Gießener Anzeiger, 28.10.2006

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Gießener Anzeiger, 28.10.2006
[Gießener Anzeiger, 28.10.2006]
Stadt Gießen 28.10.2006
"Ich war der Einzige, der nicht ´reingekommen ist"
Ausländer haben Schwierigkeiten, in die Großdiskothek Agostea eingelassen zu
werden
Oliver Kessler (GIESSEN.)
"Junge, du nicht!" Der junge Mann lacht entsetzt auf, als ihm die Türsteher der Diskothek
Agostea im Gewerbegebiet West den Zutritt verweigern. Das ist nichts Neues, wie der 19jährige Türke sagt, der ursprünglich aus Istanbul stammt und an der Friedrich-Feld-Schule in
Gießen sein Abitur macht. "Ich war mit vier deutschen Freunden hier und ich war der
Einzige, der nicht ´reingekommen ist - das ist vielleicht ein fieses Gefühl."
Kurz nach der Eröffnung hatte sich in der Stadt ein Gerücht verbreitet: Als Ausländer gebe
es kaum eine Chance, in die Großdisco zu gelangen. Ein Test am Donnerstagabend um 23
Uhr zeigt: Das Gerücht ist belegbar. Anders als am Wochenende waren noch Parkplätze frei
und auch Schlangen bis zur Kasse gab es zur besten Ausgehzeit keine. "Ich komme in
Frankfurt in jeden Club rein", sagt der abgewiesene Gießener. Dabei benennt er unter
anderem Sven Väth´s legendären Club Cocoon oder das nicht weniger angesagte King
Kamehameha. Seine 18-jährige deutsche Begleiterin berichtet: "Letztens war ich mit
mehreren Freunden da; alle kamen rein, nur nicht die ausländischen Männer, da bin ich
natürlich auch nicht rein."
Auf der Internetseite heißt es über die Einlasskriterien: "Natürlich soll sich jeder, der das
Agostea besucht, in seiner Haut und seiner Garderobe wohl fühlen." Unerwünscht sind
Sport- und Motorrad-Kleidung sowie Baseball-Kappen, nicht Volljährige, Betrunkene und
Drogen aller Art. Mehr nicht, bis auf den schwammigen Verweis: "Die Kleidung, das
Auftreten und das Benehmen muss zu unserer aktuellen Gästestruktur passen."
Der 19-Jährige trägt einen hellen italienischen Anzug mit Designerhemd, eine silberne Kette
mit Kreuz auf dem dunklen T-Shirt und weiße Slipper. Schicker, und einer Disco
angemessener, geht es kaum. Wenige Minuten, nachdem er abgeblitzt ist, fährt das Paar
wieder.
"Und jetzt, Jungs?" Martin Dippel ist mit drei Freunden extra aus Stadtallendorf angereist, um
die Worte "Geht nicht!" zu hören, offensichtlich wegen des Migrationshintergrunds von
zweien. "Wir sind extra die 50 Kilometer gefahren, um hier in die Disco zu gehen", sagt der
22-Jährige. Ratlos stehen sie neben ihrem Wagen und starren auf die große, beleuchtete
"Agostea"-Tafel. "Solche Clubs müsste man verbieten", schimpft einer. Die im Internet
genannten Kriterien für einen Einlass jedenfalls erfüllen sie, sehen gepflegt aus, um nicht zu
sagen herausgeputzt. Verständnis für die Abfuhr haben sie daher keines. "Wir geben doch
hier unser Geld aus und wollen uns natürlich auch den Regeln entsprechend verhalten", sagt
Martin Dippel. Normalerweise fahren sie am Wochenende nach Frankfurt, was auch künftig
der Fall sein wird. "Nach Gießen werde ich so schnell jedenfalls nicht mehr kommen."
Ein Auszubildender zum Bankkaufmann und Ex-Spieler des Basketball-Bundesligisten
Gießen46ers, der namentlich nicht genannt werden möchte, will sich eine solche Erfahrung
ersparen. "Meine beiden Brüder mit ihren Freundinnen und ein Bekannter sind unabhängig
voneinander abgewiesen worden", berichtet der Deutsch-Amerikaner. Einem Landsmann
und Kollegen sei es genauso ergangen. "Die Türsteher haben da ja keinen Einfluss drauf,
die haben eine Order von der Geschäftsleitung." Auch die Tochter von Gießens Powerlifter
Theo Strippel, die ihren 19. Geburtstag feiern wollte, machte schlechte Erfahrungen. Eine
farbige Freundin und ein afrikanischer Bekannter wurden abgewiesen. "Die anderen dürfen
rein", lautete die Ansage. Die Lust zum Abtanzen war ihnen jedoch vergangen.
Manfred Peter von der Peter-Gastronomie GmbH Freigericht, die unter anderem die
Diskotheken Agostea und Alpenmax betreibt, erklärt auf Anfrage: "Wir lassen eigentlich alle
Leute rein." Es gebe aber gewisse Kriterien. Die Frage, warum manche Gäste keinen Einlass
erhalten, obwohl sie diese Bedingungen erfüllen, konnte der Betreiber aber nicht
beantworten. "Natürlich muss das von der Konstellation passen", sagt er. Eine
Ausländerquote gebe es aber nicht. Außerdem würden Deutsche wie Ausländer
abgewiesen. "Wenn das einem Ausländer passiert, haben wir das Problem, dass es immer
dargestellt wird, als seien wir ausländerfeindlich, und das stimmt ja gar nicht." Im Agostea
selbst gebe es 80 Prozent ausländische Mitarbeiter. Tatsächlich nicht gerne gesehen sind
große Gruppen. "Mit dem Alkohol werden manche lustig, andere müde und ein paar eben
aggressiv", begründet Peter diese Haltung. Er verstehe aber die Problematik und werde mit
dem Personal der extern beauftragten Sicherheitsfirma sprechen. "Dass es passiert ist, tut
mir leid", sagt er.