Auge und Blick als lyrisches Motiv in Baudelaires Fleurs du Mal Von

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Auge und Blick als lyrisches Motiv in Baudelaires Fleurs du Mal Von
A u g e und Blick als lyrisches Motiv
in Baudelaires Fleurs du Mal
von Kurt Reichenberger
Von den 126 Gedichten der Fleurs du M al verwenden 75 die W orte æil,
yeux, regard. Nun sind statistische Erhebungen zwar nicht das Entscheidende
in der Literaturbetrachtung, als erste Annåherung an eine Fragestellung konnen sie indessen sehr wohl von Nutzen sein. Was die Verwendung von Auge
und Blick angeht, so liegen die fiir Baudelaires Lyrik ermittelten Zahlen weit
iiber dem Ublichen, und wir mussen schon in die Zeit der Pléiade zurtickgehen,
um eine auch nur annåhernde Dichte zu finden. Aber nicht die Håufigkeit des
Vorkommens ist das eigentlich Wichtige, vielmehr seine Verwendung als Spiegel der Seele, die von Baudelaire in ihrer poetischen Funktion gesehen und in
die dichterische Wirklichkeit umgesetzt wird. Die theoretische Erkenntnis
dieser Zusammenhånge ist freilich schon alter und wurde von Buffon in der
H istoire naturelle folgendermaBen formuliert:
»L’ceil appartient å l’åme plus qu’aucun autre organe; il semble y toucher
et participer å tous ses mouvements, il en exprime les passions les plus vives et
les émotions les plus tumultueuses comme les mouvements les plus doux et
les sentiments les plus délicats« (Hist. nat. hom. 4, 281).«
Ahnlich hatte Pascal geurteilt, der in den Augen die geheimsten Regungen
des Herzens offenbar werden sieht:
»Les yeux sont les interprétes du cæur; mais il n’y a celui qui a un
interét qui entend leur langage (Pascal, Passions de l’amour).
Der sorgenden Aufmerksamkeit des Liebenden erschlieBt sich ihre Sprache,
und die Geheimnisse des Herzens offnen sich ihm: Des yeux il va jusqu’au
coeur, et par le mouvement du dehors il connait ce qui se passe au dedans«
(Pascal, a. a. o.). Im W erk der Dichter, denen wir eine besonders intime Kenntnis der menschlichen Seele zuerkennen diirfen, wird sich diese geheime Beziehung widerspiegeln. Aus der Art, wie sie beim Einzelnen Gestalt angenommen haben, erschlieBt sich dem Leser die Besonderheit seiner Seinsbetrachtung.
A uge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Wo die Lyrik seiner Vorgånger sich mit Hinweisen auf die Schonheit des 99
Auges begn Ligt, gibt Baudelaire genau faBbare Sinneseindriicke.1 Das Auge
wird in seiner Zuståndlichkeit oder der Wirkung auf den Betrachter beschrieben. Indem es die Intentionen des Schauenden zu enthiillen scheint, wird es
vom Dichter einer Deutung unterworfen.
Die Heterogenitåt der Situationen und die Komplexitåt der gedanklichen
Verbindungen, die evoziert werden, sind so vielschichtig, daB sie einer Klassi­
fikation ernsthafte Schwierigkeiten bereiten. Die Ordnung nach lose zusammenhångenden Sinngruppen, die wir im Folgenden einschlagen, vereinigt daher
nur allzu oft Disparates. Durchgehende Strukturelemente sind lediglich in den
oberen Kategorien vorhanden. Eigentlich muBte jede Stelle fiir sich allein besprochen werden. Die angestrebte Darstellung mag ein sol eher Ta tbestand
nicht eben erleichtern, er ist indessen wie kaum ein anderes Argument geeignet, die Legende von der Sterilitat der baudelaireschen Diktion ad absurdum
zu fiihren.
Beginnen wir mit den Stellen, die eine allgemeine Zuståndlichkeit oder
Tåtigkeit des Auges behandeln. Obwohl ein groBer Teil von ihnen sich nicht
oder nur indirekt auf die Augen der Geliebten bezieht, ist die Darstellung
stark emotional geladen und vermittelt intensive Stimmungsgehalte. Ennui, das
zarte Scheusal, tritt dem Leser entgegen l’æil chargé d ’un pleur involontaire
(Au Lecteur 37). Die Lesbierinnen werden umschrieben als les filles aux yeux
1. Ein traditionelles »Lob« des schonen Auges, allerdings m it im pressionistischem R affi­
nement dargeboten, enthålt das G edicht L es Y eux de B erthe (É paves 9):
Vous pouvez m épriser les yeux les plus célébres
Beaux yeux de mon enfant, par ou filtre et s’enfuit
Je ne sais quoi de bon, de doux comm e la Nuit!
Beaux yeux, versez sur moi vos charm antes ténébres!
G rands yeux de m on enfant, arcanes adorés,
Vous ressemblez beaucoup å ces grottes magiques
Ou, derriére l’amas des ombres léthargiques,
Scintillent vaguement des trésors ignorés!
M on enfant a des yeux obscurs, profonds et vastes,
Com m e toi, N uit immense, éclairés comm e toi!
Leurs feux sont ces pensers d ’A m our, mélés de Foi,
Qui pétillent au fond, voluptueux et chastes.
T raditionell und wesenlos ist die Bezeichnung der A ngebeteten in L a B eatrice (Fleurs
115, 28) als La reine d e m on cæ ur au regard nonpareil. Die G runde dafur mussen in
einer Einzelinterpretation geklart werden.
K urt Reichenberger
100 creux, de leurs corps amoureuses (L esbos, Épaves 2, 18). Die am SchluB von
J’aime le souvenir de ces époques nues (Fleurs 5) apostrophierte Jugend
erseheint dem Dichter å l’æil lim pide et clair ainsi qu ’une eau courante, eine
Formuliening, die sich in Bezug auf die Augen eines jungen Mådchens in
Sonnet d ’A utom ne (Fleurs 64) wiederfindet. Zuståndlichkeit und Deutung
vereint enthalten die Worte der Dichters an die kranke Muse (La M use
M alade):
M a pauvre muse, hélas! qu’as-tu done ce m atin?
Tes yeux creux sont peuplés de visions nocturnes
(Fleurs 7, 1/2).
In Bohémiens en Voyage wird der Zigeunerschar, eingangs gekennzeichnet als
la tribu prophétique aux prunelles ardentes, durch die vomehm verhangene
M udigkeit ihres Blicks seherische Wurde verliehen:
Les homm es vont å pied sous leurs arm es luisantes
Le long des chariots ou les leurs sont blottis,
Prom enant sur le ciel des yeux appesantis
P ar le m orne regrét des chiméres absentes
(Fleurs 13, 5-8).
Meist ist auch eine Intentionalitåt mitgegeben und traditionelle M etaphorik
erzeugt eine gewisse Stilisierung. So wenn sich die Schonheit ihrer Macht
gegeniiber den Dichtern riihmt:
C ar j’ai, pour fasciner ces dociles amants
D e purs m iroirs qui font toutes choses plus belles:
Mes yeux, mes larges yeux aux clartés éternelles
(La Beauté, Fleurs 18, 12-14).
Aber auch die rein åuBere Bewegung des Auges wird in ihrem Sosein erfaBt
und festgehalten. Fem m es D am nées hebt an mit dem melancholischen Bild
schmerzlich ergebenen Dahinschmachtens:
C om m e un bétail pensif sur le sable couchées,
Elles tournent leurs yeux vers l’horizon des mers
(Fleurs 111, 1/2).
Die Frauengestalt aus Allégorie zieht mit lockendem Blick die Menschheit in
ihre Arme:
E t dans ses bras ouverts, que rem plissent ses seins,
Elle appelle des yeux la race des humains
(.Fleurs 114, 11/12).
Von einem der abenteuernden Entdecker, der sich trotz aller Enttåuschungen
die Hoffnung nicht nehmen låBt, heiBt es in Le Voyage:
Auge und B lick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Son æil ensorcelé découvre une C apoue
P artout oii la chandelle illumine un taudis
(Fleurs 126, 47/8).
In L es M étam orphoses du Vam pire besteht die Reflexbewegung des entsetzten
Dichters, der zu seiner Seite an Stelle der verfiihrerischen Frau einen eitergefiillten Weinschlauch und dann ein schauerliches Totengerippe erbliekt, im
abwehrenden SchlieBen der Augen, dem er epexegetisch die Ursache folgen
låBt (Épaves 7, 21-23). In L e Couvercle, wo die Furcht des Menschen vor dem
Oberirdischen geschildert wird, bringt sie das Auge am intensivsten zum Ausdruck:
Partout l’hom m e subit la terreur du mystére,
E t ne regarde en haut qu’avec un æil trem blant
(N ou velles Fleurs du M a l 10, 7/8).
Vergleiche bieten sich natiirlich in erster Linie da an, wo eine Deutung vorliegt
(vgl. etwa die schlaglichtartige Charaktierisierung des Hollenfåhrmanns in Don
Juan aux Enfers durch l’æil fier com m e Antisthéne, Fleurs 15, 3); sie wirken
aber auch da, wo die Bewegung des Auges in ihrer Besonderheit erfaBt wird.
Das dritte Stiick von L es Petites Vieilles beschreibt eine al te Dame, noch stolz
und aufrecht, die im Park den Klangen der Militårmusik lauscht:
Son æil parfois s’ouvrait comm e l’æil d’un vieil aigle;
Son front de m arbre avait l’air fait pour le laurier
(Fleurs 91, 59/69).
Der Vergleich mit dem Adler stellt hier zugleich die Beziehung zur heroischen
Atmosphåre der Blechmusik her, auf die der Dichter mit leiser Ironie herabblickt.
Eine Intention auf ein fernes Ziel liegt vor in L e Voyage , wo die Attitude
dessen, der begierig neuen Welten entgegenstrebt, les yeux fixés au large et les
cheveux au vent (Fleurs 126. 124), auf die letzte Reise ins Land des Todes
iibertragen wird.
Das Gerichtetsein auf ein nahes Objekt finden wir in Les Bijoux. Die
Geliebte liegt auf dem Divan, les yeux fixés sur m oi , com m e un tigre dom pté
(Épaves 6, 13). Das raubtierhaft Gefåhrliche, das der Dichter am Wesen der
Geliebten empfindet, und das Verhaltnis von Raubkatze und Beute wird auch
anderwårts in der Bewegung der Augen ausgedriickt. In Femmes Damnées
liegt beim Schein ersterbender Lampen Hippolytes zerbrechliche Schonheit in
tiefen, duftenden Kissen:
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Elle cherchait, d’un æil troublé par la tempéte,
D e sa naiveté le ciel déjå lointain,
Ainsi qu’un voyageur qui retourne la tete
Vers les horizons bleus dépassés le m atin.
De ses yeux amortis les paresseuses larmes,
L ’air brisé, la stupeur, la m orne volupté,
Ses bras vaincus, jetés comm e de vaines armes,
T out servait, tout p arait sa fragile beauté.
Étendue å ses pieds, calm e et pleine de joie,
Delphine la couvait avec des yeux ardents,
Com m e un anim al fort qui surveille une proie,
Aprés l’avoir d’abord m arquée avec les dents
(É paves 3, 5-16).
Vom Aufbau her ist dieses Bild aufschluBreich fiir die baudelairesche Kompositionstechnik. Oeil troublé und yeux amortis geben zunachst eine Zustandlichkeit des Auges wieder. Der Kontext bietet unabhångig davon eine Beschreibung des seelischen Vorgangs, dessen Symptome in oeil troublé, yeux
am ortis und dem folgenden avec des yeux ardents vorgegeben sind. Die innere
Bewegung wird somit von zwei Seiten her angegangen. Was sich in psychologischer Sicht als Deutung verifizierbarer Fakten ausnimmt, erscheint vom
kiinstlerischen Gesichtspunkt ein Aufsetzen impressionistischer Glanzlichter.
Die åuBere Beschaffenheit des Auges wird fast immer im Spiegel metaphorischer Wendungen wiedergegeben. Abgesehen von zweimaligem (jée aux)
yeux de velours (H ym ne å la Beauté, Fleurs 21; A une Malabaraise, Épaves
20) bevorzugt Baudelaire als Vergleichsobjekt Metalle und Minerale. Das
Auge der Katze besteht aus einer Mischung von Metall und Achat; der Dichter
begehrt in seine Tiefen hinabzutauchen:
Viens, mon beau chat, sur mon cceur am oureux;
Retiens les griffes de ta patte,
E t laisse-moi plonger dans tes beaux yeux,
Mélés de métal et d ’agate
(Le Chat, Fleurs 34, 1-4).
Durch den geschmeidigen Gang und die einschmeichelnde Zårtlichkeit ihrer
Liebkosungen, aber auch durch die in den Tiefen ihrer Natur verborgene
Wildheit und Grausamkeit wird die Katze zum Abbild der geliebten Frau.
Die Obereinstimmung erstreckt sich natiirlich auch auf das Auge: Son regard,
C om m e le tien, aim able bete, Profond et froid, coupe et fend com m e un dard
(ibid . 9-12). An anderer Stelle apostrophiert Baudelaire die Vénus noire als
Statue aux yeux de jais (Je te donne ces vers afin que si mon nom, Fleurs
A uge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
39, 14). M it dem Bild des Metalls und des Edelsteins ist eine Vorstellung 103
von Kålte verbunden, die im iibrigen auch expressis verbis ausgesprochen
wird:
Tes yeux, ou rien ne se révéle
D e doux ni d’am er
Sont deux bijoux froids ou se mele
L’or avec le fer
(Le Serpent qui D anse, F leurs 28, 13-16)
Das kalte Auge erscheint als symbolischer Ausdruck der Gefuhlskålte, die
Baudelaire der Geliebten glaubt vorwerfen zu mussen. In ihrem Blick, profond
et froid (Fleurs 34, 12), vermeint er ihr innerstes Wesen zu erkennen:
Com m e le sable m orne et l’azur des déserts
Insensible tous deux å l’hum aine souffrance,
Com m e les longs réseaux de la houle des mers
Elle se développe avec indifférence.
Ses yeux polis sont faits de m inéraux charm ants
E t dans cette nature étrange et sym bolique
Ou l’ange inviolé se mele au sphinx antique,
Ou tout n’est qu’or, acier, lum iére et diam ants,
Resplendit å jam ais, com m e un astre inutile,
La froide majesté de la fem m e stérile.
(A v e c ses vétem en ts on doyan ts et nacrés, Fleurs 27, 5-14).
Das fiihrt uns mitten hinein in die Problematik des baudelaireschen Liebeserlebens. Voller Verzweiflung vergegenwårtigt er sich ihren Blick, de vigueur et
de gråces armé, und fleht sie an, ihn nur einmal liebevoll anzuschauen:
Si, quelque soir, d’un pleur obtenu sans effort
T u pouvais seulement, o reine des cruelles!
Obscurcir la splendeur de tes froides prunelles
(U ne nuit que j ’étais pres d ’une affreuse Juive, Fleurs 32, 12-14).
N un horen wir zwar kurz zuvor
P ar ces deux grands yeux noirs, soupiraux de ton åme,
O dém on sans pitié! verse-moi moins de flamme;
Je ne suis pas le Styx pour t’em brasser neuf fois
(Sed N on Saiiata, Fleurs 26, 9-11).
aber im stiirmischen Auf und Ab einer groBen Leidenschaft haben solche
offenbaren Widerspriiche wenig zu besagen. Uns geht es um den sprachlichen
Ausdruck dieser Leidenschaft. Wie die Gefuhlskålte durch ein teilnahmsloses,
kaltes, metallisches Auge wird die Liebesglut am flammenden Blick offenbar.
K u rt Reichenberger
104 Dariiber hiaus sind die Bedeutungen, die ein hell leuchtendes Auge haben
kann, mannigfaltig und variieren nach Situation und Intensitåt. Vergleichen
wir einige Beispiele.
Helle lodernde Begeisterung meint la joue et l’æil en feu in Sisina (Fleurs
59, 7) oder l’oeil clair et plein du feu de la précocité im Sonett an Théodore
de Banville (N ouvelles Fleurs du M al 14, 5); gliihender HaB schwelt in den
Augen der Rothåute in L e Calum et de la Paix:
La haine qui brulait les yeux de leurs ancétres
Incendiait encore leurs yeux d ’un feu fatal
(N ou velles F leurs du M a l 11, 47/8).
Nach einer Vision offnet der Dichter yeux plein de flamme (R éve Parisien,
Fleurs 102, 53) und erblickt um sich her das Grauen seiner erbårmlichen Be-
hausung. Aber bei allem Feuer ist das Leuchten des Auges doch nur ein schwacher Abglanz des himmlischen Feuers, aus dem das Diadem des Dichters erstrahlt.
C ar il ne sera fait que de pure lumiére,
Puisée au foyer saint des rayons primitifs,
E t dont les yeux mortels, dans leur splendeur entiére,
N e sont que des miroirs obscurcis et plaintifs
(B énédiction, F leurs 1, 73-76).
Das Auge erglånzt gleichermaBen vom WeingenuB, aus Begierde und vor
freudiger Erwartung. So kann Baudelaire der Geliebten zurufen:
A llum e ta prunelle å la flam m e des lustres!
A llum e le désir dans le regard des rustres!
T out de toi m ’est plaisir, m orbide ou pétulant
(Le Possédé, F leurs 27, 9-11),
oder:
Tes yeux, illuminés ainsi que des boutiques
Et des ifs flam boyants dans les fétes publiques,
Usent insolem ment d’un pouvoir em prunté
Sans connaitre jamais la loi de leur beauté
(Je t ’adore å l’égal de la vou te nocturne
Fleurs 24, 15-18).
Der Wein riihmt sich in L ’A m e du Vin :
J ’allum erai les yeux de ta femme ravie;
A ton fils je rendrai sa force et ses couleurs
(Fleurs 104, 17/18).
A uge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Und der Dichter selbst bekennt in L a Fontaine de Sang freimiitig:
J ’ai dem andé souvent å des vins captieux
D ’endorm ir pour un jour la terreur qui me mine;
Le vin rend l’æil plus clair et l’oreille plus fine
(Fleurs 113 , 9 - 11).
Der hell leuchtende Blick ist schlieBlich ein Symbol des amour m ystique im
Zyklus der an Madame Sabatier inspirierten Gedichte (Fleurs 40-48). In ihren
Blick getaucht begehrt der Dichter von einer fiihr ihn unwirklichen und daher
unwahren Lebensfreude zu tråumen (Sem per Eadem , Fleurs 40, 12-14: Lais­
sez, laissez mon cæur s’énivrer d ’un mensonge, Plonger dans vos beaux yeux
com m e d a m un beau songe E t som m eiler longtem ps å l’om bre de vos cils ),
ihr gottlicher Blick hat seine arme, einsame Seele wieder zum Erbliihen gebracht (Que diras-tu ce soir, pauvre arne solitaire . . . D ont le regard t’a soudain
refleuri, Fleurs 42, 1 und 4) und so kann er voll hymnischen Jubels ausrufen:
Sa chair spirituelle a le parfum des Anges, E t son æil nous revet d ’un habit de
clarté (ibid. 7/8). Ihren vollen Åusdruck findet diese Seelenstimmung in dem
Sonett L e Flambeau Vivant, das in biblischer Sprache seine Rettung feiert:
Ils m archent devant moi, ces yeux pleins de lumiéres,
Q u’un Ange tres savant a sans doute aimantés;
Ils m archent, ces divins fréres qui sont mes fréres,
Secouant dans mes yeux leurs feux diam antés.
M e sauvant de tout piége et de tout péché grave,
Ils conduisent mes pas dans la route du Beau;
Ils sont mes serviteurs et je suis leur esclave;
T out mon étre obéit å ce vivant flam beau;
C harm ants Yeux, vous brillez de la clarté mystique
Q u’ont les cierges brulant en plein jour; le soleil
Rougit, mais n’éteint pas leur flam m e fantastique;
Ils célébrent la M ort, vous chantez le Réveil;
Vous m archez en chantant le réveil de m on åme,
Astres dont nul soleil ne peut flétrir la flamme!
(F leu rs 43 ).
Wir haben nun schon verschiedentlich die »Wirkung« des Biicks gestreift, die
ihrerseits eng mit der Deutung zusammenhångt. die er von dem Gegeniiber
erfåhrt. Bevor wir uns aber endgiiltig diesem Komplex zuwenden, mag vorerst
noch die Farbe des Auges behandelt werden, die gleichbedeutend mit AuBeren
und Glanz seine Zuståndlichkeit bestimmt. Baudelaire beschreibt, wie man
weiB, im Wesentlichen zwei Augenpaare: das dunkle der Venus noire und das
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106 helle der Femme aux yeux verts. Die Gefiihle, die ihn mit den beiden Tragerinnen verbanden, sind grundverschieden; das eine hat man als amo ur passion,
das andere als amour tendresse gekennzeichnet. Diese Verschiedenheit der Gefiihle spiegelt sich wieder in der Beschreibung der Augen: Flaminend, provozierend die grands yeux noirs Jeannes, von denen Baudelaire berauscht ist:
Je préfére au constance, å l’opium ,
L ’élixir de ta bouche ou l’am our se
Q uand vers toi mes désirs partent
Tes yeux sont la citerne ou boivent
aux nuits,
pavane;
en caravane,
mes ennuis
(Sed N on Satiata, Fleurs 26, 5-8).
Immer wieder bricht es mit Leidenschaft aus ihm hervor:
Quoique tes sourcils méchants
Te donnent un air étrange
Qui n’est pas celui d’un ange,
Sorciére aux yeux alléchants,
Je t ’adore, 6 m a frivole . . .
{Chanson d ’A prés-m idi, Fleurs 58, 1-5).
Und wenn er ihr Auge auch kalt, metallisch und grausam genannt hat, so bekennt er doch andererseits:
T u m e déchires, m a brune,
Avec un rire m oqueur,
E t puis tu mets sur mon cceur
Ton oeil doux comme la lune
CIbid. 29-32).
Das Auge Louchettes, einer Jugendgeliebten, iibt trotz seines Defekts durch
den Zauber der langen, schwarzen W impera einen seltsamen Reiz auf ihn aus:
ELle louche, et Fef fet de ce regard étrange
Q u’om bragent de cils noirs plus longs que ceux d ’un ange.
Est tel que tous les yeux pour qui l’on s’est damné
N e valent pas pour moi son æil juif et cerné
(Je n’ai pas pou r m aitresse une lionne illustre,
C répet/Blin, ed. crit. p. 342).
In A une M alabaraise definiert er in konzeptistischer Freude am scharfsinnigen
Vergleich: Tes grands yeux de velours sont plus noirs que ta chair (É paves
20, 4) und in L es Prom esses d ’un Visage spielt er mit dem im Farbw ert mitgegebenen Symbolgehalt:
Auge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
J ’aime, o påle beauté, tes sourcils surbaissés
D ’ou sem blent couler des ténébres;
Tes yeux, quoique trés-noirs, m ’inspirent des pensers
Qui ne sont pas du tout funébres
CÉpaves 11, 1-4).2
Eine hervorragende Rolle spielt das Auge im Zyklus der Femme aux yeux
verts ( Fleurs 49-57), mit der man allgemein die Schauspielerin Marie Daubrun
identifiziert, die Baudelaire im Jahre 1852 kennengelernt hatte. In Chant d ’A utom ne (Fleurs 56) gesteht er ihr: J’aime de vos longs yeux la lumiére ver datre,
D ouce béauté, und in L e Poison (Fleurs 49) heiBt es nach einer Aufzåhlung
der berauschenden Wirkung des Weins und exotischer Pflanzen:
T out cela ne vaut pas le poison qui découle
D e tes yeux, de tes yeux verts,
Lacs ou m on åme trem ble et se voit å l’envers . . .
Mes songes viennent en foule
Pour se désaltérer å ces gouffres amers
(Fleurs 49, 11-15).
An anderer Stelle fragt sich der Dichter, welche denn nun die eigentliche Farbe
dieses Auges sei, das ihm geheimnisvoll, wie unter einem Schleier hervor, entgegenschimmert:
On dirait ton regard d’une vapeur couvert;
T on oeil mystérieux (est-il bleu, gris ou vert?)
A lternativem ent tendre, réveur, cruel,
Réfléchit l’indolence et la paleur du ciel
(C iel Brouillé, F leurs 50, 1-4).
Die Strophe aus Ciel Brouillé hat uns an eine zentrale Stelle gefiihrt, an der
mehrere Tendenzen sichtbar werden. Einmal sind Farbwerte gegeben (est-il
bleu, gris ou vert), ein feuchter Schleier liegt vor dem Auge (d ’une vapeur cou­
vert), eine Vielzahl von Stimmungsgehalten wird aufgezåhlt, die es auszudriicken vermag ( tendre, réveur, cruel) und schlieBlich wird in A rt eines semantischen Zeugmas von ihm ausgesagt, daB Låssigkeit ( l’indolence) und die
Blåsse des Himmels sich in ihm spiegeln. Lassen wir die impressionistische Unbestimmtheit der Farbgebung, die durch das Dunstartige des Schleiers, der vor
2. Einen interessanten »Vergleich« enthalt Lesbos:
L ’oeil d ’azur est vaincu p ar l’oeil noir que tachéte
Le cercle ténébreux tracé p ar les douleurs
De la måle Sapho, l’am ante et le poete.
CÉpaves 2, 59-61).
Das M otiv ist das im zweiten Teil von J’aim e le sou ven ir d e ces époques nues (Fleurs
5) und La M use M alade (Fleurs 7) behandelte Them a.
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108 dem Auge liegt, noch verstårkt wird, beiseite und beginnen wir bei den letzten
beiden Punkten.
Den Glanz des Auges auszudriicken, dient eine kosmische Metaphorik,
deren Spuren wir schon weiter oben in L e Flambeau Vivant (Fleurs 43) bemerkten. Traditionelle Aussageweisen werden bei Baudelaire zu Eigenen umgeschmolzen. Die Blåsse des Himmels, zu welcher der Titel Ciel Brouillé den
Grundton anschlågt, zielt auf die Gestimmtheit einer seelischen Haltung.
Schnelle Verånderung und eine gewisse Unbeståndigkeit liegen darin beschlossen. Wie Wolken iiber einem wechselweise freien und drohend bedeckten
Herbsthimmel erscheinen die rasch alternierenden Stimmungen am inneren
Horizont und fårben das seelische Erleben bald in diesem, bald in jenem Sinne,
wie sich semantisch in asyndetisch gereihtem tendre, réveur, cruel manifestiert.
Eine analoge, und daher aufschluBreiche Stelle bietet das Sonett A une
Passante (Fleurs 93). Im Gewiihl einer GroBstadtstraBe begegnet dem Dichter
eine schlanke, hochgewachsene Dame, in tiefer Trauer, aber doch mit modischer Eleganz gekleidet. Fiir einen Herzschlag nur tauchen die Blicke beider
ineinander, aber es hat geniigt, ihnen ihr Innerstes zu enthiillen und sie erkennen zu lassen, daB sie schicksalhaft fiireinander bestimmt sind:
Moi, je buvais, crispé comm e un extravagant,
Dans son æil, ciel livide ou germ e l’ouragan,
L a douceur qui fascine et le plaisir qui tue.
(Fleurs 93, 6-8).
Derselbe blaBfahle Himmel wie in Ciel Brouillé, nur daB die Tone hier um
einige Grade kråftiger sind; drohender, gewittriger, mit einer Variationsbreite
von stiirmischer Zårdichkeit zum Wirbelwind der Leidenschaften. In der Himmelsmetaphorik erhålt diese Seelenlandschaft eine kosmische Uberhohung.3
Baudelaire verwendet M etaphem traditionellen Gepråges mit groBer Zuriickhaltung, wo er sie aber einsetzt, eignet ihnen eine besondere Intensitåt. In
Fem m es D am nées wendet sich Delphine, die beauté forte, liebeheischend an
die vor ihr dahingestreckte Hippolyte:
T ourne vers moi tes yeux plein d’azur et d’étoiles!
Pour un de ces regards charm ants, baum e divin,
Des plaisirs plus obscurs je léverai les voiles
E t je t ’endorm irai dans un réve sans fin
(É paves 3, 37-40).
3. Vgl. K. Reichenberger, D ie schone U nbekannte. R ealism us und S ym bolh aftigkeit in
den »Fleurs du M al«. In: Z eitsch rift fiir fran zosisch e Sprache und L iteratu r 71 (1961)
47-65.
A uge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Ungleich håufiger als die groBen kosmisehen Vergleiehe sind bei Baudelaire 109
die etwas intimeren »meteorologischen«, bei denen das Auge verschwimmt
wie hinter einem hauchzarten Schleier (on dirait ton regard d ’une vapeur
couvert ), der dem Betrachter iiber seine eigentliche Farbe im Unklaren halt,
dafiir aber anderes, Seelisches, durchblicken låBt. In La Géante (Fleurs 19)
ahnt der Dichter an den humides brouillards qui nagent dans ses yeux ein geheimes Liebessehnen im Herzen der Géante. In Invitation au Voyage nimmt
die impressionistischen Geschmack entsprechende Grenzsituation eines durch
schimmernde Tranen brechenden Låchelns seine Sinne gefangen:
Les soleils mouillés
D e ces ciels brouillés
P our m on esprit ont les charm es
Si mystérieux
D e tes traitres yeux
Brillant å travers leurs larmes
(Fleurs 53, 1-12).
Stårkere Gefiihle geraten immer dann in Bewegung, wenn Tranen aus dem
Auge hervorbrechen. Baudelaire scheint diesen Anblick zu lieben; in M adri­
gal Triste ruft er der Geliebten zu:
Q ue m ’im porte que tu sois sage?
Sois belle! et sois triste! Les pleurs
A joutent un charm e au visage,
Com m e le fleuve au paysage;
L’orage rajeunit les fleurs
(N ou velles Fleurs du M al 3, 1-5);
und im gleichen Gedicht:
Je t ’aim e quand ton grand æil verse
U ne eau chaude comm e le sang;
Q uand, m algré m a m ain qui te berce,
T on angoisse, trop lourde, perce
Com m e un råle d’agonisant.
J’aspire, volupté divine!
H ym ne profond, délicieux!
Tous les sanglots de ta poitrine,
E t crois que ton cceur s’illumine
Des perles que versent tes yeux
(ibid. 11-20).
Aber kehren wir zuriick zu jener mit der Blasse des Himmels in semantischem
Zeugma verbundenen gleichgiiltigen Låssigkeit (indolence) aus Ciel Brouillé,
die fiir Baudelaire ein A ttribut der Schonheit schlechthin bedeutet (vgl. A vec
ses vétem ents ondoyants et nacrés, Le Serpent qui D anse , dann auch Le Beau
K urt Reichenberger
110 Navire). In L ’A m our du M ensonge tritt das klar zutage: Gang, Haltung und
Blick sind in vollkommener Ubereinstimmung und driicken die gleiche, låssig
gelangweilte Attitude aus:
Quand je te vois passer, o m a chére indolente,
Au chant des instrum ents qui se brise au plafond
Suspendant ton allure harm onieuse et lente,
Et prom enant l’ennui de ton regard profond;
Q uand je contem ple, aux feux du gaz qui le colore,
Ton front påle, embelli par un m orbide attrait,
Ou les torches du soir allum ent une aurore,
E t tes yeux attirants comm e ceux d’un portrait,
Je me dis: Q u’elle est belle!
(Fleurs 98, 1-9).
Baudelaire nimmt das zum AnlaB, eine Betrachtung iiber die Wahrhaftigkeit
der im Blick in Erscheinung tretenden seelischen Qualitåten anzustellen. Entgegen einer romantisch-ideaiisierenden Einschåtzung melancholisch blickender
Augenpaare kommt er zu der erniichternden Feststellung:
Je sais qu’il est des yeux, des plus mélancboliques,
Qui ne recélent point de secrets précieux;
Beaux écrins sans joyaux, médaillons sans reliques,
Plus vides, plus profonds que vous mémes, o Cieux!
(Ibid. 17-20).
Aber der deprimierenden GewiBheit zum Trotz kann er sich dem Zauber dieses
Blicks nicht entziehen (M ais ne sujfit-il pas que tu sois l ’apparence,Pour réjouir
un cæur qui fuit la vérité? Q u’im porte ta bétise ou ton indifférence? M asque
ou décor, salut! J’adore ta beauté, ibid. 21-24). Die profondeur des Auges, der
tiefe, in sich selbst versunkene Blick, versetzt ihn in Entziicken und immer
wieder kommt er auf dieses Phånomen zuriick:
Je vois m a fem m e en esprit. Son regard,
Com m e le tien, aim able bete,
P rofond et froid, coupe et fend com m e un dard
(Le C hat, Fleurs 34, 9-12).
Die Tiefe als A ttribut des Blicks ist andererseits so vielseitig, daB sie nun auch
in metaphysischem Sinne die Aussage determinieren kann. In Danse M acabre
erscheint der Tod (la M ort) auf einem Ball, travestiert als kokett herausgeputzte Schone. Alles ist von einer gespenstischen Doppeldeutigkeit, angefangen von der ungenierten Nonchalance einer coquette maigre aux airs extravagants bis zum Umfang der Taille und dem tiefen Blick ihrer Augen:
A uge und Blick eds lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du med
Ses yeux profonds sont faits de vide et de ténébres,
E t son cråne, de fleurs artistem ent coiffé,
Oscille m ollem ent sur ses fréles vertébres.
O charm e d’un néant follem ent attifé!
(Fleurs 97, 13-16).
Durch die geheimnisvolle Tiefe dieses Blicks fiihlt sich der Dichter wie mit
magischer Gewalt angezogen, und nicht ohne ein Gefiihl dandyhafter tiberlegenheit iiber eine verbiirgerlichte Umwelt gesteht er dem Skelett:
Le gouffre de tes
Exhale le vertige,
N e contem pleront
Le sourire éternel
yeux, plein d ’horribles pensées,
et les danseurs prudents
pas sans d ’améres nausées
de tes trente-deux dents
(.ibid . 37-40).
In eben demselben Sinne ruft er in Épigrap he pour un Livre Condamné dem
pråsumptiven Leser zu:
Mais si, sans le laisser charm er,
Ton æil sait plonger dans les gouffres,
Lis moi, pour apprendre å m ’aim er
(N ou velles F leurs du M a l 1, 9-11).
Ins Auge Schauen ist ein Hinabtauchen in die Tiefe stiller Wasser:
Plonge des yeux dans les yeux fixes . . .
(L ’A vertisseur, N o u ve lle s F leurs 4, 5).
E t laisse-moi plonger dans tes beaux yeux . . .
(Le C hat, Fleurs 34, 3).
Plonger dans vos beaux yeux comm e dans un beau songe
E t som m eiller longtemps å l’om bre de vos eils
(Sem per E adem , F leurs 40, 13/14).
Die an einer Liebe leiden sind
Astrologues noyés dans les yeux d ’une femme
(Le V oyage, F leurs 126, 11).
Der Dichter leidet daran
D e lire la seeréte h orreur du dévouement
D ans des yeux ou longtemps burent nos yeux avides
(R éversibilité, F leurs 44, 16-20).
Das Bild einer Oase, die gliihenden Durst stillt, wird evoziert in
K urt Reichenberger
Q uand vers toi mes désirs partent en caravane,
Tes yeux sont la citerne ou boivent mes ennuis
112
(Sed N on Satiata, Fleurs 26, 7/8).4
Die Augen der Femme aux yeux verts werden angesprochen als
Lacs ou mon åme trem ble et se voit å l’envers . . .
Mes songes viennent en foule
Pour se désaltérer å ces gouffres amers
(Le Poison, F leurs 49, 13-15).
In Les Petites Vieilles wird diese M etaphorik insistierend wiederholt. In Verbindung mit der intendierten Schårfe des Blicks hat das Bild des still ruhenden
Wassers etwas Unheimliches:
. . . ils ont des yeux per?ants comm e une vrille,
Luisants comme ces trous ou l’eau d ort dans la nuit;
Ils ont les yeux divins de la petite fille
Qui s’étonne et qui rit å tout ce qui reluit
(Fleurs 91, 16-20).
Und wenig spater, nun ausdriicklich identifizierend:
Ces yeux sont des puits faits d’un million de larmes,
Des creusets qu’un métal refroidi pailleta . . .
Ces yeux mystérieux ont d’invincibles charm es
P our celui que l’austére infortune allaita
(ibid. 33-36).
Das an antiken Spottgedichten sich inspirierende L e M onstre ou L e Paranymphe d ’une N ym phe M acabre , in dem die verwelkten Reize einer Tanzerin der
Pariser Unterwelt verhohnt werden, verwendet eine bewuBte Umkehrung, oder
genauer gesagt, Adaptation des Motivs. Das stille Wasser ist zur schmutzigen
Pfiitze einer Gasse geworden, in der sich das triibe Licht einer Laterne spiegelt:
Tes yeux qui sem blent de la boue,
Ou scintille quelque fanal,
Ravivés au fard de la joue,
Lancent un éclair infernal!
Tes yeux sont noirs comm e la boue!
(É paves 12, 31-35).
Das ist uberaus suggestiv und steht in scharfem Gegensatz zu dem eingangs
zitierten æil lim pide et deur ainsi qu’une eau courante aus J’aime le souvenir
de ces époques nues (Fleurs 5, 37).
4. In um gekehrter Richtung ergieBt sich der belebende Strom in Sur les D ébuts d ’A m ina
B oschetti
„ ,
,
.
... x ,
..
. ..
D u bout de son pied fin et de son æil qui rit,
A m ina verse å flots le délire et l’esprit.
(.É paves 21, 5/6).
A uge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Die letzte Zeile, die in fiir die lyrischen Form en Baudelaires charakteristi- 1
scher Weise den Eingang der Strophe variiert, fuhrt uns zuriick zur Frage der
Augenfarbe, die wir vor kurzem verlassen haben. Wie hier das schmutzige
Schwarz der Wasserlache, diente in dem schon erwåhnten A une Malabaraise
(Épaves 20) die H aut der Schonen als konzeptistisches Tertium comparationis.
Einen freieren Spielraum hat die dichterische Phantasie freilich bei der Beschreibung des nicht-menschlichen Auges. Dem Auge des Engels in L e R evenant (Fleurs 63, 1) verleiht ein zwielichtiges fauve den Ausdruck damonischer
Wildheit. Die Augen der Katze sind m élés de m étal et d ’agate (Le Chat, Fleurs
34, 4) und glitzem wie flimmernde Goldkorner:
E t des parcelles d ’or, ainsi qu’un sable fin,
Étoilent vaguem ent leurs prunelles mystiques
(Les C hats, Fleurs 66, 13/4).
Sie besitzen eine magische Gewalt iiber den Dichter:
Q uand mes yeux, vers ce chat que j’aime
Tirés comm e par un aim ant
Se retournent docilement
E t que je regarde en moi-méme,
Je vois avec étonnem ent
Le feu de ses prunelles påles,
C lairs fanaux, vivantes opales,
Qui me contem plent fixem ent
(L e Chat, Fleurs 51, 33-40).
Ein unheimlich Geheimnisvolles liegt im starren Blick der Euien, die unbewegt an ihrem Platz hocken:
Sous les ifs noirs qui les abritent,
Les hiboux se tiennent rangés,
Ainsi que les dieux étrangers,
D ardant leur æil rouge. II méditent
(Les H iboux, Fleurs 67, 1-4).
Die Starrheit des Tierblicks schreibt Baudelaire auch mythologischen Fabelwesen zu:
Plonge tes yeux dans les yeux fixes
Des Satyresses ou des Nixes . . .
(L ’A vertisseu r, N o u velles Fleurs 4, 5/6).
Aber nicht nur die Starrheit ist das fiir ihn Bemerkenswerte. Voller Verzweiflung, mit dem verstdrten Blick eines verwundeten Tiers sucht die nach Paris
verschlagene Negerin das Bild der heimatlichen Kokospalmen:
K u rt Reichenberger
11 4
Je pense å la négresse, am aigrie et phtisique,
Piétinant dans la boue, et cherchant, l’ceil hagard,
Les cocotiers absents de la superbe A frique
D erriére la m uraille immense du brouillard
(Le C ygne, F leurs 89, 13-16).
Noch deutlicher kommt das in einem Jugendgedicht zum Ausdruck, das Louchette gewidmet ist, jenem armen Wesen, das sich verschiichtert um die
StraBenechen driickt:
E t la téte et l’æil bas comm e un pigeon blessé
T rain an t dans les ruisseaux un talon déchaussé
(Je n’ai pas pour m aitresse une lionne illustre,
Crépet/B lin, ed. crit. p. 342).
Ein geheimes Grausen erregt die ausdruckslose Leere des blinden Auges:
Contemple-les, m on åme; ils sont vraim ent affreux!
Pareils aux mannequins; vaguem ent ridicules;
Terribles, singuiiers, comm e les som nambules;
D ardant on ne sait ou leurs globes ténébreux.
Leurs yeux, d ’ou la divine étincelle est partie,
Com m e s’ils regardaient au loin, restent levés
A u ciel; on ne les voit jam ais vers les pavés
Pencher réveusement leur téte appesantie
(L es A veu gles, Fleurs 92, 1-8).
Oder die leeren Augenhohlen im Gesicht des Gehenkten in Un Voyage å Cythére (Fleurs 116, 33/4: L es yeux étaient deux trous). Vollends grauenerregend
ist der weiBliche Blick der im Tode gebrochenen und verdrehten Augen in Une
Martyre:
Semblable aux visions påles qu ’enfante l’om bre
E t qui nous enchainent les yeux,
L a téte, avec l’amas de sa criniére som bre
E t de ses bijoux précieux,
Sur la table de nuit, comm e une renoncule,
Repose; et, vide de pensers,
Un regard vague et blanc comm e le crépuscule
S’échappe des yeux révulsés
(Fleurs 110, 13-20).
Als Pendant zu dem erloschenen Leben des jungen Mådchens sind die Dinge
in ihrer Umgebung zu gespenstischen Leben erwacht und blicken mit seltsamer
Starre ins Leere:
Auge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
U n bas rosåtre, orné de eoins d’or, å la jam be,
Comm e un souvenir est resté;
La jarretiére, ainsi qu ’un æil secret qui flambe,
D arde un regard diam anté
(ibid. 25-28).
M an ist an den Beginn von Correspondances erinnert: Der Mensch schreitet
durch einen Wald von Symboien, die ihn mit zudringlich vertraulichen Blicken
beobachten (Fleurs 4,4). Oder die eindrucksvolle Schilderung der friihmorgendlichen Stimmung in L e Crépuscule du Matin:
C ’était l’heure ou l’essaim des réves m alfaisants
T ord sur les oreillers les bruns adolescents;
Ou, comm e un æil sanglant qui palpite et qui bouge
L a lam pe sur le jour fait une tache rouge
(Fleurs 109, 3-6).
In Je n’ai pas oublié, voisine de la ville beobachtet die Sonne als groBes Auge
an einem neugierigen Himmel das in Schweigen verlaufende Nachtmahl des
Dichters:
E t le soleil, le soir, ruisselant et superbe,
Qui, derriére la vitre ou se brisait sa gerbe,
Semblait, grand æil ouvert dans le ciel curieux,
Contem pler nos diners longs et silencieux
(Fleurs 99, 5-10).
In L es Plaintes d ’un lcare klagt der mit zerschmetterten Gliedern am Boden
liegen A stronaut der Venus:
En vain j’ai voulu de l’espace
T rouver la fin et le milieu;
Sous je ne sais quel æil de feu
Je sens mon aile qui se casse
(N ou velles Fleurs du M a l 9, 9-12).
Baudelaire gem noch einen Schritt weiter. Die dichterische Verlebendigung
der Dingwelt wird iibertroffen durch eine Verlebendigung des Transzendenten.
Die Gedanken, die nicht ablassen, die ungetreue Geliebte mit Flammenaugen
zu betrachten, sind von halluzinatorischer Eindringlichkeit:
T u verras les Pensées, rangés comme les Cierges
D evant l’autel fleuri de la Reine des Vierges,
Étoilant de reflets le plafond peint en bleu,
Te regarder toujours avec des yeux de feu
(A une M adon e, F leurs 57, 29-32).
K u rt Reichenberger
116 Wir verlassen nunmehr den Bereich den Zuståndlichkeit des Auges und wenden uns der Deutung zu, die der Blick eines Augenpaares aufgrund offenbarer
oder auch nur verraeintlich offenbarer Symptome in der (Jmwelt erfåhrt. Die
Unsicherheit der Deutung kann bis in die sprachliche Formulierung hinein andauern. In Parfum Exotique hat der Dichter die Vision einer Insel mit iippiger
tropischer Vegetation und in paradiesischer Unschuld lebender Menschen:
Des hommes dont le corps est mince et vigoureux,
Et des femmes dont l’æil par sa franchise étonne
(.Fleurs 22, 7/8).
Meist wird jedoch, zumindestens vom Dichter her, klar entschieden durch
Zuordnung determinierender Epitheta, deren Reichtum fiir die seelische Potenz des Dichters spricht. Das Reich der Schonheit impiiziert dariiber hinaus
die Anwendung einer gehaltlichen Antithetik. Das Auge der Gelieben erscheint dem Dichter bald zårtlich und hingebungsvoll, dann wiederum kalt
und grausam, ein Gegensatz, der sich in vielen Varianten durch die Dichtung
Baudelaires zieht. An einer Bronzeplastik im Renaissancegeschmack, die eine
elegante Frauengestalt darstellt, bewundert er:
Ce long regard sournois, langoureux et m oqueur
(Le M asque, Fleurs 20, 10),
der Schonheit ruft er zu:
. . . ton regard, infernal et divin,
Verse confusém ent le bienfait et le crim e
(H ym ne å la Beauté, 21, 2/3).
Jeanne apostrophiert er bald als:
Sorciére aux yeux alléchants
(Chanson d ’A prés-m idi, F leurs 5 8 ,4 ),
bald gesteht er ihr dankbar:
E t puis tu mets sur mon cæ ur
Ton æil doux comm e la lune
(ibid. 31/32).
oder er preist sichtlich bewegt:
Des grands yeux si fervents et si tendres
(Un F antom e, Fleurs 38, 4, 3).
Der Blick der Femme aux yeux verts erscheint:
A lternativem ent tendre, cruel, réveur
(C iel Brouillé, F leurs 50, 3).
A uge und B lick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Das Auge der Passante enthålt nebeneinander:
La douceur qui fascine et le plaisir qui tue
(A une Passante, Fleurs 93, 8).
Die bezwingende Gewalt, die von den Augen einer schonen Frau ausgeht,
beschåftigt den Dichter besonders in H ym ne å la Beauté:
Tu contiens dans ton æil le couchant et l’aurore;
T u répands des parfum s comm e un soir orageux;
Tes baisers sont un philtre et ta bouche une am phore
Qui font le héros låche et l’enfant courageux
(Fleurs 21, 5-8).
Que tu viennes du ciel ou de l’enfer, qu ’im porte,
O Beauté! m onstre énorm e, effrayant, ingénu!
Si ton æil, ton souris, ton pied, m ’ouvrent la porte
D ’un Infini que j’aime et n’ai jam ais connu?
(iIbid. 21-24).
D e Satan ou de Dieu, qu’im porte? Ange ou Sirene,
Q u’im porte, si tu rends, - fée aux yeux de velours,
R hythm e, parfum , lueur, 6 m on unique reine! L ’univers moins hideux et les instants moins lourds?
(ibid. 21, 25-28).
Ihre M acht iiber die Menschen iibt sie aus mit jenem låssigen Gleichmut, der
zu den unveråuBerlichen Privilegien der Schonheit gehort. Baudelaire versagt
dem nicht seine Zustimmung, wenn er der Vénus noire zuruft:
O toi qui . . .
Foules d ’un pied léger et d’un regard serein
Les stupides mortels qui t’ont jugée amére
(Je te donne ces vers afin que si ton nom ,
Fleurs 39, 13/4).
oder feststellt:
Tes yeux . . .
U sent insolem ment d ’un pouvoir em prunté,
Sans connaitre jam ais la loi de leu r beauté
(Tu m ettrais l’univers entier dans ta ruelle,
Fleurs 35, 7/8).
Es gibt freilich auch Stellen in den Gedichten des jungen Baudelaire, an denen
die M acht des Auges —ein wichtiger Hinweis fiir die innere Biographie des
Dichters - noch uneingeschrånkt positiv bewertet ist. In dem Sonett A une
D am e Créole, das im Jahre 1841 im AnschluB an seinen Aufenthalt auf St.
Mauritius entstand, beschreibt er die Gattin seines Gastgebers, Autard de
Bragard, als eine hochgewachsene, schlanke Frau mit ruhigem Lacheln und
1
K urt Reichenberger
118 sicher blickenden Augen (Son sour ir e est tranquille et ses yeux assurés). Dann
redet er sie an:
Si vous alliez, M adam e, au vrai pays de gloire,
Sur les bords de la Seine ou de la verte Loire,
Belle digne d’orner les antiques manoirs,
Vous feriez, å l’abri des ombreuses retraites,
G erm er mille sonnets dans le cæ ur des poetes,
Que vos grands yeux rendraient plus soumis que vos noirs
(A une D am e C réole, F leurs 61, 9-14).
Eine Kindheitserinnerung ist die Stelle in La servante au grand cæur dont vous
étiez jalouse. Baudelaire sieht vor seinem geistigen Auge die alte Dienerin:
G rave, et venant du fond de son lit éternel
C ouver l’enfant grandi de son æil m aternel
(Fleurs 100, 19/20).
Alles, was sie fiir den nunm ehr herangewachsenen Knaben empfindet, liegt
in ihrem Blick beschlossen. Die Wesensschau begegnet aber auch bei anderen
Gestalten, die sich uns durch den Blick ihres Auges enthiillen. Die Eingeborene
von der M alabarkiiste hångt mit gedankenvoll abwesendem Auge den Traumen von einer fernen Heimat nach (A une Malabaraise, Épaves 20). In L e Jeu
besucht der Dichter eine Spielholle. Im Hintergrund sitzen die verblichenen
Schonheiten des Hauses, erkenntlich am einladend entflammten Blick:
Dans des fauteuils fanés des courtisanes vieilles,
Påles, le sourcil peint, l’æil cålin et fatal,
M inaudant, et faisant de leurs maigres oreilles
T om ber un cliquetis de pierres et de métal . . .
(Fleurs 96, 1-4).
Denselben Blick, diesmal auf ein bestimmtes Objekt gerichtet, beschreibt der
Anfang von L e Vin du Solitaire. Eine girlandenartig verschwebende Satzfiigung bringt das vage Andeutende, zugieich aber Bedeutungsvolle einer heimlichen Lockung mit syntaktischen Mitteln zum Ausdruck. Parallel damit låuft
die impressionistische Evokation einer welligen Wasserflache, welche die
Dingwelt nur verschwommen wiederspiegelt:
Le regard singulier d’une fem m e galante
Qui se glisse vers nous comm e le rayon blanc
Que la lune onduleuse envoie au lac trem blant,
Quand elle y veut baigner sa beauté nonchalante . . .
(Fleurs 107, 1-4).
Auge und B lick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
Die Unruhe der Augen Louchettes (Ses grand yeux inquiets, durant la nuit 119
cruelle, croient voir deux autres yeux au fond de la ruelle, in Je n’ai pas pour
maitresse une lionne illustre, Crépet/Blin, éd. crit. p. 342) ist Ausdruck einer
inneren Unsicherheit und Gequåltheit. Die Deutung des Dichters hat in vielen
Fallen die Form einer kategorischen Aussage. Vergleichen wir den Beginn
von L e Jet d ’Eau:
Tes beaux yeux sont las, pauvre amante!
Reste longtemps, sans les rouvrir,
Dans cette pose nonchalante
Ou t’a surprise le plaisir
(É paves 8, 1-4).
Oder die Beschreibung des unheimlichen Alten aus L es Sept Vieillards, wo
die Gestalt des urteilenden Betrachters in exorbitant gestelltem M ’apparut und
vorsichtig wågendem On eut dit in Erscheinung tritt:
T out å coup, un vieillard dont les guenilles jaunes
Im itaient la couleur de ce ciel pluvieux,
E t dont Faspect aurait fait pleuvoir les aumones,
Sans la m échanceté qui luisait dans ses yeux
M ’apparut. On eut dit sa prunelle trem pée
Dans le fiel; son regard aiguisait le frimas,
Et sa barbe å longs poils, roide comm e une épée,
Se projetait, pareil å celle de Judas
(Fleurs 90, 13-20).
Der Dichter nimmt selbst teil am Leben seiner Gestalten, und zwar vor allem
in der Rolle des interessierten Beobachters.
Das spricht er gelegentlich auch aus. In Le Jeu heiBt es:
Voila le noir tableau qu’en un réve nocturne
Je vis se dérouler sous mon æil clairvoyant
(Fleurs 96, 13/14).
In L e Balcon versucht er im Dunkel der Nacht den Gesichtsausdruck der Geliebten zu erkennen:
La nuit s’épaississait ainsi qu’une cloison
Et mes yeux dans le noir devinaient tes prunelles
(Fleurs 36. 16/17).
In Les Petites Vieilles berichtet er von seiner Neigung zu fortgesetzter Beobachtung:
Je guette, obéissant å mes humeurs fatales.
Des étres décrépits, singuliers et charm ants
(Fleurs 91, 3/4).
K urt Reichenberger
120 So kann er dann in L e Coucher du Soleil Rom antique von sich behaupten:
Je me souviens! J ’ai vu tout, fleur, source, sillon,
Se påm er sous son æil com m e un cæ ur qui palpite . . .
(E paves 1, 5/6).
Satan, der des Dichters Leidenschaft kennt, erscheint ihm in der Gestalt verlockender Frauen und sucht sein Auge zu verwirren:
I! me conduit ainsi, loin du regard de Dieu,
H aletant et brisé de fatigue, au milieu
Des plaines de l’Ennui, profondes et désertes,
Et jette dans mes yeux pleins de confusion
Des vétem ents souillés, des blessures ouvertes
Et l’appareil sanglant de la D estruction
(La D estru ction, Fleurs 109, 9-14).
Die eingangs in Pascals Schriften aufgewiesene wechselseitige Verbindung von
Auge und Herz wird bei Baudelaire dichterisch wirksam. In L es Litanies de
Satan verråt sich der culte de la plaie et l’amour des guenilles, der die Herzen
der filles einnimmt im Blick des Auges ( Fleurs 120, 37/8). In Femmes Dam nées weiht Delphine, das Auge von seherischem Feuer erfiillt, die zarte Hippolyte in die Arcana des Kultes ein und sucht in ihrem Auge Zeichen der Wollust und Dankbarkeit:
Elle cherchait dans l’æil de sa påle victime
Le cantique m uet que chante le plaisir,
E t cette gratitude infinie et sublime
Qui sort de la paupiére ainsi qu ’un long soupir
(É paves 3, 21, 24).
Auch der Dichter sucht die seelischen Regungen seiner Gestalten an den Symptomen ihres Blicks zu erraten. So gesteht er in La Géante:
J ’eusse aimé voir son corps fleurir avec son åme
Et grandir librem ent dans ses terribles jeux;
D eviner si son cæ ur couve une som bre flamm e
Aux humides brouillards qui nagent dans ses yeux
(Fleurs 19, 5-8).
in Sonnet d ’A utom ne ist das Fragende des Frauenblicks eingegangen in die
syntaktische Darbietung. Die Augen selbst stellen verwundert die Frage nach
dem Grund ihrer Erwåhlung:
Ils me disent, tes yeux, clairs comme le cristal:
»Pour toi, bizarre am ant, quel est done mon mérite?«
(Fleurs 64, 1/2).
A uge und Blick als lyrisches M otiv in Baudelaires Fleurs du mal
In impressionistischer Darstellungstechnik wird damit der fiir die Aussage 121
(und die Deutung) entscheidende Teil des Antlitzes hervorgehoben.5 Ein stummer Dialog ist das Ineinandertauchen der Augen in A une Passante. Es hat
geniigt, die beiden ihre schicksalhafte Verbundenheit innewerden zu lassen,
die die Trennung um so schmerzlicher erscheinen låBt (Fleurs 93, 5-14). Eine
Sprache ganz anderer Art, schmachtend, herausfordernd, provozierend, sprechen Augen und Blick in L es Prom esses d ’un Visage. Die iiberaus dichte syntaktische Fiigung evoziert zunåchst die dunkle Glut der Augen auf dem Umweg iiber die Farbe eines geschmeidigen Schwarzhaars. Dann trifft den Dich­
ter ein Schlafzimmerblick:
Tes yeux, qui sont d’accord avec tes noirs cheveux,
Avec ta criniére élastique,
Tes yeux, languissam ment, me disent: <Si tu veux,
A m ant de la muse plastique.
Suivre l’espoir qu’en toi nous avons excité,
Et tous ies gouts que tu professes,
T u pourras constater notre véracité
Depuis le nom bril jusqu’aux fesses
(É paves 11, 5-12).
Man hat wiederholt den Versuch gemacht, die von Baudelaire fiir die dritte
Ausgabe vorgesehenen Stiicke in den Gesamtplan der Fleurs du M al einzuarbeiten. Unternehmungen dieser Art sind grundsåtzlich nicht ohne Problema­
tik. Aber wollte man dennoch dem Gedicht in einer »idealen« Ausgabe der
Fleurs seinen Platz anweisen, so wåre vom Thema her die Stelle nach L ’A m our
du M ensonge (Fleurs 98) in Vorschlag zu bringen: dort der Zweifel des Dichters an der Wahrhaftigkeit eines schonen Auges, hier seine kokette Replik.
5. Z ur Verselbstandigung des Auges und anderer K orperteile vgl. auch B énediction:
V ers le Ciel, ou son æil voit un trone splendide,
Le Poete serein leve ses bras pieux.
(Fleurs 1, 53/4).