Mond über Manhattan

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Mond über Manhattan
Königs Erläuterungen und Materialien
Band 458
Erläuterungen zu
Paul Auster
Mond über Manhattan
(Moon Palace)
von Maria-Felicitas Herforth
Über die Autorin dieser Erläuterung:
Maria-Felicitas Herforth, geboren 1980, Studium der Anglistik und Germanistik an der Ruhr-Universität Bochum (1999–
2005), Studienaufenthalt in Großbritannien (2001–2002), 2005–
2006 Doktorandin und wissenschaftliche Hilfskraft im Englischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum, seit 2007 Referendarin in den Fächern Englisch und Deutsch im Studienseminar Bochum, Autorin von Königs Erläuterungen.
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich
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Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich
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entsprechenden Nutzung für Unterrichtszwecke!
1. Auflage 2007
ISBN-13: 978-3-8044-1860-8
© 2007 by Bange Verlag, 96142 Hollfeld
Alle Rechte vorbehalten!
Lektorat: Oliver Pfohlmann und Hannelore Piehler
Titelabbildung: Paul Auster © Isolde Ohlbaum
Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk
2
Inhalt
1.
1.1
1.2
1.3
Vorwort ................................................................
5
Paul Auster: Leben und Werk ............................
Biografie ................................................................
Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................
Angaben und Erläuterungen
zu wesentlichen Werken ........................................
7
7
10
16
2.
2.1
2.2
2.3
2.3.1
Textanalyse und -interpretation ....................... 17
Entstehung und Quellen ........................................ 17
Inhaltsangabe ........................................................ 20
Aufbau .................................................................. 53
Expositorischer Eingangsabschnitt
und Schlusssequenz ............................................... 54
2.3.2 Haupthandlung ..................................................... 56
2.3.3 Kompositorische Verknüpfung von
Haupthandlung und Nebenhandlungen ................. 57
2.3.4 Strukturprinzipien ................................................. 66
2.3.5 Leitmotive ............................................................. 71
2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken ........... 84
2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen ............... 97
2.6 Stil und Sprache .................................................... 107
2.7 Interpretationsansätze ........................................... 110
3.
Themen und Aufgaben ....................................... 114
4.
Rezeptionsgeschichte ......................................... 116
5.
Materialien ......................................................... 118
Literatur .............................................................. 120
3
4
Vorwort
Vorwort
Paul Austers Roman Moon Palace erschien erstmals 1989. Die
Geschichte von Marco Stanley Foggs Entdeckung seiner Herkunft in einer nur fragmentarisch erfahrbaren und vom Zufall
bestimmten Wirklichkeit ist neben den Detektivgeschichten in
Austers New York Trilogy das bekannteste Werk des US-Autors.
Dem Leser eröffnet sich in Mond über Manhattan (so der deutsche Titel) ein vielschichtiger Erzählkomplex aus Reflexionen,
Lebensgeschichten und Anspielungen auf historische oder kulturgeschichtliche Ereignisse und Figuren, aus Großstadtimpressionen und Wild-West-Mythologie.
Die vorliegende Erläuterung soll die Lektüre dieses Werkes
zeitgenössischer amerikanischer Literatur erleichtern. Es wird
ein Überblick über die wichtigsten Themen und Strukturprinzipien gegeben, der sowohl Ergänzung als auch Anregung für eine unterrichtliche Beschäftigung mit dem Roman
sein kann. Besonderer Wert wird auf die Textanalyse gelegt,
stellt Moon Palace in seiner Vielschichtigkeit doch hohe Anforderungen an den Rezipienten. Komplizierte Zusammenhänge werden verständlich zusammengefasst und mit grafischer
Unterstützung veranschaulicht (Kapitel 1.3 und 2.3). Textgrundlage für diese Erläuterung ist die deutsche Übersetzung
des Romans (Paul Auster: Mond über Manhattan. Reinbek bei
Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006)1. Um die Lektüre zu unterstützen, finden sich im Kapitel 2.5 sachliche Erläuterungen. Für ein schnelles Verständnis werden die Seitenangaben von Textzitaten an der jeweiligen Stelle im Text angeführt,
die Quellenangaben der verwendeten Sekundärliteratur finden
sich in den entsprechenden Fußnoten. Nicht zuletzt bietet der
1
Englischsprachige Textausgabe: Auster, Paul: Moon Palace. With additional material. Edited and
annotated by Rudolph F. Rau. Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg, 2001.
Vorwort
5
Vorwort
Band dem Leser anhand von Aufsatzthemen und Lösungshilfen eine praktische Möglichkeit, sein Verständnis des Werkes
zu prüfen und zu verinnerlichen.
6
Vorwort
1.1 Biogra!e
1. Paul Auster: Leben und Werk
1.1 Biogra!e
Alter
Jahr
Ort
Ereignis
1947
Newark,
New Jersey
1966
Europareise
1966–
1970
New York
Der Schriftsteller und Regisseur Paul Benjamin Auster wird
am 3. Februar in Newark/New
Jersey als Sohn einer amerikanischen Mittelstandsfamilie
geboren. Seine Vorfahren sind
österreichische Juden, die um
1890 in die USA einwanderten.
Nach der Trennung seiner Eltern Mitte der 1960er Jahre leben Paul und seine Schwester
bei der Mutter.
Nach Abschluss der Highschool 19
in Newark reist Paul Auster
u. a. nach Europa (Paris, Spanien, Dublin).
Paul Auster studiert an der Co- 19–23
lumbia University in New York
Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaften.
Auster schließt sein Studium 23
mit dem MA (Master of Arts)
ab. Nach Abschluss des Studiums arbeitet er als Matrose auf
einem Öltanker.
1970
1. Paul Auster: Leben und Werk
7
1.1 Biogra!e
Ort
Ereignis
1971–
1974
Paris
1974–
1980
New York
Auster lebt in Frankreich, wo er 24–27
mit seiner späteren Frau Lydia
Davis französische Lyrik übersetzt und selbst Gedichte verfasst.
1974 kehrt Paul Auster gemein- 27–33
sam mit Lydia Davis in die USA
zurück. Am 6. Oktober 1974
heiratet er Lydia Davis; aus dieser Ehe geht sein Sohn Daniel
hervor.
Er erhält einen Lehrauftrag an
der Columbia University und
ist Übersetzer und Herausgeber
französischer Literatur (u. a.
Blanchot, Dupin, Mallarmé,
Sartre).
Auster schreibt in dieser Zeit
v. a. Lyrik; Gedichtbände u. a.
Unearth (1974), Wall Writing
(1976), Facing the Music (1980).
34
Nach dem Scheitern seiner Ehe
mit Lydia Davis lernt Auster
die Autorin Siri Hustvedt (geb.
1955 in Minnesota) kennen,
die er 1983 heiratet. Aus seiner
zweiten Ehe geht eine Tochter
(Sophie) hervor.
1981
8
Alter
Jahr
1. Paul Auster: Leben und Werk
1.1 Biogra!e
Jahr
Ort
1982
1986–
1990
New Jersey
1995–
1998
Brooklyn,
New York
2005
2006
2
Ereignis
Alter
Die zentralen autobiografischen
35
Essay-Sammlungen erscheinen:
The Inventions of Solitude (1982)
und The Art of Hunger: Essays,
Prefaces, Interviews (1982).
Paul Auster übernimmt einen 39–43
Lehrauftrag an der Princeton
University in New Jersey. Zusätzliche erfolgreiche Betätigung als Filmemacher.
In dieser Zeit entstehen u. a.
die Romane: The New York Trilogy (1987), In the Country of Last
Things (1987), Moon Palace
(1989) und The Music of Chance
(1990).
Austers Drehbücher Smoke/Blue 48–51
in the Face (1995) und Lulu on
the Bridge (1998) erscheinen.
58
Der Roman The Brooklyn Follies
erscheint.
59
Heute lebt Paul Auster mit seiner Familie in Brooklyn, New
York. Er arbeitet an einem
Filmprojekt mit dem Titel The
Inner Life of Martin Frost. Sein
nächster Roman mit dem Titel
Travels in the Scriptorium erscheint voraussichtlich 2007.2
Vgl. die Paul Auster-Webseite von Stuart Pilkington: http://www.paulauster.co.uk/ [Stand: August
2006] sowie den Paul Auster-Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia: http://de.wikipedia.
org/wiki/Paul_Auster [Stand: August 2006].
1. Paul Auster: Leben und Werk
9
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Die folgende Übersicht informiert über die wichtigsten historischen Ereignisse, auf die in dem Roman explizit und implizit
angespielt wird. Sie soll das Hintergrundwissen des Lesers
ergänzen sowie unklare Sachverhalte erhellen, die sich aus der
subjektiven Erzählweise des Ich-Erzählers ergeben.3
Vietnamkrieg (1964–1975)
Als Vietnamkrieg wird gemeinhin der Einsatz des US-Militärs
gegen den so genannten Vietcong und die Streitkräfte Nordvietnams in den Jahren 1964 bis 1975 bezeichnet.
Das amerikanische Engagement in Vietnam begann jedoch
schon im Jahre 1955, als erste US-„Militärberater“ nach Südvietnam kamen, um der vom kommunistischen Nordteil des
Landes bedrängten Regierung zu helfen. Nordvietnam wurde
von der UdSSR und der VR China unterstützt. Um nach dem
Sieg Mao Tse-tungs in China nicht auch noch Vietnam an den
Kommunismus zu verlieren (Dominotheorie), unterstützte die
US-Regierung Südvietnam wirtschaftlich und militärisch. Der
kommunistische Widerstand in Südvietnam gründete die Front
National de Libération du Viet-nam Sud (NLF, Nationale Befreiungsfront von Südvietnam), ihr militärischer Flügel nannte sich Viêt Nam Công San („vietnamesische Kommunisten“),
kurz: Vietcong. Der Vietcong führte Krieg gegen die südvietnamesische Regierung und Armee. Die USA, die um die Schwäche dieser Regierung und ihren mangelnden Rückhalt in der
3
10
Einige historische Aspekte werden auch in Kapitel 2.5 erläutert. Aufgrund der Fülle von Anspielungen auf geschichtliche Ereignisse sei an dieser Stelle auf die im Literaturverzeichnis angegebene weiterführende Literatur zum historischen Hintergrund verwiesen. Vgl. auch Hans-Peter
Schnurrs Erläuterungen zu Moon Palace (Historical Background, Annotations, Commentary)
auf der vom Oberschulamt Freiburg angelegten Webseite: http://www.oberschulamt-freiburg.
de/gym/faecher/english/engl_jae/auster/_start.htm [Stand: August 2006].
1. Paul Auster: Leben und Werk
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
überwiegend bäuerlichen Bevölkerung wusste, stockte darauf
ihre Militärhilfe massiv auf.
1964 eskalierte der Vietnamkrieg, und der US-Kongress beschloss, Präsident Lyndon B. Johnson freie Hand zu lassen.
1965 wurde der Vietnamkrieg durch die US-Luftwaffe mit
`
der Bombardierung des Hô-Chí-Minh-Pfads
(Operation Rolling Thunder) eröffnet, Kampftruppen der US-Armee (bis 1967
knapp 500.000 Soldaten) landeten in Vietnam. In der Folge
versuchte die US-Armee, den Vietcong und die nordvietnamesische Armee mit massiven Luftschlägen sowie dem Einsatz
von Agent Orange (einem Herbizid zur Entlaubung von Bäumen und Nutzpflanzen) zu schlagen, was jedoch nicht gelang.
Die Aktionen der US-Armee trafen mehr die Bevölkerung als
den Vietcong. Massaker von US-Soldaten an Zivilisten in dem
Dorf My Lai und die Berichterstattung der Presse führten weltweit zu Protesten gegen das Vorgehen der USA in Vietnam.
Aufgrund innenpolitischen Drucks begann daraufhin die so
genannte „De-Amerikanisierung“ des Krieges: Die US-Administration wollte nach und nach die amerikanischen Truppen
aus Vietnam abziehen und die Führung des Krieges wieder der
südvietnamesischen Armee übertragen. Dennoch blieben die
USA bis 1973 in Vietnam militärisch engagiert. 1975 endete
der Bürgerkrieg in Vietnam mit dem Sieg des kommunistischen Nordens. Auf amerikanischer Seite standen am Ende
über 58.000 getötete oder vermisste Soldaten; die Schätzungen
der Opfer auf vietnamesischer Seite schwanken zwischen 1,5
und 5 Millionen getöteten Soldaten und Zivilisten. Bis heute
gilt der Vietnamkrieg als das Paradebeispiel eines Stellvertreterkrieges im Kalten Krieg zwischen Ost und West.
Im Roman Moon Palace muss Fogg zeitBedeutung für den Roman
weilig seine Einberufung und damit „einen frühen Tod in den Dschungeln Asiens“ fürchten (S. 32).
1. Paul Auster: Leben und Werk
11
1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
Außerdem ist der Krieg auch im Roman ein Grund für die
Protestbewegung der 1960er Jahre, an denen sich Fogg beteiligt (vgl. S. 38 f.).
Studentenproteste und Protestbewegungen in den 1960ern
(USA)
Durch eine vergleichsweise offene Informationspolitik, die die
US-Regierung in Bezug auf ihr Engagement in Vietnam betrieb,
z. B. mit Kriegsreportern von Fernsehsendern bei kämpfenden
Einheiten, waren die Kriegsgräuel erstmals für die Öffentlichkeit sichtbar. Der massive Einsatz von Napalm (Brandbombe)
durch das US-Militär, der nicht zuletzt die Zivilbevölkerung
traf, und Kriegsverbrechen wie das Massaker von My Lai,
sorgten weltweit für Empörung und Proteste, auch in der amerikanischen Öffentlichkeit. Der US-Regierung wurde vorgeworfen, einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung und nicht
gegen den kommunistischen Gegner zu führen.
Die Proteste gegen den Vietnamkrieg waren Teil einer breiten
Protestbewegung, die im Lauf der späten 1960er Jahre entstanden ist, wobei sich insbesondere Studenten gegen die „Eliten“
ihres Landes auflehnten und eine Veränderung der als autoritär angesehenen Gesellschaftsstrukturen forderten. Diese
Umwälzungen fielen auch mit dem Aufkommen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung zusammen, wodurch es zu
zahlreichen Massendemonstrationen kam. Der Protest richtete
sich vor allem gegen
• den Vietnamkrieg,
• den Kalten Krieg und das Wettrüsten zwischen den USA
und der Sowjetunion,
• veraltete Konventionen, Normen und Werte der Autoritäten
sowie soziale Ungerechtigkeit,
12
1. Paul Auster: Leben und Werk