3. Deutsch-französischer Mediendialog

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3. Deutsch-französischer Mediendialog
8/0500EB/Veranstaltungen/3.Deutsch-französischerMediendialog29.01.2008
3. Deutsch-französischer Mediendialog
– Ausländisches Fernsehen in Frankreich, Deutschland und Luxemburg –
Regulierung der Satelliten- und Plattformbetreiber
Workshop am 29. Januar 2008 in Brüssel
Deutschland: „Pragmatischer Realismus?“-Handlungsalternativen aus Sicht
eines „Empfangslandes“ von Wolfgang Thaenert
I.
Das Programm weist mir einen Beitrag mit den Begriffen Pragmatismus und Realismus zu. Der Pragmatiker gilt als ein Mann, der konsequent den Sowohl-als-auchStandpunkt vertritt (Arno Söllter). Ein Realist ist nach Truman Capote ein Mann, der
den richtigen Abstand zu seinen Idealen hat.
Getreu dieser Erwartung will ich mich gar nicht an Idealen versuchen, sondern auf
drei Problembereiche konzentrieren, die in der Praxis der deutschen Medienaufsicht
relevant geworden sind.
1. Pornografie europäischen Ursprungs über Satellit und BK-Netz.
2. Rassenhass, Antisemitismus über Satellit (vor allem aus Drittstaaten).
3. (Europa)Rechtsverletzende Angebote europäischer/außereuropäischer ContentProvider im Internet.
Ich unterscheide also Inhalte europäischen und außereuropäischen Ursprungs und
konkretisiere mich auf unzulässige, verbotene Inhalte, vernachlässige dabei Jugendschutz durch Zugangsbeschränkung im engeren Sinne.
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II.
1.
Zur ersten Kategorie: Porno über Satellit und BK-Netz aus europäischen
Nachbarländern
Anlass zu dieser Kategorie gaben zwei Fälle: zum einen ein britisches Programm,
das sich der sexuellen Beschäftigung von Erwachsenen widmet und Eingang in
deutsche Kabelnetze gefunden hat. Die deutsche Medienaufsicht wertete den Inhalt
als Pornografie. Sie hat ein in der EG-Fernsehrichtlinie vorgesehenes Konsultationsund Beschwerdeverfahren gegen die OFCOM Großbritannien eingeleitet – im Ergebnis ohne Erfolg. Am Ende sind wir nach einem langen Weg durch europäische
und nationale Instanzen an unterschiedlichen Bewertungen der Pornografie und an
der fehlenden „Wiederholungstat“ gescheitert. Ein ähnlicher Fall mit einem österreichischen Angebot ist von der dortigen Medienaufsicht jedoch unverzüglich untersagt
worden und hat uns das Vertrauen in die Wertegemeinschaft Europa wiedergegeben.
Abgesehen von kulturellen Unterschieden sowie von hier und da differierendem Vollzugswillen der Medienaufsicht erscheint der europäische Rechtsrahmen ausreichend, um Rechtsverletzungen der beschriebenen Art zu vermeiden.
Wie früher die EG-Fernsehrichtlinie verbietet auch die neue Audiovisuelle Mediendiensterichtlinie für das Fernsehen Programme, die zum Hass aufgrund von Rasse,
Geschlecht, Religion und Staatsangehörigkeit aufstacheln (Art. 3 b AMDR). Auch
Sendungen, die die körperliche, geistige und sittliche Entwicklung von Minderjährigen
ernsthaft beeinträchtigen können, namentlich solche, die Pornografie oder grundlose
Gewalttätigkeiten zeigen (Art. 22 Abs. 1 AMDR). Potentiell entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte dürfen nicht gezeigt werden, es sei denn, Sendezeit oder technische
Vorkehrungen stehen einer Nutzung durch Minderjährige üblicherweise entgegen
(Art. 22 Abs. 2 AMDR).
Verstößt ein Fernsehrprogramm nach Überzeugung eines Empfangslandes gegen
die beschriebenen Pflichten offensichtlich, ernsthaft und schwerwiegend, so ist das
eben genannte, eher komplizierte und ggf. auch langwieriges Konsultations- und
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Beschwerdeverfahren vom Empfangsstaat über die EU-Kommission zum Sendestaat
vorgesehen. Interveniert der Sendestaat im Wiederholungsfall nicht, so darf das
Empfangsland als ultima ratio das Angebot sperren (Art. 2a Abs. 2 Buchst. a bis d
AMDR).
In Zeiten der Digitalisierung und Konvergenz werden die meisten dieser Angebote
wohl künftig nicht im Free-TV, sondern als Abruf- und Bezahlkanäle angeboten. Zu
Recht hat die EU vor diesem Hintergrund die materiellen Bestimmungen und die Beschwerdebefugnisse des Empfangslandes auf Abrufdienste erweitert. Auch in Abrufdiensten sind Menschenwürdeverletzungen und Hassinhalte unzulässig (Art. 3 b
AMDR). Zwar sind in Abrufdiensten Pornografie und grundlose Gewalttätigkeit nicht
explizit untersagt (Art. 3 h AMDR). Dienste, die Minderjährige ernsthaft beeinträchtigen können, dürfen jedoch nur zum Abruf bereitgestellt werden, wenn sichergestellt
ist, dass sie von Minderjährigen üblicherweise nicht gehört oder gesehen werden
können. Konkret: Erwachsenenprogramme nur noch verschlüsselt oder nachts.
Sollte gegen diese Grundsätze nach Auffassung eines Empfangslandes verstoßen
werden, so sieht die Audiovisuelle Mediendiensterichtlinie ebenfalls ein Konsultations- und Beschwerdeverfahren vor. Darüber hinaus ist für dringende Fälle sogar eine
Intervention im Eilverfahren vorgesehen (Art. 2 a Abs. 4 und 5 AMDR).
Je crois, ca suffit für lineares Fernsehen und (non lineare) Abrufdienste.
2.
Zweiter
Problembereich:
Hasskanäle
mit
antisemitischen
oder
volksverhetzenden Inhalten
Programminhalte des libanesischen Senders Al Manar, des türkischen Programms
Medyar TV sollen exemplarisch für diese Kategorie stehen.
Soweit und solange derartige Programme über europäische Satellitensysteme wie
Astra und Eutelsat verbreitet werden, könnte deren Bereitschaft, sich Zulassungen
oder Unbedenklichkeitserklärungen europäischer Medienbehörden vorlegen zu
lassen, relative Sicherheit vor unzulässigen Inhalten bieten. Entsprechendes gilt für
andere Plattformbetreiber, etwa Breitbandkabelnetze.
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Soweit der Transpondernutzer nicht bekannt ist, erweist sich die Verantwortungsregelung des Mitgliedsstaates nach Art 2 Abs. 4 der AMDR als besonders anspruchsvoll; sie setzt tatsächliche „Ermittlungen“ der Medienaufsicht des zuständigen Mitgliedsstaates voraus.
Der CSA und die französischen Gerichte haben bekanntlich die Verbreitung von Al
Manar über Eutelsat nach früherem Recht nur in einem komplizierten Verfahren unterbinden können.
Für radikale außereuropäische Inhalteanbieter und deren Verbreitung über außereuropäische Satellitensysteme nach Europa – etwa vom Arabsat aus – ist explizit gar
„keine gesetzliche Handhabe“ ersichtlich.
Es ist der Initiative des CSA und der EU-Kommission zu verdanken, dass unter den
Regulierungsbehörden für vagabundierende europäische und außereuropäische
Hasskanäle ein sog. Frühwarnsystem aufgebaut wird. Im März 2005 ist ein verstärkter Informationsaustausch sowie eine engere Kooperation nicht nur unter den europäischen Medienaufsichtsbehörden, sondern auch mit denen in Drittstaaten vereinbart worden (Erklärung der Gruppe hochrangiger Vertreter der Regulierungsbehörden im Rundfunkbereich – Aufstachelung zum Hass bei der Ausstrahlung von Programmen aus Drittstaaten vom 17. März 2005 in Brüssel). Die Regulierungsbehörden
sind damit international um Ächtung solcher Programme bemüht. Fairerweise ist
einzugestehen, dass es sich um Kooperationen auf nicht offizieller Ebene und ohne
verbindlichen Charakter handelt.
Al Manar und der saudiarabische Sender Iqra TV sollen aber einzelne auch radikale
Sendungen an in Europa zugelassene Fernsehsender verkaufen. Dagegen hilft wohl
nur eine strenge Medienaufsicht.
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Was tut der pragmatische Realist zur Verbesserung der Situation?
Menschenwürde und Völkerverständigung sind auch „tausend kleine Schritte wert“.
Ein intensiver Dialog unter den Medienbehörden und den Rundfunkgesetzgebern
bleibt wichtig, Geduld ist nicht immer eine Ausrede für mangelnde Tatkraft.
Durchaus problemreduzierend können sich meines Erachtens zunehmende Nachfragen nach europäischen Zulassungen z. B. aus dem arabischen Raum und der Türkei
auswirken. Bei der hessischen Landesmedienanstalt ist in den letzten Jahren ein
Dutzend solcher Interessensbekundungen oder Anträge eingegangen. Wir haben in
den Gesprächen mit den Programmanbietern stets auf die Verpflichtung zur Einhaltung der Grundsätze der Menschenwürde, der Geschlechtergleichbehandlung, der
Diskriminierungsfreiheit, das Gebot der Völkerverständigung und des Minderheitenschutzes, schließlich des Jugendschutzes hingewiesen. Ungeachtet dessen haben
die Mehrzahl der türkischen (und eines aus den Golfstaaten) Antragsteller ihre Lizenzanträge aufrechterhalten. Sie unterstellen damit ihre Programme den strengen
westeuropäischen Regelungen. Wir hoffen, dass wenigstens ein Teil der Zielgruppen
mit Migrationshintergrund sich diesen neuen Programmen zuwendet und damit eine
Alternative zu Heimatprogrammen mit extremistischen Inhalten erhält.
3. Dritter Problembereich: Verbotene Inhalte im Internet
Das Netz entwickelt sich neben Breitbandkabel, Satellit und Terrestrik rasant zum
vierten Übertragungsweg. Mit diesem Wachstum ist ein breiter öffentlicher Raum
entstanden, der für den Austausch von Informationen, für wirtschaftliche Aktivitäten
und zur Unterhaltung genutzt wird. Dieser Raum birgt auch Gefahren für das tägliche
Leben. Es werden kriminelle Handlungen (bspw. von Naziseiten und sog. Hass-Kanälen ausgehende Volksverhetzungen) begangen und Kinder und Jugendliche werden massiv mit problematischen (insbesondere pornografischen) Inhalten konfrontiert. Das Problem aus Sicht derjenigen, die den Zugang zu bestimmten Inhalten verhindern wollen, ist, dass das Internet aufgrund seiner dynamischen und dezentralen
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Struktur darauf angelegt ist, Inhalte jederzeit zugänglich zu machen.1 Dies macht der
bekannte Satz des renommierten Internet-Aktivisten John Gilmore „The Net interprets censorship as damage and routes around it“ sehr anschaulich (zitiert nach Times International vom 06.12.1993).
Kein Wunder, dass die Lösungsansätze auf eine Territorialisierung, d. h. nationale
Sperrmöglichkeiten und auf die Suche nach Filtersystemen hinauslaufen.
Für unzulässige non-lineare audiovisuelle Dienste, z. B. video on demand, aus europäischen Mitgliedsstaaten gelten die Sonderbestimmungen der Audiovisuellen Mediendiensterichtlinie zu Abrufdiensten. Kurz: Aufstachelung zu Hass hat das Herkunftsland zu unterbinden (Art. 3 b AMDR). Für derartige Inhalte wie für Menschenwürde- und Jugendschutzverletzungen stehen den Empfangsstaaten ein Notfall-Interventionsrecht und eine Sperrmöglichkeit offen (Art. 2 a Abs. 5 AMDR).
Für gravierende Rechtsverletzungen aus Drittstaaten bleibt es beim bekannten Stufenverfahren. Verantwortlich ist der Provider zunächst lediglich für eigene Inhalte.
Host- und Access-Provider haften für fremde Inhalte nur, wenn sich Maßnahmen gegen den Inhalteanbieter als nicht durchführbar erweisen oder keinen Erfolg versprechen. Zudem müssen dem Host- oder Access-Provider Sperrmaßnahmen technisch
möglich und zumutbar sein.
Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass Sperrverfügungen trotz ihrer hohen
Eingriffsintensität nur begrenzte Wirksamkeit entfalten können. Hinzu kommen
schädliche Nebenwirkungen wie die Mitsperrung legaler Inhalte sowie eine hohe
Kostenintensität. Darüber hinaus scheint ein ungerechtfertigter Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des § 88 TKG zumindest bei IP-basierten Sperrungen nicht ausgeschlossen.2
Staatsanwaltschaften sowie Landesmedienanstalten scheitern am weltumspannenden Internet nicht selten, da sich Anbieter ins Ausland absetzen können bzw. ihre
Seiten einfach im Ausland hosten. So hält bspw. youporn.com seinen Sitz in Kalifor1
Vgl. Schnabel, Die Arcor-Sperre, K&R 2008, 26, 27.
2
Sieber/Nolde, Sperrverfügungen im Internet, Rechtsgutachten für die KJM v. 10.12.2007, S. 168 ff., 232 ff.
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nien, obwohl sich die Seite durch deutschsprachige Hinweise offenkundig auch an
deutsche Nutzer richtet.
Hilfreich kann auch eine ethische und damit im Vorfeld rechtlicher Sanktionen anzusiedelnde Medienselbstkontrolle – jedenfalls als flankierende Maßnahme – sein.3 So
liefert die Medienethik ohne Weiteres die Grundlagen für eine angewandte Selbstkontrolle. Letztere funktioniert im Idealfall als moralisches Gewissen der so genannten Community: Auf ihren massiven Druck hin wurde bspw. das höchst umstrittene
Handy-Video der Hinrichtung des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein
bereits am Neujahrstag 2007 aus dem Angebot des YouTube-Konkurrenten MyVideo
entfernt.
Für den Jugendmedienschutz im Netz fehlen bis heute zwar wirksame Jugendschutzprogramme, insbesondere in Gestalt von Filtersystemen. Dafür ist es der deutschen Medienaufsicht aber gelungen, solide Eckwerte für sog. geschlossene Benutzergruppen, d. h. nur Erwachsenen zugänglichen Bereichen, festzuschreiben, die
zwischenzeitlich auch beim Bundesgerichtshof Anerkennung gefunden haben.4
Im Bereich des Jugendmedienschutzes hat sich auch im Netz der ganzheitliche Ansatz mit umfassender Reaktionsstrategie durchgesetzt. Zu repressiven Maßnahmen
treten präventive Angebote an die gefährdete Nutzergruppe hinzu. Medienkompetenz hat nicht zufällig Eingang in die Audiovisuelle Mediendiensterichtlinie gefunden
(Erwägung 37). Die Safer Internet-Programme der EU-Kommission verdienen hier
besonders hervorgehoben zu werden (Making the Internet a safer place vom 2.
Februar 2007).
III.
Es gilt also vieles gemeinsam zu tun. Der heutige Workshop bietet eine gute Gelegenheit zur Mannschaftsaufstellung.
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Eingehend hierzu Erdemir, Vom Schutz der Menschenwürde vor Gewaltdarstellungen in Rundfunk und
Telemedien, in: Festschrift für Werner Frotscher, 2007, S. 317, 332 f.
4
BGH, Urt. v. 18.10.2007, Az.: I ZR 102/05 (4) – noch nicht veröffentlicht; siehe zum Ganzen auch Erdemir,
Jugendschutzprogramme und geschlossene Benutzergruppen, CR 2005, 275.
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