Du meine Seele singe Predigt über EG 302 (pdf

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Du meine Seele singe Predigt über EG 302 (pdf
Ev. Kirchengemeinde Bad Wilhelmshöhe in Kassel
Pfarrerin Astrid Thies-Lomb
Liedpredigt über EG 302: Du meine Seele singe
Predigt am 11.2.2007 in der Christuskirche
„Gestatten: Paul Gerhardt!“
Wenn sich Ihnen heute in der Predigt der nach Martin Luther berühmteste
protestantische Liederdichter mit dem Lied „Du meine Seele singe“ vorstellt,
dann mögen die einen von Ihnen unwillkürlich denken: „O ja, Paul Gerhardt!
Der ist mir von Jugend an vertraut, ich liebe seine Lieder und kenne viele
Verse von ihm auswendig.“ So geht es z.B. auch mir. Aber vielleicht sind auch
etliche unter uns, die sich bei „Gestatten, Paul Gerhardt!“ fragen: „O, wer ist
denn das? Von dem habe ich ja so gut wie noch gar nichts gehört.“
Das ist wahrscheinlich bei vielen von euch Konfirmandinnen und
Konfirmanden so. In 1 ½ Wochen werde ich mit den Jugendlichen, die in
diesem Jahr konfirmiert werden, zur Konfirmandenfreizeit in die Rhön fahren.
Dort wollen wir uns mit Leben und Werk von Paul Gerhardt befassen und auch
- mitten im Winter schon – mit dem Lied „Geh aus mein Herz und suche
Freud“. Da klingt das Thema Schöpfung an und wir werden in der Rhön auch
Gast des Biosphärenreservats sein und uns darüber kundig machen.
Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, ob es mir gelingen wird, euch heutigen
Jugendlichen Paul Gerhardt nahe zu bringen, was ich sehr hoffe. Heute genau
in einem Monat, werden wir gemeinsam euren Vorstellungsgottesdienst als
Abschluss der Predigtreihe zu Paul Gerhardt gestalten.
„Gestatten, Paul Gerhardt!“
Ich, Paul Gerhardt, kam am 12. März 1607 in Gräfenhainichen, gelegen in
Ostdeutschland inmitten der Dübener Heide, als Ackerwirts- und
Bürgermeistersohn zur Welt. Von meiner früh verstorbenen Mutter, der
Tochter des ortsansässigen Pfarrers, erbte ich die Neigung zur
Pastorenlaufbahn, die nach meinem Studium in Wittenberg ihren
Ausgangspunkt im Nahe Berlin gelegenen Mittenwalde nahm und dann 1657
an der Berliner St. Nikolaikirche kulminierte. Ich sage „kulminierte“, also
zuspitzte, weil sich dort ein Traum für mich erfüllte: Eines Tages Prediger und
Pfarrer an der Nikolaikirche in Berlin zu sein. Dazu kam noch ein weiteres
Glück: Die Kantoren an der Nikolaikirche Johann Crüger und Johann Georg
Ebeling vertonten viele der von mir gedichteten Lieder.
Keineswegs frei von Leid war mein Leben. Als ich elf Jahre alt war, brach der
Dreißigjährige Krieg aus. Nach dem Studium arbeitete ich lange als Hauslehrer
und konnte erst mit 44 Jahren meine erste Pfarrstelle antreten. Ich heiratete spät
und verlor doch schon früh meine Frau. Von unseren vier Kindern wuchs nur
ein Sohn heran. Ob ich ein halsstarriger Lutheraner gewesen bin? Mag sein.
Jedenfalls brachte der Konfessionsstreit im Brandenburgischen meine Karriere
zu Fall. Der Große Kurfürst strebte eine evangelische Union an und ich sollte
der Konkordienformel abschwören, was ich nicht konnte. So musste ich
schließlich eine Pfarrstelle „im Exil“ übernehmen, in Lübben im Spreewald,
wo ich am 27. Mai 1676 starb.
Soweit zu „Gestatten, mein Name ist Paul Gerhardt!“ Und wenn Sie, liebe
Gemeinde, das Datum im Gesangbuch anschauen, wann das Lied „Du meine
Seele singe“ gedichtet wurde, dann fällt es noch vor die Berliner Zeit. Dieses
Lied ist noch in Mittenwalde entstanden, in einem für Paul Gerhardt sehr
kreativen Jahr. Ebenfalls 1653 dichtete er „Geh aus mein Herz“ und „Befiehl
du deine Wege“ und auch seine berühmten Advents- und Weihnachtslieder.
Unser heutiges Lied „Du meine Seele singe“ hat Johann Georg Ebeling in Paul
Gerhardts letztem Berliner Jahr 1666 vertont. Aus der Tiefe erhebt sich die
Melodie und sie bleibt am Ende in der Höhe, wundervoll passend zum Text,
dessen Dichter und Beter – alle Lieder von Paul Gerhardt sind zugleich auch
Gebete – seine Seele zu Gott erhebt. Bedenken Sie, wie es in Paul Gerhardt
ausgesehen haben mag, als Ebeling ihm endlich dieses Lied vertont. Der Streit
mit dem Großen Kurfürsten war natürlich nicht bloß etwas Äußeres, sondern
hat ihn auch innerlich sehr aufgewühlt. Text und Melodie des Liedes setzen zu
all dem einen Gegenpol. Gott können und dürfen wir auch noch in der
notvollsten Lebenslage „schöne“ Lieder singen.
Ein „schönes“ Lied, das ist nicht bloß ein Lied. Das bedeutet Lebensfreude,
auch in Schwierigkeiten und es bedeutet letztlich, in allem seine Hoffnung auf
Gott setzen und ihn zu preisen und zu loben: „Du meine Seele singe, wohlauf
und singe schön, dem welchem alle Dinge zu Dienst und Willen stehn.“ Dieser
Liedanfang, sagen die Germanisten, sei der schönste Lied- und Gedichtanfang,
den die deutsche Sprache jemals hervorgebracht hat.
„Schön“ singen, Gott loben und ihn preisen, auch in den schwierigsten Zeiten,
das erinnert mich an Martin Luther, z.B. wenn es in seinem Lied „Ein feste
Burg ist unser Gott“ heißt: „und wenn die Welt voll Teufel wär´ und wollt uns
gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es sollt uns doch gelingen.“
Und doch sind Paul Gerhardts Lieder nicht wie einst die Lieder von Martin
Luther reine Bekenntnislieder, sondern sie sind im positivsten Sinne des
Wortes persönliche Erbauungslieder. Sie zeugen von empfindsamer
Frömmigkeit und starkem Gottvertrauen, allen voran dieses Lied „Du meine
Seele singe“. Etwas Mystisches und Innerliches klingt in diesem Lied an. So
wie die Melodie sich aus der Tiefe „auferbaut“, so soll auch mein Glaube an
die Güte und Liebe Gottes auferbaut werden. Paul Gerhardt benennt die
Missstände ja sehr deutlich: In Vers 4 Gewalt und Unrecht; Hunger, Todesnot
und Gefangenschaft in Vers 5, Blindheit und Schwäche in Vers 6, fremd sein,
Waise oder Witwer sein in Vers 7. Doch Gott hält sein Wort mit Freuden und
was er spricht „geschicht“, heißt es in Vers 4.
Das „geschicht“ gefällt mir gut. Eine alte, heute ungebräuchliche Formulierung
für „das geschieht“. Dieser Glaube, dass Gott sein Wort mit Freuden hält, dass
er das Gesicht der Blinden erleuchtet und den Fremden eine Hütte ist, das ist
eine Glaubenserfahrung inmitten der oft so dunklen Geschichte. „Gott hält sein
Wort mit Freuden und was er spricht geschicht.“
Mich erinnert diese Liedzeile an die Lesung vorhin hier im Gottesdienst aus
dem Buch des Propheten Jesaja, wo es ja auch um das Wort Gottes ging ( Jes.
55, 10ff.). Mein Wort, spricht Gott aus dem Munde des Propheten, wird nicht
wieder leer zu mit zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm
wird gelingen, wozu ich es sende. Gesandt hat Gott sein Wort und seinen Sohn
Jesus Christus uns zum Trost und zur Freiheit, damit wir hoffen dürfen noch
über die Grenzen des Todes hinaus und dass wir selbst zur Liebe und zu
friedvollem, gerechtem Tun befähigt werden.
Das „schöne“ Singen hat seinen Ursprung in dem Glauben, dass das Wort nicht
wieder leer zurückkehrt zu dem, der es gesandt hat. Paul Gerhardt sagt: „Du
meine Seele singe, wohlauf und singe schön“. Dieser Liedanfang ist deshalb
„der schönste“, weil er Zweierlei zugleich ausdrückt: ein Innehalten „Du meine
Seele“ – wann haben Sie zuletzt innegehalten und zu sich selbst, zu Ihrer Seele
gesprochen und nachgedacht über das Leben, den Sinn und den Glauben?
Gleichzeitig steckt in diesem Liedanfang etwas ganz Aktives. Hier ergreift
jemand die Initiative. Hier möchte jemand auch uns inspirieren, „schön“ zu
singen. Das ist nicht nur Paul Gerhardt. Es ist sein Glaube an Gott, in den er
uns in allen Strophen seines Liedes mit hineinnehmen will. „Schön wär´s!
Denken Sie? Ja, mag sein. Auf der anderen Seite hat ein Zeitgenosse gerade
über unser heutiges Lied geäußert: „Ich dachte, in unserer heutigen Leistungsund Konsumgesellschaft und in dieser globalisierten Welt, aus der uns
tagtäglich so viele menschliche Nöte und Schreckensmeldungen erreichen,
könnte ich gar nicht mehr zu mir selbst finden. Und dann bin ich in die Kirche
gegangen und habe mit der Gemeinde dieses Lied gesungen „Du meine Seele
singe, wohlauf und singe schön“ und schon nach ein bis zwei Strophen konnte
ich innehalten und ich konnte „schön“ singen und Gott loben und preisen.“
Gestatten, Paul Gerhardt!
In seinen Liedern, allen voran in unserem heutigen Predigtlied, möchte Paul
Gerhardt sich uns dadurch bekannt machen, dass er uns sein starkes
Gottvertrauen mitteilen möchte und uns mit hineinnehmen will in seinen so
empfindsam frommen Glauben. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat gerade
eine neue Serie über die großen Weltreligionen begonnen. In der aktuellen
Ausgabe wird als erstes – und wie ich finde sehr fundiert – das Christentum
dargestellt. Interessant finde ich besonders eine Äußerung über das
Christentum in der modernen Zeit: Vor 20, 30 Jahren, so heißt es da, sagten
viele: Glaube ja, aber Kirche nein! Heute sei das eher umgekehrt. Jedenfalls
bejahten wieder viel mehr Menschen die Kirche. Gründe dafür mag es
verschiedene geben. Ein wesentlicher Grund ist, dass diejenigen, die früher
„Glaube ja, Kirche nein!“ sagten, gemerkt haben, wie sich der Glaube ins
Individuelle verlieren kann, und wie schwer sich ein Glaube, den man sich
vielleicht hier und dort „zusammengebastelt“ hat, mitteilen lässt.
Paul Gerhardt war seine eigene lutherische Konfession sehr wichtig. Er hat
unter der Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten gelitten. Und doch ging es ihm
in seiner Dichtung vor allem darum, Glaubenserfahrungen zu teilen, andere mit
hineinzunehmen und dadurch den biblischen Glauben aufzubauen. Für mich
besteht die größte Kraft der Kirche in der Gemeinschaft der an Gott und Jesus
Christus Glaubenden und dass wir uns diesen Glauben „mitteilen“. Das
Spannungsverhältnis zwischen persönlichem Glauben und Kirche drückt sich
sehr schön an der Paul Gerhardt-Statue in Gräfenhainichen aus. Sein Talar, der
die Kirche symbolisiert, steht offen und das Gesangbuch steht sowohl für den
gemeinsamen Gesang wie für den eigenen Gebrauch.
In den „Zeit“-Artikeln wird wiederholt davon gesprochen, dass nunmehr seit
2000 Jahren Glaube, Liebe, Hoffnung in den Menschen brennen, und dass die
Glut seither nie verloschen ist. „Schöner“ als in den Liedzeilen Paul Gerhardts,
die wir nun gemeinsam singen wollen, kann diese Glut wohl kaum am Leben
gehalten werden. Amen.