Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht - content

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Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783525702048 — ISBN E-Book: 9783647702049
Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
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Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
Friedhelm Kraft / Hanna Roose
Von Jesus Christus reden
im Religionsunterricht
Christologie als Abenteuer entdecken
Vandenhoeck & Ruprecht
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
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Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
Mit 9 Abbildungen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-525-70204-8
ISBN 978-3-647-70204-9 (E-Book)
Umschlagabbildung: Christoph Beeh. Mit freundlicher Genehmigung
des Christlichen Piloten- und Modellfliegerverband e. V.
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /
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Satz: textformart, Göttingen
Druck und Bindung: E Hubert & Co, Göttingen
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
Inhalt
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
2. Empirische Studien zu christologischen
Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen . . . . . .
13
2.1 Einzeluntersuchungen . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Helmut Hanisch/Siegfried Hoppe-Graff
2.1.2 Gerhard Büttner . . . . . . . . . . . . . .
2.1.3 Tobias Ziegler . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.4 Michaela Albrecht . . . . . . . . . . . . .
2.1.5 Christian Butt . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.6 Mirjam Zimmermann . . . . . . . . . .
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2.2 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 Konstruktivismus und Entwicklungspsychologie
2.2.2 Experten- und Laientheologie . . . . . . . . . .
2.2.3 Kindertheologie und Entwicklungspsychologie
2.2.4 Kindertheologie und kohärenter Wissenserwerb
2.2.5 Theologische Sprache und kirchliche Lehre
als „fremde Welten“ . . . . . . . . . . . . . . . .
38
39
40
43
46
2.3 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
3. Curriculare Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
3.1 Der Kompetenzansatz des niedersächsischen
Kerncurriculums Religion für die Grundschule . . .
53
3.2 Der Kompetenzansatz des badenwürttembergischen Bildungsplanes für
die Grundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.3 „Nach Jesus Christus fragen“ – „Dimension:
Jesus Christus“ – Kompetenzsetzungen im Vergleich
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6
Inhalt
3.4 Das niedersächsische Kerncurriculum Ev. Religion
und der baden-württembergische Bildungsplan
Ev. Religionslehre für das Gymnasium . . . . . . . .
64
4. Grundwissen zu Jesus Christus in der Unterrichtspraxis
74
4.1 Grundlegende Überlegungen zur Frage
nach Jesus Christus . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.1.1 „Ist die Geschichte echt?“ – Zum Verhältnis
von Glaube und Historie im Christentum .
4.1.2 Historischer Jesus und verkündigter/
kerygmatischer Christus . . . . . . . . . . .
4.1.3 Der historische Jesus und die menschliche
Natur in der zweiten Person der Trinität . .
4.2 Das Denken von Kindern und Jugendlichen
und die biblische/kirchliche/wissenschaftliche
Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.1 Sohn Gottes . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.2 Gleichnisse und „Ich-bin-Worte“ . . . .
4.2.3 Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.4 Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.5 Kreuz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.2.6 Auferstehung und Erscheinungen . . . .
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. 93
. 99
. 110
. 115
. 126
5. Didaktische Umsetzungen.
Zwei Unterrichtssequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
5.1 Kindertheologie – ein didaktisches Leitbild
. . . . . 138
5.2 Der Konstruktivismus als didaktische Leittheorie . . 143
5.3 Um Jesus rankt ein Geheimnis.
Eine Unterrichtssequenz für die 4. Klasse . . .
5.3.1 „Ein“ Bild von Jesus? . . . . . . . . . . .
5.3.2 Wie sprechen biblische Texte von Jesus?
5.3.3 Jesus „öffnet“ Augen . . . . . . . . . . .
5.3.4 Ich sehe etwas, was du nicht siehst … .
5.3.5 Das Kreuz hat viele Bedeutungen . . . .
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Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
Inhalt
5.4 Jesus Christus – Mensch und Gott.
Unterrichtsbausteine für die 10. Klasse . . .
5.4.1 Die Perspektivität aller Erkenntnis und
ihre Bedeutung für die Christologie .
5.4.2 „Dies ist mein geliebter Sohn!“ –
Die Taufe und die Frage der eigenen
Bestimmung . . . . . . . . . . . . . . .
5.4.3 „Ich bin das Licht der Welt.“ –
Eine Blindenheilung und die Frage
nach der Macht Jesu Christi . . . . . .
5.4.4 „Da gingen ihnen die Augen auf.“ –
Der Auferstandene und die Frage nach
unserer Wirklichkeit . . . . . . . . . .
5.4.5 „Wir aber verkünden Christus als
den Gekreuzigten.“ – Das Kreuz und
die Frage nach dem Sinn . . . . . . . .
7
. . . . . 164
. . . . . 166
. . . . . 170
. . . . . 175
. . . . . 177
. . . . . 179
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
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Friedhelm Kraft / Hanna Roose, Von Jesus Christus reden im Religionsunterricht
1.
Einleitung
Wer auf der Suche nach einem Abenteuer ist, sucht in der Regel das
Außergewöhnliche, etwas, was sich vom normalen Alltag unterscheidet. Ein gewisses Risiko muss schon mitschwingen. Die Suche
nach dem Neuen darf von Hindernissen begleitet sein. Sind sie erst
einmal überwunden, ist die Freude umso größer.
Lässt sich der Begriff des Abenteuers auf Denkprozesse und
Lernwege beziehen?
Wir sprechen vom „Abenteuer“ Christologie, weil es uns um
die Entdeckung eines Geheimnisses geht, genauer, um die Beschäftigung mit einem Geheimnisträger. Jesus als der Christus ist das
„Geheimnis Gottes“ und die Auseinandersetzung mit diesem Geheimnis ist eine Reise in ein weites, offenes Land. In der christologischen Reise in das Land des Glaubens, der Erschließung von Wirklichkeit als Deutung von Lebenszusammenhängen, geht es weniger
um die Übernahme von Glaubens- bzw. Bekenntnissätzen in geprägter Sprache als um die Frage „Wer ist Jesus für mich? Welche
Bedeutung hat er für uns heute?“
Die Frage „Wer ist Jesus für mich?“ unterscheidet sich von der
Frage „Wer war Jesus von Nazareth?“. Auch diese Frage hat ihre Berechtigung. Die Auseinandersetzung mit Jesus, sein Wirken spricht
bis heute viele Menschen an. Sie sehen in Jesus einen herausragenden Menschen, dessen ethisches Handeln und dessen Konsequenz
seines Lebensweges mit Respekt und Wertschätzung betrachtet werden. Wer in Jesus vorrangig ein Vorbild der Liebe und Gewaltlosigkeit sieht, vertritt eine „Jesulogie“. Mit diesem Begriff wird der Unterschied zur „Christologie“ markiert. Eine „Jesulogie“ betont den
„ethischen“ Jesus, die „Christologie“ sieht in Jesus das „Geheimnis
Gottes“. Die „Jesulogie“ sieht Jesus als Menschen, die „Christologie“
fragt nach der Zusammengehörigkeit von Jesus und Gott.
Nach dieser Unterscheidung dominiert im schulischen Religionsunterricht die „Jesulogie“. Das hat mehrere – und weitgehend durch-
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10
Einleitung
aus redliche – Gründe: Der „ethische“ Jesus beeindruckt Christen
und Nicht-Christen. In Religionsklassen, in denen sich nur eine
kleine Minderheit explizit als „christlich“ versteht und in der oft
auch Schüler und Schülerinnen mit anderer, etwa muslimischer,
Religionszugehörigkeit sitzen, erscheint eine „Jesulogie“ unverfänglicher und didaktisch fruchtbringender. Es besteht kein Zweifel:
Die „Jesulogie“ hat in der Schule ihren Platz und soll ihn auch behalten.
Klar ist aber auch: „Offizieller“ christlicher Glaube, wie er etwa
im Apostolischen Glaubensbekenntnis formuliert ist, setzt ganz andere Akzente. Im sog. Zweiten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, in dem es um Jesus Christus geht, heißt es:
Und [ich glaube] an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters;
von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Zwischen dem „ethischen“ Jesus und diesen Aussagen gibt es so
gut wie keine Überschneidungen – einzig das Leiden unter Pontius
Pilatus könnte hier angeführt werden. Das Glaubensbekenntnis ist
durch die Entwicklungen der sogenannten „altkirchlichen Christologie“ geprägt: Im Zentrum dieser Christologie steht nicht das Leben Jesu, sondern die Frage, wie Jesus Christus unser „Erlöser“ sein
kann. Empfängnis, Geburt, Leiden, Kreuz, Auferstehung und Wiederkunft (Parusie) Christi erhalten von hierher ihre Bedeutung –
alles andere wird nahezu ausgeblendet. Die Systematische Theologie bezieht sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit fast ausschließlich auf diesen Christus, denn sie definiert sich über die Frage, wer
Jesus Christus für uns ist. Sie hat darin durchaus ein prominentes
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Einleitung
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neutestamentliches Vorbild: Paulus, der dem irdischen Jesus nie begegnet ist, entwirft sein Reden über Christus ganz von der Offenbarung des Auferstandenen her. Hätten wir nur die paulinischen
Briefe, wir wüssten über das Leben Jesu so gut wie nichts. Aber auch
den Berichten der Evangelisten ist eine „Jesulogie“ fremd, da sie das
Leben Jesu aus der Perspektive des Glaubens an den auferstandenen Christus beschreiben. Auch hier zeigt sich: Eine Vermeidung
der Christologie zugunsten eines sogenannten historischen Jesus ist
praktisch nicht möglich.
Was aber heißt das didaktisch? Uns ist es wichtig, deutlich zu
machen, dass Aussagen über Jesus und Überlegungen zu seiner Person eine Form von Christologie darstellen. Damit sind wir nicht nur
den biblischen Texten nahe, sondern entsprechen dem Denken von
Kindern und Jugendlichen, deren Bild von Jesus wesentlich „christologischer“ bestimmt ist, als allgemein angenommen wird.
Weiterhin gilt: Wer christologisch fragt, fragt zugleich nach Deutungen menschlichen Lebens. Aufgabe des Unterrichts ist es darum,
„christologische Aussagen als Erschließung von Wirklichkeit, als
Lebensdeutung verständlich zu machen“1.
Dieses Buch „lebt“ von der Grundüberzeugung, dass Christologie – neben „Jesulogie“ – in den schulischen Religionsunterricht
gehört, und zwar primär aus didaktischer, sekundär auch aus theologischer Sicht. Ein „ethischer“ Jesus allein greift aus unserer Sicht
zu kurz. Zwei Gründe für diese Einschätzung reißen wir im Vorgriff
auf die kommenden Kapitel kurz an:
1. Dass Menschen an ihre Grenzen stoßen und aus eigener Kraft
nicht weiterkommen, ist eine Erfahrung, die Kinder und Jugendliche kennen. Eine „Jesulogie“, die das ethisch Machbare im Blick
hat, ist in diesen Situationen nur bedingt hilfreich. Christologie
setzt an dem Punkt an, an dem der Mensch an seine Grenzen
stößt. Sie thematisiert Hilflosigkeit, Schuld und Tod. Die Antworten, die kirchliche und wissenschaftliche Christologien ge1 M. Meyer-Blanck, Wie finde ich Anerkennung? Christologie elementar, in:
Baumann, Ulrike/Englert, Rudolf/Meyer-Blanck, Michael/Steinmetz, Agnes:
Religionsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin
2005, 85.
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Einleitung
ben, werden und müssen nicht (immer) die Antworten der
Kinder und Jugendlichen sein. Aber ein christologisches Nachdenken mit Kindern und Jugendlichen kann sie dazu anregen,
sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und sich die Sprache der „Experten-Christologien“ in Teilen eigenständig anzueignen.
2. Christologie markiert die wesentliche Differenz zwischen dem
Christentum und anderen – auch monotheistischen – Religionen. Sie stellt auch Anfragen an unsere persönlichen Überzeugungen. Sie ermöglicht damit die Wahrnehmung und das
Aushalten von Differenz und fordert zu einer eigenen Positionierung – die durchaus nicht die „offiziell christliche“ sein muss –
heraus.
Mit dem vorliegenden Buch möchten wir Lehrkräfte an Grundschulen und weiterführenden Schulen dazu ermutigen, im Religionsunterricht das „Abenteuer Christologie“ zu wagen. Dazu stellen wir im zweiten Kapitel einige neuere empirische Studien vor,
die danach fragen, wie Kinder und Jugendliche auf christologische
Themen ansprechbar sind. Dabei werden Chancen, aber auch Probleme, deutlich. Im dritten Kapitel stellen wir das Thema am Beispiel der niedersächsischen und baden-württembergischen Kerncurricula in den Kontext der aktuellen Kompetenzdebatte. Im
vierten Kapitel verorten wir die empirischen Befunde im Kontext
der wissenschaftlichen Christologie und fragen nach Überschneidungen, Anknüpfungspunkten und Differenzen zwischen der wissenschaftlichen Christologie und den Christologien von Kindern
und Jugendlichen. Im fünften Kapitel stellen wir zwei Unterrichtssequenzen vor (4. und 10. Klasse), in denen exemplarisch gezeigt
werden soll, wie das „Abenteuer Christologie“ im schulischen Religionsunterricht gestaltet werden kann.
Wir danken Kathrin Breitenfeld und Dr. Christian Butt für die
gemeinsame Planung und Durchführung der Unterrichtssequenzen in der Grundschule Resse (Wedemark) sowie der Gesamtschule
Alter Teichweg (Hamburg).
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2.
Empirische Studien zu
christologischen Vorstellungen von
Kindern und Jugendlichen
2.1 Einzeluntersuchungen
In diesem Jahrtausend sind mehrere ausführliche Arbeiten erschienen, die empirisch untersuchen, wie Kinder und Jugendliche über
Jesus Christus denken und sprechen. Sechs dieser Arbeiten stellen
wir kurz vor.
2.1.1 Helmut Hanisch/Siegfried Hoppe-Graff
Die Studie von Hanisch und Hoppe-Graff1 erhebt die Vorstellungen und die persönliche Bedeutung, die Jugendliche im Alter von
12 Jahren von Jesus Christus haben bzw. ihm beimessen. Ziel ist es,
die Begriffskonstruktionen von Schülerinnen und Schülern eines
evangelischen Gymnasiums zur Thematik Jesus Christus zu dokumentieren. Parallel wird eine kleine Gruppe von Schülerinnen und
Schülern befragt, die am Ethikunterricht teilnehmen. Die empirische Basis der Studie besteht aus insgesamt 32 Schülerinnen und
Schülern. Der theoretische Rahmen der Studie wird in Anlehnung
an die psychologische Begriffsforschung bestimmt. Demzufolge
stehen Begriffe2 für eine spezifische Aneignung von Welt. Sie werden zum Zwecke des Weltverstehens, der Sinndeutung von Welt,
vom Individuum konstruiert.
1 H. Hanisch/S. Hoppe-Graff, „Ganz normal und trotzdem König“. Jesus
Christus im Religions- und Ethikunterricht: Begriffskonstruktionen von Jugendlichen im sechsten Schuljahr, Stuttgart 2002.
2 Nach Hanisch/Hoppe-Graff bestimmen Begriff und Wissen in der Weise,
dass „Begriffe die umfangreicheren kognitiven Einheiten sind, während Wissen nur Ausschnitte aus Begriffen darstellt“ (ebd., 11).
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Empirische Studien
Zur Datenerhebung der je individuellen Begriffsstrukturen werden ein halbstandardisiertes Interview, ein Fragebogen und eine
Struktur-Lege-Aufgabe eingesetzt. Mit diesem Setting soll zugleich der Zusammenhang von kognitiven Strukturen und der persönlichen Beziehung der Jugendlichen zu Jesus Christus erfasst
werden.
Der Untersuchung der Begriffsbildung von Jesus Christus werden sieben Teilbegriffe zugrunde gelegt, nach denen die Aussagen
der Jugendlichen systematisiert werden bzw. von denen ausgegangen wurde, dass das Denken der Jugendlichen von diesen Teilbegriffen her bestimmt ist. Demnach verfügen die Jugendlichen (theoretisch) über Teilbegriffe
– für den chronologischen Rahmen des Lebens Jesu
– für den geografischen und sozialen Rahmen des Lebens Jesu
– für das religiöse Umfeld, in dem Jesus lebte
– für die Verkündigung Jesu
– für die Osterüberlieferung
– für dogmatische Kernaussagen
– für den Glauben an Jesus Christus. (19 f.)
Im Folgenden dokumentieren wir die Ergebnisse von Jugendlichen
eines 6. Schuljahres, die seit Beginn der Schulzeit am zweistündigen
Religionsunterricht teilnahmen: (111–124)
– Ein großer Anteil kann die Geburt Jesu nicht zeitlich einordnen,
ebenso wenig den geografischen Rahmen seines Wirkens und
das religiöse Umfeld bestimmen.
– Die Verkündigung Jesu wird vorrangig mit inhaltsarmen oder
moralischen Vorstellungen in Verbindung gebracht, theologische Gesichtpunkte treten in den Hintergrund.
– Die Wunderthematik wird weitgehend „idiosynkratisch“ erschlossen, es dominieren die individuellen Interpretationen und
Zugänge der Jugendlichen.
– Die meisten Jugendlichen wissen um die Auferstehung Jesu, es
erfolgt aber mehrheitlich keine Vernetzung mit anderen Teilbegriffen.
– Die Jugendlichen interpretieren die Gottessohnschaft in unterschiedlicher Weise, dabei ist die Deutung der Gottesbeziehung
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Einzeluntersuchungen
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entscheidend für ihren „Begriff “ von Jesus Christus und damit
für eine Vernetzung mit weiteren Teilbegriffen.
– Die Jugendlichen messen dem Tode Jesu weitgehend keine (theologische) Bedeutung zu.
– Für die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen hat Jesus eine
Bedeutung für ihren Alltag, wobei deutlich wird, dass die Frage
des persönlichen Glaubens nicht von der Differenziertheit ihrer
Vorstellungen von Jesus Christus abhängt.
Hanisch und Hoppe-Graff klassifizieren die Begriffskonstruktionen der Jugendlichen nach dem Grad ihrer jeweiligen Komplexität, der sich nach der jeweiligen Verbindung von Teilbegriffen
bestimmt. Sie unterscheiden sechs Typen, die mit den Attributen
rudimentär, immanent, theozentrisch, christologisch, monistisch
und inkonsistent markiert werden. (125)
Silvia
Vgl. Auszug des Interviews mit Silvia (86) als Beispiel eines „rudimentären“ Begriffs von Jesus Christus. Nach Hanisch/Hoppe-Graff verfügt
die Schülerin über viel Wissen, „aber ihr Wissen scheint sich aus einer
Fülle von Teilbegriffen additiv zusammenzusetzen, aus denen sich kein
Oberbegriff zusammenfügen lässt“. (124 f.)
Rebekka
(Jesus war) wahrscheinlich ein Mensch, der sehr stark an Gott geglaubt
hat, auf jeden Fall und für andere gelebt hat, und dass man dann ihn so
verehrt hat, dass man ihn als Sohn Gottes gesehen hat, nachdem er gestorben ist. … Jesus ist vielleicht mehr Mensch oder Vorbild als jemand,
zu dem man so betet oder so. Vielleicht hätt’ ich, vielleicht wäre ich ja
auch zu ihm gekommen, wenn ich zu der Zeit gelebt hätte, aber ich hätte
nicht zu ihm gebetet. (79 f.)
Die Begriffskonstruktion von Rebekka wird von den Autoren als
„immanentes“ Konstrukt bezeichnet, da Jesus nur als Mensch gesehen wird.
Leo
Eigentlich kann man nicht sagen, was er genau war. Er ist eigentlich kein
richtiger Mensch, natürlich weil er Gottes Sohn war … Er hat nicht unbedingt geboren werden müssen. Er hätte auch so auf die Erde kommen
können … Man kann nicht genau beschreiben, was Jesus ist. (31)
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Empirische Studien
Die Begriffskonstruktion von Leo wird als „theozentrisch“ bestimmt, da Jesus vorrangig als göttliche Gestalt erscheint und weniger als Mensch hervortritt. (125)
Rahel
(Jesus ist) vielleicht ein Bote von Gott, auch sein Sohn, aber vielleicht
auch sein Bote. (…) Er ist wahrer Gott eben, weil er eben auferstanden
ist, trotz dass er gekreuzigt ist. Und ein wahrer Mensch, weil er eben auch
auf der Erde wie die, wie die anderen Menschen wohnt und lebt. (96)
Rahel wird ein „kohärenter christologisch orientierter Begriff “ zugeschrieben, der sich aus mehreren Teilbegriffen zusammensetzt.
„Durch die Annahme, dass Jesus als Sohn Gottes zugleich der Bote
Gottes ist, gelingt es ihr, bruchlos den Zusammenhang zwischen
dem Menschen Jesus und Christus herzustellen.“ (99)
Die Jugendlichen, die offensichtlich Schwierigkeiten haben, Jesus Christus sowohl als Gottes Sohn als auch als Mensch zu denken, werden
in ihren Begriffskonstruktionen als „brüchig“ bzw. „inkonsistent“ eingeordnet. Aus der kleinen Gruppe der Befragten des evangelischen
Gymnasiums bilden diese Jugendlichen immerhin 33 %. (125) Die Begriffskonstruktion einer Schülerin wird als „monistisch“ bezeichnet, da
sie Jesus Christus als ein „Medium“ versteht, durch das Gott Gutes bewirkt. (50)
2.1.2 Gerhard Büttner
Die Studie „Jesus hilft!“ von Gerhard Büttner3 ist im selben Jahr wie
diejenige von Hanisch/Hoppe-Graff erschienen und beschäftigt
sich ebenfalls empirisch mit der Frage, welche Vorstellungen Schülerinnen und Schüler von Jesus Christus haben bzw. entwickeln. Im
Unterschied zur Untersuchung von Hanisch/Hoppe-Graff umfasst
die Studie von Büttner christologische Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern der 1. bis zur 10. Klasse und schließt die Schulformen Grundschule, Realschule und Gymnasium ein.
3 G. Büttner, „Jesus hilft!“ Untersuchungen zur Christologie von Schülerinnen
und Schülern, Stuttgart 2002.
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Einzeluntersuchungen
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Büttner grenzt sich von einem durchaus üblichen didaktischen
Verfahren ab, das das Thema Jesus Christus historisch-genetisch zu
entfalten sucht. Er setzt dagegen die These, dass „aus der Sicht von
Kindern … die … Leitfrage ‚Was ist?‘ faszinierend [ist]“ (104). Deshalb möchte er bei den christologischen Fragen der großen Konzilien ansetzen, ohne diese jedoch explizit zu thematisieren. Der
methodische Zugriff auf diese Fragen soll vielmehr über Wundererzählungen „als Konkretionen christologischen Denkens“ (105) erfolgen. Büttner entwirft eine Wundererzählung, die Interpretationsmöglichkeiten in unterschiedliche Richtungen eröffnet. „Es müsste
eine alltägliche Lösung geben, eine (gerade für die Grundschule)
‚zauberhafte‘, eine im Sinne der rationalistischen Wunderdeutung
‚natürliche‘ und schließlich eine symbolisch metaphorische.“ (112)
Den Schülerinnen und Schülern der Klassen 1 bis 10 wurde
aufgrund dieser Überlegungen folgende Erzählung vorgetragen
(Grundschule) bzw. vorgelesen (Sekundarstufe I) (115 f.):
Erzählung in Anlehnung an Mk 4,35–41
Maria und David spielen am Strand des Sees Genezareth. Es ist Abend.
Der Tag war sehr heiß. Jetzt kommt ein leiser Wind. „Schön“, sagt Maria,
„endlich ist es nicht mehr so heiß.“ Sie laufen mit den nackten Füßen ins
Wasser hinein. Der Strand ist flach. Das kühle Wasser tut gut. „Schau
mal dort drüben!“ „Was ist?“ – „Da fahren Petrus und Jakobus hinaus auf den See.“ „Was machen die jetzt da draußen? Fischen tut man
doch am Morgen!?“ „‚Ach, sie wollen sich wohl erholen. So eine Bootsfahrt am Abend ist schön. Am liebsten wäre ich auch dabei.“ „Hast du
keine Angst vor dem Bootfahren?“ „Ich? Warum?“ „Weißt du nicht,
vor zwei Wochen sind auch einige hinausgefahren. Und dann kam urplötzlich ein großer Sturm. Das Schiff kippte um und alle sind ertrunken. Fünf Leute. Ganz Kapernaum hat getrauert.“ „Ach was. Ich habe
keine Angst. Und heute gibt es bestimmt kein Unwetter.“ „Bist du dir so
sicher?“
Die beiden suchen Muscheln am Strand. Da kommen Deborah und
Thomas dazu. „Kommt, wir spielen Ball.“ „Ja, Ballspielen ist schön.“
Die Vier spielen Ball. Das Ballspielen macht Spaß. Sie merken gar
nicht, wie der Himmel dunkel wird und die Wolken sich zusammenziehen. Thomas merkt es als Erster. „Da schau! Es wird ganz dunkel.“ Maria schaut zum Himmel. „Tatsächlich. Eine Wolke dunkler als die andere. Und der Wind beginnt stärker zu werden. Gerade noch war es ein
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Empirische Studien
laues Windchen, doch jetzt ist der Wind schon heftiger.“ Langsam wird
es bedrohlich.
Maria: „Und was ist mit Petrus und Jakobus? Sie sind meine beiden
Onkel. Sie sind draußen auf dem Meer.“ Tatsächlich, draußen sehen sie
das Boot. Es hat die Segel eingezogen. Es sieht so aus, als käme es nicht
mehr weiter. Es sieht so aus, als bliebe es mitten auf dem See stehen. Es
fängt an zu schaukeln. Es fängt an, aufgeregt auf dem Wasser zu hüpfen.
Mal hoch, mal runter. Das Boot wird immer aufgeregter. Thomas auch.
„Ach du liebe Zeit! Denk doch an die Leute vor vierzehn Tagen. Wenn
wieder so etwas passiert. Wenn die auch kentern. Die können doch alle
gar nicht schwimmen. Und wenn sie schwimmen könnten, die Wellen
sind viel zu stark. Sie reißen sie in die Tiefe.“
„Ja, was können wir tun?“ Deborah sagt: „Wir können gar nichts tun.
Die sind verloren. Die haben keine Chance. Komm, wir schauen gar
nicht mehr hin.“
David schreit: „Wir müssen ins Dorf. Die sollen ein großes Boot hinausschicken mit starken Ruderern. Die müssen sie retten. Mit dem kleinen Boot haben die da draußen keine Chance!“
„Ach, das große Boot. Das ist auch zu schwach“, ruft Deborah. „Niemand kann mehr helfen.“ „Doch, zehn Männer schaffen es.“ „Wirklich?“,
Thomas zweifelt. Als sie gerade noch miteinander sprechen, kommt ein
Mann auf sie zu. Es ist Jesus, der Prophet aus Nazareth, der Rabbi. Thomas sagt: „Jesus, deine Freunde sind da draußen auf dem Meer.“ Maria
ruft: „Sie sind in Lebensgefahr! Vor zwei Wochen sind fünf Leute ertrunken und der Himmel sah genauso aus wie jetzt. Jesus, tu was, es sind
deine Freunde!“ Deborah aber meint: „Du kannst auch nichts mehr machen. Sie sind alle verloren.“
Auf die Diskussion zur Erzählung folgte eine arbeitsgleiche Gruppenarbeit zu drei Christusbildern, die den Gruppen als Farbkopien
vorlagen. „Ich versuchte dabei, mit Bildern von Reinhard Hermann
und Relindis Agethen bekannte, aber auch kontrovers diskutierte
Schulbuchillustrationen auszuwählen. Dazu als Kontrast ein mittelalterliches Jesusbild.“ (117)
Um zum Thema ‚präsentischer Christus‘ zu kommen, stellten wir anfangs die Aufgabe, Jesus einem Menschen zu beschreiben, dem dieser
gänzlich unbekannt sei. Später gaben wir als Vorgabe das Gebet ‚Komm
Herr Jesus, sei du unser Gast!‘ mit der Nachfrage, wie dies denn denkbar sei. (117)
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Einzeluntersuchungen
19
Ergebnisse
Büttner ermittelt auf der Grundlage entwicklungspsychologischer
Modelle drei Stufen der Auseinandersetzung bei den Schülerinnen
und Schülern.
– Grundschule (Klassen 1–3)
„Die Befunde der Klassen 1–3 bestärkten die Vorstellung von Jesus
als hilfreicher Kraft, die damals wie heute wirksam werden kann.
Die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen (Artifizialismus [im Sinne von: Jesus „macht“, dass der Sturm weggeht],
mythisch-wörtliches Verstehen) lassen in dieser Altersstufe eine
relativ unmittelbare Rezeption besonders der Wundergeschichten zu.“ (272) „Interessant und wichtig ist die große Bedeutung,
die das Verhältnis zwischen Jesus und Gott einnimmt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Gebet als Medium im ‚innertrinitarischen Gespräch‘.“ (167)
3. Klasse (154–155, gekürzt)
Jennifer: … er holt ein Boot und tut sich reinsetzen und holt die dann
raus.
L.: Mhm, und du denksch, er rudert dann über den See zu denen.
Jennifer: Ja.
L.: Und in dem großen Sturm, wie macht er des dann?
Jennifer: Er kann ja, äm, so was wie zaubern.
L.: Er kann so was wie zaubern. Mhm. Stefan.
Stefan: Äm, der macht des Wasser weg, damit/damit des frei is, damit er
dann durchfahren kann.
…
Daniel: … Er betet jetzt zu Gott, zu seinem Vater, und bittet, dass er den
Sturm wieder wegziehen lässt.
…
Alexander: Der, mm/weil der spricht nich, weil er sich konzentrieren muss. Der, mm/ja der muss sich halt konzentrieren, dass es schnell
weggeht, oder dass er/ja, dass er/dass der Sturm dann vorbeizieht. Der
konzentriert sich, dass er nichts sagen/oder er sagt nichts, weil er sich
konzentrieren muss.
L.: Und was macht er dann, wenn er sich konzentriert?
Alexander: Beten.
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Empirische Studien
Matthias: Äh, am Strand tut er beten zu Gott, und dann sagt er dem, dass
er dann/äh macht/macht Gott den Sturm weg.
L.: Wie wird er denn da/Es haben schon mehrere die Idee gehabt mit dem
Beten. Wie wird er denn das machen? Was wird er sagen? Stefan.
Stefan: Also da, dass er sich da hinkniet und so (Stefan faltet die Hände
und schaut nach oben), also mit Armen hoch, und dann sagt er halt: „Herr,
mach bitte, dass der Sturm weggeht! Es sind viele Leute auf dem Boot.“
– Die Orientierungsstufe – die Übergangsphase (4.–7. Klasse)
„Kennzeichnend für diese Übergangsphase ist die Uneinheitlichkeit der dort anzutreffenden Schüler/innenantworten. …
Wir treffen noch bis in die 6. Klasse hinein relativ ‚naive‘ Antworten im Sinne des zu Klasse 1–3 Gesagten. Wir begegnen den
typischen Aussagen der Übergangsphase, die sehr skeptisch sind
gegenüber den Konkretionen etwa des Wunderhandelns Jesu,
dabei jedoch gleichzeitig von der Hoffnung auf ein erfolgreiches
Eingreifen Jesu bestimmt sind. … Bestimmender als der Trend
zur Symbolisierung [ist] der Trend zur Subjektivierung, bzw.
beide [gehen] Hand in Hand.“ (276)
5. Klasse (184–187, in Auszügen)
Christine: Dass der Jesus wie beim Auszug aus Ägypten/dass der vielleicht wieder des Meer spalten konnt/zu den hinnere laufe [L.: Mhm]
und dann des Boot/und se dann hole und dann zusammen de Weg wieder zurücklaufe.
…
Natalie: Vielleicht mit nem annere Boot rausfahren und dann mit Seile
versuchen zu ziehen. [L.: Mhm.] Also, mit mehrere Männer.
…
Carolin: Die Kinder, die beten ja vielleicht a. Und Gott erhört ja eigentlich die Gebete. [L.: Mhm.] Und dann kann er den Kindern Kraft
schenken.
L.: Wie? Wie Kraft schenken/den Kindern?
Carolin: Dass sie wieder Mut kriegen und net den Mut verlieren …
Nadine: Vielleicht wenn die Kinder Mut haben und geben uns, äh, äh,
sagen zu dene Männer,/habt nur Mut (so wie) oder so/halt, damit halt
(des hi könne) wenn sie mehr Mut haben, weil/wenn ich, äh, bei ner
Sache Mut hab und bei ner Sache net Mut hab, dann/halt/ist des mit Mut/
gehört halt dazu.
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Einzeluntersuchungen
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– Die Sekundarstufe (Klassen 8 und 9)
Typisch für diese Altersstufe ist die starke Tendenz …, die Aussagen ganz stark auf das subjektive Erleben zu konzentrieren.
Dabei existiert die Tendenz, dies als Ausdruck eines radikalen
Pluralismus zu verstehen, der die Meinung des je Einzelnen respektiert und deshalb auch den Streit um eine mögliche Wahrheit vermeidet.“ (278)
8. Klasse (238–240, in Auszügen)
Uli: Ich würd’ sagen, irgendwo is es schon es gibt auch en psychologischen Effekt an der Sache, denk’ ich [L.: Mhm.] Ich glaub’ nicht, dass
(er spezielle Fähigkeiten gehabt hat, ich denk’ nur), dass er den Menschen wieder Hoffnung gebracht hat. … Die Hoffnung, dass sie dann …
es gibt ja auch den Effekt, dass äh durch irgendwelche Quellen, dass man
denkt, dass man da geheilt wird durch, aber … des is mehr der psychologische Effekt dabei.“
Zur Bitte des Tischgebets findet sich folgende Gesprächssequenz
(240):
Hannah: … Ja gar nicht körperlich anwesend, aber vielleicht ist er ja also
… für mich da und ich denk’, wenn ich zum Beispiel ähm en Mensch hab’,
der mir viel bedeutet oder so, und ich denk’ an den, dann is des ja, also
dann is er ja in dem Moment eigentlich auch bei mir ja und ich denk’, ich
kann ja schon an vielleicht auch nur in Gedanken mit dem Menschen
reden. Also wenn ich mir den jetzt vorstelle, und ich denk’ bei Gott is
des genauso.
L.: Mhm. Und Anne nochmal.
Anne: Jetzt so allgemein, ich glaub’ auch, also heute is’ es ja so, dass keiner mehr sagt: Ich glaub’ an Gott oder so also äh sie sagen’s schon, aber
die/die Definition, wie sie des für sich selber definieren, heute is des
mehr so en Tabuthema, und [L.: Mhm.] wenn man wenn man so in die
Straßen geht, und/und/und dann irgendwas von Kirche lab/labert sozusagen, und dann heißt’s: haja hör’ mir bloß auf damit, da will ich nichts
damit zu tun haben. Und dass es heute so is’, dass, wenn Gott für die
Menschen existiert, dass es halt wirklich nur für jeden Einzelnen is und
dass da gar/gar keinen Austausch mehr besteht zwischen den anderen
Menschen.“
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Empirische Studien
2.1.3 Tobias Ziegler
Mit der Dissertation von Tobias Ziegler4 liegt eine empirische
Untersuchung vor, die nach den Christologien von Jugendlichen
fragt. Ziegler hat 386 Aufsätze von Jugendlichen der 11. Jahrgangsstufe aus 25 Religionsgymnasialklassen in Baden-Württemberg zu
der vorgegebenen Fragestellung „Was ich von Jesus denke …“ analysiert und beschreibt auf dieser Grundlage „elementare“ Zugänge
Jugendlicher zur Christologie.
Ziegler unterscheidet fünf Grundhaltungen der Jugendlichen,
die „ein überraschend heterogenes Bild“ zum Thema Jesus Christus bieten: (212)
– 15,3 % kritiklos-indifferent (19 % m/12 % w)
– 24,4 % kritisch-ablehnend (bei Jungen etwas häufiger als bei
Mädchen)
– 16,8 % zweifelnd-unsicher (viele Fragen ohne Antwort)
– 19,9 % kritisch-aufgeschlossen (Anteil der Mädchen etwas höher)
– 23,6 % kritiklos-zustimmend
Ingesamt bekunden 60 % der Befragten in gewissem Maße ein Einverständnis mit dem über Jesus Gesagten. Von dieser Gruppe enthalten 60 % der Aussagen der Befragten ein ausdrückliches Bekenntnis zu einem Glauben an Jesus bzw. eine eindeutige soteriologische
Aussage (absolut 37 % der Befragten). 15 % der Befragten (absolut
9 %) enthalten zwar ein Bekenntnis, konkretisieren aber die Bedeutung von Jesus nicht. Die übrigen 25 % (absolut 15 %) lassen sich als
„nicht-religiös“ klassifizieren, da die Bedeutung von Jesus respektiert, aber eine religiöse Haltung verneint wird. (319)
Im Blick auf die Auferstehung Jesu ergeben die Aufsätze folgendes Bild.
Jesu Auferstehung wird nur von 40 % der Befragten erwähnt.
Während ein Drittel davon Zweifel an ihrer Wahrheit bekundet,
4 T. Ziegler, Jesus als „unnahbarer Übermensch“ oder „bester Freund“? Elementare Zugänge Jugendlicher zur Christologie als Herausforderung für Religionspädagogik und Theologie, Neukirchen-Vluyn 2006.
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Einzeluntersuchungen
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sieht ein anderes Drittel in ihr ausdrücklich einen Beweis für ein Leben nach dem Tod oder für die Existenz Gottes.
Insgesamt scheint die Aneignung der Auferstehungsaussagen für
die meisten Jugendlichen problematisch zu sein: „Oft hat man den
Eindruck, dass die Auferstehung als Ende einer längeren Kette „übernatürlicher“ Vorgänge im Leben Jesu aufgefasst wird. Nur wenige sehen in ihr offensichtlich den für den Glauben an Jesus Christus entscheidenden, durch Gott gewirkten Akt, welcher die Einheit Gottes
mit Jesus und dessen Gottessohnschaft erst definitiv bestätigt.“ (310)
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus den Aufsätzen,
die die jeweiligen Grundhaltungen exemplarisch verdeutlichen.
Ziegler sieht als gemeinsames Merkmal der Aufsätze dieser Grundhaltung, dass „Gründe für das fehlende Einverständnis weitgehend
im Dunkeln bleiben oder nur am Rande vorkommen“ (216).
Sabine („kritiklos-indifferent“):
Für mich hat Jesus bisher noch keine große Bedeutung gehabt, und ich
denke auch nicht, dass man mit dem Glauben an Gott oder Jesus dramatische Ereignisse lösen kann. Man kann sie vielleicht lindern, aber lösen
muss man sie meistens allein. (217)
Jörg („kritisch-ablehnend“):
Jesus starb für seine Ideale. Angeblich wurde er von seinen Qualen erlöst
und ist von den Toten auferstanden und in den Himmel gekommen. Wir
alle wollen erlöst werden, tun jedoch selbst kaum etwas dafür, denn man
müsste ja etwas riskieren. Seine Verehrer erzählten, er sei erlöst worden.
Das ist auch nur Propaganda und Fanatismus. Marx sagte: „Religion ist
Opium fürs Volk“. Ich habe über ihn gelesen und glaube, er hat Recht.
Durch den Glauben an Gott rechtfertigen wir unser Handeln anstatt dafür gerade zu stehen. (225)
Birgit („zweifelnd-unsicher“):
Ich weiß eigentlich nicht genau, was Jesus für mich bedeutet. Er ist eine
Person, die im Himmel ist, an die alle eigentlich glauben, egal in welcher Form, er mag auch einen anderen Namen haben. Wegen ihm gibt
es die meisten Feiertage. Aber was und wer er eigentlich genau ist, weiß
ich nicht! Irgendwie denke ich aber trotzdem, dass ich an ihn glaube und
er mir Kraft gibt, auch wenn ich nicht regelmäßig bete und in die Kirche
gehe. Allgemein würde ich mehr über ihn wissen wollen, da Gott auch in
schlechter Form, nämlich von Sekten dargestellt werden kann.“ (241)
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Empirische Studien
Oliver („kritisch-aufgeschlossen“):
Der Tod Jesu hat für mich die Bedeutung, dass Jesus eben Gottes Sohn
war, weil er ihn erst sterben ließ, um ihn wieder auferstehen zu lassen.
Viel wichtiger ist für mich aber das Leben Jesu. Er war meiner Meinung
nach einfach ein besonderer Mensch, der es geschafft hat, die Leute um
ihn herum friedlich und liebevoll zusammenleben zu lassen. Das ist es,
was ich an Jesus so bewundere, weil es etwas Besonderes ist, so etwas zu
schaffen. … Jesus bedeutet für mich, zu versuchen, so zu leben, dass ich
anderen Menschen ein Vorbild sein kann und mich möglichst so verhalte, dass ich friedlich und auch die anderen friedlich bleiben. Es bedeutet für mich, dass ich mich für andere einsetze und umgekehrt. (251)
Sandra („kritiklos-zustimmend“):
Was bedeutet Jesus für mich? Jesus ist immer bei mir und weil er alles
von mir weiß, ist er mein bester Freund. Ich habe ihn gebeten, mir meine
Sünden zu vergeben, und das hat er gemacht. Er bedeutet mir so viel,
dass ich mir nicht mehr vorstellen könnte, ohne ihn zu leben. Bei Gott
hole ich mir Rat, Trost und Freude. Er begleitet mich und deshalb ist er
ein Teil meines Lebens. (277)
Zusammenfassend lassen sich die Befunde und Beobachtungen von
Ziegler wie folgt beschreiben: (500 ff.)
– Das „Einverständnis“ (Karl Ernst Nipkow) und das Urteil über
die Wahrheit der Gottessohnschaft geht bei den Jugendlichen
weit auseinander, d. h. die Pluralität der Positionen gegenüber
Jesus Christus ist das bestimmende Merkmal jugendlicher Ausgangslagen.
– Das Spektrum der Deutungs- und Verstehenszugänge der Jugendlichen umfasst eine große Bandbreite, in der Logik von kognitiv-strukturellen Entwicklungstheorien lassen sich die Differenzen als Reflexionsebenen zwischen der zweiten und vierten
Stufe (Fowler und Oser/Gmünder) beschreiben.
– Die christologischen Zugänge der Jugendlichen sind durch eine
Vielfalt je individueller lebensgeschichtlicher Zugänge und Bezüge gekennzeichnet.
– Weibliche Jugendliche sind Glaubensfragen und dem Glauben
an Jesus Christus deutlich aufgeschlossener als männliche Jugendliche, darüber hinaus ist ihre Fähigkeit zu symbolisch-übertragenen Deutungen deutlich ausgeprägter.
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2.1.4 Michaela Albrecht
Die Dissertation von Michaela Albrecht5 untersucht in Fortführung und Vertiefung der Arbeit von Tobias Ziegler Einstellungen
und Denkweisen von Jugendlichen der gymnasialen Oberstufe zu
Jesus Christus. Allerdings fokussiert sie ihre Untersuchung auf die
Fragestellung, inwieweit Jugendliche dem Kreuzestod Jesu eine
Heilsbedeutung zuschreiben. Ebenso wie bei Ziegler bilden Aufsätze von Schülerinnen und Schülern die Grundlage der Analyse.
Die Erhebung wurde in einer 11. und 12. Jahrgangsstufe eines Gymnasiums jeweils mit einer Lerngruppe Evangelische Religion, Katholische Religion und Ethik durchgeführt. Insgesamt haben 77 Jugendliche Aufsätze verfasst, in denen sie sich mit der Fragestellung
„Hat es für dich eine Bedeutung, dass Jesus Christus am Kreuz gestorben ist und von Gott auferweckt wurde? Was bedeutet es für
dich? Bzw.: Warum bedeutet es nichts für dich?“ auseinandersetzen sollten.6 Die Untersuchung will zeigen, „was Jesu Tod für den
Glauben und das Leben dieser SchülerInnen bedeutet“ und insbesondere „welche Aspekte der traditionellen christlich-kirchlichen
Rede – so wie sie sie wahrnehmen und verstehen – ihnen wichtig
sind und welche sie ablehnen“ (14).
Mit ihrer Arbeit folgt Albrecht dem Ansatz einer subjektorientierten Religionspädagogik und stellt die Bedeutung der Wahrnehmung der Andersartigkeit des Denkens von Jugendlichen als Voraussetzung ihrer religiösen Begleitung heraus (43). Die kritischen
Sichtweisen und Anfragen der Jugendlichen versteht sie zugleich
als „heilsame Unterbrechungen“ gewohnter Denkwege, die auch die
wissenschaftliche Theologie nicht ignorieren darf. (265)
5 M. Albrecht: Für uns gestorben. Die Heilsbedeutung des Kreuzestodes aus
der Sicht Jugendlicher, Göttingen 2007; dies.: Vom Kreuz reden im Religionsunterricht, Göttingen 2008.
6 Die Jugendlichen des Gymnasiums einer oberfränkischen Kleinstadt wurden
mit einem Impulstext konfrontiert, in dem ein fiktives Gespräch zwischen
zwei Jugendlichen mit dem Satz von Martin eingeleitet wird: „Also für mich
hätte er nicht sterben brauchen!“ Vgl. Text und Fragestellungen, in: M. Albrecht 2007, 82, 85.
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