positionen pdf - GDV Positionen

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positionen pdf - GDV Positionen
NR. 93
DAS MAGAZIN DER DEUTSCHEN VERSICHERER
JUNI 2014
PREIS 4 EURO
C 44755
Im
Interview
Bundesbank-Vorstand
AUFGEZEICHNET:
Telematiktarife versprechen
Versicherungsprämien
passend zum Fahrstil.
ANDREAS
DOMBRET
ABGEDREHT:
Spielfilme sind ein
riskantes Geschäft.
GENERATION ÜBERGANG
Starre Altersgrenzen? Eine Gesellschaft, die immer älter wird,
braucht neue Übergänge zwischen Berufstätigkeit und Ruhestand.
Auf Spurensuche in der großen Rentenfrage.
EDITORIAL
MEINE POSITION
ZWISCHEN WAHRNEHMUNG UND
REALITÄT – WAS LEISTEN
VERSICHERUNGEN WIRKLICH?
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
die neuen „Positionen“ sind da. Sie präsentieren sich in neuem Gewand und mit
neuen Inhalten. Wir haben unser Magazin für Sie einem Relaunch unterzogen,
um dem Wandel unserer Informationsund Kommunikationswelt besser gerecht zu werden. Mit dem
neuen Magazin setzen wir auf
hochwertigen Journalismus:
kompetent wie gewohnt,
jedoch noch unterhaltsamer
und informativer aufbereitet
als bisher. Wir wollen aber
auch geschärfter und entschlossener Haltung beziehen. „Positionen“ soll so
zum Forum unserer Zeit und
Branche werden.
Denn wir brauchen Antworten auf die Veränderungen, in denen wir uns gesamtgesellschaftlich befinden. Und wir
brauchen Antworten auf die
Herausforderungen, vor denen
die deutsche Assekuranz steht.
Dazu zählt auch die oft kritische
Wahrnehmung, die die Branche in
der Öffentlichkeit hat. Diese
Wahrnehmung schafft ihre eigene
Wirklichkeit, obwohl sie nicht mit
der Realität bei uns übereinstimmt.
Eine Befragung des Allensbach-Instituts hat gezeigt, dass viele Deutsche die Versicherungsbranche
allgemein kritisch sehen, die
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PO S I T ION E N N R . 9 3
Unternehmen jedoch, bei denen sie versichert sind, schneiden viel besser ab. Mehr
denn je muss es daher gelingen, deutlich
zu machen, was Versicherer können: Wir
versichern, wir garantieren und wir leisten! Und über das Wichtigste wird viel zu
wenig gesprochen: die Bedeutung einer
Versichertengemeinschaft, den Risikoausgleich im Kollektiv und den Nutzen
jedes Einzelnen, der daraus entsteht; und
über die Rolle der Versicherungswirtschaft allgemein für unsere Gesellschaft
und Wirtschaft. Eine Prognos-Studie kam
zu dem Ergebnis, dass sich ein Achtel des
gesamten Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahre auf den Beitrag der Assekuranz zurückführen lässt. Damit trägt
die Versicherungswirtschaft maßgeblich
zum deutschen Wirtschaftsleben bei. Dieses Verständnis von und über Versicherungen muss wieder stärker verankert
werden. Dazu gehen wir in der Kommunikation neue Wege und suchen den Dialog mit der Gesellschaft und der Politik
– die neuen „Positionen“ sind ein Baustein davon.
Ihr
KONTAKT
ALEXANDER ERDLAND
PRÄSIDENT DES GDV
Teilen Sie Ihre
Position mit mir.
[email protected]
I N H A LT
„WAS DIE KONTINUIERLICH STEIGENDE LEBENSERWARTUNG ANGEHT,
DA IST ZUMINDEST DERZEIT KEIN LIMIT BEKANNT.
VIELLEICHT WERDEN WIR EINMAL 200 JAHRE ALT.“
JAMES W. VAUPEL,
DIREKTOR DES MAX-PLANCK-INSTITUTS
FÜR DEMOGRAFISCHE FORSCHUNG
KURZ POSITIONIERT
MÄRKTE & BRANCHEN
04 GEMELDET:
Aktuelles aus der Welt der
Versicherungen
22 HINTERGRUND:
Vorsicht zahlt sich aus. Die
Diskussion um die neuen
Telematik-Tarife
05 BEWERTET:
Stellungnahmen des GDV
25 SCHAUPLATZ:
Die Deutschlandkarte zeigt, wo
Versorgungslücken klaffen
SCHLÜSSELPOSITION
06 TITELTHEMA:
Generation Übergang.
Auf Spurensuche in der
großen Rentenfrage
26 HINTERGRUND:
Ein Quantum Trost. Wie sich
Risiken im Filmgeschäft
begrenzen lassen
11 GUTE FRAGE:
Wie wird eigentlich genau die
Zukunft berechnet? Aktuarin
Claudia Andersch gibt Auskunft
06
29 ZAHLEN DES QUARTALS:
Fakten der Versicherungswelt
beziffert
T I T E L FOTO : M I RJA M K L ESS M A N N ; FOTOS D I ES E S E I T E : M I RJA M K L ESS M A N N , P L A I N P I CT U R E ,
I STO C K , G R EGO R L E N G L E R , T H I N KSTO C K ; I L LUST RAT I O N : D I E T E R B RAU N
12 SCHAUPLATZ:
Das Alter im Blickwinkel – der
Versicherer und der Versicherten
14 IM GESPRÄCH:
Alternsforscher James W. Vaupel
vom Max-Planck-Institut verrät
Geheimnisse des langen Lebens
KURZ AUSGEBLICKT
30 MIT ANDEREN AUGEN:
Kolumnist Christian Kirchner
hadert mit kryptischen
Vertragsbedingungen
12
POLITIK & GESELLSCHAFT
16 WAS KOMMT:
Eine neue Serie beleuchtet
gesellschaftliche Trends und
ihre Auswirkungen auf
die Branche.
Teil 1: Die Zukunft der
Produktion. 3D-Drucker, die
nächste industrielle Revolution?
28 GEGENPOSITION
Warum das Bild von den
Nein-Sagern falsch ist
14
31 WEITERGEHEN:
Link- und Lesetipps
32 DIE SCHÖNSTE
VERSICHERUNGSSACHE
DER WELT
19 UM DEN GLOBUS:
Die Briten ticken anders –
Assekuranz auf der Insel
20 NACHGEFRAGT:
Bundesbank-Vorstand Andreas
Dombret zu seiner Sicht auf die
Schuldenkrise und das
schwierige Niedrigzinsumfeld
DIGITAL & RESPONSIVE
Die positionen im Netz:
www.gdv.de/positionen
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KURZ POSITIONIERT
GEMELDET
ZUR ZUKUNFT DER RENTE
A
ls Folge der beschlossenen Mütterrente und der abschlagsfreien
Rente ab 63 wird der Rentenbeitrag bis 2030 auf 22,7 Prozent
von derzeit 18,9 Prozent steigen. Zu diesem Ergebnis kommt die
Studie „Die Zukunft der Altersvorsorge“, die vom Handelsblatt
Research Institute und der Prognos AG im Auftrag des GDV erstellt
wurde. Gleichzeitig erwarten die Autoren durch die Rentenpläne
eine Absenkung des Rentenniveaus um bis zu 0,5 Prozentpunkte bis
2030. Das Fazit der Verfasser: Die Bundesregierung setzt mit diesem rentenpolitischen
Kurs ein falsches Signal: Das derzeitige
demografische Zwischenhoch werde
für langfristige Leistungsausweitungen missbraucht.
MEHR INFOS:
www.gdv.de/rentenpaket
FINANZIELLER
SCHUTZ ZUR
FUSSBALL-WM
F
ußball–WM in Brasilien – für die Fans
Unterhaltung pur, für die Veranstalter
eine knallharte wirtschaftliche Unternehmung. Das größte finanzielle Risiko: dass
die werbeträchtigen Fernsehübertragungen
wegbrechen. Gegen eine zeitliche oder örtliche Verlegung der WM hat sich die Fifa
mit 900 Millionen Dollar versichert.
Gezahlt wird, wenn Spiele etwa wegen Terroranschlägen, Epidemien oder Naturkatastrophen verschoben werden müssen. Bei
einer Fußball-WM ist dies glücklicherweise
noch nicht passiert, aber bei der RugbyWM 2011, verschuldet durch das verheerende Erdbeben in Christchurch, Neuseeland. Die Versicherer übernahmen damals
die zusätzlichen Kosten, die durch das Ausweichen in andere Städte entstanden waren.
SCHWERPUNKT:
www.gdv.de/wm2014
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HEBAMMENVERSORGUNG
D
ie Arbeit der freiberuflichen Hebammen könnte dauerhaft gesichert sein. Dazu trägt ein Maßnahmenpaket bei, das das Bundesgesundheitsministerium kürzlich in Berlin vorstellte. Das Paket
sieht unter anderem eine höhere Vergütung für Hebammen mit
wenigen Geburten, Maßnahmen zur Qualitätssicherung und den
Regressverzicht der Sozialversicherungsträger vor. Der GDV begrüßt
die Vorschläge. Zum Hintergrund: Die Kosten für schwere Geburtsschäden durch Behandlungsfehler waren in den letzten Jahren, u. a.
durch hohe Regressforderungen, deutlich gestiegen. Dies führte zu
immer höheren Haftpflichtbeiträgen für die Freiberuflerinnen.
KURZ POSITIONIERT
BEWERTET
NOTRUFSYSTEM
eCALL SOLL
LEBEN RETTEN
FOTOS : S H U T T E RSTO C K ( 3 ) , D PA P I CT U R E -A L L I A N C E , M AU R I T I US I M AG ES, FOTO L I A
I
BEIPACKZETTEL FÜR
KLEINANLEGER
B
eim Kauf von Anlageprodukten sollen Kleinanleger künftig
EU-weit ein Standard-Informationsblatt über Risiken und
Konditionen erhalten. Der Rat, die EU-Kommission und das EUParlament haben jüngst entsprechende Verhandlungen abgeschlossen. Der GDV wertet das Ergebnis als wichtigen Schritt, um die
Transparenz im europäischen Finanzvertrieb zu verbessern. Allerdings gehe der Versuch, für möglichst viele Finanzprodukte einheitliche Regeln einzuführen,
zwangläufig zulasten der Vergleichbarkeit und Verständlichkeit. Der GDV begrüßt
daher die Entscheidung,
staatlich anerkannte Altersvorsorgeprodukte von der
Verordnung auszunehmen.
n der EU sollen Autos künftig bei einem
Unfall automatisch ein Notrufsignal senden. Das Europäische Parlament hat kürzlich darüber abgestimmt, dass bis spätestens
Oktober 2017 die Mitgliedstaaten dafür
sorgen müssen, dass die Infrastruktur – beispielsweise in den Rettungsleitstellen – steht,
damit eCall zuverlässig funktioniert, sobald
Neufahrzeuge damit ausgestattet sein müssen. Die Arbeiten zur Typgenehmigungsverordnung, die den Einbau von eCall in Fahrzeuge verpflichtend vorsehen soll, sollen in
der zweiten Jahreshälfte im Trilog zwischen
Europäischem Parlament, Rat und Kommission abgeschlossen werden. Dabei geht
es um die genauen Vorgaben an die Kfz-Hersteller für den Einbau von eCall-Systemen.
Ziel von eCall ist es, Verletzte schneller
am Unfallort versorgen zu können. Wenn
das System nicht manuell ausgelöst wird,
reagiert es beispielsweise auf das Auslösen
der Airbags. Auf Basis der EU-weiten Notrufnummer 112 sendet es dann Ort und
Zeit des Unglücks an die nächste Rettungsdienstleitstelle. Die deutschen Versicherer
unterstützen das Vorhaben ausdrücklich.
Gleichzeitig warnt der GDV vor unbeabsichtigten wirtschaftlichen Risiken: Zum
einen muss der Kunde in Zukunft selbst
bestimmen können, was mit den Informationen aus seinem Auto passiert. Zum anderen muss der freie Zugang für alle Marktteilnehmer gewährt werden.
MEHR INFOS:
www.gdv.de/stellungnahmen
MEHR INFOS:
www.gdv.de/
stellungnahmen
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SCHLÜSSELPOSITION
GENERATION
ÜBERGANG
WIR WERDEN IMMER ÄLTER UND FÜHLEN UNS JÜNGER.
Eine wachsende Gruppe von Senioren will vom angeblich süßen
Nichtstun des Rentnerdaseins erst mal nichts wissen. Raus aus der
Altersfalle mit ihren starren Grenzen – das längere Leben braucht neue
Modelle zwischen Arbeitsleben und Ruhestand. Vorbilder gibt es genug.
Auf Spurensuche in der großen Rentenfrage.
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SCHLÜSSELPOSITION
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SCHLÜSSELPOSITION
H
ans-Peter Rauschert ist ein
gefragter Mann. Wenn es darum
geht, Kosten zu durchleuchten,
Fertigungsprozesse zu optimieren, ist
der Qualitätsmanager zur Stelle. Ob auf
der Schwäbischen Alb, in China oder
Mexiko. Von aufreibender Hetze von
Job zu Job kann dennoch keine Rede
sein – 40 bis 50 Tage im Jahr war er in
den letzten Jahren im Einsatz. Mehr sollen es auch nicht werden. Karriereambitionen mögen andere hegen, seinen
Motor treibt ein anderer Stoff. „Es ist
schön, gebraucht zu werden, Dinge weiterzugeben und Neues zu erfahren“, sagt
Rauschert, Ex-Boschianer, 70 Jahre alt
und seit sieben Jahren offiziell Rentner.
Endlich in Rente von wegen! Die
Wonnen des Ruhestands – später aufstehen, Hobbys pflegen, auch tagsüber im
Café sitzen – schlugen bald ins Gegenteil um. Schon nach kurzer Zeit fiel ihm
„vor Langeweile die Decke auf den
Kopf“. Als der Anruf seines heutigen
Arbeitgebers kam, griff er gerne zu.
Noch zählen die „silver-workers“ zur
Minderheit, doch ihre Zahl geht steil
nach oben. Knapp fünf Prozent aller
über 65-Jährigen arbeiten inzwischen
auch nach Renteneintritt gegen Entgelt
weiter, fast doppelt so viele wie vor zehn
Jahren. In keiner anderen Altersgruppe
ist die Zahl der Erwerbstätigen so stark
gestiegen.
Wertvolles Alterswissen sichern
Zwei zeitlich befristete Aufträge pro
Jahr wollte Rauschert anfangs annehmen, heute absolviert er für die Bosch
Management Support GmbH (BMS),
die Senioren-Experten-Tochter des
Technologiekonzerns, einige mehr.
Rund 1300 ehemalige Boschianer übernehmen derzeit weltweit Bosch-interne
Beratungsaufträge. Ihr Honorar orientiert sich dabei an ihren früheren Bezügen. Dem Beispiel sind in jüngster Zeit
einige Konzerne gefolgt. So sorgen beispielsweise die Otto Group Senior
Expert Consultancy GmbH, das BaySen-Netzwerk des Chemiekonzerns
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1914
1954
2014
Die Realität des Alterns ändert sich:
Kalendarisches und biologisches Alter
fallen zunehmend auseinander. Von
Generation zu Generation verjüngen wir
uns biologisch um ca. fünf Jahre. Heutige
Rentner sind daher aktiver und gesünder
als ihre Vorgänger.
Bayer oder auch der Autokonzern
Daimler mit seiner 2013 gestarteten
„Space-Cowboy-Initiative“ für ein
Revival ihrer Experten-Rentner.
Geistig vergreist, körperlich verbraucht – die Altersstereotype von gestern kann man getrost ad acta legen. Die
kranken Jahre nehmen ab, die gesunden
zu. Ein heute 60-Jähriger ist, wie die
Alternsforschung zeigt, so fit wie ein
50-Jähriger vor 20 Jahren. Der Alterungsprozess scheint verlangsamt – und
das umso mehr, je länger man aktiv
bleibt. Den Eintritt ins Rentnerleben
nach hinten zu verschieben zahlt sich
aus, wie Studien zeigen – nicht nur
finanziell und in puncto Altersvorsorge.
Je jünger Menschen in Ruhestand
gehen, umso drastischer sinkt die
Gedächtnisleistung, steigt das Risiko,
krank zu werden. „In einen Arbeitskontext eingebunden zu sein und dadurch
immer wieder neu gefordert zu werden,
kann sinnstiftend sein und hat für den
Einzelnen enorme Vorteile“, betont
Ursula Staudinger, Alternsforscherin
und Gründungsdirektorin des neuen,
interdisziplinären Columbia Aging Centers an der gleichnamigen Universität in
New York. „Wir sollten darum bemüht
sein, Arbeitsumstände so zu verändern,
dass die Verrentung nicht als Befreiung
erlebt wird, sondern als Verlust.“
Je näher die Rente rückt, umso weniger Illusionen machen sich die Menschen über die Wonnen des Ruhestandes. Über die Hälfte der 55- bis 70-jährigen Deutschen äußern die Bereitschaft, über die Rente hinaus weiterzuarbeiten. Zumindest in Unternehmen,
die bereits Angebote für ältere Menschen bieten. Ist dies nicht der Fall, liegt
das Interesse bei unter 40 Prozent. „Der
individuelle Wunsch zu arbeiten muss
auch mit den Möglichkeiten bei den
Arbeitgebern zusammengehen“, verdeutlicht Forscher Andreas Mergenthaler, der die deutschlandweite Studie
„Transitions and Old Age Potential“ für
das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung mit erhoben hat.
SCHLÜSSELPOSITION
„WIR MÜSSEN DAS
POTENZIAL DER
ÄLTEREN STÄRKER
AUSSCHÖPFEN.“
Die Frage nach den neuen Alten – in
Zukunft wird sie sich lauter stellen. Das
Gruppenbild der Gesellschaft im Jahr
2030, skizziert vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales, zeigt: Auf einen
über 64-Jährigen kommen nur noch
etwa zwei Menschen im Alter zwischen
20 und 64 Jahren, heute sind es drei.
Damit trifft der demografische Wandel
auch die Altersvorsorgesysteme tief in
WEITERMACHEN
TROTZ
RENTENALTER
Bereitschaft für
Weiterbeschäftigung
im Ruhestand ist hoch
48%
JUTTA RUMP
DIREKTORIN DES INSTITUTS FÜR
BESCHÄFTIGUNG UND EMPLOYABILITY,
HOCHSCHULE LUDWIGSHAFEN
67%
SELBSTSTÄNDIGE
ANGESTELLTE
45%
ARBEITER
Rund die Hälfte aller
Erwerbstätigen, die
55 Jahre und älter
sind, können
sich gegenwärtig
vorstellen, auch nach
dem Eintritt in den
Ruhestand einer
bezahlten Beschäftigung nachzugehen.
42%
BEAMTE
Umfrage unter
5000 Menschen
im Alter zwischen
55 und 70 Jahren
Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)
ihrem Innersten – insbesondere die Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rente
mit ihrem Umlageverfahren, das auf
einem Transfer zwischen den Generationen basiert. „Demografiebedingt fehlen bis 2030 rund 6,5 Millionen Arbeitskräfte. Wir müssen das Potenzial der
Älteren stärker ausschöpfen“, ergänzt
Jutta Rump, Direktorin des Instituts für
Beschäftigung und Employability an der
Hochschule Ludwigshafen. Das würde
sich gleich doppelt auszahlen: Nicht nur
die Arbeitswelt, auch die gesetzliche
Rente bekäme mehr Standfestigkeit in
den Turbulenzen des demografischen
Wandels.
Die Potenziale der Älteren nutzen
Doch von der Erkenntnis zur Umsetzung ist noch ein weiter Weg, wie die
Hertie-Stiftung herausgefunden hat.
Zwei Drittel aller Unternehmen bieten
keine Maßnahmen an, um die Erwerbstätigkeitsphase älterer Arbeitnehmer zu
verlängern, nur 15 Prozent planen, dies
künftig zu tun. Und wer jenseits der 50
seinen Job verliert, tut sich schwer,
beruflich wieder Fuß zu fassen. „Der
Arbeitsmarkt ist im Moment noch nicht
offen für 50plus“, konstatiert Staudinger. „Aber der Druck baut sich jetzt auf
und wird exponentiell und rapide
zunehmen.“
Noch etwa sechs Jahre lang wird die
Balance zwischen Zu- und Abgängen
auf dem Arbeitsmarkt relativ ausgewogen sein, rechnet Martin Werding, Professor für Sozialökonomie an der RuhrUniversität Bochum, vor. „Aber unter
der Oberfläche bereiten wir uns auf den
Renteneintritt der Babyboomer vor.“
Um sie so lange als möglich im Job zu
halten, ist es mit exklusiven Rentnerprogrammen längst nicht getan. „Wir reden
hier über eine kleine Elite, aber Veränderungen braucht es für die Mehrzahl der
Arbeitskräfte“, so Personalexpertin
Rump. Mit Arbeits- und Rentenmodellen von gestern ist in Zeiten des demografischen Wandels kein Land zu gewinnen, ist auch Alternsforscherin StaudinN R . 93 PO S I T ION E N
9
SCHLÜSSELPOSITION
LEBENSERWARTUNG BEI GEBURT
1870 bis 2050
Die Deutschen leben imm er länger. In Zukunft wird hohes Alter ein Massenphänomen: Bis 2050 werden
Jungen durchschnittlich mindestens 83, Mädchen sogar 88 Jahre, so die Vorausberechnungen.
Altersjahre
90
männlich
weiblich
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1871/1881
1932/1934
1986/1988
2008/2010
2050
Quelle: Statistisches Bundesamt
ger überzeugt. „Die Frage muss sein:
Wie schaffen wir Arbeitsverhältnisse,
dass Menschen Lust darauf haben, länger und anders verteilt zu arbeiten?“
Flexible Lösung statt Altersgrenzen
Antworten darauf sind flexible Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle, eine lebensphasenorientierte Personalpolitik, die
etwa auf Langzeitkonten und lebenslanges Lernen baut, sowie DemografieTarifverträge. Altersgrenzen, die wenig
Spielraum lassen, hinken dagegen der
Realität hinterher, statt die Zukunft zu
gestalten. Einige Industrieländer haben
sich daher schon vor Jahren von einem
fest definierten Rentenalter verabschiedet. In Norwegen können Beschäftigte
innerhalb einer Altersspanne von 62 bis
75 in Rente gehen. Radikaler ist die
Lösung in Großbritannien: Eine Obergrenze, die das Arbeitsverhältnis automatisch beendet, wurde abgeschafft,
altersbedingte Kündigungen somit ausgeschlossen. „Ganz wichtig dabei ist
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PO S I T ION E N N R . 9 3
„MIT DEM
STEIGENDEN
LEBENSALTER
MUSS AUCH DAS
RENTENALTER
MITZIEHEN.“
MARTIN WERDING
PROFESSOR FÜR
SOZIALPOLITIK
UND ÖFFENTLICHE
FINANZEN, RUHRUNIVERSITÄT BOCHUM
auch die symbolische Wirkung“, kommentieren die Autoren der Studie „Produktiv im Alter“ des Berlin Instituts für
Bevölkerung und Entwicklung (BIBE)
diesen Schritt. Die implizite Aufhebung
der strikten Dreiteilung in Kindheit,
Erwerbsphase und Ruhestand könne
„dazu beitragen, das Bild vom Alter als
unproduktive Phase zu korrigieren“.
In Deutschland gibt es heute noch
viele Hürden, wenn Arbeitnehmer über
das gesetzliche Rentenalter hinaus weiterarbeiten wollen. Die Bundesregierung
will mit der geplanten Flexi-Rente diesen
Schritt erleichtern. Arbeitnehmer sollen
nach Erreichen der Regelaltersgrenze
befristet weiterarbeiten dürfen, wenn der
Arbeitgeber zustimmt. Die Befristung soll
auch mehrmals hintereinander möglich
sein. Entschieden ist aber noch nichts. Bis
zum Herbst will eine Arbeitsgruppe der
Koalition konkrete Vorschläge vorlegen.
Bereits beschlossen ist hingegen die
abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren –
eine Maßnahme, die den Druck auf das
FOTOS : M I RJA M K L ESS M A N N (2 ) , P R I VAT, G E T T Y I M AG ES, S H U T T E RSTO C K , T H I N KSTO C K , U W E B E L L H ÄUS E R
SCHLÜSSELPOSITION
Rentensystem noch erhöht und das Bild
von den unproduktiven Alten verfestigt.
Etwa 160 Milliarden Euro könnten die
Rentengesetze, zu denen auch die Mütterrente zählt, bis 2030 kosten. Arbeitgeber, Ökonomen und Verbände üben
entsprechend harsche Kritik. „Ich
wünschte, auf der rentenpolitischen
Agenda der Bundesregierung gäbe es
mehr zukunftsweisende Elemente für
die jüngere Generation, die die gesetzliche und private Rente demografiefester
machen würden“, bedauert GDV-Präsident Alexander Erdland.
Nachhaltige Rentenpolitik sieht
anders aus, meint auch Sozialökonom
Werding. „Mit steigendem Lebensalter
muss auch das Rentenalter mitziehen.
Die Umsetzung der Regelaltersgrenze
von 67 Jahren und betriebliche Maßnahmen, dass die Menschen wirklich so
lange – oder auf Wunsch noch darüber
hinaus – arbeiten können, ist der leistungsfähigste Ansatz dafür, den Arbeitsmarkt wie auch das Rentensystem
demografiefest zu machen.“
HERTA PAULUS
GDV-ANSPRECHPARTNER
Una Großmann
Tel.: 030 2020-5185
E-Mail: [email protected]
GDV POSITION
GUTE FRAGE
WIE WIRD DENN DIE ZUKUNFT BERECHNET?
Ob Renten- oder Lebensversicherung: Flexibel soll der Tarif sein, günstig sowieso, möglichst
viele Leistungen abdecken und hohe Erträge abwerfen. Und das ein Leben lang. Wie Versicherungsmathematiker für die passende Altersvorsorge in die Zukunft schauen – und zurück.
Wie alt kann der Mensch werden? Eine defini-
Sorgfalt und Genauigkeit gepaart mit Erfah-
tive Antwort auf diese Frage kennt niemand.
rung ein Muss. „Wir müssen die Trendansät-
Sicher ist nur: Er lebt länger. Seit über 140 Jah-
ze in Formeln packen und auch modellieren
ren wird er im Schnitt alle 40 Jahre um rund
können. Die Herausforderung dabei ist, im-
zehn Jahre älter. Nach-
mer wieder auch den
zulesen ist das in den
Realitätscheck zu ma-
sogenannten Sterbetafeln, die im Arbeitsalltag
eines Versicherungsmathematikers – Aktuar genannt – eine wesentliche Rolle spielen.
Seine Aufgabe ist es, Risiken zu berechnen, zu
„DER BLICK IN
DEN RÜCKSPIEGEL
IST DIE BASIS FÜR
DIE BERECHNETE
ZUKUNFT.“
bewerten und auf Basis
nach einheitlichen Methoden erfasst worden? Selbst geringe
Abweichungen können
bereits zu falschen
Schlüssen führen.“ Und
steht der Aktuar doch
und Beiträge für Versicherungspolicen zu kal-
in der Pflicht, dass die Versicherungsleistun-
kulieren. Der „Blick in den Rückspiegel“, wie
gen sicher und angemessen kalkuliert sind.
Claudia Andersch, Mitglied des Vorstands der
„Wir legen uns heute fest und müssen unser
Deutschen Aktuarvereinigung (DAV), die sta-
Leistungsversprechen in ferner Zukunft ge-
tistischen Erfahrungswerte der Vergangen-
währleisten“, sagt Andersch. Dass man hier
heit nennt, bildet die Ausgangsbasis für den in
nicht vorsichtig genug sein kann, zeigt der
unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitstabel-
Blick in die Vergangenheit. „Gerade bei den
len gewagten Blick in die Zukunft. Das Haupt-
Sterbetafeln gab es Wechsel, weil wir die
risiko dabei: die Unsicherheit zukünftiger
Langlebigkeit unterschätzt hatten. Aber die
Sterblichkeitserwartungen. Für die Sterbeta-
Botschaft hier ist: Ein Wechsel geht nicht zu-
feln der DAV zur Reservierung von Renten-
lasten der Versicherten. Jeder bekommt sei-
oder Lebensversicherungen, die den Aktuaren
ne Auszahlungen ein Leben lang. Garan-
bei ihren Berechnungen helfen, werden vor al-
tiert!“
AKTUELLE RENTENPOLITIK ALS ROLLE
RÜCKWÄRTS
„Starre Altersgrenzen sind überholt. Gefragt
sind in einer immer älter werdenden Gesellschaft flexible und attraktive Lösungen beim
Übergang in den Ruhestand, die es dem Einzelnen ermöglichen, seine Lebensarbeitszeiten auch verlängern zu können. So machen
wir die gesetzliche und private Rente demografiefester.“
änderungen
Statistischen Bundesamtes und der Deutschen Rentenversicherung ausgewertet, werden soziale Trends ebenso analysiert wie Verin
der
Berufswelt
oder
medizinische Entwicklungen. Wie haben sich
die Sterblichkeitserfahrungen in der Vergangenheit verändert und was bedeutet das für
die Zukunft, was könnten Einflüsse aus Sterblichkeitsveränderungen sein, wie unterscheiden sich Versichertendaten von allgemeinen
Bevölkerungsdaten: „Wir bemühen uns,
sämtliches aussagekräftiges statistisches
Andrea Nahles zur privaten und
betrieblichen Altersvorsorge.
dersch. „Sind die Daten
die könnten fatal sein,
der Ergebnisse Tarife
lem die Datenpools der Versicherungen, des
BLICK AUS
DER POLITIK
chen“, bekräftigt An-
Material zur Plausibilisierung der eigenen Daten heranzuziehen“, sagt Andersch.
Mathematisches Know-how ist gefragt,
Statistik und Stochastik sind unerlässlich,
CLAUDIA ANDERSCH,
MITGLIED DES VORSTANDS DER
DEUTSCHEN AKTUARVEREINIGUNG
(DAV) UND MITGLIED DES VORSTANDS
VON COSMOSDIREKT
N R . 93 PO S I T ION E N
11
SCHLÜSSELPOSITION
DIE ZWEI SEITEN DER
AUS DEM BLICKWINKEL
DER VERSICHERER
UNSERE LEBENSERWARTUNG STEIGT
PRO JAHR im Schnitt um zehn Wochen.
Und wer lange lebt, braucht lange Geld.
Ein Stimmungsbild.
BE DÜ RF NI S NA CH
SIC HE RH EI T WÄ CH ST
So entwickeln sich Lebens
versicherungen
mit garantierten Leistungen
Klassische Verträge mit
59 %
WANN ZUR TAT GESCHRITTEN WIRD
Hauptsächlich die 20- bis 49-Jährigen schließen Lebensversicherungen ab
2008
Eintrittsalter in Jahren/Anteil am Neugeschäft von privaten Rentenversicherungen
76 %
2012
Fondsgebundene Vert
räge mit
kapitalbildenden Policen
41 %
2011
kapitalbildenen Policen
2008
24 %
2012
Quelle : GDV
6,7 %
30,8 %
23,5 %
23,8 %
11,8 %
3,4 %
15 – 19
20 – 29
30 – 39
40 – 49
50 – 59
ab 60
Quelle: GDV
ALTERSVORSORGE MIT LEBENSVERSICHERUNGEN BEHAUPTET SICH
Trotz lang anhaltender Niedrigzinsphase schafft es die Lebensversicherung
über die Zeit, für eine gute Gesamtverzinsung der Beiträge zu sorgen –
sichtlich über der von festverzinslichen Wertpapieren.
in Prozent bei 12, 20 und 30 Jahren Laufzeit
12 Jahre Laufzeit
20 Jahre Laufzeit
Umlaufrendite
Garantiezins
30 Jahre Laufzeit
9
8
7
6
5
4
en der
Die geset zliche Rente ist für die meist
g. Exper ten
größte Poste n ihrer Alters finan zierun
n.
warne n: Eine Säule allein wird nicht reiche
3
2
1
0
1990
1995
2000
2005
2010
2012
Quelle: Bloomberg, Map-Report 2013
12
PO S I T ION E N N R . 9 3
SCHLÜSSELPOSITION
ALTERSVORSORGE
MIT DEN AUGEN
DER VERSICHERTEN
ALTER IST
SUBJEKTIV
So viele Jahre jünger fühlen
sich die verschiedenen
Altersgruppen
3 Jahre
7 Jahre
8 Jahre
16 – 29
30 – 44
45 – 59
8 Jahre
10 Jahre
60 – 74
75+
Quelle: Ifo-Umfrage 2012
AUFWÄRTS: SO LANGE BEZIEHEN FRAUEN UND
MÄNNER IHRE RENTE
Entwicklung in Deutschland seit 2001
Frauen
21,3 Jahre
Männer
22
20,6
21
18,9 Jahre
19,8
19,9
20
16,7 Jahre
19
Die Mens chen in Deuts chlan d – sie
werde n nicht nur älter, sie bleibe n
auch länge r aktiv.
19,3
16
15,8
13,8 Jahre
15
14
13
15,0
14,7
14,3
2001
2003
2005
2007
2009
2012
Quelle: Statistik der Deutschen Rentenversicherung
IMMER WENIGER SCHULTERN TRAGEN
DIE RENTENLAST
Erwerbstätige pro Rentner
ENDE DES ARBEITSLEBENS
In diesem Alter hören die Menschen durchschnittlich* auf zu
arbeiten in
Frauen
2030
FOTOS : I STO C K , P L A I N P I CT U R E , S H U T T E RSTO C K
2010
1995
1975
30
MILLIONEN
RENTNER
werden 2031 in
Deutschland leben.
Männer
Japan
69,1
66,7
Dänemark
63,4
61,9
Portugal
68,4
66,4
Spanien
62,3
63,2
Schweden
66,1
64,2
DEUTSCHLAND
62,1
61,6
USA
65,0
65,0
Italien
61,1
60,5
Großbritannien
63,7
63,2
Frankreich
69,5
60,0
1965
1955
Neuer Rekord: 1,3 Millionen Babyboomer werden 2031 in
Rente gehen.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, GDV
*
in den Jahren 2007 – 2012, ausgewählte Länder
Quelle: DPA-Infografik, OECD
N R . 93 PO S I T ION E N
13
SCHLÜSSELPOSITION
D
ie Uhr im Büro von James W.
Vaupel tickt rückwärts. Ein farbig markiertes Viertel steht symbolisch für die Zeit, die uns jede Stunde
geschenkt wird. Die Lebenserwartung
steigt immer weiter, wir werden immer
später alt. Das führt uns auch der
68-jährige Direktor vom Max-PlanckInstitut für demografische Forschung
selber lebhaft vor Augen.
Lebe zwölf Monate und du bekommst
drei dazu – die Lebenserwartung steigt
kontinuierlich. Gibt es eine biologische
Obergrenze?
Ein Limit ist derzeit nicht bekannt. Vielleicht werden wir einmal 200 Jahre alt.
Woran liegt es, dass wir langsamer altern?
Wir altern nicht langsamer, sondern der
Alterungsprozess setzt später ein. Ein
70-Jähriger fühlt sich heute wie ein
60-Jähriger vor 50 Jahren. In jeder Phase
des Lebens sind die Menschen heute im
Durchschnitt physisch und mental gesünder. Das liegt vor allem an der Verbesserung der Lebensbedingungen: Wir ernähren uns ausgewogener, treiben mehr
Sport, rauchen weniger, haben eine isolierte Wohnung und warme Kleidung,
eine bessere medizinische Versorgung
und eine höhere Bildung. Wir leben
gesünder.
„LEBENSFREUDE
IST ENTSCHEIDEND“
Es ist an der Zeit, UNSER LEBEN FLEXIBLER
ZU GESTALTEN, meint Alternsforscher James W. Vaupel
14
PO S I T ION E N N R . 9 3
Riesenschildkröten können über 180
Jahre alt werden, Mammutbäume mehr
als 3000. Was können wir von anderen
Lebewesen über das Altern lernen?
Wir beobachten seit einigen Jahren Süßwasserpolypen, die die faszinierende
Eigenschaft haben, in wenigen Tagen alle
ihre Zellen komplett zu erneuern. Das
Leben dieser Hydra ist unter optimalen
Umweltbedingungen womöglich unbegrenzt. Auch unser Körper kann viele
Schäden zum Großteil selbst reparieren.
Wenn wir uns etwa ein Bein brechen, heilen die Knochen wieder, wenn wir Strahlung ausgesetzt sind, können unsere Zellen Veränderungen der DNA-Struktur
beseitigen. Doch nicht alles wird repariert. Kleine Schäden bleiben zurück, die
SCHLÜSSELPOSITION
sich akkumulieren. Vielleicht können wir
von der Hydra lernen, wie wir uns vollständig reparieren.
haben, dies zu tun, statt in Rente
geschickt zu werden?
Unbedingt. Wer länger arbeitet, bleibt
länger gesund.
Polypen sind sehr einfache Organismen.
Ist diese Vision denn wirklich realistisch?
Ja. Die Evolution wird Schritt für Schritt
dafür sorgen, dass sich das Reparatursystem des Menschen verbessert.
FOTOS : G R EGO R L E N G L E R
Was stimmt Sie da so optimistisch?
Für die Evolution ist nur relevant, Überleben und Reproduktion zu sichern.
Hierfür muss der Körper die beschränkten Ressourcen bestmöglich managen.
Der Mensch wurde so gebaut, dass er viel
Energie in die Reproduktion stecken
kann – schließlich hatten wir früher ein
Dutzend Kinder. In das Reparatursystem
hat die Evolution vergleichsweise geringer investiert. Heute haben die Menschen
in Industrienationen weniger Nachwuchs
und genug zu essen. Wenn wir unserem
Körper sagen könnten: „Die Fortpflanzung ist gesichert, stecke das, was du an
Extra-Nahrung erhältst, nicht in den
Fettspeicher, sondern ins Reparatursystem“, könnten wir eines Tages Schäden
komplett ausbessern.
122 Jahre – das bislang höchste dokumentierte Menschenalter. Sie haben die älteste
Dame der Welt kennengelernt. Hat Jeanne
Calment Ihnen etwas über das Geheimnis
des langen Lebens verraten?
Lebensfreude ist entscheidend. Alle Hundertjährigen, denen ich begegnet bin, hatten eine ausgeprägte Freude am Leben, so
auch Madame Calment. Sie hat jeden Tag
bewusst genossen und sich bis ins hohe
Alter nach jedem Essen eine Zigarette und
ein Glas Portwein gegönnt. Als sie später
im Rollstuhl saß, habe ich sie einmal
gefragt: „Sie haben nicht mehr so viel
Kontakt zu anderen Menschen wie früher, was machen Sie die ganze Zeit?“ Und
sie sagte: „Ich erinnere mich an all die
wunderbaren Erfahrungen, die ich
machen durfte.“ Sie liebte das Leben.
Sollten wir daher, solange wir Freude am
Arbeiten haben, auch die Möglichkeit
Tatsächlich?
Ja, weil wir uns freuen, einen aktiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, und uns
nicht als Last fühlen. Hinzu kommt: Wir
tauschen uns mit anderen aus, lernen
Neues hinzu und bewegen uns, um zum
Arbeitsplatz zu kommen – all dies trägt
zur Gesundheit bei.
„WER LÄNGER
ARBEITET,
BLEIBT LÄNGER
GESUND.“
JAMES W. VAUPEL ,
GESCHÄFTSFÜHRENDER DIREKTOR
DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR
DEMOGRAFISCHE FORSCHUNG
UND DIREKTOR DES MAX-PLANCK
ODENSE CENTER ON THE
BIODEMOGRAPHY OF AGING
Er trägt ab und an rote Socken, eine auffällige Krawatte oder ein Hemd, das nicht zum
Anzug passt. Jeden Tag etwas Außergewöhnliches tun oder denken ist seine Maxime. „Ich mag das Leben interessant gestalten“, sagt James W. Vaupel, einer der
weltweit renommiertesten Alternsforscher.
Als Geschäftsführender Direktor des MaxPlanck-Instituts für demografische Forschung und Direktor des Max-Planck Odense Center on the Biodemography of Aging
pendelt er mit der Fähre zwischen Rostock
und Dänemark, wo seine Frau und Töchter
leben. Der gebürtige New Yorker war der Erste in seiner Familie, der eine Universität besuchte. In Harvard studierte er Statistik und
promovierte in Politikwissenschaften. Später lehrte er an der Duke-University, der University of Minnesota und der Syddansk Universität in Odense. Arbeit ist für den agilen
68-Jährigen Lebenselixier. An Ruhestand
denkt er noch lange nicht.
Im Grunde haben wir doch keine andere
Wahl, als länger zu arbeiten: Je älter wir
werden, desto mehr Geld brauchen wir,
um dieses Leben finanzieren zu können.
Deswegen sollten wir umdenken. Im
Übrigen: Wenn Senioren nur einige Stunden pro Tag ein paar Jahre länger arbeiten, verliert auch der demografische Wandel seinen Schrecken: Der Fachkräftemangel wird entschärft, die Rentenkasse
entlastet.
Die Hälfte aller deutschen Kinder wird
den 100. Geburtstag feiern. Sollten wir
generell unsere Lebenszeit neu ordnen?
Ich halte es für sinnvoll, dass wir mehr
Jahre, aber dafür weniger Stunden pro
Woche arbeiten. So hätten wir in jungen
Jahren mehr Zeit für Familie und Freunde.
Langfristig wären wir glücklicher.
Wie lange wollen Sie eigentlich arbeiten?
Ich hätte wie andere Direktoren des
Max-Planck-Instituts mit 65 Jahren in
Rente gehen müssen, aber ich habe eine
Ausnahmeregelung vereinbart: Mein Vertrag läuft bis Ende 2017, dann bin ich 72
Jahre und acht Monate alt.
Und was kommt dann?
Danach werde ich Vollzeit als Professor
in Dänemark tätig sein. Dort gibt es keine
Altersgrenze. Solange ich gesund bin,
möchte ich arbeiten. Wenn ich mal 80
Jahre alt bin, trete ich vielleicht kürzer.
Zehn oder 20 Stunden die Woche dürften
dann genügen.
SABINE SCHLOSSER
N R . 93 PO S I T ION E N
15
POLITIK & GESELLSCHAFT
SER IE
WA S
KO M M T
TEIL 1:
3D-Druck – die
nächste industrielle
Revolution?
BUSTIERS, BRILLEN,
BAUTEILE: Fast alles
könnte eines Tages aus
dem 3D-Drucker kommen.
Die Versicherungsbranche
hilft dabei, die Risiken zu
kontrollieren.
EROBERUNG
DER DRITTEN
DIMENSION
16
PO S I T ION E N N R . 9 3
POLITIK & GESELLSCHAFT
Die niederländische
Designerin Iris van
Herpen schickte ihre
Models zur Fashion
Week in futuristischen Entwürfen
aus dem 3D-Drucker
auf den Laufsteg.
R
evolution – das ist ein Wort, das
Staatspräsidenten normalerweise
lieber meiden. Barack Obama
hielt das in seiner Rede zur Lage der
Nation im vergangenen Jahr anders:
Der 3D-Druck habe das Potenzial, die
„Art und Weise, wie wir fast alles herstellen, zu revolutionieren“. Da macht
unsere Nahrung keine Ausnahme.
Nudeln auf Knopfdruck aus dem Drucker – sie könnten bald in jeder denkbaren Form auf unseren Tellern landen.
Noch ist das Zukunftsmusik, aber
Barilla arbeitet daran, die Idee in die
Wirklichkeit umzusetzen. Seit zwei Jahren forscht ein Team der Universität
Eindhoven an einer Lösung zu 3D-Druckern mit Teigpatronen.
Dahinter steckt eine neue Technologie, mit der sich einfach dreidimensionale Objekte herstellen lassen. Tatsächlich setzt man die Geräte schon heute
für Handprothesen, Kühlsysteme in
Formel-1-Autos oder Zahnkronen ein.
Forschungsteams arbeiten aber auch an
futuristischeren Produkten: ganzen
Autos, menschlichen Organen oder
künstlichen Steaks.
Zukunftstechik mit Vergangenheit
Für Laien klingt das nach Science-Fiction. „Star Trek“-Fans erinnern sich
vielleicht an den „Replicator“, mit dem
die Mannschaft Lebensmittel aus dem
Nichts erschuf. Dabei werden 3D-Drucker in der industriellen Fertigung schon
seit den 80ern verwendet – allerdings
meist nur für den Bau von Prototypen
oder speziellen Bauteilen. Handelsübliche Geräte aus dem Elektromarkt funktionieren wie Tintenstrahldrucker, die
mehrere Lagen Plastik übereinanderlegen, bis daraus ein plastisches Objekt
entsteht. Die günstigsten sind schon für
unter 1000 Euro zu haben. Visionäre
träumen deshalb davon, dass die Geräte
eines Tages so verbreitet sein könnten
wie Fernseher.
„Das Besondere am 3D-Druck ist,
dass die Technologie ohne Werkzeuge
auskommt und daher flexibel einsetzbar
GDV POSITION
DIE 3D-TECHNIK
BIRGT NEUE
RISIKEN. DIE
VERSICHERER
HELFEN, DIESE
EINZUSCHÄTZEN
UND
ABZUSICHERN.
ist“, sagt Bernhard Langefeld, Experte
der Strategieberatung Roland Berger.
Teure 3D-Drucker können nicht nur
Plastik, sondern auch Materialien wie
Kunstharz, Keramik oder Metall verarbeiten. Das Marktpotenzial ist gewaltig.
Laut einer Studie der Beratungsfirma
Wohlers Associates betrug das Marktvolumen 2011 1,7 Milliarden Dollar.
Bis 2021 soll es auf 10,8 Milliarden
Dollar ansteigen.
Die größten Chancen hat die Technik
in den nächsten Jahren bei der industriellen Fertigung von Hightech-Teilen.
„Aufgrund ihrer besonderen Geometrie
lassen sich manche Teile mit herkömmlichen Fertigungstechniken gar nicht
herstellen. In solchen Fällen spielt der
3D-Druck seine Stärken aus. Für Sonderanfertigungen oder kleine Stückzahlen ist diese Technik ideal“, erklärt Langefeld. Das zahlt sich auch bei Ersatzteilen für Spezialmaschinen aus: Fällt
auf einer abgelegenen Baustelle in Brasilien die Maschine eines deutschen
Herstellers aus, können Monate vergehen, bis die richtigen Ersatzteile dort
ankommen. Stünde ein 3D-Drucker vor
Ort zur Verfügung, müsste die Firma
nur die 3D-Vorlagen verschicken, und
die Maschine wäre schneller repariert.
Für Tony Buckle, Experte der Schweizer Rück, zeigt das Beispiel, vor welche
Herausforderungen die neue Technik
die Versicherungsbranche stellt. Falls
N R . 93 PO S I T ION E N
17
POLITIK & GESELLSCHAFT
3D-Druck im Alltag
Sollte in Zukunft wirklich jeder einen
3D-Drucker zu Hause stehen haben,
müssten Hersteller wie Lego mit Haftungsausschlussklauseln sicherstellen,
dass sie bei unsachgemäßem Gebrauch
nicht verantwortlich gemacht werden.
Realistischer ist vorerst die Lösung, die
Barilla anstrebt: Es gibt bestimmte Restaurants oder Läden, in denen Fachpersonal die 3D-Drucker bedient. So könnten die Hersteller sicherstellen, dass die
Qualitätsstandards stimmen.
Auch für diesen Fall sind Versicherungslösungen denkbar, die ähnlich
schon für andere Technologien auf dem
Markt sind. So gibt es zum Beispiel Policen für IT-Firmen, die Computersysteme für Unternehmen aufsetzen. Bricht
ein solches System zusammen, muss
nicht nur das Gerät repariert werden,
sondern das Unternehmen muss auch
für den Umsatzausfall entschädigt werden. Eine 3D-Druck-Versicherung
könnte ähnliche Leistungen abdecken.
18
PO S I T ION E N N R . 9 3
Gartenzwerge, Knochenteile oder Sonnenbrillen: 3D-Drucker verändern die Produktion.
Visionäre träumen davon, dass sie eines Tages so verbreitet sein könnten wie Fernseher.
3D-DRUCKER
WELCHE BRANCHEN
AUF SIE BAUEN
Luft- und Raumfahrt: Seit den 90erJahren nutzen die Luftfahrtunternehmen wie BAE Systems oder Rolls-Royce 3DD r u c k e r.
Einspritzdüsen
und
Antriebsschaufeln wurden bereits damit gefertigt. Die Zukunftsvision: ein ganzes Triebwerk aus dem 3D-Drucker.
Medizin: Egal, ob für Brücken, Zahnkronen oder Implantate: In der Zahntechnik sind 3D-Drucker bereits weit verbreitet. Ambitionierter ist, was Forscher des
Fraunhofer-Instituts 2011 gelang: Sie druckten künstliche Blutgefäße.
Autoindustrie: Bei Kleinserien und Prototypen – zum Beispiel von Kühlluftanlagen – sind 3D-Drucker bereits im Einsatz. Die
TU Berlin entwickelt gerade ein Auto, das komplett aus dem 3D-Drucker kommen soll. In fünf
bis zehn Jahren könnte die Technologie auch in
der Massenfertigung eingesetzt werden.
Mode: Für die Laufstegmode ist der
3D-Druck ideal. So druckt das Unterwäsche-Unternehmen Victoria`s Secret die
Kostüme seiner aufwendigen Shows, und
die niederländische Avantgarde-Designerin
Pauline van Dongen stellt mit der neuen
Technik High Heels aus Nylon her.
Die öffentliche Diskussion kreist aber
derzeit noch um ganz andere Szenarien.
So veröffentlichte ein amerikanischer
Student vor Kurzem im Internet eine
3D-Vorlage für eine Plastik-Pistole. Was
passiert, wenn solch ein Verfahren in
Umlauf gerät?
Gefahren aus dem Drucker
Letztlich wird sich die Gesellschaft über
die Gefahren der neuen Technik verständigen müssen. Und auch über die
ethischen Grenzen bei der Frage, ob
man Organe oder Fleisch im 3D-Drucker herstellen sollte. Trotz solcher
Bedenken empfiehlt Buckle, die Chancen der neuen Technologie wahrzunehmen. Zumindest bei den geschäftlichen
Risiken kann die Versicherungsbranche
Hilfestellung leisten. „Das ist unsere
Rolle“, sagt er. „Wir ermöglichen technischen Wandel, indem wir Risiken einschätzen und, wo immer möglich, diese
Risiken auch übernehmen, wenn Kunden sie als zu groß wahrnehmen.”
SERGE DEBREBANDT
GDV-ANSPRECHPARTNER
Alina Schön
Tel.: 030 2020-5113
E-Mail: [email protected]
FOTOS : D PA P I CT U R E A L L I A N C E , M AU R I T I US I M AG ES, CO R B I S, T H E N E W YO R K T I M ES / R E DUX / L A I F
ein Ersatzteil bricht, die Maschine und
vielleicht sogar ein Bauarbeiter Schaden
nehmen, fällt das normalerweise in den
Bereich der Herstellerhaftung. Aber
würde diese Garantie auch gelten, wenn
der Hersteller das Ersatzteil nicht selbst
hergestellt, sondern nur die digitale
3D-Vorlage geliefert hat? Man müsste
wohl erst einmal klären, wer den Schaden verschuldet hat. „Sicher ist nur,
dass es in so einem Fall zu langen Diskussionen käme“, sagt Buckle.
Tiefer in den Lebensalltag wird der
3D-Druck da eingreifen, wo er die Herstellung von Gebrauchsgütern verändert. „Da passt die Technologie zum
Customisation-Trend“, sagt Langefeld
– gemeint ist die Anpassung von Produkten an individuelle Kundenwünsche. Barilla ist nicht der einzige Hersteller, der die neue Technologie dafür
nutzen will. So arbeitet nach Presseberichten Lego an Spielzeug aus dem Drucker. Nokia veröffentlichte kürzlich eine
Druckvorlage für ein Handy-Cover.
PO L I T I K & G E S E L L S C H A F T
UM DEN GLOBUS
GROSSBRITANNIEN ist der größte Versicherungsmarkt in Europa und der drittgrößte der Welt.
Rund ein Viertel aller Prämien stammt von ausländischen Kunden. Im Gegensatz zu Deutschland gibt
es heute fast keine von einem einzelnen Anbieter abhängigen Versicherungsvertreter mehr. Stattdessen
bieten unabhängige Makler Policen mehrerer Versicherer an.
LEBENSVERSICHERUNG:
SPEZIALVERSICHERUNG:
Eine besondere Stellung nimmt der Versicherungsmarkt
Lloyds of London ein: Entstanden im 17. Jahrhundert ist
er heute der weltweit größte Handelsplatz für Spezialversicherungen. Hier schließen Firmen Verträge mit den
„Members of Lloyd ´s“ ab: Syndikate und Privatleute, die
besondere Ereignisse versichern. Das führt manchmal zu
kuriosen Verträgen. So wurden Bruce Springsteens Stimmbänder für sechs Millionen Dollar versichert. Aber
Lloyd´s ist auch ein wichtiger Markt für Versicherungen
gegen Naturkatastrophen oder Terrorismus.
Großbritannien ist das Ursprungsland der modernen, auf versicherungsmathematischen Prinzipien
beruhenden Lebensversicherung. Eingeführt
wurde sie 1762 von der „Society for Equitable
Assurances on Lives and Survivorships“, die erst
vor 14 Jahren aufhörte, neue Policen abzuschließen. Heute ist Großbritannien der größte europäische Markt für Lebensversicherungen. 2012
nahmen britische Lebensversicherer 165 Milliarden Pfund Prämien ein. Die Briten geben das
Kapitalmarktrisiko stärker an den Kunden weiter. Anders als in Deutschland gibt es in der Regel
keine Garantieverzinsung.
I L LUST RAT I O N E N : S H U T T E RSTO C K
WOHNGEBÄUDE- UND
HAUSRATVERSICHERUNG:
Wieder erlebt Großbritannien ein Jahr mit schlimmen Überschwemmungen, Landesteile von Cornwall bis Yorkshire sind
betroffen. In den vergangenen Jahren wurde das Königreich häufig von von Unwettern heimgesucht. Zwar haben fast drei Viertel
der Bevölkerung eine „Home Insurance“ abgeschlossen, also
eine Wohngebäude- und Hausratversicherung. Doch nicht immer
sind Flutschäden mitversichert. Seit dem vergangenen Jahr arbeiten Staat und Versicherungsbranche an „Flood Re“. Ab 2015 soll
AUTO-VERSICHERUNG:
mit Hilfe des Gemeinschaftsmodells möglichst vielen Haushalten
23,3 Millionen Autos waren 2012 versichert. Der Wettbeeine kostengünstige Versicherung gegen Überschwemmungen
werb zwischen den Anbietern ist hart. 2012 schrieben die
zur Verfügung gestellt werden.
britischen Autoversicherer rund 286 Millionen Pfund Verlust, seit 1994 übersteigen die Kosten die Prämieneinnahmen. Auch deshalb haben Versicherer angefangen, Telematik-Tarife zu testen, für die sich Autofahrer bereit erklären,
ihr Fahrverhalten messen zu lassen. Im Gegenzug winken
bei umsichtigem Fahrverhalten kleinere Prämien. Die
zweite Maßnahme: der Kampf gegen die „Schleudertraumaepidemie“. Jeden Tag gibt es 1500 Fälle mit Schleudertrauma – die hohe Zahl führt der britische Versicherungsverband auch auf Betrugsversuche zurück.
N R . 93 PO S I T ION E N
19
POL I TI K & G E S E L L S C H A F T
IM BLICK DES AUFSEHERS:
STABILITÄT
IM BUNDESBANK-VORSTAND ist Andreas Dombret für Banken und Finanzaufsicht zuständig.
Gegenüber „Positionen“ erläutert der 54-Jährige seine Sicht auf die Schuldenkrise. Gleichzeitig
mahnt er die Lebensversicherer, angemessen auf die geänderten Rahmenbedingungen zu reagieren.
A
ls „diskret und charmant, eloquent, international und vor
allem mit allen Tricks der internationalen Finanzmärkte und des Investment-Bankings vertraut“ beschrieb ihn
das „Handelsblatt“ kurz vor seinem
Eintritt in die Bundesbank. Ein Eindruck, der sich im Interview bestätigt.
Herr Dr. Dombret, ist die europäische
Schuldenkrise endlich überwunden?
Ihr „endlich“ kann ich gut verstehen.
Viele fragen sich zurzeit, ob das Glas
halb voll oder halb leer ist. Aus meiner
20
PO S I T ION E N N R . 9 3
„EINE
ÖKONOMISCH
SACHGERECHTE
REGELUNG SOLLTE
DIE STILLEN
LASTEN DEN
BEWERTUNGSRESERVEN GEGENÜBERSTELLEN.“
Sicht spricht eine Menge dafür, dass das
Glas eher halb voll ist. Auf europäischer
und nationaler Ebene wurden bereits
einige strukturelle Reformen umgesetzt.
Das Vertrauen der Investoren in die
besonders betroffenen Länder scheint
peu à peu zurückzukehren. Jedoch darf
man nicht die Augen vor weiter bestehenden Problemen verschließen: insbesondere nicht vor den immer noch viel
zu hohen öffentlichen und privaten
Schuldenständen. Genau darum darf bei
den Reformanstrengungen nicht nachgelassen werden.
POL I TI K & G E S E L L S C H A F T
Sehen Sie noch eine positive Wirkung
der Niedrigzinspolitik auf die Finanzstabilität in Deutschland oder nehmen die
Risiken zu?
Keine Frage: Die großzügige Liquiditätsbereitstellung durch die Zentralbanken und die niedrigen Zinsen haben
wesentlich dazu beigetragen, die Märkte
zu beruhigen. Angesichts der niedrigen
Inflation und des gedämpften Wirtschaftswachstums ist die expansive
Geldpolitik auch gerechtfertigt. Allerdings nehmen mit zunehmender Dauer
niedriger Zinsen Risiken und Nebenwirkungen für die Finanzstabilität zu.
Wichtig ist, dass die Finanzmarktteilnehmer die außergewöhnliche Situation
nicht als Normalzustand missdeuten
und infolgedessen Risiken unterschätzen.
FOTO : GA BY G E RST E R
Was bedeutet das Niedrigzinsumfeld für
Lebensversicherungen?
Ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld
birgt durchaus ein Gefährdungspotenzial für die Solvabilität von Lebensversicherern. So können die Kapitalerträge
bei ungünstiger Marktentwicklung
nicht mehr ausreichen, um zugesagte
Garantien zu erbringen. Anschaulich
wird das, wenn man sich die Umlaufrendite von Bundesanleihen als Indikator für die Verzinsung sicherer Neuanlagen ansieht. Diese lag 2012 erstmals
unter 1,75 Prozent, also unter dem
Höchstrechnungszinssatz ...
... dem Zinssatz, den Versicherungen für
ihre Deckungsrückstellungen maximal
zugrunde legen dürfen ...
… der ja maßgeblich für das Neugeschäft ist. Der vergangenes Jahr gegründete Ausschuss für Finanzstabilität hat
sich Ende März in einer Presseerklärung
auch zu diesem Thema geäußert und
festgestellt, dass die möglichen Belastungen des aktuellen Niedrigzinsumfelds noch tragbar erscheinen, in einer
Risikobetrachtung einer länger anhaltenden Niedrigzinsphase jedoch materielle Auswirkungen haben könnten.
ANDREAS DOMBRET
ALS BUNDESBANK-VORSTAND
ZUSTÄNDIG FÜR BANKEN UND
FINANZAUFSICHT SOWIE
RISIKO-CONTROLLING
Er ist Deutschamerikaner, das verrät auch
sein zweiter Vorname: Andreas Raymond.
Seine Vita ist geprägt von einem Leben mit
zwei Pässen in zwei Welten. Karrierestart für
den studierten Betriebswirt war die Deutsche Bank, gefolgt von JP Morgan und Rothschild. Später war er u. a. Vice Chairman Europa der Bank of America, bevor er 2010 in
den Bundesbank-Vorstand berufen wurde.
Bis Mitte Mai kümmerte er sich dort um das
Thema Finanzstabilität und ist seither zuständig für Banken und Finanzaufsicht.
Reagieren die Lebensversicherer angemessen auf die Herausforderungen?
Die deutschen Lebensversicherer müssen
über genügend Eigenmittel verfügen, um
ihre Verpflichtungen auch in Zukunft
erfüllen zu können. Zusätzlich müssen
sie auch für die Einführung von Solvency II gerüstet sein. Dazu könnten sie
zum einen neues Eigenkapital aufnehmen. Zum anderen könnten sie die
Abflüsse aus den Eigenmitteln reduzieren, indem sie die Gesamtverzinsung,
das heißt auch die Überschussbeteiligung, frühzeitig anpassen. Innovationen
beim Produktangebot können ebenfalls
helfen, Risiken abzumindern. Wer fixe
Zinsgarantien über einen sehr langen
Zeitraum abgibt, auf der Aktivseite aber
kürzere Laufzeiten hat, geht beachtliche
Kapitalmarktrisiken ein.
Als Sie Ende 2013 den Finanzstabilitätsbericht vorstellten, mahnten Sie bei der
Neuregelung der BewertungsreservenBeteiligung von Lebensversicherungskunden eine „solide und nachhaltige“
Regelung an. Warum?
Die aktuellen Vorschriften bewirken,
dass Lebensversicherer bei sinkenden
Zinsen steigende Ausschüttungen für
ablaufende oder gekündigte Verträge
leisten müssen. Ein Großteil der Kapitalanlagen der Lebensversicherer besteht
aus festverzinslichen Wertpapieren. Die
meisten der Papiere wurden in Zeiten
höherer Zinsen erworben. Deshalb weisen sie nun hohe stille Reserven auf. Bei
den Verbindlichkeiten werden die stillen
Lasten aber nicht berücksichtigt, die
durch die niedrigen Zinsen entstehen.
Lebensversicherungen müssen jedoch bei
niedrigeren Zinsen mehr ansparen, um
ihre unveränderten zukünftigen Verpflichtungen erfüllen zu können. Eine
ökonomisch sachgerechte Regelung
sollte die stillen Lasten den Bewertungsreserven gegenüberstellen. Lediglich ein
Teil der stillen Lasten wird seit 2011 über
die Zinszusatzreserve berücksichtigt.
Was halten Sie von der jüngsten Initiative der Regierung, sich dieses Themas
noch einmal anzunehmen?
Diese Initiative will die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer stärken. Das
kann man grundsätzlich nur unterstützen. Dies enthebt die Unternehmen aber
nicht ihrer Verantwortung, auf geänderte Rahmenbedingungen angemessen
zu reagieren, indem sie zum Beispiel ihre
Eigenmittel stärken, die Gesamtverzinsung anpassen beziehungsweise ihr Produktangebot überarbeiten.
Zum Abschluss eine persönliche Frage:
Wenn Ihr Kind Sie einmal fragen wird,
ob und wie es für sein Alter vorsorgen
soll, was werden Sie ihm raten?
Ich werde meiner Tochter vor allem
raten, mehr Zeit in ihre finanzielle Bildung zu investieren. Ich bin immer wieder erstaunt, in Umfragen zu hören, wie
schlecht es um die finanzielle Bildung der
Deutschen bestellt ist. Gerade mit dem
Thema Geldanlage sollte man sich kritisch und informiert auseinandersetzen.
CAROLYN BRAUN
N R . 93 PO S I T ION E N
21
M Ä R K T E & B RA NC H E N
VORSICHT ZAHLT SICH AUS
TELEMATIKANWENDUNGEN EROBERN DAS AUTO: Sie erlauben unter anderem
die Berechnung von Versicherungsprämien auf Basis des Fahrverhaltens.
Doch die Technik wirft auch Fragen auf: Was passiert mit den vielen Daten?
W
er in Deutschland ein Auto
besitzt, muss sich absichern –
das ist Pflicht. Denn verursacht der Fahrer einen Unfall, bliebe er
ohne eine Kfz-Haftpflichtversicherung
auf den ganzen Kosten für den Schaden
sitzen. Schon heute gibt es ein sehr differenziertes Tarifsystem im Kfz-Bereich.
Die Prämien werden unter anderem
danach bemessen, wie viele Schäden ein
Kunde verursacht hat, wo er wohnt,
welches Auto und wie viele Kilometer er
fährt. Bald könnte ein weiteres Krite-
rium hinzukommen: Mithilfe einer Box
im Auto ließe sich das Fahrverhalten
analysieren. Dementsprechend könnte
man die Beiträge noch individueller
gestalten. Ein vorsichtiger und rücksichtsvoller Autofahrer würde dann
weniger bezahlen müssen. Allerdings
wird dies auch heute schon in Form der
Schadensfreiheitsrabatte honoriert.
Intelligente Bordelektronik
Die Technik, um solche fahrzeuginternen Daten zu ermitteln, heißt Telematik.
Wie schon die beiden Wortteile „Tele“
und „matik“ zeigen, verbindet sie die
Telekommunikation mit der Informatik.
„Dabei werden Informationen von
Autos oder anderen bewegten Objekten
während der Fahrt erfasst und übertragen“, erklärt Alexander Mürmann, Professor für Risikomanagement und Versicherungswesen an der Wirtschaftsuniversität Wien. Speditionen nutzen die
Technik schon heute, um ihre Fahrzeugflotten zu überwachen oder die Temperatur in Kühlcontainern extern zu regu-
WAGEN 2
AKTUELLE GESCHWINDIGKEIT: 130 km/h
ZURÜCKGELEGTE STRECKE: 420 Kilometer am Stück,
davon 250 Kilometer als Nachtfahrt
WAGEN 1
AKTUELLE GESCHWINDIGKEIT: 140 km/h
ZURÜCKGELEGTE STRECKE: 80 Kilometer am Stück
BREMSVERHALTEN: eine abrupte Bremsaktion
22
PO S I T ION E N N R . 9 3
M Ä R K T E & B RA NC H E N
lieren. In Japan bauen 38 Prozent aller
Transportunternehmen bereits auf Telematik, in Deutschland sind es dagegen
erst zehn Prozent.
Wer telematikbasierte Tarife nutzen
möchte, braucht die nötigen technischen
Voraussetzungen in seinem Fahrzeug. In
der Regel wird dafür im Motorraum ein
kleines Kästchen angebracht. Diese Elektronikbox enthält eine SIM-Karte und
übermittelt die Daten per Mobilfunk.
Neuwagen der Oberklasse brauchten
schon heute keine eigene Box mehr, weil
sie bereits selber Daten senden können.
Nach dem Willen des EU-Parlaments sollen ab Oktober 2015 alle Neufahrzeuge
mit einem automatischen Notrufsystem
(eCall) ausgestattet werden, das ebenfalls
mittels Telematik funktionieren würde.
Damit wären theoretisch die technischen
Voraussetzungen geschaffen, um telematikbasierten Tarifen den Weg zu ebnen.
Erste Versicherungsunternehmen in
Deutschland bieten seit Kurzem entspre-
DIE VERSICHERUNG
ZUM FAHRSTIL?
Mehr Daten – weniger zahlen? An KfzTelematiktarifen scheiden sich die Geister.
9%
DER AUTOBESITZER
haben konkrete Pläne, in einen Telematiktarif zu wechseln, oder haben bereits eine
solche Versicherung abgeschlossen.
69%
DER AUTOBESITZER
stehen „Pay as you drive“-Tarifen
skeptisch gegenüber.
Quelle: Bitkom-Befragung 2014
chende Tarife an. Die auf TelematikDaten basierende Tarifierung (Usagebased insurance, UBI) gibt es in verschiedenen Ausgestaltungen. Die bekanntesten Modelle sind „Pay as you drive“
(PAYD) und „Pay how you drive“
(PHYD). Bei ersterer Variante werden
üblicherweise die gefahrenen Kilometer
abgerechnet. In Italien beispielsweise
muss mittlerweile jeder Kfz-Versicherer
ein solches Tarifmodell anbieten. Bei der
zweiten Version, „Pay how you drive“,
können u. a. das Brems- und Beschleunigungsverhalten aufgezeichnet werden.
Tatsächlich verbindlich sind die Definitionen allerdings nicht. Häufig werden
sie miteinander vermischt.
Erste Versuche mit Telematiktarifen
unternahm man in Großbritannien
bereits Mitte der 1990er-Jahre. Mittlerweile aber sind die USA führend, mit
einem Marktanteil von zehn Prozent.
Gerade Fahranfänger in den Vereinigten
Staaten nutzen die Technik. Sie können
WAGEN 4
AKTUELLE GESCHWINDIGKEIT: 125 km/h
ZURÜCKGELEGTE STRECKE: 15 Kilometer am Stück
BREMSVERHALTEN: bisher keine Auffälligkeiten
WAGEN 3
AKTUELLE GESCHWINDIGKEIT: 115 km/h
ZURÜCKGELEGTE STRECKE: 80 Kilometer am Stück
BESCHLEUNIGUNGSVERHALTEN: gleichförmig
N R . 93 PO S I T ION E N
23
so von Anfang an nachweisen, dass sie
vorsichtig und vorausschauend fahren.
Das zahlt sich aus: Die Häufigkeit von
Schäden hat bei Versicherten mit Telematiktarifen über ein Drittel abgenommen. Entsprechend winken hohe
Rabatte: Bis zu 30 Prozent Nachlass
gewähren Versicherer.
Doch nicht nur die rücksichtsvollere
Fahrweise zählt. Bei der Häufigkeit von
Unfällen kommt noch etwas anderes
hinzu: „Die reine Anzahl der Fahrten ist
ein wesentlicher Unfallfaktor“, sagt
Mürmann. Lege man 100 Kilometer am
Stück zurück, sei das weit weniger risikoreich, als wenn man sie verteilt auf
zehn Fahrten absolviere. „Durch die
Telematik kann man diese unterschiedlichen Risiken genau erfassen und die
Prämien dementsprechend gestalten“,
so Mürmann. Die positiven Erfahrungen in angelsächsischen Ländern lassen
sich jedoch nicht ohne Weiteres auf
Deutschland übertragen. Hierzulande
gibt es bereits jetzt ein sehr ausdifferenziertes Tarifsystem, das individuelle
Risiken sehr gut abbildet. Ob sich dieses
– nicht zuletzt aus Kundensicht – durch
die Telematik tatsächlich verbessern
lässt, ist noch fraglich. Das größte
Potenzial für Telematiktarife in der KfzVersicherung sehen Experten daher vor
allem bei Fahranfängern. Sie zahlen aufgrund ihres Risikofaktors besonders
hohe Prämiensätze.
Der gläserne Autofahrer?
Neben den Vorteilen hat die Telematik
jedoch auch eine Kehrseite: Was passiert
mit den vielen Daten, die die Technik
über das jeweilige Fahrverhalten gewinnen und weiterleiten kann? Erstaunlicherweise scheinen die Fahrer da keine
großen Bedenken zu hegen. Das legt
zumindest eine aktuelle Umfrage des
Hightech-Verbandes Bitkom nahe. Demnach hat nur eine Minderheit von elf
Prozent Angst vor Offenlegung der
gespeicherten Fahrdaten. Datenschützer
sind da schon skeptischer. Sie befürchten,
dass sich durch die Aufzeichnung von
24
PO S I T ION E N N R . 9 3
BLICK ÜBER DIE
GRENZEN
International sind die von der Fahrweise
abhängigen Versicherungen mit TelematikTarifen schon länger am Start. Ein Blick auf
andere Kfz-Versicherungsmärkte:
In Italien gibt es die Telematik-Boxen seit 2003, anfangs eingeführt, um gestohlene Autos wiederzufinden. Mittlerweile muss jeder Kfz-Versicherer mindestens einen TelematikTarif anbieten. Das ist in Italien Vorschrift. Die eingebauten Boxen messen
nur die Kilometerfahrleistung – ein Tarifmerkmal, das in Italien im Gegensatz
zu Deutschland kein Standard ist. Vor
allem Wenigfahrer entscheiden sich daher für Telematik-Tarife.
In den USA ist jede zehnte
Kfz-Versicherung ein „Pay
how you drive“-Tarif. Dort
und in Großbritannien gingen die Unfallzahlen bei TelematikNutzern laut einer Studie von Towers
Watson um bis zu 40 Prozent zurück.
Großbritannien hat Telematik-Tarife als erstes
Land Mitte der 90er-Jahre
eingeführt. Das System beinhaltet schon heute den automatischen Notruf bei Unfällen.
In Österreich nutzen über
50.000 Menschen einen
Telematik-Tarif. Berechnet
wird er auf Basis der gefahrenen Kilometer. Das ist für die Alpenrepublik neu. Denn in der Regel berücksichtigen die Kfz-Tarife die gefahrenen
Kilometer - anders als in Deutschland nicht. Deshalb sorgt der neue Tarif für
niedrigere Beitragssätze.
Beschleunigungsverhalten, Bremsvorgängen, Geschwindigkeitsübertretungen
oder gefahrenen Kilometern Bewegungsprofile von Autofahrern erstellen lassen.
Diesen Bedenken wird man Rechnung tragen müssen, bevor sich Telematiktarife in Deutschland durchsetzen
können. „Was erfasst wird und wohin
die Daten gesendet werden, muss den
datenschutzrechtlichen Regelungen in
Deutschland entsprechen“, sagt Karsten
Linke, Referent für Kraftfahrtversicherung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
„Der Kunde muss außerdem selbst darüber bestimmen können, was mit den
Informationen aus seinem Auto passiert.“ Außerdem sollte man bereits im
Versicherungsvertrag festhalten, welche
Daten genau erhoben und verwendet
werden“, fügt Alexander Mürmann
hinzu. „Das schafft Transparenz.“
Darüber hinaus empfiehlt der Deutsche Verkehrsgerichtstag, zu dem sich
einmal im Jahr Verkehrsrechtler sowie
Experten für Sicherheit und Technik in
Goslar treffen, bei der Übermittlung der
Daten „Fahrzeughalter und Fahrer
technisch und rechtlich in die Lage zu
versetzen, diese zu kontrollieren und
gegebenenfalls die Weiterleitung zu
unterbinden“. Dass die Kunden etwa
über eine Internetplattform selbst überprüfen, welche Daten übertragen werden und wie sie selbst oder ihre Kinder
Auto fahren, könnte die Akzeptanz von
Telematiktarifen künftig erhöhen. Doch
noch stehen, auch das zeigt die BitkomUmfrage, zwei Drittel der deutschen
Autofahrer der Technik skeptisch
gegenüber.
MAURITIUS MUCH
GDV-ANSPRECHPARTNER
Alina Schön
Tel.: 030 2020-5113
E-Mail: [email protected]
FREIE WAHL
Empfehlungen des Deutschen
Verkehrsgerichtstags
www.gdv.de/verkehrsgerichtstag
FOTOS : G E T T Y I M AG ES, M A RC E L R I C K L I , D D P I M AG ES ; I L LUST RAT I O N E N : I STO C K
M Ä R K T E & B RA NC H E N
M Ä R K T E & B RA NC H E N
VERORTET
806
WO DIE
RENTENLÜCKE
KLAFFT
Euro
fehlen den deutschen Rentnern
durchschnittlich, wenn sie alleine auf
die gesetzliche Rente bauen.
SchleswigHolstein
II + III
A
uf die Rente alleine ist kein Verlass: 806 Euro – so viel Geld wird
jenen Menschen im Alter Monat für
Monat durchschnittlich fehlen, die
ausschließlich auf die gesetzliche Rentenversicherung bauen. Was auf den
ersten Blick überrascht: In Süddeutschland fällt die Rentenlücke am
größten aus. Das liegt daran, das hier
die Löhne und der Lebensstandard
schon heute am höchsten sind – und
man deshalb im Alter relativ gesehen
auch mit den höchsten Einbußen rechnen muss. Im Umkehrschluss haben
Rentner in Ostdeutschland zwar eine
geringere Rentenlücke, sie erwartet
aber zugleich auch am wenigsten Geld
aus der gesetzlichen Rentenkasse.
Selbst wer eine Riester-Rente abgeschlossen hat oder in den Genuss einer
Betriebsrente kommt, ist noch nicht
vollständig auf der sicheren Seite.
Viele sorgen noch zu wenig privat vor.
Mehr als die Hälfte dieser Gruppe
erhält im Ruhestand voraussichtlich
weniger als 55 Prozent des letzten
Bruttoeinkommens. Durchschnittlich
fehlt ihnen quer über das Land ein
Betrag von 360 Euro im Monat.
MecklenburgVorpommern II
SchleswigHolstein I
Mecklenburg-Vorpommern I
Hamburg
Lüneburg
Bremen
Brandenburg I
Weser-Ems
Berlin
Ost
Berlin
West
Hannover
Brandenburg II
Münster
Düsseldorf
SachsenAnhalt I + II + III
Detmold
Braunschweig
Brandenburg III
Leipzig
Arnsberg
Dresden
Kassel
Thüringen I + II
Köln
Chemnitz
Gießen
Koblenz
Trier
Saar-
Darmstadt
Unterfranken
RheinhessenPfalz
Oberfranken
Mittelfranken
Oberpfalz
Stuttgart
Karlsruhe
Niederbayern
Schwaben
Tübingen
Freiburg
Oberbayern
VORSORGEATLAS
Wie viel im besten Fall
im Alter übrig bleibt.
www.gdv.de/positionen
Versorgungslücke (in €)
1 (unter 625)
Versorgungslücke bei einer Basisversorgung
(Gesetzliche Rentenversicherung,
Beamtenversorgung, Berufsständische
Versorgung und Rürup-Rente)
2 (625 bis 767)
3 (768 bis 793)
4 (794 bis 863)
5 (über 863)
Quelle: Vorsorgeatlas Deutschland 2013, Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg im Auftrag von Union Investment
N R . 93 PO S I T ION E N
25
M ÄR K T E & B RA NC H E N
Die „Wilden Kerle“ auf
dem Fußballplatz, dem
zentralen Drehort des
Kinderfilms. Die Elbe
setzte ihn unter Wasser.
EIN QUANTUM TROST
FILMDREHS SIND EIN RISKANTES GESCHÄFT. Schauspieler können krank werden und
verunglücken, Stürme ganze Kulissen zerstören und Rechtsstreitigkeiten die Kosten in die Höhe
treiben. Ohne Versicherungen wagt sich heute kaum ein Produzent an einen Film.
W
enn Flüsse über die Ufer treten, ist der Schaden schnell
groß. Die Elbe-Flut riss 2003
auch das Set des deutschen Erfolgsfilms
„Die Wilden Kerle“ mit sich. Ausgerechnet das Hauptmotiv, den Fußballplatz, setzte sie unter Wasser, die Dreharbeiten mussten verschoben werden –
doch dass für diesen Schaden die Versicherung aufkommen würde, war gleich
klar.
Vor solchen Verzögerungen fürchten
sich Produzenten am meisten: „Ein
Drehtag kann bei größeren Produktionen schon mal bis zu 80.000 Euro kosten“, sagt Christoph Hoyer, Underwriter bei Catlin. Und so sind die größte
finanzielle Bedrohung für Film- und
Fernsehdrehs in aller Regel Schäden, die
26
PO S I T ION E N N R . 9 3
die Produktion unterbrechen, bestätigt
Hendrik Bockelmann, Mitglied der
Geschäftsleitung der Deutschen Filmversicherungsgemeinschaft (DFG), die,
unter anderem, mit Vollmachten der
Allianz Global Corporation & Specialty
AG, der ERGO Versicherung AG und
der AXA Versicherung AG ausgestattet
ist. Die DFG hatte die „Wilden Kerle“
versichert und kam schnell und unkompliziert für die Flutfolgen auf.
Kaum ein Film ohne Schaden
Film-, TV-Produktionen und Werbedrehs sind ein riskantes Geschäft.
Schließlich drohen nicht nur seltene
Wetterphänomene wie die Oder-ElbeFlut, auch erkrankte Schauspieler oder
ganz banale Schäden an Geräten und
Requisiten können teuer werden, besonders dann, wenn sie die komplette Drehplanung über den Haufen werfen. Aber
auch ein Rechtsstreit kann ins Geld
gehen (siehe Kasten). „Im Grunde geht
bei jeder Produktion zumindest eine
Kleinigkeit schief“, sagt Bockelmann.
„Die Schadensfrequenz ist bei uns deutlich höher als in anderen Versicherungssparten“. Auf circa 20 Millionen Euro
jährlich belaufen sich in etwa die Schadenssummen. Das Policen-Volumen
liegt bei circa 30 Millionen Euro, doch
die Zahlen schwanken stark.
Besonders gefürchtet sind Ausfälle
der Stars, ob sie nun vor oder hinter der
Kamera stehen. Im digitalen Zeitalter
hat diese Gefahr die zerstörte Filmrolle
als größtes Risiko abgelöst. Informatio-
M ÄR K T E & B RA NC H E N
Der siebte Teil der Action-Reihe „Fast &
Furious“ (links) ist beinahe vollständig
abgedreht, als Hauptdarsteller Paul
Walker bei einem Autounfall ums Leben
kommt (oben). Presseberichten zufolge
verlangt das Filmstudio wegen des
Todesfalles jetzt 50 Millionen Dollar von
seiner Versicherung. Das wäre eine der
höchsten bislang bekannt gewordenen
Summen in der Filmgeschichte.
nen darüber werden allerdings selten
öffentlich und mit äußerster Diskretion
behandelt, da zum Beispiel der Gesundheitszustand der Schauspieler einem
strengen Datenschutz unterliegt. Ausnahmen sind einzelne, besonders dramatische Fälle, wie jüngst beim tragischen Unfalltod des US-Stars Paul Walker, der die Fortsetzung der Blockbuster-Reihe „Fast & Furious“ gefährdete.
Manchmal fallen den Produzenten
dann sehr kreative Lösungen ein, wie
zum Beispiel bei Terry Gilliams Fantasyfilm „Das Kabinett des Dr. Parnassus“ aus dem Jahr 2009. Mitten im
Dreh starb Kinolegende Heath Ledger,
die Produktion wurde abgebrochen.
Den Film rettete schließlich die – auch
künstlerisch wertvolle – Idee, Ledgers
Figur Tony in den verschiedenen Fantasywelten von anderen Stars – Johnny
Depp, Jude Law und Colin Farrell –
spielen zu lassen.
FOTOS : I M AGO (2 ) , R E U T E RS
Not schweißt zusammen
An solchen Entscheidungen sind immer
auch die Filmversicherer beteiligt“, sagt
Christina Mertens, verantwortlich für
die Sparte Filmversicherung der HDIGerling Industrie Versicherung. „Die
Zusammenarbeit ist sehr partnerschaftlich und lösungsorientiert.“ Wenn größere Verzögerungen oder gar ein
Abbruch der Dreharbeiten droht, stellt
die Versicherung daher den Produzenten externe Experten zur Seite, mit dem
Ziel, ganz pragmatisch den Schaden so
weit wie möglich zu minimieren.
Je internationaler die Produktionen
werden, desto internationaler auch die
Chancen für die deutschen Versicherer.
Allerdings, berichtet Bockelmann von
der DFG, unterschieden sich die Mentalitäten der deutschen und der US-Produzenten doch sehr. Während die Deutschen sich lieber auch gegen kleinere
Schäden absicherten und dafür höhere
Prämien in Kauf nähmen, setzten die
Amerikaner auf höhere Selbstbehalte.
Insofern ist es ein umso größerer Erfolg,
dass es Anfang des Jahres einem Konsortium deutscher Versicherer erstmalig
gelang, im Alleingang einen Film in dieser Größenordnung und mit einem echten Hollywood-Star zu versichern: Die
von Tom Tykwer inszenierte und von X
Filme produzierte Romanverfilmung
„Ein Hologramm für den König“ mit
Tom Hanks könnte den ersten Schritt in
einen neuen, deutlich größeren Markt
bedeuten.
CAROLYN BRAUN
GDV-ANSPRECHPARTNER
Stephan Schweda
Tel.: 030 2020-5114
E-Mail: [email protected]
FILMVERSICHERUNG
WAS ALLES
SCHIEFGEHEN KANN:
Der Star wird krank (Personenausfall):
Das größte Risiko, denn Regisseure und
Hauptdarsteller sind nur schwer zu ersetzen.
Diese Police übernimmt alle Folgeschäden.
Etwas geht kaputt (Sachausfall): Auch
wenn Schäden an Kulissen oder Requisiten
den Dreh verzögern, kommt die Versicherung für die Folgen auf.
Das Team macht etwas kaputt (Medienhaftpflicht): Ähnlich wie eine private Haftpflicht werden so unbeteiligte Menschen
und Sachwerte versichert.
Kamera läuft – nicht (Geräte-/Technik-/Requisitenversicherung): Diese Police deckt Schäden am Equipment ab.
Rechtsstreitigkeiten („Errors und Omissions“): Der Versicherer kommt für Streitigkeiten um Urheber- und Persönlichkeitsrechte oder Verleumdung auf.
Alles weg (Bild und Datenträger): Früher
das Schlimmste, was passieren konnte, heute nicht mehr so bedrohlich – diese Police
kommt für Schäden an Filmnegativ und bereits entwickeltem Film, aber auch an Speicherkarten oder Videobändern auf.
Die Produktion scheitert („Completion
Bond“): Wer eine Fertigstellungsbürgschaft
abschließt, dessen Versicherer sorgt im
Ernstfall für den Abschluss – zur Not mit eigenen Produktionsteams. Ansonsten werden die getätigten Investitionen erstattet.
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M ÄR K T E & B RA NC H E N
GEGENPOSITION
VERSICHERER LEISTEN VERSPÄTET ODER GAR NICHT. Dieses Bild wird oft vermittelt – zu
Unrecht. Die Unternehmen haben etwa die vielen Unwetterschäden 2013 zügig reguliert, so das Fazit
des Versicherungsombudsmannes. Zwar ist die Zahl der eingegangenen Beschwerden im Vorjahr um
acht Prozent auf rund 18.700 gestiegen. Verantwortlich dafür sind jedoch einige Sonderfaktoren.
VIELE FRAGEN STATT ECHTER
BESCHWERDEN
GRÖSSERE AKZEPTANZ DER
SCHLICHTUNGSSTELLE
Im Bereich der Lebensversicherung hat es 2013 einige
Grundsatzurteile gegeben, etwa zur Berechnung des Rückkaufswertes bei vorzeitiger Kündigung der Police. Diese
Fälle stießen in den Medien auf ein großes Echo, viele Menschen haben sie entsprechend verfolgt. Die Folge waren etliche Nachfragen statt echter Beschwerden. So musste die
Ombudsstelle oft Erklärungsarbeit leisten und seltener
einen Konflikt lösen.
Die Zunahme der Beschwerden lässt sich auch auf eine
höhere Akzeptanz des Ombudsmanns bei den Verbrauchern
zurückführen. Die 2001 ins Leben gerufene Institution wird
immer bekannter und in der Folge auch stärker genutzt.
Immerhin können Streitigkeiten zwischen Versicherern und
Verbrauchern so rasch und unbürokratisch beigelegt werden. Rund drei Monate beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer beim Ombudsmann, dem Verbraucher entstehen dabei keine Kosten.
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BGH-Urteile halten Versicherer auf Trab
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Versicher
Kürzeren
immer häufiger den
HÖHERE ERFOLGSQUOTE KEIN INDIZ
FÜR HÄUFIGERES FEHLVERHALTEN
Die Erfolgsquote in der Lebensversicherung ist 2013 auf 34
Prozent gestiegen, 2012 gingen „nur“ 23,3 Prozent der Entscheidungen zugunsten der Kunden aus. Aus der höheren
Erfolgsquote lässt sich aber kein häufigeres Fehlverhalten
der Versicherer ableiten. Auch der Trend steht im Zusammenhang mit den Gerichtsurteilen. Viele Unternehmen
haben die Entscheidungen abgewartet und Zeit gebraucht,
um die Berechnungsgrundlagen zu ändern. Dann leisteten
die Unternehmen schnell Abhilfe, auch deshalb sei neben
der Zahl der Beschwerden ebenfalls die Zahl der gütlichen
Einigungen nach oben gegangen, so die Ombudsstelle.
28
PO S I T ION E N N R . 9 3
hter
GROSSE LEISTUNGSSCHAU
Die Versicherer haben 2013 rund 7 Milliarden Euro allein für
die Folgen von Naturgewalten an ihre Kunden ausgezahlt.
Sachversicherung
Juni-Hochwasser
1,8 Mrd. Euro
3,1 Mrd. Euro
Hagelstürme
Orkan Christian
Orkan Xaver
Kraftfahrtversicherung
für Hochwasser,
Hagelstürme und Orkane
300 – 400 Mio. Euro
100 – 200 Mio. Euro
ca. 1,5 Mrd. Euro
Quelle: GDV
M ÄR K T E & B RA NC H E N
FOTO : I STO C K
ZAHLEN DES QUARTALS
N R . 93 PO S I T ION E N
29
K U RZ A U SG E B L I C KT
MIT ANDEREN AUGEN
BLICK AUS DER FILTERBLASE
D
ie Zeitungs- und die Lebensversicherungsbranche mögen völlig
verschieden sein, dennoch eint sie
einiges: Beide betonen stets, wie gut ihre
Produkte seien – und sehen sich doch
sinkenden Absatzzahlen gegenüber.
Beide haben ein demografisches Problem
bei ihrer Zielgruppe. Beide suchen die
Schuld für die operative Schwäche gern
bei anderen – die einen bei Google, die
anderen bei der Regulierung.
Und beide hacken gern aufeinander
rum: Journalisten hadern mit der
Lebensversicherung an sich, den Gebühren, der Transparenz. Die Assekuranz
wiederum stört diese Haltung, die
Grundsätzlichkeit der Kritik und die
mangelnde Fähigkeit zu abstrahieren,
dass der mündige, aufgeklärte und vergleichende Anleger eine eher rare Spezies ist. Dabei hätten doch gerade
Medien einen gesellschaftlichen Auftrag, die Altersvorsorge zu fördern, statt
mit Kritik zu torpedieren und so den
immer stärker verbreiteten Hang zum
Nichtstun noch zu verstärken.
Beide Seiten haben gute Argumente.
Um die der Journalisten nachvollziehen
30
PO S I T ION E N N R . 9 3
zu können, sollte man sich mit dem Phänomen der Filterblase vertraut machen:
Die eigenen Erfahrungen mit einem Produkt oder ökonomischen Sachverhalt
liefern wichtige, möglicherweise manchmal aber auch irreführende Impulse zur
Recherche und zur Meinungsbildung.
So lebt der Journalist einer großen Zeitung mit hoher Wahrscheinlichkeit in
einer Metropole wie Hamburg oder
München, verdient ordentlich und
bevorzugt gute Wohnlagen. Ahnen Sie,
wieso es in der Presse vor Warnungen
vor einer Immobilienblase nur so wimmelt, obwohl es bestenfalls in wenigen
Trendvierteln einiger Großstädte zu
größeren Preisanstiegen kam?
Schlagen wir den Bogen zur Debatte
über die Zukunft der Lebens- und Rentenversicherung und die Verwendung
der Überschussbeteiligung: Ich bin
selbst Kunde von Lebensversicherern
und habe den Versuch unternommen,
die Verwendung der Überschussbeteiligung zu verstehen. In den 41 Seiten Vertrag und Dokumentation wimmelt es
nur so von Kürzeln und Verweisen. Ich
werde in Überschussgruppe XY, Unter-
gruppe Z geführt und möge bitte
nähere Angaben dem Geschäftsbericht
entnehmen. Dort habe ich sie nicht
gefunden. Auch sind die angegebenen
Überschüsse beinahe so artenreich wie
die Tiefsee: Es gibt den Zinsüberschussanteil, den Grundüberschussanteil
(„nur bei Bausteinen gegeben, deren
kalkulatorische Ausscheideordnung
todesfallorientiert ist“), den Zusatzüberschussanteil, den Schlussüberschussanteil, den Sonder-Schlussüberschussanteil, die Überschussrente.
Dass ich trotz mehrfacher Lektüre
nur Bahnhof verstanden habe, könnte
auch an den verschachtelten Sätzen
sowie den vielen Fachbegriffen liegen.
Ich bin kein Versicherungsexperte, ahne
aber, dass die kritische Haltung vieler
Kollegen nicht völlig aus der Luft gegriffen sein könnte – Filterblase hin oder her.
CHRISTIAN KIRCHNER
Christian Kirchner ist Redakteur beim Wirtschaftsmagazin „Capital“. Zuvor arbeitete er
unter anderem für die „FTD“ und das „Handelsblatt“ sowie als Kolumnist für „Spiegel Online“.
In seinem Blog Menschen.Zahlen.Sensationen
widmet er sich dem Thema Geldanlage.
K U RZ A U SG E B L I C KT
KURZ ERKLÄRT
WEITERGEHEN
Sie wollen noch mehr wissen? Hier haben wir für Sie weitere aufschlussreiche und spannende
Link- und Lesetipps zu wichtigen Themen rund um die Versicherungsbranche.
teln. Verbraucher benötigen dazu lediglich die gesetzliche Renteninformation
und – falls vorhanden – die jährlichen
Standmitteilungen ihrer privaten oder
betrieblichen Altersvorsorge.
MEHR INFOS:
I L LUST RAT I O N : D I E T E R B RAU N ; FOTOS : S H U T T E RSTO C K , T H I N KSTO C K ; RÜC KS E I T E N FOTO : I M AGO
www.gdv.de/rentenrechner
DIE POLITISCHEN POSITIONEN
DER DEUTSCHEN VERSICHERER
Die deutsche Versicherungswirtschaft
wird wie kaum eine andere Branche
durch das Aufsichtsrecht und die Regulierung geprägt. In zahlreichen Bereichen übernimmt der europäische
Gesetzgeber dabei eine Vorreiterrolle
und definiert das Schrittmaß für die
nationale Umsetzung. Innerhalb dieses
Rahmens müssen die Versicherer auch
künftig ihre volkswirtschaftlichen und
sozialpolitischen Aufgaben erfüllen
können. Die politischen Positionen der
Branche, mit denen das gelingen kann,
hat der GDV jetzt in der 36-seitigen
Broschüre „Die Positionen der deutschen Versicherer“ zusammengefasst.
Dabei setzt er sich mit hochaktuellen
Themen wie der Lebensversicherung in
der Niedrigzinsphase, Haftpflichtversicherung im Heilwesen oder Datenschutz auseinander.
DIE PSYCHOLOGIE DES RISIKOS
Wir leben in einer ungewissen Welt und
erliegen doch so gerne der Null-RisikoIllusion. Dabei ist jede Entscheidung in
Alltag, Beruf, Freizeit mit Risiken verbunden, die sich berechnen lassen (wie
die Gefahr von Thrombose) oder auch
nicht (siehe Partnerwahl). Der Psychologe Gerd Gigerenzer, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, beschreibt in seinem neuen
Buch „Risiko“, was Risikointelligenz
und -kompetenz in unserer komplexen
Wichtige Begriffe aus der Versicherungsbranche verständlich auf den Punkt
gebracht.
Eine Sterbetafel ist ein Modell aus der
Bevölkerungsstatistik. Sie zeigt tabellarisch für eine bestimmte Personengruppe (z. B. Bevölkerung oder Versicherte),
wie viele von ihnen in den jeweiligen Jahren zwischen Geburt und höchstem Alter rechnerisch überleben oder sterben
werden. Darüber hinaus gibt die Sterbetafel Auskunft über die durchschnittliche Lebenserwartung in den einzelnen
Altersjahren. So lässt sich beispielsweise aus der Tabelle ableiten, mit welcher
Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Alter
erreicht wird. Die Werte in den Sterbetafeln werden mithilfe statistisch bestimmter Sterbewahrscheinlichkeiten
für jedes Alter ermittelt. Versicherungsunternehmen nutzen die Tabellen zur
Kalkulation der Prämien und Leistungen.
Für die Bilanzierung der Versicherungsunternehmen werden Sterbetafeln von
der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV)
empfohlen, einer Vereinigung deutscher
Versicherungsmathematiker. Die Angemessenheit dieser Sterbetafeln wird regelmäßig überprüft.
IMPRESSUM
Herausgeber: Gesamtverband der
Deutschen Versicherungswirtschaft
Verantwortlich: Christoph Hardt
Konzeption und Realisierung:
Axel Springer SE Corporate Solutions
Druck und Vertrieb: Möller Druck
Redaktion: Una Großmann (GDV),
Heike Dettmar (Axel Springer)
MEHR INFOS:
www.gdv.de/2014/04/die-positionender-deutschen-versicherer-2014/
MIT DER RENTE RECHNEN
Verbraucher können ab sofort im Internet ihre finanzielle Versorgungslücke
ausrechnen. Der GDV hat dazu seinen
Rentenrechner aktualisiert. In vier kurzen Schritten lässt sich damit ganz einfach überprüfen, ob die private Altersvorsorge ausreicht – oder eben auch,
wie viel Geld im Alter fehlt. Darüber
hinaus können die Nutzer ihre monatliche Rente im Fall einer möglichen
Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ermit-
Sterbetafel
Art-Direktion: Diddo Ramm
Gesellschaft bedeutet, wie ihre Voraussetzungen sind – und was ihnen entgegensteht, von „alten Hirnstrukturen“
bis hin zu den „Tücken der Truthahnillusion“. An anschaulichen Beispielen
aus der Welt des Finanz- und Gesundheitswesens identifiziert er Fehlerkulturen und zeigt, wie man mithilfe einfacher, erlernbarer Lösungen eher die
richtigen Entscheidungen trifft.
Gigerenzer, Gerd (2013). Risiko. Wie
man die richtigen Entscheidungen
trifft. München: C. Bertelsmann Verlag.
Autoren: Carolyn Braun, Serge
Debrebant, Heike Dettmar, Mauritius
Much, Herta Paulus, Sabine Schlosser
Fotoredaktion: Mirjam Klessmann,
Olaf Roessler
Layout: Anne-Marie Kierstein,
Melanie Kollath
Litho: VB:34, Hamburg
Redaktionsanschrift:
Gesamtverband der Deutschen
Versicherungswirtschaft
Presse und Information
Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 20 20 – 5118
Fax: 030 / 20 20 – 66 04
Fragen zum Abo: [email protected]
N R . 93 PO S I T ION E N
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WWW.GDV.DE/POSITIONEN
DIE SCHÖNSTE VERSICHERUNGSSACHE
DER WELT
HALTENDE
HÄNDE
D
er Nationaltorwart Manuel
Neuer hält fast alles, was auf
seinen Kasten geflogen kommt. Erst
jüngst gewann der Keeper mit dem
FC Bayern München den DFB-Pokal
im Finale gegen Borussia Dortmund.
Schon im vergangenen Jahr hatten
die Bayern so gut wie alles abgeräumt, was es an Titeln gibt. Sogar
zum weltbesten Torwart war Neuer
gewählt worden. Natürlich weiß
auch der Nationaltorwart, wie wertvoll seine zupackenden Hände sind.
3.000.000 €
VERSICHERUNGSSUMME
Auf sie passen nicht nur seine Torwarthandschuhe auf, auf denen der
Schriftzug Predator entlang des
Ringfingers zu lesen ist – Raubtier.
Sondern auch eine Versicherung. Sie
greift, sollte Neuer nach einem
Unfall nicht mehr als Torwart arbeiten können. Ein ausgerenkter Finger
ist dagegen für den Hüter des Kastens nichts weiter als ein Klacks.
Den renkt er sich, so ist zu hören,
während eines Spiels ganz einfach
wieder selber ein.