wochenende sind kaum Touristen
anzutreffen, obwohl hier alles viel billiger ist als in Singapore.
Nagoya, das seinen Namen während der japanischen Besetzung
im Zweiten Weltkrieg erhalten und beibehalten hat, ist die grösste
Stadt Batams. Hier läuft einiges. Schon zur Mittagszeit quellen die
Restaurants und Fressbuden fast über. Nagoya scheint auch das
Sündenbabel Singapores zu sein. In den Massagesalons ist schon
morgens lebhafter Betrieb. Es geht locker zu und her. Die Frauen
wirken viel natürlicher als etwa in Thailand und sind kaum
geschminkt. Im «Queens» sind über 100 Mädchen eingeschrieben. Das Lokal ist rund um die Uhr geöffnet. Die Frauen können
auch monatsweise «geleast» werden. Verrückt, und das in einem
modernen Muslimstaat! Die jungen Frauen tun mir Leid, aber sie
müssen überleben und dort ein Geschäft machen, wo eines zu
machen ist. Ein Singapore-Chinese verrät mir lächelnd, er
verbringe jedes Wochenende im Hotel Nagoya Plasa und besorge
sich hier eine Frau für die Nacht.
In Singapore besuche ich Vreni und Franz Jeker. Franz, ein
begeisterter Pilot, fliegt nach seiner Zwangspensionierung bei der
Swissair im Alter von 55 Jahren jetzt bei Singapore Airline als
Airbus-Captain. «Wir arbeiten sehr streng», erklärt er. «Das hat
auch damit zu tun, dass der Changi Airport keine Nachtflugsperre
kennt, was es ermöglicht, nahtlose Einsätze zu planen.» Die Jekers
laden mich zum Nachtessen in den luxuriösen Schweizerklub ein:
zu einem bayrischen Oktoberfestabend mit Weisswürstel, Sauer-
42
kraut und Weissbier. Mich hält es kaum 24 Stunden in Singapore.
Ich kenne diese Stadt, auch ihre rigiden Gesetze. So ist der Verkauf
von Kaugummi verboten. Das Überqueren der Strasse neben dem
Fussgängerstreifen kann 50 Singapore-Dollar oder etwa 40 Franken kosten. Wer Abfall wegwirft, riskiert eine Busse von bis zu 500
Dollar. Die Hotels sind sehr teuer, ansonsten ist Singapore – davon
zeugen die riesigen Shopping Malls – noch immer ein Einkaufsparadies. Die Stadt hat auch einen der schönsten Zoos Südostasiens, gleich neben einem üppigen botanischen Garten. Nach
dem Einkaufen einiger lang entbehrter Nahrungsmittel wie Käse,
Wurst und frischem Fleisch besteige ich die Schnellfähre zurück
nach Batam, wo ich mich viel wohler fühle. Am nächsten Morgen
verabschieden sich Marcelle und Marc. Vreni und Franz Jeker sind
an der «Hasta Mañana» interessiert und bringen bei einem Besuch
überraschend Röbi Möhl mit, auch er ein ehemaliger SwissairPilot, der hier Jumbos des Typs Boeing 747-400 fliegt. Insgesamt
arbeiten fünf ehemalige Kollegen bei Singapore Airlines. Wir
verleben einen kurzweiligen Nachmittag und beschliessen den
Tag mit einem Nachtessen im nahen Hotel.
Mein Cruising Permit für Indonesien läuft in zwei Wochen ab.
So bleibt mir nichts anderes, als mich an die Vorbereitungen für
die Weiterreise entlang der schönen Westküste Malaysias zu
machen. Obwohl die politische Lage in Indonesien alles andere
als stabil ist und trotz der erdrückenden Wirtschaftsprobleme hat
mich die Freundlichkeit der indonesischen Einwohner äusserst
beeindruckt. Was erwartet mich in Malaysia? Es steht gerade in
den Schlagzeilen. Der Premier, Dr. Mahathir Mohamad, hat seinen
Stellvertreter, Anwar Ibrahim, entlassen und kurzerhand wegen
Korruption und unnatürlichem Sex ins Gefängnis gesteckt.
Wo ich gegen Ende Jahr vor Anker gehen werde, ist mir noch
nicht ganz klar. Es ist auch diese Ungewissheit oder Freiheit, die
ich an meinem Seglerleben liebe. Gerade jetzt beginnt die
Segelsaison in Phuket. Bis dort sind es nur noch 600 nautische
Meilen.
43
«Hier ist Otti in seinem Element: in seinem mobilen Heim, das ihm
jederzeit erlaubt, die Anker zu lichten, wenn ihm darnach ist. Otti, der
Weltbürger, der inzwischen überall zu Hause ist, aber trotzdem alles
weiss, was in der Schweiz passiert. Dem es auch nicht gleichgültig ist,
was in seiner Familie und in seinem Freundeskreis vor sich geht. Ein
erdverhafteter Seefahrer, ein seefahrender Zigeuner!»
44
Von Seer ubern verschont
Batam
Malakka
Pangkor
Penang
Langkawi
Phuket
Oktober 1998. Jim ist gestresst. Letzte Nacht löste sich
seine Marina während eines «Sumatra» genannten
lokalen Sturms mit bis zu 60 Knoten(!) Windstärke
teilweise in ihre Bestandteile auf. Ein Ponton machte sich selbständig, und die bewegliche Treppe, die an Land führte, wurde
mitsamt der Strom- und Wasserzufuhr losgerissen. Zum Glück lag
ich mit meinem Boot am Hauptponton, der unversehrt blieb! Seit
zwei Tagen weiss ich, dass ich nach Thailand segeln werde. Andy,
der Manager der Marina des «Yacht Haven Phuket» hat mir einen
freundlichen Fax gesandt, mich willkommen geheissen und mir
einen 12-Meter-Platz reserviert.
Als ich gegen Abend ablege,
habe ich zwar keine Crew mehr,
jedoch einen ungebetenen blinden Passagier an Bord: eine
Ratte! Eine Banane zeigt die
Fressspuren meines Eindringlings. Hoffentlich frisst er die
Elektroverkabelung nicht an.
Ich will den Störenfried mit
einer in Nagoya gekauften Falle
erwischen und «lade» sie mit
Ob ich die Ratte erwische?
einem Käseköder. Vorerst gehe
ich bei der schwimmenden Tankstelle vor Sekupang Diesel
kaufen. Die zehn Männer dort lieben mein Bier und das Trinkgeld
für ihre Bemühungen. Der Treibstoff ist hier unglaublich günstig.
Ich bezahle nur 700 Rupien oder zehn Schweizerrappen pro Liter.
9.
45
In meinem Tank verschwinden 247 Liter. Die Nacht verbringe ich
in der Nähe vor Anker. Ob die Ratte wohl meinen Käse liebt? Um
05:30 Uhr rattert der Wecker. Gespannt stehe ich auf. Tatsächlich:
Eine voll ausgewachsene Ratte saust in der Falle nervös hin und
her! Nach einem Fototermin setze ich sie aus. Mit emporgerecktem Kopf schwimmt sie instinktiv in Richtung Land davon.
In der Strasse von Malakka bin ich laufend gezwungen,
Schiffen auszuweichen. Für mich erstaunlich ist, dass lokale Fischer
in ihren kleinen Booten sogar mitten im Schifffahrtskanal ihr
Glück versuchen. Ihnen scheinen die Ungetüme nichts
auszumachen. Mit einem Rückenstrom von 1 bis 2 Knoten komme
ich gut voran, obwohl kaum ein Lüftchen weht. Es ist sonnig, und
die Hochhäuser Singapores glänzen im Morgenlicht. Seit längerem
bin ich wieder einmal als Einhandsegler unterwegs und geniesse es,
nur für mich alleine sorgen zu müssen. Hinter der Insel Pisang auf
der malaysischen Seite finde ich gegen Abend einen geschützten
Ankerplatz. In der Nähe liegende Fischer winken herüber. Das
scheinen keine Piraten zu sein! Das Knattern eines Fischerbootes
weckt mich am nächsten Morgen früh um 03:00 Uhr. Auch gut,
denn heute möchte ich das 65 Meilen entfernte Inselchen Besar erreichen. Backbord ist die lange Lichterkette von zehn Frachtern zu
erkennen. Einmal mehr ist mein Radar eine wichtige Hilfe. Schon
am Nachmittag gehe ich in der Nähe des Resort-Anlegers in Besar
vor Anker. Vor dem Einschlafen lade ich meine Falle nochmals, es
könnte ja noch eine zweite Ratte bei mir wohnen. Tatsächlich –
zum Verrücktwerden! – fange ich einen weiteren blinden Passagier.
In Besar treffe ich Susi und Gianni mit ihrer «Isola». Ich hatte dieses Paar aus dem Puschlav im vergangenen Frühling in Cairns
kennen gelernt. Wir erledigen das Einklarieren in Malakka zusammen. Zwei Schweizer Schiffe und drei Schweizer Pässe sind etwas
viel für die Beamten. Es geht aber viel lockerer zu als in Indonesien,
denn alle sprechen auch englisch.
Malakka Stadt entpuppt sich als wirklich sehenswert. In der
Altstadt sind Zeugen der portugiesischen und holländischen
46
Kolonialzeit zu bestaunen: Stadthuys und Christ Church, nebst
mehreren Museen. Frauen mit Tschador flanieren auf den
Strassen. Hier gibt es wieder dreirädrige Fahrradrikschas. Den
Nachmittag verbringe ich in den Parks und frage dort – wohl
vom Teufel geritten – auch eine schön gekleidete Frau mit
Tschador, ob ich sie ablichten dürfe. Zu
meinem grossen Erstaunen sagt sie
lächelnd zu und ist sichtlich stolz, dass
ich sie im Bild festhalten will. Ich
verspreche, ihr das Foto zu senden,
worauf sie mir ohne zu zögern ihre
Adresse aufschreibt. Darauf setzen wir
uns noch ein Weilchen auf eine Bank.
Offensichtlich sind hier die muslimischen Bräuche nicht so streng wie
anderswo. In einem arabischen Land
hätte ich nach einer solchen Annäherung wohl um mein Leben bangen
müssen!
Port Klang, Kuala Lumpurs dreckigen Hafen, lasse ich an Steuerbord liegen, obwohl der Selangor Yacht Club als
gastfreundlich gilt. Ich verspüre auch
keine Lust, die Hauptstadt Malaysias zu
besuchen. Dort stehen die Petronas
Sie lässt sich gerne im Bild
Twin Towers, die höchsten Gebäude der
festhalten
Welt. Sie sind sieben Meter höher als
das Sears-Gebäude in Chicago. Premier
Mahatir Mohamad setzt alles daran, aus dem einstigen Agrarland
einen Industriestaat zu bauen. Um Port Klang zu «umschiffen»,
werde ich eine Nacht durchsegeln müssen. Des starken Schiffsverkehrs wegen halte ich mich nördlich der «One fathom bank». Hier
treffe ich jedoch auf unzählige schlecht beleuchtete Fischerboote.
Während der ganzen Nacht halte ich Ausguck und weiche mehre-
47
ren Schiffen aus. Gegen Morgen verdunkelt sich der Himmel, und
die Windstärke nimmt zu. Ich muss nicht reffen, denn schon
während der Nacht hatte ich die Segel bei zehn Knoten Wind genau auf die Nase geborgen. Plötzlich verstärkt sich der Wind auf
50 Knoten: schwerer Sturm! Ich werde ordentlich durchgeschüttelt. Es beginnt stark zu schütten, und grelle Blitze erhellen die
Nacht, gefolgt von ohrenbetäubenden Donnerschlägen. Das muss
das «Sumatra» genannte Phänomen sein! Diese in Sumatra entstehenden Unwetter driften ostwärts über die Malakkastrasse und
dauern in der Regel nur etwa eine Stunde. Ein Grund zur Sorge?
Mir ist es schon etwas unheimlich zumute. Immerhin kann ich,
nachdem ich die Regenechos auf dem Radar unterdrückt habe,
wenigstens die mich passierenden Schiffe ausmachen. Eins ist mir
einmal mehr klar: Ohne Radarausrüstung würde ich mich nie aufs
Meer wagen! Nach etwa eineinhalb Stunden ist der Spuk vorbei.
Ich atme auf. Kaum lässt der Stress nach, macht sich bei mir bleierne Müdigkeit bemerkbar. Der neue Tag bricht an, und nachdem
ich die engste Stelle der Strasse von Malakka hinter mir gelassen
habe, starte ich den Motor und schalte den Autopiloten ein. Den
Radar programmiere ich auf «Watchmode». Es freut mich jedes
Mal, wenn das auf dem grünlich leuchtenden Schirm angezeigt
wird. Dann lege ich mich schlafen. Am Nachmittag finde ich einen romantischen Ankerplatz bei der Insel Rumbia auf Position N
01° 01,7’/E 100° 33,2’.
Als ich um 03:00 Uhr aufstehe, weiss ich noch nicht, dass ich
einen Frusttag vor mir habe. Ich möchte heute die Insel Penang
erreichen, die etwa 75 Meilen entfernt liegt. Deshalb bin ich so
früh unterwegs. Schon bald stecke ich motorsegelnderweise
mitten in der Schifffahrtslinie, die quer zu meinem Kurs zum
Hafen Lumut verläuft. Trotz Radar erfordert es meine ganze
Aufmerksamkeit, um den dunklen und bedrohlich wirkenden
Booten auszuweichen. Dann erwischt es mich. Ratsch! Mit einem
ekelhaften Geräusch bricht die Drehzahl meines Motors
zusammen. Ich weiss sofort, dass ich mit dem Propeller Treibgut
48
erwischt haben muss, stelle den Motor ab und rolle die Genua aus.
Die Nerven werden arg strapaziert, bis die Schifffahrtslinie passiert
ist und es endlich Tag wird. Mit 15 Knoten Wind mache ich
immerhin 5 Knoten Fahrt – vielleicht schaffe ich es doch noch bis
Penang. Nach dem Frühstück bin ich erst einmal müde und lege
mich schlafen. Dann durchquere ich mit meinem Boot eine
Menge Treibgut mit Bambusstangen und Plastikabfällen. He, was
schwimmt da vor mir! Auf den Wellen tanzen drei zusammengebundene Fender. Ich versuche auszuweichen. Zu spät. Kaum zu
glauben, ich hänge an einer Leine, die zu einem Treibnetz gehört.
Meine Geschwindigkeit reduziert sich auf Null. Ich berge die
Segel. Was nun? Schliesslich mache ich mich daran, die Lage unter
Wasser zu beurteilen. Ein Stück Plastik und die Leine sind um den
Propeller gewickelt. Ein Tauchversuch, um den Schlamassel
abzulösen, schlägt fehl. Ich riskiere, von meinem wild in der
Dünung stampfenden Boot einen Schlag auf den Kopf zu bekommen. Mit einem Messer kappe ich kurzerhand die bläulich im
Wasser schimmernde Leine. Endlich bin ich wieder frei. Zum
Glück sind keine Fischer in der Nähe! Ich setze die Segel, und es
geht weiter, aber nicht Richtung Penang, sondern zurück zur Insel
Pangkor, die etwas über 20 Meilen entfernt ist. Erst gegen 20 Uhr,
es ist schon eine Stunde dunkel, erreiche ich die Belangabucht
und gehe vor Anker. Das Frühaufstehen und die ganze Übung
waren für die Katze. Ich hätte diesen Ankerplatz in etwa zwei
Stunden erreichen können, stattdessen war ich geschlagene 17
Stunden unterwegs. Was soll’s, es geht nicht immer so, wie man
will. Malaysia scheint mir kein Glück zu bringen.
Dieses Land besteht aus West- und Ostmalaysia im nördlichen
Teil der gewaltigen Insel Kalimantan mit den Provinzen Sarawak
und Sabah. Malaysia teilt die auch als Borneo bekannte Insel mit
Indonesien und dem Sultanat Brunei. Von den 20 Millionen
Malaysiern leben 14 im westlichen Teil auf der malaiischen
Halbinsel. Neben den Malaien bilden die Chinesen und Inder die
grössten Bevölkerungsgruppen. In diesem überwiegend muslimi-
73
schen Land gehört zur Schuluniform der Mädchen auch der
Tschador, der sogar beim Sport getragen wird.
Am nächsten Morgen montiere ich nach dem Ausschlafen
meine Taucherausrüstung. Ich habe zwar keinen Kompressor, aber
immer eine gefüllte Flasche bei mir, um eben für solche Notfälle
gewappnet zu sein. Mit einem Messer bewaffnet gehe ich auf
Tauchstation. Geduldiges Schnipseln und Zerren befreien den
Propeller vom eingefangenen Unrat. Ohne Taucherausrüstung
wäre ich aufgeschmissen gewesen. Ich habe sie erst vor einem
halben Jahr in Cairns gekauft. Den Rest des Tages geniesse ich im
nahen Resort und fühle mich wie ein Badetourist. Dort treffe ich
auch Peter Köppels Familie mit Sylvia, Tochter Nil und Sohn Lee.
Am Morgen segelte der Rheintaler mit einem Katamaran an mir
vorbei und rief: «Hallo, bist du Schweizer?» Wir haben ein
angeregtes Gespräch und trinken ein paar Bier zusammen.
Auf der Weiterfahrt darf meine Konzentration weiterhin nicht
nachlassen. Während der ganzen Nacht passieren unglaublich
viele Fischerboote, doch die grossen Frachter lassen mich links
liegen. Ich segle ziemlich unter Land auf zehn Metern Wassertiefe.
Es wird eine lange Nacht. Kurz vor Tagesanbruch bricht erneut ein
Gewitter herein, und die Regenschauer wollen nicht mehr
aufhören. Die Brücke, welche die Insel Penang mit dem Festland
verbindet, ist 22 Meter hoch und kann problemlos unterfahren
werden. An und für sich wäre dafür eine schriftliche Bewilligung
nötig, aber es ist besser, erst gar nicht zu fragen. Kurz nach der
Brücke erwische ich wieder ein Treibnetz, das komischerweise
mitten im Fahrwasser liegt. Zwei Fischer kommen mit ihrem Boot
heran. Erneut muss ich tauchen, diesmal mit Schnorchel und Flossen, um meinen Propeller wieder frei zu bekommen. Ich spende
den beiden Fischern ein Bier, worauf sie lachend von dannen sausen. Kaum eine Viertelstunde später hänge ich in der zwei Knoten
starken Strömung vor Georgetown am Anker und genehmige mir
ein Bier, bevor ich etwas Schlaf nachhole. Acht Yachten sind hier,
und unglaublich viel Unrat treibt vorbei. Das Wassertaxi funktio-
74
niert bestens. Kaum habe ich mich mit dem Schiffshorn bemerkbar gemacht, legt ein Sampan an meinem Boot an und bringt
mich an Land und später zurück. Georgetown gefällt mir sofort.
So muss Singapore vor einem halben Jahrhundert ausgesehen haben. In Chinatown sieht man gut, wie die Chinesen leben. Vorne
im Haus liegt das Geschäft, ein Laden, eine Werkstatt oder was
auch immer. Dahinter fügt sich der Wohnbereich an. Es hat keine
Vorhänge, so sieht man in die gute Stube. Nebst dem Fernseher
fehlt auch nirgends der kleine Schrein, auf dem Tag und Nacht
Räucherstäbchen glühen und einen süsslichen Duft verbreiten. In
Georgetown herrscht ein quirliges multikulturelles Nebeneinander. Verschleierte Frauen neben leicht bekleideten Touristen: Alle
profitieren von den günstigen Einkaufsmöglichkeiten im Komptar-Shopping-Center. Fünfmal am Tag rufen die Muezzine aus den
Moscheen zum Gebet. Daneben buddhistische Tempel und reich
verzierte Gebetshäuser der Hindus. Hier scheint alles friedlich nebeneinander koexistieren zu können.
Am 23. Oktober bekomme ich Besuch. Bernie Elsener, Mitglied der
Starbootflotte Bodensee,
legt per Sampan an. Er ist
eine letzte Woche hier,
bevor er für seine deutsche Firma Schottglas von
Penang nach Belgien
zieht. Noch 1989 segelte
er an der Vorschot von
Mit Bernie beim Tiger-Bier
Cyrill Dvorak an der StarWeltmeisterschaft
in
Porto Cervo auf der Insel Sardinien. Cyrill schrie ihn an: «Du
hast das Backstag falsch bedient, sonst wäre der Mast nicht von
oben gekommen!» Wir halten uns die Bäuche vor Lachen, als wir
an die verflossenen Zeiten zurückdenken. Bernie entgegnete da-
75
mals: «Ja, aber deine Backstagklemmen waren schlecht, das wusstest du!» Es ist nicht ganz einfach, Cyrills Crew zu sein, er ist jedoch ein guter Steuermann und ausgezeichneter Regattasegler.
Neuerdings fliegt er in seiner Freizeit einen von der Flugwaffe
ausgemusterten Vampire. Nach einigen Tagen unbeschwerten
Flanierens und nach dem Aufstocken der Bordvorräte mache ich
mich auf, um das 55 Meilen entfernte Langkawi, die Insel der
Adler, zu erreichen. Die Langkawi-Gruppe umfasst über hundert
Inseln und liegt knapp südlich der thailändischen Grenze. Ich steure die Insel Rebak an, auf der die gleichnamige Marina etwas
versteckt liegt. Peter Kägi aus Turbenthal nimmt meine Leinen in
Empfang. Obwohl ich grundsätzlich nie mit Seglern einen Treff-
Phuket: Eine Rechnung über 300 Baht
76
punkt ausmache, begegnen wir uns nun schon sage und schreibe
zum neunten Mal, seit wir uns in Las Palmas vor dem ARC 94
zum ersten Mal trafen. Peter ist etwas über dreissig und segelt
mit seiner aus Südafrika stammenden Partnerin Jenny an Bord
der «Blue Shadow». Der Eigner, Christian, ist auch an Bord. Sie
kamen vor einer Woche – nach einem Stopp in Cocoskeeling –
direkt von der westaustralischen Küste an und sind hier daran,
ihr Boot umzubauen und wohnlicher zu gestalten. Unser Begrüssungstrunk artet in eine Sauferei aus. Peter fragt mich, ob er
mit mir nach Phuket in Thailand segeln dürfe. Er wolle vor Ort
die Möglichkeiten für ein Auswassern der «Blue Shadow» abklären. Das freut mich, denn mit ihm als Begleiter kann ich die
restlichen 120 Meilen in 24 Stunden abspulen. Peters «Paros»,
eine 31-Fuss-Wibo II, mit der er von Europa bis nach Australien
segelte, steht in Brisbane zum Verkauf. Was doch die Liebe alles
bewirken kann! Peter vertraut mir auch an, dass seine Partnerin
schwanger sei.
Am 27. Oktober 1998 verlassen wir den Hafen um zwei Uhr
nachmittags. Ich bin froh, dass ich abhauen kann. Letzten Abend
brachte ich es fertig, meine Geldbörse zu verlieren. Viel blöder als
der Geldverlust ist, dass auch meine Kreditkarte weg ist. Vorsichtshalber lasse ich die Karte bei der Credit Suisse sofort sperren.
Ich rufe die Help-Nummer an. Eine Dame versichert mir, dass mir
eine Ersatzkarte nach Phuket geschickt werde. Zum Glück habe
ich noch genügend Geld an Bord. Die Reise wird zu einem
Vergnügen. Als wir noch einen Mahi Mahi an der Angel haben, ist
unser Glück vollkommen. Peter produziert damit ein exzellentes
Fischgericht. Vor Ao Chalong, im Süden Phukets, schnappen wir
uns eine Boje und machen uns zum Einklarieren bereit. Ich bin
froh Phuket, erreicht zu haben. Die drei Beamten sitzen in einem
Büro beim «Lighthouse»-Restaurant an einem langen Tisch. Sie
sind sehr freundlich. Wieder einmal sind etliche Formulare
auszufüllen. Von der seit 1998 erhobenen «Eintrittsgebühr» von
120 US-Dollars, um die Gewässer um Phuket befahren zu können,
77
ist nach lautstarken Protesten der Seglergilde nicht mehr die Rede.
Ganze 610 Baht muss ich berappen, das sind etwas über zwanzig
Franken. Als Skipper bekomme ich nur ein Einmonatsvisum.
Mein Boot darf jedoch maximal sechs Monate in Thailand
bleiben. Falls ich das Land verlassen will, wird ein «Bond» fällig:
eine Sicherheit von 20 000 Baht. Das heisst, fünfhundert Dollar
sind bei einer Bank zu hinterlegen. Damit wollen die Thai sicherstellen, dass ich wieder komme und mein Boot ausser Land bringe.
Kaum habe ich diese aufwändige Prozedur erledigt, werde ich zum
gewöhnlichen Touristen und kann das Land verlassen. Komme
ich wieder, kriege ich erneut nur einen Monat Aufenthaltsbewilligung, es sei denn, ich beantrage in der Schweiz bei der thailändischen Botschaft ein Dreimonatsvisum. Als Pensionär kann ich
sogar ein Jahresvisum beantragen. Mir ist unklar, warum es die
Behörden den Touristen so schwer machen, in ihrem Land Geld
auszugeben.
Phuket ist ein ideales Segelrevier und in den letzten Jahren
durch die Firma «Sunsail» auch für Chartersegler erschlossen
worden. Der alljährlich anfangs Dezember stattfindende «KingsCup», gefördert von Thailands König, tat ein übriges dazu, die
Gewässer um die Insel als Segelrevier bekannt zu machen. Etwas
nördlich der Stadt Phuket kann ein Boot über den Slip einer
Fischerbootswerft ausgewassert werden. In der «Boatslagoon» ist
es teurer, aber man wird mit einem modernen Travellift bedient
und hat die Vorteile einer voll ausgebauten Marina. Mit der «Hasta
Mañana» segeln wir nordwärts zum «The Yacht Haven». Dort
habe ich eine «Berth» für 150 Dollar pro Monat reserviert. Andy,
der australische Manager, ist sehr zuvorkommend. Das muss er
auch, denn die Marina ist nur halb voll. Die Firma, die neben der
Marina ein Wassersportzentrum mit Häusern und Wohnungen
anbieten wollte, ging schon vor einiger Zeit Konkurs. Andy haust
mit zwei hilfsbereiten Sekretärinnen in einem kleinen Bürocontainer. An Land hat es in der Nähe ein Yachtclub-Restaurant.
Die Strasse hinunter zum Hafen rutschte ab. Der übrig gebliebene
78
Rest reicht nur noch, um mit einem Motorrad durchzukommen.
Hier liegt man eine Autofahrstunde nördlich der Stadt Phuket,
jedoch nur zehn Minuten vom internationalen Flughafen
entfernt. Peter fährt mit dem Bus nach Satun und kehrt von dort
mit der Fähre nach Langkawi zurück.
Ich bin überglücklich, hier in Thailand zu sein, im Land des
Lächelns. Ich liebe auch die sanften, hübschen und mandeläugigen Frauen. Vor etwas mehr als einem halben Jahr bin ich
schon einmal auf dem Hang oberhalb der neuen Marina «The
Yacht Haven» gestanden. Damals fasste ich den Entschluss, hier
mein Boot, das damals noch in Mooloolaba an der Ostküste
Australiens lag, später einmal anzubinden. Ich fühlte mich
ziemlich mies. Ich verbrachte zusammen mit meiner über
achtzigjährigen Mutter zwei Wochen Badeferien im Katathani
Beach Hotel. In der zweiten Woche machte sie wegen starker
Magenschmerzen schlapp. Für den Hoteldoktor war der Fall klar.
«Let’s bring her to the hospital!» erklärte er. Ihren Rückflug
verschob ich um eine Woche, und wir zogen zusammen im Spital
ein. Dort stellten die Ärzte eine linksseitige Lungenentzündung
fest. Ich schlief im Zimmer meiner Mutter und konnte sie
betreuen. Dazu wurde sie von unglaublich netten Krankenschwestern umsorgt. Mehr tot als lebendig hängte sie am Tropf und
wurde künstlich ernährt. In Momenten der Präsenz rief sie immer
wieder: «Ich will sterben!» Ihr Lebensmut war dahin. Trotzdem
erholte sie sich so weit, dass sie in die Schweiz fliegen konnte. Im
Rollstuhl schob ich sie zur Passkontrolle und fand eine Schweizerin, die sich während des zwölfstündigen Fluges um sie kümmern
konnte. In Kloten wurde sie von meiner Schwester Dor abgeholt
und sofort ins Kantonsspital Schaffhausen gebracht. Sie erholte
sich nur langsam. Nach einem beruhigenden Telefongespräch mit
meiner Schwester flog ich zu meinem Boot nach Australien
zurück. Seither liegen jetzt weitere 10 000 Segelkilometer mit
einer Unmenge neuer Erfahrungen, unzähligen Ankermanövern,
mehr als 120 «abgesegelten» Karten und die Erinnerung an viele
79
freundliche Menschen in Australien, Indonesien und Malaysia
hinter mir.
«Otti ist ein ein bedachter und vorsichtiger Segler, der nie Rekorde
aufstellen will. Einfach segelnd unterwegs zu sein in einem
schwimmenden Heim: Das ist sein Leben und auch seine Philosophie.
Bleiben, wo er will und solange er den Wunsch dazu verspürt. Abreisen,
wenn die Zeit dafür gekommen ist.»
80
Im Land des L chelns
Koh Phuket
Rock Nock
Koh Phing Khan
Railay
Beach
Koh Phi Phi Don
Bulan Le
Tarutao Langkawi
ir lacht das Herz im Leibe, wenn ich daran denke, dass ich
die nächsten neun Monate in dieser Gegend verbringen
darf. Ich fühle mich hier pudelwohl. Thailand hat etwa die
Grösse Frankreichs und um 55 Millionen Einwohner. Etwa 95 Prozent sind Buddhisten. Auf Schritt und Tritt stösst man auf kunstvoll verzierte Tempel, bei denen schon beim Eingang brennende
Räucherstäbchen den unverkennbar würzigen Duft verströmen.
So gehören auch orange gekleidete Mönche, die mit ihren Schälchen um Lebensmittel bitten, zum Strassenbild. Jeder Thai sollte
mindestens einige Zeit als Mönch leben, um sich mit den geistigen Fragen zu beschäftigen und sich in Bescheidenheit zu üben.
So will es die Tradition. Diese «Schule des einfachen Lebens» täte
auch den meisten Schweizern gut.
Die Thai sind sehr höfliche Menschen und begegnen einander
mit dem von grossem gegenseitigem Respekt geprägten «Wai»Gruss: Sie halten die Hände vor dem Gesicht zusammen und
lächeln mit nach vorne geneigtem Kopf. Grosses Ansehen geniesst
König Bhumibol Adulyadei. Wenn er irgendwo mit einem Wagen
auftaucht, ist selbst der infernalische Verkehr Bangkoks innert
Minuten erstorben und wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen sind die Strassen von Menschentrauben in ehrfürchtiger
Verbeugung gesäumt. Das thailändische Leben wird von drei
Grundsätzen bestimmt:
1. Sanuk: Dieser Ausdruck heisst Freude. Alles, auch die Arbeit,
soll Spass machen. Dass dem auch so ist, spürt man überall im
Alltag. Diese Freude drückt sich auch in einer grossen Toleranz
aus. Leben und leben lassen, heisst die Devise, weshalb die Thai
M
81
auch einen unverkrampften Umgang mit Randgruppen wie
Transvestiten, Homosexuellen oder nicht ganz braven Mädchen
haben.
2. Naa (Gesicht): Die Thai – wie übrigens ein Grossteil der
Ostasiaten – legen im Umgang miteinander grosse Sorgfalt darauf,
das eigene Gesicht zu wahren und das des Mitmenschen nicht zu
«nehmen», also zu verletzen. Zum höchsten anzustrebenden Wert
im Zusammenleben mit anderen Menschen zählt die Harmonie.
So werden direkte Konfrontationen um jeden Preis vermieden.
Forsches Auftreten oder gar Wutausbrüche, wie wir das in unserer
Kultur gewöhnt sind, sind in Asien in höchstem Masse unhöflich
und in jedem Fall kontraproduktiv.
3. Phun yai – phun nawi (grosse Person, kleine Person): Die
soziale Hierarchie, bestimmt durch Alter, Vermögen, Status,
persönliche oder politische Macht, spielt im Zusammenleben eine
grosse Rolle und wird auch im Alltag streng beachtet. Das äussert
sich zum Beispiel darin, dass ältere Menschen grosse Achtung
geniessen.
Thailand ist also ein Land für Menschen mit Feingefühl. Für
westliche Ausländer, vor allem die, welche hier leben und
arbeiten, ist es natürlich nicht immer einfach, sich in diesem
komplizierten Sozial- und Wertgefüge zurecht zu finden und keine
Fauxpas zu begehen. Das bestätigt mir auch Bruno Frey, der aus
dem Berner Mittelland stammt und in Patong eine Bar und in
Ao Chalong ein kleines Restaurant betreibt und seinen Gästen
Tauchfahrten oder Ausflüge mit seinem Speedboot anbietet. Auch
nach Jahren in diesem Land ist es für ihn oft schwer, die Praktiken
der einheimischen Geschäftsleute zu durchschauen oder gar zu
verstehen. Die thailändische Sprache empfinde ich als melodisch
und höre sie gerne, obwohl es Mühe bereitet, auch nur ein paar
Vokabeln zu lernen, geschweige etwas schreiben. Hier ein paar
Worte aus meinem Vokabular: Sawat dee (hello) – Sabai dee mai
(Wie geht es?) – Sabai dee (Es geht mir gut) – nit noi (klein) – farang
(Fremder) – Py nai (Wohin gehst du?) – mai (nein) – ao/chai (ja) –
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aroi (sehr gut) – khop khum khap (Dank eines Mannes) – khop khum
khaa (Dank einer Frau) – dee mak mak (sehr gut) – mai pet (nicht
scharf) – wan nii (heute).
Phuket liegt im Andamanmeer im Indischen
Ozean. Das Klima ist tropisch, mit Temperaturen
zwischen 28 und 32°C. Die
Segelsaison wird stark vom
Monsun bestimmt: Der
Nordostmonsun bläst in
der Regel von November
bis April und bewirkt sonniges, trockenes Wetter.
Die Regenzeit, die bessere
«Nein danke – heute bin ich nicht scharf»
Bezeichnung wäre tropischer Sommer, beginnt im
Mai und dauert bis Oktober mit dem
Auftreten des Südwestmonsuns. Es ist
von Vorteil, sich in dieser Zeit östlich
der Insel aufzuhalten, denn es kann
schon mal zu einem Sturm mit
starken Regenfällen kommen. In den
meisten Fällen ist es möglich, in Kürze
einen einigermassen geschützten Ankerplatz zu finden. Zum Ankern ist es
selten zu tief. Nach zwei, drei Tagen
beruhigt sich das Wetter meistens
wieder.
Wie üblich starte ich meine persönliche Segelsaison anfangs März. Mein
Boot war während meiner Abwesenheit im «The Yacht Haven» unter
Andys Auge gut aufgehoben. Wie
Einbau des Autopilot-Displays
83
immer gibt es Arbeit, bis es wieder klar ist. Vor dem Steuerrad
ersetze ich den defekten Silva-Steuerkompass durch ein neues
Modell. An dessen Konsole montiere ich ein zusätzliches
«Tecnautic»-Instrument, damit ich auch von diesem Ort aus den
Autopiloten bedienen kann. Mir machen diese Arbeiten Spass. In
Laem Phrao, dem Dörfchen neben der Marina, steht ein neues
Restaurant namens «Anchor»: eines mit einer guten Küche, einer
Bar und geöffnet bis Mitternacht. Wat betreibt es mit seiner
Familie. Dazu betreut er noch drei ausländische Yachten. «I have
many boss», meint er verschmitzt. Wat sorgt auch dafür, dass
«seine» drei Yachten vor Ablauf der bewilligten sechs Monate
ausser Landes und wieder zurückkommen. Ansonsten ist in Laem
Phrao nicht viel los.
An einem Samstag fahre ich per Sammeltaxi nach Phuket
Town. Ich liebe diese Fahrten mit den Einheimischen. Je nach
Station steigen in adrette Uniformen gekleidetete, kichernde
Schülerinnen und Schüler zu. In Phuket besorge ich Einkäufe,
miete gegen Abend ein Motorrad und kurve nach Ao Chalong.
Vielleicht sind dort Post oder bekannte Segler eingetroffen.
Anschliessend fahre ich auch an Franz Hostettmanns Haus vorbei,
einem Zweitwohnsitz des Stadtpräsidenten von Stein am Rhein.
Leider ist er nicht da. Dann folge ich der Küste und steure die
«Nikita Bar» am Rawaii-Strand an, wo ich meistens Theresa und
Heinz Brändli treffe, das Wirtepaar des «Salmenstübli» in Stein am
Rhein. Meine Heimat ist hier gut vertreten! Nach kaum zwanzig
Minuten bin ich an der Kata Beach, wo ich ein Zimmer für eine
Nacht miete, mich darnach im nahen Patong in den Einkaufsrummel und dann ins überbordende Nachtleben stürze. Die
alleinstehenden Männer sind klar in der Überzahl. Sextouristen?
Offiziell wäre Prostitution verboten. Der Sextourismus hat
Thailand in Verruf gebracht, doch kann man dem heissen Nachtleben leicht ausweichen. Ich bin in dieser Beziehung unverkrampft. Transvestiten tanzen wild auf den Tischen und suchen
die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich zu lenken. «Papa, I go with
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you!» tönt es mir entgegen. Das erlebe ich doch zum ersten Mal:
dass ich mit «Papa» angesprochen werde! In den Go-go-Bars
tanzen die Mädchen, um Chromstangen gewunden, mehr oder
weniger im Takt zur lauten Musik.
Jede Tänzerin trägt eine Nummer.
Ich bräuchte dem Kellner nur die
Nummer meiner Favoritin ins Ohr
zu flüstern, und schon würde sie an
meiner Seite Platz nehmen und
mich artig fragen, ob ich ihr einen
Drink spendiere und vielsagend anfügen: «We have rooms upstairs,
Papa let’s go!» Diese lärmigen Etablissements sind weniger nach
«Papa, letʼs go!»
meinem Geschmack.
Nach einem Rundgang mache ich die Bekanntschaft Nois.
Erstaunlicherweise spricht sie recht gut deutsch. «Das habe ich
bei einem deutschen Lehrer in Chiang Mai gelernt», erklärt sie.
«Ich wollte Reiseleiterin werden. Inzwischen sind meine Eltern
geschieden, und ich muss meinen kranken Vater unterstützen.
Deshalb arbeite ich in einer Bar, obwohl ich es nicht gerne tue.»
Kann schon sein. In Thailand ist es jedenfalls Brauch, dass die
älteste Tochter für die Familie sorgt. Sie kann hier, je nach
Saison, zwischen 20 000 und 40 000 Baht pro Monat verdienen,
eine Verkäuferin arbeitet für nur 7000 Baht, was etwa 280 Franken entspricht. Noi möchte gerne mal mein Boot sehen, obwohl
sie nicht schwimmen kann. Na ja.
Am 24. März 1999 bekommen wir auch hier mit, dass die Nato
ihre «bombing campaign» gegen Jugoslawien startet, die schliesslich 11 Wochen oder 78 Tage dauern wird. Anfangs April hole ich
meine Schwester Dor mit ihren beiden Kindern am nahen
Flughafen ab. Melissa ist zwölf und Sascha bald vierzehn Jahre alt.
Wir wollen einige der vielen Inseln im Segelrevier um Phuket
kennenlernen. Unser erstes Ziel liegt in der Pang Nga Bay: Koh Ping
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Khan mit dem berühmten James-BondFelsen, der im Film «Der Mann mit dem
goldenen Colt» eine zentrale Rolle
spielt. Wir bewundern die einzigartige
Szenerie mit den unzähligen Felseninseln, die sich senkrecht aus dem Meer
erheben. Wir machen uns mit dem Beiboot auf, um die Kalksteingruppe einem
näheren Augenschein zu unterziehen.
«Welches ist nun der berühmte Felsen?»
fragen wir uns. Dor und ich verlieren
eine Wette gegen Sascha, der genau
weiss, wie er aussehen muss. Tatsächlich
Melissa, Dor und Sascha vor
ist das kleinste Exemplar dieser Gruppe
dem James-Bond-Felsen
das berühmte Stück.
Mit anfangs nur vier bis fünf Metern Wasser unter dem Kiel setzen wir am nächsten Morgen die Segel, um die Railay Bay West auf
der Halbinsel Phra Nang in der Nähe Krabis anzulaufen. Kurz vor
dem Einnachten legen wir uns dort vor Anker. Das Wetter ist gut.
Phra Nang, nur per Boot erreichbar, ist von rotbraunen Felsen umgeben. Die Region Krabi verdankt dieser einzigartigen Landschaft
ihre Bekanntheit. Neben Badetouristen bevölkern viele schlanke
Kletterinnen und muskulöse Kletterer diese Halbinsel. Schon früh
am Morgen werden wir aus dem Schlaf gerissen: Der Verkehr der
Longtailboote beginnt. Die Bootsmänner lauern auch auf Touristen: «Krabi, Krabi!» schreien sie. Die schlanken Boote sind hinten
mit einem 115 PS starken Yanmar-Diesel ohne Schalldämpfer bestückt und machen einen nerventötenden Krach. Der offene Propeller, der das Boot über das Wasser jagt, steckt an einer langen
Welle und produziert eine Fontäne. Die Fahrer sind stolz auf ihren
Beruf. Im Süden ist die Silhouette einer berühmten Insel im Dunst
erkennbar: Koh Phi Phi Don. Sie ist unser nächstes Ziel. Vor der
Abfahrt hievt mich Sascha in den Masttop, wo ich dem Anemometer meiner Windmessanlage mit einer WD-40-Dusche zu neuem
86
Leben verhelfe. Nach vier Stunden fällt der Anker in der geschützten Ton Sai-Bucht. Während Dor und die Kinder im lauwarmen
Meer baden, steige ich bei der nachmittäglichen Hitze den steilen
Weg hinauf zum Aussichtspunkt. Von hier lässt sich der im Licht
flimmernde Doppelstrand in seiner einzigartigen Schönheit wunderbar überblicken. Vom boomenden Tourismuszirkus ist hier
oben nichts zu spüren. Die unzähligen in den Palmen versteckten
Shops, Restaurants, Bungalows und Hotels sind nur zu erahnen.
Auf dem Rückweg kommen mir am Strand Horden von Tauchern
entgegen. Auffallend viele blonde Touristinnen aus Nordeuropa
bevölkern abends die «Tin Tin»-Bar.
Am nächsten Tag segeln oder besser motoren wir gegen
westlichen Wind den steilen und im Morgenlicht gleissenden
Felswänden Koh Phi Phi Leis entlang, der Schwesterinsel Koh Phi
Phi Dons. Wir wollen die südlich Phuket liegende Insel Koh Racha
Yai besuchen, gemäss meinem Buch «Sail Thailand» angeblich ein
«Tropical Paradise». Wir sind gespannt. Bei auflandigem Wind
tasten wir uns in die wirklich schöne Bucht vor, und Sascha
schnappt uns den Tampen einer gelben Boje. Unser Boot tanzt
wild im Schwell. Die Landung am Ufer mit unserem Dinghy wird
zu einem feuchten Vergnügen. Am Strand stehen eng gedrängt
Sonnenschirm an Sonnenschirm mit Liegestühlen drunter. Kaum
liegen wir, taucht schon ein Boy auf: «100 Baht, please!» Ganz so
paradiesisch scheint es hier nicht zu sein. Martina und Urs Ringer
mit ihrem Sohn Jascha, die wir hier besuchen wollten, sind schon
abgereist. Die Familie aus Stein am Rhein verbringt in Thailand
noch Ferien, bevor sie nach Neuseeland weiterreist, um sich dort
eine neue Existenz aufzubauen. Kurz vor dem Einnachten
flüchten wir vor dem starken Schwell in die nördliche Bucht. Eine
unruhige Nacht steht uns bevor. Wind und Seegang nehmen zu.
Kurz nach Mitternacht weckt mich Melissa. «Götti, hält die Boje
auch wirklich?» fragt sie besorgt. Man hört, wie sie an die
Bordwand knallt. «Mach dir keine Sorgen», versuche ich sie zu
beruhigen und verlängere den Tampen etwas.
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Am nächsten Morgen bläst es mit Beaufort 6 aus Westen, was
uns zu einer schnellen Fahrt nach Koh Nakha Yai verhilft. Melissa
und Sascha schlucken Stugeron, um dieses unruhige Segeln ohne
«Bogenhusten» zu überstehen. Als wir wieder im «Yacht Haven»
festmachen, stürzen sich die Kinder hinter dem Boot ins Meer. Ihr
Badevergnügen ist aber nur von kurzer Dauer. Sie werden von
einer giftigen Wasserschlange zu Tode erschreckt, die gemächlich
durch die Marina schlängelt. Wenn diese Schlangen, die ihr Maul
nur sehr wenig öffnen können, ein Opfer erwischen, ist das
Zeitliche sehr schnell gesegnet! Zum Glück sind diese Tiere nicht
aggressiv. Das Wetter und die Windbedingungen waren während
diesen zwei Wochen viel unbeständiger, als ich erwartet hatte.
Trotzdem genoss ich das Bordleben mit meinen Familienmitgliedern und die Kochkünste Dors.
Ich habe wenig Zeit, um
traurig zu sein. Der nächste
Besuch aus Denia in Spanien ist
angesagt: Dorli und Heinz
Tanner. Zum Empfang dekoriere
ich den Cockpittisch mit Orchideen, Früchten – Rambutan,
Lychees,
Mangos,
Ananas,
Dorli und Heinz: Besuch aus Spanien
Mangosteen – , und in die Mitte
stelle ich eine Flasche Mekong (Thai Whisky). Heinz meint erfreut, der schmecke genauso gut wie der Carlos III, der spanische
Brandy, den wir so gerne trinken. Der Mekong verhilft uns zu
einem guten Schlaf. Heinz, mit dem ich vor vielen Jahren die
gleiche Schulbank in Stein am Rhein drückte, ist nicht gerade
seefest, will aber Stugeron schlucken. Am nächsten Tag besorgen
wir das Ausklarieren in Ao Chalong und legen gleich los. Wir
wollen in den nächsten zehn Tagen nach Langkawi in Malaysia segeln. Das passt perfekt in meinen Zeitplan, denn am 27. April
habe ich nach sechs Monaten Thailand mit dem Boot zu verlassen. Das muss genau eingehalten werden, sonst wird eine Import-
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steuer plus Busse wirksam, die mehr als die Hälfte des Bootswertes
betragen kann. Die ersten Tage folgen wir den «Spuren» des Törns
mit meiner Schwester. Das Stugeron scheint zu wirken, jedenfalls
klagt Heinz nie über Seekrankheit. Wir geniessen das gute, scharf
gewürzte Essen an Land oder lassen uns von Dorli, die gerne
kocht, an Bord verwöhnen. Zu jedem Essen trinken wir eine
Flasche Wein, die meine Gäste aus Spanien mitgebracht haben.
Vor dem Einschlafen sprechen wir dem Mekong-Whisky zu, den
wir wirklich schätzen lernen. Kurz, wir leben wie die Fürsten. Das
einzige, was Heinz vermisst, sind bequeme Stühle an Bord. Dieses
Problem löse ich auf meine Art: Als ich nachts vom Ausgang in
Koh Phi Phi zurückkomme, leihe ich mir vom Hotel Cabana einen
Liegestuhl aus. Heinz reibt sich am nächsten Morgen ungläubig
die Augen, als er die Liege in meinem Beiboot entdeckt. In der
Folge findet diese an Deck regen Zuspruch, im Hochgefühl, mit
einem Drink in der Hand gegen die untergehende Sonne zu
blinzeln.
Täglich tasten wir uns in angenehmen Tagesetappen über
Rok Nok, Bulon Le und Tarutao nach Süden vor. Am 26. April
können wir die malaysische Flagge hissen. Gegen Mittag gehen
wir bei beträchtlichem Schwell vor dem Hotel Datai im Norden
der Insel Langkawi vor Anker. Mit einer «Crashlanding» setzen
wir unser Beiboot an Land. Obwohl wir völlig durchnässt sind,
statten wir dem Luxushotel einen Besuch ab. Auf dem schönen
Langkawi wurden überall Hotels gebaut und sogar ein
Riesenflugplatz hingepflastert, auf dem selbst Jumbos landen
können. Es gibt hier fast alles im Übermass, ausser einem:
Touristen! Nach einem kurzen Halt segeln wir zu unserem Ziel,
der Rebak Marina auf der gleichnamigen Insel. Dorli und Heinz
wollen noch nach Ostmalaysia, bevor sie wieder nach Spanien
zurück fliegen.
Die Marina ist nahezu voll. Langkawi ist eine zollfreie Insel,
was die ohnehin schon tiefen Lebenskosten noch günstiger
macht. Das und die Möglichkeit, problemlos Ersatzteile einfliegen
89
«Visa-Run» nach Langkawi
90
zu können, wirkt wie ein Magnet auf die Seglergilde. Hier in
Malaysia kann man ein Boot jahrelang liegen lassen. In Kuah,
dem Hauptort, bekomme ich ein Dreimonatsvisum, das so oft
man will mit einem kurzen Trip zur nahen Grenze Thailands
verlängert werden kann. Deshalb ist dieser Ort ideal für Langzeitlieger. Ohne auch nur einen Rappen Zoll zu zahlen, hole ich
meine bestellten Ersatzteile im Büro der Marina ab und mache
mich daran, mein «Liliput»-Generatorset zu reparieren. Der kleine
Kobuto-Dieselmotor verliert Öl, der Simmerring hinter dem
Schwungrad ist defekt, so lautet jedenfalls meine Diagnose. Ich
baue die ganze Anlage aus, würge sie mit Hilfe eines Seglers den
Niedergang hinauf und stelle sie auf ein Brett im Cockpit. Die
Arbeitsbedingungen sind jetzt geradezu optimal! Ich bin froh,
gelernter Mechaniker zu sein. Die Schrauben, die das Zahnriemenrad halten, muss ich herausbohren, weil sie eingerostet
sind. Das Schwungrad ziehe ich mit einer nach Mass gefertigten
Abzugsvorrichtung ab. Den defekten Simmerring kriege ich mit
Hilfe eines Schraubenziehers raus und kann dann den neuen
einsetzen. Der Wiedereinbau der Anlage vollzieht sich problemlos. Tief befriedigt starte ich den kleinen Dieselmotor zum
Probelauf. Alles paletti – ich kann wieder 220 Volt an Bord
produzieren, wann immer ich will und falls nötig die Batterien
laden.
Natürlich bin ich nicht pausenlos am Arbeiten. Hier treffe ich
wieder auf alte Segelfreunde: Klaus auf der «Gemini Contender»,
Ingrid und Jürgen aus Hamburg auf der «Josi» und einmal mehr
Jenny und Peter auf der «Blue Shadow». Die helvetisch-südafrikanische Crew hat Verstärkung bekommen: Jules – jetzt gerade
einen Monat alt – scheint es gut zu gehen an Bord. Er brauche mit
seinen Windeln und Spielsachen bald so viel Platz wie ein
Erwachsener, meint Peter trocken. Als die lokalen Hash House
Harriers einen Run auf der Insel organisieren, darf ich – wie einst
in der Südsee – natürlich nicht fehlen. In der brütenden Abendhitze quälen wir uns über die Laufstrecke, dem ersten Bier am Ziel
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entgegenlechzend. Vor meiner Abfahrt starte ich eine Shoppingorgie. Die Einkaufszentren in Kuah haben alles, was das Herz
begehrt. Selbst Markenprodukte aus Europa sind zu unschlagbaren Preisen zu haben. Voll gepackt mit Vorräten für die
kommenden Monate bin ich bereit, mich wieder auf den Weg
nach Phuket zu machen.
«Es ist ein Dahingleiten zwischen Traum und Wirklichkeit, bei dem es
fast keine Zwänge gibt und bei dem man sich uneingeschränkt der Lust
des Unterwegsseins hingeben kann.»
92
Diese verdammten Felsen!
Langkawi
Ao Chalong
Krabi
Penang
Krabi
Ausflug nach Nepal
lle Jahre wieder. Am 18. Mai hole ich meine langjährige
«Teilzeitfreundin» Susi am Phuket International Airport ab.
Sie will diesmal länger als nur einen Monat bleiben. Neben
etwas Segelunterricht möchte sie, wie sie mich vorher wissen liess,
einen PADI-Tauchkurs besuchen, mit mir eine Trekkingtour in
Malaysia und eine Velotour in Thailand unternehmen. Kurz:
Meine sportverrückte und vor Tatendrang schäumende Konditorin wird mich auf Trab halten. Aber es soll anders kommen. Schon
auf der Fahrt vom Flughafen nach Ao Chalong macht sie mir klar,
das Klettern habe für sie erste Priorität. «Mein Saisonziel ist es,
mindestens eine 7A-Route französischer Wertung zu schaffen», erklärt sie und hat das Klettergebiet in Phra Nang im Auge. Ich bin
sicher, dass sie das Gebiet an den Felsen der Railay Bay bei Krabi
meint. Susi berichtet von sintflutartigen Regenfällen, Jahrhundert-Schneemengen in der Schweiz und zunehmender Hochwassergefahr. In der ersten Nacht an Bord werden wir schon vor Tagesanbruch geweckt. Es regnet durch die offene Luke in unsere
Gesichter. Nachdem sie geschlossen ist, wird es ekelhaft heiss und
stickig in unserer Bugkoje. Das fängt ja gut an! Am Morgen stelle
ich fest, dass das 12-Volt-Bordnetz am Zusammenbrechen ist. Mir
wird sofort klar, dass die «Hausbatterien» im Eimer sind. Sie sind
schon bald vier Jahre alt und Souvenirs aus Papeete.
Mit einem gemietetem Suzuki-Jeep sausen wir nach Phuket
Town und bestellen dort neue Batterien, drei mal 135 Ah für je nur
120 Franken. Es schüttet noch immer. Als wir zum parkierten
Suzuki zurückkehren, ist das rechte Vorderrad mit einem
angeketteten Radschuh blockiert. Verdammt, tatsächlich habe ich
A
93
das Fahrzeug etwas neben der weissen Parkfeld-Begrenzung
abgestellt. Sitten herrschen hier! Mit einem Taxitöff mache ich
mich im strömenden Regen auf zur Polizeistation. Dort muss ich
mich in einer langen Kolonne wartender Sünder gedulden, bevor
ich meine 300 Baht Bussgeld hinblättern darf. Wir verlieren zwei
Stunden, bis ein adrett gekleideter und freundlich lächelnder
Polizist mit dem rettenden Schlüssel auftaucht und uns vom
Radschuh befreit. Am nächsten Tag hole ich die Batterien ab. Susi
lasse ich in einem Fitnesscenter in der Nähe Ao Chalongs zurück,
um sie in ihrem Tatendrang vor dem Hyperventilieren zu
bewahren. «Wann segeln wir nach Phra Nang?» drängt sie nach
meiner Rückkehr wie ein ungeduldiges Kind.
Obwohl es weiterhin schüttet wie aus Kübeln, laufen wir am
folgenden Tag aus. Gegen Mittag lässt der Regen endlich nach.
Meine Gefährtin ist gespannt wie ein Bogen, kann nicht warten,
bis wir ankommen und nervt mich. Sie ist richtig scharf aufs
Klettern. Das Meer ist unruhig, als wir an der Railay Bay West vor
Anker gehen. Susi kletterte im März in Mallorca, später in
Sardinien und möchte hier weitere Fortschritte erzielen. An
Auswahl fehlt es nicht. Ich zähle über 34 Klettergebiete in Phra
Nang und Umgebung, ohne die Möglichkeiten in Koh Phi Phi zu
rechnen. Am nächsten Morgen begutachtet Susi ein paar der
über 300 (!) Routen. In der zweiten Nacht gibt es plötzlich auflandigen Wind mit entsprechendem Schwell. Als kurz vor Tagesanbruch der 10-Millimeter-Tampen, der meine Ankerkette
sichert, mit einem Knall reisst, starten wir den Motor und verlegen uns an die Railay East Bay. Hier sind wir gegen den einsetzenden Südwestmonsun geschützt und liegen ruhig, auch
wenn der Wind durch die Palmen pfeift und den nächsten
Schauer ankündet, der meistens nach einer Stunde vorbei ist. In
den Restaurants werden Plastikvorhänge heruntergelassen, die
vor den entfesselten Naturgewalten nur notdürftig schützen.
Gibt es einen Knall, dann hat mal wieder eine fallende Kokosnuss ein Dach durchschlagen. Man tut gut daran, in Deckung zu
94
bleiben, bis der Spuk vorüber ist! Auf dieser Seite der Halbinsel
ist es flach. Bei Niedrigwasser geht das Meer weit zurück, so dass
es einige Planung erfordert, um mit dem Dinghy nicht plötzlich
auf dem Trockenen zu sitzen.
Die paradiesischen Klettermöglichkeiten nahe beim Strand
locken auch in der Nebensaison Kletterer aus aller Welt an. Die
vielen Kletterschulen bieten auch Neueinsteigern die Möglichkeit,
diesen faszinierenden Sport in ein- oder mehrtägigen Kursen
auszuprobieren. Hier treffen wir Christine, eine Freundin Susis,
die von ihrem Job als Reiseleiterin etwas Distanz sucht. Sie
profitiert hier von den tiefen Bungalowpreisen und absolviert ein
paar Halbtageskurse bei Nan, einem der vielen Kletterlehrer. Auch
sie ist bereits vom Klettervirus befallen. Doch was sucht ein
gestandener Segler in einem Kletterparadies voller jugendlicher
Verrückter? Nun, es scheint, als habe ich mir hier ein richtiges
«Pensioniertenjöbli» eingehandelt: Während Susi klettert, sichere
ich sie am Seil.
Um 06:00 Uhr rasselt der Wecker. Nach dem Frühstück geht’s
per Dinghy ans Land, dann – mit allen Utensilien bepackt – in
einem mehr oder weniger langen Fussmarsch zum Klettergebiet.
Dort haben wir tief unter uns die gemächlich vor Anker schwojende «Hasta Mañana» im Blickfeld. Wir machen uns bereit für
den ersten Versuch. Susi montiert ihr «Gstältli» (Klettergurt), ein
Magnesiumsäckchen und Expresschlingen und zwängt sich in
ihre engen Kletterschuhe. Ich schlüpfe auch in den Klettergurt
und befestige daran mit einem Karabinerhaken das «Grigri».
Dieses Gerät blockiert bei einem Fall automatisch das Seil. Mit
einem aufklappbaren Hebel kann das Seil zum Herunterlassen des
Kletterers dosiert gelöst werden. Klettert man zum Beispiel am
«The Keep», so geht es zuerst steil hinauf und dann durch einen
Kamin wieder hinunter. Ich sichere mich an einem Fixseil, denn
es wäre sehr unangenehm, wenn nicht gar gefährlich, würde ich
in das unter mir gähnende Loch fallen. Über Mittag machen wir
eine längere Pause, am späteren Nachmittag startet Susi weitere
95
Versuche. Nach zwei Tagen Klettern legen wir meist einen Ruhetag ein. Oft fahren wir dann per Longtailboot nach Krabi, kaufen
auf dem geschäftigen Markt hauptsächlich Früchte und erledigen
die E-Mails. Seit kurzem ist Krabis neuer Flughafen eröffnet, der
vorerst dreimal wöchentlich von Thai Airways bedient wird. Wie
lange geht es noch, bis auch dieser friedliche Winkel von
Touristenhorden überschwemmt wird?
Unsere Tage sind ausgefüllt. Nur schon der Anmarsch gibt mir
genügend Bewegung, zumal wir den Tag meistens mit Stretching
und einem «Schwumm» im Meer
beginnen. Seit sich Susi auf eine
7A+-Route eingeschossen hat, die
«Mai meh fan» (keine Zähne) heisst,
klettert sie an der «Dum’s Kitchen»Wand in der Ton-Sai-Bucht. Mit
einem «Cheater»-Stick, einem etwa
zwei Meter langen Bambusrohr,
hängen wir die unterste Expressschlinge ein. Junge Kletterer fragen Susi
oft, ob dies ihr Vater sei, der sie
sichere. «No», entgegnet sie dann
lachend, «Otto is my husband.» Das
verunsichert sie meist. Sollen sie es
glauben oder nicht! Susi will «ihre»
Route «punkten», das heisst ohne
ins Seil zu sitzen oder zu stürzen in
Susi kühlt ihre Prellung mit Eis
einem Stück durchklettern. Bis jetzt
hat sie 6C+-Routen geschafft. Hier
sind der Ein- und der Ausstieg sehr schwierig und für meine
Begriffe sehr steil, das heisst überhängend und 12 Meter hoch.
Anfangs machte meine Gefährtin an jedem Klettertag Fortschritte,
doch heute fällt sie schon unten raus, schlägt ihr rechtes Knie
beim Sturz an den rohen Felsen und zieht sich eine Prellung zu.
Ich mache mir Vorwürfe, vielleicht hätte ich sie besser sichern
96
können, doch so weit unten ist das nicht gerade einfach. Da
braucht es eine sehr schnelle Reaktion! Bisher verliefen alle Stürze
gut. Nur einmal verbrannte ich mir ein paar Finger, als ich das sich
dehnende Seil oberhalb des «Grigri» instinktiv mit blosser Hand
festhielt. Susi macht auch von Zeit zu Zeit ein Sturztraining an
einer geeigneten Wand. Sie lässt sich dann aus der Route fallen,
worauf ich sie dynamisch zu sichern habe. Mit einem Schritt nach
vorn gebe ich mehr Seil, das «Grigri» blockiert es, worauf die
Kletterin dann mehr oder weniger sanft an der Felswand landet.
Dieses Training soll die Angst vor einem Sturz mindern. Das sei
wichtig, um ans Limit gehen zu können, bemerkt Susi: «Um
meinen Killerinstinkt auszuleben!» Sie ist wahrhaftig ein etwas
verrücktes Weibsstück!
Die erzwungene Ruhepause verbringen wir im Railay Bay
Bungalow Nummer 101 direkt am Strand. Mein Visa läuft im
Juni wieder einmal ab, weshalb ich Thailand kurz verlassen
muss. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Man kann sich zum
Beispiel per Bus nach Hat Yai und dann per Taxi über die Grenze
nach Malaysia begeben und sofort wieder einreisen oder aber
einen Wagen mieten und nach Burma hinauffahren. Ich nehme
in Krabi einen Bus und fahre in drei Stunden nach Phuket Town.
Dort lasse ich mich bei Thai Airways für einen Flug nach Penang
vormerken, denn als pensionierten Airliner profitiere ich noch
immer von günstigen Flugkonditionen. Da ich mein Segelboot
ohne Skipper in Thailand lasse, muss ich bei der Immigration
sicherstellen, dass meine Bankgarantie von 20 000 Baht noch
gültig ist. Lustigerweise ist auf dem Vertrag das Jahr 2542 (1999)
angegeben. Thailand lebt schon mitten im dritten Millenium,
denn hier begann der Kalender am Anfang der Buddhistera im
Jahre 543 vor Christus. Der Beamte spricht gutes Englisch, und
alles läuft wie geschmiert. Nach kaum einer halben Stunde ist
mein Pass für die Ausreise nach Malaysia vorbereitet. Am
nächsten Tag fliege ich um 12.30 Uhr ab und reise nach einem
kurzen «Turnaround» in Penang um 15 Uhr wieder in Thailand
97
ein. Nach diesem Manöver ist mein Aufenthaltsvisum für die
nächsten drei Monate gültig.
Während Susi, wenn auch mit Schmerzen, wieder an den
Wänden kämpft, ergreife ich die Gelegenheit zu meinen ersten
Kletterversuchen. Von den gemieteten Schuhen ist der rechte
eindeutig kleiner als der linke, was mir Schmerzen bereitet. Ich
«Susi, lass mich runter!»
komme mir schon etwas alt vor, als ich in die Wand einsteige.
Als Abschluss versuche ich mich an einer 6A-Route im
«Toprope», das heisst Susi klettert voraus und sichert mich bei
meinem Versuch am von oben herunterhängenden Seil. Für
Anfänger ist das Klettern auf diese Art sicherer. Nach einigen
Versuchen wage ich mich an schwierigere Wände. Als wir einmal
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in der «Hidden World» klettern, brennt mir die brütende Sonne
aufs Hirn. Auf halber Höhe bleibe ich stecken. Ich befinde mich
an einer schwierigen Stelle und schufte wie verrückt, um höher
zu kommen. Plötzlich beginnt, offenbar in der Ruhe gestört, ein
Wespenschwarm einen wütenden Angriff auf mich zu starten.
Noch kann ich die angebrachten Expressschlingen aushängen
und an meinem Gurt einklinken, dann lasse ich mich mit
Stichen am Kinn und am Unterarm ins Seil fallen und schreie
Susi zu, sie solle mich sofort runter lassen. Sinnigerweise heisst
diese Route «Satanic Alliance»!
Die traumhaften Sonnenuntergänge geniessen wir meistens in
der «Sunset Bar». Einheimische spielen Strandfussball, bis es
dunkel wird, und Poi-Poi-Künstler produzieren ihre Feuerketten
vor dem abendlichen Himmel. Diese Ketten sind etwa einen
Meter lang. An ihren Enden sind längliche Gewichte angebracht,
die je nach Verwendungszweck auch in Kerosin getränkt und
angezündet werden können. Die Poi-Poi werden an den Mittelfingern eingehängt und in zahllosen Varianten im Kreis
geschwungen. Sehen und gesehen werden, ist das Motto an
diesem Strand. Mein Lieblingsmenü ist die berühmte süsssaure
«Tom yam koong»- Garnelensuppe mit einer Schale Reis. Gewöhnungsbedürftig sind die Toiletten. Meistens handelt es sich
um Stehlatrinen. Zum Spülen steht ein in einem Wasserbecken
oder Kessel schwimmender Schöpfer bereit. Die Gäste werden
angehalten, das benutzte Toilettenpapier (sofern es überhaupt
welches hat) in einen bereitgestellten Abfallsack zu werfen. Bereits
Komfort ist ein kurzer Schlauch mit Brause. Hat es hier wohl
Klärgruben, bevor das Abwasser in die Bucht fliesst?
Am 22. Juni schafft Susi ihre erste 7A+-Route:«No teeth». Als
sie den obersten Karabiner nach einem schwierigen letzten Zug
einklinkt, gibt sie mit einem befreienden Schrei ihrer Freude
Ausdruck. Unten angekommen, umarme ich sie begeistert. Nach
dem Essen wollen wir das Ereignis auch gebührend feiern. Ich
besorge einen Plastiksack voll Eis, um den bereit gestellten Sekt zu
99
kühlen. Aber es soll nicht sein! Als wir zu unserem Beiboot
kommen, liegt es schlaff im Sand. Offenbar ist seine Haut beim
Schleppen über scharfe Steine beschädigt worden. Da es schon
spät ist, können wir auch kein Longtailboot mehr auftreiben, das
uns zur «Hasta Mañana» zurückbringen könnte. Es bleibt uns
nichts anderes übrig, als uns für diese Nacht einen Bungalow zu
mieten. Das Eis schmeisse ich enttäuscht in einen Busch.
Otti: der kletternde Segler
Susi ist weiterhin nicht zu bremsen, und ich sah es kommen:
Schon nach wenigen Tagen mit Klettern in anderen Gebieten startet
sie ein neues 7A+-Projekt – «Lal Bab» – in der gleichen Bucht: eine
attraktive, überhängende Kletterpartie nur ein paar Meter vom
Strand und kaum einen Steinwurf vom «Ton Sai»-Restaurant
100
entfernt. Hier hat es auch Routen bis 8C+! Ein Koreaner baute sein
Zelt im Schutze der Felswand auf und blieb acht Monate, bis er
«seine» Route schaffte! Nach seiner Abreise hat Michel, ein kanadischer Kletterer, an der gleichen Stelle sein Zelt aufgebaut, nicht
weit von unserer Hängematte entfernt, die wir an zwei Stalaktiten
unter dem Fels fest montiert haben. Es ist ein herrliches Ruheplätzchen geworden. Die Kletterer sind ein angefressenes Völklein. Hier
hat sich eine Gemeinschaft entwickelt, in der jeder jeden kennt.
Obwohl ich als «Belayer» (der Sichernde) nicht ganz dazu gehöre
und als Segler Exot unter den Kletterern geblieben bin, macht mir
das nichts aus. Das ist gut so. Ich geniesse es, mit Susi an Bord zu
leben, sie in ihren Kletterunternehmen zu unterstützen, egal, wie
viele Projekte noch folgen werden. Aus einem Trekkingteam ist ein
Kletterteam geworden, wenigstens für diesen Sommer.
Keine Berge wachsen in den Himmel. Im September muss
auch ich das erfahren. Für die Schweizer Ainina und Steve klettere ich auf der Route «Massage secrets» in der «1-2-3-Wand»
hoch. Ich möchte ihnen ihr Seil am Anker einhängen, damit sie
Top-Rope klettern können. Zwei Drittel der Wand meistere ich
problemlos, doch beim oberen 6A+-Teil komme ich ins Schwimmen. Susi schreit, ich solle mehr nach rechts gehen. Links der
Route scheint es für mich aber besser. Wie komme ich aber zum
Anker rüber? Ich muss zurück – und falle ins Seil! Weil ich
schlecht stürze – Susi vergleicht das mit einem Kartoffelsack –
wird mein linkes Fussgelenk beim Aufprall etwas angeknackt.
Zwar schaffe ich die Route beim zweiten Versuch, doch am Abend
schwillt mein Fuss so an, dass ich mich nur noch humpelnderweise bewegen kann. Susi meint cool, wir müssten wieder mal ein
Sturztraining machen. Revat, ein in der Nähe lebender Kunstmaler, versucht mich zu trösten. «Ich habe einen Freund, der es
fertig bringt, dass du nach wenigen Heilmassagen wieder
kletterst», flüstert er mir ins Ohr. Wenn es nicht hilft, dann kann
es nicht schaden, sage ich mir. Der etwa 50jährige Masseur untersucht meinen Fuss und bestätigt dann, dass er ihn kurieren
101
könne. Auf meine Frage, wie viel das koste, sagt er 552 Baht (etwa
20 Franken). «Du musst das Geld um ein Ei wickeln!» erklärt er.
Dazu koste die Prozedur nochmals 300 Baht pro Massage. Ich bin
einverstanden, worauf der Mann mit dem mit Geld umwickelten
Ei über meinen havarierten Fuss fährt und eine unverständliche
Litanei von sich gibt. Man glaube es oder nicht: Schon nach der
ersten Behandlung geht die Geschwulst zurück. Nach drei
weiteren bin ich soweit hergestellt, dass ich wieder normal gehen
kann. Das ist mir wichtig, denn im Oktober will ich mit Susi nach
Nepal fliegen und dort zwei Wochen auf eine Trekkingtour.
Weshalb nur zwei Wochen? Weil meine Freundin Angst hat,
sonst ihre gegenwärtige Kletterform zu verlieren und sie wieder
hart erarbeiten müsste!
Thai Airways fliegt uns sicher nach Nepal. Kaum in
Kathmandu angekommen, tönt uns «Namaste – Willkommem»
entgegen. Mukunda, ein Angestellter des Laxmi-Reisebüros
erwartet uns. Er hat uns im Hotel «Hama» ein Zimmer reserviert
und zwei Plätze in einem Flugzeug nach Lukla organisiert. Von
diesem Flugplatz aus marschieren die meisten Besucher in
mehreren Tagen zum «Base-Camp» am Fusse des Mount Everest.
Aber genau das wollen wir nicht tun, sondern in sieben Tagen
entgegen der üblichen Richtung nach Jiri marschieren um von
dort zurück zu fahren.
Das Leben in Kathmandu fasziniert uns! Im Bezirk Thamel,
nahe bei unserem Hotel, sind die Strassen eng und unübersichtlich.
Die Hupe wird hemmungslos und oft betätigt. Mukunda «hängt»
uns eine Tempeltour für den nächsten Tag an. Fünf Tempel sollen es
sein. Wir möchten eigentlch lieber eine Stadtbesichtigung haben,
aber er ist völlig auf Tempel fixiert: «You are my god, I want to make
the best for you.» Schliesslich sagen wir zu, damit er endlich Ruhe
gibt. Die Einfachtickets mit der «Yeti Air» nach Lukla erhalten wir
auch. Bei der Tempelrundreise lassen wir unseren Taxifahrer nahe
beim Ratan-Tempel, unserem dritten Tempel des Tages wissen, dass
wir auf eigene Faust auf Entdeckung gehen werden. Gleichmütig
102
meint er: «Ich warte hier.» Es freut uns, wenigstens für kurze Zeit das
quirlige Leben mit den Einwohnern zu teilen. Sie lassen Drachen
über den Dächern fliegen, kaufen an unzähligen Märkten ein oder
baden in öffentlichen Brunnen. Es scheint kein fliessendes Wasser
in den einfachen Häusern zu haben.
Der dreiviertelstündige Flug nach Lukla mit einer Twinn Otter
wird zu einem speziellen Erlebnis.
Um Wolkenberge herum steuern die beiden Piloten die kurze
und ansteigende Schotterpiste von Lukla an, die auf 2840 Meter
über Meer liegt. Zwischen den Wolken blitzen die höchsten Berge
dieser Erde auf. Gegen Mittag setzt der Kapitän das Flugzeug
haargenau und kurz nach Pistenbeginn auf – die Propellerturbinen heulen auf: Umkehrschub. Sand und Steine wirbeln auf.
Am Ende der Piste drehen sie ein und rollen rückwärts (!), von
einem jungen Mann eingewiesen, auf den Standplatz. Das Dorf
liegt malerisch und sonnenbeschienen an den Hang geschmiegt.
Die Vegetation ist karg. Mehr felsig, als bewachsen, immerhin hat
es Richtung Westen waldige Hänge. Wir schnappen unsere
Rucksäcke, die im Sand liegen und machen uns auf zur ersten
Tagesetappe. Gemäss unserer Karte sollten wir das Dorf Puiyan,
wo wir übernachten möchten, in etwa drei Stunden erreichen.
Aber es kommt anders. Susi traut meinen Kartelesekünsten sowieso nicht. Als ich ihr dann noch mit H bezeichnete Vierecke als
Helikopterlandeplätze «verkaufen» will, lacht sie: «Das sind
Hotels und markieren Unterkunftsmöglichkeiten!» Recht hat sie.
Es wäre eigentlich simpel gewesen. Runter ins Tal, dann entlang
dem Fluss nach Surke und hinauf nach Puiyan. Wir verpassen
eine Abzweigung, landen im Unterholz und später im Wald. Susi
will zurück. Ich beruhige sie: «Auf der Karte ist eine Abkürzung
eingezeichnet, die führt uns direkt nach Surke.» Allerdings wird
«mein» Weg immer schmaler und ist bald überhaupt nicht mehr
vorhanden. Zudem wird es steiler. Susi übernimmt die Führung,
entlang einer Krete steigen wir den Hang hinunter. Schliesslich
erreichen wir den richtigen Weg. Unten in Surke angekommen,
103
sind schon vier Stunden seit unserem Start verflossen. Ich würde
am liebsten sofort eine Lodge suchen. Mir graut vor dem steilen
Aufstieg, der sich unübersehbar gegenüber dem Tal in waldige
Höhen windet. Aufsteigen ist noch nie meine Stärke gewesen.
Bald entschwindet Susi nach einer Wegbiegung aus meinem
Blickfeld. Mühselig kämpfe ich mich Stufe um Stufe die treppenförmig geschichteten Steinquader hinauf. So langsam wird mir
klar, dass wir unser Tagesziel nicht mehr erreichen können,
zumal hier gegen sechs Uhr die Nacht hereinbricht. Es dämmert
schon als Susi zurückkommt: «Etwas weiter oben können wir in
der Hill Top Lodge übernachten, ich habe schon ein Zimmer
reserviert.» Ich bin ihr dankbar und umarme sie. Sie schnallt sich
meinen Rucksack um; ohne Last kann ich ihr leicht folgen. Wir
haben ein einfaches Zimmer mit zwei schmalen Betten. Der
Hüttenwart Phemba Geljen Sherpa kocht uns Dalbat, das
Nationalgericht Nepals: Gemüsecurry mit Reis. Dann erzählt er
uns über sein Leben. Beim Eingang prangt ein Bild des
Matterhorns. «Das möchte ich mal besteigen!» Er hat als Sherpa
den Mt. Everest bestiegen und war schon bei mehreren
Expeditionen als Sherpa angestellt und konnte etwas Geld
sparen. Nebst seiner Lodge hat er noch 10 Yaks, die Milch liefern.
Mit seiner Frau zieht er drei Mädchen gross. «Mädchen sind nicht
gut, die bringen kein Geld!» Er ist erst 26 Jahre alt und schon
13 Jahre im «climbing business» engagiert.
In den Schlafsack gekuschelt ist es genau der richtige Ort um
über Kletterversuche am Mt. Everest zu lesen. Ich habe zwei
Bücher dabei: «Into thin air» von Jon Krakauer und «The climb»
von Anatoli Boukreev. Beide beschreiben die unglücklichen
Ereignisse als im Mai 1996 neun Kletterer in einem Sturm beim
Abstieg vom höchsten Berg der Erde den Tod fanden.
Es wird ein strenger Tag. Obwohl wir schon vor acht Uhr
losmarschieren erreichen wir Mantala erst kurz vor dem Eindunkeln. Dort bin ich Susi dankbar, dass sie schon unten im Dorf
in der ersten Lodge Halt macht. Es war ein lustiger Tag mit vie-
104
len neuen Eindrücken. Mit Susi
unterwegs zu sein beglückt
mich, obwohl ich körperlich gefordert werde. Bei strahlendem
Wetter vertrieben wir uns die
Zeit unterwegs mit dem Singen
von Wanderliedern: «Gebeugte
Rücken tragen die harte schwere
Last und müde Schritte fragen,
wann endlich kommt die Rast.»
Abends hocken wir zusammen
mit der Familie in der Küche, im
Gegensatz zu uns essen sie mit
blossen Händen. Bei flackerndem Kerzenlicht geniessen wir
die lockere Stimmung. Dann
ziehen wir uns zurück nach
oben. Wir schlafen in der Vorratskammer. An der Decke
hängen Maiskolben. Nahe bei
meiner Pritsche schläft sogar
ein Huhn in einem Korb. Am
folgenden Morgen suchen wir
vergebens nach einer Toilette.
Immerhin hat es einen kleinen
Brunnen. Unser Trinkwasser behandeln wir mit Tabletten, daTrotz dünner Luft steigen die Träger
scheinbar mühelos
mit wir keinen Durchfall kriegen. Die Kosten für Nachtessen,
Unterkunft und Morgenessen sind jeweils um die 1000 Rupias,
das sind etwa zwanzig Franken für zwei Personen. Schon um
07:30 Uhr setzen wir uns in Marsch. Die Landschaft ist hügelig,
es geht rauf und runter. Der Weg ist manchmal glatt, dann
wieder mit Geröll gespickt. Abgesehen vom Flugplatz Lukla ist
105
dieser Weg die einzige Verbindung zur Aussenwelt.
Die meisten Waren werden
in vier bis fünf Tagesetappen durch unzählige uns
entgegenkommende
Träger von Jiri herangeschafft, dem Dorf am Ende
der Zufahrtsstrasse. Meistens ist ihr Ziel Namche
Bazaar, ein Markt, von
dem aus das Khumbutal
und das Everest Base Camp
versorgt wird. Diese Träger
bewältigen unglaubliche
Lasten. So an die 60 bis
70 kg
Waren
stecken
hochaufgetürmt in ihren
am Rücken getragenen
Körben. Die Last wird über
ein Stirnband verteilt.
Meist überwinden sie den
Endlich sind wir in Jiri angekommen
unregelmässigen
Untergrund in einfachen Turnschuhen oder «Flip Flops». Einige sind sogar barfuss unterwegs.
Der einzige Luxus scheint ein Radio und eine Taschenlampe zu
sein, die sie am Korb befestigt haben.
Durchqueren wir ein Dorf, so tönt uns von den Einwohnern
ein fröhliches «Namaste» entgegen. Hier sind die Bewohner eher
tibetanischen Ursprungs, im Gegensatz zu Kathmandu, wo der
indische Einfluss unübersehbar ist. In stetem auf und ab, bis auf
eine Höhe von 3700 Meter folgen wir dem Weg nach Jiri. Auf
kunstvoll angelegten Terrassen wiegen sich an den Talseiten
Hirsepflanzen im Wind. Unsere Informationen kommen aus dem
106
Buch: Abenteuer Trekking: Nepal, herausgegeben von Bruno
Baumann (Bruckmann Verlag, München). Auf dieser Route muss
kein Essen oder Zelt mitgenommen werden, Unterkünfte sind
genügend vorhanden. Zu dieser Jahreszeit ist das Wetter geradezu
ideal zum Wandern. Jiri und damit die Möglichkeit mit einem Bus
oder Taxi nach Kathmandu zurückzukommen erreichen wir am
Nachmittag des 7. Tages. Pro Tag waren wir an die sieben Stunden
unterwegs. Die Trekkingmöglichkeiten in Nepal erscheinen uns
faszinierend, kein Wunder sind Touristen aus aller Welt anzutreffen.
Ein paar Stichworte zum Königreich von Nepal: Kathmandu
ist eine Grossstadt. Die Staatssprache ist Nepali, es gibt aber noch
weitere Sprachen der verschiedenen Volksgruppen. 80 Prozent der
Bewohner sind Hindu. Nebst dem Hinduismus und dem Buddhismus finden sich besonders in entlegenen Bergtälern noch Naturreligionen und Schamanentum. Die 22 Millionen Einwohner
Nepals haben nur eine Lebenserwartung von 54 Jahren! Die
Fläche ist knapp halb so gross wie Deutschland. Über 50 000 Touristen fliegen pro Jahr ins Land. Nebst der Annapurna- wird die
Khumburegion am meisten besucht.
Zurück in der Railay Bay finden wir die «Hasta Mañana»
unbeschadet vor – Luang, ein thailändischer Kletterlehrer hat auf
unser Boot aufgepasst. Es ist schön wieder zurück zu sein, aber das
Wetter spuckt, immerhin sind unsere Wassertanks gefüllt. Unter
Susi’s geduldiger Anleitung kraxle ich wieder an den hoch
aufragenden Felsen oder ich sichere sie. Ob ich nun ein kletternder Segler oder ein segelnder Kletterer bin? Ich glaube, dieses
Kapitel hat die Antwort darauf gegeben! Anfangs November zieht
Susi in ein Bungalow an die Ton Sai Bay. Der Abschied von Susi
fällt mir schwer. Wir waren dieses Jahr über fünf Monate
zusammen. Unsere Freundschaft hat sich weiter vertieft, aber
wohl werden sich unsere Wege trennen – ich möchte weitersegeln. Nach Südafrika?
«Welchen Tag haben wir eigentlich heute? Ich muss bereits sehr
107
lange nachdenken, um eine Antwort zu finden. Die Tage verwischen
sich, reihen sich – mit sich gleichenden Ritualen – der eine an den
anderen. Daten haben keine Bedeutung mehr.»
108
Albtr ume im Indischen Ozean
Phuket
Koh Similan
Galle
März 2001. Es ist Mitternacht, sternenklar, angenehm warm. Der Wind säuselt mit 10 Knoten aus
Nord. Gerade mal vier Knoten Fahrt hole ich mit
meinem Boot heraus. Unsere Position: 8° 17.6’ Nord und 97° 12.0’
Ost. Es sind noch 220 nautische Meilen bis zum 60 Meilen breiten
Great Channel der zwischen Sumatra und den indischen Nicobaren liegt. Dort werden wir das Andamanmeer verlassen und den
Golf von Bengalen queren, um Addu anzulaufen, ein Atoll der
südlichen Malediven. Vor uns liegen total 1600 Meilen, also
knapp 3000 Kilometer. Wir rechnen mit etwa zwei Wochen auf
See. Ich hocke im Cockpit, bin glücklich und gelöst, froh, Richtung Westen weitersegeln zu können. Das Orion-Sternbild glimmt
im Westen. Rötlich leuchtet der Kompass an der Steuersäule und
grünlich die Tecnautic-Instrumente. Der Autopilot steuert unser
Boot. Ein uns überholendes Schiff zeigt seine Positionslichter an
Steuerbord. Meine Wache geht noch bis ein Uhr, dann wird mich
Ruth Langlo ablösen. Die junge Norwegerin hat für diesen Trip
«Hand gegen Koje» angeheuert und will mich bis Madagaskar begleiten. Letztes Jahr lernte ich sie beim Klettern in Phra Nang kennen. Allerdings traf ich sie nur kurz, aber Susi fädelte alles ein. Sie
weiss, wie gerne ich mit Frauen segle! Ein paar E-Mails machten
die Sache klar.
Am Vorabend lösten wir uns von einer Boje bei Koh Miang,
die von der Nationalparkverwaltung der Similan-Inseln zur
Verfügung gestellt wurde. Diese Inseln liegen 50 Meilen
nordwestlich von Phuket und sind bekannt für glasklares
Wasser, intakte Korallen und ihren Reichtum an tropischen
18.
125
Fischen. Riesige Granitblöcke türmten sich, wie Murmeln aufgeschichtet, an der Küste, aber auch unter Wasser. Hinter den
Stränden mit puderfeinem Sand begann der Regenwald. Im
Gegensatz zu den überfüllten Stränden von Patong teilten sich
nur wenige Besucher die reichlich vorhandenen Zelte und
Bungalows. Was sofort auffiel, waren zahlreiche Tauchboote.
Wir genossen ein paar unbeschwerte Tage. Ruth schien an der
Hängematte, die wir zwischen Vorstag und Mast aufhängten, be-
Die Similan-Inseln liegen nordwestlich von Phuket
126
sonders Gefallen zu finden. Eingeschmiert mit Sonnenschutzöl,
lag sie stundenlang an der prallen Sonne. Kein Wunder, denn
erst zwei Wochen vorher hatte sie das winterliche Norwegen
verlassen. Am Tag vor dem Wegsegeln auf diesen langen Trip
fühlte ich das mir mittlerweile bekannte leichte Kribbeln in der
Magengegend, wie damals als verantwortlicher Captain vor dem
Start zu einem interkontinentalen Flug. Ich geniesse das
Prickeln, diese Vorfreude auf das Unbekannte, stets sehr intensiv. Was werden die nächsten
zwei Wochen bringen? Zum
Ritual vor einer Abreise gehört
das Studium des Wetters.
Diesmal holte ich die Prognosen bei Sri Lanka Radio in
Colombo auf 8473 kHz ein.
Die Planung verläuft ähnlich
wie in der Fliegerei, mit einem
Unterschied: Wir bewegen
uns hundertmal langsamer!
Ruth freut sich über die Hängematte
Take-off: Koh Similan, Takeoff alternate: Koh Phuket, Destination: Addu, Alternate: Galle in
Sri Lanka, En-route Alternate: Sebang in Sumatra. Um «abflugbereit» zu werden, brauchte ich genau einen Monat.
Meine Segelsaison 2001 fing mit einem traurigen Anlass an.
Begleitet von seiner Partnerin Sirida, holte mich Felix Winterstein,
ein zeitweise in Thailand lebender pensionierter Swissair-Captain,
am Flughafen Bangkok ab und eröffnete mir, dass sein bester
Freund, Heinz Suter, vor ein paar Tagen in Pattaya im Alter von 70
Jahren einem Herzversagen erlegen sei. Zum Glück waren Felix
und Sirida dort und konnten die Angehörigen in der Schweiz
verständigen und alles Nötige vor Ort erledigen. Bei der Kremation in Bangkok erwiesen wir dem Verstorbenen im Wat Traimit
die letzte Ehre. In diesem Tempel steht der weltgrösste goldene
Buddha. Er wiegt fünf Tonnen und ist über 700 Jahre alt.
127
In Phuket machte ich mich umgehend daran, das Boot für die
lange Reise über den Indischen Ozean vorzubereiten. Dort überraschte mich mein ehemaliger MD-11 Chefpilot Alois «Wiesel»
Schneider und lud mich ins luxuriöse Hotel Dusit Laguna zum
Nachtessen ein. Er ist zum Ausbildungschef der Flugverkehrsleiter
der neu Skyguide genannten ehemaligen Swisscontrol geworden.
Unweigerlich gingen unsere Gedanken zurück zu unserer gemeinsamen MD-11-Zeit bei der Swissair.
Susi – sie war gerade wieder mal am Klettern in Krabi – kam
herüber, um mir bei den Vorbereitungen behilflich zu sein.
Energiegeladen machte sie sich an die
Arbeit. Am Dinghy spachtelte sie
Kratzer aus, versah es mit einem neuen
Unterwasseranstrich und besserte Rostschäden an Deck aus. Ihr Putztrieb
schreckte auch nicht vor dem Geschirrschränkchen zurück, in dem ich
dummerweise vor Monaten drei Eier
in einem Plastikgefäss liegen gelassen
hatte. Nicht nur krabbelte allerlei
Kleingetier drin herum, auch der Gestank war infernalisch. Derweil wechselte ich das Öl am Liliput-Generatorset
Susi spachtelt am Beiboot
und am Bukh-Motor und ersetzte dessen Silentblöcke. Einige Verrenkungen waren nötig, um die
Schrauben zu lösen und wieder anzuziehen. Nach ein paar Tagen
brachte ich Susi zum Bus-Terminal. Eine Kusshand, und ihr Bus
nach Krabi war um die Ecke entschwunden.
Ich besorgte auch neue «Haus»-Batterien und eine neue
Starterbatterie. Begleitet von einem jungen Mann, brachte ich die
letzten beiden Batterien per Dinghy zu meinem Boot hinaus.
Kurze, giftige Wellen rollten heran. Immer wieder schwappte
Wasser über. Ich musste anhalten und das Beiboot ausschöpfen,
während der Junge ängstlich in die Runde blickte. Werden wir
128
mitsamt den Batterien absaufen, schien er sich zu fragen. Alles
ging gut, doch zeigte mir dieser Tag die Grenzen der Seetüchtigkeit
meines Optimisten-Dinghys. Am Abend ging ich bei Hans Martin
vorbei, einem Deutschen, der Gummiboote fabriziert. «Ich
brauche ein Gummiboot von maximal 2,6 Meter Länge mit
festem Boden, aber es muss leicht sein, damit ich es allein an Bord
hieven kann», eröffnete ich ihm ohne Umschweife. «Kein Problem», entgegnete er. «Ich kann dir eines nach Mass machen und
nehme dein altes Dinghy an Zahlung. Mein Angebot: 45 000
Baht.». Ich war einverstanden und erleichtert. Jetzt bekam ich ein
seetüchtiges Gummiboot.
Am 5. März sollte ich dann Ruth Langlo um 13 Uhr im
McDonalds im Robinson Shopping Center von Phuket Town
treffen. Ich wusste nur noch, dass sie grüne Augen hatte. Kein
Problem, ich erkannte sie
sofort. Schon am nächsten
Tag lief ich mit Ruth – norwegisch korrekt «Rüt» ausgesprochen – zu einem
dreistündigen Törn zur Insel Racha Yai aus. Obwohl
in Norwegen aufgewachsen, hatte sie praktisch
keine Segelerfahrung. Wir
nahmen uns neben dem
Anpassen der Schwimmweste auch die nötige Zeit für
Ruth macht Karriere
eine Einführung in die Notverfahren: Wie wird die
Rettungsinsel aktiviert? Wie wird der EPIRB eingeschaltet? Wo
sind die Notraketen? Unterwegs kontrollierte ich meinen Radar.
Shit, er war defekt! An einer Boje in der romantischen Bucht
testete ich auch meinen PUR-35-Wassermacher, aber auch der
wollte nicht mehr richtig arbeiten. Als Ruth vom Schwimmen
129
zurückkam, fragte sie besorgt, was los sei. Ich müsse den Radar
und den Wassermacher reparieren lassen, bevor wir wegsegeln
könnten, erklärte ich ihr. Am nächsten Tag kehrten wir zurück
nach Ao Chalong und bunkerten dort an einer schwimmenden
Tankstelle Diesel und Wasser. Beim Ablegen bedankten sich die
beiden Thais lachend für die erhaltenen Colas und etwas
Trinkgeld. Zu meinem Ärger entdeckte ich, dass sich wieder
einmal Unrat an unserem Propeller verfangen hatte. Kaum vor
Anker, zog Ruth eine Taucherbrille über und tauchte mit einem
Messer bewaffnet ab, um den Propeller von einem ansehnlichen
Stück Fischernetz zu befreien. Erstaunt bedankte ich mich mit
einem dicken Kuss für die unangenehme Arbeit im trüben Wasser
und beförderte sie spontan zum Ersten Offizier.
Am nächsten Tag brachte ich den Wassermacher und den
Radar zur Reparatur, bevor wir eine Einkaufsorgie in Phuket-Town
begannen. Wir wussten, dass die Einkaufsmöglichkeiten auf den
Inseln im Indischen Ozean beschränkt bis inexistent sein würden.
Am Abend lud uns Tom, ein Schwede, zu einem Abschiedsessen in
sein Haus ein. Unseren grossen Abschied feierten wir bei Jiab und
Walti im ehemaligen «French Kiss» in Ao Chalong. Unter vielen
anderen waren auch Yvonne und Guido Borsiani dort, die auf der
«Elena» segeln. Zu meinem Erstaunen macht Yvonne stets die
langen Passagen mit, sonst lebt sie in der Schweiz. Guido ist schon
zwölf Jahre mit seinem Boot unterwegs! Eine nicht ganz alltägliche Ehe. «Das ist alles, was ich will und was ich besitze», gab
er mir zu bedenken und berichtete auch über seine Erfahrungen
im Indischen Ozean. Die beiden überreichten uns zum Abschied
vier eingepökelte und luftgetrocknete Schweinefilets, an einem
Holzbrettchen befestigt und mit einem Netz gegen Fliegen
geschützt. Das Fleisch schmeckt würzig und ist lange haltbar. An
unserer Party traf ich auch Charly Smith wieder, der die «Idiom»
segelt, einen schweren Eigenbau aus Stahl mit Kuttertakelung. Er
kommt aus den USA und war längere Zeit mein Platznachbar, als
wir in Neuseeland an unseren Booten werkelten. Gegen drei oder
130
vier Uhr früh erklomm die Stimmung an unserem Fest den
Höhepunkt. Wir tanzten, sangen und jodelten. Als wir schliesslich
zu unserem Boot zurückfahren wollten, donnerte ein Wolkenbruch herunter. An einen Aufbruch war nicht zu denken – also
festeten wir einfach weiter. Für mich war die Zeit reif, um von
Thailand wegzufahren, den Anker zu heben und – frei wie ein
Vogel – neuen Horizonten entgegen zu streben.
Wir folgten vorerst der Westküste Phukets und verbrachten ein
paar Tage in der Bucht von Patong. Bis der Wassermacher
einwandfrei funktionierte, musste ich noch zwei weitere Mal die
Werkstatt aufsuchen. Für die bevorstehende Reise ist ein
Wassermacher wichtig. Er schafft es, bei 5 A Stromverbrauch
immerhin vier Liter Frischwasser pro Stunde aus Seewasser zu
produzieren. In Patong genossen wir ein letztes Mal das Nachtleben und bewunderten in der Bangla Road die auf Tischen
tanzenden «Ladymen». Nur zu gerne zeigen diese gegen ein
Trinkgeld, dass sie vollständig «umgebaut» sind. Eine Geschlechtsumwandlung kostet in Bangkok gerade mal 1000 Dollar! Nicht
zuletzt herrschte an diesen Tagen ein Riesenandrang, weil in der
Bucht amerikanische Kriegsschiffe ankerten. «Welcome U.S.
Navy» war an einigen Bars angeschlagen.
Dann ging es am 13. März, abends um 21 Uhr, endgültig
hinaus in die stockdunkle Nacht, vorbei an den beleuchteten
Schiffen der Amerikaner. Damit sich Ruth etwas ans Bordleben
gewöhnen konnte, wählten wir als erste Etappe den 50-MeilenTörn zu den Similan-Inseln. Den Great Channel erreichten wir in
der dritten Nacht. Anstelle des vorausgesagten Nordostmonsuns
wehte es jetzt zunehmend aus Nordwesten. Wir konnten aber
gerade die nördliche Hälfte des Kanals anliegen. Das war wichtig,
denn der Schiffsverkehr von und zur Strasse von Malakka
konzentriert sich eher auf die südliche Hälfte. In der vierten Nacht
drehte der Wind weiter Richtung Westen, was uns auf einen
südwestlichen Kurs zwang. Dadurch gerieten wir in die Schifffahrtslinie. Mehrere Frachter und Tanker passierten uns recht
131
nahe. Inzwischen hatte sich auch herausgestellt, dass mein Radar
ein schlechtes Echo lieferte und – obschon ich für die Reparatur
800 Franken hingeblättert hatte – keinesfalls richtig funktionierte.
Auf einer ihrer nächtlichen Wachen packte Ruth plötzlich der
Schreck. Ein Frachter, der nahe an unserem Heck vorbeifuhr,
strahlte sie mit einem starken Scheinwerfer an. Offensichtlich
wollten die Leute genau wissen, mit wem sie es zu tun hatten!
Nun fahren wir also dahin. Das Wetter hält sich gut. Gemäss
der Prognose von Sri Lanka soll der Wind später auf Nord drehen,
was ideal wäre. Ruth wird immer hübscher. Ihre grünen Augen
heben sich vom braunen Teint ihres Gesichtes ab, und die
Sonnenstrahlen lassen ihr Haar zusehends blonder werden. Wie
schön ist es doch, mit einer Frau unterwegs zu sein! Es macht mir
auch nichts aus, meine Gefährtin zu bekochen. Sie ist vorerst
noch zu wenig seefest, um in der Pantry des bockenden Bootes zu
stehen. Ich verwöhne sie mit Bratkartoffeln und würzigem
Beinschinken, den wir bei den Phuket Meat Importers gekauft
haben. Rösti gibt es oft auch zum Frühstück, mit zwei Spiegeleiern
angerichtet. Oder ich koche wieder einmal meine Hörnli,
überstreut mit angeröstetem Paniermehl und dazu Apfelmus.
Über Mittag mache ich meistens einen Salat. Die Kabisköpfe
haben wir in Zeitungspapier eingewickelt, das wir regelmässig
befeuchten, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen. Was das Segeln
betrifft, lernt Ruth schnell. Jedenfalls schlafe ich während ihren
Wachen gut. Im letzten Winter hat Otto Hollborn den neuesten
«Upgrade» in die Drivebox des Tecnautic-Autopiloten eingebaut.
Das Gerät soll jetzt, was den Seegang betrifft, lernfähig sein. Zu
kämpfen habe ich mit anderen technischen Problemen. Ein
Schwappen unter den Bodenbrettern lässt darauf schliessen, dass
wir Wasser machen – darauf bin ich besonders allergisch! Ich finde
heraus, dass die Wellendichtung ein bisschen tropft. Dieser
Schaden ist rasch behoben. Eine Schlauchbride hatte sich gelöst,
und die Dichtungsmanschette war verschoben. Aber noch immer
dringt Seewasser herein. Endlich finde ich die Ursache: Sobald ich
132
den Motor benütze, tropft es bei der Impellerpumpe. Dort scheint
der Simmerring ausgeleiert zu sein. Ich habe keinen Ersatz dabei,
also bleibt mir nichts anderes, als von Zeit zu Zeit die Bilge leer zu
pumpen.
Wir sind schon fünf Tage auf See, als sich das Wetter verdüstert. Wo bleibt das im «Indian Cruising Guide» so schön
beschriebene Segeln? Dort steht geschrieben: «During the
northeast monsoon, you will make a very pleasant passage with
wind force 4–5.» Die stockdunkle Nacht wird von zuckenden
Blitzen erhellt, und schlagartig verstärkt sich der Wind auf
8 Beaufort. Wenn Ruth im Cockpit sitzt und mich weckt, laufen
schlaftrunken meine automatisierten Handlungen ab: Genua
komplett einrollen, das Grossfall auf die rotblaue Marke für Reff 2
fieren, sofort die Reffleine über die Selbsthole-Winsch dicht
nehmen – fertig. Zum Glück kann auf meinem Boot alles vom
Cockpit aus bedient werden. Es hat sich auch bewährt, dass wir die
Sturmfock am Kutterstag immer gesetzt haben. Ist der Wind unter
20 Knoten, so lasse ich die Genua raus. Der Regen prasselt herunter, und wir suchen Schutz unter dem Spritzverdeck. Die See
wird konfus und geradezu unheimlich. Ich bin das gewohnt, aber
für Ruth ist es der erste Segeltrip. «Wird das Boot halten?» fragt sie
besorgt. «Natürlich», beruhige ich sie. «Es wurde in Dänemark von
einer guten Firma gebaut, zudem ist es aus Stahl – es hält
bestimmt!» Ansonsten reagiert sie cool auf diesen ziemlich hart
gewordenen Ritt über den Golf von Bengalen. Sie findet es
abenteuerlich und ist immer gut gelaunt.
Das schlechte Wetter kann ich mir nur so erklären, dass sich die
tropische Konvergenzzone (Luftmassengrenze zwischen den Wolkenformationen der nördlichen und der südlichen Hemisphäre)
nach Norden über den Äquator geschlichen hat. Vielleicht vollzieht
sich der Wechsel auf Südwestmonsun früher als vorgesehen. In
einem normalen Jahr geschieht dies im Mai. Erst am 25. März hellt
es wieder auf. Die Sonne lächelt vom Himmel. Wir sind schon eine
Woche auf See. Es ist aber noch nicht ausgestanden. Bedrohliche
133
Wolkentürme erheben sich gegen Abend erneut in den Himmel.
Noch dreimal erwischt es uns. Blöderweise immer dann, wenn ich
gerade am Schlafen bin! Wenn die Böen nachts einfallen, habe ich
Angst. Angst davor, dass uns bei der schlechten Sicht ein Frachter
nicht bemerkt. Wie froh wäre ich bei diesen Verhältnissen, wenn
mein Radar funktionieren würde. Wir halten Ausschau, so gut es
eben geht. Zum Glück ist ein neuer Tag angebrochen, als der Windmesser auf 50 Knoten springt! Rasch streife ich die Schwimmweste
über und klinke mich in die Sicherheitsleine ein, die vom Heck zum
Bug läuft. So rasch wie möglich bergen wir das Grosstuch und laufen nur unter Sturmfock vor dem schweren Sturm ab, obwohl mich
jeder Meter der verschenkten Höhe reut. Sofort lässt das Knallen
beim Einsetzen in die Wellen nach. Wir beschleunigen auf 7 bis
8 Knoten Fahrt, womit uns die Wellen von achtern nichts mehr
anhaben können. Nach einer Stunde lässt der Wind nach. Einmal
mehr bin ich froh, ein starkes Boot zu haben.
Es ist nervenaufreibend: Wir kreuzen schon den neunten Tag!
Bücher fliegen aus den Regalen, alles scheppert und kleppert. Ruth
nimmt es erstaunlich gelassen. Brav schiebt sie ihre Wachen und
zeigt auch keine Anzeichen von Angst. Ich bin froh, sie dabei zu
haben! Wir sind ein gutes Team. Da unser Ziel Addu genau im
Wind liegt, entschliessen wir uns, Galle in Sri Lanka anzulaufen.
Diese Hafenstadt können wir gerade anliegen. Es sind noch 380
Meilen. An den folgenden Tagen und Nächten ändert sich nichts.
Es bläst stetig aus 240 Grad mit 20 bis 25 Knoten. Langsam, langsam verkleinert sich aber die Distanz. Auch das Wetter wird besser.
Manchmal begleiten uns Delfine, springen übermütig aus dem
Wasser und tauchen elegant wieder ein. Ihre Rümpfe glänzen
dunkel bis fast schwarz.
Noch 150 Meilen liegen vor uns bis Galle, als ich Peter Kägi auf
der «Blue Shadow» über Kurzwelle erreiche. Er ist mit Jenny und
ihrem mittlerweile zwei Jahre alt gewordenen Jules schon in
Chagos angekommen, das 285 Meilen südlich von Addu liegt. Wir
können uns gut verstehen. Er versorgt mich mit den letzten
134
Informationen über Galle und gibt auch eine Bierbestellung bei
mir auf. Ich solle auch Bananen und eine Salbe für Jules mitbringen. Ich freue mich auf das Wiedersehen. Schon seit einigen
Jahren treffen wir uns nach oft tausenden von Seemeilen immer
wieder. Bis Galle sind es noch 100 Meilen, als wir uns der Küste
nähern. Vor uns tauchen Fischerboote auf, und eines nähert sich
uns. Piraten? Nein, die Fischer lachen und gestikulieren – sie
wollen offensichtlich Fische gegen Zigaretten und Bier eintauschen. Und das bei 6 Beaufort und einem fürchterlichen
Seegang. Ich winke sie näher heran und werfe ein paar Büchsen
Bier und Colas rüber.
«It’s a nightmare!» ruft Ruth aus, als ich sie am 30. März nachts
um 22 Uhr von ihrer Wache ablöse. All die Schiffe, ein Albtraum!
Draussen bewegt sich eine Kette von Frachtern, während in
Küstennähe eine Unmenge spärlich beleuchteter Fischerboote
herumtummeln. Die letzten 50 Meilen «motoren» wir mit fünf
Meilen Abstand zur Küste. Ein Leuchtfeuer blinkt, die Nacht ist
klar, das Land können wir riechen! Die zerzauste Thaiflagge
tausche ich gegen die gelbe Q-Flagge aus, die anzeigt, dass wir
einklarieren möchten. Glücksgefühle durchströmen uns. Nach
genau 14 Tagen des ständigen Gegenanbolzens gehen wir im
Aussenhafen von Galle vor Anker. Die Navy muss uns die Erlaubnis geben, bevor wir im Innenhafen festmachen dürfen. In
Sri Lanka herrscht noch immer Bürgerkrieg. Deshalb will man hier
wissen, was für Boote reinkommen. Nach einer Stunde des
Wartens taucht eine Barkasse auf. Drei Männer kommen an Bord.
Sie sind freundlich, durchsuchen ein paar Schränke, wollen aber
auch unsere Bar sehen. Eine Flasche Thai-Whisky und drei
Päckchen Zigaretten wechseln den Besitzer. Was soll’s – ich war
schon von Peter darauf vorbereitet worden.
Endlich im Innenhafen angekommen, machen wir mit dem
Bug an einer Boje fest, die Heckleinen befestigen wir am schwankenden Schwimmsteg. Drei weitere Yachten sind hier. Das Einund Ausklarieren wird durch einen Agenten, Don Windsors,
135
besorgt. Es kostet 170 Dollar. Das scheint viel, beinhaltet aber
auch den Liegeplatz für einen Monat. Vorerst freuen wir uns
darauf, wieder einmal richtig ausschlafen zu können und Sri
Lanka und seine Bewohner kennen zu lernen.
«Viele können sich nicht vorstellen, wochenlang nichts als Wasser zu
sehen, ohne dass es einem dabei langweilig wird. Was sind das für
Trottel! Das Meer ist nie langweilig. Nie. Und vor allem auch nie eintönig.
Oder wie es John von Düffel ausdrückt: ‹Es sind die Verwandlungen des
Wassers selbst, das jeden Tag anders ist, gnädig und grausam,
geschmeidig und zäh, steil manchmal wie ein Berg aus Dunkelheit und
Schwere, aber dann wieder durchlässig und belebend wie das Licht. Das
Wasser wechselt unaufhörlich sein Gesicht, 365 Tage im Jahr. Es ist nie
das, was man denkt, und nie so, wie man es erwartet.› Genau so, wie
der Autor und Dramaturg, erlebe ich diese vermeintliche Wüste: Mal lullt
das Meer einen verführerisch plätschernd ein, mal zeigt es seine Krallen,
mal droht es mit seiner unbändigen Kraft.»
136
Haie und nochmals Haie!
Galle
Addu
Salomoninseln
n der Hafenstadt Galle im Süden Sri Lankas ist alles auf den Beinen. Kurz vor dem singhalesischen Neujahrsfest ist das auch
nicht weiter verwunderlich. Die Frauen sind schön, gross,
schlank und wirken zurückhaltend auf mich. Viele tragen farbenfrohe Saris. Sonnenschirme schützen vor der brütenden Tropensonne. Die Männer gefallen mir weniger. Jeder will etwas! Wohin
gehst du? Woher kommst du? Ich weiss einen guten Schneider! Da
es wenig Touristen hat, sind wir willkommene Opfer. Ist Ruth alleine unterwegs, wird sie oft angequatscht. Nicht mal auf unserem
Boot hat sie Ruhe. Natürlich ist sie auch eine Augenweide für die
Matrosen der Schlepper-Boote, wenn sie sich nur mit einem Bikini
bekleidet an Deck bewegt. Die Nächte werden von Zeit zu Zeit
durch Detonationen erschüttert. Die Navy schmeisst kleine
Sprengladungen in die Hafeneinfahrt, um allenfalls unter Wasser
eindringende Tamil Tigers abzuschrecken! Nach ein paar Nächten
haben wir uns auch daran gewöhnt.
Der früher Ceylon genannte Inselstaat heisst seit 1972
Sri Lanka. Dreiviertel der 18 Millionen Einwohner sind Singhalesen und Buddhisten. Die hinduistischen Tamilen leben vorwiegend im Norden und Osten. In den siebziger Jahren gründete
diese Minderheit die «Liberation Tigers of Tamil Eelam». Diese
möchte einen eigenen Staat im Norden. Seither herrscht Bürgerkrieg mit verheerenden Folgen. Nur die Ausfuhr von Tee und
günstigen Textilien hält die Wirtschaft am Leben. Die 1994
gewählte Premierministerin Chandrika Bandaranike Kumaratunga versucht, endlich eine Versöhnung zustande zu bringen.
Vorerst machen wir einen Ausflug nach Colombo. Wir benützen
I
137
einen öffentlichen Bus entlang der romantischen Westküste und
sind in drei Stunden in der Hauptstadt. In jeder Strasse scheint
Jahrmarkt zu sein, wo sich die Menschen vor den Ständen stauen.
Nach dem vielen Wasser geniessen wir die quirlige Atmosphäre.
Ruhe finden wir am nahen Meer, wo sich Hotelkästen und
Geschäftsbauten den Platz streitig machen. Ich war schon in den
siebziger Jahren hier, als wir Colombo mit DC-8 anflogen und hier
Wir dürfen 30 Tage in Sri Lanka bleiben
138
fünf Tage frei hatten. Oft werden wir an Militärposten angehalten
und ausgefragt. Für die Rückfahrt nach Galle wählen wir die
Eisenbahn, 2. Klasse. Das Ticket kostet nur gerade 64.50 Rupien,
ungefähr ein Franken dreissig. In einem überfüllten Wagen rattern
wir quietschend und rumpelnd nach Süden. Die Mitreisenden
wollen wissen, ob uns Sri Lanka gefällt. Als wir bejahen, geht ein
Strahlen über ihre Gesichter.
Inzwischen ist die Schweizer Yacht «Chivas» mit Barbara und
Picco eingetroffen. Sie hatten eine stürmische Überfahrt. Ihre
Genua hängt in Fetzen herunter. Nachdem sogar der Ruderquadrant brach, war Picco gezwungen, eine Notpinne zu
installieren. Zur Übertragung der Kräfte benutzte er Tampen, die
er auf einen am Steuerrad befestigten alten Autopneu führte. Es
funktionierte! Die beiden Schweizer offerieren uns ein
Chäsefondue mit allen Schikanen. Dazu kredenzen sie Weisswein
und kalten Kirsch. Das sei ein Luxusliner, meint Wolfgang, ein
Deutscher aus Hamburg, dessen «Little Do» gleich nebenan liegt
und der auch eingeladen ist. Das
finden wir auch. Der 14 Meter
lange Vagabond 52 ist ein als
Ketsch getakelter Clipper. Barbara und Picco holten das in Taiwan entstandene Boot dort ab
und segelten damit kreuz und
quer durch den Fernen Osten.
Das Innere des Bootes ist sehr
geräumig und sogar mit einem
Perserteppich belegt. Ein gediePiccoʼs Visitenkarte
genes Heim. Allerdings muss der
Generator bis acht Stunden am
Tag laufen, damit die Tiefkühltruhe und der Kühlschrank die richtige Temperatur halten können. Im Gegensatz zu meinen 200 Litern Diesel, die ich hier bunkere, sind es auf der «Chivas» viermal
mehr. Plötzlich taucht noch eine dritte Schweizer Yacht auf: die
139
«Shipibo». Dieses Boot befindet sich schon auf der zweiten Erdumrundung. Es ist mir von der Südsee her bestens vertraut. Zuerst
diente es Fréderique und Vincent Falcy und ihren beiden Kindern
Joslain und Manou als Heim, jetzt Steve Rutishauser und Laurent
Gonthier aus Lausanne. Jean Christoph ist als Gast an Bord. Sie
wollen durch das Rote Meer zurück nach Europa segeln, erklären
sie. Sie müssten wieder arbeiten gehen. Das Alpenland Schweiz ist
auf allen Weltmeeren wahrlich gut vertreten!
Um zumindest einen Eindruck von der reichen Kultur dieses
Landes zu bekommen, machen wir uns in einem Kleinbus mit
Dilip als Fahrer auf den Weg. Der fröhliche Singhalese fährt sein
Auto virtuos. Wir folgen zuerst der Küste und fahren dann
Richtung Nordosten über Kurunegala nach Dambulla. Wegweiser
und Strassenschilder gibt es keine. Im Verkehr, das erfahren wir
schnell, gilt hier das Recht des Stärkeren – und des Überholenden.
Kommt uns ein Lastwagen auf unserer Strassenseite entgegen,
sucht Dilip links eine Lücke zu finden oder geht brutal auf die
Bremse bis der «Gegner» wieder eingespurt hat. Es gebe wenig
Unfälle hier, meint er treuherzig. Busse, dreiräderige Tuk-Tuks,
Ochsenkarren, Velofahrer und Fussgänger behaupten ihren Platz
im Verkehr. Die Strassenbeläge wechseln zwischen gut bis
löcherig. Uns erwischt es bei einer behelfsmässigen Geschwindigkeitskontrolle auf einer der wenigen geraden Strecken. Ein
lachender Polizist schwenkt triumphierend seine Radarpistole: Sie
zeigt 81 anstatt der allgemein erlaubten 75 Kilometer pro Stunde
an. Im nächsten Postamt hat Dilip eine Busse von 200 Rupien
einzuzahlen, bevor wir weiterfahren dürfen. In Dambulla finden
wir ein gutes Nachtquartier im Resthouse «Gimanhala».
Früh am Morgen erklimmen wir auf einem steilen, stufenreichen Weg in Sigirya die 600 Meter hohe Felsenfestung in zwei
Stunden. Ruth hat eine Magenverstimmung und ist um jede Pause
dankbar. Auf diesem Felsen lebte vor 1500 Jahren der König
Kasyapa. Er baute sich einen Palast, von Gärten, Zisternen und
einem Schwimmbad umrahmt, und soll 500 Frauen(!) gehabt
140
haben. Beim Aufstieg an der Westseite kommen wir auch an den
berühmten «Wolkenmädchen» vorbei: Fresken, die seine barbusigen Gespielinnen zeigen. Nur 19 dieser Porträts sind übrig
geblieben. Die meisten sind von Mönchen zerstört worden, denen
die freizügigen Darstellungen ein Dorn im Auge waren. Beim Pool
machen wir uns auf der für den König reservierten Bank
gemütlich und versuchen uns vorzustellen, wie es damals war. Die
Aussicht ist gewaltig. Bewaldete Hügel, so weit das Auge reicht.
Wir befinden uns in einer geschichtsträchtigen Gegend mit
Tempeln auf alle Seiten.
In einer guten Stunde erreichen wir die königliche Residenzstadt Kandy. Mitten in der Stadt liegt ein künstlicher See, an dessen
Ufer der berühmte Zahntempel steht. Der linke, obere Eckzahn
Buddhas wird dort aufbewahrt. Im Juli oder August findet das
zehntägige Perahera-Fest zu Ehren dieses Zahnes statt. In der Prozession bewegen sich über achtzig kunstvoll geschmückte Elefanten neben Fackelträgern, Musikanten, Trommlern und Tänzern.
Der botanische Garten im Westen der Stadt ist riesig und beeindruckend durch seine Vielfalt. In einem Restaurant schaut Dilip
die Karte nicht an und bestellt wie immer Chicken-Curry mit Reis
und verschiedenen Zutaten, das Nationalgericht Sri Lankas. Es
schmeckt ausgezeichnet und ist schweisstreibend scharf. Anschliessend beginnt eine haarsträubende Fahrt zurück nach Galle.
Zum Glück kommen wir wieder heil in der Hafenstadt an.
Lange wollen wir uns hier nicht aufhalten und machen uns
bereit für die Weiterreise zum Addu-Atoll, dem südlichsten Atoll
der Malediven. Ich finde sogar einen neuen Simmerring für die
Impellerpumpe des Bukhmotors. Ruth kauft sich einen blauen
Sari und sieht darin umwerfend aus. Beim Mike-Yachtservice
stocken wir auch unsere Vorräte auf. Am 11. April lösen wir die
Leinen und verlassen Galle Harbour, nachdem ein Gewitter
durchgezogen ist, zu unserem 585-Meilen-Törn. Tagsüber scheint
die Sonne, kleine Kumuluswolken überziehen den Himmel,
nachts weist uns das Kreuz des Südens den Weg, diese mir aus
141
meiner Südseezeit lieb gewordene Sternenformation. Der Mond
liegt auf dem Rücken, wie wenn er sich zum Schlafen hinlegen
möchte. Nur selten öffnet der Himmel seine Schleusen zu einem
Regenschauer. In der Nacht zum Karfreitag finde ich Ruth bei der
Wachablösung um zehn Uhr allerdings platschnass vor. «Plötzlich
begann es wie aus Kübeln zu giessen. Ich hatte keine Zeit mehr,
das Verdeck hochzuziehen – der Wind nahm rasant zu, und das
Eindrehen der Genua in den starken Böen war wichtiger!» rapportiert sie. Ich schlief tief und wachte nicht einmal auf. Ich finde es
schön, dass bei Ruth die Sicherheit unseres Bootes vor den eigenen
Bedürfnissen kommt. Wie früher bei der Kavallerie: zuerst das
Pferd, dann der Reiter! Inzwischen bedient sie die «Hasta Mañana»
selbständig, halt so, wie ein guter Erster Offizier.
Weil die Norweger die Eier am
Ostersamstag suchen, passe ich
mich dem an. Früh am Morgen,
Ruth schläft noch, koche ich ein
paar Eier und bemale sie mit Filzschreibern: mit Strandmotiven,
mit Segelboot natürlich, «Happy
Easter» und mit Blumenmotiven.
Ruth freut sich darüber und verspeist die Eier genüsslich zum
Frühstück.
Wir geniessen das
Ostern an Bord
warme Wetter und schütten uns
von Zeit zu Zeit einen Kübel Seewasser über Kopf und Körper. Die
Abkühlung ist mässig, denn das Wasser hat 30 Grad, wie ich am
Tecnautic-Instrument ablesen kann. Der Nachrichtensprecher
von Swiss Radio International verkündet, dass die Schweiz von
einem Wintereinbruch heimgesucht wird – und das Mitte April.
Wieviel besser haben es wir! Wir nähern uns dem Äquator auf
74° Ost. Vorsorglich stelle ich eine Flasche Sekt in den
Kühlschrank und überlege mir, womit ich Ruth bei der Äquatortaufe am meisten überraschen könnte. Plötzlich spielt das
142
sprechende Echolot verrückt: «Two point 3 meters!» Gleichzeitig
macht Ruth ein paar Delfine aus, die unser Schiff nun stilgerecht
über den Äquator geleiten. Natürlich ein Grund zum Feiern. Als
Neptun verkleidet, mit Netz und Bootshaken bewaffnet, lasse ich
zuerst einmal den Korken des Sektes knallen: ein Spritzer für
Neptun und ein Sprutz für Ruth. Sie lässt es sich nicht nehmen,
auf dem Breitengrad 0 ein Bad zu nehmen, nachdem ich das Boot
in den Wind gesteuert und mit flatternden Segeln zum Stillstand
gebracht habe.
Die letzte Nacht vor dem Landfall hat es einmal mehr in sich.
Blitze zucken vom Himmel, und immer wieder prasselt Regen
herunter, begleitet von Windböen. Wir haben aber Glück. Kurz
vor dem Wasserpass ins Addu-Atoll blinzelt die Sonne durch die
dunklen Wolken. Vor Gan, dort wo
auch der ehemalige RAF- Flughafen
und das einzige Hotel dieses Atolls liegen, gehen wir in der Nähe des Causeway – eines aufgeschütteten Dammes –
vor Anker. Am frühen Nachmittag
machen wir ein weiteres anlaufendes
Boot aus. Es sind Barbara und Picco,
die auch nach diesem Trip eine
beschädigte Genua beklagen. Es dauert
24 Stunden, bis fünf Beamte zusammengetrommelt sind, um für das Einklarieren zu uns an Bord zu kommen.
Sie sind sehr fröhlich gestimmt. Wir
Barbara und Picco mit der
zahlen nur 5 Dollar für zwei Wochen
«Chivas» vor Addu
Aufenthalt, anschliessend kostet es
aber gleichviel pro Tag. Schnell stellen wir aber fest, dass dies fast
das einzig Billige hier ist. Die Malediven sind ein teures Pflaster.
Ausser in der Hauptstadt Malé kann kein Bargeld mit Kreditkarte
bezogen werden. Dann taucht ein weiteres Schweizer Boot auf: die
«Eldorado», eine Nauticat 40, mit Ludwig Drapalik und seinem
143
Schwager Fredy an Bord. Die beiden verfolgte etwas Pech in letzter Zeit. Auf dem halben Weg zwischen Malé und den Seychellen
hatte Fredys Tochter einen Unfall: Ihr rechter Zeigefinger wurde
fast abgeklemmt, und es sah böse aus. Darauf kehrten sie um. Als
Funkamateur war Ludwig noch in Verbindung mit Malé und
konnte dort ein Wasserflugzeug bestellen, das neben seinem Boot
landete und die Verletzte barg. Darauf flog sie in die Schweiz, wo
ihr Finger zum Glück gerettet werden konnte. Die restliche Crew
erreichte nach ein paar Tagen Malé. Ludwigs Frau Lotti war schon
vorher für ein Timeout in die Schweiz geflogen und liess damit einen einsamen Skipper an Bord zurück. Beim zweiten Versuch,
nach den Seychellen zu kommen, beutelte die «Eldorado»
schlechtes Wetter und Gegenwind. Das zwang Ludwig, in Addu
auf bessere Verhältnisse zu warten.
Die Malediven bestehen aus über tausend Inseln. Teilweise
sind sie unbewohnt, aber viele werden zubetoniert und mit
luxuriösen Hotelkomplexen verschandelt. Der Tourismus füllt
wohl die Kassen, aber was sind die langfristigen Folgen für die
Umwelt? Nur 230 000 Menschen leben in diesem Inselstaat,
Addu auf den Malediven: Nur fünf Dollar Gebühren für die ersten zwei Wochen
144
60 000 davon in der Hauptstadt. Als einzige Religion ist der
sunnitische Islam zugelassen. Das heisst auch, dass es keinen
Alkohol gibt und dass die Gläubigen fünfmal am Tag mit
Lautsprechern zum Gebet aufgerufen werden. Wir begegnen hier
nur freundlich lächelnden Menschen, für einen Nordeuropäer
schon fast unnatürlich. Die Atolle mit schneeweissem Sand und
sich im Wind wiegenden Palmen, wie sie unseren Vorstellungen
von Paradiesen entsprechen, erstrecken sich von etwas südlich
vom Äquator bis auf über 7° Nord, also über 800 Kilometer.
Nahrung bietet das Meer in Hülle und Fülle. Abgestorbene Korallen werden zerkleinert und zum Betonieren verwendet, Bauholz
liefern die Palmen. Hier ist – oder wäre – ein naturverbundenes
Leben noch möglich.
In Addu wollen wir die Diesel- und Wassertanks auffüllen,
Frischgemüse kaufen und nur ein paar Tage bleiben auf unserem
Weg nach Chagos, das 285 Meilen im Süden liegt. Im Hotel
machen wir die Bekanntschaft Danis, eines Tauchlehrers aus der
Schweiz. Zwei Tage später führt er uns am Innenriff entlang. In
zehn Meter Tiefe stossen wir auf einen Hai. Er nimmt kaum
Kenntnis von uns und gleitet elegant davon. Auf unserem
Unterwasserbummel begegnen wir weiteren Haien, Mantas,
Wasserschildkröten und grossen Schwärmen von exotischen
Rupien, das Zahlungsmittel der Malediven
145
Tropenfischen. Die Korallen erscheinen mir blasser, als ich sie von
meinem letzen Besuch hier vor über zehn Jahren in Erinnerung
habe. Folgen der Wassererwärmung? Ruth macht noch einen
weiteren Tauchgang zu einem gesunkenen britischen Schiff.
Muhamad Saeed, ein junger Händler, liefert Diesel in Plastikkannen und Frischgemüse. Erstaunlicherweise muss alles aus Sri
Lanka importiert werden. Hier wachsen nur Bananen und andere
Früchte. Saeed will einen Yachtservice aufziehen und ist dankbar
für einige gute Tipps.
Hier, weit abseits von den Brennpunkten der Welt, erreicht
mich die Nachricht vom Finanzdesaster der SAirGroup. Ebenso
höre ich, wie die Marathon-Generalversammlung vom 25. April
verlief. Ich bin froh, dass meine ehemalige Arbeitgeberin zu ihrem
alten Namen – Swissair Group – zurückkehren will. Über zwei
Milliarden Franken wurden in den Sand gesetzt, nachdem noch
ein halbes Jahr zuvor von 200 Millionen Gewinn die Rede
gewesen war! Zum Glück scheint der neue Verwaltungsratspräsident, Dr. Mario Corti, fähig und willens zu sein, den ins
Trudeln geratenen Konzern aufzufangen und wieder auf einen
Erfolg versprechenden Kurs zu führen. Ich bin optimistisch,
ergreife die Gelegenheit und kaufe über das Internet ein paar der
sehr günstig gewordenen Aktien.
Es ist keine Fata Morgana, als wir nach einer angenehmen
Überfahrt von drei Tagen die Salomoninseln des Chagos-Archipels
am Horizont erkennen können. Sie erheben sich nur wenige
Meter über die Wasseroberfläche und sind dicht mit Palmen
bewachsen. Wir sind gespannt. Finden wir hier tatsächlich das so
oft beschriebene letzte Seglerparadies, das unbewohnt und reich
an Fischgründen sein soll? Offenbar sind wir nicht die Einzigen,
welche die Neugier hieher getrieben hat. Im Schutze der Insel
Takamaka zähle ich 16 Boote, die bei der Sandbank vor Anker
liegen. Vorerst machen wir uns einen ruhigen Tag, geniessen das
klare Wasser für einen kleinen Schnorchelausflug und sind
glücklich, überhaupt hier zu sein. Die Lagune schimmert je nach
146
Wassertiefe in über Türkis, Hell- bis Dunkelblau wechselnden
Farben. Morgen soll es zu einem Treffen mit «JJP» (Jenny, Jules,
Peter) kommen, die etwa drei Meilen entfernt vor der Insel
Boddam liegen.
Die Überfahrt wagen wir erst, als die Sonne hoch steht und wir
sicher sind, dass wir den zahlreichen «Bombies», so nennt man
hier die Korallenstöcke, ausweichen können. Ruth steht auf dem
Vorschiff und hält Ausschau. Schon bald kann ich die «Blue
Shadow» erkennen. Peter ist uns behilflich bei der Suche nach
einem günstigen Ankerplatz, während Jenny sogar zehn Meter
hinuntertaucht, um am Anker eine Leine anzubringen, die wir
dann an einer kleinen Boje befestigen. So wissen wir immer
genau, wo der Anker liegt, sollte er mal «slippen». Dazu bringen
wir einen zweiten Anker aus – doppelt genäht hält besser! Mich
freut es, die junge Familie hier erneut zu treffen. Ich übergebe ihr
die bestellten Bierkartons, Zwiebeln, Bananen, Zucker und Benzin
fürs Dinghy. Den Zucker braucht Peter, um «Home Brew» zuzubereiten, ein selbst gemachtes alkoholisches Getränk. Gekühlt
schmeckt es ähnlich wie Most und enthält etwa 8 Prozent Alkohol. Der inzwischen zwei Jahre alte Jules spricht die ersten
deutschen und englischen Worte. Am Abend wollen wir einen Hai
und einen Zackenbarsch, die Peter gefangen hat, auf einer
Feuerstelle an Land grillieren. Vor dem Landgang geht der Griff
automatisch zum Portemonnaie, aber das kann ich mir hier
abgewöhnen. Hier gibt es keine einzige Möglichkeit, um Geld
auszugeben! Weitere 26 Boote sind hier vor Anker. Am Abend
versammeln sich viele der Segler zu gemeinsamen Aktivitäten,
zum Beispiel einem Volleyballspiel im Schatten der Palmen. Claire
und Humphrey, ein Paar aus Brisbane, haben bereits ein Feuer
unter dem Grill entfacht. Sie kommen mit ihrer «Brumby» oft
nach Chagos. Deshalb ist Humphrey so etwas wie der Dorfhäuptling. Er hat sogar eine Motorsäge dabei, um Brennholz zu schneiden, sorgt auch dafür, dass die Abfälle verbrannt und Alu- und
sonstige Dosen mit einem Hammer flachgeschlagen und im dafür
147
vorgesehenen Kübel deponiert werden. Nach Gebrauch sind
behelfsmässige Stühle und Liegen in einem Schuppen unterzustellen. In dieser kleinen Gemeinschaft ist es wichtig, dass etwas
Ordnung herrscht. An unserem ersten Abend knüpfen wir
Kontakte zu Seglern aus aller Welt: Kathy und Richard von der
«Mr Curly», Ruth und Peter von der «Orphee» und Daphne und
Martin von der «Naima» aus Australien, Ainina und Ron von der
«Tigger» aus Kanada, Uta und Rolf von der «Mariposa» aus
Deutschland, Céline und Toni von der «Oé» und Muriel und
Johan von der «Bubble Hull» aus Frankreich, Elsa und Skip von der
«Scoots» und Paula und Rick von der «Leviathan» aus den USA,
um nur ein paar zu nennen. Bei diesen Anlässen bringt jeder etwas
zum Essen mit, womit dann ein Buffet entsteht. Wir nennen das
ein «Pot luck dinner». Die Haisteaks schmecken sensationell.
Der Chagos-Archipel ist Britisch Indian Ocean Territory. Die
Segler sind im unbewohnten nördlichen Teil geduldet. Diego
Garcia im Süden ist an die U.S. Navy vermietet, die dort einen
Stützpunkt unterhält. Yachten haben dort höchstens in einem
Notfall Zugang. Die Briten kommen von Zeit zu Zeit mit einem
Boot vorbei und verlangen achtzig Dollar Liegegebühr für drei
Monate, knallen einen Stempel in den Pass und entsorgen den
Abfall. Sie wollen, dass keine permanenten Anlagen entstehen
und dass möglichst alles so belassen wird, wie es ist. Bei einem
Spaziergang begegne ich an der Wasserstelle einigen Frauen beim
Waschen. Trinkwasser wird vom Dach einer halb verfallenen
Hütte aufgefangen und in zwei alte, rostige Tanks geleitet. Ich
entdecke auch die Überbleibsel einer vor dreissig Jahren aufgegebenen Kokosplantage und einen gut erhaltenen Friedhof.
Leider kann ich auf den einfachen Grabmalen keine Inschriften
erkennen. Am Abend haben wir einen herrlichen Ausblick auf die
Honeymoon-Insel, ein kleines, rundes Eiland mit ein paar Palmen
drauf. Wie aus dem Bilderbuch! Nach den Wochen zusammen mit
einem alten Knacker gefällt es Ruth auch, hier einmal jüngere
Segler anzutreffen!
148
Peter bringt mir nahe, wie man hier fischt. Tauchen mit
Flaschen oder Harpunieren sind verboten. Es gibt verschiedene
Möglichkeiten: Entweder vom Boot aus mit einem Köder – Hörnli
eignen sich gut –, oder man saust mit einer Schleppangel am Heck
des Dinghys über den Wasserpass. Die zweite Methode braucht
viel des raren Benzins. Wir wählen die anstrengendste Art. Wir
paddeln mit Peters Dinghy bei Hochwasser zur Aussenkante des
Riffs und gehen dort vor Anker. Die starken, mit einem Stahlvorfach versehenen Angelhaken bestücken wir mit Resten der
früher gefangenen Fische. Um zu sehen, was unter uns abgeht,
neigen wir uns über den Gummibootsrand und können durch die
Taucherbrille erkennen, dass unsere Köder von kleinen Fischen
angeknabbert werden – aber auch, dass ein Hai in Lauerstellung
herumkurvt. «Zieh den Köder etwas in die Höhe, sobald ein Hai zu
nahe kommt!» instruiert mich Peter. Das Ganze ist recht
spannend und weckt den Jagdtrieb. Endlich können wir ein paar
Red Snappers in der richtigen Grösse ausmachen. Einen solchen
hat Ruth fürs nächste Fest zu Ehren des «Cinco Mayo», des
mexikanischen Unabhängigkeitstages, bestellt. Jetzt sind aber
schon drei Haie zur Stelle und stören unsere Versuche. Langsam
haben wir genug. Ich hocke auf dem Rand des Bootes und hole
meine Leine ein. Da, ein starker Zug – «Zieh, zieh!» schreit Peter.
«Schau, was es ist!» schreie ich zurück. Zu spät, der Fisch hat sich
losgerissen. Zerknirscht müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
meine wohl zu schwache Leine gebrochen ist. Heute ist offensichtlich nicht unser Tag: Wir kehren ohne Beute zurück. Ich habe
mir hier das Fischen einfacher vorgestellt. Bis jetzt kam ich relativ
problemlos zu Fängen mit meiner Schleppangel am Heck der
«Hasta Mañana».
Am nächsten Tag gehen wir erneut auf Jagd nach Beute und
lassen uns über das Riff treiben. Blitzartig schnappt ein Grouper
meinen Köder. Das Hochziehen muss schnell gehen. Trotzdem
schafft es ein kleiner Hai, «meinem» Fisch eine Wunde zu verpassen, bevor ich ihn an Bord hieven kann. Peter greift dem
149
schlüpfrigen Fisch mit Daumen und Zeigefinger in die Augen –
eine zwar brutale, aber die einzige Art, um ihn halten zu können
– und verstaut ihn in einem Sack. Wir fangen noch einen weiteren
Grouper und fahren dann zurück zum alten Steg. Dort steht ein
Tisch zum Ausnehmen der Fische. Sorgfältig schneidet Peter vier
Filets aus den zählebigen Fischen, die noch immer die Kiemen
bewegen. Wir werfen die Abfälle vom halb verfallenen Anlegesteg
ins Wasser. Dort unten soll im Schutze einer Höhle eine Muräne
namens «Monty» hausen. Kaum schmeissen wir ein Stück Fisch
ins Wasser, kommt das über ein Meter lange Unikum zum
Vorschein, schnappt sich einen Anteil und zieht sich zurück.
Einige Haie umkreisen die leichte Beute und werden immer
angriffslustiger. «Lass uns einen fangen!» ruft Peter. Gesagt, getan.
Wir werfen den mit einem Köder bestückten Doppelhaken ins
Wasser, und tatsächlich schnappt einer sofort zu. Mit vereinten
Kräften ziehen wir das etwa ein Meter lange Exemplar an Land.
Peter bringt das Tier mit einem Stein zu Tode, schneidet Kopf und
Flossen ab, damit sein Blut ausfliessen kann und verfrachtet es in
unseren Fischsack im Beiboot. Wir verteilen die Beute innerhalb
unserer kleinen Gemeinschaft. Gunter aus Hamburg, der mit
seiner philippinischen Frau Lornie auf der «Zigeunerlady» lebt, ist
erfreut, schenkt uns spontan ein paar starke Angelhaken und lädt
uns zu Tee mit Rum ein. Unsere Steaks landen umgehend in der
Bratpfanne. Mit einer thailändischen «Tom Yam»-Sosse schmeckt
das Fleisch vorzüglich. Noch besser ist es, das Fleisch in einer
Marinade vorzubereiten. Nach diesem ereignisreichen Tag haue
ich mich früh in die Koje, obwohl die Vollmondnacht zum
Ausgehen verführen könnte.
Auf einigen Booten leben auch Kinder. Sie werden in der Regel
von ihren Müttern unterrichtet. Auch Jules, Jennys und Peters
Sprössling, wächst auf ungewöhnliche Art auf. Er ist ein pflegeleichtes Kind, auch wenn er mal bei uns zu Besuch ist. Peter will
uns vor unserer Abreise eine CD mit ausgewählten Fotos brennen,
als Souvenir unserer Zeit in Chagos. Die moderne Technik hat
150
auch auf den Segelbooten Einzug gehalten. Einige können über
SSB sogar E-Mails senden und empfangen. Auch hier gibt es
ständig etwas zu tun, seien es Reparaturen oder – ganz elementar
– die Nahrungsmittelbeschaffung. Auf einem Boot werden sogar
zwei Hühner gehalten, um die Versorgung mit frischen Eiern
sicher zu stellen. Auf einem Vordeck entdecken wir sage und
schreibe eine Hydro-Gemüsekultur. Der Phantasie sind wahrlich
keine Grenzen gesetzt! Kommt ein Manta auf Planktonjagd in die
Nähe, springen wir ins Wasser, um dieses Schauspiel aus nächster
Nähe zu beobachten. Das geschützte Wasser ist auch Jagdrevier
einer Delfinherde, die auf junge Thunfische aus ist. Daneben
tauchen Schildkröten auf, um Luft zu holen. Kurz: ein pralles
Leben in einem tatsächlichen Paradies.
Auf einer weiteren Fischjagd stören uns immer mehr angriffslustige Haie. Einer beisst Peters
Haken samt Stahlvorfach ab. Ein
anderer packt meinen Köder,
womit ich einen dieser Raubfische an der Angel habe. Der Zug
auf die Leine verstärkt sich. Ich
lasse etwas nach, dann hole ich
wieder ein. Schliesslich ziehen
wir den Raubfisch an der Seite
Ein Hai muss dran glauben
unseres Bootes hoch. Er ist etwa
einen Meter lang und schlägt wild um sich. Nur cool bleiben! Wir
müssen ihn möglichst schnell töten. Peter schafft das mit einer
Eisenröhre. Er säbelt seinen Kopf ab, der im Meer versinkt, dann
folgen die Flossen. Auf dem Heimweg fangen wir noch einen
Travelli. Das Fleisch dieses Fisches schneiden wir in Streifen und
hängen es eingesalzen zum Trocknen und später zum Räuchern
auf.
Das Wetter hält sich gut. Es scheint, als habe sich der Südostpassat durchgesetzt. Am 17. Mai feiern wir den norwegischen
Unabhängigkeitstag. Ruth ist aufgekratzt und platzt fast vor
151
152
Freude, als ich die Flagge hervorklaube, die an meinem Boot
flatterte, als ich es 1994 in Oslo abholte. Wir hissen sie an Land
und bereiten den Festplatz vor. Es wird zu einem würdiges Anlass,
bei dem Ruth – zwei kleine Embleme auf die Backen gemalt – mit
einer Flasche Aquavit als Willkommenstrunk die Runde macht.
Dann ist die Zeit gekommen, zurück zur Takamaka-Insel zu
«zügeln», von wo aus wir das Salomon-Atoll leicht verlassen
können.
Castaway/naufragé – Party (Potluck)
Imagine, you are a castaway on this island. Use your fantasy
to dress accordingly. Palm leaves and coconut shells will be available for those who lost everything!
First drink offered by «Blue Shadow»/«Hasta Mañana»
Sunday 27th May, 5 p.m., Takamaka Beach
So sieht die Einladung zu unserem Abschied aus. Die Vorbereitungen sind lustig. Für Ruth
und Jenny basteln wir BHs aus
Kokosnussschalen und Grasröcke. Mir selbst verpasse ich ein
altes Netz, bastle einen Helm und
Gurt aus Blättern. Peter hängt
sich auf Karton gemalte Fische
um die Hüften. Am Abend scharen sich über 20 Yachtcrews um
das Feuer. Wieder einmal heisst es
Abschied nehmen, auch von JJP.
Schiffbrüchigen-Party
Diese wollen die Seychellen
ansteuern, derweil wir das 900 Meilen entfernte Rodrigues anlaufen
möchten.
Am letzten Maitag laufen wir aus. Wir wünschen einander
«bon voyage», und die etwas schnellere «Blue Shadow» zieht
153
davon. Auf unserem Boot bringe ich die Schleppleine aus, versehen mit einem kleinen Tintenfischköder mit Doppelhaken.
Gegen Abend schreit Ruth auf: «We have a fish»! Mit vereinten
Kräften bringen wir ihn ans Heck. Es ist ein Exemplar, das wir
noch nie gesehen haben: bläulich, schlank und über 80 Zentimeter lang. Ein unbekanntes Wesen. Mit dem Fischerhaken greife ich
dem Fisch in die Kiemen, töte ihn mit einem Dachlattenstück und
hieve ihn ins Cockpit. Über VHF erfahren wir von Peter, dass dies
ein Wahoo sei. Wir bieten ihm die Hälfte an. Kaum sind sie auf
«Tuchfühlung» herangekommen, wirft Peter eine Leine rüber und
Ruth befestigt den hinteren Teil des Fisches. «Happy sailing»
wünschen wir noch einmal. Das Jauchzen Jules, der schon über 10
Fischarten kennt, tönt in unseren Ohren, als sich unsere Kurse
trennen.
«Hier ist alles so einfach und konzentriert sich auf das Wesentliche:
unser Sein, das zugleich ein Fortkommen ist.»
154
Inferno in der Wasserw ste
Les Mascareignes
Mauritius
La
RØunion
Mayotte
o bleibt nur der famose Südostpassat? Wie sollen wir die
900 Meilen bis Rodrigues in vernünftiger Zeit schaffen, fragen wir uns, als wir am Atoll Peros Banhos vorbeidriften.
Wir geniessen die sonnigen Tage und lauen Nächte. Ruth wird
nicht müde, sich an Deck zu sonnen, wobei es mein Jöbchen ist,
sie vor dem Sonnenbad einzusalben. Der Hammer kommt in einer
Sonntagnacht.
W
Ruth einzusalben, macht Freude!
Der Wind legt auf 35 Knoten zu. Natürlich sind wir wieder am
Kreuzen. Unmöglich, Rodrigues direkt anzuliegen. Wir rollen die
Genua ein, die Sturmfock ist ohnehin gesetzt, und binden Reff 2
ein. Was uns nicht gefällt, ist die bis zu fünf Meter hohe Dünung,
die ihren Ursprung im Südmeer haben muss, wie ich in Jimmy
Cornells «Segelrouten der Weltmeere» nachlesen kann. Ruth
neckt mich, wenn die Dinge nicht nach Buch ablaufen: «Mother
155
«Mutter Natur hat dein Buch nicht gelesen!»
nature did not read your book!» spottet sie. Am Himmel schweben
Passatwölklein dahin. Elegant erklimmt die «Hasta Mañana»
einen Wellenberg und saust ins nächste Tal hinunter – faszinierend! Mühsam wird jedoch das Kochen. Auch muss ich mich überwinden, die Reparatur der Bilgenpumpen-Verdrahtung in Angriff
zu nehmen. Ich frage Ruth, was sie sich am meisten wünschen
würde, wären wir zurück in der Zivilisation. Sie lechzt nach einer
Ice Cream. Ich wünsche mir sehnlichst eine aktuelle Zeitung.
Nach über sechs Wochen in der Wasserwüste werden unsere
Essensvorräte immer knapper. Ich backe mit dem letzten Mehl ein
Brot. Nachts kann man jetzt im Vollmond fast ohne Licht lesen.
Je südlicher wir vorankommen, desto mehr nimmt der
Seegang zu, und der Wind erreicht Sturmstärke. «Wir müssen es
erdauern!» meint Ruth fatalistisch und ist gelassen. Sauer wird sie
erst, als Salzwasser durch die undichte Luke in ihre Koje tropft.
Tagsüber schaue ich den sich brechenden Wellen und dem
glitzernden grünen Wasser zu. Immer öfter setzt unser Boot unsanft ein, wobei Wasser ins Cockpit zischt. Trotzdem hockt schon
156
mehrere Stunden ein Vogel auf der oberen Saling. Es ist schön,
aber man muss schon etwas abartig veranlagt sein, um diese
Seglerei zu geniessen. Immerhin kommen wir gut voran, doch
Rodrigues müssen wir vergessen. Der Wind hat auf Süden gedreht.
Schonend bereite ich Ruth darauf vor, dass wir ab sofort Mauritius
zum Ziel nehmen und dass es 300 Meilen mehr zu segeln gibt.
Der Wind nimmt weiter auf über 40 Knoten zu. Zum ersten
Mal überhaupt, seit ich mit der «Hasta Mañana» unterwegs bin,
muss ich Reff 3 einbinden. Unser Trip ist zu einer knochenharten
Bewährungsprobe für Boot und Crew geworden! Die See ist
konfus. Wichtig ist es, bei diesen Verhältnissen trotzdem den
Tagesablauf einzuhalten: möglichst gut zu kochen und sich zum
Beispiel eine Dusche zu gönnen. Um das Gleichgewicht zu halten,
sind die Muskeln ständig beansprucht. «It’s a good workout to
keep the balance!» bemerkt Ruth strahlend. Ich stopfe ein Kissen
in den Geschirrschrank, nachdem eine Tasse in Brüche gegangen
ist. Der Windgenerator heult, ein Fall klappert gegen den Mast, die
Wellen knallen gegen den Rumpf – ein Inferno. Wir werden von
Böen durchschüttelt, dazu regnet es oft. Von Wetterprognosen
halte ich wenig. Jetzt wäre aber ein Wetterfax nützlich, um eine
Idee der allgemeinen Lage zu bekommen. Ohne diese Hilfe
müssen wir uns auf das einstellen, was gerade um uns herum
abgeht. Dem Wetter ausweichen können wir ohnehin nicht – ein
Segelboot ist ganz einfach zu langsam. Die Windfahnensteuerung
arbeitet auch bei diesen Verhältnissen zuverlässig. Wir sind schon
wieder eine Woche auf See, 350 Meilen vor Mauritius. Der Wind
kommt immer mehr aus der Richtung, in die wir wollen. Wir wenden und steuern 24 Stunden lang einen südöstlichen Kurs, um
keine Höhe zu verschenken. Es hat keinen Sinn, sich Ankunftszeiten auszudenken, die dann doch nicht eingehalten werden
können. Die einzige Ausweichmöglichkeit wäre, Richtung Westen
ablaufen, um Mayotte auf den Komoren oder Nosy Be in
Madagaskar ins Visier zu nehmen. Diese Häfen liegen aber 1000
Meilen entfernt. Das können wir gleich vergessen.
157
Wir unterhalten uns meistens englisch, obwohl Ruth auch
deutsch spricht. Ich verstehe erst ein paar Brocken Norwegisch:
«Vel bekomme» (guten Appetit), «vi segler» (wir Segler), «regn» (Regen), «blomster» (Blumen), «vi sees» (auf Wiedersehen). Ich bin
stolz auf meine Begleiterin, weil sie diese ruppige Seglerei gelassen
über sich ergehen lässt. Inzwischen ist sie eine gute Seglerin
geworden und bedient mein Boot selbständig. Von Seekrankheit
keine Anzeichen mehr. Unser Wachsystem, das ich je nach Crew
flexibel halte, hat sich bewährt. Bei uns geht es gut, wenn Ruth die
Wache von 19 bis 22 und die von 01 bis 04 Uhr übernimmt. Ich
kann früh am Abend schon gut schlafen und geniesse die Morgenstunden ab vier Uhr früh. Sie schläft meistens bis gegen 10 Uhr,
worauf ich mich für ein Schläfchen in die Koje haue.
Endlich, endlich beginnt der dreizehnte und letzte Tag auf See!
Am 13. Juni kommen wir an. Von meiner Schweizerflagge ist nur
noch die Hälfte übrig geblieben. An Steuerbord setze ich die Flagge
von Mauritius und einmal mehr die Q-Flagge. Nur ein paar
Stagreiter der Sturmfock haben sich losgerissen, ansonsten sind
keine Schäden zu beklagen. Die Hafeneinfahrt zur Hauptstadt Port
Louis ist mit Bojen markiert. Rechts liegt ein Frachtschiff beim
Zuckerverladepier, links weitere Schiffe und Fischerboote, im
Hintergrund grüssen zackige Bergspitzen. Wir legen am Zollpier
an. Die Formalitäten vollziehen sich reibungslos. Von Behördenwahnsinn, wie uns Segler weismachen wollten, ist jedenfalls
nichts zu spüren. Wir verholen zur nahen «Le Caudan Waterfront
Marina» für zehn Dollar pro Tag, mit Strom und Wasseranschluss.
Wir sind noch kaum richtig angekommen, spricht uns ein
Schweizer Paar an: «Ihr syd aber nid vo Basel do häre gsäglet?»
fragen sie mit Blick auf meine Basler Registrierung. Sie stellen sich
als Yvonne und Werner aus Greifensee vor und laden uns spontan
zum Lunch ein. Yvonne arbeitet für Kuoni Reisen und weiss
Neuigkeiten über das Swissair-Debakel.
Schon entlang der Küste sind mir die grossen Flächen mit
Zuckerrohr aufgefallen. Zucker ist – neben der Textilindustrie und
158
einem umweltbewussten und nicht auf Massen ausgerichteten
Tourismus – der bedeutendste Wirtschaftszweig dieser Republik.
Diese erfreut sich einer hohen Stabilität, kennt praktisch keine
Arbeitslosigkeit und gilt als sehr sicher. Auf dieser 65 Kilometer
langen und 45 Kilometer breiten Insel leben, in bemerkenswert
friedlicher Koexistenz, etwa eine Million Menschen, ein Völkergemisch von Kreolen, Indern, Chinesen und Nachkommen von
Europäern. Entsprechend vielfältig ist das gastronomische
Angebot. Ich liebe das populärste Gericht der kreolischen Küche:
das «Carri Coco Poulé».
Naden, der «Furuno»-Vertreter, will meinem Radar zu neuer
Kraft verhelfen. Er schaut kurz auf den Bildschirm, wirft einen
Blick ins Antennengehäuse und gelangt zum Schluss, dass das
Magnetron gewechselt werden müsse. Seine Diagnose tönt
überzeugend. Später baut er den in Singapore bestellten Teil ein.
Obwohl mich diese Reparatur über tausend Franken kostet, habe
ich kein gutes Gefühl. Wir liegen vor der 20 Meter langen «Zuza»,
einem «Sailing Research Vessel» aus Kapstadt. Nebst Charlie, dem
Sohn des Eigners Deon, ist der blonde Engländer Seb an Bord.
Charlie, das spüre ich schnell, scheint Gefallen an Ruth zu
finden. Das Boot war unterwegs, um abgelegene Korallenriffe zu
erforschen und andere meeresbiologische Aufgaben zu erfüllen.
An einem Morgen entdecke ich die «Ambler» beim Zollponton
und freue mich über das Wiedersehen mit Cora und Stan, die ich
zum letzten Mal vor vier Jahren in Vanuatu in der Südsee getroffen
habe. Stan hat ein paar frische Baguettes unter den Arm geklemmt
und lädt mich zum Frühstück ein. Die beiden – sie verliessen
Freemantle im Westen Australiens vor einem Monat und hatten
eine rassige Überfahrt – sind sage und schreibe schon bald zwanzig Jahre mit ihrem 73jährigen Holzboot unterwegs und verdienen sich ihren Lebensunterhalt als Musiker: Cora am Saxophon
und Stan am Keyboard. Ein paar Tage später feiern wir Coras Geburtstag, wobei es mir gelingt, sie sogar mit einer Sonnenfinsternis zu überraschen. Unsere Festlaune wird allerdings getrübt, als
159
wir von anderen Seglern erfahren, dass die amerikanische Yacht
«Leviathan» mit Paula und Rick seit Mitte Juni vermisst werde. Sie
hatten das Salomon-Atoll ein paar Tage vor uns mit Ziel Mayotte
verlassen. In eine Notlage geraten, lösten sie offenbar ihren EPIRB
aus, doch die alarmierten Behörden schienen sich uneinig über
die Zuständigkeit in diesem Seegebiet zu sein. In den Seychellen
verfügte man über kein Rettungsboot und das in Mayotte
vorhandene wurde nicht alarmiert! Erst als die Funkboje schon
längst verstummt war, machte sich auf Druck amerikanischer
Freunde ein Flugzeug von Diego Garcia aus erfolglos auf die
Suche. Den letzten Funkkontakt mit befreundeten Seglern hatte
die «Leviathan» am 8. Juni gehabt.
Jenny und Peter gaben mir Fotos und einen Brief für einen
gewissen Captain Yves Betuel mit, der ihre «Blue Shadow» vor
bald dreissig Jahren auf dieser Insel bauen liess. Der umtriebige
68jährige Mann lädt uns zusammen mit seinem Sohn Thierry in
ein exklusives chinesisches Restaurant ein. Er erzählt uns, wie er
1975 in Grand Baie extra einen Damm erstellen musste, um den
in Teak entstandenen Neubau einzuwassern. Mit dem eleganten
und schnellen Boot nahm er ein Jahr später am «Kapstadt – Rio
Ocean Race» teil. Seine Firma, Dry Docks und Ship Repairs, führt
jetzt sein Sohn weiter. Yves hat sich aber nicht zur Ruhe gesetzt,
sondern eine Firma gegründet, die im Zollfreihafen Fische
einfriert und in alle Welt verschifft.
Schon morgens um acht
belegen Liebespärchen die
Bänke auf unserem Pier. Ich
hocke gemütlich im Cockpit
bei einer Tasse Tee, als sich eine
junge Frau nähert. «Bonjour,
comment ça va?» grüsst sie
mich mit warmer Stimme und
flirtenden Augen. «Et toi,
qu’est-ce que tu fais?» flirte ich
Ein Liebespaar früh um acht Uhr
160
schalkhaft zurück. «Je me promène un peu», gurrt sie unverbindlich. «Wir könnten doch zusammen spazieren», schlage ich
vor und lade sie zu einem Kaffee in ein nahes Restaurant ein.
Erfreut sagt sie zu. Sie ist eine Kreolin mit brauner Haut, hübsch
dazu und heisst Claudine. Wir verstehen uns rasch, womit ich zu
einem unverhofften Schäferstündchen komme. Ruth hat sich
inzwischen mit Charlie angefreundet und verbringt auffällig viel
Zeit auf der «Zuza». Der Südafrikaner hat offensichtlich Feuer
gefangen und möchte sie mir als Crew abjagen, doch Ruth ist
eine Frau mit klaren Prinzipien. «Ich lasse mich durch keinen
Mann von meinen Plänen abbringen», erklärt sie mir resolut.
«Wir haben abgemacht, dass wir zusammen bis Madagaskar
segeln. Dabei bleibt es, basta! Will Charlie wirklich etwas von
mir, so kann er mich nach unserem Törn in Nosy Be treffen, sobald ich bei dir abgemustert habe.» Diese Loyalität meines First
Officer beeindruckt mich. Ich bedanke mich bei Ruth mit einem
herzlichen Kuss. Vor dem Ablegen profitieren wir vom reichhaltigen Angebot und den tiefen Preisen und starten einen
Grosseinkauf.
Beim Auslaufen teste ich den Radar. Die Echos sind etwas
besser, aber keinesfalls so, wie sie sein sollten. Erbost rufe ich
Nadene per Handy an. Ich solle es doch in La Réunion mit der
Reparatur nochmals versuchen, meint er lakonisch und gibt mir
die Adresse eines Freundes. Als wir aus dem Windschatten der
Insel herauskommen, packt uns böiger Passatwind mit Beaufort 8!
Wir sausen förmlich dahin. Dann wird die See grob. Es sind nur
120 Meilen bis nach Saint-Pierre auf La Réunion, also kaum 24
Stunden. Komisch, diese Reise ist zu kurz, um uns an die unruhigen Bewegungen des Bootes zu gewöhnen. Schon als die
ersten Sonnenstrahlen am 28. Juni den 2636 Meter hohen
Vulkankegel des Piton de la Fournaise beleuchten, sind wir fasziniert von dieser Insel – einem «hot spot» des Indischen Ozeans.
Unterhalb des Kraterrandes raucht ein Nebenvulkan. Diese Inseln
verdanken ihre Existenz Vulkanen und sind – mit einem Alter von
161
3 bis 5 Millionen Jahren – relativ jung. La Réunion hat nur ein
Saumriff, im Gegensatz zu Mauritius, dessen Riff weiter von der
Insel entfernt ist. Auch diese Insel sinkt unter ihrem Eigengewicht
in die Erdkruste zurück, sehr, sehr langsam zwar, aber immerhin.
Auf den Malediven ist nur noch das Saumriff übrig geblieben. Der
Erste, der diese Verwandlung einer Vulkaninsel in ein Atoll
erkannte, war übrigens der britische Forscher Charles Darwin.
Gegen Mittag stehen wir vor der Hafeneinfahrt Saint-Pierres.
Die Wellen brechen sich stiebend an der Hafenmole beidseits der
schmalen Einfahrt. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Zuerst folgen
wir den schwarzweissen, dann den grünweissen Peilmarkierungen. Wir haben nur noch zwei Meter Wasser unter dem Kiel. Ich
halte mich genau in der Mitte des Kanals. Schliesslich erreichen
wir das ruhige Wasser des Hafens und legen uns ans Gästepier.
Wasser und Elektroanschluss sind in der Nähe. Sofort tauchen
zwei Zollbeamte auf. Sie heissen uns willkommen und teilen uns
mit, dass der Liegeplatz die erste Woche gratis sei. An Land treffe
ich einen Bootsbauer, der mir versichert, dass er meine defekte
Steuerbord-Mittelwant innerhalb einer Woche ersetzen kann.
Ruth hievt mich in den Masten. Unter der oberen Saling löse ich
den Bolzen, um das defekte Teil herunterzulassen.
La Réunion ist mit seinen etwa 600 000 Einwohnern eines der
überseeischen Departemente Frankreichs und deshalb EU-Gebiet.
Dementsprechend ist das Angebot in den Läden überbordend:
Käse aus Frankreich, Würste aus Deutschland und – in Europa
wütet die Rinderwahn – Fleisch aus Neuseeland oder Argentinien,
für uns fast wie ein Schlaraffenland. Die Ostseite der Insel ist sehr
feucht und von einer vielfältigen tropischen Vegetation bewachsen. An der trockenen Westseite bei St-Gilles vergnügen sich die
Touristen. Hier finden auch Windsurf-Meisterschaften statt.
Besonderen Adrenalinschub finden Sportler beim Aquaclimbing
und Canyoning in den zahlreichen Wasserfällen. Hier kann ich
endlich mein Klapp-Mountainbike wieder gebrauchen, schwinge
mich in den Sattel und sause los. Ruth huldigt derweil in der
162
Hängematte der Sonne. Am Abend haben wir beide einiges zu
erzählen. Ich war entlang der Küste dorthin gefahren, wo ein
Helikopter in viertelstündigen Intervallen aufstieg und wieder
landete und fand die Kaserne einer französischen FallschirmjägerEinheit, die gerade einen Tag der offenen Tür hatte. In einem
Schiessstand wurde mir ein Sturmgewehr in die Hand gedrückt,
worauf ich unter Aufsicht ein paar Salven in eine Puppe knallen
liess. Etwas unterhalb fand ich den Flugplatz von Pierrefond. Der
Aeroclub hat eine Cessna 172, die aber für die nächsten Tage
ausgebucht war. In einem anderen Hangar fand ich eine Piper PA28, Archer II F-OHLS. «Könnte ich die mieten?» fragte ich einen
jungen Mann, der sich als Loïc vorstellte. «Ja, wenn Sie mich als
Piloten nehmen», lautete seine Antwort. Ruth wurde während
dieser Zeit von einem Mann angequatscht, der César Salvan heisst
und als Primarlehrer unterrichtet. Er bot sich an, uns am Samstag
um die Insel zu führen. Unter all den dunkelhaarigen Frauen erregt Ruth mit ihren blonden Haaren hier natürlich die Aufmerksamkeit der jungen Böcke!
Zuerst gehen wir aber mit Loïc in die Luft. Es ist die beste Art,
sich in kurzer Zeit einen Überblick über diese spektakuläre Insel zu
verschaffen. Der Vulkan hüllt sich in Wolken, aber der höchste
Berg, der Piton des Neiges, ist klar sichtbar. Unser erst 18-jähriger
Pilot möchte einmal Linienpilot werden. Schon am nächsten
Samstagmorgen bin ich wieder auf dem Flugplatz. Diesmal mache
ich mit dem Eigner und Fluglehrer, Philippe «Rabaly» Balliste, ein
paar Platzrunden mit Landetraining. Dann packen wir unsere
Rucksäcke und besteigen früh am Morgen einen Bus nach La
Plaine des Palmistes. Er hält beim Wanderweg, der zum Vulkan
führt. Die Wanderung führt uns in stetigem Aufstieg durch
Weiden und an Bauernhöfen vorbei. Dann tauchen wir in unvermittelt aufziehenden Nebel. Sie fühle sich fast wie in
Norwegen, meint Ruth. Bald sind wir jedoch wieder in der Sonne.
Wir queren die Pleine de Sable mit ihrem schwarzem Lavasand.
Plötzlich beginnt es zu regnen und wird kalt. Durchnässt und halb
163
erfroren erreichen wir die Hütte «Gîte du volcan». Zu dieser
Jahreszeit hat es wenig Wanderer – in unserem Viererschlag sind
wir die einzigen Gäste. Die Bewirtung ist reichhaltig. Am nächsten
Morgen wölbt sich blauer Himmel über uns, aber der Zugang zum
Vulkan ist gesperrt. Die Fachleute erwarten einen Ausbruch!
Zusammen mit dem Schweizer Heinz Steinger, den wir hier kennen lernen, machen wir uns auf, wenigstens den Kraterrand zu
ersteigen. Im Morgenlicht sind viele Nebenkrater zu sehen. Hinter
dem Piton de la Fournaise können wir eine Rauchsäule erkennen,
etwa fünf Kilometer entfernt. Am nächsten Tag hören wir in den
Nachrichten, dass die Küstenstrasse durch flüssige Lava verschüttet worden sei.
Der Ausflug mit César führt uns zu einem Wasserfall in der
Nähe von St-Joseph, wo das Wasser aus der porösen Wand schiesst
und tosend in einem Becken landet. Dort wagen wir einen
Schwumm und lassen uns das kalte Wasser auf den Kopf
klatschen. Am Abend setzt sich César ans Klavier und gibt uns ein
Konzert. Als Musiker hatte er schon Engagements in aller Welt.
Ein paar Tage später zieht es uns erneut in die Höhe. Wir verbringen eine Nacht in der «Gîte Caverne Dufour» auf 2400 Meter
Höhe. Am Vortag waren wir per Bus die 400 Kurven nach Cilaos
hoch gefahren. Der Aufstieg zur eintausend Meter höher
gelegenen Hütte hielt uns vier Stunden in Atem. Dreizehn weitere
Wanderer teilen den gleichen Raum mit uns. Stinkende Socken,
schweissnasse Unterwäsche an den Leinen, keine Dusche, nur ein
Schlauch im Garten mit Absperrhahn als Waschgelegenheit für
vierzig Gäste – diese Hütte hat den Charme eines alpinen
Kantonnements beim Schweizer Militär! Nachts knarren die
Etagenbetten, und schon um vier knattert der erste Wecker – alle
wollen den Piton des Neiges, mit 3070 Meter die höchste Erhebung der Insel, vor dem Sonnenaufgang erreichen. Ruth ist
schneller als ich. Kunststück bei ihrem jugendlichen Alter. Ich
lasse mir Zeit. Die Lichterkette der Stirnlampen schlängelt sich
entlang dem gut markierten Pfad in die Höhe. Es ist um die null
164
Grad. Das Schauspiel des Sonnenaufgangs, der mit einem Glühen
im Osten beginnt, ist die Strapaze des Aufstiegs wert. Schon die
ersten Strahlen wärmen uns. Beim Nachtessen nach einem
beschwerlichen Abstieg nach Cilaos bedient uns die Wirtin im
Gasthaus «Le Galabert Jaune» fürstlich. Als Apéro serviert sie uns
Rhum arangé, gefolgt von Carri, Wein und Kuchen. Carri ist eine
Art Curry und wird mit Reis, Linsen, Gemüse und je nach Wunsch
mit Fleisch, Geflügel oder Fisch serviert. Als Beigabe gibt es eine
scharfe Chilisauce, das Rougail.
Nach unserer Rückkehr in Saint-Pierre lädt uns mein Fluglehrer «Rabaly» zu seinem Geburtstag ein. Wir lernen dort viele
Leute kennen. Ein schwerer Wein nach viel Champagner gibt mir
den Rest. Trotz der Musik nicke ich ein und schlafe fast zwei
Stunden auf dem Sofa, bis mich Ruth weckt. Mein Gastgeber
verzeiht mir. «Rabaly» – Ra bedeutet Herr und Baly ist die Abkürzung für seinen Namen Balliste – stammt aus Majunga in
Madagaskar. Die Feste reissen nicht ab. Auch den «14 juillet», den
französischen Nationalfeiertag, erleben wir hier auf La Réunion.
Schon morgens um zehn marschiert ein Fallschirmjägerzug am
Hafenboulevard auf, gefolgt von der Feuerwehr, tanzenden
Mädchen und einer Marschmusik. Ruth holt am Flughafen Erik
ab, einen Freund aus Norwegen, der mit uns segeln wird. Er gefällt
mir sofort, nicht nur, weil er eine Flasche Aquavit mitbringt.
Sachte beginnen wir mit unseren Vorbereitungen für die Weiterfahrt nach Mayotte, aber wir haben unsere Mittelwant noch
immer nicht. Der Bootsbauer vertröstet uns von Tag zu Tag.
Als wir mit «Rabaly» und seiner Freundin Monique Abschied
feiern, schlägt das Schicksal zu: Monique und Erik spüren Schmetterlinge im Bauch – gegenseitig. Der Zeitpunkt dafür ist allerdings
nicht sehr günstig, weil wir schon am nächsten Tag auslaufen
wollen, sofern wir die Mittelwant kriegen. Die beiden frisch
Verliebten haben Glück. An ein Auslaufen ist nicht zu denken,
denn ein Schwell von bis zu 6 Meter Höhe blockiert die Hafeneinfahrt. So verbringen wir noch ein paar schöne Tage mit Baden
165
im 24 Grad warmen Meer. Alle freuen sich. Ich, weil ich meine
neue Mittelwant bekomme und Erik für jede Stunde, die ihm noch
in La Réunion vergönnt bleibt. Er verspricht Monique, von
Mayotte zurückzufliegen! Wir trinken ein letztes Bier, benamt
nach Louis de Bourbon, einem Nachfahren König Ludwigs XIV,
und mit einem Dodo auf der Flasche. «La Dodo lé la», dem längst
ausgestorbenen, nicht flugfähigen Vogel, der mal auf dieser Insel
heimisch war.
Nach genau dreiwöchigem Aufenthalt tuckern wir motorgetrieben entlang der Küste. Der Passatwind hat sich verabschiedet. Erst am zweiten Tag zeigt sich zaghaft etwas Wind. Wir
rechnen mit etwa einer Woche für die 900-Meilen-Überfahrt nach
Mayotte, das etwas westlich der Nordspitze Madagaskars liegt. Erik
fügt sich gut in unser Team ein. Zu dritt haben wir es gemütlich:
drei Stunden Wache wechseln mit sechs Stunden Ruhe. Der junge
Norweger ist es allerdings nicht gewohnt, so wenig zu tun. Als
gelernter Bäcker betreut er zuhause eine Pizzakette. Er ist dafür
verantwortlich, dass die Teigqualität gleichbleibend erstklassig ist.
Trotzdem bin ich es, der das Brot an Bord bäckt. Ich habe
Verständnis. Erik hat Ferien und möchte nichts mit Backen zu tun
haben. Dafür verschlingt er Unmengen von Büchern.
Die Sonne scheint, und der Passat hat sich auf angenehme 15
bis 20 Knoten eingependelt. So macht es wirklich Spass, unterwegs zu sein, aber man soll sich nie zu früh freuen. Aus dem
Nichts heraus erleben wir plötzlich einen Frusttag. Zuerst bricht
ein Block, über den die Seile der Windfahnen-Steueranlage laufen.
Der Autopilot will auch nicht mehr so recht. Jedenfalls schaltet er
– ohne das anzukünden – nach kurzer Zeit immer wieder ab.
Schliesslich bricht der Grossbaumbeschlag, worauf uns nichts
anders übrig bleibt, als das Grosssegel zu bergen und die Maschine
zu starten. Zum Glück haben wir genügend Diesel an Bord, denn
nur noch drei Tage liegen vor uns. Ohne weitere Zwischenfälle
hängen wir uns am 28. Juli an eine Boje im Hafen von Dzaoudzi.
Philippe, der Hafenmeister, kommt vorbei und erledigt die
166
Formalitäten erstaunlich unkompliziert. Hier liegen viele uns
bekannte Yachten. Treffpunkt ist die A.C.H.M. (Association des
croisieurs hauturiers de Mayotte), ein Yachtclub französischer
Prägung. Hier erfahren wir auch, dass die beiden Amerikaner Paula und Rick noch immer
vermisst werden und die Chance, dass sie
noch am Leben sind, als gering eingestuft
wird. Jedenfalls zeigt dieses Unglück, dass
man als Segler auf sich alleine gestellt ist –
trotz moderner Rettungsorganisationen.
Mayotte gehört geografisch zu den Komoren, politisch jedoch zu Frankreich. Es ist
eine «Collectivité territoriale» und profitiert
vom Mutterland. Sofort auffallend ist, dass
die etwas über 100 000 Einwohner von
Grande Terre und Petite Terre dunkler Hautfarbe sind. Die Frauen, auch das springt ins
Der HochseeSegelclub von Mayotte
Auge, sind farbenfroh wie Afrikanerinnen
gekleidet. Viele haben Gesichtsmasken
aufgestrichen, als Schmuck und zum Schutz der Haut. Es leben
aber auch viele Franzosen hier, die sich in dieser Gegend wohl
fühlen. In Dzaoudzi ist eine Einheit der Fremdenlegion stationiert. Ihre Unterkünfte beanspruchen den Hügel oberhalb des
natürlichen Hafens. Hier lebt
übrigens in über 200 Meter
Wassertiefe der lange Zeit als ausgestorben gegoltene Quastenflosser, ein Urfisch.
Es sind noch drei Schweizer
Yachten hier, gut, um den 1. August zu feiern! Erik zieht es
zurück nach La Réunion. Auch
Den 1. August feiern wir in Mayotte
wollen wir unsere Vorräte auf-
167
stocken, bevor wir nach Nosy Be in Madagaskar weitersegeln: die
letzte Etappe mit Ruth. Dort wird sie abmustern, sich mit Charlie
aus Kapstadt treffen und Madagaskar bereisen. Wieder einmal
solo, werde ich die Musse haben, mich um «les crevettes» zu kümmern. So werden dort die Frauen bezeichnet, die Zeit für Touristen
haben.
«Gleichmässiges Rauschen an der Aussenhaut, leises Quietschen der
Windsteuerung und das Stöhnen und Knacken der Wände – eine
ständige Begleitmusik. Daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Auch
an das Knallen der Segel, das Heulen des Windgenerators, das
Schnarchen des Autopiloten, das Pfeifen des Watchman und des GPS,
wenn wir zu weit vom programmierten Kurs abkommen, das Ächzen
der Kabine und das Scheppern der tausend Gegenstände in unserem
Boot. Wie werde ich dieses nimmermüde Orchester vermissen!»
168
Wo die Toten tanzen
Mayotte
Les Glorieuses
Nosy
Be
Mayotte
Richard s Bay
ie üblich sind die ersten Tage in Mayotte ausgefüllt mit Reparaturen. Hier können wir auch meinen Baumnockbeschlag aus Alu schweissen. Ruth und Erik erkunden Petite
Terre oder gehen zum Tauchen. Im Yachtclub treffen wir viele Segler, die wir in Chagos kennen lernten. Leider gibt es noch immer
keine Neuigkeiten von der «Leviathan». Am 1. August heizen wir
zusammen mit Peter Kägi und Pico den Grill vor, dann treffen die
ersten Yachties ein. Nicht weniger als acht Schweizerinnen und
Schweizer finden sich auf dieser abgelegenen Insel zusammen,
nebst Seglern aus aller Welt. Wir wollen ihnen etwas bieten, doch
unsere Nationalhymne findet wenig Anklang. Mehr Erfolg hat
Ludwig von der «El Dorado» mit einer launigen dreisprachigen
Rede. Hier, in unserer Seglergemeinschaft, fühlen wir uns geborgen wie in einer grossen Familie.
Erik ist inzwischen nach La Réunion zurück geflogen. An
einem Sonntag erweckt ein rotes Pitts-Akroflugzeug am Himmel
meine Aufmerksamkeit. Sofort lasse ich mich von einem Taxi zum
Flugplatz von Dzaoudzi bringen. Beim Aeroclub klettert der Pilot
gerade aus seinem Flugzeug, als ich ankomme. Er stellt sich mit
Alain vor. Ich erkläre ihm, dass ich mal Akrofluglehrer auf Bücker
gewesen sei. Wann das gewesen sei, will der Mann wissen. Mit
Hilfe meines Flugbuches finde ich die Antwort rasch: 1978. «OK,
lass uns in die Luft gehen!» entscheidet Alain. «Mal schauen, ob
Sie noch Akro fliegen können.» Wir besprechen das Programm,
und ab geht’s. Alain fliegt die Figuren vor, anschliessend versuche
ich die gleiche Evolution in die Luft zu zaubern. Sogar der Rückenflug mit Umkehrkurve gelingt mir. Der Franzose legt eine saubere
W
169
Dreipunktlandung hin, dann hat uns die Erde wieder. Das Fliegen
sei wie Velofahren, das verlerne man nie, bemerkt Alain trocken
und fordert mich auf, wieder einmal zu kommen.
Zusammen mit der «Blue
Shadow» verlassen wir Mayotte
drei Tage später. Wir wollen die
Inselgruppe «Les Glorieuses»
besuchen, die 150 Meilen im
Nordosten liegt. Einmal mehr
haben wir den Wind auf der
Nase. Die Hauptinsel hat einen
Nach dem Akrobatikprogramm
Flugplatz, wird aber nur von
zwei
Dutzend
Fremdenlegionären und einem Gendarmen aus La Réunion bewohnt. Wir
erhalten zwei Tage Aufenthaltsbewilligung. Ein Gendarme,
Philippe, begleitet uns auf einen Inselrundgang. Gleissend weisser
Sand geht in türkisblaues Wasser über. Nachts kriechen Schildkröten an Land, um ihre Eier abzulegen. Überall hinterlassen sie ihre
Spuren. Fein säuberlich notiert sie Philippe mit Ort, Datum und
Zeit. Das gehört zu seinen Aufgaben während seines einmonatigen Aufenthaltes auf dieser Insel. Die einhundert Meilen
zum madegassischen Nosy Be bewältigen wir überwiegend unter
Motor. Ich geniesse die letzten kostbaren Tage mit Ruth. Bevor wir
einklarieren, verbringen wir zwei Tage auf dem palmenbestandenen Tanikely, das etwas westlich von
Hellville liegt. Diese Insel zieht viele
Taucher und Tagestouristen an. Kein
Wunder, das Wasser ist glasklar.
Während eines Schnorchelausfluges
erleben wir eine vielfältige Unterwasserwelt. Hier sehen wir auch zum ersten Mal die Pirogen, Auslegerboote,
die mit Rudern oder durch Segel aus
Reissäcken vorangetrieben werden.
Piroge bei Tanikely
170
Am 14. August fällt unser Anker in der Bucht vor Hellville im
Süden der Insel Nosy Be. Den Aussenborder habe ich unter Deck
verstaut, denn Motoren sollen hier ein beliebtes Diebesgut sein.
Jedenfalls sind die meisten Segler rudernderweise unterwegs. Beim
Anlegesteg werden wir von Bootsjungen umringt. Jeder möchte
unser Dinghy gegen 5000 FMG (Francs malgaches) hüten, was
etwa fünf französischen Francs entspricht. Ruth macht sich zum
Abmustern bereit. Wir waren fast ein halbes Jahr zusammen.
Gegen Abend holen wir den Südafrikaner Charlie am Flughafen
ab, den Ruth an Bord der «Zuza» in Mauritius kennen lernte. Die
beiden wollen in den nächsten Wochen den Norden Madagaskars
bereisen. Ich lasse Ruth ungern ziehen, bin aber glücklich, dass die
Reise mit ihr so harmonisch verlief.
Madagaskar: «Dort, wo die Toten tanzen», las ich einmal in
einem Reiseprospekt. Trotz Ansätzen zu etwas neuzeitlicheren
Lebensformen arbeiten in abgelegenen Gegenden die Lebenden
noch immer für die Toten. Ein für uns seltsam erscheinender
Brauch macht es zur Pflicht, die Toten stets am Familienleben
teilhaben zu lassen. Mit einem Fest wird der Tag begangen, an
dem ein Grab wieder geöffnet wird, um die sterblichen Überreste
eines Gestorbenen ins Familiengrab zu überführen. Beim Umzug
müssen die Gebeine in neue Leichentücher gehüllt werden. Wo
bleibt wohl seine Seele? Was meinen die Geister dazu? Madagaskar ist riesig: die viertgrösste Insel unserer Erde und so gross wie
Frankreich und Belgien zusammen. Die kaum ausrottbare
Brandrodung hat es fertig gebracht, dass der einst üppige Regenwald an vielen Orten verschwunden ist und die rotbraune Erde
schutzlos der Erosion ausgesetzt ist. In der Hauptstadt Antaranarivo leben über eine Million der insgesamt etwa 15 Millionen
Einwohner. Touristen sind hauptsächlich im Norden Madagaskars
anzutreffen, in Diego Suarez oder eben auf der Insel Nosy Be.
Hellville wurde nach dem Entdecker Admiral de Hell benannt.
Seit langem bin ich wieder einmal allein an Bord. Die nächsten zwei Wochen verbringe ich damit, mit Hilfe des Bootsjun-
171
gen Johnny mein Boot etwas zu überholen. Hier in Nosy Be lebt
man günstig. Die Einwohner sind trotz ihres einfachen Lebens –
oder vielleicht gerade deshalb? – fröhlich und zugänglich. Am
Freitagabend ist im Lokal «Vieux Port» die Hölle los. Die «Tigres
du vieux port» spielen zum Tanz auf. Nach der langen Durststrecke freue ich mich auf die «Crevettes»! Schon früh tauchen
die ersten herausgeputzten Schönheiten auf und fordern mich auch
gleich zum Tanzen auf. Die Musik
spielt hauptsächlich «Saleg», eine
Mischung aus afrikanischen und
Reggae-Rhythmen. So gegen Mitternacht befinden sich die Frauen
in der Überzahl. Sie tanzen ausgelassen und erregend zur hämmernden Musik. Dann werde ich in die
Zange genommen. Drei Verführer«Wo sind die Krevetten?»
innen tanzen mit mir, je eine auf
meinen Schenkeln, während sich die dritte von hinten an mich
heranmacht. Ich bin im Sandwich, doch ich fühle mich wohl.
Dann schiesst sich Yalta auf mich ein, eine dunkle Beauté mit
unwiderstehlichem Lachen. Ohne grosse Umschweife äussert sie
den Wunsch, zu mir an Bord zu kommen, um über das Wochenende ihre Verwandtschaft auf der nahen Insel Nosy Komba zu
besuchen. Vorerst winke ich ab. Von anderen Skippern weiss ich,
dass die «Krevetten» kaum mehr von Bord zu bringen sind. Doch
Yalta gefällt mir, und so werde ich schliesslich schwach. Sie versichert mir, dass es nur für das Wochenende sei. Natürlich geniesse ich die Nähe und Unbekümmertheit dieser jungen Frau.
Am Morgen fahren wir in einer Stunde nach Nosy Komba.
Kaum vor Anker, erzählt mir ein englischer Einhandsegler, bei ihm
sei letzte Nacht eingebrochen worden. Yalta lacht nur. «Ich werde
dir eine Wache organisieren», erklärt sie. Wir verlassen das Boot erst,
als sich die zwei Jungen, die sich als Wachthunde zur Verfügung
172
stellen, bereit erklären, bis zu unserer Rückkehr in meinem Cockpit
auszuharren. Im schmucken Dorf wird Yalta begeistert begrüsst.
Hier hat es auch Chamäleons und Mausmaki, die in einem kleinen
Park zu besichtigen sind. Der Abend verläuft vorerst friedlich. Bei
Kerzenlicht und mit nur wenigen weiteren Gästen verspeisen wir
einmal mehr «Carri poulet» mit Reis und wechseln dann in eine
Disco. Auch diese ist in fester Hand von Frauen. Mir gefallen vor allem die heissen Melodien. Während ich mich mit einem jungen
Mann unterhalte, geht auf der Tanzfläche ein Kreischen los. Zwei
Frauen dreschen aufeinander ein und reissen einander zu Boden. Es
darf doch nicht wahr sein: Eine von ihnen ist Yalta! Zwei Männer
zerren die beiden auseinander. Heulend kehrt Yalta zu mir zurück
und ist nur langsam zu beruhigen. Sie heult noch immer, als wir
zum Boot zurückkommen, ich mich bei den zwei Wächtern mit
einem Trinkgeld bedanke und diese mit ihrer Piroge lautlos Richtung Ufer verschwinden. Offenbar war die andere Frau eifersüchtig
gewesen, weil Yalta einen Freund – mich – hatte und sie niemanden.
Verrückt. Am Sonntag bringe ich Yalta nach Hellville zurück, und
ich habe vorerst meine Neugier für das einheimische weibliche
Geschlecht gestillt.
Ein paar Tage später bin ich erneut im «Pagagayo», wo die
gleiche Band spielt wie im «Vieux port». Auch Yalta taucht wieder
auf, und bald bin ich von einer ganzen Traube von Freundinnen
umringt. Jede will etwas zum Trinken oder Zigaretten. So gegen
Mitternacht wird mir das zu viel. Ähnlich wie in Thailand sieht
man hier in Nosy Be zumeist ältere Franzosen oder Italiener mit
schönen, jungen Begleiterinnen. Diese Studien muss ich unterbrechen, weil meine Schwester Dor und ihre Freundin Therese
eintreffen. Ich freue mich auf diesen Besuch, bin aber überhaupt
nicht in Form. Leichtes Fieber und Halsschmerzen quälen mich.
Zum Glück kann aber Malaria ausgeschlossen werden. Trotz
meines Zustandes buchen wir eine Inselrundfahrt.
Unseren Törn starten wir mit einem Ausflug nach Tanikely.
Wir haben einen schlechten Ankerplatz. Deshalb werde ich oft
173
vom Tiefenalarm meines Echolotes geweckt. Den Morgen
verbringen wir mit Schnorcheln. Einmal begegnen wir sogar einer
Wasserschildkröte. Nach dem Mittagessen möchte ich etwas
Schlaf nachholen. Ich weiss aber, dass ich – sobald die nachmittägliche Seebrise einsetzt – mehr Ankerkette geben muss. Ich
verkürzte sie in der Nacht, um nicht zu nahe ans Ufer zu kommen.
Ich falle sofort in einen tiefen Schlaf, so dass mir auch entgeht,
dass die «Blue Shadow» mit Peter und seiner Familie eintrifft. Ich
schlafe auch noch immer den Schlaf des Gerechten, als Wind
aufkommt und mein Boot auf Drift geht. Ungläubig macht meine
Schwester am Strand Peter darauf aufmerksam. Gemeinsam
machen sie sich auf, um die Hasta Mañana zu «retten». Erst das
Klappern an der Bordwand holt
mich aus meinen Träumen.
Am 4. September, einem besonderen Tag – meine Schwester feiert
ihren Geburtstag – hängen wir vor
Nosy Komba. Bis meine Besucherinnen ihr Morgenbad beendet haben, gelingt es mir, ein dem Anlass
gebührendes Champagnerfrühstück
auf den Cockpittisch zu zaubern.
Sogar leuchtend rote Rosen habe ich
besorgt, wenn auch nur künstliche
Blumen. Dor ist gerührt. Dieser
Küstenabschnitt ist ideal für SegelChampagnerfrühstück für Dor
törns. Die Distanzen sind klein, und
nachmittags hat es Seewind. Ein
paar Tage später erreichen wir die Insel Iranja. Auch die «Blue Shadow» ist hier. Einmal mehr scheinen wir uns gegenseitig zu
verfolgen. Hier lernen wir Jennys Eltern näher kennen, die vier
Autostunden nördlich von Durban auf einer Farm leben und bei
der jungen Familie auf Besuch weilen. Erstaunt stossen wir hier
auf ein Eco Resort Hotel, obwohl meine Unterlagen eine
174
unbewohnte Insel versprachen. Nicht so schlimm, denn die Bungalows bieten nur Raum für maximal 50 Leute. Es gefällt uns sofort auf dieser Insel mit dem klaren Wasser und den puderfeinen
Sandstränden. Dor und Therese schwören, dass sie hier ihre nächsten Flitterwochen verbringen würden. Wenn das nicht für sich
spricht! Flitterwochen machen hier auch Wale. An einem Morgen
sehen wir ein Paar, das gemächlich an den Segelbooten vorbeizieht. Sogar das Zischen der ausgestossenen Atemluft bekommen
wir zu hören. In diesem von der Welt abgeschiedenen Paradies erfahren wir erst am 14. September von den barbarischen Terroranschlägen vom 11. September in New York und Washington. Als
ehemaliger Pilot sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich
daran denke, was an Bord der Flugzeuge abgegangen ist. Bald darauf reisen Dor und Therese ab. Auch meine Tage hier sind gezählt,
denn mein Visa läuft ab. Ein letztes Mal stürze ich mich im «Vieux
port» ins überbordende Nachtleben, schaffe es aber, ohne Anhängsel zu meinem Boot zurück zu gelangen.
Die 180-Meilen-Überfahrt nach Mayotte hält mich 48 Stunden
lang auf Trab. Wieder einmal herrscht Gegenwind, was mich zum
Kreuzen zwingt. Da mein Radar nicht zuverlässig arbeitet, muss
ich mit Hilfe meines Weckers wenigstens jede Stunde einmal
einen Blick in die dunkle Nacht werfen, obschon es in diesen
Gewässern wenig Schiffsverkehr hat. Nur ein Boot mache ich
während dieser Reise aus. Am Abend des 17. September gehe ich
in der Nähe der Insel Bandelé vor Anker. Nur noch sieben Meilen
trennen mich vom Ankerplatz in Dzaoudzi. Schon früh am
nächsten Morgen nehme ich das letzte Stück in Angriff. Ich kürze
den Weg etwas ab, weiss genau, dass ich eher rechts halten muss,
um einigen Untiefen auszuweichen. Plötzlich meldet sich mein
Echolot: «Five meters»! Sofort schalte ich den Autopiloten aus,
drehe nach rechts und reisse den Gashebel zurück – zu spät! Mit
einem ekelhaften Knirschen streichelt mein Kiel den korallenübersähten Grund. Ich stecke fest! Auch Retourschub hilft nicht
mehr. Es bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als zu warten, bis
175
das Wasser wieder steigt. Meine Nerven werden weiter strapaziert.
Mit ablaufendem Wasser neigt sich mein Boot immer mehr auf die
Backbordseite! Was tun? Ich muss den Rumpf schützen, doch wie?
Vorerst versuche ich es mit einem Fender, aber der will wegen des
Auftriebs nicht am vorgesehenen Ort bleiben. Schliesslich gelingt
es mir, einen gefüllten Wassercontainer unter den Rumpf zu
klemmen. Endlich habe ich Zeit, Philippe, den Hafenmeister, auf
Kanal 09 über mein Missgeschick zu informieren. Heute beträgt
der Unterschied zwischen Niedrig- und Hochwasser 3,9 Meter.
Trotz der ungemütlichen Lage lege ich mich schlafen. Langsam
steigt das Wasser wieder, und bald schwimmt mein Boot wieder
frei. Wie blöd ich doch war! Ich könnte mir selbst eine Ohrfeige
Aufgefahren: Auch Profis machen Fehler!
geben. Zum Glück habe ich ein aus Stahl gebautes Boot, und zum
Glück war auch das Meer ruhig. Ich hatte wirklich Glück und
komme mit ein paar Kratzern am Kiel davon, wie ich bei einem
Tauchgang feststellen kann. Mit ein paar Stunden Verspätung
treffe ich an meinem Ankerplatz vor Dzaoudzi ein. Philippe lacht
schallend, als er bei mir vorbeikommt, um meinen Pass zum
Einklarieren abzuholen.
Jetzt habe ich zwei bis drei Wochen Zeit. Mitte Oktober, wenn
dort der Frühling einzieht und ich auf gutes Wetter hoffen kann,
176
will ich Richtung Südafrika weitersegeln. Das reicht sogar für
einen kurzen Besuch in der Schweiz. Im Sog der Terroranschläge
in den USA kämpft «meine» Swissair ums Überleben. «Tochter
schluckt Mutter», lautet die Schlagzeile im Blick. Mario Corti muss
die Nachlassstundung beantragen – grässlich! Etwas Entspannung
finde ich an der Herbstwanderung des Yacht Clubs Schaffhausen,
die von Stein am Rhein über Hemishofen nach Buch führt. Dort
besichtigen wir das restaurierte, mit Wasserkraft angetriebene
renovierte Sägewerk. Martin Brütsch persönlich erläutert uns, wie
sein verstorbener Vater die Initiative ergriff, um dieses Zeugnis
vergangener Zeiten für die Zukunft zu erhalten.
Das Swissair-Desaster hat auch unmittelbaren Einfluss auf
meinen Segeltrip nach Südafrika. Peter Fricker, der als Copilot für
die Balair fliegt, kann nicht wie vorgesehen mit mir von Mayotte
nach Richard’s Bay segeln. Er muss zu Hause bleiben, um seine
Chancen bei der neu Belair genannten Charterfluggesellschaft
von Hotelplan zu wahren. So muss ich mich wohl oder übel auf
Crewsuche begeben, weil ich keine Lust verspüre, diese schwierige
und 1400 Meilen lange Reise alleine zu bewältigen. In Mayotte
mache ich einen Anschlag im Yachtclub: «Crew wanted!» Es entwickelt
sich eine Eigendynamik. Jean-Louis,
ein junger Franzose, möchte zwar
mitkommen, kann jedoch nicht, weil
er seine Arbeit auf einer Baustelle in
Mamoudzu früher antreten muss als
erwartet. Er findet aber einen anderen Kandidaten: Richard. Eine innere
Stimme warnt mich sofort, als ich
diesen zu Gesicht bekomme. Er sieht
aus wie ein Clochard, ist 46 Jahre alt,
gerade von Madagaskar hergekommen, total abgebrannt und nach der
Wertlos gewordene
Trennung von seiner Freundin auch
Swissair-Aktien
177
Auslaufbewilligung mit Ziel Richardʼs Bay in Südafrika
178
moralisch auf einem Tiefpunkt. Er möchte aber mit mir nach Südafrika segeln, zumal ich ihm – trotz meines unguten Gefühls – offeriere, sämtliche Spesen und die Kosten für sein Rückflugticket zu
übernehmen. Am 22. Oktober verlassen wir Dzaoudzi mit vollen
Diesel- und Wassertanks. An den ersten zwei Tagen haben wir nur
wenig achterlichen Wind, versuchen aber, möglichst bald den
Mozambiquestrom zu erreichen. Am 23. Oktober erfahre ich aus
den Nachrichten, dass die Eidgenossenschaft mit Hilfe der Wirtschaft die Swissair unter Führung der Crossair retten will. Im Laufe
der Reise dreht der Wind auf Südwest und verstärkt sich auf über
dreissig Knoten. Der Rückenstrom erreicht 3,5 Knoten! Wir
kommen gut voran, obwohl wir kreuzen müssen. Grünes Wasser
schimmert auf den Wellenkämmen. Fliegende Fische schweben
nur knapp über dem Wasser. Dis Sonne scheint – Südfrühling! –,
und Richard entpuppt sich als guter Segler und fantasievoller
Koch. So wird unser Trip zu einer «croisière gastronomique». Oft
ist mein Gefährte traurig, und einen Abend lang heult er sogar. Ich
versuche, ihn zu trösten. Er ist ein sensibler Künstler und verdient
seinen Lebensunterhalt mit dem Entwerfen von Möbeln, die er
auch oft selbst anfertigt. Er liebt Gedichte und liest mir ein paar
Stellen aus Shakespeares «Othello» vor. Erstaunlich. Trotz guter
Gespräche bleibe ich unruhig und keinesfalls entspannt. Richard
betrinkt sich oft und raucht unglaubliche Mengen Zigaretten.
Seine Wachen leistet er klaglos, doch mache ich mir Sorgen. Wenn
der nur nicht besoffen über Bord fällt, während ich schlafe! Seine
25 Päckchen Zigaretten reichen nur für acht Tage. Die Zündhölzer
gehen ihm früher aus. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine
Glimmstengel am Gasherd anzuzünden «Au plus grand briquet du
monde», wie er diesen «Feueranzünder» lachend bezeichnet. Dass
bei dieser Aktion auch immer eine Rauchwolke in meine Koje
schwappt, kümmert ihn nicht.
Oft haben wir mit der Crew der «El Dorado» über SSB Funkkontakt. Ludwig segelt mit seiner Frau Lotti und einem Freund
namens Walti. Sie haben aber weniger Strom, obwohl sie nur 2 bis
179
3 Tage hinter uns folgen. Je südlicher wir kommen, desto kühler
wird es. Die Barfussroute ist definitiv zu Ende. Plötzlich hören wir
im Heckbereich einen Knall. Der Bolzen, der die Kräfte des
Hydraulikstössels des Autopiloten auf den Ruderquadranten
überträgt, ist gebrochen. Damit fällt unser Autopilot aus. Sofort
wechseln wir auf unsere Windfahnensteuerung. Es sind nur noch
80 Meilen bis Richard’s Bay, als nachts um zehn der achterliche
Wind nachlässt und Gewitterwolken aufziehen. Ein Wetterwechsel steht bevor. Vorsichtshalber bergen wir unsere Segel und
starten den Motor. Der Wind weht jetzt aus Südwest genau in
unsere Zähne. Er nimmt bis auf Beaufort 8 zu, worauf sich sofort
ein grober Seegang aufbaut. Wir werden langsamer, doch zum
Glück hilft uns jetzt der Agulhasstrom mit 3 bis 4 Knoten. Peri Peri
Radio aus Durban liefert uns seit einigen Tagen verlässliche
Wetterprognosen. Nach nur neun Tagen Überfahrt, am 1. November 2001, erreichen wir Richard’s Bay. «Die nach mir genannte
Bucht», meint Richard fröhlich. Peter Kägi von der «Blue Shadow»
ergreift unsere Leinen, als wir im «Small craft harbour» festmachen. Erleichtert trinken wir ein Bier zusammen. Hier ist der
Liegeplatz während des ersten Monats gratis. Ich bin glücklich, in
Südafrika angekommen zu sein, auch, dass diese Reise ein gutes
Ende fand. Bei der Immigration bekommt Richard ein Dreimonatsvisum. Wenn ich ehrlich sein will, bin ich auch froh, dass
er von Bord geht. Ich atme erst auf, als er im Greyhoundbus sitzt
und sich mit einem letzten Winken verabschiedet.
6000 nautische Meilen liegen seit Phuket in meinem Kielwasser. Einmal mehr war es eine Reise mit vielen schönen, aber auch
mit ein paar weniger schönen Erlebnissen.
«Grosse Strecken bewältige man nicht durch Geschwindigkeit,
sondern durch Ausdauer, dadurch, dass man 24 Stunden fährt, sagte
Otti einmal. Die Hasta Mañana, die bereits alle Weltmeere überquert
hat, ist eine Langstrecken- und Ausdauersportlerin!»
180
Am Kap der St rme
Richard s Bay
Hout Bay
s ist Sonntag, der 21. April 2002, ein prächtiger Herbsttag. In
der Hout Bay Marina belege ich Platz 15. Diesen habe ich beim
Hafenmeister Peter sehr günstig gemietet. Zudem hat mich der
Hout Bay Yacht Club als Mitglied auf Zeit aufgenommen. So habe
ich freien Zugang zum Klubhaus. Vom Balkon aus lassen sich mit
einem kühlen Bier in der Hand die Aktivitäten beobachten. Viele
Boote laufen aus, um sich für die bald stattfindende Admiral’s Regatta vorzubereiten. An der Pier legt gerade, von Reggae-Musik begleitet, ein Touristenboot der «Drumbeat Charters» ab. Es nimmt
Kurs auf das nahe Seal Island, wo man Seehunde beobachten kann.
Souvenirhändler preisen ihre Ware an, daneben werden Sardinen
aus den Fischerbooten gehievt, in Kisten abgefüllt, mit Eis bedeckt
und in Lastwagen verfrachtet. Am nahen Strand wagen sich nur
Kinder in das nur 13 Grad kalte Wasser.
Hier im Club scheinen Regatta-Aktivitäten wichtig zu sein. An
jedem Mittwochabend und an den meisten Sommerwochenenden finden Wettfahrten statt. Ich fühle mich hier willkommen
und befreunde mich rasch mit einigen Clubmitgliedern, auch mit
Sonja und Ian Alexander. Diese verliessen die Hout Bay 1991 zu
einer Weltumsegelung an Bord ihrer neuen «Wanderlust», einer
Tosca 36. Ihre beiden Kinder Jerome und Tanja, sechs und drei
Jahre alt, begleiteten sie, wurden von Sonja unterrichtet und
besuchten unterwegs nur sporadisch eine Schule. 1998 kehrten sie
nach Hout Bay zurück, verkauften ihr Boot und haben noch
immer etwas Mühe mit dem stressigen Landleben.
Vor fünf Monaten war ich noch in Richard’s Bay, östlich von
Durban. Die Fahrt nach Kapstadt entlang der Küste gilt als
E
181
gefährlichstes Stück einer Weltumsegelung. Deshalb wollte ich
diese Strecke mit bewährten Seglern meistern. Am 2. November
traf Stefan Beerli aus Rheinau ein, gerade rechtzeitig zu einem Fest
an Bord der «Andrea Helena» in der Tuzi Gazi Marina. Paul Ladell
repariert dort alles, was an Bord der Yachten anfällt und
veranstaltet jeden Freitag einen Grillabend. Zusammen erkundeten wir auch das Nachtleben. Im uns von Seglern empfohlenen
«Lido» wurden wir sofort von Frauen umringt. Stefan zeichnete
alle Aktivitäten mit seiner neuen Sony-Digitalkamera auf, die mit
einer Infrarotlichtquelle versehen ist. Damit gelangen ihm
unwahrscheinlich authentische Aufnahmen. Auch eine peinliche
Szene, als mir eine Partnerin bei einem Tango aus den Händen
glitt und auf dem Boden aufschlug. Meine Favoritin hiess Tanya.
Sie gab mir eindeutig zu verstehen, dass sie sich gerne meiner
annehmen würde, natürlich nicht ganz uneigennützig. «Nimm
mein Auto», ermutigte mich Stefan und übergab mir den
Schlüssel. Meine Begleiterin brach in einen Lachanfall aus, als ich
das Fahrzeug nicht in Gang zu setzen vermochte. Hier in
Südafrika, das fand
ich bald heraus, sind
mehrere Sicherungen
gegen Diebstahl eingebaut: ein Schloss,
um das Getriebe zu
blockieren, eine elektronische Sperre und
eine LenkradblockieWas zum Teufel will die Polizei?
rung. Mit Hilfe Stefans konnten wir
schliesslich von dannen fahren und fanden rasch ein lauschiges
Örtchen. Wir waren noch nicht lange dort, als Tanya plötzlich
aufzuckte. «Police!» schrie sie. Tatsächlich hatte in der Nähe ein
Auto mit Blaulicht angehalten. Man sollte einen älteren Herrn
nicht stören, dachte ich mir. Erst nach einiger Überzeugungsarbeit
182
und nachdem meine Gefährtin an einer Tankstelle ihren Hunger
gestillt hatte, konnte ich sie dazu bewegen, unser kleines Abenteuer fortzusetzen. Erst später wurde mir richtig bewusst, welchen
Gefahren ich mich ausgesetzt hatte. Wie leicht wäre es gewesen,
mich in einen Hinterhalt zu locken und auszurauben! Schwarze
Frauen üben auf mich einen besonderen Reiz aus. Das ist wohl der
Grund, weshalb ich offenbar nie gescheiter werde!
Am 6. November kam zur Verstärkung unserer Crew Peter
«Pierre» Fricker aus Mammern an Bord. «Das ist ja eine Baustelle!»
waren seine ersten Worte. Wie Recht er hatte. Am Ruderanschlag
musste geschweisst werden, da auch Stefans Bärenkräfte nicht
ausreichten, die eingerosteten
Schrauben des defekten Teils
zu lösen. Den gebrochenen
Bolzen konnte Paul reparieren.
Ich fluchte schon früh am
Morgen, als ich Mühe hatte,
diesen einzusetzen und festzuziehen. Damit weckte ich
Pierre, der jetzt seinerseits zu
fluchen begann. Paul musste
das Verbindungsstück zum
Autopiloten schweissen. Ihm
schien das nichts auszuUnser Motto: Ran an die Arbeit!
machen, obwohl er kaum Platz
dafür hatte. Pierre brachte es schliesslich fertig, die Hydraulik des
Autopiloten ohne schriftliche Anleitung zu entlüften. Als dann
unsere Probefahrt erfolgreich verlief, unser Boot einwandfrei
unter Autopilot fuhr und wir 240 Liter Diesel gebunkert hatten,
besserte sich unsere Stimmung schlagartig. Am Abend genehmigten wir uns erlöst ein Bier. Nur noch unser Kühlschrank bereitete
Sorgen. Obwohl sich Paul auch darum bemühte, blieb die
Kühlleistung mager. Der geniale Alleskönner bot mir an, mir ein
gutes Produkt zusammenzubasteln. Ich machte eine Anzahlung
183
und versprach, ihm mein defektes Aggregat von der Hout Bay aus
zu senden und das neue Teil im Februar 2002 bei ihm abzuholen.
Unzählige Male war ich Peter und Jenny auf ihrer «Blue Shadow»
begegnet, doch nun verabschiedeten sie sich mit einem grossen
Fest. Sie liessen ihr Boot in Richard’s Bay liegen und wollten
während den nächsten zwei Jahren in der Schweiz Geld für die
Weiterreise verdienen.
Während wir uns auf unseren Törn vorbereiteten, maulte
Stefan. «Warum müssen wir hier bei dir anheuern und können
nicht in einem Tropenparadies mit türkisblauem Wasser segeln,
wo es schöne Frauen hat und sich die Palmen im Wind wiegen?»
lamentierte er. Meine Antwort war klar: «Weil ich euch hier
brauche!» Pierre ernannte ich zum Skipper, Stefan zum ersten
Steuermann. Dieser hatte kürzlich die Theorie zum Hochseeschein bestanden und brauchte noch ein paar hundert Meilen.
Pierre analysierte die Wetterlage, sortierte die Karten und
programmierte den GPS. Er gab sämtliche Wegpunkte der 900
Meilen langen Strecke plus Routen zu den Ausweichhäfen ein und
leistete eine geballte Ladung an Arbeit. Ich kümmerte mich
zusammen mit Stefan um den Einkauf und das Ausklarieren, das
relativ aufwändig war. Schon beim Ausfüllen der Formulare wurde
einem klar, dass es sich um eine anspruchsvolle Fahrt handelte.
Für jedes Crewmitglied musste eine Kontaktperson für den Notfall
angegeben werden, nebst umfassenden Angaben zum Boot. An
dieser Küste soffen schon viele Yachten mit Mann und Maus ab.
Auch zahlreiche Frachter waren schon in Seenot geraten. Der
Agulhasstrom ist mit 4 bis 5 Knoten am stärksten auf der 200-Meter-Tiefenlinie. Sobald sich ein Südweststurm aufbaut, können
sich bis zu 20 Meter hohe Wellen (!) bilden. Auf der Karte steht:
«Freak waves up to 20 meters may be encountered between the
edge of the continental shelf (200 m depth). These can occur
when a strong southwesterly is blowing and the barometric pressure is low». Häfen oder Ankermöglichkeiten hat es zwischen
Durban und East London keine.
184
Die meisten Segler warten auf ein viertägiges Wetterfenster,
um dieses Teilstück in Angriff zu nehmen. In der Regel segeln sie
erst im Januar los, im Hochsommer also. Wir erkannten schnell,
dass die Wetterprognosen unzuverlässig sind und heckten einen
anderen Plan aus: Wir wollten nonstop zur 900 nautische Meilen
entfernten, vor Kapstadt gelegenen Hout Bay segeln. Hans, ein
Deutscher, der an Bord der «Brandenburg» lebt und diese Küste
gut kennt, unterstützte unser Vorhaben. Er riet uns, Richard’s Bay
an einem schönen Tag mit Rückenwind zu verlassen und die
Segelfläche zu verringern, sobald dieser zusammenfalle. An der
Küste könnten sich kleine Tiefs bilden, die auf keiner Wetterkarte
verzeichnet seien, worauf dann plötzlich ein gefährlicher
Südweststurm da sei. «Aber diesen kann man etwas westlich von
Port Edwards abwettern», erklärte er. «Sobald sich die Situation
beruhigt, seid ihr bereit, in kürzester Zeit die gefährlichste Stelle
bei Port St. Johns zu passieren. Im Notfall könnt ihr immer noch
zurück nach Durban ablaufen!»
Wir liefen am 13. November gegen Abend bei schönstem
Wetter aus. Die ersten 24 Stunden kamen wir gut voran, dann
schwächte der Wind ab. Durban hatten wir an Steuerbord gelassen. Stefan und Pierre waren laufend mit ihren Handys beschäftigt, denn entlang der Küste war der Empfang einwandfrei. Auf
Position 30° 28’ Süd und 30° 44,4’ Ost passierte uns das Kriegsschiff «Drakenberg», wünschte uns eine gute Fahrt und gab uns
die neueste Wetterprognose mit: «Nordostwind, Beaufort 3 all the
way bis East London.» Frachter, die in der Gegenrichtung passierten, hielten sich nahe unter Land, um vom Gegenstrom zu
profitieren. Zum Nachtessen gab es Nudeln mit Thunfischsteaks.
Am Nachmittag hatte Stefan, der sich sofort ums Fischen
kümmerte, einen ansehnlichen Bonito gefangen. Wir genossen
das vorzügliche Mahl und schlugen uns die Mägen voll. Stefan
flunkerte. Er sei auf Diät! «Was für eine Diät», wollten wir wissen.
«Ich mache die Kiwi-Diät. Man kann alles essen ausser Kiwis»,
entgegnete er lachend. Es war seine erste längere Hochseereise.
185
Am nächsten Morgen erfreute uns ein grandioses Schauspiel: Ein
Wal zeigte sich etwa dreissig Meter entfernt und tauchte wieder
schnaubend ab. Wir passierten die gefährlichste Stelle bei Port
St. Johns unter Motor und machten eine unglaublich gute Speed.
Unser GPS zeigte mehr als 10 Knoten Fahrt über Grund. Der
Agulhasstrom spülte uns förmlich in Richtung Kapstadt! Am
frühen Morgen des 16. November gab es wieder Wind, zum Glück
aus Südost und mit bis 35 Knoten (Bf 8). Ein neuer Rekord für
mein Boot: In den letzten 24 Stunden hatten wir sage und
schreibe 244 nautische Meilen zurück gelegt! Gegen Abend baute
sich ein unglaublicher Seegang auf. Stefan war besorgt. Tatsächlich lechzten giftige Wellen bis ins Cockpit, und unsere Windfahnensteuerung hatte Mühe, unseren Kurs zu halten. Wir waren
erst drei Tage unterwegs und schon dabei, den Agulhasstrom zu
verlassen, um den südlichsten Punkt Südafrikas, das Kap Agulhas,
zu umrunden. Vieles änderte sich. Auch die Wassertemperatur. Sie
sank von 24 in kürzester Zeit auf 13 Grad! Ein untrügliches
Zeichen, dass wir den Indischen Ozean verliessen und in den
Südatlantik hineinfuhren.
Euphorisch meldeten wir unseren besten Freunden per Handy
das Runden des Kaps. Christoph Gautschi, unseren Captain der
Starbootflotte Bodensee, erwischten
wir im Auto, als er zwischen Bern
und Zürich unterwegs war. Meinem
Freund Robert Allgaier besorgte ich
es militärisch: «Herr Oberst, melde
Kap umrundet!» Unzählige SMS
schwebten hin und her. Wir feierten
die Passage mit Stefans Lieblingsdrink: Malibu, verdünnt mit Ananassaft. Zur Feier des Tages kochte Peter
ein «Risotto à la Pierre». Nur noch
150 Meilen waren es bis zum Ziel.
Das Kap der Guten Hoffnung oder
Pierre: «Kap gerundet»
186
das Kap der Stürme, wie es auch genannt wird, war noch zu runden. Am Morgen des vierten Tages konnten wir dieses kurz sehen,
bevor es sich diskret in Nebel verhüllte. Immerhin war unsere
Position zum Kap auf Stefans GPS mit Kartendarstellung
auszumachen. Pierre gab den «Anflug» zur Hout Bay in den GPS
ein, um gewappnet zu sein, sollte sich der Nebel nicht verziehen.
Schade, dass unser Radar noch immer defekt war. Kurz vor dem
Einlaufen am 18. November hellte es auf, und Stefan konnte bei
guter Sicht einen freien Hafenplatz in der Hout Bay Yacht Club
Marina ansteuern. Damit hatte er über 1000 Meilen für den
Hochseeschein zusammen. Wahnsinn, für die 900 Meilen brauchten wir nur gerade vier Tage und 20 Stunden.
Kaum waren wir fest, tauchten Karen und Claus mit einer
Flasche Portwein bewaffnet auf, um uns willkommen zu heissen.
Claus aus Kapstadt war im Dezember 2000 Vordeckcrew, als wir an
der Kingscup-Regatta in Phuket teilnahmen. Seine Flasche
Portwein war schnell erledigt. Der erste Tag an Land ist immer
gefährlich, was den Alkoholkonsum betrifft. Ich konnte mich
jedenfalls am nächsten Morgen nicht mehr erinnern, was es im
«Dirty Dicks» zum Nachtessen gegeben hatte. Rund um die
Hout Bay erheben sich Berge. Im Osten liegt der Chapmans Peak
und im Westen der Sentinel. Stefan sah es klar: «Es sieht aus wie
im Tessin, nur sind die Menschen schwarz hier.» Was für
Gegensätze! Die ärmeren Leute wohnen etwa einen Kilometer
vom Zentrum entfernt in selbstgebauten Hütten. Oft begegneten
wir Bettlern, die um einen Almosen baten. Ganz ungefährlich ist
diese Gegend nicht. So wurde uns auch abgeraten, nachts alleine
zu Fuss vom Städtchen an den Hafen zu gehen.
Pierre verabschiedete sich nach einigen Tagen. Er wollte zu
seinem Freund Neil in Tableview und so rasch wie möglich mit
dem neuen Board, das ihm dieser gebaut hatte, Windsurfen
gehen. Neil, beruflich als Ingenieur in einem Atomkraftwerk tätig,
vermietet nicht nur Zimmer an Windsurfer, er repariert und baut
auch neue Bretter. Kapstadt mit seinem Starkwind und seinen
187
«Killerwellen» gilt als Mekka der Windsurfer. Fast jeden Samstag
veranstalten Neil und seine Partnerin Natasha einen «Braai», die
südafrikanische Form des Barbecue. Dafür braucht es keine
Einladung. Wer Lust hat, kann
einfach vorbeikommen und
muss nur Fleisch und Tranksame mitbringen. Die ungezwungene Gastfreundschaft der
Südafrikaner macht es leicht,
rasch neue Bekanntschaften zu
machen. Fast jedes Haus hat
eine von aussen und innen zuPierre mit dem neuen Board
gängliche Feuerstelle.
Bis zu unserer Abreise in Richtung Schweiz wollten wir uns den
Sehenswürdigkeiten der Umgebung widmen. Schon die 20 Kilometer Autostrasse entlang der Küste vorbei an Llandudno, Camps Bay
und Sea Point zur Waterfront in Kapstadt war ein Erlebnis. Die
Camps Bay gilt als mondäner Strand mit schönen Menschen. Jede
Menge Automobile der höchsten
Preisklasse reihen sich hier entlang
der Strasse. Sehen und gesehen
werden, scheint hier wichtig zu
sein. An der Waterfront findet man
unzählige Restaurants und Shopping Centers mit Touristen aus aller
Welt. Wir bestiegen ein Boot im
Ferry-Ticket zur Robben-Insel
Nelson Mandela Gateway und fuhren nach Robben Island. Dort besichtigten wir die Gefängniszelle Nummer 5, in der der Freiheitskämpfer über 20 Jahre eingesperrt war. 1990 wurde der African
National Congress (ANC) als legale Organisation anerkannt, worauf
Mandela das Gefängnis als freier Mann verlassen konnte. Er wurde
Chef des ANC und in den ersten freien Wahlen 1994 zum Präsidenten Südafrikas erkoren. Auf den Tafelberg liessen wir uns von
188
einer in der Schweiz gebauten rotierenden Gondel tragen. Kapstadt
gilt als eine der schönsten Städte dieser Erde. Mit dem Wetter hatten wir Glück, denn der Tafelberg wird oft von Wolken verhüllt, die
ein starker Südostwind heranträgt. Es sieht dann aus, wie wenn der
Berg von einem Tischtuch bedeckt wird. Als Weinliebhaber mit
eigenem Rebberg im Klettgau fieberte
Stefan unserer Weintour entgegen. Zuerst besuchten wir Stellenbosch und
besichtigten im Boschendal-Weingut
die Rebanlagen. Sozusagen als Apéro
degustierten wir sechs Weinsorten und
widmeten uns dann im gepflegten
Ein Stopp auf der Weintour
Garten dem weltberühmten «Picknick». Zum Abschluss fuhren wir zum
Kap der Guten Hoffnung. Als ich auf das grosse Wasser hinausblickte, überkam mich noch einmal tiefe Dankbarkeit, dass auch die
Reise über den Indischen Ozean nach Südafrika glücklich verlaufen
war.
Wie üblich verbrachte ich Weihnachten mit meiner Familie
und den Januar in Klosters in der Schweiz. Doch kaum war das
neue Jahr angebrochen, fieberte ich erneut Südafrika entgegen.
Ich wollte mir Zeit lassen, auch um alle anstehenden Reparaturen
an meinem Boot auszuführen. Des einen Leid, des anderen Freud.
Die für die Südafrikaner schmerzliche Schwächung des Rand
machte für die Ausländer wie mich
alles noch billiger. Eine Ursache
des Randzerfalls war die Situation
im Nachbarstaat Zimbabwe, wo
Präsident Robert Mugabe seine
umstrittene
Landreform
trotz
internationaler Proteste unbeirrt
weiterführte. Auch in Südafrika
häuften sich die Morde von Farmern. Viele Weisse haben Angst,
Ausflug ins Parsenngebiet
189
dass in der Zukunft ähnliche Zustände wie im Nachbarstaat entstehen könnten. Nicht wenige der etwa 40 Millionen Einwohner
dieses faszinierenden Landes, das etwa dreieinhalb mal so gross ist
wie Deutschland, sind verunsichert. Noch immer sind die Unterschiede zwischen den Reichen und den Armen riesig.
Mitte Februar 2002 flog ich zusammen mit meinem jüngeren
Sohn Ronald nach Johannesburg. Dort mieteten wir einen kleinen
Fiat, um vorerst Jennys Eltern Louise und Bill im 500 Kilometer
östlich gelegenen «Maduma Boma»-Tierpark zu besuchen. Ihr Sohn
Grant führt das Resort zusammen mit seiner Frau Michelle. Ihre
Bungalows mit eigenem Swimmingpool
liegen mitten im Busch. Schon auf einem
kurzen Spaziergang konnten wir Impalas,
Warzenschweine und Giraffen hautnah
beobachten. Wir fühlten uns rasch zuhause. Als dann noch die drei Jäger Bruno,
Peter und Ueli aus dem Tösstal dazu stiessen, um einige überzählige Impalas zu
schiessen, organisierte Grant ein Braai in
einem «Boma». Frei übersetzt ist das ein
Ronald im «Maduma
Boma»-Tierpark
Platz zum Erzählen von Geschichten. Unser
Versammlungsplatz mit Feuerstelle war mit
einer runden Abgrenzung aus Bambusstangen gegen streunende
Tiere geschützt. Schon nach dem ersten Glas Wein erzählte der über
siebzig Jahre alte Bill von vergangenen Zeiten in Afrika. Nach
diesem Besuch wollten wir den nahen Krügerpark besuchen. Nach
Bezahlung des Eintrittes waren wir frei, uns zu bewegen, wie wir
wollten, allerdings nur mit einer maximalen Geschwindigkeit von
50 Kilometern pro Stunde. Es war spannend! Plötzlich stiessen wir
auf eine Straussenfamilie, die unbeirrt die Strasse überquerte.
Impalas und Zebras gehörten zu unseren häufigen Begleitern.
Manchmal versperrten uns auch Elefanten und Giraffen den Weg.
Bei einem Flussübergang machten wir ein Krokodil aus, das reglos
und schwer sichtbar im Wasser auf Beute lauerte.
190
Ich genoss es, wieder einmal ein paar Wochen mit meinem
Sohn zusammen zu sein. Nicht zuletzt war ich auch froh, dass er
mich auf dieser langen Reise am Steuer von Zeit zu Zeit ablöste.
Richard’s Bay erreichten wir in zwei Tagen. Sofort besuchte ich
Paul auf der «Andrea Helena», der mir strahlend mitteilte, dass
mein Kühlaggregat fertig sei. Spontan lud ich ihn zum Nachtessen
in einem nahen Thai-Restaurant ein. Mit dabei war auch Hans, der
mir in Richard’s Bay gute Tipps für die Route entlang der
schwierigen Küste gegeben hatte. Dieser bot uns an, auf seiner
«Brandenburg» zu übernachten. Auf
seinem Boot zeigte uns Hans die
Kojen, schenkte uns einen Brandy
ein und begann dann von seiner
Jugend in Deutschland und seiner
späteren Söldnerkarriere in Schwarzafrika zu erzählen. Mir war das Ganze
etwas unheimlich, vor allem, nachdem sich Hans auch als feuriger
Verehrer Hitlers zu erkennen gab.
Sprüche wie «Der Führer hat Härte
befohlen!» oder «Wir haben zwei
Hans: Ein Hitlerverehrer
Weltkriege verloren, aber nur knapp,
Herr Oberst!» waren für mich schwer nachvollziehbar. Unser Nazi
kam richtig ins Feuer. Am liebsten laufe er am 20. April aus, am
Geburtstag des Führers, verriet er uns. Zudem laufe er die Häfen
immer nur nachts an und spiele U-Boot Kapitän, indem er durch
den Feldstecher die Hafeneinfahrt beobachte und sich dann die
Einfahrtsbefehle erteile. Er fühle sich dann so wie damals der
U-Boot Kommandant Priem. Nach dem Frühstück machten wir
uns schleunigst von dannen.
Nach einem Besuch bei Urs Kienast aus Hemishofen und
seiner thailändischen Frau Aree in Durban – er arbeitet für Sulzer
– folgten wir der Küste durch die Transkei über East London, Port
Elisabeth nach der für das Wellenreiten bekannten Jeffery’s Beach.
191
Wir mieteten ein Brett und warfen uns in die Wellen. Ronald
wurde nicht müde, es immer wieder zu versuchen, doch ich hatte
schon nach einer Stunde genug vom Surfen. Ich beobachtete
lieber die Einheimischen, wie sie eine gute Welle abwarteten und
scheinbar mühelos den Wellen entlang glitten. Unterwegs wollte
ich unbedingt Knysna besuchen, einen Hafen, den wir als
Ausweichmöglichkeit bei schlechtem Wetter geplant hatten, als
wir im November entlang dieser Küste segelten. Als wir in Knysna
Heads die Hafeneinfahrt sahen, war ich froh, dass wir hier nie
einlaufen mussten. In der Mitte der relativ schmalen Einfahrt
tobten nämlich wilde Wellen!
Mit über 4700 Kilometer auf dem Zähler trafen wir schliesslich
in der Hout Bay ein. Die Hasta Mañana hatte meine Abwesenheit
unbeschadet überstanden.
Sofort machten wir uns
daran, den neuen Teil am Kühlschrank einzubauen. Er funktionierte auf Anhieb prächtig. Ronald fühlte sich wohl an Bord,
flog aber Ende Monat wieder in
die Schweiz zurück. Die ersten
Tage vermisste ich ihn, aber dann
nahm mich mein Boot in Anspruch. Ich brachte die Segel und
das Spritzverdeck zur Reparatur
zu North Sails auf Paarten Island.
Auswassern in der Granger Bay
Auch mein Radar konnte endlich
repariert werden. Inzwischen war
auch Pierre bereits wieder in Südafrika und baute zusammen mit
Neil ein neues Windsurfboard. Bei der Taufparty des neuen Brettes
auf den Namen «Great White» begoss es Pierres Freundin Caroline
mit meinem mitgebrachten Champagner, und Pierre schlürfte das
köstliche Nass vom neuen Namen. An diesem Abend kam ich mit
dem Besitzer von Pierres Toyota überein, diesen Wagen mietweise
192
zu übernehmen. Als Pierre in Richtung Schweiz abflog, übernahm
ich also seinen «Bakkie». So werden hier die populären Fahrzeuge
mit Ladebrücke bezeichnet. Am Karfreitag verlegte ich mein Boot
zusammen mit Christian, einem in der Hout Bay lebenden
pensionierten Deutschen, zur näher bei Kapstadt liegenden
Granger Bay. Gleich neben dem Radisson-Hotel betreibt Johann
Alder einen Slipway für Yachten. Am Ostersonntag wurde dort
mein Boot auf einem Schlitten befestigt und auf Schienen mit
Hilfe einer Winde aus dem Wasser gezogen. Sofort begann der
Hafenmeister Farid, ein Muslim, für den es keine Ostern gibt, mit
dem Abspritzen des Unterwasserschiffes. Tags darauf fuhr ich
gegen Abend mit meinem «Bakkie» zur Waterfront und parkierte
das Fahrzeug auf einem von Security-Leuten bewachten Parkplatz,
bevor ich im Bräuhaus «Paulaner» beim Clock Tower ein
köstliches, frisches Weissbier trank. Dort begegnete ich Deon und
Charlie, die ich ein Jahr zuvor mit ihrer «Zuza» in Mauritius
kennen gelernt hatte.
Als ich kurz nach neun Uhr beim Parkplatz eintraf, konnte ich
meinen Wagen nicht mehr finden. Nein, besoffen war ich nicht.
Auch die Hilfe eines Wächters, mit dem ich alle Aussenparklätze
abklapperte, änderte nichts an der Tatsache: mein Bakkie war weg!
Am nächsten Morgen machte ich mich früh auf, um die
Parkplätze nach meinem hellblauen 1996er Toyota Hilux 2,4 D
abzusuchen, ohne Erfolg. Gegen elf Uhr machte ich bei zwei
Polizeibeamten eine Diebstahlanzeige. Sie wurde zum «Fall
11/04/2002». Die Polizisten erklärten mir, dass die älteren Toyotas
gerne gestohlen würden – wie tröstlich! «Die Diebe haben
Nachschlüssel und fahren einfach von dannen», erläuterten sie.
Als ich den Vermieter anrief, beichtete er mir kleinlaut, dass er erst
an diesem Morgen die Versicherung erneuert habe, die vor zwei
Tagen abgelaufen sei. Somit war das Fahrzeug in den 24 Stunden
nicht versichert, in denen es gestohlen wurde! Als ich ein paar
Tage später beim Sicherheitsbeamten Jeftha Bentley vorbeischaute, zeigte er mir ein Video, auf dem zu sehen war, wie ich um
193
19:10 Uhr in den Parkplatz reingefahren war und wie der Toyota
schon um 20:04 wieder herausgefahren wurde! Da es bereits
dunkel war, waren auf dem Bild nur die Hände des Diebes zu
sehen. Das ist Afrika, wurde mir knallhart bewusst. Am nächsten
Tag erstand ich eine Flasche «Allesverloren». So heisst ein südafrikanischer Wein, der von einem Weingut dieses Namens in
Swaartland stammt. Der Wert des Toyotas betrug etwa 6000 Franken. Bei einem Glas Wein kam ich mit dem nicht gerade in rosigen
finanziellen Verhältnissen lebenden Jan überein, die Hälfte des
Schadens zu übernehmen, obwohl er es versäumte hatte, die
Versicherung rechtzeitig zu verlängern. Vielleicht wird der Toyota
eines Tages wieder auftauchen. Viel grösser ist die Chance, dass er
schon längst umgespritzt oder in seine Bestandteile zerlegt
worden ist. Nach diesem Vorfall radelte ich mit meinem Velo
umher, was erst noch gesünder ist.
Während mein Boot auf dem Trockenen lag und einen neuen
Antifoulinganstrich bekam, half mir Malcom, der Stellvertreter
des Hafenmeisters, beim Auswechseln der Wellendichtung. Eine
knifflige Arbeit. An einem schönen Herbsttag verlegte ich mein
Boot wieder in die Hout Bay. Ein wichtiger Teil der Überholungsarbeit war damit beendet. Ich ersetzte auch alle Wanten und baute
einen neuen Warmwasserboiler ein. Dazu ersetzte ich den
mitgenommenen Grossbaum und Baumniederholer und verpasste dem Deck einen neuen Anstrich. Während ich nun, an
diesem prächtigen Tag, auf der Terasse in der Hout Bay sitze und
mein Bier geniesse, erstrahlt mein Boot in neuem Glanz.
«Zurzeit tanzen wir wieder auf der Erdkrümmung. Es geht rauf und
runter. Auch munter voran mit sechs bis sieben Knoten. Wir haben
schon Tausende von Kilometern hinter uns. Das Lustige dabei: dass man
nie ein Portemonnaie braucht!»
194
«Great White
Born in South
Africa»
von Peter Fricker
s muss zu später Stunde an einem feuchtfröhlichen südafrikanischen Braai gewesen sein, als Otti und ich beschlossen,
an der Starboot-Schweizermeisterschaft in Zürich vom 8. bis 12.
Mai 2002 teilzunehmen. Die Probleme stellten sich erst, als ich
zurück in der Schweiz war. Wir hatten nämlich gar kein Boot mehr!
Die Suche nach einem Leasing für eine Woche war erfolglos, so dass
ich kurz entschlossen den Star 7537 von Manfred Meili kaufte.
Als ich dann das perlweisse Boot an der Sonne blitzen sah, kam
die entscheidende Idee: Da muss Werbung drauf! Weil ich durch das
Swissair-Debakel in der neuen Fluggesellschaft Belair als Copilot auf
Boeing 757/767 gelandet war und die Migros-Bosse viel Öffentlichkeitsarbeit versprachen, packte ich die Gelegenheit am Schopf. In
einer mehrseitigen Sponsoring-Anfrage mit Werbekonzept, Teamvorstellung und Fotomontage zählte ich unzählige Regattaerfolge
auf und beschrieb die Schweizermeisterschaft als seglerischen WeltEvent. Die undurchdringbare Beweislinie, dass es keinen besseren
Werbeträger als das Starboot-Team Fricker/Schmid geben könne,
sollte uns Millionenbeträge einbringen. Leider waren die Worte
wohl doch nicht so überzeugend. Mit den versprochenen 500 Franken konnten wir nicht einmal die Aufkleber und die Werbelizenz
bezahlen. Der Durchbruch erfolgte einige Tage später an der BalairRevival-Party. In der ausgelassen Stimmung machte Otti die
Bekanntschaft von Claus Niederer, dem CEO von Hotelplan. Dieser
outete sich als Seglerfan, was sofort Plan B ins Rollen brachte.
Bewaffnet mit Ottis Buch «Hasta Bananas» köderten wir den Chef
mit einer persönlichen Widmung und kamen ganz zufällig auf die
Schweizermeisterschaft zu sprechen. Sofort begeistert von unserem
E
195
Vorhaben, sprach uns Claus Niederer ohne zu zögern einen
grosszügigen Sponsorbetrag zu!
Leider war unser Aufstieg von der Hobbyliga in die Gilde der
Sponsored Professional Sailors mit viel Arbeit verbunden:
Aufkleber organisieren, Werbelizenz beantragen, Tuning des
Bootes mit dem Erstbesitzer Christoph Gautschi, Ummelden des
Schiffes, Reparatur und Vorführen des Anhängers. Dazu brauchten wir eine Unterkunft während der Meisterschaft, mussten
Werbematerial auftreiben, die Medien informieren und Team-TShirts drucken. Bis zum ersten Start verblieben nur noch wenige
Tage. Mit viel Unterstützung meisterten wir alles «just in time». Es
fanden sich sogar noch freie Kapazitäten für einen Vortrag vor
dem Rotary Club St. Margrethen und einen Auftritt in einer Projektwoche der Primarschule Mammern. Das Projekt «Great White
– born in South Africa» war auf Kurs! Stolz pinselten wir den
neuen Namen auf den Spiegel des glänzenden Bootes : «Great
White» – der weisse Hai! Damit signalisierten wir der Welt, wie
brandgefährlich wir waren.
Dann kam der grosse Tag: Wir fuhren mit unserem Starboot
nach Zürich. Mitten durch die Stadt und, wohlverstanden, ohne
Persenning, damit auch jeder unsere Belair-Werbung sehen
Starboot 7537: Great White
196
konnte. Schlau versuchten wir, den publikumswirksamsten
Hafenplatz zu ergattern und weitere Werbeauftritte für unseren
Sponsor zu organisieren. Schliesslich waren wir ja Profis! Doch
schon bald kam der erste Tiefschlag: Eine Umfrage, was Belair
eigentlich sei, beantworteten 60 Prozent mit «Belüftungsfirma»,
29 Prozent mit «Klimaanlagen»,10 Prozent hatten keine Ahnung,
und nur 1 Prozent wussten, dass es sich um die Balair-Nachfolgegesellschaft handelte. Wir hatten also ein ganzes Stück Aufklärungsarbeit vor uns.
Endlich kam es zum Wichtigsten der ganzen Übung: Dem
Regattasegeln. Schon am ersten Tag mussten wir bei schwachen und
drehenden Winden ernüchtert einsehen, dass wir vielleicht neben
dem Kommerziellen auch das Seglerische etwas hätten forcieren
sollen. Ein Platz im Mittelfeld der 51 gestarteten Boote hinterliess
gemischte Gefühle. Am Abend mussten wir uns noch für unsere
Unterkunft entscheiden. Wir hatten die Wahl zwischen einer Wohnung in Wollishofen, die uns die wunderschöne Belair-Airhostess
Rosa-Alba offen hielt, und einem im letzten Moment eingegangenen Angebot vom Zürichberg. Um zu viel Ablenkung aus dem Wege
zu gehen, entschieden wir uns für das Zweite. Reini und Rosie
Zürrer, die Otti in der Südsee kennen gelernt hatte, stellten uns
einen Teil ihres prächtig gelegenen Hauses mit einer unglaublichen
Aussicht zur Verfügung. Diese Oase der Ruhe, erfüllt von warmherziger Gastfreundschaft, war wie geschaffen, um uns von den
Regattastrapazen zu erholen. Wahrscheinlich zu entspannend,
denn bei Wein und gemütlichem Beisammensein mit unseren
Gastgebern verpassten wir schon den ersten Grillabend der
Veranstaltung!
Die nächsten zwei Tage waren gezeichnet von verzweifelten
Startversuchen, unberechenbaren Winden und Startabbrüchen.
Zum Glück verwöhnte uns während der Wartezeiten die Sonne
auf der Terrasse des Restaurants Seerose im Regattahafen von
Wollishofen. An den Veranstaltungen am Abend, während denen
ironischerweise immer ein perfekter Segelwind wehte, liessen wir
197
– stets in Team-Garderobe auftretend – keinen Zweifel darüber aufkommen, welches das am besten organisierte Team war. Am vierten Regattatag wechselte das Wetter endlich. Bei unbeständigen
Windverhältnissen konnten zwei weitere Läufe gesegelt werden.
Unsere Resultate wurden immer besser. In einer Regattapause erblickten wir plötzlich ein Kamerateam in einem Begleitboot. Unserem Sponsor verpflichtet, wendeten wir sofort und setzten uns
vor der Kamera in Szene. Eine schnelle Wende, und in athletischer
Pose segelten wir nochmals vorbei. Nach ein paar weiteren Passagen und einem freundlichen «Haut endlich ab!» vom Kamerateam
widmeten wir uns wieder dem Regattageschehen.
Im dritten Lauf des Tages setzte endlich starker und beständiger
Wind ein. Faire Bedingungen sollten endlich zeigen, welches Team
am stärksten war. Die vereinten Anstrengungen von Otti mit der
athletischen Kraft eines Zwanzigjährigen, dem taktischen Gefühl
eines Segelprofis und der mentalen Stärke eines Weltumseglers,
gepaart mit dem Perfektionismus eines Ingenieurs, der Steuerführung eines Piloten, dem Segelgefühl und der Risikobereitschaft
eines Big Wave Surfers, mussten endlich den Durchbruch bringen.
Lange hielten wir uns in den Top 5 und griffen sogar die Spitze an.
Doch der Wind stellte wieder ab. Mit Müh und Not und zerschlissenen Nerven retteten wir noch einen annehmbaren Platz ins Ziel.
Enttäuscht trafen wir an der Stegparty ein. Immerhin war unser
Boot mit dem riesigen Belair-Schriftzug allen aufgefallen. Die
Begrüssungen mit: «Hey, ihr ward ja immer ganz vorne!» und «Ihr
segelt ja unglaublich schnell!» heizten unsere Stimmung wieder an.
Der letzte Tag brachte keinen weiteren Lauf, worauf die
Meisterschaft mit einem Sieg von Klaus Kappes/Steffen Rutz und
einem zweiten Platz unseres Flottencaptains Christoph Gautschi/Uli Seeberger endete. Selber schlossen wir die Schweizermeisterschaft auf dem guten 18. Platz ab. Müde bauten wir unser
Boot wieder ab. Mit unserem Belair-Star im Schlepp und in der
Gewissheit, dass unsere Star-Karriere noch lange nicht zu Ende ist,
fuhren wir glücklich nach Hause.
198
Ein Wal, wilde Pferde und
ein paar Heilige
Kapstadt
Jamestown
nde August 2002. Es ist noch immer kühl, doch der Frühling
macht sich immer mehr bemerkbar. Der Abschied von
Südafrika naht. Nach einer Farewell-Party im Hout Bay Yacht
Club verlege ich die Hasta Mañana in den traditionsreichen Royal
Cape Yacht Club inmitten des grossen Kapstadter Hafens. Zu Zeiten der grossen Schifffahrt zwischen Europa und Asien war dies einer der wichtigsten Wendepunkte der Erde. Von hier aus kann ich
direkt Richtung Westen auslaufen. Mitte September trifft Urs von
Schroeder aus Schaffhausen ein, der sich zwar auf allen Weltmeeren auskennt, aber noch nie gesegelt ist und mich bis Südamerika
begleiten will. «Bitte um Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen,
Sir.» Mit diesen Worten heuert er grinsend als Koch an. Bei Wohlverhalten sei dies ein Job mit raschen Aufstiegsmöglichkeiten,
lasse ich durchblicken. Wir kennen uns seit der gemeinsamen
Swissair-Zeit und haben uns viel zu erzählen. Weshalb ich mir
plötzlich untreu werde und mit einem Mann segle? Man muss
kein Wasser in den Rhein tragen, also auch keine Frauen nach
Brasilien! Sozusagen als Fitness-Test erklimmen wir am ersten
gemeinsamen Tag den Tafelberg entlang dem steilen und
schweisstreibenden Weg der Plattenklippschlucht. Dass es dort
nur so von giftigen Schlangen wimmeln soll, erfahren wir erst
später!
Die letzte Woche, die wir im RCYC von Kapstadt verbringen,
ist hektisch. Vor allem beschäftigt uns das Einkaufen für die lange
Reise über den Südatlantik. Am Sonntagnachmittag sind wir zu
einer «Housewarming»-Party zu Conny Camenzind eingeladen.
Ich machte ihre Bekanntschaft, als ich bei Martina Wyss, einer
E
199
ehemaligen Flugbegleiterin der Swissair beim Schweizer Konsulat
einen neuen Pass beantragte. An dieser Party hoch über dem
Küstenort Seapoint gibt es sogar Schweizer Weisswein und
Cervelats vom Grill. Hier lernen wir auch Honorarkonsul Robert
Müller aus Hallau kennen. Urs, heute freier Publizist, überreicht
ihm ein Exemplar seines Buches «Swissair 1931–2002» für die
Hausbibliothek des Konsulates. Hier, wie bei allen Schweizer
Kolonien im Ausland, trauert man noch immer der geliebten
Airline nach, deren Untergang für alle
unverständlich ist. An einem Abend
wieselt eine New Yorkerin an unserem Boot vorbei. Sie ist klein, trägt
vorne zwei Fünfpfünder mit sich
herum und wartet auf eine einfahrende Yacht namens «Fiona». Wir
laden sie zu einem Bier ein und
unterhalten uns eingehend über Gott
und die Welt. Am nächsten Morgen
geht sie – in dieser Beziehung sind
Amerikaner schon Spitze – an uns
vorbei, ohne auch nur Kenntnis von
Maria und Christian mit ihrer
uns zu nehmen. Ein andermal beTraumyacht
sucht uns Caroline Nuc mit einer
Belair-Crew, die gerade einen Nightstop in Kapstadt hat. Auch
Christa und Herbert Schmell, die ein Haus in Sommerset West
besitzen, geben uns ein Stelldichein. Urs und Herbert arbeiteten
viele Jahre beim Swissair-Pressedienst zusammen. Mit meinem
deutschen Freund Christian und seiner Partnerin Maria feiern wir
seine neu erworbene Traumyacht «Mondina». Gebrauchte Boote
sind in Südafrika erstaunlich günstig zu haben. Nur gerade
15 000 Euro bezahlte er für die fast neue und 33 Fuss lange StahlSlup. Am Abend vor unserer Abreise schlagen die Wogen bei
einem «Winetasting» im RCYC und einem Abschiedsessen mit
Neil und Natasha hoch.
200
Kapstadt: Die Wetterprognose verheisst Rückenwind
201
Zwischendurch hatte ich Urs einen «Crashkurs» im Kartenlesen verpasst. Ich will, dass er fähig wird, die Hasta Mañana in
einem Notfall sicher in den nächsten Hafen zu steuern. So liess ich
ihn auch – nachdem wir die Route besprochen hatten – die
genauen Positionen bestimmen und die Way Points in den GPS
eingeben. Für einen blutigen Anfänger nicht ganz einfach, doch
meine neue Crew will offensichtlich Punkte schinden, um nicht
für ewig Koch bleiben zu müssen. Wie es sich gehört, führe ich
noch einen richtigen Emergency Drill durch. Dann sind wir
«ready to go»! 1700 nautische Meilen oder etwa 3100 Kilometer
trennen uns von unserem ersten Ziel: St. Helena.
Am Morgen des 19. September. Ich bin nicht gerade nervös,
spüre aber wieder einmal das berühmte Kribbeln in der Magengegend. Das Wetter ist schön, die Prognose verheisst Südostwind
von 20 bis 25 Knoten, also ideale Verhältnisse. Die ersten 24 Stunden haben es aber in sich. Kaum sind wir aus dem Hafenbecken
und auf Kurs West abgedreht, da schreit Urs: «Ein Wal voraus!» Ich
reisse das Steuer nach rechts. Kaum 20 Meter vor uns zischt das
Ungetüm abrupt aus dem Wasser und zeigt beim Abtauchen die
Schwanzflosse. Ein Zusammenstoss mit diesem Riesensäuger hätte
unangenehme Folgen für uns und unser Boot haben können. Da
sind uns die Seehunde lieber, die in grosser Zahl an uns vorbeischwimmen und neugierig die Schnauze aus dem Wasser heben.
Kaum haben wir uns etwas vom Schreck erholt, nähert sich uns
ein gewaltiger Frachter. Jetzt ist Urs am Steuer und will diesem
natürlich den Vortritt lassen, doch der Frachter verlangsamt seine
Fahrt. Unsere Segel knattern im auffrischenden Wind. Endlich
sind wir durch und können abfallen. Nun übergeben wir das
Ruder der Windfahnensteuerung. Wir wollen die Schifffahrtslinie
entlang der Küste hinter uns lassen, um später Richtung St. Helena
abzudrehen. Als erstes Nachtessen koche ich wieder einmal
meinen berühmten «Spatz», wie im Militärdienst. Schon kurz
nach 18 Uhr bricht die Nacht herein. Nach einem Glas Wein und
einem Brandy übernimmt Urs seine erste Wache, und ich lege
202
mich in meiner Koje aufs Ohr. Von Ruhe ist allerdings kaum die
Rede. «Otti, komm dir das ansehen!» ruft Urs, worauf ich ins
Cockpit schiesse. Im Wasser rund um uns brodelt und pustet es.
Hunderte von Delfinen kurven um unser Boot: ein riesiger
gleissender Teppich herumpfeilender Leiber im fahlen Mondlicht.
Der Seegang nimmt zu. «Die Hasta Mañana» beginnt immer
heftiger zu bocken. Urs scheint zum Glück seefest zu sein. An
Backbord überholt uns ein hell beleuchtetes Schiff. Kaum liege ich
wieder in der Koje, werde ich erneut aus dem Schlaf geholt. An der
Steuerung stimme etwas nicht, schreit Urs. Es habe plötzlich
gekracht, worauf der Kompass wie wild zu drehen begonnen habe.
Und tatsächlich, der Mond tanzt plötzlich auf der anderen Seite.
Das Kreuzfahrtschiff, das vorher an Backbord lag, leuchtet jetzt an
Steuerbord. Wir haben eine veritable Pirouette gemacht! Die
Ursache ist schnell eruiert: Ein Steuerseil der Windfahnensteuerung ist gerissen, worauf wir aus dem Ruder gelaufen sind.
Wir schalten den elektronischen Autopiloten ein und gehen auf
den richtigen Kurs. Anschliessend befestige ich schleunigst ein
neues Steuerseil. Inzwischen ist es 22 Uhr geworden, und ich
übernehme meine Wache. Urs schneidet sich in der Pantry einen
Landjäger zu. Ein Brecher klatscht an unseren Rumpf, dann
stürzen wir in ein Wellental. Urs erwischt es. Er verliert das
Gleichgewicht und fliegt mit dem offenen Messer in der Hand
durch die Kabine und verletzt sich an Ring- und Mittelfinger der
linken Hand. Wir haben ein kleineres Blutbad. Sofort desinfiziere
und verbinde ich die Wunden – zwei Narben bleiben als
Erinnerung an diesen Starttag, der es in sich hat. Als Segler-Anfänger erlebte Urs einen happigen Anfang.
Nachts ist es empfindlich kühl. Die Wassertemperatur beträgt
ganze 13 Grad Celsius. Um ein Uhr früh ist Urs nicht wach zu
kriegen. Auch Rütteln hilft nicht. Der Mann schläft wie ein Bär. Ich
gewähre ihm eine weitere Stunde in seinen Träumen. Dann klappt
es schliesslich. Das sei ja wie im Militär, die reinste
Menschenschinderei, bemerkt er trocken. Wir wechseln nur wenige
203
Worte. Ich reiche ihm eine Tasse heissen Kaffees, worauf ich mich
zur Ruhe legen kann. Während seiner zweiten Wache verstärkt sich
der Wind mehr und mehr. Die Wellen werden höher. Bei einer
Windstärke von 20 Knoten wird es dem Neuling ein wenig mulmig.
Sollte man die Genua reduzieren oder nicht? Schliesslich konsultiert er mich, obwohl er mich ungern weckt. Ich entschliesse mich,
das Segel einzudrehen. Der Mond ist verschwunden und rundherum rabenschwarze Nacht. Der Seegang verstärkt sich weiter. Urs
ist froh, als die Ablösung kommt! Die ruhigen Morgenstunden
nutze ich bei Bedarf zum Brotbacken oder zum Lesen. Urs schläft –
das stellt sich im Laufe unserer Reise heraus – beträchtlich weniger
als ich, dafür viel tiefer und verbringt den ganzen Tag auf Deck. Ich
schätze dagegen meine Mittagsschläfchen.
Schon in den ersten 24 Stunden legen wir 159 Meilen zurück.
Bald ergibt sich eine eingespielte Bordroutine. Der erste Thunfisch, der sich an der Schleppangel festbeisst, kann sich beim
Bergen am Heck befreien – gut für ihn. Am Nachmittag
bewundern wir die Gleitkünste der Albatrosse, die elegant und
ohne Flügelschlag den Wellenkämmen entlang kurven, oft nur
Zentimeter über dem Wasser, und immer wieder Auftrieb finden.
Aviatik in Reinkultur. Schon am zweiten Tag ist es leicht wärmer.
Ich baume aus, immer wieder von meinem Koch ermahnt, ich
solle mich anbinden. Seine grösste Sorge ist im Moment, mich zu
verlieren. Noch fühlt er sich nicht fähig, eine Krise alleine
bewältigen zu können. Die Hauptmahlzeit ist bei uns das
Nachtessen. Urs kocht gerne und gut, obwohl das beim jetzigen
Seegang eine ziemlich akrobatische Sache ist. Während wir in
einen prächtigen zweiten Abend hineindriften, zaubert er grosse
südafrikanische Pilze in Butter und dann marinierte Koteletten an
einer Pilzrahmsauce mit viel Knoblauch auf den Tisch. Dazu
trinken wir Cabernet Sauvignon aus einem praktischen Tetrapack.
Im Laufe unserer Reise sind unsere Mahlzeiten wegen des
Schichtbetriebes fast unsere einzigen gemeinsamen Momente.
Darum zelebrieren wir vor allem das Nachtessen vor dem Sonnen-
204
untergang. Im Moment ist das Essen, wie alles andere auch, noch
eine äusserst schauklige Angelegenheit.
In der Nacht legt der Wind auf über 25 Knoten zu, so dass wir
das zweite Reff einbinden müssen. Wir kommen fantastisch voran.
Das Etmal wächst auf satte 190 Meilen! Das Meer zeigt sich von der
hochdramatischen Seite: bungalowhohe Brecher, Ausläufer eines
Sturmes im Südmeer, gewaltige Surferwellen, die von hinten kommen und uns Schub geben. Wir fahren von Tal zu Tal. Gott sei Dank
haben wir diese Brecher nicht gegen uns! Am dritten Tag kreuzen
wir ein Schiff. Mein Radar funktioniert wieder einwandfrei.
Als Greenhorn auf einem Segelboot
«Erstmals spüre ich die grosse Einsamkeit auf Wache. Drei Stunden
können lang sein.»
«In meiner Koje vorne im Bug herrscht ein Tohuwabohu. Vorbei mit
der schönen Ordnung. Es geht rauf und runter wie in einem Lift, doch
irgendwie schaffe ich es, in meinen Schlafsack zu kommen und bin bald
weg.»
«Vor uns der Vollmond und eine unendliche gleissende Fläche. Ab
und zu noch ein Vogel. Mond und Sterne tanzen Rock‚n’ Roll. Die
Wellen sind imposant.»
«Beim jetzigen Wellengang bin ich froh, oben an der frischen Luft
bleiben zu können. Otti ist beeindruckt, dass ich bei diesen Verhältnissen nicht seekrank werde. Offenbar ‹müsste› ich es sein! Einfach ist es
trotzdem nicht. Jeder simple Vorgang ist mühsam und braucht viel Zeit.
Seit unserer Abfahrt konnte ich die Kleider nicht wechseln!»
«Schlafen will diesmal kaum gelingen. Es schmiert mich nach links
und rechts. Wenn ich liege, ist es, als risse es sogar die Eingeweide
herum. Trotzdem muss ich irgendwann weggetreten sein. Wieder aus
der Koje herauszukommen, ist ein Gewaltakt. Schlaftrunken schaffe ich
es ohne nennenswerte Beulen.»
«Der Skipper scheint begeistert von meinen Kochkünsten und
meiner Motivation, einen besonderen Service zu bieten. Der Mann ist
nicht verwöhnt und dankbar für alles!»
205
«Seit langem haben wir kein Zeichen menschlicher Existenz mehr
gesehen, weder auf dem Meer, noch am Himmel. Eine ‹existentielle›
Erfahrung. Wir sind mausbeinallein!»
«Ich fühle mich täglich fitter. Dies zweifellos, weil alle Muskeln des
Körpers rund um die Uhr in Bewegung sind. Keine Spur mehr von
Rücken- oder Gelenkschmerzen, weil wir so etwas wie Dauer-Massage
geniessen. Das brennt auch Gewicht weg. Wenn das so weiter geht,
werde ich in Topform in Brasilien ankommen! Dagegen beginnen die
langen, grässlich kalten Nächte etwas an meiner Psyche zu nagen. Ich
bin immer heilfroh, wenn es wieder Tag wird. Otti kümmert sich gut um
mein Seelenwohl. Er vergisst nie, für meine Nachtwache eine Flasche
Brandy bereitzustellen!»
«Der Bug, in dem ich liege, schletzt ununterbrochen von links unten
nach rechts unten, dazwischen eine ruppige Aufwärts-/Abwärtsbewegung. Ich versuche, mich mit Armen und Beinen zu verkeilen, doch der
schlüpfrige Schlafsack rutscht herum wie ein loses Blatt im Wind. Im
Gegensatz zu mir kann Otti zu jeder Tag- und Nachtzeit schlafen. Auch
auf Raten. Ein glückliches Schwein!»
Schlimm ist es, wenn uns eine Welle von der Seite erwischt.
Alles kracht und scheppert im Boot. Einmal sausen sogar die
Backbleche aus dem Backofen. Urs verbringt den grössten Teil der
Zeit im Cockpit, oder er steht hinter dem Spritzverdeck in der
Mitte, wo man den ganzen Horizont im Auge hat und alle
Bewegungen des Bootes locker ausbalancieren kann. Wir haben
den Kurs gewechselt um besser im Strom zu bleiben und steuern
direkt St. Helena an. Ein Drittel des Weges zur Insel liegt bereits
hinter uns. Die Wellen schwellen noch mehr an. Zu rau zum
Kochen. Urs entschliesst sich, Sandwiches zu basteln. Ein weiterer
Tag verabschiedet sich mit Trauerkarten-Bildern: einem bewegten
Meer mit starkem Lichteinfall beim dramatischen Sonnenuntergang.
Nach vier Tagen haben wir schon fast 800 Meilen zurückgelegt, begünstigt durch die ideale Strömung. Unser Galopp in
206
Richtung Nordwest ist allerdings nicht von Dauer. Als ich am
fünften Tag erwache, ist alles viel ruhiger. Wind und Schwell sind
spürbar zurückgegangen. Wir machen nur noch 4 1/2 bis 5 Knoten. Endlich kann man sich wieder einigermassen normal
bewegen! Den einzigen Kontakt, den wir im Moment noch haben,
ist der zur «Good News», einer anderen Yacht, die zwei Tage vor
uns in See gestochen ist. Dem Wind geht immer mehr der Schnauf
aus. Wir dümpeln nur noch dahin. Der Tag mit grauer, eintöniger
See ist langweilig, aber auch erholsam nach den Monsterwellen
der letzten Tage. Wir hoffen, bald in den Bereich des Südost-Passats zu kommen, der uns bis St. Helena begünstigen soll. Während
zwölf Stunden fahren wir unter Motor, bis sich, zuerst nur zaghaft,
Südostwind bemerkbar macht. Ist das der ersehnte Passat? Es wird
auch fühlbar wärmer, und die Wassertemperatur steigt auf
18 Grad. Urs und ich sind ein Team geworden. Wir verstehen und
ergänzen uns gut, was nicht selbstverständlich ist, hockt man
doch auf engstem Raum zusammen. Seekrank wurde er auch bei
starkem Seegang glücklicherweise keine Minute. Heilig sind uns
vor allem die gemeinsamen Abendstunden, in denen wir uns über
Gott, die Welt, die Menschen im Allgemeinen und die Frauen im
Besonderen unterhalten. Urs, der viel herumgekommen ist und
sehr viel erlebt hat, entpuppt sich als höchst anregender
Gesprächspartner. In den Nachrichten von Radio Schweiz International erfahren wir, dass Bundeskanzler Schröder wiedergewählt wurde und dass George Bush vom Kongress grünes Licht
für einen Angriff auf den Irak bekommen hat. Endlich tut sich
auch an der Schleppangel was. Dieses Mal schaffen wir es, einen
ansehnlichen Yellowfin-Thunfisch mit Hilfe des Fischhakens an
Bord zu bringen. Jetzt kann ich die in Südafrika erstandene
Räucherkammer ausprobieren. Zuerst verstreue ich zwei Teelöffel
Sägemehl auf den Boden der Form und lege dann die leicht
gewürzten Filetstücke, ein paar Karotten, Tomaten und Kartoffeln
auf den Rost. Deckel drauf und rein in den Backofen. Kaum eine
halbe Stunde später ist die Fischmahlzeit fertig. Köstlich!
207
Am sechsten Tag verändern sich die Verhältnisse erneut radikal.
Plötzlich haben wir den Wind von fast zehn Knoten direkt auf der
Nase, ein wärmerer Wind als der aus dem Südmeer. Wir können uns
unserer Faserpelz-Jacken entledigen. Urs ist von der Navigation
fasziniert und ist gerade daran, den Hand-GPS zu programmieren,
mit dem wir nun doppelte
Redundanz haben, als plötzlich
der Radar-Alarm losgeht. In etwa
zehn Kilometer Distanz kreuzt
ein sehr grosses Schiff unseren
Kurs. Seine Grösse ist an der
Distanz zwischen den vorderen
und den hinteren Lichtern
schätzbar. In 24 Stunden werden
wir vermutlich die Hälfte des
Die Räucherkammer bewährt sich
Weges erreicht haben. Afrika entrückt stündlich weiter. In der Nacht nimmt der pfeifende Nordwestwind zu. Plötzlich haben wir Gischt im Gesicht. Das ist definitiv nicht der Passat! Wir stemmen uns mit dem Motor gegen den
steifen Wind. Der Autopilot hält uns auf genauem Kurs. Ich habe
den Fockbaum geborgen und die Genua gesetzt. Wir kreuzen gegen
den Wind auf Kurs Nord und machen erstaunliche 4 1/2 bis 5 Knoten Fahrt, doch unser rascher Run der letzten Tage ist definitiv gestoppt. Dieser Wind, entgegen allen Regeln, ist – und darüber würde
Ruth wohl wieder schallend lachen – in keinem Büchlein vorgesehen! Wir versuchen, nach Norden zu kommen und dort den südöstlichen Passat zu treffen. Das Wetter wechselt in unwahrscheinlichem Tempo. Eben noch waren Millionen von tief liegenden
Sternen und die Milchstrasse in seltener Klarheit zu bewundern,
dann tauchen wir wieder in eine schwarze Wand.
Wir haben das Gefühl, wir seien schon eine Ewigkeit zusammen unterwegs. Nach einem weiteren Wetterwechsel haben wir
wieder einen minimalen Schwell und dümpeln den ganzen Tag
mit 3 bis 4 Knoten so ruhig dahin wie auf dem Bodensee. Etwas
208
tut sich, doch was? Wir haben die Valdivia Bank passiert und
müssten jetzt endlich in den Passat kommen. 1500 Kilometer liegt
Kapstadt zurück, etwas mehr als 1500 Kilometer trennen uns von
St. Helena. «Mein persönliches Notfall-Szenario ist jetzt klar: Es
kann nur noch vorwärts zur Insel oder aber irgendwohin an die
südamerikanische Küste gehen», hält Urs in seinem Tagebuch fest.
Für ihn ist das auch der ideale Tag für ein gediegenes Essen. Er brät
seine berühmten «Prätigauer Kartoffeln». Dazu gibt es Filet-Steaks
und natürlich den obligaten Roten.
Viel Rodeo und Knoblauch
«Beissender Wind und ekelhafte Stösse: Es gelingt mir kaum, etwas
richtig hinzukriegen. Wozu braucht denn ein Mann eine Brille zum
Urinieren, kann man sich fragen. Mir gelingt es, dabei eine zu
zerbrechen! Mein Buch – ‹In the Heart of the Sea› (die Tragödie des
Walschiffes ‹Essex›) – bekam eine Woge und braucht Tage, um wieder
zu trocknen.»
«Am Abend gibt es wieder einmal griechischen Salat mit Cnoblibrot.
Unser Knoblauchkonsum ist enorm. Otti und ich verstehen uns gut!»
«Als ich in die Koje kroch, hörte ich noch einen letzten fürchterlichen
Knall, dann ein ekelhaftes Gurgeln, hielt kurz den Atem an und wartete
darauf, dass irgendwo Wasser durch ein Leck brechen würde. Dann war
ich schon weg.»
«Aus der leidenschaftlichen Lady von gestern Nacht ist eine
anschmiegsame, zärtliche Gefährtin geworden. Noch döste sie im
Dunkeln, doch nun perlt ihr ausladender Leib im glänzenden Schimmer
des dünner werdenden Mondes. Wir gleiten tänzelnd über sie, spüren
ihr gelegentliches Aufzucken, tauchen in sie hinein. Sie bringt uns, uns
immer wieder zur Ruhe mahnend, mit jeder Stunde dem Ziel ein wenig
näher.»
«Kein Gejammer der Windfahnensteuerung mehr. Der Wind genügt
nicht, sie zum Jammern zu bringen. Nur das immerwährende Jaulen des
Windgenerators und das Rauschen des Wassers.»
«Unsere Fahrt ist vom wilden Ritt gegen die Urgewalt der Elemente
209
zur reinen ‹course de plaisance› verkommen: zu einem nächtlichen
Spaziergang auf einem Wasser, das – gekräuselt von einem warmen
Lüftchen – an den Victoriasee erinnert. Doch wo sind die Flusspferde?»
«Es hat mich immer fasziniert, wie sich Beduinen in der Wüste und
Artisanafischer auf dem Meer zurechtfinden. Interessanterweise spüre
ich schon nach wenigen Nächten auf dem Atlantik sozusagen im Urin,
wenn etwas an unserem Kurs nicht stimmt. Die Sinne für den Wind, die
Dünung, den Stand der Sterne sind geschärft.»
«Heute hatten wir Festtag: Fischtag. Fangfrische Thun-Steaks und
Reis. Köstlich. Wir sind Bestandteil der brutalen Überlebenskette des
Meeres, in der der Grössere den Kleineren frisst. Wir danken dem armen
Opfer, dass es sich in seiner Fressgier für uns geopfert hat. Hier ist alles
einfach, direkt und plausibel. So anders als sonst in unserer industrialisierten Versorgungskette.»
«Otti findet unser ‹Reisli› – als das bezeichnet er unseren Törn – als
ein ‹geiles Reisli›! Ich auch.»
Nach sieben Tagen können wir erstmals die Shorts anziehen.
Die «Lady» – so nennt Urs das Meer – ist endgültig erschöpft und
liegt ermattet da nach den Stürmen der letzten Tage. Noch immer
weit und breit nichts von den charakteristischen Wölkchen, die den
Passat ankünden würden. Wir befinden uns jetzt, etwa auf 23° Süd,
ziemlich genau auf der Höhe von Rio de Janeiro. «Würden wir jetzt
genau westlich segeln, würden wir möglicherweise an der Copacabana landen!» stellt mein Koch und Hobby-Navigator fest. «Vielleicht auch an der Ipanema oder Leblon.» Unser automatischer
Pilot hält stur Kurs 330. Wir geniessen die wärmende Sonne, die
langsam die feuchte Kälte aus den Gliedern saugt, die wir in der
ersten Woche nicht mal im Schlafsack los wurden.
Natürlich weiss Urs, was er bei Mann-über-Bord tun müsste:
Rettungsring mit automatischer Lampe raus, in der Navigationsecke mit der MOB-Taste die GPS-Position einfrieren, wieder nach
oben und den Motor starten, Genua eindrehen, dann das
Grosstuch bergen und retour den Mann im Wasser suchen. Bei Tag
210
und mässiger Dünung wie jetzt würde uns eine Bergung mit
grosser Wahrscheinlichkeit gelingen. Bei starker Dünung oder bei
Nacht wäre das bereits sehr schwierig. Würden Urs oder ich in der
Nacht während einer Wache herausfallen, ohne dass der Partner
das wahrnehmen würde, wäre die Rettungschance gleich Null.
Auf diese Weise haben sich Dramen ereignet. Wir beide wissen
das.
Am Mittag passieren wir den Längengrad 0. Ab sofort werden
unsere Positionen «W» statt «E» haben. Am Nachmittag kommt
kalter Wind auf. Wir stossen nun ins Angolabecken vor, doch
Afrika ist bereits weit entfernt. Gelassenheit hat sich auch bei Urs
eingestellt. Ob wir einen, zwei oder drei Tage früher oder später
eintreffen werden – was soll’s. Plötzlich fällt ein Teil der Anzeigen
aus. Die Spannung ist abgefallen. Nicht weiter schlimm. Mit dem
Motor können die Batterien wieder aufgeladen werden. Ich habe
beschlossen, statt den Westen St. Helenas den Osten anzusteuern
und die Insel rechts zu umfahren. Während der Wache spielt Urs
in der Navigationsecke. Der GPS rechnet aus, dass wir bei der
momentanen Geschwindigkeit von 6 Knoten in 68 Stunden in
St. Helena wären, also in drei Tagen. Doch sechs Knoten als
Durchschnitt? Es wird wohl Donnerstag werden. Für den Abend
habe ich ein Kinoprogramm auf Lager. Wir schauen uns den
Balair/CTA-Farewell-Video an und begegnen einem gemeinsamen
Bekannten: Captain Detlef Harder. Und das inmitten einer
grossen Wasserwüste.
Nur noch 300 Meilen trennen uns von Jamestown. Das Meer
sieht hochdramatisch aus: aufgewühlt durch den Wind, Wellen
im Gegenlicht, eine gleissende, tosende Fläche. Atemberaubend!
Man bekommt nie genug, diesem urgewaltigen Spiel zuzuschauen. Wir sind definitiv im Passat, der uns jetzt wie auf
Schienen in nordwestliche Richtung voran schiebt. Die sanfte
«Lady» ist wieder richtig erwacht und entfacht ihr Temperament.
Wir galoppieren stürmisch über die Wellen. Sie treiben uns, weisse
Krönchen tragend, rasant voran. Wir wollen nach Möglichkeit am
211
Morgen einlaufen. Bei der jetzigen Geschwindigkeit sieht alles so
aus, dass wir einen Tag früher ankommen als geglaubt.
Das Kochen wie auch sonst alles wird bei diesem Wellengang
erneut zum hochakrobatischen Akt. Mit der einen Hand muss man
sich stets irgendwo halten und sich mit beiden Beinen sichern. Das
einzig Stabile ist sinnigerweise der halbkardanisch aufgehängte
Herd. Oft meint man, die Pfannen, die einem in einem Winkel von
45° entgegen kommen, festhalten zu müssen – dann realisiert man,
dass alles andere 45° schräg steht! Daran hat sich auch mein Koch
gewöhnt. Das Essen dann noch sicher und ohne Überschwappen
auf Deck zu schaffen, ist eine weitere Schwierigkeit, ebenso wie das
Essen selber als permanenter Balanceakt. Man muss wissen – und
tut das sehr schnell –, dass man nicht zwei Dinge auf einmal tun
kann. Im Moment schüttelt es uns wieder nach Strich und Faden
durch. Ich versuchte, zu sichern, was gesichert werden konnte. Wir
haben das Gross gerefft und die Genua reduziert, nicht zuletzt, weil
wir nicht in der Nacht in St. Helena eintreffen wollen. Kurz tanzen
die Sterne wieder Rock ‚n’ Roll, glitzert im tosenden Wasser das
Plankton, dann saust von hinten mit peitschendem Regen die
nächste schwarze Wand über uns hinweg. Gemäss Skala ist das, was
wir haben, erst «grobe See». Na ja. Der Wind bläst genau von achtern, deshalb das fürchterliche Rollen. Als plötzlich der Autopilot
versagt, droht uns, wie schon in der ersten Nacht, eine Pirouette.
Zum Glück sitzen wir im Cockpit, so dass wir sofort reagieren können. Bis St. Helena sind es noch 70 Meilen. Wir fahren die
Nordostseite der Insel direkt an. Wenn es morgen tagt, wird sie
hoffentlich zu sehen sein.
Bockende Gäule und fliegende Würste
«Am liebsten bin ich ‹an Deck› und lasse mich von der Unendlichkeit
des Meeres hinreissen. 360° Weitblick um uns herum: unbehinderter
Horizont, bei dem man selbst die Erdkrümmung sieht! Warum sind Städter und Bergvölker so begrenzt in ihrem Denken?»
«Diese Nächte sind dramatisch und von der Art, die man nie mehr
212
vergessen wird. Trotzdem: Ich liebe sie nicht. Diese ständige Sorge, dass
etwas passieren könnte, auf das man nicht vorbereitet ist. Zwar hat mein
Sicherheitsgefühl stark zugenommen!»
«Der Gaul ist noch nicht zur Ruhe gekommen. Das seitliche Rollen,
der Baum berührt fast die Wasserfläche, macht einen kaputt. Davon
habe ich die Nase voll. Auf solche Gefühle darf man sich aber nicht
einlassen, weil man ja nicht entweichen kann. Das war die übelste
Nacht, bestätigt auch Otti.»
«Jeder Atemzug des Windes, jede Welle bringt uns, Schritt um
Schritt, dem Ziel etwas näher: schüttelnd, scheppernd, krächzend,
krachend, stöhnend. Diese Geräusche werden mich noch lange begleiten.»
«Wir haben Zeit zum Ankommen. Wir sind voller Spannung und
Neugier. Alles stimmt. Wie viele Reisende können das heute noch sagen,
wenn sie irgendwo ankommen?»
«Seekrank war ich nie, aber werde jedes Mal landkrank, wenn mich
der Fähremann an der Mole absetzt. Der Boden schwankt gefährlich
unter meinen Füssen, so dass ich mich zeitweise wie besoffen fühle.»
2. Oktober 2002. Vor genau einem Jahr hat mit dem Grounding der endgültige Absturz der Swissair begonnen. Eine turbulente und schmerzliche Phase, die uns alle – die einen mehr, die
anderen weniger – getroffen und das Leben vieler verändert hat.
Jetzt scheint das plötzlich alles sehr weit weg. Wir sind den 13.Tag
auf See, als sich am frühen Morgen die felsigen Umrisse des
unwirtlich aussehenden St. Helenas ähnlich einem Heustock aus
einer Regenwand herausschälen. Der GPS hat uns punktgenau
zum Barn Long Point geführt. Bei unserer Einfahrt scheut der
Himmel keinen Pomp. Ein riesiger Regenbogen weist uns zur Feier
des Tages den Weg zur Insel. Ob damals auch Napoleon so
empfangen wurde? Nein, erfahren wir später. Die Insel wurde
durch seine Ankunft im Jahre 1815 völlig überrascht. Wir fahren
der zerklüfteten Ost- und Nordküste entlang bis zur schmalen
Einbuchtung, in die Jamestown – der einzige Zugang zur Insel –
213
St.Helena heisst uns für sieben Tage willkommen
214
eingeklemmt ist und gehen vor Anker. Ich melde uns über Funk
bei der Hafenkontrolle an, und wenig später prescht ein Boot mit
dem Hafenmeister Brian, einem Zöllner und einem Polizisten
heran. Zuerst sind die drei ziemlich formell, heissen uns aber
herzlich willkommen. Nach einem Bier werden sie lockerer und
geben uns nützliche Tipps für die Insel.
Einklarierungsbeamte in St.Helena
Tropisch wirkt diese Insel nicht gerade, obwohl sie geographisch als das gilt. Mit dem Fährtaxi, das einer schwimmenden
Telefonkabine gleicht, fahren wir an Land, mit dem Duschzeug in
unserem Handgepäck. Wir müssen uns an Seilen vom schwankenden Boot auf die Mole hinaufhieven. Nein, die grosse Welt
scheint das hier nicht zu sein! Wir finden zwar Duschen in einem
offenen Gebäude im ausgestorbenen Hafen. Von warmem Wasser
müssen wir allerdings weiter träumen! Wir sind seit langem die
einzigen Neuankömmlinge, weshalb auch sofort alle auf der Insel
wissen, wer wir sind und woher wir kommen. Ein einziges anderes
fremdes Boot liegt im Hafen vor Anker, die gelbe «Mollymawk».
Sie gehört einer englischen Familie mit kleinen Kindern. Diese hat
sich entschlossen, länger zu bleiben und die Kinder hier in die
Schule zu schicken.
215
St. Helena entpuppt sich als unglaublich geschlossene Gesellschaft, wo jeder jeden kennt und man keinen Schritt unbemerkt
tun kann. Die Leute freuen sich über jeden Neuankömmling, dem
sie als dankbare Opfer ihre schon tausendmal erzählten
Geschichten erzählen können. Kein Wunder, nur etwa 5000 Einwohner bevölkern die Insel, die über keinen Flugplatz verfügt. So
werden auch alle Güter auf dem Wasserweg herangebracht. Ein
Unikum ist dabei, dass das Versorgungsschiff «St. Helena», die
einzige Verbindung zur Aussenwelt – Ascencion, Kapstadt und
London – nur alle paar Wochen einläuft und es ausser dem
kleinen Lokalblättchen «St. Helena News» keine aktuellen
Zeitungen gibt. Wer hier quirlige Exotik erwartet hat, wird bald
enttäuscht. Bereits um vier Uhr schliessen alle Geschäfte und
Restaurants. Nur das «Anne’s Place» – die Anlaufstelle aller
Yachties – bleibt offen. Anne hat schon über den Funk von unserer
Ankunft gehört und empfängt uns heiter. Ohne nach unseren
Wünschen gefragt zu werden, bekommen wir einen Teller mit
dem Tagesrückblick. Hier herrscht echte Demokratie: Gefangene
und Yachties werden gleich behandelt! Der Reisejournalisten-Ausweis von Urs öffnet uns Tür und Tore. Das Touristenbüro lädt uns
zu einer Inselrundfahrt ein.
Sie führt uns eine steile,
schmale Strasse in die
Höhe. Erstaunlich: Unten
ist die Insel kahl, felsig und
fast ohne Vegetation. Je
höher wir kommen, desto
mehr verändert sich das.
Auf dem Hochplateau erLongwood: Hier verbrachte Napoleon seine
reichen wir Longwood,
letzten Jahre
den geschichtsträchtigen
Ort, wo Napoleon seine letzten Jahre verbrachte und 1821 starb.
Vom High Knoll Fort, 1874 als Zufluchtsort für die Bevölkerung
hoch über Jamestown gebaut, geniesst man eine spektakuläre Aus-
216
sicht über die halbe Insel. Diese, rundum stark befestigt, auch
Geschützstellungen aus dem Zweiten Weltkrieg rosten noch vor
sich hin, galt einst als praktisch uneinnehmbar. Aus militärischen
Gründen wurde 1829 auch die «Jakobsleiter» gebaut, eine schwindelerregende Treppe von der Stadt zum Fort. An einem Abend
schaffe ich diesen Aufstieg in 20 Minuten rauf und in 10 Minuten
runter. Kinder sind schneller: Sie rutschen halsbrecherisch auf
dem Geländer ins Tal!
Bei einem Anruf erfahre ich, dass «Susi Wong», meine
langjährige «Teilzeitfreundin», die mich in Thailand die Wände
hochgetrieben hat, Mutter eines Mädchens geworden ist. Ich bin
überzeugt, dass sie eine gute Mutter wird, obwohl sie – nach ihren
Worten – nie nach einer «08-15»-Familie strebt. Bevor wir aufhängen, spricht sie schon wieder vom Klettern!
Wir spüren schnell, dass wir es auf dieser Insel, auf der schon
am frühen Abend Grabesstille herrscht und das ganze Leben in ein
paar wenigen Bars stattzufinden scheint, nicht ewig aushalten
würden. Erst am Freitagabend scheinen die Leute in Jamestown
richtig zu erwachen. In einem Beach-Restaurant, das nur an einem
Abend in der Woche offen ist, herrscht Highlife. In einer Bar fetzt
eine Rockband. Die haben einen drauf! Die Bar füllt sich zum
Bersten. Inzwischen kennen wir schon viele Gesichter und auch
ein paar besondere Charaktere. Sie sind, mit überwiegend kaffeebraunem Teint, die Ableger europäischer Seefahrer, Kolonialisten,
madegassischer und indischer Sklaven, die hier auf dem Wege
nach Amerika befreit wurden. Lustigerweise sorgt hinter der Bar
Hafenmeister Brian dafür, dass die Gäste nicht verdursten. Jetzt
merken wir, weshalb er uns diese Stätte so heiss empfohlen hat!
Auch alle Insel-Schönheiten, herausgeputzt und umschwärmt,
sind heute auf der Gasse und lassen sich gerne auf einen Schwatz
ein. Da und dort irren die ersten Säufer mit gläsernem Blick
herum. Was für ein Leben! Spät nachts bringt uns Ferryman Steve
wie abgemacht zurück zur Hasta Mañana. Das Umsteigen beim
Schaukeln und mit viel Bier im Bauch erfordert einiges Geschick.
217
Langsam beginnen wir, unsere Abfahrt zu planen. Während
ich mit Reparaturen beschäftigt bin, begibt sich Urs auf eine erste
Einkaufstour. Hatten wir in Kapstadt beim riesigen Angebot das
Problem der Qual der Wahl, besteht es hier im limitierten
Angebot. Es setzt sich aus wenigen eigenen landwirtschaftlichen
Produkten und dem zusammen, was die m/s «St. Helena»
herbeiführt. Zurzeit hat es nur noch auf englischen Geschmack
ausgerichtete Konserven und Tiefkühlwaren. In den nächsten
Wochen werden wir nicht mehr schlemmern können wie in den
letzten! Zwischen Kapstadt und Jamestown hat der navigationsbegeisterte Urs bereits die Route und die Koordinaten bis Salvador
de Bahia in den Hand-GPS eingegeben. Nun mache ich dasselbe
auf dem Bord-GPS. Wir kommen zu genau identischen Ergebnissen, was Urs natürlich mit Stolz erfüllt. Unser Ziel liegt auf Position S 12°58.298’/W 038°30.931’. Rund 1900 nautische Meilen
trennen uns von unserem Ziel in Brasilien. Bei der Police Station,
die so bestückt ist, als wimmelte es hier von Verbrechern,
bekommen wir unsere Pässe zurück. «Hope to see you again!» sagt
die nette Polizistin, die wir auch schon als Aushilfe bei einer
Essbude der landwirtschaftlichen Kooperative gesichtet haben.
Wir haben uns offenbar gut benommen und sind nicht negativ
aufgefallen!
An unserem Abschiedsabend, es ist Samstag, haben wir Mühe,
irgendwo etwas zu essen zu finden. Fast alles ist geschlossen.
Irgendwo findet eine grosse Hochzeit statt, bekommen wir als
Erklärung zu hören. Andernorts sagt man uns, es gebe nichts zum
Kochen. Minimalismus auf einer von Subventionitis geprägten
Insel, man spürt sie überall. Hängen bleiben wir in der Bar des
Consulate Hotels, wo am späten Abend die Post im Quadrat
abgeht. Junge und Alte, Schöne und Hässliche: Alle scheinen sich
hier am Samstag zum Tanzen, Balzen und vor allem zum grossen
Besäufnis zu treffen. Wir kommen nicht aus dem Staunen heraus,
was hier alles hinter die Binde geschüttet wird. Die Szenen, die wir
hier erleben, sind filmreif. Sie setzen sich orgiastisch in der
218
Samstags-Disco im «Mid-Atlantic» fort, von wo bis in die frühen
Morgenstunden heisse Musik über das Wasser dröhnt. Ade, ihr
uns lieb gewordenen Gesichter: Ihr werdet euch weiterhin
allwöchentlich volllaufen lassen können. Wir hauen wieder ab!
Am 6. Oktober, als wir auslaufen möchten, haben wir eine
weiche Birne. Nach dem «Saturday Night Fever» scheint
Jamestown völlig erschlafft. Kaum eine Menschenseele ist zu
sehen. An diesem Sonntag verpassen wir hier definitiv nichts
mehr. Wir reissen uns zusammen, denn wir müssen noch Wasser
bunkern. Drei Fahrten mit der Fähre sind nötig, um mit vier
Kannen etwa 170 Liter für unsere Tanks heranzuschaffen. Ich bin
nervös, weil auch noch der Wassermacher repariert werden muss.
Ich tausche ein paar Dichtungen aus. Zum Glück entdecken wir
noch, dass ein Tau zur Roll-Genua beschädigt ist. Schliesslich sind
wir bereit. Um 13:10 Uhr startet Urs den Motor, während ich mich
auf dem Vordeck daran mache, mit der elektrischen Winsch den
Anker zu heben. Dieser ist jedoch festgefahren. Erst nach mehrmaligem Würgen schaffen wir es, frei zu kommen. Urs steuert das
Boot in den Wind. Inzwischen ist er zum First Mate aufgestiegen
und steht selbstsicher am Steuer. Ich hisse das Grosssegel im
böigen Wind, der die Täler herunterfegt. Der Wind wird erst
konstanter, als wir aus der Inselabdeckung herauskommen.
Gleichzeitig nimmt auch der Seegang zu. Wir gehen auf Kurs 330,
der uns direkt nach Salvador führen soll.
Nein, vergessen werden wir euch nicht!
«St. Helena, deine Gesichter werden wir nicht vergessen! Etwa das
des dunkelhäutigen Jonathan, des Fährmannes mit dem Tatoo ‹Cowboy›
auf der Brust. Sein gutes Gesicht bleibt uns in Erinnerung wie andere,
etwa das vom Rum zerstörte Antlitz seines blonden Kumpanen mit der
Heilandfrisur. Lässig baumelte die Zigarette in einer Ecke seines Mundes,
als er bei uns Diesel pumpte. Oder das Gesicht der schlanken Schönheit
mit ihrer Mischung von lasziver Ausstrahlung und gotischer Strenge, die
unbedingt nach Deutschland will und deren betörender erotischer Duft
219
unsere Sinne durcheinander brachte. Nicht nur unsere. Wie die Mücken
an einer Lampe verbrannten die Männer an ihr. Sie tanzte, dunkle feine
Nappajacke, Glühstengel angewinkelt in ihren langen Fingern, wie in
Trance, vor allem mit sich selber. Sie war elegant, aber soff wie ein Loch,
und der Alkohol war stärker als sie. Sie zerfloss in dieser Nacht ebenso
wie ihre zahllosen Anbeter. Dann trug man sie, nicht mehr ganz so
ladylike, an die frische Luft, wo sie verdunstete. Wie andere vor und
nach ihr. Auch das Gesicht des alten Mannes bleibt im Gedächtnis, der
sein Schiff in Casablanca sinken sah und damals nicht wusste, dass es die
Briten und nicht die Deutschen waren, die es versenkten. Der dann in
Burma kämpfte, in Indien und Südafrika lebte, lebenslang vom Trauma
der Apartheid gezeichnet blieb, nach einer Hochsee-Schmugglerkarriere
in Brasilien ins Gefängnis wanderte, dann in Amazonien Tropenhölzer
schlug und im hohen Alter zurück nach Jamestown kehrte, weil das sein
Hafen war, die Welt aller Welten. Es bleiben die wie aus Holz
geschnitzten und vor Erregung geröteten Gesichter der Dominospieler
in der Bar, die ihre Steine mit kleinen Detonationen auf den Tisch
knallten, oder das Gesicht der immer lächelnden Bäckerin mit ihren
‹Coconut Fingers›. Oder das des sehnigen Taubstummen, der in der Bar
gestenreich noch einmal die Tour de France mitfuhr oder das Gesicht des
kleinen Männchens mit seinen melancholischen Hundeaugen, das
trunken am gewaltigen und allen Gesetzen der Gravitation widerstehenden Busen seiner um einen Kopf grösseren Begleiterin lehnte und
später auf einer Bank im Hafen aller Häfen den Schlaf des Gerechten
schlief.»
220
Willkommen im Knast!
von Urs von Schroeder
eitschende Winde, gleichzeitig aus allen Richtungen, zerren
an allem, was sich bewegt. Rundum sich fast senkrecht auftürmende Felswände, an denen die steilen Brecher des Ozeans zerstieben. Zahllose Schiffe sind im Laufe der Geschichte an
ihnen zerschellt. Eine zerklüftete Narbe, ein tief in die Gesteinmasse eingekerbtes und bis zur Wasserlinie herunterfallendes Tal,
gewährt den einzigen Einlass zur höchst unwirtlich erscheinenden Insel. Zwischen den Felsen eingeklemmt dämmert der verschlafene Hauptort Jamestown dahin, überdacht vom Gemäuer
bröckelnder Festungen, aus denen verrostete Geschütze auf alle
Neuankömmlinge starren. Wer hieher kommt, muss gute Gründe
dafür haben. Kein Zufall, dass Napoleon, 1815 nach St. Helena
verbannt, von hier nicht mehr loskam. Nach dem Ende der
grossen Schifffahrt um das Kap der Guten Hoffnung ist es still um
diesen trutzigen Aussenposten der britischen Krone geworden.
Auf halbem Weg zwischen Afrika und Südamerika, rund 2000
Kilometer vom nächsten Festland entfernt und nur auf dem
Seeweg erreichbar, fristen die «Saints» – so nennen sich seine 5000
Einwohner – ein beschauliches Dasein weitab des Rummels dieser
Welt. Wenn Zeitungen dort eintreffen, sind sie bestenfalls vier
Wochen alt. Das kümmert niemanden. Ihre Ruhe möchten die
Insulaner, in der Mehrzahl hellhäutige Mischlinge, um jeden Preis
bewahren. Erfolgreich widersetzten sie sich bisher allen
Bestrebungen zum Bau eines Flugplatzes.
Wer trotz allem den beschwerlichen Weg bis nach Jamestown
schafft, entweder mit dem inseleigenen Versorgungsschoner
«St. Helena» von Kapstadt oder von der 1200 Kilometer entfern-
P
221
ten Nachbarinsel Ascencion her, mit einem Kreuzfahrtschiff oder
– wie wir – mit unserem eigenen Segelboot, darf gewiss sein, dort
willkommen zu sein. Anne, die Besitzerin des Restaurants «Anne’s
Place» und inoffizielle Nachrichtenzentrale, hat auch beim Karottenrüsten ständig ein Ohr am Funk und erfährt so, wenn sich vom
Horizont her Kunden nähern. Wo sich die Besucher nicht die
Klinke in die Hand drücken, spricht sich schon ihre bevorstehende Ankunft rasch herum. Anonym bleibt in dieser
geschlossenen Gesellschaft keiner: auch der Fremde nicht. Einige
Überraschungen sind ihm gewiss.
Der windige Aufstieg über die 699 Stufen der Schwindel
erregenden «St. Jakobs-Leiter» zum Ladder Hill ist ein harter
Fitness-Test. Hat man die 274 Höhenmeter mühsam überwunden,
wundert man sich, wie das die einstigen Artilleristen mit ihren
Granaten schafften. Dabei ist das erst der Anfang. In St. Helena
scheint alles vertikal zu sein. Aufgeregt beschwerte sich ein Tourist
beim Autovermieter, an seinem Wagen funktioniere der vierte
Gang nicht. Er erntete einen verständnislosen Blick. Wofür er
denn einen vierten Gang brauche, fragte der Garagist. In der Tat:
Auf der ganzen Insel mit ihren gewundenen, engen Bergstrassen
gibt es keine hundert Meter, auf denen man mit mehr als 50 fahren könnte! Der Blick öffnet sich erst, wenn man das Dach der
sechzehn Kilometer langen, muschelförmigen Insel erklommen
hat und sich plötzlich in einer üppigen Vegetation befindet. Auf
diesem Hochplateau, wo Ziegen und Esel weiden, ist es – bei aus
allen Richtungen anstürmenden Wetterwänden – ein besonderes
Kunststück, auf dem 9-Loch-Golfplatz auch nur einen Ball in die
richtige Richtung schicken zu können. «Hier haben wir vier
Jahreszeiten», witzelt der Kleinfarmer Graham in gestochenem
Britisch und präzisiert: «Am gleichen Tag!» Eine atemraubende
Kulisse mit tiefgrünen Hochebenen, bizarren Bergformationen
und dem Meer auf allen Seiten.
Diesen Blick hätte auch Napoleon Bonaparte geniessen
können, hätte er ein einziges Mal seine von schönen Gärten
222
umschlossene malerische Villa verlassen, bevor er 1821 starb. Das
für ihn eigens renovierte Longwood House, vor dem noch immer
die Trikolore weht, wurde mit allen Gegenständen und vielen
Dokumenten und Bildern in seinem damaligen Zustand belassen
und gilt als eine der touristischen Attraktionen der Insel. Weiter
unten, versteckt im dichten Busch des Sane-Tales, liegt sein Grab,
in dem er ruhte, bevor seine Überreste in den Pariser Invalidendom überführt wurden. Dass es sich um andere Gebeine als die des
französischen Kaisers handeln könnte, wie zurzeit in Frankreich
diskutiert, bestreiten die einstigen Gastgeber vehement. Die Saints
haben Napoleon mit der gleichen selbstverständlichen Liebenswürdigkeit aufgenommen und in ihrer Geschichte absorbiert wie
viele gefährliche Exilanten, burische Kriegsgefangene oder Flüchtlinge aller Rassen. Trotz ihrer Isolation, vor allem aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, waren viele von ihnen schon einmal
«draussen», kehrten aber meistens wieder zurück auf diese Insel,
auf der alles eine Spur gemächlicher vor sich geht als anderswo.
Nicht zuletzt deshalb, weil sie
voll an den Schatullen Londons
hängt. «Danger, men at work!»
steht auf einer Tafel am Strassenrand. Besonders gefährlich sieht
es nicht aus, wenn einmal ein paar Leute werkeln. Sage und
schreibe 60 Prozent der arbeitstätigen Bevölkerung arbeiten für
die Regierung, weshalb auch alle öffentlichen Dienste, zum
Beispiel ein gut dotiertes Tourist Office, wie aus dem «Trückli»
sind.
Ein Blick auf die stolze Polizeitruppe der Insel könnte den
Eindruck weit verbreiteter Kriminalität vermitteln. Weit gefehlt.
Noch immer spricht man vom letzten Mörder hier – Robert
Gunnel –, der zwei Männer erschossen hat und darauf gehängt
wurde. Das war 1905. Kriminalität ist hier, wo jeder jeden kennt,
praktisch inexistent. Wohin wollte einer auch fliehen! Trotzdem
unterhält Jamestown ein stolzes Gefängnis. Hinter den schwedi-
223
schen Gardinen sitzen höchstens Trunkenbolde, die sich wegen
einer Frau in die Haare geraten sind. Knastbrüder werden hier
human gehalten. Sie werden meist von Anne vom «Anne’s Place»
bekocht, dürfen ihr Essen sogar selber abholen und am Tag draussen arbeiten. Auf Gesuch hin gewährt man ihnen auch Besuche
über Nacht. St. Helena hat einen herben Charme und liegt
tatsächlich am Ende der Welt. Doch die Liebenswürdigkeit und
Offenheit seiner Menschen wird mir in Erinnerung bleiben. Dazu
bin ich mir sicher, dass – müsste ich je in den Knast – ich dafür das
über hundert Jahre alte Prison in Jamestown bevorzugen würde.
224
Im Taumel des Passats
Jamestown
Salvador de Bahia
Oktober 2002. St. Helena verabschiedet uns mit einem
fantastischen Spektakel. Nordwestlich der Insel beginnt die
See plötzlich zu brodeln. Rund um uns herum perlend glänzende Leiber von Delphinen. Es sind Hunderte. Sie pfeilen links,
rechts, vorne, hinten herum, tanzen um die Wette, produzieren gewaltige Sprünge mit Schrauben und Pirouetten. Zutraulich und verspielt, menschenfreundlich und exhibitionistisch, scheinen sie selber die grösste Freude an dieser Show zu haben. Sie begleiten und
erfreuen uns wohl eine halbe Stunde lang, bevor sie wieder ihres
Weges ziehen. Die hoch am Berg klebenden Häuser, in deren Fenster sich die tief liegende Sonne spiegelt, werden immer kleiner. Die
düstere Insel schrumpft im Laufe des Abends in sich zusammen und
versinkt im Dunst, während uns das grosse Wasser wieder aufnimmt. 1900 nautische Meilen trennen uns von Salvador de Bahia.
Der Passat hat sich auf 15 Knoten eingespielt. Wir fahren das
Gross an Steuerbord und baumen die Genua an Backbord aus:
82 Quadratmeter Segelfläche. Rasch stellt sich die Bordroutine
wieder ein. Während wir mit 5 bis 6 Knoten konstant dahinsegeln, versucht Urs bei stark rollendem Boot, die bei «Spar» in
Jamestown gefundenen Frischback-Pizzen in den Ofen zu
bringen. Zum Glück verreist das Blech diesmal nicht wie letzte
Woche, als die Frucht seiner Arbeit bei einem Brecher im Ausguss
landete. Er sei sehr glücklich, wieder unterwegs zu sein und in
dieser Unendlichkeit dahinzugleiten, sinniert er beim Nachtessen. «Das alles stimmt mich wahnsinnig euphorisch!» Doch
schon während der ersten Wache holt ihn der Hammermann
ein. Die Strafe für die Exzesse der letzten Nacht.
6.
225
Manchmal verirrt sich ein fliegender Fisch auf unser Boot.
Mehrere von ihnen, von fataler Neugierde getrieben, verenden
kläglich, ohne von uns überhaupt wahrgenommen zu werden.
Das Wetter ist schön, wenn auch zeitweise etwas bewölkt. Wir
haben Glück, denn jede Nacht bleibt der zunehmende Mond
länger am Nachthimmel. Die Etmale pendeln sich bei etwa
130 Meilen ein. «Ich habe mir wieder ein Strichli dazu verdient»,
meint Urs grinsend, als ich ihn an einem Morgen ablöse. «Ich
habe in der Nacht die Segelfläche reduziert, ansonsten sind keine
besonderen Vorkommnisse zu melden.» Ich bin wirklich zufrieden, wie er sich anstellt. Als mal nachts der Autopilot ausgefallen ist, brachte er das Boot wieder auf Kurs und den Autopiloten ins Lot, ohne mich zu wecken. Seit Kapstadt hat er viel
gelernt und ist jetzt fähig, das Ziel selbständig zu finden. Das ist
auch für ihn beruhigend, man weiss ja nie.
Wenn man mit 5000 und mehr Metern Wasser unter dem Kiel
dahinfährt und das Echolot plötzlich 140 Meter anzeigt, schreckt
man auf. 150, 140, 125 … 147, meldet die monotone Computerstimme. Die Seekarte gibt die Erklärung dafür: Wir überfahren – ja
überfahren! – einen Fünftausender. Mount Bonaparte heisst er.
Sogar unter Wasser hat der kleine-grosse Korse Spuren hinterlassen!
Als das Echolot plötzlich nur noch 20 Meter anzeigt, schreit Urs auf.
Ein Fehlalarm. Das muss ein Fischschwarm gewesen sein. Der Schrei
hat auch mich auf den Plan gerufen. Einige Zeit verfolgen wir
zusammen die (Un)Tiefen unter uns. Plötzlich sind sie wieder weg.
Wir sind froh, die Füsse wieder frei zu haben!
Langsam nähern wir uns dem 10. Längengrad. Dort müssten
wir unsere Uhren wohl wieder um eine Stunde zurückstellen. Von
Bedeutung ist das für uns nicht. Bald werden wir auch den Falz in
der Mitte der Karte überfahren. Das werden wir selbstverständlich
feiern. Noch ist es nicht soweit. Etwas Sorgen bereiten uns zurzeit
die Batterien. Mehrmals mussten wir schon den Motor laufen
lassen, weil ein Teil der Anzeigen ausfiel. Dabei fahren wir jetzt
wieder überwiegend mit der Windfahnensteuerung und nicht mit
226
dem Strom fressenden Autopiloten. Wieder einmal bewundern
wir den unglaublich schönen Sternenhimmel. Hier – ungestört
von anderen Lichtquellen und vor allem bei Leermond – kann
man jeden Stern fast einzeln sehen. Heute ist das aber nur von
kurzer Dauer. Von Osten her hat uns bereits wieder eine Front
eingeholt. Der Wind bleibt allerdings mässig. Obwohl wir das
Gross und die ganze Genua gesetzt haben, machen wir nur noch
vier Knoten Fahrt. Bahnt sich eine neue Flaute an?
Lange Fingernägel und ein plötzlicher Herztod
«Das sind sie wieder, diese langen, langen Nächte, die nicht enden
wollen! Es beginnt schon nach 18 Uhr einzunachten und wird erst
wieder um 6 Uhr langsam Tag. Die Kehrseite der Tropen. Dafür ist es
nachts nicht mehr so bitter kalt wie in den ersten Wochen. Vorbei die
Nächte der ewig klammen Finger. Gott sei Dank!»
«Immer wieder denke ich leicht schaudernd an den Mount Bonaparte zurück, den wir gestern überfahren haben. Schon eigenartig, dass
man sich weit sicherer fühlt, wenn sich einige tausend Meter Wasser
unter dem Kiel befinden!»
«Ich tendiere immer, mich wettermässig nach vorne zu orientieren.
Dabei kommt das Wetter von hinten: mit etwa der doppelten
Geschwindigkeit von uns. Düstere Wolken am südöstlichen Horizont
bedeuten, dass es bei uns schon in ein paar Minuten regnen kann.»
«Schon der Erdumsegler Wilfried Erdmann hat es festgestellt: Auf
See scheinen die Fingernägel schneller zu wachsen. Warum? Wegen der
höheren Sauerstoff- Konzentration?»
«In unserer ‹sakralen Stunde› – die Stunde nach dem Nachtessen –
kommen wir auf die potenzielle Möglichkeit eines plötzlichen Herztodes
zu sprechen. Für Männer in unserem Alter kein Un-Thema. Zwei
Wochen von der südamerikanischen Küste entfernt und mit kaum einer
Chance, per Notruf ein anderes Schiff zu erreichen, wäre die Situation
klar: Ich müsste dir wahrscheinlich ein Seemannsbegräbnis bereiten –
oder du mir, sinniere ich. Otti nickt nur still.»
«Wir kämen gut voran, sagt der Skipper noch, bevor er sich aufs Ohr
227
legt. 3,5 Knoten sind es nur. Wie gehabt. Ich ertappe mich dabei, wie ich
hochrechne und unsere Geschwindigkeit in Relation zur zurückzulegenden Distanz setze. Leistungsdenken? Otti hat das nicht. Nicht
mehr. Was für ihn zählt, ist einzig: dass wir überhaupt vorankommen.
Ich wünschte mir etwas mehr von dieser Gelassenheit, auch wenn ich sie
selber zunehmend spüre. Das zeitlose Unterwegssein, das Gleiten durch
Raum und Zeit, gefällt mir. Alles andere ist weit weg.»
«Irgendwann erwache ich mit einem dröhnenden Kopf wie nach einer
durchzechten Nacht. Otti, nicht gewohnt, dass ich ohne sein Dazutun zur
Ablösung erscheine, erschreckt zu Tode und stösst einen Schrei aus. So
weit sind wir schon: dass wir uns gegenseitig den Schreck einjagen!»
Wir sind jetzt drei Tage unterwegs. Am Mittag lichtet sich der
Himmel. Ein unglaublich blaues – tinten- oder mitternachtsblaues
– Meer. Am Horizont tief liegende Passatwolken, die wie langgezogene Herden von Wollschafen aussehen, eine unendliche
Kette kleiner, flockiger Kumuluswölkchen. Dann ein sensationeller Sonnenuntergang, in den wir auf unserem Westkurs förmlich
hineintauchen. Oben hingepinselt flockige Wolkengebilde, die
sich rabenschwarz vom türkisblauen Hintergrund abheben.
Blutrot versinkt die Sonne in das von Wellen gepeitschte Meer.
Dazwischen alle nur denkbaren Orangetöne. «Ein gigantisches
Schlachtengemälde», bemerkt Urs.
Unsere Etmals werden bescheidener. Am Mittag des dritten
Tages feiern wir mit einer Flasche Weisswein unsere Passage über
den Falz in der Mitte unserer Karte, mit Brasilien links und dem
südlichen Afrika rechts. Der Schwarze Kontinent liegt definitiv
hinter uns. Darum läuft bei unserer Bordunterhaltung jetzt auch
das Samba-Programm an. Die Wassertemperatur hat 21 Grad
erreicht, was mich dazu bewegt, die erste Meerwasser-Dusche zu
nehmen. Am Abend gibt es Ravioli. Früchte und Gemüse fehlen
uns, weil in Jamestown kaum etwas auf dem Markt war. Kurz vor
Sonnenuntergang gefriert alles: der Wind, die Wellen, das Boot.
So, als hielte alles den Atem an für das bevorstehende Schauspiel:
228
den grandiosesten, monumentalsten Sonnenuntergang unserer
Fahrt. Wieder diese hingepinselten Schäfchen, einzeln und in
Herden. Dahinter gewaltige Vorhänge dunkler Wolken. Eine
Farbsymphonie von Türkisblau über Hellgelb, Orange und Blutrot
bis zu Rabenschwarz. Wieder ein Schlachtengemälde! Und es wird
wärmer. Viel wärmer. Endlich!
Ab dem vierten Tag spazieren wir nur noch dahin. Unsere
Schweizer Flagge hängt traurig an der Stange. Was uns noch
vorwärts trägt, ist die Strömung. Unser Leben an Bord hat spürbar
Mit Brasilien hinter dem Horizont werden unsere Träume feucht
an Dramatik verloren, dafür ist es gemütlich geworden. Am
Anfang, als es immer kalt war und ständig Action herrschte, hatte
Urs meist einen Bärenhunger. Das inzwischen gemächlicher
gewordene Leben mit viel weniger Bewegung wirkt sich direkt auf
seinen Hunger aus. Das thematisieren wir in einem Gespräch.
Unsere Rhythmen sind wegen des Schichtbetriebes unterschiedlich. Weil ich am Morgen früh im Einsatz stehe, habe ich am
229
Mittag natürlich einen gesunden Kohldampf, im Gegensatz zum
Spätaufsteher Urs. Wir beschliessen, das Mittagessen – für ihn
sozusagen das Frühstück – etwas vorzuverlegen und individueller
zu gestalten. Wichtig bleibt für uns beide das gepflegte Nachtessen
vor dem Sonnenuntergang. Für Urs wäre ein späteres Nachtessen
ideal, doch leider geht die Sonne früh unter. Schichtprobleme!
Die Wolken verschwinden. Wir sonnen uns und wärmen den
Pelz, während wir gemächlich unsere Bahn ziehen. Herrlich! Wir
sind beide grosse Leser und bewältigen auf unserer Fahrt eine
enorme Menge an Lektüre. Urs liest abwechslungsweise Wilfried
Erdmann, Paolo de Coelho, Time Magazines und mitgebrachte
Weltwochen, die sich publizistisch für den Irak-Krieg aufrüsten. Er
geniesst den gewaltigen Luxus der Zeit «kontemplativ», wie er das
ausdrückt. Der sei für ihn einmalig und darum so kostbar. So weit
weg von den Wirklichkeiten der Welt, von Machtgetöse, Kriegsrasseln und den lächerlichen Schweizer Problemen. Wieder einmal
lege ich die Angel-Leine mit einem Plastik-Oktopus am Haken aus.
Urs ist gerade am Kochen – es gibt Bratkartoffeln, Koteletts mit
Champignon- und Paprikasauce –, habe ich wieder einen Thunfisch an der Strippe: diesmal einen kleineren blauen. Für das
morgige Menu ist also gesorgt. Die Stimmung in unserer «sakralen
Stunde» ist wieder einmal phänomenal. Tintenblaues, gekräuseltes
Meer im Gegenlicht und dramatische Wolkentürme. Die Sonne
verabschiedet sich genau vor uns. In solchen Momenten, in denen
Zeit und Raum verschmelzen, packt uns meist die Andacht.
In der Nacht des fünften Tages ist schon im Halbschlaf zu
spüren, dass sich etwas verändert. Nein, es bockt nicht richtig,
aber unsere Fahrt hat sich wieder beschleunigt und – wie es Urs
ausdrückt – Leidenschaft bekommen. Der Wind nimmt bis zu
einer Stärke von 18 Knoten zu. Nicht schlecht. Mit der ruhigen,
hellen, glänzenden, glitzernden nächtlichen Pracht und dem
intensiven Zwiegespräch mit den Sternen ist es entschieden
vorüber. Begleitet von düsterem Gewölk, hat unsere Fahrt wieder
Temperament gewonnen.
230
Die Passatwinde entstehen am Äquator, wo die Luft durch die
Wärme ansteigt. Diese warmen Winde werden nördlich und
südlich davongetragen, kühlen sich ab, sinken und drehen sich
wieder in Richtung Äquator. Unsere Tradewinds, wie sie auf
Englisch genannt werden, kommen wegen der Erddrehung aus
Südost und blasen in nordwestlicher Richtung: also genau
dorthin, wo wir wollen. Wir profitieren jetzt optimal vom Passat
und erleben Segeln pur bei hellblauem Himmel und konstantem
Wind aus Südost.
Kitschiger geht’s nimmer!
«Der junge Mond bietet am früheren Abend eine Schau der
absoluten Sonderklasse, ein Bild, eines der vielen Bilder, das wir nur im
Kopf mit an Land nehmen können. Der Mond versank wie ein blutiger
Mandarinenschnitz im Meer. Sekundenlang sah das aus, wie wenn ein
brennendes Papierschiffchen, wie wir es als Buben gefaltet hatten,
versinken würde. Absolut fantastisch!»
«Fantastisch auch die Wolkengebilde. Heute entspringen sie einer
Märchenwelt. Zuerst waren da die zahllosen hingemalten Lämmer. Und
jetzt? Riesige Kabisse, Blumenkohle und Broccoli: über das ganze
Firmament aufgeblasenes Gemüse. Ein Miró!»
«Ein Abend, so wunderbar, wie man ihn kaum träumen kann. Ich bin
euphorisch, tanze mit den Sternen, umarme die Unendlichkeit. Die
Harmonie ist total. lch bin glücklich!»
«Gleissende Sterne, Millionen von ihnen. Für einen ist das Ende
gekommen. Mit einem glühenden Schweif verabschiedet er sich aus
dem Dasein.»
«Vor dem Einschlafen weiss ich, dass uns jeder kleine Windstoss,
selbst jeder Hauch eines Lüftchens unserem Ziel ein paar Zentimeter
näher bringt. Auf der Karte sind das noch viele Zentimeter, in Wirklichkeit 1428 nautische Meilen oder rund 2600 Kilometer.»
Wir sind im letzten Drittel unseres Langstrecken-Törns angelangt. Was mich ärgert, sind die Probleme mit dem automatischen
231
Piloten. Schon dreimal stieg er abrupt aus. Zweimal bemerkten wir
das sofort und konnten eine Pirouette vermeiden. Wichtig wäre,
und das fehlt bei diesem Gerät – übrigens hergestellt vom
ehemaligen Swissair-Piloten Otto Hollborn – eine akkustische
Warnung. Auf einen Autopiloten sollte man sich hundertprozentig verlassen können. Wir hätten die Möglichkeit, wieder auf die
Windfahnensteuerung umzustellen. Dazu zeigen auch die
thailändischen Batterien Schwächen. Schlafzottlig wie immer um
zwei Uhr früh torkelt Urs am sechsten Tag aus der Koje, hangelt
sich wacklig durch die Kabine, wirft im Vorbeigehen einen
verschleierten Blick auf die Instrumente in der Navigations-Ecke
und stolpert über die schwankenden Stufen des Niederganges in
die rabenschwarze Nacht hinaus. Wie üblich behandle ich ihn in
dieser grauen Stunde der Übergabe wie ein rohes Ei und reiche
ihm schweigend den dampfenden Kaffee, den er, wie er sagt, mehr
als alles andere brauche. Dieses Einfühlungsvermögen von einem,
der üblicherweise sehr rasch wach ist, weiss er ausserordentlich zu
schätzen. Heute muss er auch noch einen Traum von sich
schütteln. Wir hatten, so träumte er, eine eigenartige Insel
gefunden, die nirgends eingezeichnet war und bei uns alles
durcheinander brachte. Etwas verwirrt, braucht Urs Zeit, um
festzustellen, dass all das nur ein Traum war!
Heute Samstag machen wir uns schön, auch wenn wir uns die
Disco nur denken können. So gönnen wir uns auch mal eine
Borddusche. Wasser haben wir genug, weil wir damit sehr sparsam
umgehen. Wir brauchen Wasser für die übliche Katzenwäsche,
zum Zähneputzen, zum Trinken vor allem in Kaffee- oder Teeform
und natürlich zum Kochen, zumindest teilweise. Für Teigwaren
oder Reis benützen wir Meerwasser, wie auch meist für das
Abwaschen. Für die Toilette haben wir eine Seewasser-Pumpe.
Neben unseren Tanks verfügen wir noch über Wasser in Kanistern,
produziert vom Wassermacher. Das ist ein Nebenprodukt, wenn
immer wir den Motor laufen lassen müssen. Synergien nützen!
Am Mittag zaubere ich eine Tomatencrèmesuppe und Fisch auf
232
asiatische Art auf den Tisch; zum Dessert gibt es einen staubtrockenen Kuchen aus St. Helena, etwas munter gemacht durch
einen Schuss Rum. Am Abend ist Urs dran. Er bereitet Spaghetti al
olio mit Oliven und Speckwürfeli zu, dazu Sweetcorn-Salat. In
Sachen Abwechslung sind wir wirklich Spitze! Während dieser
prächtigen Tage auf dem Südatlantik beginnen wir mit unseren
Vorbereitungen für Brasilien. Dazu gehört das Büffeln von
portugiesischen Vokabeln.
Am 13. Oktober, eine Woche nach unserer Abfahrt von
St. Helena, überqueren wir – mit Kurs 290 Grad – um 15:03 Uhr
einen magischen Punkt unserer Reise. Wir befinden uns auf
Position S 14°30.250’/W 20°54.414’. Bis Salvador sind es noch
lediglich 1000 nautische Meilen oder 1852 Kilometer. Von jetzt an
zählen wir also nur noch dreistellig! Urs ist schon eine halbe
Stunde vor der zweiten Ablösung erwacht. Höchst ungewöhnlich.
Erwacht sei er wegen der absoluten Stille, bemerkt er. «Diese hat
mich so erschreckt, dass es mich fast panisch aus der Koje trieb!»
Ja, wir haben ihn wieder, diesen Zustand friedlichen Dahindümpelns wie auf dem Bodensee. Den ganzen Tag siechen wir einfach
dahin. Monotonie stellt sich ein. Auch ein wenig Ungeduld. So
langsam kann es doch nicht weitergehen! Irgendwann wollen wir
in Brasilien ankommen! So wird das ewig dauern! Wir sehnen uns
einen Luftzug herbei. Unsere Kreuzfahrtatmossphäre hat einen
Vorteil. Wir können uns gastronomischen Freuden widmen. Wir
hatten Zwiebeln und Knoblauch für ein Bataillon gebunkert und
reichlich Gebrauch davon gemacht, doch ab heute, so lautet
meine Order als Kommandant, ist der «Böllen» rationiert. Unsere
Zwiebelküche muss in den Spargang und kürzer treten!
Wieder ein Tag ist vorüber. Routine, nichts als Routine.
Während ich am Vormittag noch döse und die Zeit einfach
dahinplätschert, wischt sich Urs im Cockpit, als er sich kurz von
seinem Buch abwendet, ungläubig die Augen. Er sieht einen grossen
Frachter, der aus einer Distanz von schätzungsweise zwei Meilen
von achtern auf Steuerbord in steilem Winkel genau auf uns zuhält.
233
Wir befinden uns auf exakt westlichem Kurs, der Frachter kommt
aus Nordosten und steuert in Richtung Südwesten. Noch ist er
hinter uns, aber viel schneller. Kurz: Wir befinden uns auf Kollisionskurs! Von Urs alarmiert – «Ein Riesending nähert sich erschreckend schnell von achtern!» –, wiesle ich in Sekunden an
Deck. Seine Nerven liegen blank. Wir haben sechs Knoten Fahrt, der
Frachter, er ist leer, darauf deutet seine Wasserlinie, muss
mindestens viermal schneller sein! Ich rufe den Frachter über VHF
Kanal 16. Nach dem zweiten Versuch kommt die Antwort: «Ich
werde vor eurem Bug passieren. Have a good passage to Salvador!»
Beruhigend. Das Schiff ist unterwegs nach San Francisco im Süden
Brasiliens. Von einer Kursänderung ist aber vorerst nichts zu spüren.
Wir könnten im Notfall die Genua einrollen und mit Hilfe des
Motors 90° nach Backbord abdrehen. Der riesige Frachter kommt
näher und näher. Sein Tempo ist beängstigend. «Der wird abdrehen», meine ich cool. Wirklich? Wir können bereits klar die Aufschrift sehen: «IVS Kingfisher»
mit Immatrikulation Panama.
Da. Endlich dreht der Riese
leicht und kreuzt, in einer
Distanz von etwa fünfzig
Metern (!) vorne an uns vorbei. Zwei Seeleute winken uns
lässig zu, dann ist der Riese
bereits weg und wieder auf
seinem normalen Kurs.
Das war knapp und sorgte
kurz für einen Adrenalin«Was wollen die so nahe?»
schub! Zum Glück war es Tag.
In der Nacht hätten wir eventuell keine Antwort auf den Funkaufruf bekommen. Vielleicht hätte uns die Crew gar nicht gesehen. Wir hatten Glück. Und was sicher ist: Der Steuermann
machte ein Spielchen mit uns. Wollte er uns von nahe anschauen,
vielleicht in der Hoffnung, ein paar barbusige Damen auf unserem
234
Boot zu sehen? Wollte er uns schrecken? Oder unterschätzte er
schlicht unser Tempo? Verrückt. Wochenlang fuhren wir nun
dahin, abseits der grossen Schifffahrtsstrassen, und sahen nichts.
Die mathematische Wahrscheinlichkeit, mit einem anderen Schiff
zu kollidieren schien gering. Und dann war plötzlich dieser Koloss
da und hätte uns – ohne Kurskorrektur – mit Sicherheit gerammt!
So was geht an die Nieren, bringt einen aber auch zum
Philosophieren über Vorsehung und Schicksal.
Wir machen jetzt wieder konstant 5 bis 6 Knoten Fahrt und
werden dazu noch mit einem Bonus von einem halben Knoten
wegen der Strömung begünstigt. Das tut gut. Heute stossen wir auf
den Halbweg-Sprung zwischen St. Helena und Salvador an. Schon
Sorgte bei uns für Adrenalinschübe: die «IVS Kingfisher» aus Panama
bald machen wir auch den Dreiviertel-Sprung zwischen Kapstadt
und unserem Ziel. Kurz: Wir kommen nicht aus dem Feiern
heraus. Der Weisswein ist schon kalt gestellt! Vor allem unsere
Frischvorräte gehen langsam zur Neige. Auch das Gemüse. Wir
haben nur noch einen Kohl. Verhungern müssen wir trotzdem
nicht. Noch lange nicht. Auch das Meer ist noch voll von Fischen.
Unglaublich, wundert sich Urs immer wieder, dass es der «Essex»-
235
Crew, den Walfängern aus Nantucket, die nach dem Untergang
ihres Schiffes monatelang im Pazifik herumirrten und langsam
verhungerten, nicht gelang, einen einzigen Fisch zu fangen. In der
Schlussphase brachen sie mit dem letzten Tabu und begannen,
auch Hand an das Fleisch ihrer Kollegen zu legen. Das müssen wir
zum Glück nicht!
Im Taumel auf der Erdkrümmung
«Wenn man – weitab vom nächsten Kontinent – in der Unendlichkeit dahingleitet und keine Spur menschlicher Existenz mehr wahrnimmt, auch nichts im Wasser, das auf Verschmutzung hinweisen
könnte, ist kaum zu glauben, dass die Erde überbevölkert ist. Aus diesem
Blickwinkel scheint die Menschheit auf einen kleinen Teil der Erde
zusammengepfercht (und das ist sie ja auch wirklich). Zumindest der
Südatlantik scheint noch nicht verschmutzt. Im Gegenteil: Täglich freue
ich mich ob der unwahrscheinlichen Reinheit und tiefen Bläue des
Ozeans. Diese Erde, deren Krümmung wir am Horizont sehen, ist gross
und klein zugleich. Eine Seefahrerperspektive …»
«Wie werde ich diese Weiten, diese Ruhe, diesen Himmel, diese
Unendlichkeit vermissen! Diese Fahrt so weit weg von der Wirklichkeit
der Welt. Doch vielleicht ist gerade das die Wirklichkeit.»
«Der zweitletzte Tag beginnt nicht friedlich! Kaum wurde ich von
Otti um 02:00 Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen und habe meine Füsse
auf dem Boden, wirft mich ein Brecher an die Wand. Unser Boot
befindet sich wieder einmal in einem wilden Rodeoritt.“
Wir sind bereits wieder anderthalb Wochen unterwegs. Sonne,
konstanter Passat, prächtige Wellen, die uns – genau von achtern
kommend – mit ihrem Surf vorantragen. Perlendes Wasser.
Sprühende Gischt. Wir reiten lustig von Wellenkamm zu Wellenkamm. Seit Tagen haben wir an unseren Segeln nichts mehr
verändert. Es bleibt bei Korrekturen an der Windfahnensteuerung.
Seit Jamestown habe ich schon drei Bücher verschlungen. Eine
gewisse Lethargie bemächtigt sich unser. Langweile? Kaum, aber
236
das ewige Geschaukel platt vor dem Wind, kann schon auf die
Nerven gehen. Wir müssten eine positive Einstellung zum
Seegang und zum Schlingern unseres Bootes entwickeln, trichtere
ich Urs ein. Das macht es wirklich leichter, und man schläft auch
besser. Urs geniesst mit zunehmender Wärme die Sonnenbäder.
Wir freuen uns auf die Ankunft in Brasilien, diskutieren zusammen auch portugiesische Grammatik und üben Redewendungen.
Weil ich ja noch längere Zeit in Brasilien bleiben werde, möchte
ich in Salvador auch Stunden nehmen, am liebsten natürlich
Einzelstunden bei einer hübschen Lehrerin! An einem Abend
überrasche ich meinen First Mate mit einem Raclette. Er findet
das, mitten auf dem Südatlantik, «absolut phänomenal».
Die Nacht des 17. Oktober ist so gleissend hell, dass es einen
fast blendet. Erstmals haben wir einen völlig klaren Himmel,
erhellt von einem hochstehenden Mond. Unsere rasante Fahrt der
letzten 50 Stunden ist erlahmt. Damit zerschlägt sich auch die
Hoffnung auf einen raschen Run ins Ziel. Erst am folgenden
Abend frischt der Wind wieder etwas auf und schiebt uns flott
voran. Nach aktuellen Hochrechnungen benötigen wir noch etwa
80 Stunden bis zur Küste vor Salvador. Wir möchten diese am
Montagmorgen erreichen, um dann den letzten Teil bei Tag
machen zu können. Im Moment sieht alles ideal aus. Nach einem
weiteren Tag auf dem Weg zur Küste haben wir seit langem wieder
einmal Besuch: ein kleines Vögelchen. Es ist der erste Vorbote des
neuen Kontinentes. Am Abend belebt sich die See wieder spürbar.
Wir hätten unsere Uhren bereits drei Stunden zurückstellen
müssen, haben es aber noch nicht getan. Welche Rolle spielt das
überhaupt? Doch so werden unsere Tage immer länger und für Urs
die erste Nachtwache zu seinem Entzücken kürzer.
Genau ein Monat ist es her, seit wir in Kapstadt in See
gestochen sind. Davon verbrachten wir 28 Tage auf See. Wir
haben fünf Zeitzonen durchfahren, sind von den kalten
Gewässern des Kaps in tropischen Gefilden angelangt, haben
über 6000 Kilometer zurückgelegt und ich weiss-nicht-wieviele
237
Flaschen Brandy gehöhlt. Locker und in unvermindertem
Tempo tänzeln wir in einer weiteren lichtschwangeren Nacht
Salvador entgegen. Es ist, als würde die Hasta Mañana von dieser
mystischen Stadt magnetisch angezogen. Es gibt für uns nichts
zu tun, als sie machen zu lassen, sie mit lockeren Zügeln ihrem
Ziel entgegen rennen zu lassen. Noch 242 Meilen trennen uns
von der Küste. Ein Katzensprung angesichts der gewaltigen
Strecke hinter uns. Hielte unser Tempo unvermindert an, hätten
wir ein Problem: Statt am frühen Montagmorgen würden wir
bereits am Sonntagabend am Ziel eintreffen. Nicht ideal, weil
wir bei Tag ankommen wollen. Zudem wäre der Sonntag nicht
günstig wegen der Behörden. Mal sehen. Vielleicht hält der
Wind einmal inne, sonst müssten wir «bremsen»!
Am Samstag zeichnet sich klar ab, dass wir für eine Ankunft
am Montag viel zu schnell sind, es aber am Sonntag nicht früh
genug schaffen können. Ich reduziere die Genua, doch zeigt das
praktisch keine Wirkung. Auch am zweitletzten Tag unserer Reise
türmen sich die Wellen. Urs hat viele Filme durchgelassen beim
Versuch, einen Eindruck dieser Wellentürme festzuhalten. Wohl
erfolglos. Er wird diese Bilder, wie so viele andere, im Kopf mit an
Land nehmen müssen.
Nach einer weiteren silbrig gleissenden Nacht erwartet uns ein
weiterer Traumtag. Durchwühlte See mit weissen Krönchen. Auf
der Beaufort-Skala ist das überhaupt nichts, doch es knallt und
kracht und rauscht und scheppert wie in unseren bewegtesten
Tagen nach Kapstadt. Wir haben nur ein Problem: Wir sind nach
wie vor viel zu schnell. Die Strömung und hohe Dünung halten
an, Salvador zieht uns wie mit Geisterhand an. Ich muss wieder
über die Bücher. Ich reduziere die Genua auf «Handtuchgrösse»
und reffe auch das Grosssegel. Endlich wird das spürbar. Unser Log
zeigt 4 Knoten an. Das sollte aufgehen. Wir rechnen, so um sechs
Uhr morgens in der Bucht von Salvador anzukommen. Unglaublich, dass wir mit so wenig Segel so schnell sind. Während wir am
Sonntagabend eine letzte «sakrale Stunde» auf See feiern, passiert
238
uns ein Riesenfrachter auf der Backbordseite, diesmal in gebührender Distanz. Wir leben noch immer nach Greenwich Time und
wollen die Uhren erst nach unserer Ankunft umstellen. Deshalb
ist die bevorstehende Nacht drei Stunden «länger». Die Sonne
verabschiedet sich blutrot am Horizont, während im Osten
gleichzeitig der Vollmond aufsteigt. Zwei Scheiben auf einmal am
Himmel! Ein sensationeller Abend, der eines Finals würdig ist.
Unsere letzte Nacht im Schichtbetrieb. Die brasilianische Flagge
ist gehisst, und wir freuen uns unheimlich auf die Ankunft.
Am Montagmorgen um 02:00 Uhr, am 21. Oktober, am 15. Tag
nach dem Start in St. Helena, taucht vor uns ein blitzendes Leuchtfeuer auf. Dahinter hebt sich vom mondbeleuchteten Himmel eine
rote Glocke ab: der Schein von Salvador de Bahia: Südamerika!
«Wahnsinn!» jubelt Urs. Nein, es ist keine Fata Morgana. Im Radio
bekommen wir einen Lokalsender mit Nachtmusik. Der Sprecher
spricht – Gott, wie unglaublich melodisch das klingt! – brasilianisch. Eine Stunde später gibt die Erdkrümmung die ersten Lichter
der Küste frei: wackelnd und immer wieder von den Wellen
verschlungen. Um 05:00 Uhr geht seine letzte Wache zu Ende. Er
muss sich zwingen, sich noch etwas hinzulegen, doch schlafen
kann er nicht. Zu aufregend ist es, hier – und das mit aufreizender
Langsamkeit! – anzukommen. Wir passieren ein paar Fischer, doch
sonst sind wir die Einzigen unterwegs. Aus der Morgenröte steigt
die Sonne blutrot aus dem Wasser und wirft ihr bleiches Licht auf
die Skyline der Stadt, die von weitem wie ein Mini-Manhattan
wirkt. Zeitgleich geht im Westen der Vollmond unter. Eine absolut
einmalige Stimmung, die sich in die Erinnerung einbrennt. In der
Einfahrt zum riesigen Hafenbecken bergen wir die Segel und
starten den Motor. Der Moment ist beglückend.
Urs steuert unser Boot von Hand zur «Bahia Marina», wo ich
das heikle Einfahrtsmanöver übernehme. Wir bekommen einen
guten Platz, den ich auch über den Winter behalten kann. Der
Marinheiro Edi hilft uns beim Belegen am Steg. Wir klemmen uns
zwischen zwei grosse Motorboote, die hier in der Mehrzahl sind.
239
Wir schütteln uns beglückt die Hände und lassen einen Spumante
knallen. Auf der «Hasta Mañana» verlaufen die Karrieren schnell.
Urs bekommt seinen zweiten Streifen und ist ab sofort First Officer
an Bord. Auch darauf stossen wir an. Entspannen können wir uns
allerdings noch nicht ganz, denn vorerst sind noch die Formalitäten zu erledigen, zuerst in der Marina, dann bei der Immigration
und beim Zoll.
Salvador de Bahia: das langersehnte Ziel ist erreicht
Dass wir in Südamerika sind, spüren wir rasch. Das umständliche Einklarieren zieht sich über drei Tage dahin. Wir irren – von
den einen Ämtern zu den anderen verwiesen und von Pontius zu
Pilatus eilend – den weitläufigen Hafendocks entlang, bis wir
endlich den Health-Beamten finden. Das nötige Papier beweist,
dass wir seuchenfrei eingereist sind. Bei der Federal Police bekommen wir ein dreimonatiges Visum für Brasilien in den Pass
geknallt. Damit ist Urs freigestellt. Nach der Frische des Meeres
herrscht hier eine Affenhitze, so um die 35 Grad. Vor dem
«Mercado Modelo» schlürfen wir in der Mittagspause eine kühle
erste Cerveja, eifersüchtig umsorgt von Miranda, einer rundlichen
240
und fast zahnlosen Frohnatur unbestimmten Alters, die uns sofort
unter ihre Fittiche nimmt und für unser Wohl sorgt. Laut dröhnen
ein paar Trommeln hinter einer kleinen Bühne, auf der junge
Männer eine Capoeira aufführen, eine besonders in Salvador
heimische Symbiose von Tanz und Kampfsport, bei der Schnelligkeit und akrobatische Künste
zählen. Wirbelnd stürzen sich die
jungen Recken in immer neue
Figuren und gleiten haarscharf
aneinander vorbei. Die Capoeira
hat, wie so vieles hier, afrikanische
Wurzeln. Sie wurde von den
einstigen Sklaven entwickelt, die
ihren Körper zur Waffe machten.
Wir sind mitten hineingeworfen
ins quirlige Strassenleben mit
seinen Gegensätzen von Glanz
und Elend. Brasilien! Um zwei Uhr
Miranda umsorgt uns
muss ich beim Zoll sein, aber da
tut sich nichts. Zu viele Agenten sind mit dicken Bündeln Frachtdokumenten bewaffnet daran, sich um den einzigen Beamten zu
balgen. Erst um halb vier bin ich dran. Was ich brauche, ist nur
noch eine einzige Unterschrift, doch der inzwischen abgeschlaffte
Staatsdiener weist mich an, am nächsten Tag wieder zu kommen,
um meine Papiere abzuholen. Das braucht Nerven wie Drahtseile.
Am folgenden Morgen bin ich wieder rechtzeitig vor Ort, doch der
Zollbeamte namens Jair kann – ich werde fast verrückt – meine
Unterlagen nicht mehr finden! Er ist nett, verwirft theatralisch
seine Hände und blickt zum Himmel. Damit will er wohl andeuten, dass sich der Allmächtige meiner Papiere angenommen
habe. Es geht allerdings irdisch weiter, denn – ob mir das passt
oder nicht – muss ich das ganze Prozedere nochmals von vorne
beginnen, bis ich endlich beim Hafenkommandanten die Bewilligung erhalte, mein Boot für drei Monate temporär einzuführen.
241
Diese kann um maximal weitere drei Monate verlängert werden,
dann muss ich leider Brasilien endgültig verlassen haben.
Ziemlich geschafft, bin ich nun bereit für die lustigeren Seiten
des Lebens in Brasilien. Mal schauen, was uns Salvador de Bahia
sonst noch zu bieten hat. Auf jeden Fall hier bleiben möchte ich bis
nach dem Karneval im nächsten Februar, der zu den berühmtesten
der Welt gehört. Einen Vorgeschmack darauf erhalten wir schon an
unserem ersten Abend im Altstadtviertel Pelourinho. Schon von
weitem dringt uns das Trommelgehämmer in die Ohren. Der Musik
– nicht immer schön, dafür in furioser Phonstärke – ist nirgends zu
entgehen. Wo immer ein Lautsprecher dröhnt, und das scheint hier
ständig der Fall zu sein, beginnen die Menschen leidenschaftlich zu
tanzen. Hier zeigt sich ihre überschäumende Lebensfreude. Ein
solches Fest geht jeden Dienstag über die Bühne! Die afrikanische
Kultur, die Salvador – die «schwärzeste» Stadt Brasiliens – besonders
prägte, ist überall spürbar. Schöne Frauen, Mulattinnen jeder Schattierung, strahlen uns an. Wir sind offenbar willkommen. Wunderbar. Das einst verruchte Pelourinho-Quartier, mit Unesco- und
Regierungsgeldern renoviert, ist zum Juwel der Monster-Stadt mit
ihren schrillen Kontrasten zwischen brutalem Verfall und Modernität geworden. Nur eines nervt uns, dass wir als Ausländer überall
Freiwild sind – sehen wir denn wirklich wie Banken aus! – und
höllisch aufpassen müssen, um nicht ausgenommen zu werden.
Wir feiern Urs’ Beförderung mit einem «First Officer’s Dinner»,
saugen die ersten Eindrücke ein und sind – etwas caipirinhaselig –
schliesslich froh, wieder im Schutze unseres Hafens zu sein. Ein
letztes Bier, dann sind wir bei den Engeln.
In unserer Marina reihen sich Luxusboote in Massen. Pompöse
Millionen-Motoryachten mit ihren Mannschaften. Wem gehören
diese Kähne? Womit wurden sie bezahlt? Brutaler Reichtum, der
so im Gegensatz zur sonst gross ins Auge springenden Armut in
dieser Stadt steht. Unsere Hasta Mañana scheint hier eine Exotin
zu sein. Die Marina ist hervorragend geschützt, dazu hat sie auch
eine gute Infrastruktur, zum Beispiel private WC- und
242
Duschräume. Nach ein paar Tagen sind wir nicht mehr die
einzigen Schweizer. In einiger Entfernung von uns liegt ein
grosses, schwarzes Segelboot, das den Namen «Musikaa Basilensis»
trägt. Darauf ein dürres, greises Paar, das sehr wortkarg ist und sich
verschlossen bis abweisend gibt. Wie die wohl das extrovertierte
Brasilien ertragen! Mehr Aufmerksamkeit erregt am Kopf unseres
Steges eine grosse, elegante Ketsch mit dem Namen «Colombaio»
am Heck, eine Schweizer Yacht. Ein jüngerer Segler, der gerade den
Rumpf reinigt, erkennt Urs schon von weitem: «Du kommst doch
aus Schaffhausen!» Tatsächlich, es ist Markus Theiler, gegen den er
einmal in einem Tennisturnier in Buchthalen gespielt hat – wie
klein die Welt doch ist! Der Schaffhauser hat als «Hand-gegenKoje» auf dieser Jongert 25 angeheuert. Heinz, der Eigner, lädt uns
spontan zu einem Bier an Bord
ein. Er ist auch bereit, uns sein
über 28 Meter langes und 120
Tonnen schweres Schmuckstück
zu zeigen. Erlesene Hölzer und
modernste Ausrüstung prägen
den Innenausbau. Eine bezahlte
vierköpfige Crew mit Kapitän
und einer französischen Köchin
betreibt das Schiff. Die Schweizer legen hier einen kurzen
Stopp auf dem Weg nach Rio de
Die Schweizer Yacht «Colombaio»
Janeiro ein. Später wollen sie
ums Kap Hoorn in die Südsee
segeln.
Als Urs auf der Suche nach den besten Bildern in der Altstadt
herumpirscht, lernt er Cristiane kennen, eine bildhübsche und
elegante junge Brasilianerin, deren Vater Staatsanwalt ist und die
während mehreren Jahren in München lebte. Sie spricht hervorragend deutsch, besitzt den Laden «Shopping do Pelô» und ein
Reisebüro an bester Lage und lacht mit ihren blendenden Zähnen
243
das unvergleichlich ansteckende brasilianische Lachen. Mit ihr
flirtend, findet er auch heraus, dass sie einen Brasilianisch-Lehrgang für Deutschsprachige entwickelt hat und Einzelstunden gibt.
Das sei die Lehrerin für mich, beschliesst
er auf der Stelle und schleppt mich – stolz
auf seinen Fang – am Abend an, um mir
meine zukünftige «professora» vorzustellen. Etwas skeptisch bin ich vorerst
schon, als sie mir eröffnet, meine Schulstunden fänden zwischen 08:00 und
09:30 Uhr am Morgen statt, doch ihrem
Lachen kann auch ich nicht widerstehen.
Von nun an verbringe ich jeden Montagund Mittwochmorgen mit Cristiane. Sie
hat mich – als nicht gerade alltäglichen
Meine Portugiesisch-LehSchüler – rasch im Griff, weshalb ich auch
rerin Cristiane.
gute Fortschritte mache.
Am Samstagmorgen ist einiges los in
der Marina. Die Luxusboote mit ihren Crews laufen nach endlosem Gepützel und viel Vorgeplänkel mit ihren Eignern und vielen
hübschen Girls aus dem Hafen. Die Potenz-Show hat begonnen.
Dazu gehören riesige Speedboote, die wie überdimensionierte
Zigarren aussehen. Viele der Boote kommen schon bald wieder
zurück. Wie wir erfahren, benützen sie diese Kähne nur, um damit
zu ihren Weekend-Häusern auf den Inseln zu fahren. Nein,
sympathisch sind uns diese Angeber nicht! Wir verbringen einen
Nachmittag im etwas ruhigeren Vorort Barra. «Pass gut auf mein
Zeug auf!» ermahnt mich Urs am Strand, bevor er sich ins Wasser
stürzt. Von weitem beobachtet er den jungen Mann, der sich bei
mir niederlässt und mich in ein intensives Gespräch verwickelt.
Bei Urs gehen die Alarmglocken los. Nicht von ungefähr. Als er aus
dem Wasser zurückkommt, ist sein geliebtes Feuerzeug-Etui weg,
das ihn dreissig Jahre lang treu über alle Kontinente begleitet hat!
Sein Ärger über meine Unachtsamkeit ist berechtigt. Ja wirklich,
244
ausgelernt hat man nie! Am Abend bebt die Stadt im Wahlfieber.
Die Präsidentschaftswahlen erklimmen den Höhepunkt. Sambazüge, Musik überall. Luiz Inacio Lula da Silva ist das Thema. Er ist
der sozialistische Kandidat, der Mann der Strasse.
Der 27. Oktober wird in Brasilien zu einem denkwürdigen Tag.
Das wissen wir am Morgen allerdings noch nicht. Wir fahren an
diesem Sonntag mit einem öffentlichen Bus an der nördlichen
Küste hoch, passieren bekannte Badeorte wie Ondina, Rio de
Vermelho, Amaralina, Pituba, Costa Azul, Praia de Boca do Rio,
Pituaçu, Jaguaribe, Praia de Piata
und kommen schliesslich zum
Strand von Itapuã: ein paar Stunden Fahrt für umgerechnet 60 Rappen. Es ist Sonntag, und Millionen
sind auf dem Weg an die endlosen
breiten Strände. Die Luft hat 30
und das Wasser 26 Grad, nicht eingerechnet der Temperaturanstieg
durch die zahllosen Samba
tanzenden Beach Girls. Musik auch
Jeunesse dorée
hier an allen Ecken. Brasilianische
Wochenendstimmung eben. Kurz bevor wir den Heimweg antreten
wollen, knallt es auf der Strasse. Ein grosser Bus brennt in einer
gewaltigen Feuersäule völlig aus und ist nachher nur noch ein
schwarzes Skelett. Die Rückfahrt nach Salvador ist nicht ganz
einfach. Millionen von Badefreudigen wollen zur gleichen Zeit
dasselbe tun, doch wir schaffen es schliesslich und kommen gerade
rechtzeitig zu einem grossen Spektakel an.
Am Abend gehen die Präsidentschaftswahlen zu Ende. Lula,
welcher der Armut im Lande Abhilfe zu schaffen verspricht, hat
die Nase vorn. «Agora é Lula!» lautet der Wahlschlager, den natürlich auch die Musiker auf der Strasse gerne aufnehmen. «Lula-la»
tönt ja auch so gut! In Barra werden wir von einer gewaltigen
Veranstaltung aufgesogen. Wie überall, drückt sich hier Freude in
245
einer Schlacht der Phone aus. Zwei Sattelschlepper fahren beim
Leuchtturm auf, deren Anhänger mit einer Musikanlage mit
eigener Stromversorgung und gigantischen Lautsprechern bestückt sind. Wenn die aufdrehen, sich gegenseitig zu übertönen
suchen und man sich gerade in ihrer Nähe befindet, bläst es einem
fast den Kopf weg! Auf einer Bühne bearbeitet eine Samba-Batterie ihre Trommeln, während Tänzerinnen in farbigen Kostümen
herumwirbeln. Rot ist die Farbe des Tages. Wir werden oft angesprochen. Viele freuen sich, dass wir als Ausländer Anteil nehmen.
Ich erhalte sogar ein Bier offeriert. Um 01:00 Uhr kommt endlich
Wovon wir geträumt haben: Sonntagsvergnügen am Strand
das Schlussresultat durch: Der kämpferische Gewerkschafter aus
einfachen Verhältnissen hat es geschafft! Ein Feuerwerk steigt, alle
fallen sich in die Arme, vergiessen Freudentränen, gratulieren sich
gegenseitig. Auch wir werden umarmt. «Morgen wird Brasilien ein
neues Land sein!» schreit uns Mauricio, ein lokaler Politiker, in die
Ohren. Wir möchten es gerne hoffen. Wie wird der neue Präsident
wohl mit diesem immensen Erwartungsdruck fertig? Wird es ihm
gelingen, die Hoffnungen aller Hungernden und Darbenden in
246
Mein Logbuch: Meilenbestätigung für Urs
247
diesem Lande zu erfüllen? Kann er die düsteren Wolken am Wirtschaftshorizont verscheuchen? Oder geht er die Wege der meisten
Politiker in Südamerika, deren wohltönenden Worten selten
Taten folgen? Wir sind bewegt, dass wir diese Stunde des Wechsels
so unmittelbar erleben durften und wünschen Brasilien viel Glück
mit Lula.
Inzwischen kennen wir viele Leute und Gesichter. Viele sind
uns auch lästig, etwa Joseph, sprachlich auf der Höhe, der uns
ständig verfolgt und uns touristische Leistungen andrehen will.
Ins Herz geschlossen haben wir dagegen den kleinen Schuhputzerbuben Roberto: einen stolzen und charaktervollen Kleinunternehmer, der psychologisch mehr auf der Platte hat als die
meisten Erwachsenen, die sich auf der Strasse mit irgendwelchen
Diensten durchschlagen. Urs sponsort ihn, ohne dass er je darum
gebeten worden wäre. Roberto ist ein wahrer Könner!
Am 4. November sind Urs’ letzte Stunden auf der Hasta
Mañana angebrochen. Morgen will er nach Rio de Janeiro abfliegen. Die Zeit dafür sei gekommen, erklärt er kleinlaut. Ein
komisches Gefühl, wir beide spüren es im Magen. Nach sieben Wochen pausenlosen Zusammenseins auf engstem Raum fällt
dieser Schritt nicht leicht. Wir haben intensive Stunden
miteinander erlebt, nun trennen sich unsere Wege. Urs spendiert
ein Farewell Dinner. Dann saufen wir zu viel. Depression am
Morgen. Auch unsere Köpfe sind schwer. Urs packt wortlos. Wir
bleiben auch beim Frühstück wortkarg. Um 12 Uhr begleite ich
ihn mit dem Taxi zur Busstation. Der Bus kommt für uns viel zu
früh. Ohne Worte drücken wir uns die Hände. Urs hat Tränen in
den Augen. Ich auch.
«In Buenos Aires findet man in jedem zweiten Haus einen Bücherladen. Hier gibt es keine Bücherläden. Die Brasilianer sind Körper- und
Bewegungsmenschen. Als ich einmal am Strand in einem Buch las,
empörte sich einer. Wie ich nur dazu komme, diesen einzigartigen Ort
so zu missachten? Eine Beleidigung.»
248
Brasil, Brasil ... todo bem!
Salvador
JacarØ
Fernando de
Noronha
rei Monate sind seit unserer Ankunft in Salvador verstrichen. Brasilien wird rasch zu einem meiner Lieblingsländer,
schon wegen der durchwegs kontaktfreudigen und zugänglichen Menschen mit ihrer Sprache, die wie Musik klingt. In Salvador fühle ich mich auch sicherer als in Rio de Janeiro, wo ich
schon am heiteren Tag beraubt wurde. Die Baianas, Nachkommen
der afrikanischen Sklaven, die in den Zuckerrohrfeldern arbeiteten, sind dunkler als die Cariocas von Rio. Brasilien zählt als grösstes Land Südamerikas über 170 Millionen Einwohner. Der neue
charismatische Präsident will mit seinem Programm «Fome Zero»
den Kampf gegen Unterernährung und Armut aufnehmen. Sein
Finanzminister, Antônio Palocci, ein Arzt, hat dem Land eine
starke Medizin verschrieben, um die kränkelnde Wirtschaft
anzukurbeln. Er hat auch Sparmassnahmen durchgeboxt und
kann schon erste Erfolge verbuchen. Die Inflation konnte auf 8
Prozent pro Jahr gedrückt werden. Zumindest ein guter Anfang.
Ende Februar 2003 besuchen mich Dorli und Heinz Tanner aus
Spanien in der Marina. Mit Heinz bin ich seit unserer gemeinsamen Schulzeit in Stein am Rhein befreundet. Die beiden
befinden sich auf einer Südamerikareise. Meine Portugiesischlehrerin Cristiane organisiert uns einen deutschsprechenden
Reiseführer. Marcos ist auch unser Chauffeur und führt uns in die
Chapada Diamantina, ins Land der Diamanten, wo die kostbaren
Steine allerdings längst ausgebeutet sind. Nach über sechs
Stunden Fahrzeit nehmen wir zuerst ein kühles Bier im Restaurant
«Mucugezinho», dann ein Bad im unterhalb gelegenen Wasserfall
Cachoeira do Diabo. Es ist schon dunkel, als wir im Hotel Portal
D
249
de Lençois unsere Zimmer beziehen. Lençois ist das Zentrum der
Chapada mit Tourismusaktiviäten wie Wandern und Bergsteigen.
Mit Everaldo, einem lokalen Führer, besuchen wir ein Feuchtgebiet – hier Pantanal genannt –, wo wir mit einem Boot durch
Seerosen und schilfartige Pflanzen gerudert werden. Nur das
Zwitschern der Vögel ist zu hören, sonst ist es absolut ruhig. Das
Picknick nehmen wir bei einem Wasserfall ein. Natur pur. Am
nächsten Tag geniessen wir oberhalb des Dorfes Lençois ein Bad in
Pools, die im Laufe der Jahrhunderte vom Flussschotter ausgespült
wurden. Sie bieten sich in allen Grössen an: vom Einpersonenpool
bis hin zur Familienbadewanne. Hier waschen auch Frauen ihre
Wäsche und legen sie auf dem bunten Fels zum Trocknen aus. Vor
unserer Rückfahrt besteigen wir den Pai Inácio. Nach einem
schweisstreibenden Aufstieg erwartet uns als Belohnung ein
atemberaubender Blick in die Schluchten dieses westlich von
Salvador gelegenen Nationalparkes. Mit meinem Boot steuern wir
dann die Insel Itaparica an und erreichen schon nach drei Stunden unseren Ankerplatz. Wir baden im trüben, lauwarmen Wasser.
Heinz filetiert das eingekaufte Fleisch, und Dorli zaubert ein
herrliches Nachtessen auf den Tisch. Bei einem Glas Wein geniesse
ich das Zusammensein mit meinen langjährigen Freunden. Nach
einer unruhigen Nacht verholen wir in die nahe gelegene Marina.
Schliesslich legen wir in der Centro Nautico Marina an, begeistert
begrüsst von der rassigen Clubsekretärin Dayse. Hier konnte ich
mir einen der letzten freien Plätze ergattern. Dorli und Heinz
reisen weiter nach Manaus an den Amazonas.
Mit meinem Boot liege ich jetzt mitten in der Stadt. Von hier
aus brauche ich kaum fünf Minuten zum «Elevador», dem Lift, der
die Unterstadt mit der Altstadt verbindet. Er gehört wohl zu den
billigsten Transportmitteln der Welt: 10 Fahrten kosten nur gerade
25 Schweizer Räppli. Eine angenehme Überraschung: Während
des Karnevals ist der Elevador sogar gratis! Schon am Schmutzigen
Donnerstag beginnt die Temperatur spürbar zu steigen. In Pelourinho dröhnen am Abend erste Trommeln in den engen Gassen.
250
Überall sind kleine Musikgruppen unterwegs, meistens gefolgt
von tanzenden Fans, die versuchen, die Stimmung anzuheizen.
Ich freue mich auf die kommenden Tage und Nächte. Noch ist es
leicht, in einem der Restaurants einen Platz zu finden und einen
Caipirinha als Apéro zu genehmigen. Dieses Nationalgetränk
wirkt schnell. Ich beginne, bei der Musik mitzusummen und bin
glücklich, hier zu sein. Wie angenehm ist es doch, an der Fasnacht
nicht frieren zu müssen. Die Temperaturen fallen auch abends
nicht unter 25 Grad Celsius. Dementsprechend leicht sind die
Frauen bekleidet, die viel Haut zeigen.
An der Sexta-feira – das ist auf Portugiesisch der Freitag (Bezeichnenderweise ist hier der Samstag der siebte und der Sonntag
der erste Tag der Woche) – geht es richtig los mit dem Carnaval.
Ich habe mir eine Eintrittskarte zur Terrasse des Othon Palace besorgt, am Circuito Dodô, einer abgesperrten Route, die vom
Leuchtturm Barra nach Ondina führt. Langfinger haben natürlich
in dieser Zeit Hochsaison. Vorsicht ist also geboten. Etwas Geld
habe ich in den Schuhen und in den Unterhosen versteckt, doch
fühle ich mich an meinem privilegierten Platz sicher genug, um
auch meine Kamera mitzunehmen. So gegen sieben Uhr abends
wird das Publikum unruhig. Überlaute Sambarhythmen dröhnen
aus Riesenlautsprechern des ersten Trio Elétrico, «Nana Banana –
Chiclete com Banana». Sattelschlepper ziehen im Schritttempo
Musikwagen mit ihren eigenen Generatoranlagen heran. Darauf
tanzen ausgelassen Frauen in phantasievollen Kostümen. Dazwischen, etwas vertieft, geben die über zehnköpfigen «Batterien»
alles her, was sie an Lärm produzieren können. Schwarz bis weiss,
alle Hautfarbschattierungen vermischen sich vor und hinter den
Trucks. Alle tanzen und singen mit. Jung und Alt, Weiblein und
Männlein wackeln mit den Hüften, so wie es nur die Brasilianer
können. Die Musik dröhnt so laut, dass man damit Tote erwecken
könnte. Sechserpatrouillen der Polícia Militar kämpfen sich
durchs Gewimmel. Benimmt sich jemand daneben, so wird er
ungehemmt mit dem Schlagstock traktiert und zurecht gewiesen.
251
Wie man sich im Gedränge wiederfindet? Hilfreich sind die Tafeln
mit Nummern, auf denen «Onde você está!» steht. Diese Nummer
gibt man dann am Handy durch und findet sich wieder. Ich bin
froh, auf der Terrasse und damit über dem Schlamassel zu sein.
Das Hauptmotto dieses Jahres ist «Carnaval da Paz» (Karneval des
Friedens). Allein der Bloco «Filhos de Gandhy» umfasst Hunderte
von Tänzerinnen und Tänzern. Immer wieder rufen sie zum
Frieden auf und ermahnen Bush, er solle den Irak in Frieden
lassen. Weitere Gruppen folgen bis in die frühen Morgenstunden:
Banda Olodum, Zimbawe, Badauê, Muzenza, Ilê Aiyê und wie sie
alle heissen. Der Karneval hilft im Lande, wo die Armut so weit
verbreitet ist, Dampf abzulassen, die Dämonen zu vertreiben und
die Batterien wieder aufzuladen.
Alkoholisiert und musikselig wogt die dünner werdende
Menge dem neuen Tag entgegen. Erst als sich die ersten Sonnenstrahlen zeigen und das letzte Trio Elétrico verstummt ist, wage
ich mich auf die Suche nach einem Taxi, der mich zurück in den
Hafen bringt.
In der Altstadt versuchen schöne Tänzerinnen, mit ihren
hohen Absätzen auf dem groben Kopfsteinpflaster sambatanzend
das Gleichgewicht zu halten. Den Tanzgruppen folgen die
Musiker, meist etwa fünf Trommler,
zwei Posaunisten und Trompeter und
ein Saxophonspieler. Manchmal kreuzen sich zwei Gruppen an einer engen
Stelle, worauf das Chaos total ist. Hier
sind auch viele Kindergruppen zu sehen. Keiner ist zu klein, um dabei zu
sein. Kaum können Kinder stehen, so
scheinen sie auch schon tanzen zu können. Farbig und fantasievoll gekleidet
und herausgeputzt, freuen sich Mutter
und Vater an ihrem Nachwuchs bis weit
nach Mitternacht. Auf diese ausgelasseCarnaval in Pelourinho
252
nen Tage und Nächte folgt unweigerlich der Aschermittwoch. Es
ist, als sei alles abgestellt. Die ungewohnte Stille wirkt bedrückend. Die meisten Geschäfte bleiben noch geschlossen,
während die Tribünen abgebrochen, der Abfall weggeräumt und
die grässlich stinkenden Toilettenhäuschen abgebaut werden.
Traurig hängen noch Dekorationen an Lampenpfosten. Jetzt ist
Fasten angesagt! Auch bei mir.
Ich mache mich daran, etwas an meinem Boot zu werkeln.
Noch ist einiges zu tun, bis ich wieder weitersegeln kann. Neben
mir liegt die «Revo» aus Deutschland. Der Skipper heisst Reinhard.
Dieser hievt mich ins Masttopp. Ich tausche den Windgeber aus:
eine knifflige Angelegenheit. Am Bukh-Motor muss ich die hintere
Leitung zum Ölkühler wechseln, was sich als langwierige Arbeit
entpuppt. Die Kupferdichtung an der Ölwanne ist korrodiert. Sobald ich den Motor starte, tropft Öl, wenig zwar, aber ich hasse es,
Öl in der Bilge zu haben. Die Hohlschrauben los zu bekommen, ist
allerdings schwierig. Überhaupt erfordert der Bootsunterhalt mehr
Zeit, als mir manchmal lieb ist. Dauernd habe ich ein Werkzeug in
der Hand. Oft kommt auch Jonny Dorfbauer, ein Österreicher, auf
ein Bier oder zwei vorbei. Er segelt einen schnellen Trimaran mit einem Aerorigg und ist um die vierzig Jahre alt. Meistens hat er eine
dunkle Schöne dabei. Er wechselt seine Begleiterinnen so lange, bis
er endlich eine Frau findet, mit der er nach Portugal segeln will, um
von dort aus seine Heimat zu besuchen. Nun hat er eine gefunden,
die auch mir gefällt. Jonny geht aufs Ganze. Er hat seiner Freundin
auch einen neuen Pass besorgt. Ich wünsche dem Paar viel Glück
auf der langen Reise. Ich bin in Sachen Frauen zurückhaltender.
Mir ist meine Freiheit viel zu wichtig. Mit Anna-Paula, einer jungen Beleza, pflege ich einen losen Kontakt. Ich hatte sie mal in
Pelourinho kennengelernt. Sie rufe ich jeweils an, wenn ich Lust
zum Ausgehen habe. An unserem Nachhauseweg liegt das Hotel
Ibiza …
Über Mittag gehe ich meistens in den ehemaligen Sklavenmarkt, den Mercado Modelo, zum zahnlosen Mütterchen
253
Miranda. Sie besorgt mir frittierte Fische und eine grosse Flasche
Bier. Hier trifft man neben vielen anderen Strassenkünstlern auch
Sänger, die in Gedichtform neueste Nachrichten verkünden: über
Krieg, Frieden, Saddam Hussein und den Karneval. Natürlich ist
dieser Dienst nicht gratis. Auch ich spende meist meinen Obolus
in den herumgereichten Hut. Gleich gegenüber liegt ein «Kilo»Restaurant mit seinem reichhaltigen Buffet. Bezahlt wird nach
Gewicht. Zusammen mit einem Bier kostet mich hier ein gefüllter
Teller sechs Reals, also etwa drei Franken. Das scheint auch für die
vielen schönen Frauen günstig zu sein, die in den umliegenden
Firmen arbeiten. Ein weiterer Grund, weshalb ich gerne hier esse!
Um meine portugiesische Aussprache zu verbessern, verweile ich
abends oft in einem Karaoke-Café. Den Text auf dem Bildschirm
vergleiche ich mit der Aussprache der Sängerinnen und Sänger.
Eine unterhaltsame Art des Lernens. Inzwischen kann ich leidlich
portugiesisch sprechen und verstehe, was in der Zeitung steht. Das
ist auch wichtig, denn in diesem Lande spricht kaum jemand eine
Fremdsprache.
Mir gegenüber liegen zwei Schweizer Boote: die «Momo» mit
Yvonne und Bruno aus dem Bernbiet, daneben die «Stenfis» mit
Sabina und Patrick aus Hinwil. Das letztere dient auch als
Schulstube für die beiden Buben Stefano und Luca. Die Zürcher
wollen zügig nach Süden segeln, weil es ihnen hier zu heiss ist.
Wir freuen uns alle an der Tatsache, dass die Alinghi-Crew am 2.
März in Neuseeland den America’s Cup in die Schweiz holen
konnte. Aber auch hier ist das Regattafieber ausgebrochen. Salvador ist –
als Zwischenstation der «Around
Alone 2002/3» – zur «Vila das Regatas» geworden. Auch hier führt ein
Schweizer! Auf der Etappe von
Tauranga in Neuseeland ums Kap
Hoorn nach Salvador hatte Bernhard
Salvador wird zur Regattastadt
Stamm ein Problem mit dem
254
Schwingkiel seiner 60-Fuss-Yacht «Bobst Group Amor Lux». Er war
gezwungen, für eine Reparatur die Falklandinseln anzulaufen. Damit handelte er sich eine Zeitstrafe ein. Nun soll er in ein paar Tagen eintreffen. «One sailor – one boat – around the world – alone!»
Das ist das Motto dieser Einhand-Regatta um die Erde. Mich freut
es, dass ich die Ankunft hier hautnah erleben kann. Emma Richards aus England ist die einzige weibliche Teilnehmerin. Sie segelt
«Pindar», eine Open 60-Fuss-Yacht in der Klasse I. Am 14. September hämmert Sambamusik vom Centro Nautico herüber.
Draussen, hinter der runden Festung, tauchen die Segel eines
Racers auf, das muss Emma sein. Am 8. Februar verliess sie
Tauranga mit weiteren fünf Seglern ihrer Klasse, nebst sechs
Booten in der Klasse II (50- und 40-Fuss-Boote). Als sich das
türkisblaue Boot dem vorderen Ponton nähert, wird ein Feuerwerk
gezündet. Es knallt und zischt. Die Musik wird lauter. Helfende
Hände belegen das 18,3 Meter lange Boot am Steg. Da ist sie:
Emma Richards, die jüngste Teilnehmerin mit 27. Sie wirkt frisch,
entspannt, so, wie wenn sie für einen Tagestrip draussen gewesen
wäre und strahlt. Sie geniesst es, als Vierte im Ziel zu sein. Dayse,
die Sekretärin des Centro Nautico, ist als Baiana in Weiss gekleidet
und reicht ihr eine Flasche Champagner hinüber. Emmas Augen
werden feucht, als der Applaus anschwillt und sie den zahlreichen
Zuschauern eine Champagner-Dusche verpasst. Dann springt sie
auf den Steg. Ihre Eltern umarmen sie begeistert.
Der Schweizer Bernhard Stamm, mit seiner «Bobst Group
Amor Lux», kam am 10. März als Erster an, nur vier Stunden vor
Thierry Dubois mit der «Solidaires». Thierry gewann zwar dieses
Leg, weil Bernhard wegen seines Stopps auf den Falklands eine
Zeitstrafe von 2 mal 24 Stunden erhielt. Dann kam die Nachricht,
dass Derek Hatfield mit der «Spirit of Canada» kurz vor Kap Hoorn
gekentert sei. Sein Mast war gebrochen, worauf er sich und sein
havariertes Boot nach Ushuaia in Feuerland rettete. Ob er die
Regatta fortsetzen kann, ist ungewiss. Als Dritter erreichte der
Italiener Simone Bianchetti mit der «Tiscali» Salvador, einen Tag
255
vor der «Pindar». Emma liegt auf dem dritten Gesamtrang. Seit sie
in Andrew Pindar einen potenten Sponsor hat, ist ihr Stern
unaufhaltsam aufgestiegen. Zunehmend macht sie ihren
männlichen Konkurrenten das Leben schwer. Ihre wachsende
Fangemeinde schätzt ihre bescheidene Art, die mit einem
unbeugsamen Willen gepaart ist. Verglichen mit dem, was diese
Segler leisten, ist mein Segelabenteuer wirklich wie Honigschlecken. Kurz nach Emma trifft auch der Gesamtführende der
Gruppe II ein: Brad van Liew mit «Tommy Hilfiger, Freedom
America».
Das Wochenende verbringe ich oft auf der Insel Itaparica. Die
Fähre nach Vera Cruz braucht eine knappe Stunde. Ich miete
jeweils ein Zimmer im «Espelho do Mar». So heisst die Pension
wegen ihrer mannshohen Spiegel am Strand, die bei den
schönheitsbewussten Brasilianern natürlich ein grosser Anziehungspunkt sind. Männchen und Weibchen nutzen hier die Gelegenheit, um ihre
Figuren immer wieder kritisch zu prüfen.
Geführt wird das Haus von Wim, einem
Holländer, der mit einer Einheimischen
verheiratet ist. Mit einem Bier in der Hand
sitze ich gerne auf der Terrasse und erfreue
mich an den Schönheiten, die sich – nur zu
gerne die Aufmerksamkeit auf sich lenkend
– unter der nahen Dusche vom Salzwasser
befreien. Am Nachmittag wird die Musik
lauter, worauf die ersten Samba zu tanzen
beginnen. Immer mehr schliessen sich an.
Eine Frau mittleren Alters fordert mich
Dayse lebt in Itaparica
zum Tanz auf. Sie stellt sich als Naodia vor.
Ihre Freundinnen Denisi und Vera setzen sich auch zu uns. Die
leeren Bierflaschen stellt man unter den Tisch, damit der Kellner
weiss, wieviel er verrechnen muss. Die Zahl unserer leeren Flaschen nimmt rasant zu. Ich bin wieder einmal als Sponsor ent-
256
Mehr Bier muss her!
deckt worden! Ich offeriere auch eine Colarunde für die acht Kinder der drei Frauen. Zum Glück ist hier alles spottbillig. Am Abend
essen wir Moqueca de Camarão (Crevetten) mit Reis und Carne de
Sol. Das Tanzen geht weiter in einer Tanzhalle beim Supermercado. Vor Mitternacht verabschiede ich mich, weil ich saumüde
und besoffen bin und die Nase voll von der ewigen Zahlerei habe.
Meine Nachtruhe ist allerdings kurz. Schon vor neun Uhr klopft
es an meiner Zimmertür. Es ist Naodia. Sie will den Sonntagmorgen mit mir im Bett verbringen und begehrt Einlass! Das
Temperament der Brasilianerinnen ist unglaublich. Oder bin ich
ganz einfach etwas älter geworden? Ich überlege mir ernsthaft, ob
ich nächstes Wochenende wieder nach Itaparica fahren soll!
Ich verbringe auch schöne Abende mit Sergio und seiner
Freundin, die in Barra wohnen. Sergios Telefonnummer hat mir
Peter «Pesche» Hofer, ein Maître de Cabine der Swiss, gegeben. Er
ist mit Sergios Schwester verheiratet und hat ein Ferienhaus in
257
Itaparica, nebst einer kleinen Wohnung beim Leuchtturm von
Barra. Dort werde ich zu einer Churrasco-Party eingeladen. Die
anderen Gäste behandeln mich wie einen alten Freund. Der Grill
ist oben auf der Dachterrasse eingebaut. Der Sonnenuntergang
mit freiem Blick aufs Meer und Itaparica ist überwältigend. Ich
fühle mich hier wie zuhause. Sergio ist mir auch behilflich, wenn
ich etwas für mein Boot brauche. Auch hier erfahren wir von den
Kriegsvorbereitungen der Amerikaner, die den Irak angreifen und
Saddam Hussein loswerden wollen. Am 20. März fallen die ersten
Bomben auf Bagdad, amerikanische und britische Truppen
überschreiten die Grenze von Kuwait aus. Wie lange wird dieser
Kampf dauern, wieviele Opfer fordern?
Was bin ich für ein Glückspilz! Am 4. April taucht die Holländerin Sanne bei meinem Boot im Centro Nautico auf und kommt
gleich zur Sache: «I heard from Tako, a Dutch sailor, that you are
heading north to the Caribbean.» Sie ist Seglerin, hübsch, um die
dreissig, auf einer längeren Südamerikareise und möchte mich
begleiten. Wir werden schnell einig. Ich wäre allein gesegelt, aber
mit Sanne macht das sicher mehr Spass. Es fällt mir einmal mehr
schwer, mich zu verabschieden: von Dayse, Bruno und all den
Aktivitäten der «Around Alone»- Regatta. Bruno ist Franzose und
arbeitet als Übersetzer auch für das Centro Nautico. Die Angestellten und befreundeten Segler lade ich zu einem Abschiedstrunk ins
Regatta-Restaurant ein. Bei dieser Gelegenheit lerne ich auch
Bernhard Stamm etwas näher kennen, auch seine Eltern. Bernhards Vater kommt aus dem schaffhausischen Schleitheim. Die
Einhandsegler werden am 13. April zu ihrem letzten Teilstück
nach Newport in den USA starten. Dem führenden Schweizer
Bernhard Stamm drücke ich die Daumen, aber ich wünsche mir
auch, dass Emma Richards ihren dritten Platz halten kann. Bis
zum Start können wir nicht warten, weil mein Bootsvisa bald
abläuft.
Am 8. April kommt Sanne an Bord und richtet sich ein. Dann
passen wir ihre Schwimmweste an und ich führe sie in die
258
Geheimnisse meines Bootes ein. Am Morgen nach der ersten Nacht
an Bord schreit sie auf: Über 500 Reals seien ihr gestohlen worden!
Tatsächlich liegt ihre erleichterte Geldbörse auf dem Kartentisch.
Zum Glück hat der unbekannte Dieb, der am frühen Morgen
eingestiegen sein muss, als wir noch schliefen, die Kreditkarte drin
gelassen. Verrückt, noch gestern hatten wir über solche Gefahren
diskutiert. Trotzdem lösen wir am Nachmittag die Leinen am Steg.
Noch Diesel tanken und ein Blick zurück. Ein frischer Wind füllt die
Segel, wir sind unterwegs! Salvador glitzert in der Abendsonne, als
wir das offene Meer erreichen. 480 nautische Meilen trennen uns
von unserem Ziel: Jacaré, das in einem Fluss etwa eine Stunde
östlich von Recife liegt. Für die Überfahrt rechnen wir mit fünf
Tagen. Wir müssen meistens kreuzen. Entlang der Küste halten wir
nachts gut Ausschau, denn unzählige, spärlich beleuchtete
Fischerboote säumen unseren Weg. Anfangs hat es wenig Wind,
weshalb wir den Motor starten müssen, aber der Anlasser will nicht
mehr. Ich liess ihn in Kapstadt überholen. Handstart ist jetzt
angesagt. Seit ich unterwegs bin, ist es das erste Mal, dass ich die
Anlasskurbel brauche, um unseren Bukh-Motor anzuwerfen. Ich
weiss zum Glück, wie es geht: Dekompressionshebel betätigen,
dann kurbeln, was das Zeug hält, Hebel umlegen – das macht Sanne
auf meinen Befehl. Und er läuft, zum Glück! Vor lauter Freude
verpasse ich der Kurbel mit Hilfe einer Spraydose einen neuen, roten Farbüberzug. An der so wichtig gewordenen Kurbel mag ich keinen Rost mehr sehen. Sanne ist aufgestellt und unterhaltsam, von
Beruf diplomierte Psychotherapeutin, daneben Segellehrerin und
dazu äusserst sprachbegabt. Sie spricht sechs Sprachen! Oft haben
wir interessante Gespräche. Vor dem Nachtessen hockt sie sich vor
den Mast, singt und zupft an ihrer Gitarre herum. Sakrale Stunden
vor dem Sonnenuntergang, würde Urs von Schroeder sagen.
Endlich haben wir keinen Gegenstrom mehr, und der Passat
pendelt sich wieder ein. Das ist angenehmes Segeln, wie wir es
lieben. In Cabedelo folgen wir den Bojen, die uns in den Fluss
führen. Bei Jacaré – das heisst Krokodil – fällt unser Anker vor der
259
kleinen Ortschaft. Dort kann ich bei Brian, einem Engländer, der
eine Werft betreibt, den Anlasser reparieren lassen. Die E-Mails
erledigen wir bei Theo, einem jungen Schweizer Segler, der sich hier
mit seiner brasilianischen Frau Lucy niedergelassen hat. Erst vor vier
Wochen wurden sie Eltern der süssen Carolina. Theo verdient sein
Geld mit Programmieren, auch für Firmen im Ausland. Hier fühlen
wir uns wohl, aber am 22. April läuft mein Visa ab. Nur gerade sechs
Monate darf ein Boot in Brasilien
bleiben, und das bei einer über
7000 Kilometer langen Küste. Was
soll’s – jedes Land hat seine Regeln. Am Wochenende kommen
viele Besucher vom nahen Recife
herüber, um hier die zahlreichen
Restaurants am Flussufer zu bevölkern. Am Samstagabend ist bei eiLucy und Theo
nem Openair-Tanzschuppen die
Hölle los. Ein Orchester mit zwei
Akkordeonisten spielt zum Forró auf. Zu dieser traditionellen Musik
wird mit Körperkontakt getanzt. Erst am Morgen gegen fünf machen sich die Musiker davon, worauf sich auch die Gäste verflüchtigen. Von Jacaré, diesem Geheimtipp für Segler, hatte ich schon in
Südafrika gehört.
Beim Auslaufen pfeift ein bis 30 Knoten starker Wind über das
Wasser, und die See ist aufgewühlt. Wir folgen dem Kanal zum
Meer. An Backbord brechen sich die Wellen am Riff. Es wird ungemütlich. Auch das Grosssegel muss noch gehisst werden. Nur
kein Motorausfall jetzt! Das Segel knattert fürchterlich, bis es
endlich oben ist. Die Genua rollen wir nur zu einem Drittel aus.
Immerhin können wir unser Ziel, die Insel Fernando de Noronha,
die noch zu Brasilien gehört, gerade anliegen. Später dreht der
Wind zu unseren Gunsten, worauf es flott vorangeht. Nach nur 48
Stunden fällt unser Anker in der Baia San Antonio. Diese grün
bewachsene Insel mit ein paar zackigen Bergspitzen gefällt uns
260
sofort. Neben uns liegt die amerikanische Yacht «Fiona» und vor
uns die «Nauty 40‘s» aus Südafrika.
Crazy stuff: Unter Skipper Eric Forsyth hat die «Fiona» in nur
acht Monaten die Erde umsegelt! Das Boot war letztes Jahr schon
einmal hier. Ich sah es vergangenen August in Kapstadt. Von dort
führte seine Reise über die Kerguelen nach Hobart in Tasmanien.
Anschliessend war die Crew 46 Tage auf See, um das Kap Hoorn zu
runden und Port Stanley in den Falklands anzulaufen. Darauf ging es in die
Kälte von South Georgia zu den
Pinguinen und Eisbergen. Dann kehrten
die Erdumrunder wieder zurück in die
Wärme nach Santos bei Sao Paulo und
schliesslich nach Fernando de Noronha.
Eric is still going strong – mit seinen 71
Jahren! Seine beiden Crewmitglieder
Bob und David sind jünger und aus New
York. Eric ist Engländer und war bei der
Royal Air Force. Fliegen lernte er auf der
Tiger Moth, später war er in einer Meteor-Staffel eingeteilt. Wir feiern die ausserordentliche Leistung dieser Segler ausgelassen im idyllisch über dem Hafen
liegenden Restaurant «Cantinha do
Porto». Nach einem Glas Wein wird
auch Eric gesprächig und erzählt ein paar
«Fiona»: In acht Monaten um
Episoden aus seinem Fliegerleben. Auch
die Erde!
davon, dass er die Erde zusammen mit
seiner inzwischen verstorbenen Frau schon einmal umsegelt hat.
Nach drei Tagen segelt die «Fiona» weiter nach Barbados,
während wir uns Zeit lassen, die ausgezeichneten Tauchreviere zu
erkunden. Bei jedem Abtauchen begleiten uns Haie, Seeschildkröten, Stachelrochen und unzählige kleine Fische. Fernando de
Noronha ist ein Tauchparadies. Das Fortbewegungsmittel auf
285
dieser Insel ist der Buggy. Wir mieten einen, um früh am Morgen
in einer Bucht von einem Ausguck aus Delphine beim Spielen und
beim sich Paaren im Wasser zu beobachten. Hier ist es den
Behörden egal, ob wir mit unserem Boot noch in Brasilien bleiben,
solange wir die Nationalparkgebühr von 20 Reals (ca 10 Franken)
pro Tag und Person bezahlen. Sanne versucht sich im Surfen in
den ansehnlichen Wellen. Das Einkaufen wird zum Problem,
denn es sind kaum Frischprodukte zu finden. Alles wird von Natal
per Schiff herübergebracht. Mir ist unerklärlich, warum hier kein
Gemüse angepflanzt oder Hühner gehalten werden, um frische
Eier zu haben. Darauf angesprochen, lacht ein Einheimischer und
wischt mit einer entsprechender Geste über die Stirn: «Zu viel
Arbeit!» Die Leute hier scheinen lieber von den zahlreichen
Touristen leben zu wollen.
Uns beiden fällt es schwer, Brasilien zu verlassen. Wir haben
das Land, die Menschen und ihre Sprache sehr gerne bekommen.
Unser nächstes Ziel: Die Îles du Salut, die zu Französisch Guayana
gehören. Von dort werden wir weiter nach Trinidad und Tobago
segeln.
«Die Tage verwischen sich, reihen sich – mit sich gleichenden
Ritualen und wachsender Routine – der eine an den anderen. Daten
haben keine Bedeutung mehr.»
286
Ende einer langen, langen Reise
Fernando de Noronha – Französisch
Guayana – Tobago – Trinidad
m 11. Mai 2003 lichten wir den Anker und setzen die Segel.
Unser Ziel, die Îles du Salut, liegt 1350 Meilen entfernt.
Diese Distanz entspricht einer halben Atlantiküberquerung.
Sanne segelt zum ersten Mal über eine solche Strecke. Die ersten
vier Tage verwöhnen uns schönste Verhältnisse mit Südostpassat mit 10 bis 15 Knoten
und angenehmem Meer. Ab und
zu bringen wir unser Boot zum
Stillstand und nehmen ein
erfrischendes Bad im Ozean.
Wir bemalen auch das Unterwasserschiff des Dinghys mit
einem neuen Anstrich, damit
Äquatorpassage bei Nacht
sich weniger Bewuchs ansetzt.
Den Äquator überqueren wir
nachts. Ich bringe es fertig, den Moment mit meiner Digitalkamera festzuhalten: N 00° 00.000’/W 39° 26.804’. Am folgenden
Morgen überrasche ich Sanne als Neptun verkleidet.
Vermutlich habe ich dem Neptun zu wenig Champagner ins
Maul gegossen, denn schon am nächsten Tag bricht ein Bolzen,
der die Kräfte der Autopilothydraulik aufs Ruder überträgt. Der
neu eingebaute Alarm des Autopiloten meldet sich. Unser Boot
läuft aus dem Ruder, das Gross steht back. Ich wache auf und
schiesse aus der Koje. Zu spät! Der in Salvador ausgewechselte
untere Block des Bullenstanders bricht. Patenthalse. Der Grossbaum saust übers Cockpit. Leider hatte Sanne ihren linken Fuss
A
287
auf der Grossschott «abgestellt». Als die Schott auf dem Travellerschlitten auf die Steuerbordseite rauscht, wird sie herum wirbelt
und auf den Cockpitboden befördert. Machtlos stehe ich im
Niedergang. Die Folge: Meine Gefährtin hat eine stark blutende
Schnittwunde am rechten Fussrücken. Sie klagt auch über Kopf-,
Knie- und Rückenschmerzen. Hat sie auch eine Hirnerschütterung? Etwas viel auf einmal! In Sekundenschnelle werde ich zum
Samariter und Einhandsegler. Sanne legt sich auf die Steuerbordkoje, wo ich ihr ein Schmerzmittel verabreiche und die Wunde am
Fuss stille. Was tun? Uns trennen sechs Tage von unserem Ziel.
Zurück nach Fortaleza? Unmöglich! Sofort wird uns bewusst, wie
schnell ein Unfall fern von einem Spital zu einem grossen
Problem werden kann. Wir entschliessen uns weiterzusegeln,
zumal die medizinische Versorgung in Französisch Guayana
sicher hervorragend ist. Langsam erholt sich die Patientin. Schon
in der dritten Nacht übernimmt sie vom Krankenlager aus ihre
Nachtwachen. Ich programmiere den Radar auf Watchmode,
damit er uns vor Frachtschiffen und dunklen Wolken warnen
kann! Sanne wird mich wecken, wenn der Radar Alarmtöne von
sich gibt. Die junge Holländerin ist zäh und lacht schon wieder.
Die Schnittwunde verheilt gut, doch sie kann sich nur unter
Schmerzen und humpelnderweise fortbewegen.
Dann verschlechtert sich das Wetter. Die Himmelsschleusen
öffnen sich. Niederschläge, wie sie nur in den Tropen möglich
sind, prasseln aufs Deck. Dazu werden wir auch durchgeschüttelt,
vor allem nachts. Wir müssen die tropische Konvergenzzone
erreicht haben. Am 11. Tag auf See können wir im Morgengrauen
die Umrisse der drei Inseln Royale, Diable und St-Joseph vor
unserem Bug ausmachen. Noch steuert unsere Windfahnenanlage. Wir lassen die Inseln rechts liegen und nehmen direkt
Kurs auf Kourou, das am gleichnamigen Fluss liegt. Es regnet
wieder stark. Kein Wunder, wir haben den schlimmsten Monat
der Regenzeit erwischt! Das ist die Strafe dafür, dass ich die Jahresplanung auf den Karneval von Salvador ausgerichtet habe. Zum
288
Glück finden wir am Ponton des Yachtclubs einen Platz und
machen erleichtert fest. Sanne besucht unverzüglich das nahe
gelegene Spital. Der Befund der Ärzte: Ein Knöchel am rechten
Fuss ist an zwei Stellen gebrochen! Das Knie wollen sie später
anschauen. Mit einem Gipsverband verziert und mit zwei
Krücken bewaffnet, klettert meine Patientin gegen Abend an
Bord. Ich richte mein Fahrrad auf ihre Grösse ein, damit sie etwas
mobil ist.
Hier in Kourou befindet sich das europäische Raumfahrtszentrum. Am 26. Mai besuchen wir das Musée de l’espace und die
Abschussanlagen für die Ariane 5. Mit dieser gigantischen Rakete
lassen sich bis zu drei Satelliten mit
einem Gesamtgewicht von etwa
neun Tonnen in den Orbit schiessen. Die Zukunft sieht rosig aus,
denn noch viele Satelliten warten
darauf, in den Himmel befördert zu
werden. Die Îles du Salut besuchen
wir mit der täglich verkehrenden
Fähre. Auf der Île St-Joseph sind die
Gefängnisbauten der einstigen französischen Strafkolonie noch gut
erhalten. Über 200 Jahre lang
Kourou: Raumfahrt-Museum
wurden hier von den Franzosen
Gefangene gehalten. Das ist auch
der Ort, wo Henri Charriès Roman und der spätere Film «Papillon»
spielen. Ich lese die Originalausgabe dieses Buches und bekomme
einen guten Überblick, wie es damals in Gefangenschaft zu und
her ging. Französisch Guayana mit der Hauptstadt Cayenne, eines
der überseeischen Territorien, ist etwa so gross wie Portugal und
hat nur um die 180 000 Einwohner. Bewohnt wird das Land von
Kreolen, Chinesen und Weissen. Unser Aufenthalt zieht sich in
die Länge, weil Sanne das Spital noch zwei weitere Male besuchen
muss. Auch die Bänder ihres rechten Knies sind gedehnt. Erstaun-
289
licherweise wird ihr nur der Preis für ein Radiogramm verrechnet,
ansonsten übernimmt der französische Staat die Kosten. Hier wird
mit Euro bezahlt, die Preise sind eher höher als in Frankreich, fast
so hoch wie in der Schweiz. Viele Nahrungsmittel werden aus dem
Mutterland herangeflogen. Dementsprechend riesig ist die
Auswahl. All die guten Sachen, auf die wir so lange verzichten
mussten, sind hier im Überfluss vorhanden.
Im Yachtclub liegen viele Boote, deren Eigner bei der
Raumfahrtsbehörde arbeiten und gut verdienen. Wir werden
freundschaftlich aufgenommen. Mit unseren Stegnachbarn
Philippe und John schliessen wir Freundschaft. 200 Liter Diesel
kosten 176 Euro. Ich muss ihn mit Hilfe von Johns Kannen
heranschaffen. Am 3. Juni sind wir zur Abfahrt bereit. Wir hätten
zwar noch gerne den Urwald besucht, aber meine Patientin ist
noch nicht fit für solche Abenteuer. Was solls, vielleicht ein
anderes Mal. Den Anker, den ich achtern ausgebracht habe, um
im reissenden Fluss mein Heck zu stabilisieren, ist schwierig zu
bergen. Pilippe ist mir behilflich. Mit auslaufendem Wasser sausen
wir nur so dem offenen Meer entgegen. Der Kanal ist markiert. Es
ist wichtig, dass wir uns in der Mitte halten. Dauernd ist man mit
einem holländischen Schiff daran, die Fahrrinne auszubaggern.
Sanne unterhält sich über VHF ein Weilchen in ihrer Muttersprache mit dem Kapitän. Auch Schiffe, die Raketenteile transportieren, benützen diesen Fluss, um zur Entladerampe zu
gelangen. Wir geniessen es, wieder unterwegs zu sein, obwohl wir
unseren Stopp schon hinter der Île Royale einlegen. Erfreut treffen
wir dort alte Freunde: Audry und Ken auf der «Fast Forward», Leo
und Jamin auf der «Lord Nelson» und schliesslich Jenny und
Roger auf der «Freelance». Kens Boot ist 62 Fuss lang, ein Riesending. Alle drei Yachten kommen aus Südafrika und sind auch
unterwegs in die Karibik. Noch 600 Meilen trennen uns von
Scarborough auf der Insel Tobago.
Ein letztes Winken, dann lichten wir am 4. Juni den Anker und
gehen bei schönstem Wetter auf Kurs. Sanne sitzt bei ihren
290
Wachen wieder im Cockpit, aber ganz schön in der Ecke. Man
weiss ja nie, was passieren kann, erklärt sie tiefsinnig. Sie ist ein
gebranntes Kind. Nach einer ruhigen Nacht, es ist gerade Tag
geworden, ist es vorbei mit der Ruhe. Blitz und Donner. Im
Stahlschiff fühlen wir uns sicher. Ich binde Reff 1 ein, der Windmesser zeigt über 30 Knoten an. Volle zwei Stunden dauert das
Schauspiel. Zum Glück funktioniert der Radar einwandfrei. Das ist
beruhigend, denn ein Frachter könnte uns in einer Wolkenwand
ungesehen nahe kommen. Plötzlich klart es auf, und die Sonne
blinzelt wieder hervor. Die tropische Konvergenzzone verabschiedet sich gebührend. Nun geht es mit zwei Knoten Rückenstrom rassig voran. Wir sind schnell – zu schnell! Als mich Sanne
in der vierten Nacht um vier Uhr früh weckt, sind wir nur noch
zehn Meilen von Scarborough entfernt. Im unangenehm hohen
Schwell drehen wir bei, um das Tageslicht abzuwarten. Um acht
Uhr steuern wir die Hafeneinfahrt an. Die Coast Guard weist uns
einen Ankerplatz zu und winkt uns freundlich zu. Von einer
Kirche am Hang erschallt Gesang, denn es ist Sonntag.
Ich weiss aus meinem Handbuch, dass das Einklarieren am
Sonntag Zuschlag kostet, aber das ist mir egal. Kaum an Land,
erfasst uns die Karibikstimmung. Was für ein Unterschied zu
Französisch Guayana! Steelband- und Calypsoklänge elektrisieren uns schon im Hafen. Dunkle Menschen lachen uns
fröhlich zu. Wir werden oft mit «How are you?» angesprochen.
Und Sanne bekommt den guten Rat: «Be careful with your leg!»
Die freundliche Dame bei der Immigration gibt uns ein Dreimonatsvisum und knöpft mir lächelnd 100 TT-Dollar (ca. 15 USDollar) ab. Beim Zoll sind es nochmals 170 TT-Dollar. Der
Zöllner meint treuherzig, wir hätten am Montag kommen
sollen, dann wäre seine Leistung gratis gewesen. Wir kaufen
Früchte und Gemüse ein und legen uns nach einem erfrischenden Salat und zuckersüssen Mangos schlafen.
Nach zwei Tagen segeln wir weiter entlang der Südküste von
Tobago nach Westen. In der Storebay, in der Nähe des Flughafens
291
und diverser Hotelbauten, fällt unser Anker ins glasklare Wasser und
gräbt sich in den feinen Sand ein. Etwas nördlich liegt das BuccoRiff, das zum Schnorcheln einlädt. Noch ist es schön, aber bald wird
auch hier die Regenzeit und die Saison der Wirbelstürme beginnen.
Allerdings wird Tobago äusserst selten heimgesucht. Noch sicherer
ist Trinidad. Je nördlicher, desto grösser die Gefahr. Wir vergnügen
uns mit Baden und gehen am Abend aus. Hier ist viel los, obwohl
die Hauptsaison abklingt. Magisch werden wir von Steelbandklängen angezogen. Ich liebe diese Musik und ich kann stundenlang
zuhören und zuschauen, mit welcher Handfertigkeit und Unermüdlichkeit diese Künstler ihre Ölfässer bearbeiten. Am Strand
mieten wir wie Touristen Liegestühle und geniessen die Sonne und
das Meer. Die Familie Mok aus Toronto, die wir am Strand kennenlernen, will unbedingt unser Boot sehen. Wir laden sie zu einem
Apéro an Bord ein. Die Kanadier können kaum glauben, dass man
mit «so was» um die Erde segeln kann.
Am Abend gegen 21 Uhr verabschieden wir uns von Tobago
und segeln in einem Nachttörn die letzten 70 Meilen bis nach
Trinidad. Obwohl mir im Meteobüro des Flughafens gutes Wetter
versprochen wurde, finde ich Sanne bei der Wachübernahme um
04:00 Uhr im strömenden Regen am Ruder. Sie lacht: «No
problem!» Wir müssen unser Boot von Hand steuern, der
Autopilot ist nach wie vor defekt. Erst als ich die Boca de Mono,
die erste Einfahrt nach Chaguaramas ansteure, bessert sich das
Wetter. Ich singe fröhlich vor mich hin, Seemannslieder, die,
welche mir gerade einfallen. Dann gehen wir vor Anker. Willi, der
mit seiner «Mektoub» nebenan liegt, ein Deutscher, dessen
Bekanntschaft ich in Salvador machte, gibt mir mit seinem
Gummiboot einen «Lift» zum Zoll. Das Einklarieren geht schnell.
Ich muss nur die Papiere von Scarborough abgeben. Hier rufe ich
auch den Trinidad & Tobago Yacht Club an und reserviere einen
Platz. Zur Feier des Tages zeigt sich die Sonne. Kurz vor der
Hafenmohle rufe ich den TTYC auf Kanal 68. «Welcome, I am
John, I will give you a hand at berth 64», bekomme ich zur
292
Antwort. Wir werden also erwartet. Beim Platz 64 nehmen John
und zwei weitere Helfer unsere Leinen in Empfang und freuen
sich über unsere Ankunft. Wir sind fest! Nach über acht Jahren,
einer Erdumrundung und mit mehr als 40 000 Seemeilen im
Trinidad & Tobago Yacht Club
Kielwasser bin ich wieder hier. Im Office erledige ich bei Beverly
die Anmeldung und zahle für einen Monat etwa 450 Franken
inklusive Wasser und Strom. Den Kabelfernsehanschluss mit über
90 Stationen ist für 23 TT-Dollar pro Monat zu mieten. Wir sind
wieder mit der ganzen Welt verbunden.
Als ich zur «Hasta Mañana» zurückkomme, werde ich zu
Tränen gerührt. Sanne hat in der Zwischenzeit mein Boot mit
einem Banner geschmückt. «Otto, around the world! Congratulations!» steht darauf. Ballone wiegen sich im Wind. Sanne hält
einen kühlen Champagner bereit. Segler von Booten am gleichen
Steg kommen an Bord, Korken knallen, die Party steigt. Es sind
293
durchwegs Amerikaner, welche die Karibik nie verlassen haben.
«Otto, just great!» bekomme ich zu hören. Alle fragen mich nach
Strich und Faden aus. Wann Sanne an Bord gekommen sei, welche
Route ich gesegelt sei, ob ich Stürme erlebt hätte, Piraten, Einbrüche ... Ich bin froh, dass ich heil zurück bin. Als Sanne ihre
Gitarre holt und uns ihren speziell für mich komponierten Song
vorträgt, bin ich völlig überwältigt:
Follow your instincts
You're sailing all the oceans
Your ship it is your home
The moon and stars your friends at night
When you sail around the globe
You've been in many countries
You've seen the people dance
You've seen them happy, sad and in love
Yes, you, you took your chance
Refrain:
You're the happy sailor
You sail across the night
Wave and wind don't scare you off
If your senses say it's right
You follow your instincts
Your dreams and how you feel
That made you sail around the world
After eight years it's for real
Cause on this island Trinidad
You've made your world around
With trust in your ship, crew and yourself
It was happiness you found
Im Laufe des Tages kommen noch mehr Segler an Bord. Wir
fühlen uns verbunden, obwohl wir uns am Morgen noch nicht
294
gekannt haben. Sanne schenkt mir auch eine Erdkugel, die sie mit
Boot und Captain dekoriert. Als Dank für ihre tollen Ideen lade
ich sie ins exklusive Clubrestaurant zum Nachtessen ein.
Eineinhalb Millionen Menschen leben in Trinidad und
Tobago. Allgemein sind die Einwohner sehr freundlich, aber wie
in vielen Ländern ist auch hier der Gegensatz zwischen Arm und
Reich gross. Sanne wird nur noch wenige Tage an Bord bleiben.
Wir wollen aber noch die Insel näher kennenlernen, bevor sie
wegfliegt. Unser Taxifahrer heisst Sterling. Unterwegs zum Asa
Wright Nature Center, dort wo Vögel in der freien Natur leben,
hält er oft an. Er zeigt uns entlang der
Route Pflanzen, Blumen und uns unbekannte Bäume. Er stoppt auch vor
einem Früchte- und Gemüseladen
und erklärt alles geduldig. Im Vogelzentrum angekommen, hocken wir
über zwei Stunden auf der Terrasse
und beobachten Vögel, die zur Futterstelle heranschweben. Mir gefallen
die quirligen Humming Birds am beSanne beschenkt mich
sten. Wie kleine Helikopter schweben
die Kolibri an Ort, um eine Blüte auszusaugen oder Wasser zu schlürfen. Dann fahren wir an die
Strände der Nordküste und erreichen am Schluss meine Lieblingsbucht, die Maracas Bay. Es ist der Ort, wo jeweils am Aschermittwoch der Karneval verabschiedet wird. Ein Muss ist auch
Ricardos «Shark and Bake». Ein Renner ist hier frittiertes
Haifischfleisch, zwischen aufgeschnittenes, frisches Brot geklemmt und mit Salat garniert und gewürzt. Die Rückfahrt führt
uns über erstaunlich hügeliges Waldgebiet. Dann verabschiedet
sich Sanne. Sie will nach Curaçao, um Freunde zu besuchen und
möchte sich dort nochmal ins Spital begeben und erfahren, was
holländische Ärzte zu ihrem Fall meinen. «Will keep contact!»
ruft sie mir zu, als sie beim Schalter am Flughafen von Port of
295
Spain verschwindet. Wir kamen sehr gut miteinander aus. Es war
für mich eine Bereicherung, sie an Bord zu haben. Ich hoffe, sie
denkt dasselbe über mich.
Noch ist einiges zu tun! Zuerst bringe ich die Segel zur Reparatur. Dann mache ich mich daran, die Autopilothydraulik auszubauen und die Kraftübertragung auf den Ruderquadranten so
umzubauen, dass sie für ewig hält. In Chaguaramas findet man
alles, um ein Boot zu überholen. Unzählige Boote sind bei
Werften auch an Land abgestellt. Nicht zuletzt, weil Trinidad
von Wirbelstürmen verschont wird und die meisten Versicherungen verlangen, dass Boote sich während der Hurrikansaison
südlich von 12 Grad Nord aufhalten. Diese dauert in der Karibik
von Juli bis November. Gemäss Erhebungen von Jimmy Cornell
liegen über 4000 Boote diese Zeit hier! Das ist zu einem ernsthaften Wirtschaftsfaktor für Trinidad geworden. Am 8. Juli wird
auch mein Boot bei Peake Marine ausgewassert. Die professionelle Mannschaft, die den Travellift bedient, stellt es dort ab, wo
ich auch an Bord leben oder am Boot arbeiten kann. Ich hoffe,
dass es hier sicher untergebracht ist, damit ich sorglos in die
Schweiz fliegen kann.
Zu Hause gilt der erste Besuch meiner Mutter. Ich bin ihr
dankbar, dass sie mich stets ermuntert hatte, mir meine Träume zu
erfüllen und nichts aufzuschieben. Sie weiss genau, dass es mich
bald wieder hinausziehen wird. Sie versteht mich wie kaum sonst
ein Mensch. Leider leidet sie zunehmend unter ihren Altersbeschwerden. Ein paar Wochen später werden wir von der Tatsache
überrascht, dass sich ihr Zustand plötzlich verschlechtert hat. Wir
tun unser Möglichstes, um ihr beizustehen, doch sie hat keine Lebenskraft mehr. Anfangs Oktober müssen wir traurig von ihr Abschied nehmen. Drei Monate später wäre sie 88 Jahre alt geworden.
Ende Oktober fliege ich mit der Swiss nach Hamburg, um
rechtzeitig zum «Trans-Ocean-Treffen» in Cuxhaven einzutrudeln. Nach über acht Jahren Mitgliedschaft habe ich es endlich
296
fertig gebracht, in diese schöne Hafenstadt zu kommen. Das
Wetter ist diesig, regnerisch und kühl. Schon um vier Uhr
nachmittags wird es Nacht. Trotzdem lasse ich es mir nicht
nehmen, einen mehrstündigen Spaziergang entlang der Elbe bis
hin zum Wahrzeichen der Stadt, der Kugelbake an der Flussmündung, zu machen. Riesige Container-Frachter gleiten majestätisch
vorbei in Richtung Hamburg oder Nordsee. Im Trans-OceanOffice bekommen Namen Gesichter. Der Commodore, Helmut
Bellmer, begrüsst mich und stellt mir den guten Geist des Vereins
vor, Sonnhild «Sonni» Sallmann. Sie strahlt, als ich ihr Blumen
und Schweizer Schokolade überreiche. Die Jahresversammlung im
Seepavillon ist schon nach 35 Minuten Vergangenheit, obwohl
dieser Verein zur Förderung des Hochseesegelns inzwischen über
sechstausend Mitglieder hat. Davon sind naturgemäss viele unterwegs auf irgend einem Ozean der Welt.
Zum traditionellen Labskausessen erscheinen über zweihundert festlich herausgeputzte Seglerinnen und Segler. Nach
dem Essen, dessen Ingredienzen vom Koch streng geheim
gehalten werden, bekomme ich vom stellvertretenden Vorsitzenden des TO, Bernd Luetgebrune, einen der acht WeltumseglerPreise überreicht. Die Preisgewinner werden ans Mikrofon
gebeten, um über ihre schönsten Erlebnisse im Laufe ihren Reisen
zu sprechen. Für mich bestand der Höhepunkt ohne jeden Zweifel
im zweimaligen Besuch der Inseln Vanuatus in der Südsee. Ich
benütze die Gelegenheit, mich beim TO auch für die Unterstützung unterwegs zu bedanken. Der prestigeträchtige TransOcean-Preis geht an den jungen Uwe Röttgering als Anerkennung
für seine erstaunliche Einhandreise abseits der ausgefahrenen
Routen.
Wie ich mich nach meiner Weltumseglung fühle? Entspannt
und glücklich. Froh, dass es mir möglich war, diese Reise zu
unternehmen, dankbar, dass ich die vergangenen Jahre von
Krankheiten und Unheil verschont blieb. Immer wieder wurde ich
angenehm überrascht, dass ich in allen besuchten Ländern
297
willkommen war und herzlich aufgenommen wurde, nicht zuletzt
auch meiner Sprachkenntnisse wegen. Verhalten wir Schweizer
uns auch so gastfreundlich gegenüber Fremden? Wohl kaum. Das
wird einem erst ausserhalb unseres Landes richtig bewusst. Meine
Wünsche habe ich mir erfüllt und blicke, inzwischen 65 Jahre alt
geworden, gelassen in die Zukunft. Was noch möglich ist,
empfinde ich dankbar als Zugabe.
«Die ‹Lady› ist endgültig erschöpft und liegt ermattet da nach den
Stürmen der letzten Tage.»
298
Zur ck im Hafen
ach «Hasta Bananas» und «Hasta Luego!» ist die Erdumrundung auch zwischen Buchdeckeln vollendet. Damit
geht der Schreiberling Otti Schmid in Pension, aber nicht
ohne ein paar Dankesworte.
Meine Schwester Dor hat einen wesentlichen Teil dazu
beigetragen, dass ich überhaupt in See stechen konnte. Sie
kümmerte sich all die Jahre, die ich unterwegs war, um meine
Angelegenheiten in der Schweiz. Sie war immer da und war nie
neidisch auf mein freies Leben. Im Gegenteil, sie ermunterte
mich sogar, es in vollen Zügen zu geniessen.
Weiter bedanke ich mich bei:
● Dr. Richard Altorfer, Inhaber der Rosenfluh Publikationen,
für die positive Einstellung und aktive Unterstützung unserer
Projekte.
● Willum Møller für seine sichere Hand bei der Gestaltung
dieses Buches. Er ist mir inzwischen ans Herz gewachsen. Wie oft
sassen wir bei einem Glas Wein zusammen und lösten anstehende
Probleme.
● Unserem Lektor Urs von Schroeder für seinen Beitrag, dieses Buch lesbar zu machen, und die Auszüge aus seinem Tagebuch von unserer gemeinsamen Etappe von Kapstadt nach Salvador. Er hat doch tatsächlich als Segel-Greenhorn bei mir
angeheuert, um den Südatlantik zu queren! Seine Auszüge lassen
tief in seine Seele blicken.
● Pierre Fricker für sein lustiges Kapitel «Great White – born in
South Africa». Wenn auf Besuch in der Schweiz, versuche ich bei
einer Regatta an der Vorschot seines Starbootes nichts falsch zu
N
299
machen. Arbeite ich gut, bemerkt er mich kaum, bin ich schlecht,
knurrt er mich an.
● Klaus Beerli, der mit seinen einfühlsamen Karikaturen für
Schmunzeln sorgt. Er bereicherte damit auch meine Berichte in
den Mitteilungen des Yacht Club Schaffhausen.
● Manfred Müller, dem stellvertretenden Verlagsleiter, der
darüber wacht, dass die Kasse der T.O.P. Books GmbH nicht ins
Schleudern kommt.
● Claudia Mascherin, der aufgestellten und sympathischen
Chefin des Verlags-Sekretariates. Kompetent sorgt sie dafür, dass
unsere Bücher in die richtigen Hände gelangen.
● Thöme Oberholzer, Wilberg, der sich freut, dass unser Buch
gleich heisst, wie seine Yacht an der Adria.
● Meinen Crewmitgliedern, die mich ein Stück des Weges
begleiteten: Markus Zeberli aus Opfershofen, Anette Keller aus
Muri, Peter «Hagi» Hagmann aus Stein am Rhein, Christoph
Wisse, Marcelle Wijnnand und Marc Kerstel aus Holland, Peter
Kägi aus Turbenthal, Susi «Wong» Koller aus Zürich, Stefan Beerli
aus Rheinau, Caroline Nuc und Pierre Fricker aus Eschenz, Ruth
Langlo aus Norwegen, Richard, le «Français spécial», Urs von
Schroeder aus Schaffhausen und Sanne de Boer aus Holland.
Ein Buch zu realisieren, hat viele Facetten. Es ist spannend,
macht Spass, bedeutet aber auch viel Knochenarbeit. Dadurch
haben sich Freundschaften vertieft. Alle Beteiligten sind sich
menschlich näher gekommen. Herzlichen Dank für diese
bereichernde Erfahrung.
Hasta Luego!
300
305
Die Hasta Mañana
Knud Olsen Design:
Engholm 40 S
D -1
Eignerkoje
Pantry
Salon
WC/Dusche
Gästekoje
Ankerkette
Stauraum
Steuerbordkoje
Navigation
306
Darwin Ambon Race Monohull results as at Juli 30, 1998. 6:14 pm
DIVISION
YACHT NAME
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
MONOHULL
ZANZIBAR
SHEY
COWRIE.DANCER
KARAKA III
BREAKAWAY
SWEET CAROLINE
TRUANT II
JENZMINC
CAPRICORN III
BOUTONNIERE
MULLOKA III
INFINITY II
RIOT II
WIND SPIRIT
JASMIN
MILLENNIUM
ARTEMIS I
ASHMORE
GEMINI CONTENDER
SEA FEVER
OVERPROOF OF CEDUNA
EVANNA
EYE OF THE WIND
HARMONY V
BLUE SWIFT
BUCCANEER IV
BALLADIER
ZEPHYR II
FARR STAR
DOLITA
RETIRED
ELAPSED TIME
RETIRED
RETIRED
RETIRED
RETIRED
77.1517
84.6481
72.4383
91.4964
82.2342
77.4278
99.3061
97.9308
100.5131
82.2253
84.6575
84.2114
107.4286
91.8608
97.9403
73.0578
107.4181
92.9442
98.3264
113.4867
91.5261
99.9256
108.3914
92.5661
111.9239
126.0253
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
HCP
0.7824
0.7578
0.8857
0.7083
0.7944
0.8602
0.6714
0.6903
0.6843
0.8448
0.8286
0.8377
0.6631
0.7912
0.7527
1.0133
0.6932
0.8034
0.7676
0.6710
0.8467
0.7839
0.7340
0.8600
0.7171
0.7174
0.6400
0.7168
0.7514
0.6567
CORRECTED TIME
60.3635
64.1463
64.1586
64.8069
65.3268
66.6034
66.6741
67.6016
68.7811
69.1639
70.1472
70.5439
71.2359
72.6803
73.7197
74.0295
74.4622
74.6714
75.4753
76.1496
77.4951
78.3317
79.5593
79.6068
80.2606
90.4106
0.0000
Darwin Ambon Race Multihull results as at Juli 30, 1998. 6:17 pm
MULTIHULL
MULTIHULL
MULTIHULL
MULTIHULL
MULTIHULL
MULTIHULL
ZUMA
THE BOSS
AOWN
THIS WAY UP
LEE LENA
JUDITH ANN
DNF
RETIRED
53.4992
73.3261
70.3072
84.3528
0.0000
0.0000
1.0500
0.8155
0.8665
0.7545
0.7448
0.7310
56.1742
59.7974
60.9212
63.6442
0.0000
0.0000
Darwin Ambon Race Rally results as at Juli 30, 1998. 6:18 pm
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
RALLY
MYVANWY
TIME
KARMINDA II
SIRIUS
ENTERPRISE OF ST HELIER
BILLAROO
ZEELANDER
HASTA MAÑANA
CARIAD
CHRISTOBEL OF HAMBLE
TRADITION
SEA WOLF
IDLEWISE
QUITA
RETIRED
109.5674
105.3253
101.3939
97.0275
77.7272
84.0643
100.8563
100.6067
91.7474
114.0175
98.8269
96.5475
113.7650
102.1344
0.5746
0.6190
0.6463
0.6760
0.8584
0.8133
0.7158
0.7182
0.7877
0.6375
0.7417
0.8097
1.0000
0.6655
62.9574
65.1964
65.5309
65.5906
66.7210
68.3695
72.1929
72.2557
72.2694
72.6862
73.2999
78.1745
113.7650
67.9704
307
Einige nautische Erl ute
-
abfallen: vom Winde wegdrehen
Crew: Besatzung
achtern: hinten
Dingi (Dinghy): kleines Beiboot
Achterstag: hintere
Mastabstützung
Dünung: nach einem Sturm
entstehende Welle
Ankerwinsch: Winde zum Hochholen oder Fallenlassen des Ankers
Ebbe: infolge Gezeiten sinkender
Wasserstand
anluven: höher an den
Wind gehen
Etmal: Strecke, die das Schiff von
Mittag bis zum nächsten Mittag
zurücklegt
anschlagen: Segel an Spiere oder
Stag befestigen
ausbaumen: die Fock oder Genua
mit einem Fockbaum setzen
Autopilot: elektronische (analoge
oder digitale) Steuerhilfe
Fall: Leine zum Setzen und
Bergen eines Segels
Fender: Schutzpolster beim
Anlegen am Steg
Flaute: Windstille
Backbord: linke Seite des Schiffes
in der Fahrtrichtung
Flut: infolge Gezeiten steigender
Wasserstand
Backstag: flexible Abstützung
des Mastes nach hinten
Fock: kleines Vorsegel
Foot/Fuss: 30,48 cm
Baumniederholer: Flaschenzug,
um den Grossbaum niederzuhalten
Genset: kleiner Diesel-Generator
zur Stromerzeugung und zum
Batterieladen an Bord
Beaufort: Skala von 1 bis 12
zum Bestimmen der
Windgeschwindigkeit
Genua: grosses Vorsegel
belegen: Boot an einem
Steg anbinden
bergen: Segel herunternehmen
Bilge: tiefster Raum im Schiff
Böe: plötzlicher Windstoss
Boje: Festmacher
Bug: vorderer Teil eines Schiffes
308
GPS: Global Positioning System.
Satelliten-gestütztes Navigationsinstrument
Grossbaum: die untere Spiere
am Grosssegel
Grossfall: Leinen zum Hissen des
Grosssegels
Grossschott: Leine, um über einen Flaschenzug das Grosssegel
dichtzunehmen
halsen: mit dem Heck durch den
Wind gehen
Heck: hinterer Teil des Schiffes
Schott: Leinen, um die
Segel zu führen
Sextant: Winkelmessinstrument
zur Astronavigation
Jolle: kleines Segelboot mit
Mittelschwert
Sloop: einmastige Yacht
Kajüte: Bootskabine
Spiegel: Heck des Bootes
Katamaran: Doppelrumpfboot
Spiere: Holz- oder
Aluminiumbaum
Knoten/Knots: Wind- und
Schiffgeschwindigkeit – 1,852
Kilometer pro Stunde
Spinnaker: leichtes
Ballon-Vorsegel
Koje: Schlafplatz an Bord
SSB: Sprechfunkgerät für
lange Distanzen
kreuzen: gegen den Wind
zickzacken
Stag: Drahtseil
Lee: vom Wind abgekehrte Seite
Steuerbord: rechte Seite
des Schiffes in der Fahrtrichtung
Leine: Tau oder Ähnliches, um
Schiff festzubinden
Talje: Flaschenzug mit Rollen
Liek: verstärkte Seite des Segels
Törn: Segelreise
Log: Instrument, das die Fahrt
des Bootes anzeigt
trimmen: das Segel so einstellen,
dass es den Wind bestmöglichst
ausnutzt
Luk: verschliessbare Öffnung
im Deck
Mooring: Festmacherboje in
einem Hafen
Nautische Meile: 1852 m
Niedergang: Treppe vom
Cockpit in die Kabine
Pantry: Küche an Bord
Patenthalse: unbeabsichtigtes
Halsen
reffen: Segelfläche verkleinern
Reling: «Geländer» am Boot
Rigg: Takelage
Saling: am Mast querschiffs angebrachte Stützen.
VHF: Sprechfunkgerät für
kurze Distanzen
Vorstag: vordere Mastabstützung
Wanten: seitliche
Mastabstützung
wenden: mit dem Bug durch den
Wind gehen
Wetterfax: Via SSB und Faxprogramm kann eine Wetterkarte auf
dem Laptop empfangen und dargestellt werden.
Winsch: Winde mit waagrechter
oder senkrechter Achse
Windfahnensteuerung: Mit der
Kraft des Windes wird das Boot via
Ruder automatisch gesteuert.
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