Bücher am Sonntag - Neue Zürcher Zeitung

Transcription

Bücher am Sonntag - Neue Zürcher Zeitung
Nr. 6 | 28. Juni 2015
NZZ am Sonntag
Saint-Exupéry
Viel Geld mit
dem kleinen
Prinzen
14
Löwensucher
Kenneth
Bonerts grosse
Familiensaga
4
Jugendbuch
Ferientipps
für Kinder
ab 6 Jahren
12
Scham
Die Kraft eines
unterschätzten
Gefühls
18
Bücher
am Sonntag
Die kritische Bibliothek
der Unfreiheit
Neu
Eine Sammlung klassischer Texte der Entmündigung mit Wirkungsgeschichte der wichtigsten
politischen Manifeste der Unfreiheit. Nach
einer kurzen Darstellung von Kontext und
Biografie folgt eine pointierte Inhaltsangabe,
danach wird aus liberaler Warte Stellung dazu
bezogen. Mit aussagekräftigen Zitaten und
Literaturhinweisen.
Die Werke schlagen den Bogen von der Antike
bis heute, vom Westen bis zum Osten, von der
Rechtfertigung eines milden Paternalismus bis
zur Verherrlichung brutaler Unterjochung. Von
Platon bis Piketty, von Wagenknecht bis Mao,
von Habermas bis Lenin.
Karen Horn (Hrsg.)
Verlockungen zur Unfreiheit
Eine kritische Bibliothek von 99 Werken
der Geistesgeschichte.
2015, 416 Seiten,
gebunden mit Schutzumschlag.
Fr. 48.– / € 48.–
nzz-libro.ch
Inhalt
Vomausserirdischen
Blondschopf und
einer Ökologin, die
die Welt retten will
Antoine de SaintExupéry (S. 14).
Illustration von
André Carrilho
Belletristik
4
Kenneth Bonert: Der Löwensucher
Von Alexis Schwarzenbach
6 J. F. Dam: Die Nacht der verschwundenen Dinge
Von Jürg Scheuzger
Andreas Maier: Der Ort
Von Regula Freuler
7 Paul Harding: Verlust
Von Simone von Büren
8 Antonia Baum: Ich wuchs auf einem
Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von
Radkappen und Stossstangen zu ernähren
Von Sieglinde Geisel
9 Lea Singer: Anatomie der Wolken
Von Stefana Sabin
W. Smerling, T. Bezzola, F. Ullrich: China 8
Von Gerhard Mack
10 Davide Longo: Der Fall Bramard
Von Sandra Leis
11 Dagny Gioulami: Alle Geschichten,
die ich kenne
Von Martin Zingg
Kurzkritiken Belletristik
11 Wolfgang Bortlik: Spätfolgen
Von Manfred Papst
Adrian Witschi: Hoffentlich ist niemand verletzt
Von Regula Freuler
Daniel Kehlmann: Kommt, Geister
Von Regula Freuler
Joseph Zoderer: Dauerhaftes Morgenrot
Von Manfred Papst
Kinder- und Jugendbuch
12 Stefan Boonen: Ein Mädchen, sieben
Pfannkuchen und ein roter Koffer
Von Christine Knödler
Chris Riddell: Ada von Goth und die Geistermaus
Von Verena Hoenig
Christian Frascella: Bet empört sich
Von Daniel Ammann
Wissen Sie, was ein «Pölözöst» ist? Dann blättern Sie rasch auf Seite 12, wo
vom Märchen «Ein Mädchen, sieben Pfannkuchen und ein roter Koffer» die
Rede ist. Wie immer im Sommer sollen Tipps für 6- bis 14-Jährige Lust aufs
Lesen wecken. Wenn Sie also mit Ihrem Nachwuchs an den Strand oder in
die Berge reisen, stecken Sie doch ein paar Bücher ins Gepäck. Strahlende
Kinderaugen werden es Ihnen am Ende der Ferien danken.
Über ein wunderschönes Buch, das Generationen von Jugendlichen
bezaubert hat, schreibt Manfred Papst: «Der Kleine Prinz» erzählt von
einem Jungen, den es von einem Asteroiden auf die Erde verschlagen hat
und der dort auf einen notgelandeten Flieger trifft. Das Jahrhundertwerk
des schriftstellernden französischen Piloten Antoine de Saint-Exupéry
wird auch heute noch neu übersetzt und immer wieder aufgelegt (S. 14).
Wer einen Schuss Romantik braucht: Bitte lesen!
Weitere berührende Literatur finden Sie im Belletristik-Teil, zum Beispiel
den Schelmenroman «Der Löwensucher» von Kenneth Bonert (S. 4). Eher
intellektuelle Anregung bieten im Sachbuch-Teil das Plädoyer der
US-Umweltprofessorin Jennifer Jacquet, die im Gefühl der Scham eine
politische Kraft entdeckt, die es gesellschaftlich zu nutzen gelte (S. 18),
oder Jan Assmanns Auseinandersetzung mit dem Gründungsmythos der
monotheistischen Religionen, dem biblischen «Exodus» (S. 21). Wir freuen
uns auf ein Wiederlesen am 30. August. Urs Rauber
Karin Bruder: Haifische kommen nicht an Land
Von Christine Knödler
Gideon Samson: Doppeltot
Von Andrea Lüthi
13 Anna Crausaz: Die Vögel auf dem Apfelbaum
Britta Teckentrup: Alle Wetter
Von Hans ten Doornkaat
Katja Brandis: Floaters –
Im Sog des Meeres
Von Sabine Sütterlin
Das ultimative
Überlebenshandbuch – Outdoor
Von Andrea Lüthi
Reiner Engelmann: Der Fotograf
von Auschwitz
Von Christine Knödler
Claire A. Nivola: Das blaue Herz
des Planeten
Von Verena Hoenig
Essay
14 Riesengeschäfte mit dem kleinen Prinzen
Manfred Papst erklärt, warum 2015 so viele
Neuübersetzungen des Saint-ExupéryKlassikers «Le Petit Prince» erscheinen
Kolumne
17 Charles Lewinsky
Das Zitat von Francis Bacon
Kurzkritiken Sachbuch
17 Ulrich L. Lehner: Mönche und Nonnen
im Klosterkerker
Von Urs Rauber
Alfie Kohn: Der Mythos des verwöhnten Kindes
Von Kathrin Meier-Rust
Eva Illouz: Israel
Von Kathrin Meier-Rust
Michael Furger, Chanchal Biswas: Der Kult
um unser Essen
Von Simone Karpf
Sachbuch
18 Jennifer Jacquet: Scham
Von Kirsten Voigt
20 Werner Vogt: Winston Churchill
und die Schweiz
Von Urs Bitterli
Loretta Napoleoni: Die Rückkehr des Kalifats
Von Susanne Schanda
21 Jan Assmann: Exodus. Die Revolution
der Alten Welt
Von Kathrin Meier-Rust
22 Max Tobler: «Die Welt riss mich». Aus der Jugend
eines Rebellen
Von Urs Rauber
23 GregWoolf:Rom
Von Geneviève Lüscher
Stefanie Carp: Barbara Ehnes –
Alles auf Anfang
Von Simone Karpf
24 Bernard Imhasly: Indien
Von Jörg Fisch
Karl Sigmund: Sie nannten sich «Der Wiener
Kreis»
Von André Behr
25 Rainer Moritz: Wer hat den
schlechtesten Sex?
Von Berthold Merkle
26 Katharina Raabe, Manfred Sapper:
Testfall Ukraine
Von Reinhard Meier
Das amerikanische Buch
Thomas Kunkel: Man in Profile. Joseph Mitchell
of The New Yorker
Von Andreas Mink
Agenda
27 Corina Flühmann: Weststrasse
Von Regula Freuler
Bestseller Juni 2015
Belletristik und Sachbuch
Agenda Juli 2015
Veranstaltungshinweise
Chefredaktion Felix E.Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura., Leitung), Regula Freuler (ruf.), Simone Karpf (ska.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Hildegard Elisabeth Keller, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Sandra Leis, Charles Lewinsky, Andreas Mink, Klara Obermüller,
Angelika Overath, Martin Zingg Produktion Eveline Roth, Björn Vondras (Art Director), Susanne Meures (Bildredaktion), Manuela Klingler (Layout), Korrektorat St.Galler Tagblatt AG
Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 0442581111, Fax 0442617070, E-Mail: [email protected]
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Roman Der in Südafrika geborene Autor Kenneth Bonert beschreibt in seinem grandiosen Erstling das
Schicksal einer jüdischen Familie, die es von Litauen nach Johannesburg verschlägt
Lebenspraller
Epochenroman
Kenneth Bonert: Der Löwensucher.
Diogenes, Zürich 2015. 800 Seiten,
Fr. 37.90, E-Book 30.–.
Von Alexis Schwarzenbach
Es ist lange her, seit ich einen 800-Seiten-Roman verschlungen habe, aber die
Figuren in Kenneth Bonerts Erstling «Der
Löwensucher» haben es mir angetan.
Allen voran Isaac Helger, den wir zu Beginn des Buches als frechen jüdischen
Bengel auf einem Auswandererschiff
kennenlernen, das ihn und seine Familie
kurz nach dem Ersten Weltkrieg von Litauen nach Südafrika bringt. Er schert
sich nicht darum, was seine Eltern wollen und worüber sie grübeln, betritt unbekümmert das neue Land, die neue
Stadt – Johannesburg. Die Helgers sind
arm und wohnen zur Miete in einem
schäbigen Haus in Doornfontein, neben
anderen litauischen Juden und ein paar
nationalistischen Afrikaanern.
Isaac erkundet seine neue Heimat und
geht selbstverständlich auch zu den
Schwarzen, die damals in den Innenstädten noch toleriert werden. Doch als er
von einer dieser Exkursionen einen
weissen Welpen nach Hause bringt, werden Grenzen gezogen. Die resolute Mutter Gitelle, die bei der Ankunft sofort die
im Hinterhof wohnende schwarze Haus4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
haltshilfe als Schickse identifiziert und
rauswirft, zwingt den Jungen, den Hund
abzugeben, und zwar an eine seiner
neuen Bekannten. Ihr verkauft Gitelle
unter der Hand Alkohol weiter, den
Schwarze damals schon nicht mehr ohne
weiteres selber kaufen durften. Beim
nächsten Mal gibt sie den Hund gratis
dazu.
Getragen wird der Roman von Isaacs
Familie, deren Schicksal im Mittelpunkt
der Erzählung steht. Da ist zunächst die
Mutter, deren Gesicht von einem Ereignis in der alten Heimat, über das sie nicht
spricht, verstümmelt ist. Die Verunstaltung verbirgt sie hinter einem Schleier,
der sich auch metaphorisch über alles
legt, was in Litauen passiert ist, als das
Land noch Teil Russlands war. Gitelle
träumt von einem besseren Leben,
einem eigenen Haus, Wohlstand. Sie
setzt alle ihre Hoffnungen auf den Sohn,
dem sie in ständig wechselnden Business-Phantasien riesige Gewinnchancen
vorrechnet, deren Erfolg genauso ausbleibt wie bei den allermeisten Goldgräbern, die Jahrzehnte vor den Helgers
nach Südafrika gezogen sind auf der
Suche nach Glück.
Der Vater hingegen, auch er gezeichnet von einem russischen Ereignis, ist
wortkarg und bescheiden. Er ist Uhrmacher und flickt Chronometer, der stille
Mittelpunkt einer Familie, die eine Zeit
hinter sich gelassen hat, ohne damit abzuschliessen. Isaacs Schwester Rively
schliesslich ist strebsam und intelligent.
Sie interessiert sich im Gegensatz zu
ihrem lernfaulen Bruder nicht nur für die
Schule, sondern auch für die Politik. Obwohl sie nur ganz am Rand der Erzählung auftaucht, zeigt Rively den Helgers
durch einen selbstbestimmten Lebensentwurf einen Ausweg aus der Sackgasse, in die die Familie in Südafrika hineingerät.
Liebe zu Karossen
Statt für die Schule schlägt Isaacs Herz
für Autos. Nachdem er sich dummerweise in seine Lehrerin verliebt hat und
wegen eines herrlich grotesken Vorfalls
von der Schule fliegt, beschliesst er,
Automechaniker zu werden, auch wenn
Gitelle das gar keine gute Idee findet.
Wie immer, wenn es um etwas ganz
Wichtiges geht, schimpft sie auf Jiddisch: «A mechanic is asój wi a schwarzer.» Trotzdem setzt sich Isaac durch
und lernt kaputte Autos auszubeulen
und zu reparieren, bis man ihnen die Unfälle nicht mehr ansieht, in die sie verwickelt waren – auch das ein treffendes
Symbol für die von allerlei Ungemach gezeichneten Helgers.
Isaacs Liebe zu Autos lässt ihn aus der
Enge des Elternhauses ausbrechen und
führt ihm neue Menschen zu. Neben
ERNST HAAS / GETTY IMAGES
RICHARD DUBOIS
Unterwegs mit
dem Auto: Der
«Löwensucher»
führt uns von der
Stadt Johannesburg
hinaus auf das
südafrikanische Veld
(Foto 1954).
Autor Kenneth Bonert
(unten).
schwarzen Arbeitskollegen, mit denen er
sich bestens versteht und von denen er
viel lernt, findet Isaac in Hugo Bleznik
den älteren Bruder, den er nie hatte.
Hugo ist freier Handelsreisender, und
obwohl seine Geschäftsideen kaum besser sind als diejenigen Gitelles, ist Scheitern mit Hugo deutlich lustiger. Und
dank Autos lernt Isaac auch Yvonne
Linhurst kennen, deren Vater einen der
wenigen Cadillacs in Südafrika besitzt,
was den Jungen fast genauso fasziniert
wie die schöne Tochter.
Eine Spritztour in der edlen Karosse
endet im Township Orlando, wo Yvonne
und Isaac in arge Bedrängnis geraten.
Während damit die von bitterer Armut
und bewusster infrastruktureller Vernachlässigung geprägte Realität der
Apartheid direkt in den Blickwinkel des
Romans gerückt wird, erzählt er gleichzeitig vom Schicksal der in Europa verbliebenen Verwandten der Helgers. In
den 1930er Jahren gerät Litauen unter
immer grösseren Druck seiner deutschen
und sowjetischen Nachbarn, aber wie
fast alle Staaten nimmt auch Südafrika
just dann fast keine jüdischen Einwanderer mehr auf.
Eine der grossen Leistungen des Romans besteht darin, dass es Kenneth
Bonert gelingt, zwei Grosserzählungen
des 20. Jahrhunderts, die Rassentrennung in Südafrika und den Holocaust in
Europa, nicht nur zu verbinden, sondern
in der Figur von Isaac Helger auch einen
Protagonisten zu schaffen, der sich beidem durch Frechheit, Mut und Lebenslust immer wieder entziehen kann. Dass
sich der unerschrockene Grenzgänger
den grossen Themen schliesslich dennoch stellt und Kenneth Bonert dafür
überzeugende, neue Bilder findet, unterstreicht das grosse Talent des 1972 in Johannesburg geborenen Autors.
Ein anderes Südafrika
Inzwischen lebt Bonert nicht mehr in
Südafrika, sondern ist mit seinen Eltern
schon als 17-Jähriger nach Kanada ausgewandert. Sein Buch ist daher auch ein
Tribut an eine verlassene Heimat, deren
literarische Landschaft in den letzten
Jahrzehnten von einem heute ebenfalls
ausgewanderten Autor entscheidend geprägt wurde, J. M. Coetzee. Vermutlich
gerade weil dem Autor das Coetzee’sche
Terrain bestens bekannt sein dürfte,
erleben wir dank Isaac Helger ein ganz
anderes Südafrika.
Frech und unbekümmert wie sein
Protagonist schreibt Kenneth Bonert
gegen eine unheimliche, von konkreten
politischen Ereignissen losgelöste Landschaft an und verwebt seinen Roman direkt mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und obwohl die Erzählung lange
Zeit auf den Stadtraum Johannesburgs
beschränkt bleibt, wagt sich Bonert auch
hinaus auf das Veld, die Quintessenz der
von den Buren erfundenen südafrikanischen Landschaft.
Zunächst fährt Issac zusammen mit
dem Handelsreisenden Hugo Bleznik
hinaus aufs Land, um gutgläubigen Bauern neumodischen Mist anzudrehen.
Beim zweiten Mal sitzt Mutter Gitelle auf
dem Beifahrersitz. In einem geliehenen
Austin lässt sie sich von ihrem Sohn zum
einzigen Verwandten fahren, der es auch
aus Litauen nach Afrika geschafft hat,
Avrom Suttner.
Mit Hilfe des erfolgreichen Geschäftsmanns hofft Gitelle Ausreisevisa für ihre
in Litauen verbliebenen Schwestern zu
erhalten. Beim Besuch auf der Farm Suttners, von dessen Existenz Isaac zuvor
noch nie etwas gehört hatte, verdichten
sich die Erzählstränge des Buches, lichten sich erste Schleier, fallen neue hinab
und verwirren Leser und Protagonisten
gleichermassen. Vor dem Hintergrund
der eigenen jüdisch-südafrikanischen
Familiengeschichte und einer jener
Grossmütter, die bekanntermassen zu
den besten Buchinspiratorinnen überhaupt zählen, überzeugt Kenneth
Bonerts grandioser Familien- und
Epochenroman durch filigran ziselierte
Charaktere im Spannungsfeld zwischen
Grausamkeit und Liebe, Zukunft und
Vergangenheit. ●
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Belletristik
Roman Der österreichische Autor J. F. Dam variiert in seinem neuen Buch das Werther-Motiv,
eingebettet in eine moderne Liebesgeschichte
GnadenlosschlägtdieLeidenschaftzu
Von Jürg Scheuzger
Der Roman beginnt mit einem tödlichen
Schlangenbiss in Burma und endet mit
einem möglicherweise tödlichen Verkehrsunfall in den europäischen Bergen.
Dazwischen erzählt der österreichische
Erzähler J. F. Dam in «Die Nacht der verschwundenenDinge»eineLeidenschaftsGeschichte im 21. Jahrhundert – nach
dem Muster von Goethes «Werther».
J. F. Dam, geboren 1963, hat Sanskrit
und indische Philosophe studiert, Bücher über den Hinduismus geschrieben
und 2013 den Kriminalroman «Der dritte
Berg» veröffentlicht, der den Kenntnissen des Autors über indische Weisheit
viel verdankt. Und nun also ein Roman
über europäische Stadtmenschen und
die sogenannte Liebe.
Leidenschaft braucht keinen Grund,
sie schlägt einfach zu. Thomas, recht
erfolgreich als Architekt, nichtssagend
verheiratet mit der schönen Modedesignerin Christina, sieht nach einem
Messiaen-Konzert Helen, die Frau seines
besten Freundes, wie zum ersten Mal
und ist fortan für das Leben verloren.
«Ich war berührt worden. […] Ich war ein
Ausgestossener. Schon in dieser Nacht
war ich so gut wie tot.»
Der Autor hält sich nicht streng an das
Werther-Muster, aber es ist stets zu erkennen. Der erste Teil des Romans ist ein
Bericht von Thomas über den Beginn seiner ausweglosen Leidenschaft, der zweite Teil ist sein Tagebuch, und eine lange
Mail Christinas zeigt ihre Sicht der Ereignisse. Bericht und Tagebuch erlauben
ein subjektives Schreiben ohne Hemmungen, stil- und geschmacklos; Helen
hat ein «Botticelli-Gesicht», sie ist «die
grösste Liebe des Lebens», und Thomas
kann schreiben: «Niemals noch habe ich
eine Frau so begehrt.» Er kann bedenkenlos Metaphern aneinanderreihen:
«Ich verblute in der Abenddämmerung
zwischen rauchenden Himmeln und Verheissungen auf das höchste Paradies, das
fünfzehn Minuten lang neben mir im
Wagen sitzt.» Vielleicht hat der Autor
beim Schreiben dieses Satzes gelächelt.
Dem literarischen Vorbild entspricht
auch die Zeichnung der Figuren: Thomas’ Freund Michael, der Schatten von
Goethes Albert, ist ein fader Bildungsbeamter, und Helen, die Lotte-Figur, ist
eine «engelhafte» Muttergestalt, von der
GETTY IMAGES
J. F. Dam: Die Nacht der verschwundenen
Dinge. Deuticke/Zsolnay, Wien 2015.
208 Seiten, Fr. 27.90, E-Book 21.90.
In J. F. Dams
Roman fängt ein
erfolgreicher
Architekt Feuer für
die Frau seines besten
Freundes.
niemand, auch Thomas nicht, weiss, ob
sie wahrhaft liebt, ob sie sich eine kleine
Affäre wünscht oder ob sie tugendhaft
ein wenig leidet. Thomas’ Suizid-Phantasien verdichten sich, und der finale
Autounfall kann bewusst herbeigeführt
worden sein – vom betrogenen Freund.
Der Roman handelt in einer Grossstadt, wahrscheinlich in Wien, wo, satirisch überhöht, ein Glasturm, ein aufdringliches Dingsymbol, errichtet wird.
Die Gestalten bewegen sich in einer postideologischen Cüpli-Gesellschaft, in der
ein Europa-müder Kulturrelativismus en
vogue ist. Ein vielleicht sogar echter Erleuchtungsmoment in einem buddhistischen Tempel wird ironisch als PartyShowstück dargeboten. Thomas beobachtet und kommentiert das unernste
Treiben mit Abscheu, aber ohne sich zu
ereifern, denn für ihn zählt nur die Leidenschaft. Sex und Alkohol sind allgegenwärtig, selbst für Thomas, der immer
wieder versucht, die Helen-Besessenheit
zu ersticken oder zu ertränken.
Aber vielleicht ist dieser Roman über
totale Liebe auch nur ein Vexierstück des
indologisch gebildeten Autors. Thomas
schreibt Bücher über asiatische Tempel,
er zieht sich für Monate meditativ nach
Ostasien zurück. Er schreibt in Burma:
«Ich bin berührt worden von den richtigen Dingen: einem Flusssteg, Erkenntnis, Abgrund.» Ist das eine Erinnerung an
Hesses «Siddhartha»? Dies könnte bedeuten, dass die Leidenschaft nur im oft
genannten «falschen Leben» im Westen
eine Bedeutung hätte. Doch der Satz
wird gleich wieder dementiert. Die Interpretation des Romans bleibt so offen wie
der Schluss dieser klugen Folge von fiktionalen Intertexten. ●
Roman Im vierten Teil seiner Heimaterkundung seziert Andreas Maier die erste Verliebtheit
So taumelten sie durch den Tag
Andreas Maier: Der Ort. Suhrkamp, Berlin
2015. 154 Seiten, Fr. 26.90, E-Book 18.–.
Von Regula Freuler
Auf nicht weniger als elf Bände hat Andreas Maier seine Heimaterkundung angelegt. Eine Autobiografie? Nicht ganz.
Oder so, wie eine Autobiografie auch sein
kann: autobiografisch grundiert, aber
mit der ganzen Freiheit der Fiktion im
Detail. Und Andreas Maiers «Ortsumgehung», wie der 2010 mit «Das Zimmer»
begonnene Roman-Zyklus heisst, besteht eigentlich aus nichts anderem als
aus Details. Der Autor schreibt, als hätte
er eine Lupe statt einer Tastatur. Er geht
so nah an die Dinge heran, bis sie die
Crux der langsamen Betrachtung offenbaren: Man glaubt etwas fassen zu können, wenn man nur genug genau schaut,
6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
doch dann beginnt es zu verschwimmen,
und man muss wieder zum ganzen
Bild zurückgehen. Dieses Heran- und
Wegzoomen ist die Schreibbewegung
Andreas Maiers.
Maier wurde 1967 in Bad Nauheim geboren, einer mittelgrossen Stadt in der
hessischen Wetterau, die schon einige
berühmte Kurgäste gesehen hat. Diese
Landschaft ist es, die Maier seziert. Es
wird sein Lebenswerk sein, «ein Werk,
das du so lange weiterschreibst, bis du
tot bist», schreibt er im ersten, langen
Satz des vierten Teils, «Der Ort». Jetztzeit
ist das Jahr 2009, von dem aus der IchErzähler Andreas sich ans Frühjahr 1983
erinnert. Er war damals 15 Jahre alt und
verliebt in Katja Melchior, las zwanghaft
Bücher: Frisch, Nietzsche, Mann, Benn,
Kant, was auch immer. Die Buchhandlung zu betreten, «bedeutete auch
jedesmal einen Rausch», denn der Bü-
cherkauf war für ihn eine «Nervenreizung
der ganz überdrehten Art». Andreas ist
überzeugt, verrückt zu sein – was für ein
überzeugenderes Selbstbild eines Teenagers kann es geben?
Zu viel mehr als einer scheuen, aber
umso innigeren Umarmung kommt es
nicht zwischen den beiden Jugendlichen
Andreas und Katja, die sich an einer
Party in konzentrischen Kreisen annähern und wieder voneinander entfernen.
Auch dies eine wunderbare Metapher für
den Schriftsteller als jungen Mann, der
von sich schreibt: «Ich war dabei, ein Bild
von mir zu entwerfen, das erste Bild meiner Wahl.» Kühl mag der schmale Roman
in Satzstruktur und Wortwahl wirken.
Doch steckt seine Kraft in genau solchen
Sätzen. Wer die ersten drei Teile des Roman-Zyklus noch nicht kennt, wird sie
lesen wollen, und auf die Fortschreibung
wartet man nun neugierig. ●
NATIONAL GEOGRAPHIC / GETTY IMAGES
Roman Pulitzerpreisträger Paul Harding schreibt in seinem Zweitling über den Verlust von Familie
Ziellosunterwegs
Paul Harding: Verlust. Aus dem
Amerikanischen von Silvia Morawetz.
Luchterhand, München 2015.
272 Seiten, Fr. 28.90.
Von Simone von Büren
Die Zeit ist durcheinander geraten in
Charlie Crosbys Wahrnehmung. Mrs Hale
war bereits alt, als sein Grossvater ihre
Standuhr reparierte, und nun sitzt sie
Jahrzehnte später nach wie vor in ihrer
Villa und schimpft. Und seine Tochter
wird im 21. Jahrhundert von ausgemergelten Seemännern auf eines der Segelschiffe getragen, mit denen die Puritaner
in Amerika ankamen.
Auf das Durcheinandergeraten der
Zeit versteht sich Paul Harding bekanntlich. Mit seinem eindringlichen Debüt
«Tinkers» (Luchterhand 2010) über die
fragmentierte Zeitwahrnehmung des
sterbenden Uhrmachers George Crosby
gewann der Autor 2010 den Pulitzerpreis. In seinem neugierig erwarteten
Zweitling gerät nun die Zeit von Georges
Enkel durcheinander, als dessen 13-jährige Tochter Kate tödlich verunfallt. Verzweifelt, einsam, von Alkohol und
Schmerzmitteln betäubt, kann Charlie
Gegenwart und Vergangenheit, Tote und
Lebendige nicht mehr auseinanderhalten. Er begegnet Geistern, treibt mit
Quallen durch urzeitliche Gewässer und
landet in einer vergilbten Fotografie von
zwei Kindern, von denen eines Kate ist
«und wiederum doch nicht Kate».
Landkarte der Erinnerung
Hardings Protagonist steht unsicher in
der Zeit, ist aber umso sicherer verortet
in Enon, nach dem der Roman im Original benannt ist. Charlies gegenwärtige
und erinnerte Spaziergänge lassen eine
innere Karte dieser Kleinstadt an der USOstküste entstehen, annotiert mit historischen Ereignissen, Kindheits-Schauplätzen und Erinnerungen an Kate. Die
immer selben Wiesen und Wälder, die
Charlie als Teenager, frisch Verheirateter,
glücklicher Vater und ausgehungertes
Wrack durchstreift, bieten eine Kontinuität, die die Zeit nicht geben kann.
Sie bergen aber auch einen Abgrund,
der sich «wie eine Welt in einem
Aufklappbuch» für den abenteuerlustigen Jungen und den betäubten Mann
gleichermassen auftut: Unter Wäldern
und Häusern liegen ineinander verkeilt
die Rippen und Zähne, Schienbeine und
Knöchel von Schafen, Hunden und
Eulen, von Puritanern, Indianern und
namenlosen Kindern. Und in Charlies
morbiden Visionen gibt diese Unterwelt
ihre Wesen frei: Geister schlitteln auf
dem Friedhof. Kate steigt aus einem
Haufen von Knochen, die «mal Reliquien
von Märtyrern und mal Reste von
Essenstellern sind, mal die Überbleibsel
von Leviathanen und Heiligen». Sie
kommt verdreifacht zurück, um dreifach
wieder zu sterben. Charlie wird ein Umhang aus Vogelkadavern umgelegt und
am Hals mit Krallen verhakt.
Dem Jungen kam auf diesen Grenzgängen stets ein Kamerad zu Hilfe, wenn
er in Not war. Dass sich um den verzweifelten Erwachsenen nun so gar niemand
kümmert, ist eines von vielen nicht ohne
weiteres plausiblen Elementen im
Roman: Dass Charlies Frau die Nachricht
von Kates Tod auf die Combox spricht;
dass sie kurz nach der Beerdigung für
immer verreist und Charlie kaum je an
sie denkt; dass der einmalige Kauf von
Kaffee und Zigaretten über fast 20 Seiten
geschildert wird, aber sonst von Einkaufen oder Essen nie die Rede ist.
Nicht recht glaubwürdig wirke, so befanden manche Kritiker, die Trauer an
sich, die Charlie zu berechnen versucht,
indem er «Mandalas und Teilchenbeschleuniger und Kalender, zusammengesetzt aus konzentrischen Kreisen und
ochsenwendigen Algorithmen», an die
Wand malt. Sie wirke unglaubwürdig,
weil Charlie den Grossteil der Zeit damit
verbringt, ganz ungestört über so vieles
nachzudenken, das mit Kate und ihrem
Tod nichts zu tun hat. Und weil wir statt
der gesunden Tochter, die ihren Vater so
Verdrängung der
Trauer: In «Verlust»
flüchtet sich die
Hauptfigur in die
Auseinandersetzung
mit der Vegetation
einer Kleinstadt an
der US-Ostküste.
glücklich machte, dass er ihren Verlust
nicht verkraftet, alle Kates sehen, «die
ich seit ihrem Tod erfunden hatte, auf
einem Wandvorsprung aufgereiht wie
alte Puppen».
Angesichts dieser grotesken «Flickenpuppe» von Tochter bleibt die Verzweiflung des Vaters tatsächlich eher abstrakt.
Das hat aber auch damit zu tun, dass
Harding weniger die Trauer an sich beschreibt, als den Versuch, diese mittels
Medikamenten, Alkohol, nächtlichen
Spaziergängen und manischem Nachdenken über die Vegetation, Etymologie
und Geschichte Enons zu vermeiden.
Ausführlich schildert er Strategien der
Abstumpfung und Ablenkung, zu denen
nicht zuletzt die gebrochene Hand gehört, die von einem unerträglichen
Schmerz ablenkt, der keinen direkten
Ausdruck findet.
Zeitliches Durcheinander
Einen umso direkteren Ausdruck findet
Hardings Ich-Erzähler für seinen verwirrten Zustand. Er beschreibt seine
mentale Abstumpfung in einer komplexen, metaphernreichen Sprache (die auf
Deutsch zusätzlich verkompliziert wird,
wenn etwa «the chains moved» übersetzt
wird mit «nun hatten die Ketten ein Einsehen»). Das irritiert. Denn auch wenn
der Roman in der Vergangenheitsform,
aus einer Position wiedererlangter Klarheit erzählt wird, fragt man sich, ob
Charlie sich und die Welt im Moment der
Betäubung so bewusst hat wahrnehmen
und reflektieren können und sich danach
so genau daran erinnert.
Es entsteht der Eindruck einer eigenartigen Gleichzeitigkeit. Als ob sich jemand auf einer Bühne – im Roman neben
Knochen, Vögeln und Löchern ein zentrales Motiv – kritisch und wach zuschauen würde bei der Darstellung eines
verzweifelten Verrückten. Und das ist bei
aller Irritation durchaus eine konsequente Folge des zeitlichen Durcheinanders,
das in dem Moment entsteht, als Kate an
ihrem Vater vorbei, ihm voraus, in den
Tod rennt. ●
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Roman Antonia Baum schildert mit viel Witz die Idylle und das Elend des Mittelstands
FamiliäreSpritzfahrt
imLeichenwagen
und das wahre Elend der Mittelklasse, sie
geht lieber dorthin, wo es weh tut. Die
erste Hälfte ihres Romans fasziniert. In
der zweiten Hälfte des Buchs wird die
Sprache jedoch überraschend konventionell – weil die Ich-Erzählerin älter
wird? –, und es ist auch nicht mehr so viel
los. Dass man sich weniger gut unterhält
als zuvor, hat überdies mit der ParallelErzählung zu tun, die mit den Kindheitspassagen wechselt. Die erwachsenen Kinder versammeln sich in Theodors
vermülltem Haus: Er ist verschwunden,
in Panik machen sich die drei auf eine
Suche, die mit den Worten endet: «Jetzt
ist alles Schrott. Der Porsche, Clint,
Jonny und ich, Theodor sowieso. Wir
haben alles zu Schrott gemacht. Wie es
sich für uns gehört vielleicht.» Und dann
ist doch nicht alles Schrott. «Es ging alles
gut. Irgendwie halt und wie immer.»
Antonia Baum: Ich wuchs auf einem
Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von
Radkappen und Stossstangen zu ernähren.
Hoffmann & Campe, Hamburg 2015.
400 Seiten, Fr. 33.90, E-Book 20.90.
Von Sieglinde Geisel
«Theodor ist unser Vater. Er behauptet
von sich, er habe sich selbst erzogen, also
ohne dass ihm dabei jemand geholfen
hätte.» Ein bemerkenswerter Romananfang: Die Kinderstimme, die hier erzählt, ist bereits ganz da. Und rasant geht
es weiter: Der einäugige Theodor fährt
mit seinen drei Kindern zum Schrottplatz, in einem Leichenwagen mit selbst
gezimmerter roter Kunstlederrückbank,
auf der sich nur einer anschnallen kann.
Der abgründige Dialog, der sich zwischen Vater und Kindern entspinnt, verschafft uns gleich auf der ersten Seite die
wohlige Gewissheit, dass wir in diesem
Roman mit allem rechnen müssen. «Bei
uns sind viele Sachen anders, und das
meine ich nicht so: Haha, zwinker, zwinker, unsere Familie ist echt supercrazy.
Ich meine, bei uns stimmt das wirklich.»
Hardcore-Prosa
Wir lesen und hören die Stimme von
Romy, am Anfang des Romans noch
keine neun Jahre alt, am Ende zwölf, ein
leicht abgebrühtes, neugieriges, hellwaches Mädchen, das kein anderes Leben
kennt als eben dieses mit einem höchst
zweifelhaften Vater: Arzt, Autonarr,
Geizhals, zwischendurch Künstler, später Kneipenbesitzer und bei all dem stets
in undurchschaubare kriminelle Machenschaften verstrickt. Die Mutter der
Kinder ist tot, aber darüber mag Theodor
nicht reden – und doch lieben ihn nicht
nur seine Kinder, sondern auch wir
Leser, denn Theodor ist im Buch die
Figur mit den besten Sprüchen.
«‹Was ist anarchisch?›, fragte ich.
‹Wenn man tut, was man für richtig
hält.›» Obwohl seine zugenähte Augenhöhle «totenkopfmässig» aussieht, trägt
Theodor nur im Notfall eine Augenklappe, zum Beispiel wenn Frau Reiss vom
Jugendamt kommt, für Romy eine Schreckensgestalt: «Wie sie alles exakt und
überdeutlich aussprach, so, als müsse
man ein Wort vom Anfang bis zum Ende
gründlich durchturnen.»
Das Jugendamt hat allen Grund für Besuche. Wochenlang fehlen die Kinder in
der Schule, denn Theodor nimmt sie mit
nach Berlin, wo er ein Wettbüro eröffnen
will, das allerdings über das BaustellenStadium nicht hinauskommt, samt zwei
Kampfhähnen, einer entlaufenen Vogel8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
DAVID ROTH / GETTY IMAGES
Durchgeknallter Vater
Spielende Kinder im Abflussrohr: Die kleine Romy erzählt, wie sie und ihre
Geschwister in Machenschaften ihres Vaters verwickelt werden.
spinne namens Luise sowie einem gefährlich schwelenden Konflikt zwischen
Kalli, der nur noch sechs Zähne hat, früher Geigenbauer war und jetzt, trotz seiner Trunksucht, als Handwerker unverzichtbar ist, und Theodors Geschäftspartner Fuat, einem ordentlichen, ja fast
spiessigen Türken, in dessen Wohnung
die Kinder zum ersten Mal ein geregeltes
Familienleben geniessen – bis dann alle
die Flucht ergreifen müssen, unter dramatischen Umständen natürlich. Und so
geht es munter weiter, knallige Szenen,
fetzige Dialoge, und immer knapp am
Abgrund, mit elf sind die Kinder bereits
Drogendealer, sie haben das Überleben
gelernt auf dem Schrottplatz, der das
Leben sein kann.
Antonia Baum ist eine Autorin, die
keine Lust hat auf die verlogenen Idyllen
Je länger man liest, desto mehr schleichen sich Zweifel ein. Dass mit einem
Buch möglicherweise etwas nicht
stimmt, verrät der Stil. Wörter wie «zeitlupenmässig», «weltuntergangsmässig»,
«losermässig» sagt Romy ständig, und
auch wenn das Kinderslang und somit
Rollenprosa sein sollte, ist es eine Masche, ebenso die ewigen BindestrichWendungen: Wenn jemand etwas sagt,
dann tut er es «mit einem intensiven Duweisst-genau-dass-du-das-nicht-sagensollst-Blick», «auf diese Mir-könnt-ihres-doch-erzählen-Weise» oder auch «so
auf die Versau-mir-das-jetzt-bloss-nichtWeise». Was die Illusion, die durch Stil
entsteht, endgültig zerstört, sind Sätze,
die man einem Kind nicht glaubt: Kalli
befindet sich «in der totalen Verneinung», die Katastrophe fing an, «ihr gemeines Maul aufzumachen».
Antonia Baum kann schreiben, und sie
sprüht vor Einfällen, daher ist die Lektüre ihres Romans streckenweise ein
beträchtliches Vergnügen. Doch man
zweifelt an der Authentizität des Berichteten – einem Kriterium, das in der Literatur so heikel wie unverzichtbar ist.
Glauben wir, was wir lesen? Haben wir es
bei Antonia Baum, die im Brotberuf
Feuilleton-Redaktorin bei der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» ist,
tatsächlich mit einer angry young woman
zu tun? Man wird den Verdacht nicht los,
die Autorin wolle sich mit ihrer Hardcore-Prosa von den Erzeugnissen der viel
gescholtenen Literaturinstituts-Absolventen und Akademikerkinder absetzen.
Das wäre dann allerdings kein bisschen
wild und radikal, sondern das, was
Adorno «freundliche Anpassung ans Gewünschte» nannte. ●
Erzählung In ihrem neuen Künstlerroman lässt Lea Singer den jungen Caspar David Friedrich sich gegen
den alternden Goethe behaupten
EdlerWilderreiztDichterfürsten
Lea Singer: Anatomie der Wolken.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2015.
255 Seiten, Fr. 28.90, E-Book 18.90.
Von Stefana Sabin
Schon bevor sie sich kennenlernten,
mochten sie einander nicht: der alternde
Johann Wolfgang von Goethe, Dichterfürst in Weimar, und der junge Caspar
David Friedrich, Landschaftsmaler in
Dresden. Goethe hatte, nachdem die Farbenlehre nicht so begeistert aufgenommen worden war, wie er erwartet hatte,
angefangen, sich der Wolkenkunde zu
widmen. Dabei stiess er auf die Bilder
von Friedrich, der als Wolkenmaler
schon bekannt war. Aber als er Friedrich
in seinem Atelier in Dresden besucht, ist
Goethes Abneigung gegen die nebelverhangenen düsteren Himmelslandschaften deutlich. «Ich begreife nicht»,
sagt Goethe vor dem Gemälde «Der
Mönch am Meer» stehend, «was dieser
Himmel soll.» Und dann fragt er Friedrich: «Haben Sie Reisepläne? Italien vielleicht?»
Diese Frage macht den Gegensatz zwischen den beiden Temperamenten und
Weltanschauungen deutlich: Friedrich
malte den erhabenen Norden, Goethe
China Ein Kunstkontinent setzt sich in Szene
Mit der Welt ihrer Grossmutter verbindet Dong Yuan
ihre frühesten Erinnerungen. Ihr Haus steht für eine
Welt, in der die Dinge vertraut sind, und für eine einfache Lebensweise, die noch direkte Erfahrungen erlaubt.
Diese Erinnerungslandschaft hat die 1984 geborene,
heute in Peking lebende Künstlerin mit ihrem Verständnis von Hieronymus Bosch verbunden, dessen Bilder alltägliche Szenen in eine surreale Welt übersteigern. In
drei Jahren hat sie 855 Ölbilder gemalt, in denen sie die
Welt ihrer Kindheit mit Traumwelten der westlichen
Kunst zusammenbringt. Boschs Völlereien sind da
schon mal fein säuberlich auf vielen kleinen Leinwänden
zu Lebensmittelporträts geordnet. Die Mischung aus
Fremdheit und Vertrautheit kennzeichnet viele der Arbeiten der rund 120 Künstlerinnen und Künstler, die der
Band anlässlich von acht Ausstellungen im Ruhrgebiet
(bis 13.9.) zu einem Panorama zeitgenössischer chinesischer Kunst vereint. Hier kann man auf Entdeckungsreise gehen und Positionen entdecken, die im Westen
noch nicht überall zu sehen waren. Gerhard Mack
China 8. Hrsg. von W. Smerling, T. Bezzola, F. Ulrich.
Wienand, Köln 2015. 496 Seiten, 325 Abb., Fr. 68.–.
hing dem arkadischen Süden nach.
Friedrichs melancholische Wolken- und
Meerlandschaften begriffen die Romantiker als Seelenlandschaften. Goethe
hielt die Romantiker für exaltierte Spinner und ignorierte sie, wenn er sie nicht
verspottete.
So ist Goethes Besuch in Friedrichs
Atelier gewissermassen die Schlüsselszene in dem neuen Roman von Lea Singer (Pseudonym der Kunsthistorikerin
Eva Gesine Baur), der um die entschiedene Antipathie zwischen Goethe und
Friedrich kreist. Singers Goethe steht
zwar im Zenit seines Ruhms, doch die
Reime gelingen ihm nicht mehr so mühelos wie früher, das Flirten mit den jungen
Frauen in seiner Umgebung wirkt nicht
mehr, er kränkelt ununterbrochen. Aber
er ist zugleich ein machtbewusster Dichterfürst, der seine Bekanntheit nicht nur
auskostet, sondern auch ausnutzt – und
der seine eigenen Meinungen auch dann
noch für massgeblich hält, wenn eine
neue Generation längst andere Vorstellungen durchgesetzt hat.
Singers Friedrich dagegen ist ein edler
Wilder, der sich über ästhetische und
gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzt und sich in der feinen Weimarer Gesellschaft wie «ein räudiger Hund zwischen Seidenbeinen» fühlt. Zwar sucht
Friedrich Goethes Anerkennung, aber er
ist nicht bereit, dafür von seinem Kunstbegriff abzurücken. Keineswegs nach
Italien, sondern nach Island wolle er
reisen, hält er Goethe entgegen.
Goethe will die Wolken studieren, sie
erfassen und benennen. Friedrich dagegen will «in den Wolken träumen» können. Deshalb ist er über Goethes Auftrag,
seine Wolkenkunde zu illustrieren, entsetzt. «‹Was?›, schrie er. ‹Was?› In Friedrichs Gesicht wetterleuchtete es. ‹Ich soll
die Träume…die Phantasie in Ketten
legen? Ich?›» In der gegensätzlichen Auffassung von den Wolken verdeutlicht
Singer den Unterschied zwischen den
beiden Kontrahenten im Roman – und
auch den Unterschied zwischen der untergehenden Klassik und der aufkommenden Romantik.
Darin liegt der Reiz dieses Künstlerromans: Ausgehend von einer realen Begebenheit – der Begegnung von Goethe
und Friedrich 1810 –, macht Singer einen
kunsthistorischen Gegensatz nachvollziehbar. Singer alias Baur, die für ihre
Musiker-Romane und ihre gastrosophischen Bücher schon mit dem HanneloreGreve-Literaturpreis
ausgezeichnet
wurde, hat ein Gespür für den angemessenen Erzählrhythmus und für die richtige Mischung aus Sentimentalität und
Nüchternheit. Sie zeichnet die beiden
Künstler-Hauptfiguren ebenso glaubhaft
wie die Nebengestalten, Friedrichs jugendlichen Zorn ebenso plausibel wie
Goethes altkluge Gereiztheit, Sylvie von
Ziegesars Unbekümmertheit ebenso wie
Louise Seidlers Ernst. Auf diese Weise ist
Lea Singer ein Unterhaltungsroman der
gehobenen Art gelungen. ●
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Roman Davide Longo zählt zu den wichtigsten literarischen Stimmen Italiens. Sein neuer Krimi handelt
von einem Kommissar, der aus dem Ruhestand zurückkehrt
EingeholtvonderVergangenheit
Davide Longo: Der Fall Bramard. Aus dem
Italienischen von Barbara Kleiner.
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2015.
320 Seiten, Fr. 28.90, E-Book Fr. 18.–.
Die Vorgehensweise war immer dieselbe:
Alle sechs Opfer waren zwischen 25 und
30 Jahre jung, gross, schlank, hatten
einen kleinen Busen und langes schwarzes Haar. Der Mörder entführte die Frauen, forderte kein Lösegeld, sondern
schrieb jeweils einen anonymen Brief
ans Polizeipräsidium und lenkte die Polizei an den jeweiligen Tatort. Dort fand
sie die Frauen mit Schnitten am Rücken
und amputierten Zehen, die schwarzen
Haare abgeschnitten und ringsum verstreut.
Das erste Opfer hat überlebt und dämmert seit 25 Jahren in der Psychiatrie vor
sich hin; alle anderen Frauen kamen bei
der Tortur ums Leben. Das letzte Opfer
war die Frau des ermittelnden Kommissars Corso Bramard, zudem ist seine kleine Tochter seit diesem Mord spurlos verschwunden. Das ist Dramatik pur, hält
den Leser bis zum Schluss bei der Stange
und passt zum Schreiben des 44-jährigen italienischen Schriftstellers Davide
Longo. Bereits sein Debütroman «Der
Steingänger» (2007) handelte von einem
Mord in den piemontesischen Alpen.
Und sein Weltuntergangsroman «Der
aufrechte Mann» (2012) inszeniert eine
durch und durch barbarische Version der
Zukunft.
Frauen als Opfer
Davide Longo, selber im Piemont geboren und bis heute dort zu Hause, kennt
die einsamen Landstriche und die Stadt
Turin, kennt den Menschenschlag, insbesondere die wortkargen Männer, und
lässt sie Sätze zueinander sagen wie:
«Frauen, die diese Orte verstehen wie
wir, gibt es nicht.» So erstaunt es nicht
sonderlich, dass Frauen in diesem
Roman in erster Linie Opfer sind, Prostituierte, Ehefrauen oder Geliebte. Im
Kontrast dazu gibt es eine junge rotzige
Polizistin, deren Schädel zur Hälfte kahl
rasiert ist und die die Dachfenster ihrer
Mansarde mit Müllsäcken verhängt. Das
klingt im ersten Moment verwegen, bedient letztlich aber nur ein Klischee.
Hauptfigur ist der Mittfünfziger Corso
Bramard, einst der jüngste Kommissar
Italiens, heute Geschichtslehrer, Vielleser und Grübler. Nach dem Mord an seiner Frau Michelle und dem Verschwinden seiner Tochter Martina quittierte er
den Polizeidienst, verfiel dem Alkohol
und zog auf den Bauernhof seiner Eltern.
Hier lebt der passionierte Bergsteiger in
der Nähe seiner geliebten Berge, die ihm
vorübergehend Linderung verschaffen.
Doch er bleibt ein einsamer Wolf, ein Getriebener, den die Vergangenheit immer
wieder einholt. Zwanzig Jahre nach Mi10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
PAOLO GIAGHEDDU
Von Sandra Leis
Davide Longo, 44, im
Piemont zu Hause,
kennt die einsamen
Landstriche,
wohin Grübler wie
Ex-Commissario
Bramard sich
zurückziehen.
chelles Tod kehrt sie mit aller Wucht zurück in die Jetzt-Zeit, ins Jahr 2006. Der
Mörder schickt erneut einen Brief, wieder auf einer alten Olivetti geschrieben
und mit einem handschriftlichen Zitat
aus dem Song «Story of Isaac» von Leonard Cohen. Diesmal legt der Mörder ein
Haar bei, das vom ersten Opfer stammt.
Der Ex-Kommissar nimmt den alten Fall
wieder auf und kann auf die Hilfe seines
einstigen Assistenten zählen, der seinen
Posten übernahm und ihm jetzt die junge
clevere Polizistin zur Seite stellt.
Schönheit des Verbrechens
Während die Ermittlungen ihren Lauf
nehmen und mit viel zu vielen Fährten
und Figuren in manche Sackgasse führen, ergründet Bramard immer wieder
sein Inneres. Er weiss um den «Dreh- und
Angelpunkt», der ihm sein wahres Gesicht offenbarte. Nicht Michelles Tod,
nicht die vergebliche Suche nach Martina
haben ihn zu dem Menschen gemacht,
der er jetzt ist. «Bei ihm war es das Öffnen der Tür zu dieser Hütte gewesen, in
der er Schönheit entdeckt hatte dort, wo
der Mensch, der er zu sein glaubte, nur
Grauen hätte sehen können.» Anstatt
über den Anblick der toten Michelle zu
erschrecken, ergötzte er sich an der
Schönheit des Verbrechens. Und genau
das hat auch der Mörder gemacht, der
ihn beim Showdown am Ende des Romans fragt: «Was geschehen ist, ist im
Namen der Schönheit geschehen? Was
geschehen ist, hat eine Schönheit hervorgebracht, die höher steht als das
Opfer? Die Antwort ist ja.» In diesem Kriminalroman geht es nicht primär um die
Frauenmorde, eigentlich geht es um den
titelgebenden «Fall Bramard». Und der
löst sich insofern auf, als Davide Longo
die verhängnisvolle Nähe von Verbrechen und Schönheit aufzeigt.
Bei der Aufklärung der Frauenmorde
hingegen bleibt auch bei der zweiten
Lektüre zu vieles unklar. Bramard besucht das erste Opfer in der Psychiatrie
und findet Hinweise auf ein Turiner
Edel-Bordell namens «belles ronfleuses»;
die Fäden zog der Vater des ersten Opfers
gemeinsam mit zwei Freunden. In den
1970er Jahren konnten in diesem Etablissement, so heisst es, alte Männer bei
jungen Mädchen schlafen, ohne mit
ihnen Sex zu haben. Die Idee stammte
aus dem Roman «Die schlafenden Schönen» des japanischen Literaturnobelpreisträgers Yasunari Kawabata. Was bei
ihm eine literarische Altmännerphantasie ist, entgleiste in Turin. Ein Mädchen
wurde schwanger, und das Haus wurde
ohne öffentliches Aufhebens geschlossen. Das war möglich, weil viele Machtträger aus Politik und Kirche involviert
waren. Nur: Was hat der Mörder, der damals um die zwanzig war, mit diesen
Alten zu tun?
Es hilft nichts: Die Story rund um die
Frauenmorde bleibt konstruiert. Ein
paar Glanzlichter setzt Davide Longo seinem Roman indes auf, wenn Corso und
sein Nachfolger miteinander fachsimpeln oder wenn Corso beschreibt, warum
ihm die Arbeit als Kommissar fehlt.●
Roman Die junge Schweizer Erzählerin
Dagny Gioulami überrascht mit einem
phantasievollen Erstling
Im Dickicht der
Verwandtschaft
Kurzkritiken Belletristik
Wolfgang Bortlik: Spätfolgen.
Kriminalroman. Gmeiner, Messkirch
2015. 246 Seiten, Fr. 17.90, E-Book 11.90.
Adrian Witschi: Hoffentlich ist niemand
verletzt. Novelle. Salis, Zürich 2015.
199 Seiten, Fr. 24.90, E-Book 9.90.
Auf Wolfgang Bortlik ist Verlass. Der 1952
geborene Münchner Hüne, der seit fünfzig Jahren in der Schweiz lebt, schreibt
nicht nur seit deren Anbeginn das wöchentliche «Sportgedicht» in der «NZZ
am Sonntag»; er hat sich auch als Rezensent sowie als Buchautor einen Namen
gemacht. Eine besondere Neigung hat
der Vater dreier erwachsener Kinder und
gefürchtete Hobbyfussballer für das
Genre des Krimis. Deshalb hat er den Detektiv Melchior Fischer erfunden, einen
sympathischen Unglücksraben. In dessen zweitem Fall bekommt es dieser
Mann mit einer sehr persönlichen Geschichte zu tun: Sein Bruder war in der
Anti-AKW-Szene aktiv. Bei einem Unfall
ist er ums Leben gekommen. War es
bloss ein Unfall? Ging da alles mit rechten Dingen zu? Bortlik versteht sein
Handwerk. Geschickt vermischt er seine
spannende Erzählung mit Stimmen von
Zeugen. Und stets geht es auch um Liebe.
«Generation Y» oder «Generation Maybe»
nennt man sie: Diese jungen Menschen,
die sich von all den Möglichkeiten in
jener Dauerüberforderung befinden,
deren Symptom die Unentschiedenheit
ist. Der Amerikaner Benjamin Kunkel lieferte 2006 in «Indecision» das umwerfend komische Porträt dieser Generation.
«Hoffentlich ist niemand verletzt» ist
nach der Anthologie «Life-Ticker» das eigentliche Debüt von Adrian Witschi, geboren 1981, und angekündigt als Porträt
eines solchen Y-ers. Die Unentschlossenheit des 30-jährigen Protagonisten
Vinzent Walder nimmt man allerdings
vielmehr indirekt wahr, durch seine
Freundin Ava. Da hätte sich der Autor
ruhig mehr Zeit und Zeilen nehmen
können. Grandios gelangen dem Zürcher
hingegen Vinzents Tag- und Drogenträume – sowie eine siebenseitige Sexszene. Solche gelingen selbst gestandenen Schriftstellern nun wirklich selten.
Daniel Kehlmann: Kommt, Geister.
Frankfurter Vorlesungen. Rowohlt, 2015.
176 Seiten, Fr. 28.90, E-Book 18.–.
Joseph Zoderer: Dauerhaftes Morgenrot.
Haymon, Innsbruck 2015.
200 Seiten, Fr. 27.90.
Ausgerechnet ein Schweizer Werk war
die prägende Lektüre seiner Kindheit, erzählt Daniel Kehlmann in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen, die er 2014 abhielt: «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf alias Albert Bitzius (den
das Suhrkamp-Lektorat konsequent als
Blitzius durchgehen liess). Die Mahnschrift des Pfarrers liess den 9-Jährigen
nicht mehr schlafen, und vielleicht
brachte sie ihn zum Schreiben, mutmasst er. Wie seine Romane sind auch
die Vorlesungen, die Geistern und sonstigen Schreckenswesen motivisch folgen,
durchdrungen von Kehlmanns stupender Fähigkeit, Gelehrtheit mit Virtuosität
und Leichtigkeit zu verbinden. Wie ein
Flaneur durchstreift er die Literaturgeschichte; mit Shakespeare, Grimmelshausen bis Tolkien, Stephen King und
vielen mehr sinniert er über unsere
Ängste und Verdrängungsleistungen.
Man reibt sich die Augen bei dieser Neuerscheinung: Den Roman «Dauerhaftes
Morgenrot» von Joseph Zoderer, dem
1935 in Meran geborenen Autor: Kennt
man den nicht schon? Und richtig: 1987
ist das Werk erstmals erschienen; nun
wird es im Rahmen der Zoderer-Werkausgabe im Haymon-Verlag neu aufgelegt. Die bewegende, in einer Hafenstadt
angesiedelte Geschichte einer unmöglichen Liebe, in der sich die Sehnsucht als
die eigentliche Erfüllung entpuppt, hätte
als virtuoses Verwirrspiel ohnehin einen
Hinweis verdient. Diese Ausgabe aber
wartet mit Überraschungen auf: In einem
fünfzigseitigen Anhang, den Verena
Zankl erarbeitet hat, wird die Entstehungsgeschichte des Werks akribisch
rekonstruiert: mit überraschenden Dokumenten, Werkplänen, Briefen, Fotos.
Diese Spurensuche fasziniert nicht weniger als der Roman von damals.
Dagny Gioulami: Alle Geschichten, die ich
kenne. Weissbooks, Frankfurt 2015.
149 Seiten, Fr. 26.90. E-Book 18.90.
Von Martin Zingg
Die junge Frau, die neulich die chemische Reinigung von vis-à-vis übernommen hat, ist zwar sehr freundlich, aber
sie arbeitet nicht sorgfältig genug. Ihr
muss dringend geholfen werden, und die
Erzählerin weiss, wie. Kommt hinzu,
dass die junge Frau nächstens heiraten
wird, in Konstantinopel – aber das schöne Kleid aus grünem Taft, das sie bei
dieser Gelegenheit tragen sollte, ist in
schlechtem Zustand. Die Erzählerin besorgt sich grünen Taft und weiss auch,
wer eine Kopie des Hochzeitskleids für
die junge Frau nähen wird: ihre Tante
Irini in Griechenland.
Was nun folgt, ist eine Fahrt durch
Griechenland. Zusammen mit dem «tätowierten Polizisten», einem «Kollegen»,
bricht die Erzählerin auf, hin zu ihrer
Verwandtschaft, zu Tanten und Onkeln,
und hinein in eine Fülle von kleinen
schrägen Begebenheiten. «Alle Geschichten, die ich kenne», der Erstling
von Dagny Gioulami, handelt von einer
wunderbaren Expedition ins Dickicht
einer Familiengeschichte. Tante Marianthi wird besucht, Tante Ninitsa und
Onkel Fotis, und als die beiden Reisenden mit dem Taftbündel endlich bei
Tante Irini ankommen, will diese von
Nähen gar nichts wissen. Sie sei zu alt,
ihr Mann sei krank, und tatsächlich sind
sie alle sehr alt, die Tanten und Onkel.
Und zugleich sind sie reich an kleinen
und oft skurrilen Geschichten, und sie
produzieren ständig neue.
Dagny Gioulami, 1970 in Bern geboren, ist eine wunderbare Erzählerin, mit
einem genauen Blick für die Anekdote,
die rechtzeitig vor einer Pointe zurückschreckt und nicht grell aufleuchten
muss, sondern glimmen darf, mit
viel Sprachwitz. Vor allem hat sie,
als erfahrene Schauspielerin
und Autorin zahlreicher Libretti, ein präzises Ohr für
den bizarren Dialog.
Natürlich wird die Erzählerin das Kleid selber nähen.
Und als sie mit dem tätowierten Polizisten das Kleid
abliefern will, ist alles wieder
anders. Auch das haben
womöglich die Moiren eingefädelt, die Schicksalsgöttinnen, die im Hintergrund so vieles bestimmen, dem man sich
nur fügen kann – indem
man davon erzählt. In
diesem kleinen Büchlein geschieht es auf
grossartige Weise. ●
Manfred Papst
Regula Freuler
Regula Freuler
Manfred Papst
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Kinder- und Jugendbuch
Kurzkritiken
Stefan Boonen: Ein Mädchen, sieben
Pfannkuchen und ein roter Koffer. Fischer
KJB 2015. 268 S., Fr. 21.90 (ab 8 Jahren).
Monochrome Bilder Naturverständnis
durch ruhige Illustrationen
Chris Riddell: Ada von Goth und die Geistermaus. Sauerländer, Frankfurt a. M. 2015.
224 S., Fr. 21.90, E-Book 13.– (ab 10 J.).
Variationen in Grün
Anna Crausaz: Die Vögel auf dem
Apfelbaum. Jacoby & Stuart, Berlin 2015.
110 Seiten, Fr. 34.90.
Britta Teckentrup: Alle Wetter. Jacoby &
Stuart, Berlin 2015. 160 Seiten, Fr. 38.90.
Von Hans ten Doornkaat
Opulent illustrierte Kinderbücher liegen
im Trend. Dieses ist eines davon. Auf sattes Gelb, Rot oder Blau hat der flämische
Zeichner Tom Schoonooghe filigranschräge Bleistiftzeichnungen gesetzt:
Ein grossartiger Blickfang für das moderne Märchen. Das erzählt, wie einst «Jim
Knopf», vom Stranden und Ankommen.
Ort der Handlung ist Wammerswald. Die
Personen sind u. a. eine kinderreiche Bäckerfamilie, ein nöselnder Pölözöst, ein
vermeintlich gefährlicher Bär und eben:
das mutige, angespülte Mädchen. Findling, wie alle sie nennen, soll nun bei verschiedenen Dörflern probewohnen. Aber
sie wird nicht nur gefunden, sie findet
auch selbst, nämlich Freundschaft, Geborgenheit und die Freiheit vieler Zuhause. So ist das Schlussbild der poetischen Geschichte einer Rettung grün –
grün wie die Hoffnung.
Die aufgeweckte Ada lebt in einem
Schloss, einsam. Ihr Vater erträgt den
Anblick seiner Tochter nur einmal in der
Woche – zu sehr erinnert sie ihn an seine
verstorbene Frau. Die Geistermaus Ishmael bringt Ada dazu, ein Komplott aufzudecken und dem Lord die Augen zu
öffnen. Dabei begegnen Ada und Ishmael
– das sind die eigentlichen Höhepunkte
der reich illustrierten Geschichte – den
seltsamsten Kreaturen, wie Sirenen oder
Vampirgouvernanten, die an das Personal britischer Gruselklassiker erinnern.
In diesen Parodien übertrifft Chris
Riddell sich selbst. Die Buchausstattung
mit glänzend violettem Schnitt spart an
nichts, um Adas Auftritt als Reihenstart
zu erleichtern. Riddells Lust am
Fantastisch-Skurrilen überträgt sich auf
den Leser, der sich amüsiert, gruselt und
an den Zeichnungen delektiert.
Christian Frascella: Bet empört sich. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2015.
286 S., Fr. 23.90, E-Book 15.90 (ab 14 J.).
Karin Bruder: Haifische kommen nicht an
Land. Peter Hammer, Wuppertal 2015.
204 Seiten, Fr. 19.90 (ab 10 Jahren).
Mit ihrer direkten Art stösst die 17-jährige Turinerin Bet alle vor den Kopf. Hinter der rebellischen Verschlossenheit
und kaltschnäuzigen Coolness steckt
aber kein aufmüpfiger Teenager, sondern eine junge Frau, die dem Leben und
sich einiges abfordert. Bet ärgert sich
über Schwachköpfe und Tussis in der
Schule, feige Spanner und über Frauen,
die sich schikanieren lassen. Als ein
Streik gegen die drohende Entlassung
ihrer Mutter gewaltsam beendet wird
und Bet erfährt, dass ihr in Rom lebender
Vater gar nicht die Absicht hat, nach
Turin zurückzukehren, schlagen Ohnmacht und Trauer endgültig in Wut um.
Christian Frascella lässt seine Heldin mit
Verve und Witz erzählen und wartet mit
einem furiosen Finale auf. Bet wird zur
Stimme einer Generation, die ungehalten, aber sicher nicht gleichgültig ist.
Deutschland trifft Nicaragua, reich trifft
arm: Rosa, viel gereiste Tochter eines
Ethnologen, begleitet ihren Vater nach
Ometepe und begegnet dort dem 12-jährigen Joaquín. Der war nie in der Schule,
hat zig Jobs, um seine Familie mit durchzufüttern, hungert immer wieder, aber
schlägt sich schlau durchs Leben. Und er
kann erzählen wie ein Weltmeister.
Damit steht er Rosas Vater Red und Antwort gegen Essen und Bezahlung. Stolz
hält er seine Lebensweise derjenigen der
verwöhnten Rosa entgegen und damit
dem Leser einen Spiegel vor: mal wütend, mal eifersüchtig, mal keck. Denn
der Roman konfrontiert eine Freundschaftsgeschichte zwischen den Kulturen mit Kindheitsbildern und gesellschaftlichen Voraussetzungen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: ein
Abenteuer mit Aufklärungsanspruch.
Christine Knödler
Daniel Ammann
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
Verena Hoenig
Christine Knödler
Keine schreienden Aufmacher ködern
Leser für diese Sachbücher, keine bunten
Infokästchen wetteifern mit Schlagzeilen, einfach nur Augenweide, grosszügig
und unaufgeregt.
Anne Crausaz studierte Graphic Design in Lausanne, konnte sich dank eines
Stipendiums des Bundes in Krakau weiterbilden und arbeitet heute wieder in
der Waadt. Sie nutzt die digitale Bildtechnik, um an der Astgabel eines Apfelbaums Woche für Woche die Veränderung des Blattwerks zu zeigen. Diese
52 Szenerien bevölkert sie mit 52 Vogelarten, die hier Knospen oder Obst picken
und Insekten jagen. Die Lokalfarben sind
monochrom gehalten. Die Einzelflächen
wirken dadurch stilisiert, doch reichen
zum Beispiel drei Grüntöne aus, Oberund Unterseite eines Blattes sowie den
Stiel zu formen und so ein plastisches,
botanisch eindeutiges Blatt zu gestalten.
Um Flaum und Federn zu zeichnen, setzt
die Illustratorin wenige Linien ein, doch
sind es just die künstlich homogenen
Flächen, die den Eindruck von ruhig beobachteter Natur erzeugen.
Auch Britta Teckentrup setzt auf Hinschauen und arbeitet doch ganz anders:
Sie generiert digital Strukturen, legt
feine Farbschichten übereinander, lässt
die unteren durchschimmern und erzeugt mit brüchigen Flächen Regenvorhänge und Abendlicht, Nebelschwaden
und Wolkenlandschaften. Man könnte
solche Stimmungen auch aus Gemälden
zusammentragen. Nicht selten ist man
an Turner, Monet oder Hockney erinnert. Und doch hat Teckentrup, die in
London arbeitete und heute wieder in
Deutschland lebt, einen ganz eigenen
Katalog von Wetter-Atmosphären kreiert. Auf ihrer Website lässt sich verfolgen, wie die Künstlerin mit grellbunten
Figuren anfing. 70 Kinderbücher später
hat sie die feinen Töne gefunden, jene
Stimmungen ins Zentrum zu setzen,
deren Poesie sich länger schon zwischen Bäumen und im Hintergrund
ihrer Szenen abzeichnete.
Die Texte des Vogelbuches sind
einfacher, die über das Wetter anspruchsvoller; beide aber bieten
Begriffe und Fakten und belegen
so auch die Sachlichkeit, die in den
Bildern steckt. Die Freude daran ist
keine Frage des Alters, sondern
der Bereitschaft, verweilend
zu schauen. ●
Kurzkritiken
Katja Brandis: Floaters – Im Sog des Meeres.
Beltz & Gelberg, Weinheim 2015. 437 S.,
Fr. 24.90, E-Book 23.90 (ab 13 Jahren).
Albtraum Mädchen täuscht Tod vor
Das ultimative Überlebenshandbuch –
Outdoor. Fischer Meyers Kinderbuch
2015. 256 Seiten, Fr. 14.90 (ab 10 Jahren).
Zwölfjährige
auf Abwegen
Gideon Samson: Doppeltot.
Gerstenberg, Hildesheim 2015.
224 Seiten, Fr. 21.90 (ab 14 Jahren).
Von Andrea Lüthi
Billig, leicht, beliebig formbar – Plastik ist
praktisch. Doch nach Gebrauch wird
Kunststoff zum Albtraum: Bis zu 450
Jahre kann es dauern, bis eine achtlos
weggeworfene Limonadenflasche verrottet ist. Acht Millionen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in den Ozeanen,
verschmutzen Strände, verstopfen die
Mägen von Tieren und sammeln sich in
gigantischen Müllstrudeln. Einer davon
spielt die Hauptrolle in diesem Sachbuch, das sich geschickt als atemraubender Thriller tarnt: Im Jahre 2030 machen
sich die Zwillinge Malika und Danilo mit
einem reichen Umweltaktivisten in den
Pazifik auf, um das Meer zu säubern und
den Müll zu recyceln. Doch andere haben
auch entdeckt, welch wertvoller Rohstoff da schwimmt. Obendrein treiben
Piraten ihr Unwesen. Mehr wird nicht
verraten. Selber in den Sog ziehen lassen!
Wie baut man einen Unterschlupf oder
ein Floss, wie macht man Feuer ohne
Streichhölzer? Die klassischen Themen
fehlen in diesem detailreich illustrierten
Outdoor-Buch nicht. Es geht aber nicht
nur ums (Über-)Leben in der Wildnis,
sondern ebenso um Freizeitaktivitäten,
etwa um Mountainbike-Techniken oder
die Kanuausrüstung. Auch geografisch
ist das Werk weit gefasst: Im Kapitel über
gefährliche Tiere tauchen Eisbär und
Krokodil auf. Was bei einer Begegnung –
oder einem Schlangenbiss – zu tun ist,
erfährt man hingegen nicht. Hier wird
weniger auf konkrete Hilfe als auf Fülle
gesetzt. Das regt Kinder dazu an, sich
Abenteuer auszumalen, aber gleichzeitig
bietet das Buch in handlichem Format
eine Menge alltagstauglicher Tipps sowie
Informationen zu Naturerfahrungen, die
für Kinder tatsächlich erlebbar sind.
Reiner Engelmann: Der Fotograf von
Auschwitz. cbj, München 2015. 192 Seiten,
Fr. 22.90, E-Book 14.90 (ab 13 Jahren).
Claire A. Nivola: Das blaue Herz des
Planeten. Freies Geistesleben, Stuttgart
2015. 32 Seiten, Fr. 23.90 (ab 6 Jahren).
Warum werden Menschen so gedemütigt? Sind die Täter noch Menschen? Das
sind Fragen von Wilhelm Brasse, der als
«Fotograf von Auschwitz» fünf Jahre
Lager überlebt. Er hat Zehntausende Gefangene für den Lagererkennungsdienst
aufgenommen. Die Angst in den Gesichtern verfolgt ihn fortan; und dass er nicht
helfen kann, genauso. Dem Befehl kurz
vor der Befreiung, das Archiv zu verbrennen, hat er sich widersetzt. So sind
38’000 Bilder geblieben, Porträts namenloser Opfer wie berüchtigter Täter. Eine
schier unerträgliche Diskrepanz, die
keine der Fragen beantwortet, aber
Schlaglichter wirft auf das, was in Auschwitz geschehen ist. Nun hat Reiner Engelmann «Das Leben des Wilhelm Brasse» für Jugendliche nachgezeichnet; eine
wichtige Dokumentation mit Auftrag.
Nie wieder.
Gäbe es die Meere nicht, fehlte uns der
Sauerstoff zum Atmen. Dennoch plündert und vergiftet der Mensch die Ozeane. Kaum 100 Jahre hat er gebraucht, um
die in 3 ½ Milliarden Jahren gewachsene
Wasserwelt grundlegend zu verändern.
Aber statt dies anzuprangern, erzählt das
Sachbilderbuch vom Zauber der Ozeane
und warum es die Meeresforscherin Sylvia Earle in die Fluten getrieben hat –
immer tiefer, um noch mehr zu sehen
und zu begreifen. Die inzwischen 89-Jährige stemmt sich mit Reden, Publikationen sowie mit der von ihr gegründeten
Aktivistengruppe «Mission Blue» gegen
Nichtwissen und Profitgier. Das Buch
überzeugt mit detailreichen Bildtafeln
und spricht Kinder mit seinem biografischen Zugang direkt an. Vielleicht nehmen sie so das Wissen auf, wie wichtig
die Weltmeere für unser Leben sind.
Sabine Sütterlin
Christine Knödler
Andrea Lüthi
Verena Hoenig
Rifka ist nicht einfach ein 12-jähriges
Mädchen mit etwas verrückten Ideen –
das merkt man schnell. «Mein Vater ist
tot», sagt sie. Ein makaberer Scherz,
doch sie freut sich, dass sie Düveke damit
erschrecken kann. Die unsichere Düveke
ist stolz, die selbstbewusste Rifka zur
besten Freundin zu haben. Deshalb
macht sie auch mit, als Rifka ihren eigenen Tod vortäuschen will, um dann
heimlich an der Beerdigung teilzunehmen. Doch dann beginnt Düveke zu zögern, und die beiden geraten in einen
immer wilderen Strudel, der zu einem
rabenschwarzen Ende führt.
Der niederländische Autor Gideon
Samson hat seinen erschütternden
Roman in die Teile «Davor», «Danach»
und «Währenddessen» gegliedert. Durch
die verschobenen Zeitebenen schafft er
Spannung, doch nutzt Samson die erzähltechnischen Mittel auch, um die Figuren vielschichtiger darzustellen und
ihre Beziehungen untereinander herauszuarbeiten.
Da ist das enge Band zwischen Düveke
und ihrem Bruder, der den mittleren Teil
erzählt. Und da ist Düvekes und Rifkas
Freundschaft, die keine ist, wie Düveke
schrittweise erkennt. Wenn sie als IchErzählerin berichtet, schmerzt ihre anfängliche Gutgläubigkeit beinahe. Noch
schlimmer wird es, wenn man im letzten
Teil in Rifkas Kopf blickt. «Eine Klasse
voller Dummtussis und du suchst dir
ausgerechnet die Falscheste aus», sagt
Rifka zu sich selbst. Sie erzählt im lyrischen Du; das wirkt ein wenig überheblich und lässt die Schülerin Rifka zugleich selbstentfremdet wirken. Ihr verzweifeltes Ringen um Bestätigung und
um Aufmerksamkeit ist tragisch, doch
Empathie kommt kaum auf mit dem
Mädchen, das ihre «Freundin» erpresst,
bedroht und deren Ängste gnadenlos
ausnutzt.
Gideon Samson ist stark darin, sich in
seine Figuren hineinzuversetzen und
ihre Gefühle wiederzugeben. Er beschreibt glaubwürdig Düvekes Selbstzweifel und die grosse, unbestimmte
Angst, die sie immer wieder überfällt –
ein Gefühl, «als würde die Welt gleich
umkippen». Auch die psychologischen
Druckmittel, die Rifka anwendet, wirken
beklemmend realistisch. Wenn Samson
seine Figuren aber in immer extremere
Situationen schickt, bekommt der
Roman am Ende einen fast surrealen,
albtraumartigen Zug. ●
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
Essay
Antoine de Saint-Exupérys Kinderbuch «Le Petit Prince» zählt zu den grössten Bestsellern aller Zeiten.
Seit die Rechte an ihm im deutschen Sprachraum frei geworden sind, befinden sich die Verlage im
Goldrausch. Berühmte Autoren von Hans Magnus Enzensberger bis Peter Stamm legen konkurrierende
Übersetzungen vor. Was macht das kleine Werk so faszinierend? Von Manfred Papst
Riesengeschäfte
mitdem
kleinenPrinzen
1943 erschien in New York die Erzählung «Der
Kleine Prinz», gleichzeitig im französischen Original und in einer englischen Übersetzung. Der
französische Autor Antoine de Saint-Exupéry
hatte sie im Exil verfasst und mit eigenen Zeichnungen versehen. In seiner französischen Heimat erschien das Buch erst 1945 – bei Gallimard.
Da war der Autor schon tot: Am 31. Juli 1944
wurde der leidenschaftliche Pilot nach allem,
was man heute weiss, bei einem Aufklärungsflug
der französischen Luftwaffe von einem deutschen Flieger bei Marseille abgeschossen.
Postum wurde «Le Petit Prince» nicht nur
zum erfolgreichsten Buch Saint-Exupérys, sondern zu einem der grössten Bestseller aller Zeiten. Das zierliche Werk wurde in 180 Sprachen
übersetzt und verkaufte sich in dreistelliger Millionenhöhe. Sein Erfolg ist leicht zu erklären:
«Le Petit Prince» bietet als modernes Kunstmärchen die einfache Deutung einer komplizierten
Welt an. Es ist ein Plädoyer für Humanität, Liebe
und Freundschaft. Es übersetzt ein philosophisches Programm in eine schlichte, anschauliche
Sprache und verbindet Leichtigkeit mit Tiefsinn, französischen Charme mit symbolgeladener Lebenshilfe. Zudem zeichnet es sich – zu-
Neuübersetzungen
Unter den Neuübersetzungen von «Der Kleine
Prinz» verdienen hervorgehoben zu werden:
• Ulrich Bossier, Reclam (2015), Fr. 6.40.
• Elisabeth Edl, Karl Rauch (2010), Fr. 14.90.
• Hans Magnus Enzensberger, dtv (2015), Fr. 9.40.
Dasselbe in einer Prachtsausgabe, Arche (2015),
Fr. 21.90.
• Peter Stamm, S. Fischer (2015), Fr. 12.90.
• Die deutsche Erstübersetzung (1950) von Grete
und Josef Leitgeb ist 2015 bei Karl Rauch in einer
zweisprachigen Ausgabe erschienen, Fr. 15.90.
mindest im Original – durch subtilen Humor aus.
Es erzählt von der Begegnung zwischen dem
Ich-Erzähler, der – wie der reale Saint-Exupéry
Ende 1935 – mit seinem Flugzeug in der Sahara
notlanden musste, und einem kleinen Prinzen,
der nicht von dieser Welt ist, sondern auf dem
kleinen Asteroiden B 612 lebt. Wie er von dort
über sechs andere Stationen auf die Erde gekommen ist und wie er auf diesem Weg eine
Reihe von einsamen Personen kennengelernt
hat, die alle für eine Lebens- und Denkform stehen, das erzählt er im Folgenden. So geraten der
König, der Eitle, der Trinker, der Geschäftsmann, der Laternenanzünder und der Geograf
in unser Blickfeld. Auf der Erde aber trifft der
kleine Prinz eine kluge Schlange, eine Blume
und einen Fuchs, der ihm sein Geheimnis verrät:
«Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» Nachdem
Pilot und Prinz auf der verzweifelten Suche nach
Wasser einen Brunnen gefunden haben, wird
der kleine Prinz vom Heimweh nach seinem Asteroiden und der dort zurückgelassenen einzigen Rose überwältigt und verschwindet wieder
von der Erde, während der Pilot sein Flugzeug
repariert und nachdenklich in die zivilisierte
Welt zurückkehrt.
Seit sieben Jahrzehnten ist die anrührende
Geschichte des kleinen Prinzen omnipräsent: in
zahllosen Buchausgaben, Bühnenadaptionen,
Hörspielen, im Puppentheater, Comic, Zeichentrick- und Spielfilm. Verwaltet werden die Rechte am Buch wie an der als geschützte Marke ein-
getragenen Figur von der «Succession Antoine
de Saint-Exupéry-d’Agay» in Paris. Diese kassiert, so oft der blonde Lockenkopf in den Medien, aber auch auf Handy-Hüllen, T-Shirts oder
Tassen erscheint. Ein Dutzend Angestellte arbeitet für die Erbengemeinschaft, die übrigens
auch vom Kuriosum profitiert, dass in Frankreich für Autoren, die im Kriegseinsatz umkamen, ein besonderes Copyright gilt. Es soll die
Hinterbliebenen von Kriegsopfern begünstigen.
In Frankreich liegen die Rechte für Saint-Exupéry deshalb weiterhin bei Gallimard.
Als Schullektüre ist «Der Kleine Prinz» seit
Generationen Pflichtstoff. Millionen von Schülern haben das kleine Buch geliebt und gehasst,
mit Anmerkungen und Zeichnungen vollgekritzelt, mit Eselsohren und Fettflecken versehen.
Die Botschaft des Werks rührte die Herzen von
Alt und Jung. Gewiss: Die Erzählung stand mit
ihrem Überhang an Gesinnung auch immer
unter Kitschverdacht. Doch im Vergleich mit
Machwerken von Paolo Coelho, Eric Emmanuel
Schmidt und weiteren Konsorten erwies sie sich
doch als Werk von eigener Qualität: Kristallin in
der Sprache, selbstironisch im Duktus. Die «captatio benevolentiae» der unverbildeten Kinder
im Gegensatz zu den verbildeten Erwachsenen
war damals noch nicht sozialpädagogisch ausgeschlachtet. Dass die kritischen Franzosen Antoine de Saint-Exupéry bereits 1959 einen Platz
in der kanonischen Sammlung der Pléiade einräumten und «Le Petit Prince» sogar in grösserer
Type präsentierten als die Romane «Vol de nuit»,
«Terre des hommes» sowie «Citadelle», spricht
für sich.
Übertragung hat Staub angesetzt
Im deutschen Sprachraum wurde das Buch erstmals 1950 publiziert, und zwar in der Übersetzung von Grete und Josef Leitgeb, die gleichzeitig im Arche-Verlag Zürich und bei Karl Rauch in
Bad Salzig erschien. Diese Ausgabe dominierte
den Markt über Jahrzehnte. Sie hat ihre Meri-
▲
14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
Millionen von Schülern haben
das kleine Buch geliebt und
gehasst, mit Notizen und
Zeichnungen vollgekritzelt,
mit Eselsohren versehen.
Ein blonder Lockenkopf als Plädoyer für Humanität, Liebe und Freundschaft. Antoine de Saint-Exupéry hat die Zeichnungen für den kleinen Prinzen selbst angefertigt.
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Essay
▲
ten, doch sie hat Staub angesetzt. Im Vergleich mit dem Original ist sie pathetischer, stärker auf raunenden Tiefsinn angelegt, die Dialoge
wirken steifer. 2010 publizierte die österreichische Übersetzerin Elisabeth Edl, die auch massgebende Übertragungen von Stendhal, Flaubert,
Modiano und anderen vorgelegt hat, deshalb
just im Verlag Karl Rauch eine neue Übertragung
des «Kleinen Prinzen». Diese hat sich in bloss
fünf Jahren fast eine Million Mal verkauft. Das
Kalkül des Verlags, sich selbst zu konkurrenzieren, ging auf: Nach wie vor preist er neben der
Edel-Version die Übertragung der Leitgebs als
«Originalübersetzung» an – in vielerlei Ausstattungen und Formaten.
Der Erfolg von «Le Petit
Prince» ist leicht zu erklären:
Als modernes Kunstmärchen
bietet er die einfache Deutung
einer komplizierten Welt an.
AFP
Prominente Übersetzer
2014 jährte sich der Tod des Autors Saint-Exupéry zum siebzigsten Mal. Von diesem Datum an
wurden seine Werke in verschiedenen Ländern
gemeinfrei. Auf dem deutschen Buchmarkt
hatte das zur Folge, dass etliche Verlage versuchten, sich ein Stück der Beute zu sichern.
Alle witterten das grosse Geschäft. «Dieser Kuchen ist so gross», sagten sie sich wohl, «dass wir
auch noch mit einer Minderheitsbeteiligung
einen guten Schnitt machen.» Doch wie konnte
man in dieser Situation punkten? Mehrere Verlage setzten in dieser Situation bei den Übersetzern auf grosse Namen, die man in erster Linie
als Autoren kennt. Der Deutsche TaschenbuchVerlag rückte mit Hans Magnus Enzensberger
ins Feld und vergab die Lizenz für eine gediegene Hardcover-Ausgabe gleich an den ArcheVerlag. S. Fischer brachte Peter Stamm ins Spiel.
Der Insel-Verlag kündigt für den Herbst 2015
eine Übersetzung des Philosophen Peter Sloterdijk an. Reclam dagegen positioniert sich mit
einer Übersetzung von Ulrich Bossier, der sich
2003 mit der Studie «Wenn Literaten übersetzen» einen Namen gemacht hat. In diesem Buch
vergleicht er sieben deutsche Versionen von Molières «Menschenfeind» und geht namentlich
mit Enzensbergers modernisierter Fassung kritisch ins Gericht.
Das Rennen der «Petit Prince»-Übersetzer ist
also eröffnet. Daran ist auch gar nichts falsch.
Wir sind in einem freien Markt. Die Besten sollen gewinnen. Interessant ist dabei, wie unter-
Antoine de Saint-Exupéry (1900–1944), hier vor seinem
Flugzeug, wurde im Krieg über Marseille abgeschossen.
schiedlich der philologisch relativ schlichte Text
übertragen werden kann. Das Buch bietet ja beileibe keine jener Verständnisschwierigkeiten,
die uns bei Proust oder Claude Simon in fast
jedem Satz begegnen. Alles scheint klar am Tag
zu liegen. Aber eben: Es scheint nur so. Auf den
zweiten Blick ist alles viel vertrackter.
Melancholie und Leichtfüssigkeit
Schon auf den ersten Zeilen (nach der Widmung
des Werks an den «besten Freund» Léon Werth)
zeigt sich das. Sie lauten: «Lorsque j’avais six ans
j’ai vu, une fois, une magnifique image, dans un
livre sur la forêt vierge qui s’appelait Histoires
vécus. Ça représentait un serpent boa qui avalait
un fauve.» Grete und Josef Leitgeb sehen im
Buch «Erlebte Geschichten» ein prächtiges Bild
mit einer Riesenschlange, die ein Wildtier verschlingt. Bei Elisabeth Edl ist das Bild phantastisch, und eine Boa verschlingt ein wildes Tier.
Bei Bossier ist das Bild wunderschön, und eine
Boa verschlingt ein Raubtier. Peter Stamm sieht
ein wunderbares Bild. «Darauf war eine Boa zu
sehen, eine Riesenschlange, die ein Raubtier
verschlang.» Und bei Enzensberger verschlingt
eine Riesenschlange gerade ein wildes Biest.
Schon dieses kleine Beispiel zeigt: Es gibt verschiedene Arten, einen Satz zu übersetzen. Die
Semantik ist dabei nur das eine. Wildtier, wildes
Tier, Raubtier, Biest? Das andere sind Fragen
von Rhythmus, Sprachmelodie und Sprachebene. «J’essaierai, bien sûr, de faire des portraits le
plus ressemblants possible», sagt der Erzähler
im vierten Kapitel. «Ich werde versuchen, die
Bilder so wirklichkeitstreu wie möglich zu machen», übersetzen die Leitgebs. Elisabeth Edl
schreibt: «Natürlich will ich versuchen, so getreue Porträts wie möglich zu machen.» Bossier
übersetzt, die folgenden Sätze bereits vorwegnehmend: «Natürlich will ich mein Bestes tun,
den kleinen Prinzen so getreu wie möglich abzubilden.» Bei Stamm will der Erzähler versuchen,
«meine Zeichnungen so ähnlich wie möglich
hinzukriegen», bei Enzensberger, «dass meine
Bilder so naturgetreu wie möglich werden». Gewiss, wir verstehen in jedem Fall, was gemeint
ist. Und doch haben wir es mit ganz verschiedenen Auslegungen zu tun.
Ein summarischer Vergleich der Übersetzungen ergibt folgenden vorläufigen Befund: Die
Leitgeb-Version hat den Vorteil, dass sie älteren
Generationen von Saint-Exupéry-Lesern einfach noch im Ohr ist – so wie die ShakespeareÜbersetzung von Schlegel/Tieck oder Klemperers Beethoven. Elisabeth Edls Übertragung ist
heller und genauer, beispielsweise im Beachten
der Leitmotive und Wortspiele. Bei ihr ist auch
Saint-Exupérys Witz viel stärker spürbar.
Bossier überzeugt durch Exaktheit, Straffheit
und den Verzicht auf modische Experimente.
Von den beiden Dichtern im Felde hat Peter
Stamm die überzeugendere Arbeit geleistet.
Seine unaufgeregte Übertragung ist prägnant,
leicht, erfrischend herb und mit mehr Erfolg um
eine zeitgemässe Umgangssprache bemüht als
Enzensberger. Dem gelingen zwar zahlreiche
originelle Wendungen, aber er tut oft auch zu
viel des Guten. So verwendet er Modewörter wie
«tipptopp» und «doof»; aus «cet homme» macht
er «dieser Typ», aus der «occupation» einen
«Job», «Pourquoi vends-tu ça» wird zu «Warum
verkaufst du dieses Zeug?». Manchmal verdirbt
er auch Stellen, weil er vom allgemein Anerkannten abweichen will. Elisabeth Edl hat zu
Recht gesagt, dass es an der Formulierung «Man
sieht nur mit dem Herzen gut» nichts zu verbessern gebe. Was aber schreibt Enzensberger?
«Man begreift gar nichts, wenn das Herz nicht
dabei ist.» Damit ist nun weder semantisch noch
melodisch etwas gewonnen.
Dass «Der Kleine Prinz» nach wie vor fasziniert, liegt an seiner gelungenen Mischung aus
Melancholie und Leichtfüssigkeit. Zudem ist das
Märchen, wie seine Entstehungsgeschichte
zeigt, ein Text, der weit genauer in der Vita des
Autors und in dessen Erlebnissen während der
1930er Jahre und des Zweiten Weltkriegs verankert ist, als man bei einer naiven Lektüre annehmen würde. l
Zürich
Basel
Bederstrasse 4
Güterstrasse 137
Bern
Länggassstrasse 46
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100‘000 antiquarische Bücher
buecher-brocky.ch
16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
Luzern
Aarau
Ruopigenstrasse 18
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Kunst
Kinder
Helvetika
Freihofweg 2
Sport
Politik
Literatur
Hobby
Reisen
Kochen
u.v.m.
Kolumne
Charles LewinskysZitatenlese
Manche Bücher muss
man probieren, andere
verschlingen, und einige
wenige muss man kauen
und verdauen.
Kurzkritiken Sachbuch
Ulrich L. Lehner: Mönche und Nonnen im
Klosterkerker. Topos plus, Kevelaer 2015.
174 Seiten, Fr. 15.90, E-Book 8.40.
Alfie Kohn: Der Mythos des verwöhnten
Kindes. Beltz, Weinheim 2015. 304 Seiten,
Fr. 31.90, E-Book 28.90.
Dem Theologen Ulrich L. Lehner, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Milwaukee (USA), ist es sichtlich
peinlich, bei seinen Forschungen auf
«Bastionen der Unmenschlichkeit und
Intoleranz» gestossen zu sein: Klosterkerker, monastische Foltermethoden,
physische Gewalt und Misshandlungen
durch Priore und Äbtissinnen, Kindsmissbrauch, sexuelle Delikte von und an
Mönchen und Nonnen, Verwahrung von
Geisteskranken in unterirdischen Klosterverliessen. Sein Streifzug durch Kloster- und Kirchenarchive fördert eine
Menge von Absonderlichkeiten in zahlreichen Orden bis weit ins 18. Jahrhundert zutage. Ist es ein Randphänomen,
wenn in Bayern «weniger als 2 Prozent»
der franziskanischen Brüder wegen
schwerer Vergehen eingekerkert waren?
Oder eher erschreckend viel? Lehner
jedenfalls deckt ein dunkles Kapitel katholischer Geschichte sachkundig auf.
Kinder seien heute verwöhnt, anspruchsvoll und egoistisch; sie würden
zu viel gelobt, zu ängstlich überwacht,
zu wenig diszipliniert, zu wenig gefordert und zeigten ganz einfach zu viel
Selbstbewusstsein und zu wenig Gehorsam: Die Litanei ist bekannt und der
amerikanische Publizist Alfie Kohn widerspricht ihr mit Gusto. Nicht nur seien
diese Klagen so alt wie die Menschheit,
sie stützten sich auch auf keinerlei
Daten, sondern einzig auf Anekdoten
und auf ein konservatives Denken. Ausführlich und erhellend diskutiert Kohn
die Erkenntnisse zu den zentralen Konzepten Selbstwertgefühl und Selbstdisziplin und präsentiert nach der langen
Schelte der Gehorsams- und Leistungsideologie endlich auch ein eigenes Konzept: das einer Erziehung zur sanften
Rebellion. Das ist durchaus optimistisch,
dürfte aber Eltern eines tobenden Zweijährigen etwas ratlos zurücklassen.
Eva Illouz: Israel. Soziologische Essays.
Suhrkamp, Berlin 2015. 229 Seiten,
Fr. 22.90, E-Book 22.–.
Michael Furger, Chanchal Biswas (Hrsg.):
Der Kult um unser Essen. NZZ Libro, Zürich
2015. 180 Seiten, Fr. 48.–.
Eva Illouz kennen wir als kluge Analytikerin der romantischen Liebe in unromantischen Zeiten. Hier nun richtet die
aus Marokko stammende, in Frankreich
aufgewachsene jüdische Soziologin
ihren unbestechlichen Blick auf ihre
Wahlheimat Israel. Ob es um die Macht
der Ultraorthodoxen in Israel geht, um
die «ethnische Tiefenstruktur» zwischen
Aschkenasen und Sepharden, um einen
Vergleich Israels mit dem Frankreich der
Dreyfuss-Affäre oder um das jüdische
Gebot zu einer Hypersolidarität, die
selbst jüdische Kritiker Israels als Antisemiten brandmarkt – Illouz deutet Politik und Gesellschaft Israels aus dem klaren Geist der Menschenrechts-Tradition
Frankreichs. Alle 14 Essays sind in den
vergangenen Jahren in der linksliberalen
israelischen Tageszeitung «Haaretz»
erschienen – ein Glück, dass sie nun
gesammelt auf Deutsch vorliegen.
In der Überflussgesellschaft ist die Ernährung zu einer komplizierten Angelegenheit geworden: Wie verpflegen wir
uns «richtig»? Sind wir, was wir essen?
Wie viel Moral ist auf unseren Tellern?
Aufgeladen mit solch ethischen Fragen
hat das Essen einen identitätsstiftenden
Charakter erhalten – und ist zum Gegenstand unserer Tage geworden. Die «NZZ
am Sonntag» hat der aktuellen Thematik
unlängst in einer Artikelserie nachgespürt und die Beiträge, ergänzt durch
weitere Texte, nun in Form eines umfassenden Sammelbandes publiziert. Von
der industriellen Herstellung und Vermarktung von Esswaren über die Gründe
für die weltweit zunehmende Fettleibigkeit bis hin zur Fleischproduktion aus
dem Labor beleuchten 18 Autoren und
Autorinnen die Themen Essen und Ernährung aus ganz unterschiedlichen
Blickwinkeln.
LUKAS MAEDER
Francis Bacon
Der Autor Charles
Lewinsky arbeitet in
den verschiedensten
Sparten. Sein letzter
Roman «Kastelau»
ist im Verlag Nagel &
Kimche erschienen.
Lies nicht so gierig! Wenn du dir schon
Fast-Food-Romane reinziehen musst,
solltest du sie wenigstens nicht am Stück
runterschlingen. Das ist nicht gut für die
geistige Verdauung. Wenn dir mitten in
einer gepflegten Unterhaltung der Inhalt
wieder aufstösst, wer muss sich dann
schämen? Wir! Die Leute müssen ja denken, bei uns zuhause käme überhaupt
nie ein anständiges Buch auf den Tisch.
Warum nimmst du dir nicht ein Vorbild an deinen Eltern? So ein Robert
Walser, in winzigen Portionen genossen… «Der Gehülfe» zum Beispiel. Nein,
nicht Gehilfe! Gehülfe. Das ist eben die
ganz feine Würzung. Das muss man sich
auf der linken Gehirnhälfte zergehen
lassen. Aber du…
Was sagst du? Davon wird man nicht
satt? Literatur ist nicht zum Sattmachen
da! Sonst wäre Karl May der grösste
Dichter, den es je gegeben hat. Weisst
du, was man von solchen Büchern
bekommt? Gehirnverstopfung! Und verfettete Bücherregale von all den ErzählKalorien!
Nein, ich rege mich nicht auf. Ich bin
nur enttäuscht von dir. Dich kann man
ja nicht mal in eine bessere Bibliothek
mitnehmen, ohne dass du einen
blamierst. Beim letzten Mal hast du
allen Ernstes gefragt, was E. T. A. Hoffmann ausser dem «Jedermann» noch
geschrieben habe. Deine Mutter war
einer Ohnmacht nahe. Unser Sohn – und
kennt noch nicht mal den Unterschied
zwischen Hoffmann und Hofmannsthal.
Zum Glück hatte ich das Fläschchen mit
den Hoffmannstropfen dabei.
Und warum musst du immer genau
dann dringend Aufgaben machen, wenn
wir uns am Fernsehen den «Literaturclub» ansehen? Die Sendung, in der die
angesagten Literatur-Rezepte besprochen werden.
Was soll das heissen: «Die Leute, die
dort auftreten, können selber gar nicht
kochen»? Seit wann muss man kochen
können, um kluge Dinge übers Essen zu
sagen? Ein Ballettkritiker geht auch
nicht im Tutu ins Theater!
Aber weisst du, was deine schlechteste Angewohnheit ist? Dass du auf einem
E-Book liest! Wo man noch nicht mal
weiss, wo man sein Exlibris einkleben
soll. Wenn Gott gewollt hätte, dass wir
E-Bücher lesen, hätte er die Fadenheftung nicht erschaffen.
Wir verlangen ja nicht, dass du Romane von Murakami mit Stäbchen isst,
oder dir deinen Bashevis Singer nur im
koscheren Restaurant bestellst – aber
ein bisschen Stil sollte schon sein.
Merk dir das endlich,
mein Sohn: Ein zivilisierter Mensch liest
nicht einfach nur
zum Vergnügen!
Urs Rauber
Kathrin Meier-Rust
Kathrin Meier-Rust
Simone Karpf
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
Sachbuch
Moral Jennifer Jacquet untersucht die Bedeutung von Schuldgefühlen und sieht darin eine Kraft,
gesellschaftliche Verhältnisse zu revolutionieren
Schämteuch–und
verändertdieWelt!
Von Kirsten Voigt
«Schämst du dich denn gar nicht?» Mit
einer solchen Frage wurden früher Kinder erzogen. Der Blick des errötenden
Befragten ging betrübt auf die eigenen
Schuhspitzen und neben dem Gefühl der
Schuld stellte sich das der Scham ein. Je
stärker eine Kultur auf Individualität
setzt, je mehr sie den Einzelnen zum
Souverän seiner persönlichen Wertmassstäbe, Erfolgs- und Glücksvorstellungen
macht, desto geringer wird dessen Furcht
vor dem potenziell ungünstigen Urteil
der Gemeinschaft über ihn.
Scham hatte schon grössere Konjunktur, die Zeitalter der Schandstrafen und
öffentlichen Demütigungen scheinen in
westlichen Kulturen, zumal sie nicht
nachtragend sind, sondern ein kurzes
Gedächtnis haben, vorüber. Das hat sein
Gutes. Wo solche Strafen verhängt werden, flammt Streit auf – etwa, wenn in
den USA Bürger dazu verurteilt werden,
Kennzeichen an ihren Fahrzeugen anzubringen, die klarmachen, dass sie schon
einmal in alkoholisiertem Zustand gefahren sind, oder mehrere Stunden mit
Schildern auf dem Gehweg zu stehen, die
von ihren Verfehlungen künden.
«Die Beschämung kann ein wirkungsvolles Instrument sein, doch ob sie es
tatsächlich ist, hängt wie im Falle der
Antibiotika vom richtigen Zeitpunkt und
der richtigen Dosierung ab», schreibt
Jennifer Jacquet. Die Assistenzprofessorin an der Fakultät für Umweltwissenschaften der New York University erkennt in ihrem Buch, wie der Untertitel
sagt, «Die politische Kraft eines unterschätzten Gefühls». Und sie plädiert
dafür, diese Kraft vor allem im Bezug auf
den Erhalt unserer Lebensgrundlagen
und einen würde- und respektvollen
Umgang mit anderen Arten einzusetzen.
Mit dem Mittel der Beschämung können Einzelne und Konzerne zu einem
sozial erwünschten Verhalten gebracht
werden. Jennifer Jacquets Mutter
schenkte ihr, als sie noch ein Kind war,
das Buch «50 einfache Dinge, die Kinder
tun können, um die Erde zu retten».
Heute ist Jacquet Expertin auf dem Gebiet des Ressourcenmanagements und
verfasste auf der Website von «Scientific
American» drei Jahre lang den «Guilty
Planet Blog». Im Buch «Scham» analy-
Onlineshop für secondhand
Lektüre mit über 50 000
Büchern
Kontakt: [email protected]
http://blog.buchplanet.ch
http://facebook.com/buchplanet.ch
http://www.twitter.com/buchplanet
18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
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Sara Grob
Betriebsleiterin
siert sie das Thema weniger moralphilosophisch als sozial-empirisch und kulturpsychologisch. Sie sammelt munter
und erhellend Fakten und Fallbeispiele
für Unverschämtheiten grossen Stils und
erfolgreiche, dem Gemeinwohl dienliche
Beschämungen der Schuldigen.
Vom Klatsch zum Pranger
Scham lässt sich auch bei Gruppen erzeugen, sie steckt an, während die Suche
nach dem oder den Schuldigen zumeist
nur auf eine begrenzte Zahl von Individuen zielt und sie zur konkreten Rechenschaft zieht. Scham basiert auf der Wahrnehmung eines Regelverstosses und auf
dessen öffentlicher Ahndung, die mit
einem Verlust an Ansehen und dadurch
auch ideeller und materieller Entfaltungsmöglichkeiten einhergehen kann.
Im besten Falle treibt Scham nicht in die
Isolation oder ins private Gefühlsde-saster – dem amerikanischen Schriftsteller Jonathan Franzen bescherte die
Scham über seine misslungene erste Ehe
und seine «generelle Naivität» nach eigenem Bekunden eine zehnjährige Schreibblockade –, sondern motiviert Verhaltensänderungen.
Ob östliche Scham- oder westliche
Schuldkultur – in beiden spielt der
Ein soziales Projekt der Stiftung Tosam www.tosam.ch
Jennifer Jacquet: Scham.
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2015.
224 Seiten, Fr. 27.90, E-Book 18.–.
SVETLANA BEKYAROVA / GETTY IMAGES
Klatsch als Unterkategorie der Beschämung eine Rolle. Zwei Drittel der
menschlichen Konversation – ob bei den
Kung-Buschmännern in Botswana oder
in der Mensa einer britischen Universität
– beruhen nach Erkenntnissen der Anthropologen Polly Wiessner und Robin
Dunbar auf Klatsch. Positive Urteile über
unsere Mitmenschen machen nur zehn
Prozent dieses Klatsches aus. Die Medien
haben sich zu immer wirkungsvolleren,
weil weitreichenderen Beschämungsinstrumenten entwickelt. Der effektvollste potenzielle Pranger, das Internet,
wird derzeit von drei Milliarden Menschen genutzt. Auch dies macht ein
neues Nachdenken über Scham und Beschämung nötig.
Druck aufs Ökogewissen
Noch wesentlicher sind jedoch die faktischen Bedrohungslagen für die Reflexion dieses Themas, die angebrachten
«Grünen Gewissensbisse», wie Jacquet
sie nennt. Riesenseekuh und Labradorente, Tasmanischer Tiger oder Pinta-Riesenschildkröte: Mehr als 90 Prozent aller
Arten, die einst auf der Erde lebten, existieren nicht mehr. 17'000 sind aktuell
vom Aussterben bedroht. Ob es um die
Jagd auf den Thunfisch oder die Abholzung des Regenwaldes geht, ob um Diamantenhandel, durch den afrikanische
Bürgerkriege finanziert werden, ob um
Garnelen aus Bangladesh, deren Produktion auf der Ausbeutung von Frauen und
Kindern beruht, oder um den täglichen
Handy-Verschleiss, der auf dem Umweg
der fatalen Entsorgungsbedingungen das
Grundwasser in Nigeria verseucht – wir
werden dem Verdikt des Wildbiologen
George Schaller zunehmend gerechter,
der 2008 äusserte: «Der Mensch war der
grösste Fehler der Evolution.» Der Emissionshandel unserer Tage, meint Jacquet, lässt sich am besten mit dem mittelalterlichen Ablasshandel vergleichen,
und unser schlechtes Öko-Gewissen
kurieren wir zumeist lediglich über den
durch Umweltsiegel ethisch scheinveredelten Konsum.
Beschämung kann Normen etablieren, indem sie Exempel statuiert. Sie
kann einfache, sachliche mediale For-
Erröten, zu Boden
blicken, sich schämen.
US-Autorin Jennifer
Jacquet will mit
Schuldgefühlen
positives Verhalten
bewirken.
men annehmen – wie etwa die Veröffentlichung der 100 rücksichtslosesten LuftVerpester der USA auf der Internetseite
des PERI-Instituts – oder sie kann kreativ
und spielerisch werden wie etwa die
Aktionen der Gruppe «Yes Men». Jude
Finisterra, der als fingierter Pressesprecher von Dow Chemical an die Öffentlichkeit ging, verkündete im Dezember
2004 zum Jahrestag der Giftgaskatastrophe im indischen Bhopal, der Konzern
übernehme nun erstmals die volle Verantwortung für die Katastrophe und
habe einen 12-Milliarden-Dollar-Plan
entwickelt, um die 120’000 von dem Unglück betroffenen Menschen zu entschädigen. Die BBC – aufmerksam geworden
durch die Internetseite der «Yes Men»
mit der gefälschten Entschuldigung von
Dow Chemical – sendete ein Interview
mit Finisterra.
Es vergingen zwei Stunden, bis das
Unternehmen auf den Fake aufmerksam
wurde und sich zu der entblössenden
Stellungnahme genötigt sah, man übernehme keinerlei Verantwortung und
denke nicht an Entschädigungen. Aber
auch ohne Massenmedien kann der Protest Aufsehen erregende Formen annehmen – etwa als perfektes Strassentheater.
In New York City traten in den neunziger
Jahren zunächst überdimensionale Ratten, später auch Kakerlaken, Schweine
und Wanzen auf den Plan, richteten sich
prall vor Gebäuden auf. In Gewerkschafterkreisen werden Arbeitgeber, die
gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter nicht einstellen, als «Ratten» bezeichnet. Die vier Meter hohen, aufblasbaren
Gummi-Tiere outeten die Manager durch
ihr Auftauchen vor deren Firmensitzen –
amerikanische Nachrichtensender vermeldeten die täglich neuen Standorte
der Riesen-Nager.
Auch Jennifer Jacquet selbst hat nicht
nur ihr lesenswertes, informatives Buch
zum Thema abgeliefert, sondern im Jahr
2011 selbst einen Schampfahl aus den
Logos der Unternehmen geschaffen, die
in einer Umfrage zu den sozial-schädlichsten gewählt wurden. Er wurde in
der Londoner Serpentine Gallery ausgestellt. Der Musiker Brian Eno komponierte zu ihm eine Musik. ●
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19
Sachbuch
Geschichte Ein Bild-Text-Band beschreibt die vielfältigen Beziehungen Winston Churchills zur Schweiz
FastwäreerimGenferseeertrunken
Werner Vogt: Winston Churchill und die
Schweiz. NZZ Libro, Zürich 2015.
231 Seiten, Fr. 51.-.
Was wäre geworden, wenn es Winston
Churchill nicht gegeben hätte? In einer
Zeit, in der prominente Historiker wie
Niall Ferguson und Alexander Demandt
sich mit «virtueller Geschichte» befassen, ist kaum eine Frage häufiger gestellt
worden. Und was immer man sich
an abenteuerlichen Geschichtsverläufen
auch ausdenken mag: Ein freies Europa
hätte dann wohl keine Zukunft mehr gehabt.
Zum Leben des englischen Kriegspremiers gibt es in deutscher Sprache
zwei empfehlenswerte Bücher. Das eine
stammt von Sebastian Haffner; das andere, erst kürzlich erschienen, verdanken wir Thomas Kielinger, dem Londoner Korrespondenten der «Welt». Nun
liegt ein neues Buch vor, das sich mit den
Beziehungen des englischen Politikers
zur Schweiz befasst. Sein Verfasser Werner Vogt hat 1996 mit einer vielbeachteten Dissertation zur Churchill-Berichterstattung der «Neuen Zürcher Zeitung»
promoviert. Seither hat er sich immer
wieder mit dem Staatsmann auseinandergesetzt und durch seine Berufstätigkeit auch eine gute Kenntnis englischer
Mentalität erworben.
Winston Churchill hat die Schweiz
schon vor dem Ersten Weltkrieg auf
mehreren Reisen kennengelernt. Wir
wissen von diesen Aufenthalten wenig
mehr, als dass der junge Mann den Monte
Rosa bestieg, fast im Genfersee ertrunken wäre und sich auf der Riederfurka
SCHWEIZERISCHES KUNSTARCHIV / NACHLASS MONTAG
Von Urs Bitterli
über das Geläut der Kuhlocken ärgerte.
In der Zwischenkriegszeit befasste sich
Churchill kaum je mit unserem Land. Die
NZZ aber druckte zwischen 1936 und
1938 immer wieder seine politischen Artikel ab, die durch eine Presseagentur
verbreitet wurden. Während des Krieges
kam Churchill gelegentlich auf die
Schweiz zu sprechen, in der er einen potenziellen Verbündeten im Kampf gegen
Hitler sah. Nach der Niederlage Frankreichs im «Blitzkrieg» erschien der
Staatsmann in Presse und Öffentlichkeit
unseres Landes als Hoffnungsträger;
man weiss, dass über dem Schreibtisch
Willy Bretschers, des Chefredaktors der
NZZ, ein Porträt Churchills hing.
Im Zentrum von Vogts Darstellung
steht der Besuch, den Churchill im Sommer 1946 der Schweiz abstattete. Der
Autor gibt eine detaillierte Darstellung
Winston Churchill
malt den Genfersee.
Seine Frau Clementine
(3. von rechts) und
Freunde betrachten
das Kunstwerk, 1946.
dieses Aufenthalts, an den sich zahlreiche ergötzliche Anekdoten knüpfen.
Vogt stützt sich auf frühere Recherchen
des Historikers Max Sauter, auf Berichte
der Schweizer Filmwochenschau und
auf die Aussagen noch lebender Augenzeugen. Zuerst verbrachte Churchill einige Ferientage am Genfersee und reiste
dann mit dem «Roten Pfeil» über Bern
nach Zürich. Überall wurde er von einer
begeisterten Menge begrüsst. In Zürich
hatte er ein anstrengendes Besuchsprogramm zu absolvieren, das nicht ohne
Zwischenfälle und Komplikationen verlief und seinen Höhepunkt in der berühmten Europa-Rede an der Universität
fand. Der Text wird in Vogts Buch im vollen Wortlaut auf Englisch und Deutsch
wiedergegeben.
Gegen Schluss kommt der Autor noch
auf das Schweizer Küchenpersonal zu
sprechen, das auf Churchills Landsitz
Chartwell beschäftigte wurde und von
dem wenn nicht wichtige, so doch amüsante Nachrichten überliefert sind. So erfährt man mit Interesse, dass des grossen
Mannes Lieblingsdessert Karamellköpfli
gewesen sind.
Kein Zweifel: Werner Vogts Buch ist
das Buch eines Bewunderers. Es wird die
kritische Churchill-Forschung nicht auf
neue Erkenntnispfade führen, aber es
zeichnet ein überaus anschauliches und
humorvolles Bild von einem Schweizer
Besuch, der in Winston Churchills Leben
eine Episode, in der Geschichte unseres
Landes aber ein Ereignis war. Hervorragend ist das Fotomaterial, das der Autor
aus in- und ausländischen Archiven
zutage gefördert und seinem Buch beigegeben hat. ●
Urs Bitterli ist emeritierter Professor
der Geschichte der Universität Zürich.
Syrien Uno-Beraterin Loretta Napoleoni spricht sich für einen pragmatischen Umgang mit Terroristen aus
Den «Islamischen Staat» anerkennen?
Loretta Napoleoni: Die Rückkehr des
Kalifats. Rotpunkt, Zürich 2015.
158 Seiten, Fr. 24.90, E-Book 19.–.
Von Susanne Schanda
«Kenne deinen Feind»: So einfach diese
Aufforderung klingt, so komplex ist
deren Umsetzung. Dies gilt ganz besonders beim Phänomen der Terrormiliz
Islamischer Staat. Die Terrorexpertin
Loretta Napoleoni, die als Uno-Beraterin
und Auslandkorrespondentin u.a. für
«Le Monde» tätig war, trägt mit ihrem
Buch wesentlich zum Verständnis bei.
Dies beginnt bereits bei der Benennung
des Feinds.
Während zahlreiche westliche Medien
und Politiker nur die Abkürzungen ISIL,
ISIS oder IS verwenden, um der Gruppe
bewusst die Anerkennung als Staat zu
verweigern, nennt Loretta Napoleoni das
20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
Kind beim Namen. Nicht nur weil sich
die Gruppe selbst so nennt, sondern weil
gerade vom Anspruch auf Staatenbildung die grösste Gefahr ausgehe und die
Gruppe mit der Ausrufung des Kalifats
kurz vor Erreichung ihres Ziels sei: «Zum
ersten Mal seit dem Ersten Weltkrieg ist
eine bewaffnete Gruppierung dabei, die
von den Franzosen und Briten entworfene Karte des Nahen Ostens neu zu
zeichnen: Der Islamische Staat radiert
zurzeit die Grenzen aus, die im SykesPicot-Abkommen von 1916 festgelegt
worden waren.»
Napoleoni schreibt, dass die Invasion
der USA und ihrer Verbündeten 2003 im
Irak bestehende Terrorgruppen stärkte.
Der Islamische Staat verkörpere keine
neue Art von Terrorismus, sondern sei
«als Weiterentwicklung seiner früheren
Form auferstanden». Durch die mediale
Selbstinszenierung und den professionellen Einsatz der sozialen Medien wie
etwa Facebook oder Twitter für Propaganda, Rekrutierung und Finanzierung
agiere der IS geradezu modern. Für
junge, im Westen geborene Muslime, die
mit ihrem Leben nicht zurechtkommen,
biete der Islamische Staat «die einmalige
Gelegenheit, bei der Erschaffung einer
neuen politischen Ordnung im Nahen
Osten mitwirken zu können». Für
Napoleoni ist klar, dass man dem IS mit
anderen Mitteln als mit Krieg entgegentreten muss.
Ihr Vorschlag, «einen solchen Staat in
die internationale Gemeinschaft zu
holen und ihn dadurch zur Respektierung des Völkerrechts zu zwingen», ist
allerdings provokativ. Das Buch basiert
auf fundierter Kenntnis und ist eine
pointierte und kühne Alternative zur
gängigen Debatte. Diese lasse sich gemäss Napoleoni von der Greuel-Propaganda des IS zugleich lähmen und in
Panik versetzen. ●
Religion Der grosse Ägyptologe Jan Assmann deutet das biblische Buch «Exodus» und schildert seine
enorme Wirkungsgeschichte
MonotheismusderTreue
Religion ausmachen und sich im Judentum wie im Christentum bis heute ausprägen.» Die Exodus-Erzählung stelle
damit nichts Geringeres dar als einen
«revolutionären Ausstieg aus dem politischen System der altorientalischen
Sakralkönigtümer» und die Wende von
einer mythischen in die geschichtliche
Zeit, in der wir bis heute leben.
Historisch datierbar ist der Auszug aus
Ägypten jedoch nicht, darin stimmt Assmann mit der heutigen Bibelwissenschaft überein. So sehr man sich mit
allen möglichen Theorien bemüht hat:
Das Geschehen lässt sich weder aus
historischen noch aus archäologischen
Quellen verifizieren. Auch die kausale
Verbindung zwischen dem Pharao Echnaton (um 1340 v. Chr.), der den Sonnengott über alle anderen Götter setzte, und
der Entstehung des biblischen Monotheismus hält Assmann für haltlos. Ohne
auszuschliessen, dass im 12. Jahrhundert
v. Chr. etwas passiert sein könnte, das
dann eine Erinnerungskultur auslöste,
hält Assmann fest: Entstanden ist das
Buch Exodus in seiner bis heute kanonisierten Form erst im 6. Jahrhundert v.
Chr., als Folge des babylonischen Exils,
als es galt, die jüdische Identität zu verteidigen und zu bewahren.
Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der
Alten Welt. C. H. Beck, München 2015.
493 Seiten, Fr. 42.90, E-Book 26.–.
Von Kathrin Meier-Rust
Die Superlative erinnern an die Kinowerbung für Ridley Scotts MonumentalEpos «Exodus – Gods and Kings». Die Geschichte vom Auszug des Volkes Israel
aus Ägypten, so schreibt Jan Assmann,
sei die «grandioseste und folgenreichste
Geschichte, die sich Menschen jemals erzählt haben». Es handle sich hier nicht
nur um den Gründungsmythos Israels,
sondern um jenen des «Monotheismus
und damit eines zentralen Elements der
modernen Welt».
Doch während im Kino die Geschichte
von Moses samt den zehn Plagen und
einer spektakulären Teilung des Roten
Meeres in Grossaufnahme an uns vorbeirauscht, fordert Assmanns Buch einiges
an konzentriertem Lesen. Wie immer
umkreist und deutet der grosse Doyen
der deutschen Ägyptologie, emeritierter
Professor in Heidelberg und Konstanz,
jedes Detail seiner Quelle – das zweite
Buch Mose, genannt Exodus – mit der
ihm eigenen stupenden Gelehrsamkeit
und Akribie.
Mit seinen Büchern «Moses in Ägypten» (1998) und «Die mosaische Unterscheidung» (2002) hatte Assmann vor
einigen Jahren eine grosse Kontroverse
ausgelöst – sie liegt mit «Die Gewalt des
einen Gottes», Berlin University Press
2014, inzwischen in Buchform vor. Mit
dem biblischen Monotheismus, so plädierte Jan Assmann damals, sei zum
ersten Mal die Unterscheidung zwischen
wahr und falsch in den Raum des Religiösen eingedrungen. Diese «mosaische
Unterscheidung» zwischen dem einen
wahren Gott und den vielen falschen
Göttern habe fortan religiöse Gewalt, Intoleranz und heilige Kriege begründet
und legitimiert. Die These stiess von Seiten der Bibelwissenschaften auf einigen
Widerstand.
Auch ein Mythos lebt
Biblische Geschichte
à la Hollywood
im actionreichen
Spektakelfilm
«Exodus – Gods and
Kings» (2014) von
Ridley Scott.
Es handelt sich deshalb hier um eine
«symbolische Erzählung», um eine «erfundene Tradition», um einen «Gründungsmythos», wie ihn so viele Völker
kennen, in dem sich zwar durchaus Spuren historischer Ereignisse finden könnten, die aber im Grunde unerheblich
seien. Denn ob ein Mose je existiert habe,
könne man getrost auf sich beruhen lassen: «Er lebt stark und vielfältig genug in
den Köpfen und Herzen nicht nur des
jüdischen Volkes.»
Assmanns grossartige Sätze – man
möchte sie immerfort zitieren – schlagen
gewaltige Schneisen ins Dunkel der
altorientalischen Geschichte. Bei Auslegung und Diskussion der einzelnen Verse
und hebräischen Worte der biblischen
Erzählung referiert derselbe Autor dann
aber über weite Strecken des Buches
vollkommen fachwissenschaftlich und
überfordert damit den Laien-Leser.
Doch immer wieder findet er zurück
zum grossen Blick. Dazu gehört vor allem
auch die enorm breite Rezeption der
Exodus-Erzählung, keineswegs nur im
Judentum, sondern auch in der christlichen und islamischen Welt. Schon die
zahlreichen schönen Illustrationen des
Buches führen dies vor Augen. Ebenso
die im Buch diskutierten Beispiele: von
der Bachkantate «Wann kömmt der Tag,
an dem wir ziehen aus dem Ägypten dieser Welt» bis zum Gospelsong «Let my
people go», von Schillers Essay «Die Sendung Moses» bis zu Freuds «Der Mann
Moses», von Händels Oratorium «Israel
in Egypt» bis zu Schönbergs Oper «Moses
und Aron». Die Puritaner in den USA wie
die Buren in Südafrika, die Civil-RightsBewegung wie die Befreiungstheologie
in Lateinamerika haben sich mit der
Exodus-Geschichte identifiziert .
Man kann sich also den Auszug aus
Ägypten durchaus von Ridley Scott in 3D
zu Gemüte führen. Wer mehr wissen
möchte über die geistigen und historischen Hintergründe dieses Mythos – der
greife zu Jan Assmanns «Exodus». ●
Rachsüchtiger Gott
«Exodus» unternimmt nun eine Revision
dieser These – er habe von seinen Kritikern viel gelernt, gesteht Assmann im
Vorwort freimütig ein. Und indem der
Ägyptologe die Geschichte von Moses
und den Hebräern diesmal sozusagen
von innen betrachtet, aus der biblischen
Überlieferung nämlich, kommt er zum
Schluss: Nicht Wahrheit, sondern Treue
stehe im Zentrum der neuen monotheistischen Religion. Nicht um wahr und
falsch gehe es nämlich im Bund mit Gott,
sondern um Treue und Verrat – einen
Verrat, den Gott rachsüchtig bestraft, wie
in der Geschichte vom Goldenen Kalb
exemplarisch vorgeführt.
«Es sind die Ideen des Bundes, der
Treue, der Befreiung und der Verheissung, die das Wesen (…) der biblischen
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
Memoiren Mit der Biografie von Max Tobler (1876–1929)
wird an eine faszinierende Persönlichkeit der Zürcher
Arbeiterbewegung erinnert
Max Tobler: «Die Welt riss mich». Aus der
Jugend eines Rebellen. Chronos, Zürich
2015. 371 Seiten, Fr. 48.90.
Von Urs Rauber
In der Reihe «Schweizer Texte, Neue
Folge» publiziert der Zürcher Chronos
Verlag seit 1994 wenig bekannte
Texte von Schweizer Autorinnen und
Autoren – so von Silvia Andrea, NZZFeuilletonchef Eduard Korrodi, Heinrich
Zschokke, Annemarie Schwarzenbach
und anderen. Die neuste Publikation der
Autobiografie des früh verstorbenen
Arztes, Publizisten und Politikers Max
Tobler ist ein doppelter Fund: Sie erinnert an eine überaus populäre, doch von
der Forschung ebenso wie von der politischen Linken vergessene Figur der Zürcher Arbeiterbewegung zu Beginn des
20. Jahrhunderts; und sie publiziert ein
Manuskript, das – der Öffentlichkeit verborgen – über 80 Jahre lang in der Schublade von Verlegern, Freunden und des
Sozialarchivs schlummerte.
Aufgeweckter Teenager
Der in St. Gallen 1876 in eine Kaufmannsfamilie geborene Max Tobler war eine
aussergewöhnliche Persönlichkeit. Im
städtischen Gymnasium, wo er zusammen mit Freunden beschloss, «dass wir
Genies werden wollten», liess er sich von
der Abstinenzbewegung Auguste Forels
anstecken – damals das Weltverbesserungsprojekt idealistisch gesinnter Menschen. Der hagere Jüngling entfloh dem
elterlichen Geschäft, das mit Lederriemen, Gummischläuchen und Maschinenfetten handelte. Mehr noch entfremdete er sich jedoch seinem autoritären,
patriotisch gesinnten Vater, der an jedem
Sänger-, Schützen- oder Turnfest zu
Hause drei Flaggen aushängte: zwei rotweisse und eine grünweisse. Dass der
Sohn auf Most verzichtete und nur noch
alkoholfreies «süsses Zeug» trank, passte
ihm gar nicht: So verbot Tobler senior
seinem Sprössling den Beitritt zu den
Abstinenten. Vor allem, schärfte er ihm
ein, dürfe er «kein Sozialdemokrat und
Sonderling» werden.
Die von Christian Hadorn herausgegebene Autobiografie ist ein Juwel schweizerischer Coming-of-Age-Literatur des
19. Jahrhunderts. Mit feiner Feder beschreibt der fünfzigjährige Freigeist und
ironische Beobachter – das Manuskript
22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
entstand ca. 1924/25 – seine Adoleszenz
in den 1880er und 90er Jahren. Dass die
Jugendlichen des Abstinenzvereins «Humanitas» nicht nur der Alkoholverzicht,
sondern auch das ungestillte Verlangen
nach dem anderen Geschlecht plagte,
kommt darin auf wunderschönste Weise
zum Ausdruck. Dutzendfach erinnert
sich der Biograf an potenzielle Jugendlieben, zu denen er als schüchterner
Jüngling nie Zugang fand: vom heimlich
verehrten Kindergartenschwarm über
eine «Alleinherrscherin in meiner Phantasie» namens Emmi bis zur Eisläuferin,
die «so gesund und kraftvoll aussah wie
eine gelbe, frisch aufgeblühte Butterblume». Die Memoiren geben einen höchst
interessanten Einblick in das Denken
und Fühlen eines aufgeweckten Teenagers im späten 19. Jahrhundert, aber
auch in das Erwachen der schweizerischen Arbeiterbewegung vor dem Ersten
Weltkrieg.
Aus dem Gymnasiasten wurde ein
Französischlehrer in Cressier, dann ein
Zoologie-Student in Genf, wo er den vielen russischen Studentinnen begegnete,
sowie später in Würzburg und Zürich.
Auch hier kreisten die Gedanken nicht
allein um die Erforschung von Käfern
und neuseeländischen Schnecken, sondern um die grosse Aufgabe im Dienste
der Menschheit. Im Unterschied zu den
russischen Kommilitonen, für die das
Studium nur eine Etappe auf dem Lebensziel war, zu Hause Revolutionär zu
werden, war Max Tobler lange auf der
Suche. Die Schilderung, wie die Studiosi
in den 1890er Jahren ihre Zeit in Hörsälen, Cafés, Vereinen und auf Exkursionen – möglichst in weiblicher Begleitung
– verbrachten, erinnert an die Welt der
1968er und 1980er Studenten. Man erfährt: Bereits Ende des 19. Jahrhunderts
planten Jungakademiker den radikalen
Umsturz eher im Diskussionszirkel als in
der harten Wirklichkeit.
Unorthodox und libertär
Ein Schlüsselerlebnis war Toblers Zusammentreffen mit dem zwei Jahre älteren Zürcher Arbeiterarzt Fritz Brupbacher (1874–1945), der die Studenten für
ein Engagement in der Sozialdemokratie
zu gewinnen suchte. Diese Begegnung,
die später zu einer Freundschaft und
Wohnpartnerschaft in Zürich führte, gab
dem 22-Jährigen die erhoffte Perspektive. Tobler begann, für Brupbachers
Zeitschrift «Die junge Schweiz» zu schrei-
PRIVARARCHIV RUDOLF TOBLER
Feinsinniger
Revoluzzer
Max Tobler mit seiner
Ehefrau Minna und
den beiden Söhnen
James (links) und
Rudolf in Zürich um
1927.
ben und sich als «politischer Verschwörer» zu verstehen. Die Autobiografie
endet mit der Rückkehr des 26-Jährigen
aus England nach Zürich.
Die Rolle, die Max Tobler von 1903 bis
zu seinem frühen Tod an Magenkrebs
1929 in der Arbeiterbewegung ausübte,
resümiert Christian Hadorn in einem
ausführlichen Nachwort (es nimmt rund
80 von 370 Seiten ein). Tobler wurde
Redaktor des sozialdemokratischen Zürcher «Volksrechts» (1904–1910), engagierte sich in der Arbeiterbildung, schloss
sich dem Diskussionszirkel «Schwänliklub» an, schrieb für die Zeitschriften
«Polis» und «Der Revoluzzer» und pflegte
Kontakte zur Dada-Bewegung.
Im Alter von 33 Jahren holte er das
Medizinstudium nach und heiratete die
zehn Jahre jüngere Ärztin und Frauenrechtlerin Minna Christinger (1886–1936),
die in Arbeiterkreisen für einen lustvollen Umgang mit der Sexualität plädierte
und mit der er zwei Söhne hatte. Im Unterschied zu sozialistischen Parteigrössen wie Fritz Platten, Willi Münzenberg
oder Robert Grimm vertrat Max Tobler
stets unorthodoxe, libertäre Positionen –
bis hin zur Frauenfrage, wo er bei den
roten Patriarchen zuverlässig aneckte.
Zu bemängeln ist an der ChronosPublikation einzig, dass sie keine biografische Zeittafel und auch kein Register
enthält. Ihrem Wert als bedeutendes
Zeitzeugnis der abstinenten Jugendbewegung der Schweiz tut dies freilich
keinen Abbruch. ●
Antike Althistoriker Greg Woolf erklärt, warum das Römische Imperium alle andern überdauert hat
AufstiegundFallRoms
dende Anpassungsleistungen zu erbringen; ganz im Gegensatz zu den USA in
Vietnam oder Afghanistan. Die Römer
machten ihre «Untertanen» auch rasch
zu römischen Bürgern und ermöglichten
ihnen die Teilnahme am Imperium bis in
die höchsten Ämter – Kaiser Septimius
Severus stammte aus Nordafrika, Kaiser
Severus Alexander aus Syrien.
Dem Wesen Roms fremd waren die ab
dem 4. Jahrhundert nach Christus aus
dem Norden einfallenden «Barbaren»,
die den Niedergang des Imperiums einleiteten. Mit den islamisch-arabischen
Eroberungen im 8. Jahrhundert lässt
Woolf Rom enden. Drei Faktoren hätten
ihm den Todesstoss versetzt: «Invasio-
Greg Woolf: Rom. Die Biografie eines
Weltreichs. Klett-Cotta, Stuttgart 2015.
495 Seiten, Fr. 39.90, E-Book 33.90.
Von Geneviève Lüscher
Bühnenbilder Sinnliche Raumkunstwerke
JULIAN ROEDER / OSTKREUZ
1500 Jahre oder 50 Generationen hat das
römische Reich existiert, länger als jedes
andere Imperium auf der Welt. Wohl gab
es andere Grossreiche – China, Persien,
das Britische Empire –, aber keines hat so
lange überlebt. Und es scheint nicht,
dass die USA dieses hohe Alter erreichen
werden.
Es ist aber nicht das Ende des Imperiums, sondern die lange Dauer, die Greg
Woolf fasziniert. Der an der St.AndrewsUniversität in Schottland lehrende Althistoriker versucht, die Frage zu beantworten, wie Rom wurde, was es war.
Warum es wuchs, wankte, fast fiel, sich
erholte, expandierte, wie es ihm stets gelang, sich neuen Umständen anzupassen. Wie es möglich war, dass aus einem
Dorf am Tiber ein Weltreich wurde, das
im Mittelalter zu Konstantinopel, einer
Stadt am Bosporus, schrumpfte. Natürlich hat auch er keine endgültigen Antworten. «Das Römische Reich war wie
eine gewaltige Flutwelle, die sich immer
höher aufrichtete, bis sich ihre Kraft
verströmte», umschreibt er den Prozess,
den er auf 380 Seiten in 18 Kapiteln auffächert. Ein ambitioniertes Vorhaben.
Sehr nützlich erweist sich das erste
Kapitel, eine schnelle Übersicht über die
Geschichte. Es sei vor allem denjenigen
Lesern empfohlen, die in der römischen
Vergangenheit nicht sattelfest sind. Im
folgenden wechseln historisch-chronologische Kapitel mit narrativ-thematischen ab, in denen Ökologie, Kaisertum,
Religion und anderes abgehandelt
werden. Sie referieren den neuesten
Forschungsstand, von dem die hundert
Seiten Anmerkungen und Bibliografie
beredtes Zeugnis ablegen. Dazwischengeschaltete Zeittafeln helfen, den Überblick über die insgesamt 15 Jahrhunderte
zu bewahren. Interessant und bisweilen
überraschend sind die im Text immer
wieder eingestreuten Vergleiche mit anderen Imperien: China, das Reich Alexanders, Ägypten, die Herrschaft der Moguln in Indien, das Osmanische Reich,
die Inka.
Gemäss Greg Woolf liegt der Erfolg des
Römischen Reiches zu einem kleineren
Teil in seiner geografischen Lage, ökonomischen Stärke, technologischen Vorreiterrolle oder Religion. Entscheidend
waren vielmehr seine Institutionen, die
sämtliche Erschütterungen überdauerten: seine Elite, das Klientelwesen, die
Sklaverei, das Rechtssystem und seine
militärische Anpassungsfähigkeit.
Erfolgreich war es auch, weil die eroberten Gebiete rund ums Mittelmeer
ähnliche klimatische und ökologische
Bedingungen aufwiesen wie Rom selber.
Für eine Eingliederung hatten weder die
Eroberer noch die Eroberten einschnei-
nen, Auseinanderbrechen und eine dramatische Verkleinerung».
Aber Rom lebt weiter, bis heute. Nicht
nur in seinen toten Ruinen, die den modernen Tourismus alimentieren, auch in
lebendigen Institutionen. Oder warum
heisst der Kongresssitz in Washington
Capitol und seine Mitglieder nennen sich
Senatoren?
Greg Woolf hat ein gut verständliches
Buch geschrieben, es liest sich leicht, ist
aber ein dichtes Geschichtswerk. Wer
etwas Süffiges im englischen Stil der
Geschichtsschreibung sucht, mit szenischen Einschüben, Schlachtgetümmel,
Mord und Totschlag, der sollte die Finger
davon lassen. ●
«Alles auf Anfang» (Starting over), so der Titel des Buches über die Arbeiten der deutschen Bühnenbildnerin
Barbara Ehnes, bezeichnet im Theaterjargon jenen Vorgang während der Proben eines Stückes, bei dem alles
aufs erste Bild zurückgebaut und von vorne begonnen
wird. Der Ausdruck umschreibt aber zugleich auch das
Arbeitsprinzip von Ehnes – immer wieder kombiniert
sie in ihren Bühnenbildern neue Elemente miteinander.
Durch Licht- und Videoprojektionen suggeriert sie irritierende Tiefenwirkungen und Grössenverhältnisse der
Räume, erzeugt ungewohnte Perspektiven für den
Zuschauer, erbaut spektakuläre Hindernisse für die
Schauspieler und zeigt, wie das Bühnenbild von der
blossen Kulisse zum gestaltenden Bestandteil einer In-
szenierung werden kann. Gewürdigt wird Ehnes’ Arbeit
nun in einem Bildband, herausgegeben von der Dramaturgin Stefanie Carp. Die oft doppelseitigen Fotografien
verschiedener Bühnenbilder lassen uns eintauchen in
die vielschichtigen und sinnlichen Raumkunstwerke
von Barbara Ehnes, die mit Regiegrössen wie Stefan Pucher an den namhaften Bühnen des deutschsprachigen
Raums arbeitet, immer wieder auch am Schauspielhaus
Zürich. Im Bild: Puchers Inszenierung «Die Zofen» an den
Münchner Kammerspielen. Gespräche mit der Künstlerin ergänzen den Bildband. Simone Karpf
Stefanie Carp (Hrsg.): Barbara Ehnes. Alles auf Anfang.
Bühnenbilder, Konzepte. Theater der Zeit, Berlin 2015.
256 Seiten, Fr. 39.90.
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23
Sachbuch
Indien Porträt einer schwer zugänglichen Gesellschaft
DerMilliardenkoloss
Bernard Imhasly: Indien. Ein
Länderporträt. Ch. Links, Berlin 2015.
208 Seiten, Fr. 23.90.
Von Jörg Fisch
Bernard Imhasly, langjähriger IndienKorrespondent der NZZ, schreibt weder
einen Reiseführer noch einen Reisebericht. Er geht, ohne sie klar auszusprechen, einer grundsätzlicheren Frage
nach: Was können wir heute von diesem
Land wissen und verstehen, und vielleicht sogar lernen? Bei der Antwort fällt
die Dominanz der Mittelklasse auf, die
Urteil und Wissen in Europa wie in Indien prägt, wenn vielleicht auch auf unterschiedliche Weise. Der Autor lebt seit
langem in Indien und ist mit einer Inderin verheiratet. So ist ihm die Perspektive
der Mittelklasse in besonderer Weise
geläufig. Im Gegensatz zu den meisten
seiner indischen Standesgenossen aber
begibt er sich immer wieder in die Slums
und versucht einen weiteren Überblick
zu gewinnen, etwa über die unvorstellbaren sanitären Verhältnisse des Landes
und die dazugehörige Mentalität. Doch
es ist nicht seine Welt, während ihm das
mittelständische Leben, bis hin zur
reichlichen Verfügbarkeit von Dienstboten, vertraut ist. Die Unterschichten
hingegen gelangen im Buch selten über
den Status von Objekten hinaus.
Das Werk ist in zwölf Sachbereiche
eingeteilt, von Geschichte und Gesell-
schaft über Religion, Kaste, Minderheiten, Politik, Familie, Wirtschaft und Diaspora bis zu Umwelt, Sport und Kultur.
Die Stärke des Autors liegt im genauen
Beobachten und Beschreiben. Politik
und Wirtschaft sind mehr Pflichtübungen; fasziniert ist Bernard Imhasly von
Religion, Kaste und, ganz besonders, der
Familie, die in der indischen Gesellschaft, ja im indischen Leben überhaupt
eine sehr viel umgreifendere Rolle spielt
als hierzulande.
Hier gelingen dem Autor fesselnde
Durchblicke in ein komplexes System,
etwa bei der Analyse des Heiratsmarktes.
Eine seiner Grundthesen ist, dass die
traditionellen Gesellschaftsstrukturen in
Verbindung mit dem Hinduismus dank
grosser Anpassungsfähigkeit wesentlich
zu Indiens Erfolgen beigetragen haben.
Die zentralen Begriffe des Autors sind die
Kaste und die Religion, wobei freilich
insbesondere die Kaste ein rätselhafter
Gegenstand bleibt.
Das Buch ist locker und leicht lesbar
geschrieben. Der Aufbau ist offener, als
es die thematische Gliederung zunächst
vermuten lässt. Imhasly verzichtet fast
konsequent auf das, was viele Leser besonders interessieren wird, auf den Vergleich mit anderen Gesellschaften, insbesondere mit China. So sehr man das im
Einzelnen bedauern mag, so angemessen ist die Entscheidung letztlich wohl
doch – das Thema ist auch so noch komplex genug. Dass Indien mittlerweile ein
demografischer Milliardenkoloss gewor-
In Regenmonaten verdienen Rikscha-Läufer mehr – dank
den ist, erfährt der Leser immer wieder,
mit der auch in Indien verbreiteten Mischung aus Stolz und Sorge.
Die Folgen werden sehr wohl genannt,
von der Umweltverschmutzung bis zum
Austrocknen der Gewässer. Das hat nun
aber nicht dazu geführt, dass der Autor
die Hoffnung auf die unsichtbare Hand,
die es schon richten wird, wirklich aufgegeben hätte. Die Frage, wie sich der
gewaltigen demografischen Herausforderung begegnen lässt, wird leider nicht
Kulturgeschichte In der Zwischenkriegszeit trafen sich hochkarätige Philosophen, Mathematiker und
Physiker im «Wiener Kreis» zum Disput – bis die Nationalsozialisten sie vertrieben
HochburgderGeistesgrössen
Karl Sigmund: Sie nannten sich «Der Wiener
Kreis». Springer, Heidelberg 2015.
361 Seiten, Fr. 17.90, E-Book 20.–.
Von André Behr
Die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie hat erstaunlich viele bedeutende Literaten und Wissenschafter
hervorgebracht. Ein Grund für diese Produktivität war sicher das Völkergemisch,
das «zu einem politischen und gesellschaftlichen Durcheinander» führte, wie
der Nationalökonom Otto Neurath konstatierte. Robert Musil fand dafür den
Begriff «Kakanien» und schrieb dazu: «Es
war nach seiner Verfassung liberal, aber
es wurde klerikal regiert. Es wurde klerikal regiert, aber man lebte freisinnig. Vor
dem Gesetz waren alle Bürger gleich,
aber nicht alle waren eben Bürger.»
In Wien, der Hauptstadt «Kakaniens»,
war die Dichte an Geistesgrössen besonders hoch. Man gruppierte sich locker
24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
und traf sich bekanntlich gerne und oft
in Kaffeehäusern. Mit einem dieser Zirkel hat sich der bald 70-jährige Wiener
Mathematikprofessor Karl Sigmund über
Jahrzehnte auseinandergesetzt. Er ging
als «Der Wiener Kreis» in die Geschichte
der Philosophie ein und wird noch bis
Oktober an der Universität Wien mit
einer Ausstellung gefeiert, die Karl Sigmund zusammen mit Historiker Friedrich Stadler kuratierte, dem Gründer des
der Uni angeschlossenen «Institut Wiener Kreis».
Am Anfang des Denkzirkels, schreibt
Sigmund in seinem die Ausstellung begleitenden Buch, stand an der Schwelle
zum 20. Jahrhundert eine vielbeachtete
Auseinandersetzung in der Akademie
der Wissenschaften zwischen den Physikern Ernst Mach und Ludwig Boltzmann
zur Frage: «Gibt es Atome?» Kurz nach
dem Zweiten Weltkrieg stand am Ende
ein erbitterter Streit bei einem Kamingespräch in Cambridge von Ludwig Wittgenstein mit Karl Popper um die Frage:
«Gibt es philosophische Probleme?» Das
halbe Jahrhundert dazwischen ist von
leidenschaftlichen Kontroversen unter
den Protagonisten des heterogenen Kreises geprägt, von Liebschaften, Nervenzusammenbrüchen und Selbstmord –
und auch von politischen Verfolgungen
und Mord.
Initiiert wurde der Zirkel 1924 vom
Philosophen Moritz Schlick, dem Mathematiker Hans Hahn und dem als Sozialreformer berühmt gewordenen Otto
Neurath. Das Trio steht in der Tradition
von Ernst Mach und Ludwig Boltzmann
und will ohne idealistisches Gerede von
unergründlicher Tiefe und bedeutungsschwangerer Weltabgewandtheit wissenschaftlich philosophieren. Bald stossen die Philosophen Ludwig Wittgenstein und Rudolf Carnap sowie die Mathematiker Karl Menger und Kurt Gödel
hinzu, und ab 1929 tritt der Zirkel unter
dem von Neurath vorgeschlagenen
Namen «Wiener Kreis» mit Publikationen, Vorlesungen und Tagungen an die
Erotik Rainer Moritz präsentiert die grössten Entgleisungen berühmter
Schriftsteller beim Schreiben von Liebesszenen
SexdurchtränkteProsa
Rainer Moritz: Wer hat den schlechtesten
Sex? DVA, München 2015. 250 Seiten,
Fr. 26.90, E-Book 17.90.
PIYAL ADHIKARY / KEYSTONE
Von Berthold Merkle
eines Monsunzuschlags (Kalkutta, Juni 2015).
gestellt. Hier liegen die Grenzen des
leicht gewobenen Textes, der dennoch
sehr wohl wichtige Fragen stellen und
vor allem Einblick in eine schwer zugängliche Gesellschaft vermitteln kann.
Das Buch kann und will kein Führer
sein – aber es wird immer wieder ein
willkommener Begleiter nachdenklicher
Reisenden sein. ●
Jörg Fisch ist emeritierter Professor der
Universität Zürich für Geschichte mit
Spezialgebiet Kolonialgeschichte.
Öffentlichkeit. Man strebt eine «Wissenschaftliche Weltauffassung» an, will die
Gesellschaft reformieren und engagiert
sich an der Seite der Sozialdemokraten
im Kampf um die Stadt, doch noch vor
dem «Anschluss» an Hitlers Deutschland
haben die meisten Mitglieder des Kreises
Wien bereits verlassen. Der Staat spart an
den unbequemen Akademikern, politische Anfeindungen nehmen zu und 1936
wird Schlick an der Uni von einem psychisch angeschlagenen ehemaligen Studenten erschossen. Als letztem gelingt
1940 Kurt Gödel eine dramatische Flucht
in die USA.
Karl Sigmund schildert die jedem Bühnendrama bestens anstehenden Biografien und Ereignisse am «Rand des Untergangs» sehr detailreich in dreizehn Kapiteln. Darüber hinaus vermittelt er mannigfaltige Einblicke in das Denken der
Protagonisten des Wiener Kreises, das
über gesellschaftliche Querelen weit
hinausweist und bis heute noch immer
aktuell ist. ●
Schon seltsam: Wenn es um die schönste
Sache der Welt geht, wird’s in der Literatur ziemlich öde. Die wortgewaltigsten
Autoren schlaffen da richtig ab. Warum
eigentlich? Diesem weiten Thema hat
Rainer Moritz ein ganzes Buch gewidmet.
«Wer hat den schlechtesten Sex» ist
eine unglaubliche Fleissarbeit. Auf 230
Seiten arbeitet der Leiter des Hamburger
Literaturhauses alle Stilformen und
Spielarten dieses grossen Themas ab.
«Eine literarische Stellensuche» nennt
der 57-Jährige sein Werk und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das ist
ehrlich, denn so zahlreich die Beispiele
auch sind, nie können sie alles abdecken,
was in diesem Bereich so verfasst wurde.
Oder verbrochen wurde. Denn Rainer
Moritz findet Stellen heraus, die an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten sind.
Und das gilt nicht nur für die kleinen
Schreiberlinge, die Triviales am Fliessband verfassen.
Immer wieder glaubt man als Leser so
etwas wie Schadenfreude zu verspüren,
wenn Moritz die hohe Weltliteratur bei
der Flucht in eine hilflose Vulgarität ertappt oder – noch besser – darin absurde
Metaphern entdeckt. Das gibt es schlimme Szenen überall: bei Hermann Hesse,
bei Günter Grass und auch bei Nick Hornby. Nicht zu vergessen Philip Roth, aber
dessen sexdurchtränkte Prosa kennen
wir ja schon. Seine drastischen Schilderungen von Frust und Lust der amerikanischen Vorortbewohner sind legendär.
Einsamer Höhepunkt in der Liste der
schlechten Sexbeschreibungen ist aber
James Salter. In seinem Roman «Alles
was ist» versteigt er sich zu diesem stark
gemeinten, aber schiefen Bild: «Er kam
wie ein trinkendes Pferd.» Das muss man
erst mal auf sich wirken lassen. In eine
ähnliche Kategorie der unwahrscheinlichen Vorkommnisse gehören beliebte
Sätze wie «...und sie rissen sich die Kleider vom Leibe». Wie soll das gehen?,
fragt sich Rainer Moritz, und weder mit
seiner Erfahrung als Literaturwissenschafter noch als ganz normaler Mensch
kann er eine befriedigende Erklärung
liefern. Nur die: Da ging es mit einem
Schriftsteller beim Versuch, besonders
plastisch und lebensnah zu sein, mal
wieder durch.
Das alles ist so komisch und so witzig,
dass es eine wahre Freude ist, mit Moritz
in den Niederungen der hohen Literatur
zu stöbern. Ganz besonders amüsant in
diesem herrlich unterhaltsamen Buch
sind die Gegensätze, die Moritz da aufzeigt: Wo moderne Autoren «bumsen»
und «vögeln» oder noch härter: es «hämmern» und «nageln» lassen, was das Zeug
hält, da setzen ganz alte Schriftsteller
wie Heinrich von Kleist oder noch nicht
so alte wie Max Frisch einen verschämten Gedankenstrich. Ganz schön. Das
kann doch heissen: Lieber Leser, denke
Dir den Rest doch selber...
So elegant sind die meisten Schriftsteller aber nicht. Sie wollen es selber
machen, und da geht beim Sex ganz
schön oft etwas daneben. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit kann der Autor
auch nachweisen, dass die Häufigkeit
der beschriebenen Höhepunkte in den
vergangenen Jahrzehnten stets zugenommen hat. Nicht erst mit Helene Hegemann und Charlotte Roche, sondern
schon viel früher.
Rammeln und stöhnen. Was bringt’s?
Rainer Moritz ist mit seiner dicken
Sammlung der besten schlechten Stellen
überhaupt nicht peinlich. Er trifft munter den richtigen Ton zwischen Ironie
und dezenter Doppeldeutigkeit. Es ist
anregend, mal wieder ein schönes Buch
zu lesen mit etwas Erotik, vielleicht von
Max Frisch. Denn angesichts der ganzen
Sammlung an verunglückten Höhepunkten und hilflosem Gestammel, ist ein
züchtiger Gedankenstrich nicht das
Schlechteste. ●
Wo grosse Literaten
einen auslassenden
Gedankenstrich
setzen, geht Charlotte
Roche in die Details.
Die Verfilmung ihrer
«Feuchtgebiete»
(2013) tut es ihr gleich.
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25
Sachbuch
Politik Fünfzehn Spezialisten analysieren die Ukraine-Krise und ihren Einfluss auf die EU
Vom weissen Fleck auf der Landkarte zum Testfall
Katharina Raabe, Manfred Sapper (Hrsg.):
Testfall Ukraine. Suhrkamp, Berlin 2015.
256 Seiten, Fr. 22.90, E-Book 18.–.
Von Reinhard Meier
Kein geringerer als der profunde Russland-Kenner Karl Schlögel gesteht in seinem Beitrag für diesen Band, erst durch
die aufwühlende Ukraine-Krise der vergangenen anderthalb Jahre sei ihm und
andern Osteuropa-Fachleuten klar geworden, dass dieses Land im eigenen Bewusstsein «nicht wirklich präsent war».
Tatsächlich ist die Ukraine von vielen
Seiten hauptsächlich als Bestandteil
Russlands verstanden worden – die
Westukraine mit Lemberg und Czernowitz allenfalls als östliche Provinzen der
Habsburger Monarchie. Die Autoren des
vorliegenden Sammelbandes sind be-
strebt, solchen unwissenden oder jedenfalls oberflächlichen Ansichten über das
flächenmässig grösste Land in Europa
energisch entgegenzutreten.
Es sind ausgewiesene Kenner, die in
diesem brandaktuellen Buch die verschiedensten Aspekte des ineinander
verzahnten russisch-ukrainischen, innerukrainischen, russisch-westlichen und
teilweise auch innerwestlichen Konflikts
beleuchten. Andreas Kappeler, ein führender Experte der ukrainischen Geschichte, befasst sich mit dem Einfluss
der populären Kosakenmythen auf den
Widerstandsgeist des Kiewer Euro-Maidan. Der russische Journalist Arkadi
Babtschenko, Mitarbeiter der kremlkritischen Zeitung «Nowaja Gaseta», sieht die
in seinem Land populäre Intervention in
der Ostukraine gar als «Anfang vom Ende
des Putinismus». Der Berliner Historiker
Herfried Münkler stellt Wladimir Putins
expansive Muskelspiele in weitere geostrategische und nationalpsychologische
Zusammenhänge. Der Politologe Bruno
Schoch seinerseits seziert die vor allem
in westlichen Kreisen selbstgefällig kolportierten «Legenden von der imperialen Expansion des Westens» gegenüber
dem heutigen Russland mit beissender
Schärfe.
Unerwartet ist die Ukraine zum Testfall für den Frieden und die Integrationsfähigkeit Europas geworden. Von dessen
Ausgang wird die Zukunft der EU und
Russlands – und ihr Verhältnis zueinander – entscheidend bestimmt werden.
Der Sammelband vermittelt tiefe Einblicke in die Komplexität der Ukraine-Krise.
Ihre Entschärfung erfordert von westlicher und ukrainischer Seite gleichzeitig
Standvermögen und Fingerspitzengefühl – und von Russland mehr Realitätssinn statt nationalistischer Illusionen. ●
Das amerikanische Buch Licht und Schatten des literarischen Journalismus
Nun bringt der Medienhistoriker Thomas Kunkel Licht in das Mysterium.
Man in Profile. Joseph Mitchell of The
New Yorker (Random House, 366 Seiten) kommt nicht nur einer Erklärung
der Schreibprobleme nahe. Gestützt
auf Interviews mit Zeitzeugen und Mitchells Nachlass, präsentiert Kunkel beunruhigende Fakten. So war bereits bekannt, dass der Reporter seinen «Mister
Flood» mit Zustimmung der MagazinLeitung aus mehreren Habitués am
Fulton Fish Market «zusammengesetzt» hatte. Aber Kunkel weist nach,
dass Mitchell weitere Protagonisten
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Juni 2015
ger vor. Behutsam zeichnet er Mitchell
als erstklassiges Talent und Perfektionisten, aber auch als zerrissene Figur.
Früh von Verwandten als «alte Seele»
bezeichnet, hatte Mitchell die wilden
Sumpflandschaften seiner Kindheit als
Paradies erlebt. Diesem entfloh er in
die intellektuelle Freiheit New Yorks.
Aber dort erlebte Mitchell den unaufhaltsamen Vormarsch von Kommerz
und Verwertungsdenken. Mit archaischen Gestalten wie dem Pastor George
H. Hunter schrieb er gegen die Zerstörung eigenständiger und eigenwilliger
Lebenswelten wie einer Siedlung
schwarzer Austernfischer auf Staten Island an.
COURTESY ESTATE OF JOSEPH MITCHELL
Für den «New Yorker» hat Joseph Mitchell (1908–1996) seit 1938 Milieus,
Lokalitäten und Menschen am Rand
der städtischen Gesellschaft beschrieben. Seine Geschichten über Zigeuner,
die Bar «McSorleys Old Saloon» und
den steinalten Abbruchunternehmer
Hugh G. Flood mit seinem unerschöpflichen Wissen über Meeresfrüchte
wurden zu Klassikern des literarischen
Journalismus. Ihren Status als erste
Adresse für tief recherchierte Reportagen hat die Wochenzeitschrift nicht
zuletzt dem Sohn eines Grossbauern
und Unternehmers aus North Carolina
zu verdanken. Und doch blieb Mitchell
auch ein Rätsel. Als junger Journalist
war er nach seiner Umsiedlung an den
Hudson 1929 durch Produktivität und
ein scharfes Auge aufgefallen. Von 1965
bis zu seinem Tod kam er zwar in seine
Schreibstube am «New Yorker». Und
stets war er dabei makellos in Anzüge
von Brooks Brothers und eine
schmalkrempige Fedora gekleidet.
Aber während durch die geschlossene
Tür das Klappern seiner geliebten Underwood-Schreibmaschine klang, gab
Mitchell 30 Jahre lang keine Manuskripte mehr ab.
Reporter Joseph
Mitchell in Fairmont,
North Carolina, 1950.
Autor Thomas Kunkel
(unten).
wie den «Zigeunerkönig» Johnny
Nikanov und den Mohawk-Indianer
Orvis Diabo erfunden hat. Zudem legte
der literarisch weit bewanderte und im
Glauben seiner Vorfahren verwurzelte
Baptist realen Gesprächspartnern tiefschürfende Aussagen über Gott, die
Welt und die Übel der Moderne in den
Mund. Lange Monologe seiner Figuren
waren zunehmend ein Markenzeichen
Mitchells geworden. Nun zeigt Kunkel,
dass eindrückliche Passagen darin den
Sehnsüchten und Obsessionen des
meisterhaften Stilisten entsprangen.
Von der amerikanischen Kritik weithin
gelobt, geht Kunkel nicht wie ein Anklä-
Der Verletzung journalistischer Grundregeln bewusst, nahm Joseph Mitchell
nach 1960 seine Leidenschaften zwar
in den Griff. Thomas Kunkel zufolge
wollte er seine Weltanschauung dann
als autobiografisches Bekenntnis in
Buchformat niederschreiben. Doch anscheinend gelang Mitchell der Sprung
von Essay und Reportage in das längere
Format nicht zur eigenen Zufriedenheit. So hinterliess er lediglich drei
kurze Kapitel, die der «New Yorker»
2013 auszugsweise veröffentlicht hat.
Mitchell fiel über dieses Ringen immer
wieder in Depressionen. Dazu trug der
Tod seiner Frau Therese 1980 bei. Dennoch war der liebevolle Vater zweier
Töchter ausserhalb der Redaktion etwa
als Mitglied eines offiziellen Denkmalschutzkomitees bis ins hohe Alter produktiv. Damals hatte ihm der wundervolle Sammelband «Up in the Old
Hotel» (1992, Pantheon Books, 718 Seiten; auf deutsch 2011 bei Diaphanes)
bereits Generationen neuer Bewunderer gebracht. ●
Von Andreas Mink
Agenda
Weststrasse Wo Zürich sich gentrifiziert
Agenda Juli 2015
Baden
Donnerstag, 2. Juli, 22 Uhr
Valérie Cuénod: Vollmondlesung
aus Jenny Browns Tagebüchern.
Fr. 15.–. Museum Langmatt, Römerstr. 30.
Reservation: Tel. 056 200 86 76.
Bern
Freitag, 3. Juli, 20 Uhr
Christoph Ransmayr: Atlas eines
ängstlichen Mannes. Lesung.
Kornhausbibliothek, Kornhausplatz 18.
Reservation: Tel. 031 327 10 10.
Leukerbad
Freitag, 3., bis Sonntag, 5. Juli
20. Internationales Literaturfestival mit gegen 30
Autoren und Autorinnen,
unter anderen: Judith Hermann, Thomas Hürlimann
(Bild). Info: www.literaturfestival.ch.
Winterthur
Gespenstisch war die Ruhe, als im August 2010 die Zürcher Weststrasse für den Durchgangsverkehr definitiv
gesperrt wurde. Davor rollten einem ab sechs Uhr in der
Früh die Lastwagen durchs Schlafzimmer, so kam es
einem zumindest vor. Zehntausende Autos passierten
täglich die Westtangente, 38 Jahre lang. Früher war es
anders, erinnert sich Autor Charles Lewinsky, der als
Bub auf der kaum befahrenen Strasse Fussball spielte.
Auch die Buchpreisträgerin Melinda Nadj Abonji
wohnte einst am «Auspuff der Nation». In ihrer Langzeitstudie dokumentiert die Kunsthochschuldozentin
Corina Flühmann die Entwicklung des Lebens an der
Weststrasse zwischen 2007 und 2015. Vieles ist von früher oder sieht noch so aus: Fahrzeuge, orthodoxe Juden,
Studentenbuden, kleine Läden. Dazwischen aber schon
neue Gebäude und hippe Cafés, die von der rasanten
Gentrifizierung der Gegend zeugen. Autos wünscht
man sich wahrlich nicht zurück, die unprätentiöse
Atmosphäre hingegen schon. Regula Freuler
Corina Flühmann: Weststrasse. Mit Texten von Charles
Lewinsky, Melinda Nadj Abonji, Caspar Schärer. Edition
Patrick Frey, Zürich 2015. 292 Seiten, Fr. 79.90.
Belletristik
Sachbuch
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Donna Leon: Tod zwischen den Zeilen.
Diogenes. 288 Seiten, Fr. 34.90.
Martin Suter: Montecristo.
Diogenes. 320 Seiten, Fr. 33.90.
Ruth Schweikert: Wie wir älter werden.
S. Fischer. 272 Seiten, Fr. 31.90.
Blanca Imboden: Matterhörner.
Wörterseh. 208 Seiten, Fr. 25.90.
Martin Walker: Provokateure.
Diogenes. 432 Seiten, Fr. 34.90.
Andrea Camilleri: Das Spiel des Poeten.
Bastei Lübbe. 272 Seiten, Fr. 28.90.
Lori Nelson Spielman: Morgen kommt ein neuer
Himmel. Fischer Krüger. 368 Seiten, Fr. 21.90.
Guillaume Musso: Nacht im Central Park.
Pendo. 384 Seiten, Fr. 21.90.
Viveca Sten: Tod in stiller Nacht.
Kiepenheuer & Witsch. 400 Seiten, Fr. 21.90.
Freitag, 17. Juli, 19.30 Uhr
Ingrid Noll: lauschig und rabenschwarz –
Krimiabend. Lesung mit musikalischer
Umrahmung. Fr. 25.–. Naturgarten Lindberg, Lindbergstrasse.
Reservation: 052 267 68 60.
Zürich
Bestseller Juni 2015
Lori Nelson Spielman: Nur einen Horizont entfernt. Fischer Krüger. 368 Seiten, Fr. 21.90.
Freitag, 3. Juli, 20 Uhr
Matthias Müller: Sand. Buchvernissage
mit musikalischer Performance.
Güterschuppen Bahnhof Winterthur
Töss. Info: www.kulturstreuer-toess.ch.
Giulia Enders: Darm mit Charme.
Ullstein. 288 Seiten, Fr. 18.90.
Duden. Die deutsche Rechtschreibung. 26. Aufl.
Bibliogr. Institut. 1216 Seiten, Fr. 34.90.
Per Andersson: Vom Inder, der nach Schweden
fuhr. Kiepenheuer & Witsch. 336 S., Fr. 21.90.
Thomas Gottschalk: Herbstblond.
Heyne. 368 Seiten, Fr. 28.90.
Thomas Maissen: Schweizer Heldengeschichten.
Hier + Jetzt. 240 Seiten, Fr. 29.–.
Joachim Bauer: Selbststeuerung.
Blessing. 240 Seiten, Fr. 28.90.
Wilhelm Schmid: Gelassenheit.
Insel. 118 Seiten, Fr. 12.90.
Mahtob Mahmoody: Endlich frei.
Ehrenwirth. 416 Seiten, Fr. 22.90.
Alexander Eben: Vermessung der Ewigkeit.
Ansata. 224 Seiten, Fr. 28.90.
Katrin Bentley: Allein zu zweit.
Wörterseh. 224 Seiten, Fr. 37.90.
Erhebung GfK Entertainment AG im Auftrag des SBVV; 16.6.2015. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Mittwoch, 1. Juli, 19 Uhr
Tibor Pataky: Fruchtmann. Lesung. Buchhandlung Bodmer, Stadelhoferstr. 34.
Info: www.kommode-verlag.ch.
Samstag, 4. Juli, 19.30 Uhr
150 Years of Alice in Wonderland. Naomi
Steinberg liest (auf Englisch), dazu werden Tee und englische Spezialitäten serviert. The Bookshop, Bahnhofstrasse 70.
Info: www.books.ch.
Montag, 6., bis Sonntag, 12. Juli
Openair-Literaturfestival.
An sieben Tagen und Nächten lesen Autorinnen und
Autoren im Alten Botanischen Garten, u. a. Xiaolu
Guo, Ruth Schweikert (Bild),
Michail Schischkin. Programm/Tickets:
Tel. 044 254 00 00, www.kaufleuten.ch.
Samstag, 25. Juli, 20.45 Uhr
Dieter Meier im Gespräch mit Stefan
Zweifel. 150 Jahre Seebad Utoquai.
Seebad Utoquai.
Info: www.stadt-zuerich.ch.
Bücher am Sonntag Nr. 7
erscheint am 30.8.2015
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind
– solange Vorrat – beim Kundendienst der NZZ,
Falkenstrasse 11, 8001 Zürich, erhältlich.
28. Juni 2015 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
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beleuchtet und die Gegenwart erhellt. Mit einem überraschenden Themenmix und Beiträgen von namhaften Historikern und Denkern unserer Zeit.
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