Prostata- karzinom - Österreichische Ärztezeitung

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Prostata- karzinom - Österreichische Ärztezeitung
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Prostata-
karzinom
Mit mehr als 5.000 Neuerkrankungen und 1.100 Todesfällen pro Jahr in
Österreich ist das Prostatakarzinom der häufigste nicht-kutane bösartige
Tumor des Mannes und die zweithäufigste Krebs-Todesursache. Damit stellt
das Prostata-Karzinom - vor allem vor dem Hintergrund der zukünftigen
demographischen Entwicklung - ein relevantes Gesundheitsproblem dar.
Von Stephan Madersbacher et al.*
Etablierte Risikofaktoren für das
Prostata-Karzinom sind das Alter, ein
intakter Androgenhaushalt und eine
familiäre Prädisposition. Die Rolle
des Lebensstils, vor allem jene der Ernährung, ist durch epidemiologische
Studien relativ gut belegt. Klare Diätempfehlungen, beispielsweise um das
Prostata-Karzinom-Risiko zu beeinflussen, können derzeit jedoch nicht ausgesprochen werden.
In den USA - dem Land mit der
längsten Tradition eines PSA (Prostataspezifischen
Antigen)-basierten
opportunistischen Screenings (= im
Sinn einer Vorsorgeuntersuchung) wird seit einigen Jahren die Abnahme
der Prostata-Karzinom-Mortalität um
etwa vier Prozent pro Jahr beobachtet;
auch in Österreich sinkt die ProstataKarzinom-Mortalität seit einigen Jahren um 0,4 Prozent pro Jahr. Vor allem
aber ist die Anzahl der primär metastasierten Patienten in Österreich in
den letzten 15 Jahren um mehr als 50
Prozent zurückgegangen.
In nahezu allen Bereichen des Prostata-Karzinoms wurden in den letzten
Jahren bedeutende Fortschritte erzielt.
Zu den klinisch wichtigsten zählen
die erst kürzlich 2009 im New England Journal of Medicine publizierten
auf zwei großen randomisierten Studien basierenden Daten zur Wertigkeit
des
Prostata-Karzinom-Screenings;
die Erkenntnis, dass mittels 5-alphaReduktase-Inhibitoren
(Finasterid/
Dutasterid) eine Prostata-KarzinomRisikoreduktion
(Prävention)
in
einem gewissem Umfang möglich ist;
der Nachweis, dass für die radikale
Prostatektomie in einer randomisierten Studie im Vergleich zu watchful
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waiting ein Überlebensvorteil besteht; die kontinuierliche Verfeinerung der Technik der radikalen Prostatektomie (RPE) sowie die Etablierung
der laparoskopischen und roboterassistierten Technik; die moderne
Hochpräzisionsstrahlentherapie; die
Individualisierung der Hormontherapie und die Etablierung der Docetaxelbasierten Chemotherapie für Patienten mit einem kastrationsresistenten
Prostata-Karzinom.
© Doz. Madersbacher
Einleitung und
aktuelle Entwicklungen
Prävention Risikoreduktion
In zwei großen, randomisierten Studien wurde die Möglichkeit
einer Prostata-Karzinom-Prävention/
Risikoreduktion mit 5-alpha-Reduktase-Inhibitoren (5ARIs, Finasterid,
Dutasterid) untersucht. Diese Präparate, welche seit Jahren zur medikamentösen Therapie der benignen Prostata-Hypertrophie eingesetzt
werden, hemmen die intraprostatische Umwandlung von Testosteron
zum potenteren Dihydrotestosteron.
In beiden Studien (PCPT = Prostate
Cancer Prevention Trial, REDUCE
= Reduction by Dutasteride of Prostate Cancer Events) konnte unter
jahrelanger 5ARI-Gabe eine 20- bis
25prozentige Risikoreduktion für die
Entwicklung eines klinisch fassbaren Prostata-Karzinoms nachgewiesen
werden (Evidenzlevel 1b). Es bleibt
abzuwarten, inwieweit das Konzept
der Chemoprävention in Zukunft
akzeptiert wird; vor allem für Risikogruppen (positive Familienanamnese,
hoher PSA-Wert bei negativer Biopsie,
Prostata-Karzinom-Vorstufen in der
Biopsie) scheint dieser Ansatz interessant. In zwei weiteren großen Präventionsstudien konnte dagegen kein
protektiver Effekt von Selen, Vitamin
E und C nachgewiesen werden (Evidenzlevel 1b).
10. Oktober 2009
Positiver Knochenscan
Vorsorge Massenscreening
Ende März 2009 sind die schon seit
lange erwarteten ersten Ergebnisse von
zwei großen, randomisierten ProstataKarzinom-Screening Studien erschienen.
In der europäischen, multinationalen
Studie (ERSPC - European randomised
study of Screening for prostate cancer)
wurden insgesamt 182.000 Männer
im Alter von 50 bis 74 Jahren in einen
Screening- und einen Kontroll-Arm randomisiert. Nach einem medianen Nachbeobachtungszeitraum von neun Jahren
war die Prostata-Karzinom-Mortalität
im gescreenten Arm um 20 Prozent geringer (p = 0,04) als im nicht-gescreenten
Arm (Evidenzlevel 1b). In der gleichen
Ausgabe des NEJM erschien auch die erste Analyse der amerikanischen PLCOStudie (U.S. Prostate, Lung, Colorectal,
and Ovarian Cancer Screening Trial). In
dieser Studie wurden zwischen 1993 und
2001 insgesamt 76.693 Männer aufgenommen. PLCO konnte - im Gegensatz
zur ERSPC - hinsichtlich der Senkung
der Mortalität über elf Jahre keinen
Vorteil für das Prostatat-KarzinomScreening nachweisen (Evidenzlevel 1b). :
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state of the art
: Allerdings hatte bereits vor Eintritt in die
Studie nahezu die Hälfte der Teilnehmer
einen PSA-Test und die Biopsierate war
im Kontrollarm nahezu so hoch wie im
Screening-Arm. Insofern ist die Validität
dieser Studie beschränkt.
Wie durch jedes Screening-Programm
besteht auch für das Prostata-Karzinom
eine relevante Gefahr der Übertherapie.
Anhand der ERSPC-Daten wurde errechnet, dass 1.410 Männer gescreent
beziehungsweise 48 behandelt werden
müssen, um einen Prostata-KarzinomTodesfall zu verhindern (Evidenzlevel
1b). Daher kommt der ausführlichen Beratung über die verschiedenen Vor- und
Nachteile des Prostata-Karzinom-Screenings größte Bedeutung zu. ERSPC legt
jedoch einen breiteren Einsatz des PSATests nahe. Die Österreichischen Gesellschaft für Urologie empfiehlt als ProstataVorsorge eine jährliche Untersuchung ab
dem 45. bis 50. Lebensjahr mit digitorektaler Untersuchung und PSA-Test. Bei
einer positiven Familienanamnese wird
empfohlen, mit dieser Vorsorgeuntersuchung fünf Jahre früher zu beginnen.
Wichtige Symptome
Rektums mit Blutungen bis hin zum
Subileus/Ileus führen.
Systemische Symptome
Systemische Symptome treten meist
als Folge von Knochenmetastasen mit
Schmerzen und neurologischen Symptomen sowie Knochenmarksinfiltration
mit konsekutiver Anämie auf. Daneben
können allgemeine Schwäche, Nausea
und Kachexie auftreten. LymphknotenMetastasen können zur Ureterkompression mit Hydronephrose bis hin zur
Niereninsuffizienz führen.
Diagnose
Die drei wesentlichen diagnostischen
Schritte sind die Bestimmung des PSAWertes, die digito-rektale Untersuchung
(DRU) und die transrektale, ultraschallgezielte systematische Biopsie der Prostata. Wesentliches Ziel der modernen Diagnostik/Vorsorge ist es nicht, möglichst
viele oder gar alle Prostata-Karzinome zu
diagnostizieren, sondern potentiell aggressive Tumore bei Männern mit einer
Lebenserwartung von zumindest zehn
Jahren zu entdecken.
Prostataspezifisches Antigen (PSA)
Das Prostata-Karzinom verursacht
im Früh- (und damit im potentiell heilbaren) Stadium keine Symptome. Eine
kurative Behandlung ist demnach in
der Regel nur beim asymptomatischen
Patienten möglich. Dies unterstreicht
die Bedeutung der Prostata-KarzinomVorsorge (= opportunistisches Screening, siehe dort).
Zweifelsohne hat die Etablierung der
PSA-Bestimmung Diagnose, Therapie
und Verlaufskontrolle des Prostata-Karzinoms revolutioniert. PSA kann derzeit
mit mehreren Dutzend verschiedenen
Test-Kits quantifiziert werden, zur besseren Vergleichbarkeit sollte jedoch bei
einem Patienten immer derselbe Test angewendet werden.
Lokale Symptome
Zunächst muss festgehalten werden,
dass ein PSA-Normalwert nicht existiert, vielmehr besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Höhe des
PSA-Wertes und dem Prostata-Karzinom-Risiko. Selbst bei einem PSA-Wert
von 1-3,0ng/ml kann bei etwa 20 Prozent bioptisch ein Prostata-Karzinom
nachgewiesen werden (Evidenzlevel 1b).
Lokal fortgeschrittene ProstataKarzinome können zu Miktionsbeschwerden (vergleichbar wie bei einer
gutartig vergrößerten Prostata), Restharnbildung, Harnverhaltung, Bildung
von Blasensteinen, Mikro- und Makrohämaturie, lokalen Schmerzen sowie
im Extremfall zu einer Infiltration des
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Ein PSA-Grenzwert von 3,0 bis 4,0ng/
ml kann als Richtwert für eine Population von 50 bis 65 Jahren als plausibel
angenommen werden. Besser sollten
altersspezifische Grenzwerte eingesetzt
werden. Der positive Vorhersagewert bei
einem PSA-Wert von 2-4ng/ml liegt bei
etwa 22 bis 30 Prozent, bei 4-10ng/ml
bei 41 Prozent und über 10ng/ml bei 50
bis 70 Prozent. Die digito-rektale Untersuchung ist keine effiziente Früherkennungsmethode (Evidenzlevel 2a).
Bei der Interpretation des PSA-Wertes muss auch die biologische Variabilität von etwa 20 Prozent berücksichtigt
werden. Weitere Faktoren, die neben
einem Prostata-Karzinom zu einer Erhöhung des PSA-Wertes führen können, sind: akute/chronische Prostatitis,
gutartige Vergrößerung der Prostata,
Ejakulation vor der Blutabnahme sowie mechanische Irritationen wie akute
Harnverhaltung, Katheterisierung, rektale Untersuchung, Zystoskopie, langes
Fahrradfahren u.ä. Eine Erniedrigung
des PSA-Wertes tritt unter Medikation
mit 5-alpha-Reduktase-Inhibitoren, Anti-Androgenen, LHRH-Agonisten und
LHRH-Antagonisten auf; auch ein Testosteronmangel kann zu einer Erniedrigung des PSA-Wertes führen.
Weitere, vom PSA abgeleitete Parameter sind die PSA-Dichte (Verhältnis
Gesamt-PSA zu Prostatagesamtvolumen) und verschiedene Methoden zur
Darstellung der PSA-Kinetik (PSA-Velocity: Anstieg über ein Jahr - Grenzwert
0,4-0,75ng/ml pro Jahr; PSA-DoublingTime: Berechnung der Verdoppelungszeit). Der Dynamik des PSA-Verlaufes
kommt in Bezug auf die Indikationsstellung zur Biopsie und der Prognoseabschätzung vor Therapie sowie im Falle
eines Rezidivs immer größere Bedeutung zu.
Ein einmalig grenzwertig erhöhter
:
PSA-Wert sollte nicht zwingend eine
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: Prostatabiopsie nach sich ziehen, sondern besser im Abstand von sechs bis
zwölf Wochen kontrolliert werden. Von
den verschiedenen PSA-Isoformen hat
die freie PSA-Fraktion die größte Verbreitung gefunden, der Grenzwert liegt
zwischen 15 bis 20 Prozent. Die Wertigkeit der Bestimmung des freien PSAAnteils liegt primär in einer Hilfestellung
bei der Indikation zur Re-Biopsie im
PSA-Graubereich zwischen 4-10ng/ml.
Ähnlich verhält es sich mit dem neuen
molekularen, urin-basierten PCA-3-Test.
von drei bis zwölf Monaten empfohlen. Bei der Re-Biopsie werden zusätzlich die Transitionalzone und anteriore
Prostataanteile biopsiert, wobei zunehmend die sogenannte SaturationsBiopsie mit der Entnahme von 24 Biopsiezylindern und mehr angeboten
wird. Re-Biopsien sind in zehn bis 35
Prozent positiv (Evidenzlevel 2a); finden sich in der Erstbiopsie karzinomsuspekte Areale (vor allem ASAP (Atypical small acinary proliferation) sogar
in 30 bis 50 Prozent.
Prostatabiopsie
Stadieneinteilung
Die transrektale, ultraschall-gezielte, systematische Prostatabiopsie
mit acht bis zwölf lateral geführten
Stanzen ist heute die Standardmethode zum Nachweis eines Prostata-Karzinoms. Dieser Eingriff wird ambulant
unter antibiotischer Abschirmung
und in Lokalanästhesie durchgeführt.
Die Komplikationsrate ist bis auf eine
transiente Hämaturie, Blut am Stuhl
und Hämatospermie gering. Schwere
Komplikationen wie Sepsis und therapiebedürftige Makrohämaturie sind
selten. Ist die Erstbiopsie negativ, wird
- bei weiterhin bestehenden Tumorverdacht - eine Re-Biopsie im Abstand
Das TNM-Stadium beim ProstataKarzinom ergibt sich aus der digitorektalen Untersuchung, dem PSAWert, der Histologie, dem Befund im
transurethralen Ultraschall (TRUS) sowie der erweiterten Bildgebung bei gewissen Befundkonstellationen (Abb.1).
Zum Tumorgrading des Adenokarzinoms der Prostata hat sich der Gleason
Score international durchgesetzt. Hierbei wird die Gewebsarchitektur nach
dem Grad der Entdifferenzierung in 5
Grade klassifiziert (1: wenig - 5: vollkommen entdifferenziert). Der Score
ergibt sich aus der Summe der beiden
am häufigsten vertretenen Tumor-
Abb. 1: Primäres Prostata-Karzinom-Tumorstaging
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grade (2: relativ benigne, 10: höchst
aggressiv). Der goldene Standard beim
Lymphknotenstaging ist die pelvine
Lymphadenektomie (Abb. 1).
Bildgebung
Die Bildgebung mittels CT ist nur
bei PSA >20ng/ml beziehungsweise
GleasonScore 8-10 indiziert und falls
das Vorhandensein von LymphknotenMetastasen das weitere Vorgehen beeinflussen würde. Eine Knochenszintigraphie zur Diagnose von ossären
Metastasen sollte bei folgenden Befundkonstellationen durchgeführt werden (Abb. 1): (i) asymptomatischen
Männern mit einem PSA >20ng/ml,
(ii) Gleason Score 8-10 unabhängig
vom PSA und (iii) bei allen symptomatischen Männern.
In den letzten Jahren gab es laufend
Verbesserungen bei der Bildgebung
des Prostata-Karzinoms. Dazu zählen
der farbkodierte beziehungsweise kontrastmittelverstärkte transrektale Ultraschall, die Elastographie und vor allem
dynamische MRI-Techniken sowie
PET-CT. Allerdings ist derzeit keine
dieser Techniken im klinischen Routinebetrieb breit etabliert.
Abb. 2: Behandlungsalgorithmus für das loko-regionäre Prostata
Karzinom. LE=Lebenserwartung, WW=Watchful waiting
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Therapie
Die Therapie des Prostata-Karzinoms
richtet sich nach dem Tumorstadium,
dem (chronologischen) Alter, den CoMorbiditäten und der geschätzten Lebenserwartung.
Lokal-begrenzte Tumore
Prinzipiell stehen drei Therapieoptionen zur Verfügung (Abb. 2): kontrolliertes Zuwarten, radikale Prostatektomie und verschiedene Formen der
Strahlentherapie. Hinsichtlich der Überlegenheit einzelner Methoden kann aus
Ermangelung randomisierter Studien
keine valide Aussage gemacht werden.
Es existiert lediglich eine randomisierte
Studie zum Vergleich watchful waiting
versus radikale Prostatektomie.
Kontrolliertes Zuwarten
Die Basis für die Strategie des Zuwartens stellen mehrere Studien zum
natürlichen Verlauf dar. Diese konnten zeigen, dass die Prostata-spezifische
Mortalität für gut-differenzierte Tumore auch über einen langen Zeitraum
(zehn bis 20 Jahre) gering ist (zehn bis
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20 Prozent) (Evidenzlevel 2a). Beim
kontrollierten Zuwarten wird im Fall
einer Tumorprogression (PSA-Anstieg
oder Up-Grading/Up-Staging in der
Kontroll-Biopsie) eine Therapie (radikale Prostatektomie, Strahlentherapie,
Hormontherapie) eingeleitet, während
beim watchful waiting lediglich eine
palliative Therapie (Hormontherapie)
beim Auftreten von Symptomen erfolgt.
Ein kontrolliertes Zuwarten scheint bei
folgender Befundkonstellation sinnvoll:
PSA <10,0ng/ml, Gleason Score <6,
klinisches Tumorstadium cT1c-cT2b,
Lebenserwartung < zehn bis 15 Jahre.
Die bis dato vorliegenden Daten bestätigen die Sicherheit dieses Ansatzes.
Nahezu kein Patient verstirbt innerhalb
von zehn Jahren; verlässliche Langzeitdaten großer Kollektive fehlen allerdings
(Evidenzlevel 2a). Eine Therapie wird
im Verlauf bei 20 bis 40 Prozent der Betroffenen eingeleitet, meist jedoch nicht
wegen einer Tumorprogression sondern
auf Patientenwunsch; die Wahrscheinlichkeit für eine Therapieeinleitung ist
bei jüngeren Patienten größer.
Radikale Prostatektomie
Die radikale Prostatektomie ist die
einzige Behandlungsoption beim lokoregionären Prostata-Karzinom, für
die in einer randomisierten Studie
ein Überlebensvorteil im Vergleich zu
watchful waiting nachgewiesen werden konnte (Evidenzlevel 1b). Die
Indikation zur radikalen Prostatektomie besteht primär bei einem klinisch
lokal-begrenzten, mitunter aber auch
bei einem lokal-fortgeschrittenen Tumor und einer Lebenserwartung von
zumindest zehn Jahren. Zur objektiven
Abschätzung der Lebenserwartung haben sich validierte Instrumente wie
zum Beispiel der Charlson-Komorbiditätsindex bewährt.
Die radikale Protatektomie kann
heute auf vier verschiedenen Arten
(retropubisch, perineal, laparosko10. Oktober 2009
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Zur Risikostratifizierung des Prostata-Karzinoms hat sich das Schema von
D‘Amico durchgesetzt:
• Niederes Risikoprofil:
cT1c, PSA <10ng/ml, Gleason-Score
in der Biopsie <7 • Intermediäres Risikoprofil:
cT2a, PSA 10-20ng/ml u/o GleasonScore der Biopsie von 7
• Hohes Risikoprofil:
cT2b, PSA>20ng/ml u/o GleasonScore der Biopsie 8-10
Derzeit existieren mehr als drei Dutzend Nomogramme, um zum Beispiel
präoperativ eine bessere Abschätzung
der Tumorausdehnung beziehungsweise das Risiko für einen Lymphknotenbefall oder eine Prognose-Abschätzung
zu ermöglichen.
Histologischer Schnitt eines
Gleason Score 8 Tumors
pisch trans-/extraperitoneal oder roboter-assisitiert) durchgeführt werden.
Soweit es derzeit abgeschätzt werden
kann - randomisierte Studien liegen
nicht vor - sind alle vier Techniken
hinsichtlich der funktionellen und onkologischen Ergebnisse vergleichbar,
wobei der Erfahrung des Operateurs
die größte Bedeutung zukommt. In
Österreich ist der offen-retropubische
Zugang mit rund 70 Prozent die nach
wie vor am häufigsten angewandte
Methode; in den USA ist dies mittlerweile die roboter-assistierte Technik.
Das PSA-freie Überleben für zehn
Jahre korreliert eng mit dem primären
Tumorstadium. Bei Patienten mit
niedrigen und intermediären Risikoprofil werden Prozentsätze von 70 bis
90 Prozent erreicht.
Die Indikation und das Ausmaß der
pelvinen Lymphadenektomie werden
kontroversiell diskutiert. Patienten
mit einem niederen Risikoprofil haben
ein sehr geringes Risiko für Lymphknotenmetastasen (< fünf Prozent);
auf eine Lymphadenektomie kann verzichtet werden (Evidenzlevel 2a). Bei
Patienten mit einem intermediären
und vor allem hohen Risikoprofil wird
eine ausgedehnte Lymphadenektomie
empfohlen, da ein mehr als zehnprozentiges Risiko für pelvine Lymph
:
knotenmetastasen besteht (Evidenzle-
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state of the art
: vel 2a). Ob sich damit das Überleben
beeinflussen lässt, bleibt offen.
Die (neoadjuvante) Hormontherapie
vor radikaler Prostatektomie gilt heute
als obsolet, da Sie hinsichtlich des progressionsfreien- und des Gesamtüberleben keinen Vorteil gebracht hat (Evidenzlevel 1a).
Für Patienten mit positiven Lymphknotenmetastasen existiert eine (kleine)
prospektiv-randomisierte Studie, welche
einen deutlichen Überlebensvorteil für
die sofortige Hormontherapie nachweisen konnte. Allerdings hatte ein Großteil der Patienten makroskopisch vergrößerte Lymphknotenmetastasen, ein
heute seltener Befund (Evidenzlevel 1b).
Für Patienten mit mikroskopischem
Lymphknotenbefall kann derzeit keine
Empfehlung abgegeben werden. Meist
wird einer engmaschigen PSA-Kontrolle
der Vorzug vor einer sofortigen Hormontherapie gegeben. Ebenso verhält
es sich für Patienten mit einem positiven Resektionsrand.
Die perioperative Morbidität der radikalen Prostatektomie ist gering; das
Transfusionsrisiko liegt unter fünf Prozent und der postoperative Spitalsaufenthalt beträgt wenige Tage. Die zwei relevanten Nebenwirkungen der radikalen
Prostatektomie sind Harninkontinenz
und erektile Dysfunktion, wobei die
Prozentsätze für beide Komplikationen
in der Literatur sehr stark schwanken.
Die Verfeinerung der Operationstechnik, vor allem das nervenschonende
Vorgehen, haben zu einer deutlichen
Verbesserung der Kontinenzraten geführt; das Risiko für eine erektile Dysfunktion ist jedoch altersabhängig nach
wie vor relativ hoch. Auf die Vorstellung
von weiterführenden diagnostischen
und therapeutischen Maßnahmen im
Fall von Harninkontinenz und erektiler
Dysfunktion muss hier aus Platzgründen verzichtet werden.
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Externe Strahlentherapie
Die fraktioniert applizierte Strahlentherapie-Gesamtdosis richtet sich
nach dem Prostata-Karzinom-Risikoprofil. Für Patienten mit niedrigem
Risiko werden heute mindestens
70 Gy empfohlen. Liegt ein intermediäres Risikoprofil vor, so konnte in
einer Reihe von Studien der Vorteil
einer Dosis-Eskalation nachgewiesen werden. Eine Dosis von 74 bis
78Gy gilt heute als Standard. Meist
wird auch die zusätzliche Gabe eines
LHRH-Analogons für sechs Monate
empfohlen (Evidenzlevel 1b). Für die
Hochrisikogruppe wird ebenfalls eine
Dosis von 78Gy empfohlen. Bei dieser
Patientengruppe wird eine prolongierte (neo)adjuvante Hormontherapie
mit LHRH-Analoga für zwei bis drei
Jahre empfohlen (Evidenzlevel 1b).
Die Rolle der adjuvanten Irradiatio von Hochrisiko-Patienten (>pT3,
Gl>7) nach radikaler Prostatektomie
wurde in mehreren prospektiv randomisierten Studien untersucht. Dabei
konnte ein signifikanter Überlebensvorteil für die sofortige Strahlentherapie
gezeigt werden (Evidenzlevel 1b). Die
sofortige adjuvante Strahlentherapie
birgt allerdings die Gefahr einer Übertherapie bei der Hälfte der Patienten
in sich. Aus diesem Grund und wegen
der potentiellen Nebenwirkungen wird
heute die weitere Therapieentscheidung meistens vom PSA-Wert sechs
bis zwölf Wochen postoperativ beziehungsweise vom weiteren Follow up
abhängig gemacht.
Transperineale Brachytherapie
Bei der transperinealen Brachytherapie werden kleine radioaktive
Strahler (Palladium 103, Iod 125)
unter ultraschall- beziehungsweise radiologischer Kontrolle von perineal
permanent in die Prostata appliziert.
Aus onkologischer Sicht eignet sich die
Brachytherapie primär für Patienten
mit niedrigem und intermediärem
Prostata-Karzinom-Risikoprofil (in der
Regel keine Lymphadenektomie) und
einer Lebenserwartung von zumindest
zehn Jahren. Parallel dazu müssen gewisse anatomische und funktionelle
Vorraussetzungen geben sein: Prostatavolumen <40ml (falls zwischen 4060ml: neoadjuvante Hormontherapie
mit LHRH-Analoga für drei bis sechs
Monate; damit kann eine Volumenreduktion um 20 bis 30 Prozent erreicht
werden), kein relevanter Mittellappen, keine signifikante infravesikale
Obstruktion und keine ausgeprägten
Miktionsbeschwerden. Das progressionsfreie Überleben nach zehn Jahren
liegt zwischen 65 bis 85 Prozent; die
lokale Kontrolle weit über 90 Prozent
(Evidenzlevel 2a). Die häufigste Nebenwirkung ist eine transiente Verschlechterung der unteren Harntraktfunktion mit der Notwendigkeit einer
passageren Harnableitung (fünf bis
zehn Prozent) oder einer transurethralen Resektion der Prostata (< fünf Prozent). Fistelbildungen sind äußerst selten. Bei etwa der Hälfte der Patienten
bleibt langfristig die Erektion erhalten.
Alternative lokale Therapien
Die Kryo-Ablation - sie wird derzeit
in Österreich nicht angeboten - sowie
der transrektale fokussierte Ultraschall
(HIFU) stellen fokale Therapie-Optionen dar. Da verlässliche Langzeitdaten
fehlen, sollten diese Methoden nur nach
ausführlicher Aufklärung und am besten im Rahmen von klinischen Studien
durchgeführt werden.
Hormontherapie
Seit mehr als 60 Jahren ist der Adrogen-Entzug (initial chirurgisch, seit
etwa 20 Jahren primär mittels LHRHAnaloga) die Standardtherapie für Patienten mit einem lokal-fortgeschrittenen und vor allem metastasierten
:
Prostata-Karzinom.
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:
In den letzten Jahren wurde die Problematik der Langzeit-Nebenwirkungen
und Komplikationen der AndrogenBlockade wie Osteoporose, Anämie,
Adynamie, metabolisches Syndrom, Insulinresistenz bis hin zu einem potentiell
erhöhten kardiovaskulären Risikos zunehmend erkannt. Dies führte zu einer
strengeren Indikationsstellung sowie zu
alternativen Ansätzen (zum Beispiel intermittierende und verzögerte Hormontherapie, Antiandrogen-Monotherapie).
LHRH-Analoga
LHRH-Analoga sind seit mehr
als 20 Jahren die häufigste Form des
Androgenentzugs. Sie führen durch
Überstimulation der Rezeptoren auf
hypophysärer Ebene letztendlich zur
Unterdrückung der Testosteronproduktion. Heute stehen Ein-, Dreiund Sechs-Monatspräparate für die
subkutane Injektion zur Verfügung.
Zur Vermeidung eines flare-ups (Tumorprogression infolge des initialen
Testosteronanstieges unter LHRHAnaloga) wird die überlappende,
das heißt bereits eine Woche vorher
beginnende Gabe eines Anti-Androgens (für rund zwei bis vier Wochen) empfohlen, speziell bei relativ
hoher Tumorlast (PSA >200ng/ml)
und bei Metastasen im Wirbelkörperbereich mit der Gefahr der Spinalkanalkompression (Evidenzlevel 2a).
Maximale Androgenblockade
Die Rationale hinter der maximalen Androgenblockade (MAB) ist die
zusätzliche Blockade der aus der Nebenniere stammenden Androgene,
welche etwa fünf Prozent des GesamtTestosterons ausmachen. Dieser Ansatz wurde über zwei Jahrzehnte intensiv untersucht. Meta-Analysen zeigen
einen fünfprozentigen Überlebensvorteil für die maximale Androgenblockade (Evidenzlevel 1a). Es bleibt jedoch
umstritten, in wie fern dieser Vorteil
klinisch relevant ist, vor allem vor dem
Hintergrund der zusätzlichen Kosten.
Die maximale Androgenblockade wird
deshalb derzeit als Routinemaßnahme nicht empfohlen. Möglicherweise
erlebt die maximale Androgenblockade in Zukunft eine Renaissance, da
generische Anti-Androgene den Kostenfaktor reduzieren und die Bedeutung von sogenannten TestosteronDurchbrüchen und Miniflares unter
LHRH-Monotherapie zunehmend diskutiert wird.
Abb. 3: Indikation für eine Hormontherapie beim
Prostata-Karzinom
42
Intermittierende Hormontherapie
Die Rationale hinter der intermittierenden Hormontherapie ist eine
Verbesserung der Lebensqualität, eine
Verringerung der Kosten und gegebenenfalls eine Verlängerung des Zeitintervalls bis zum Erreichen einer
Hormon-Refraktärität. In einer Reihe
von Phase II-Studien konnte die Sicherheit dieses Ansatzes nachgewiesen
werden: mehrere große Phase-III-Studien laufen derzeit. Im Jahr 2009 wurde die erste randomisierte Studie zur
intermittierenden
Hormontherapie
publiziert. Diese zeigte Vorteile der intermittierenden Hormontherapie hinsichtlich der Lebensqualität und der
Kosten (Evidenzlevel 1b). Im GesamtÜberleben fand sich im Vergleich zur
kontinuierlichen
Hormontherapie
kein Unterschied, was der Hypothese, dass durch die intermittierende
Hormontherapie eine Verzögerung
des Eintritts der Hormon-Refraktärität und damit ein Überlebensvorteil
erreicht werden, widerspricht (Evidenzlevel 1b). Die intermittierende
Hormontherapie gilt jedoch (obwohl
relativ breit eingesetzt) bis zur Publikation von weiteren Phase III-Daten
nach wie vor als experimentell.
Abb. 4: PSA-Rezidiv nach radikaler Prostatektomie Algorithmus
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Steroidale und nicht-steroidale Antiandrogene blockieren intrazellulär den
Androgenrezeptor und beeinflussen damit den Serum-Testosteronspiegel im
Sinn einer Absenkung nicht. Aus diesem
Grund sind diese Präparate besser verträglich als der konventionelle Androgenentzug. Die beste Studienlage liegt
für Bicalutamid vor. Antiandrogene sind
primär für Patienten mit einem lokalfortgeschrittenen, nicht metastasierten
Tumor indiziert (Evidenzlevel 1b). Im
metastasierten Tumorstadium sind sie
den LHRH-Analoga unterlegen und
auch nicht zugelassen (Evidenzlevel 1b).
Im lokal-begrenzenten Tumorstadium
zeigte sich in einer Untersuchung ein
Überlebensnachteil im Vergleich zu Plazebo (Evidenzlevel 1b).
LHRH-Antagonisten
Seit kurzem ist in Österreich der erste
LHRH-Antagonist auf dem Markt. Diese Präparate blockieren die LHRH-Rezeptoren direkt und führen damit - im
Unterschied zu den LHRH-Agonisten
- zu einer sehr raschen Senkung des
Testosterons (ohne flare-up; vergleichbar der subkapsulären Orchiektomie),
auch miniflares (transiente TestosteronAnstiege) werden vermieden. In einer
randomisierten Studie konnte allerdings
kein Überlebensvorteil gegenüber einem
LHRH-Analogon nachgewiesen werden
(Evidenzlevel 1b).
Indikation zur Hormontherapie
Obwohl der Androgenentzug seit
über 60 Jahren den etablierten Standard
zur Therapie des fortgeschrittenen Prostata-Karzinoms darstellt, ist vor allem
der optimale Zeitpunkt zum Beginn der
Hormontherapie für viele Tumorstadien
nach wie vor umstritten (Abb. 3). Eine
Indikation zur sofortigen Hormontherapie ist bei symptomatischen Patienten zweifelsfrei gegeben (Evidenzlevel
3). Ob eine sofortige Hormontherapie
bei asymptomatischen Patienten einen
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Überlebensvorteil bietet, ist nach wie vor
unklar, auch wenn die Komplikationsrate unter sofortiger Hormontherapie
geringer ist (Evidenzlevel 1b) (Abb. 3).
Für lokal fortgeschrittene, nicht metastasierte Patienten konnte in zwei großen Studien ein (diskreter) Überlebensvorteil für die sofortige Hormontherapie
nachgewiesen werden (Evidenzlevel 1b).
Die Strategie des verzögerten Hormonentzugs (das heißt Therapiebeginn erst
beim Auftreten von Symptomen) wird
in Mitteleuropa (im Gegensatz zum
skandinavischen Raum) allerdings kaum
verfolgt.
PSA-Rezidiv nach
kurativer Therapie
Für ein PSA-Rezidiv nach kurativer
Therapie existiert keine einheitliche Definition. Nach radikaler Prostatektomie
wird heute ein PSA-Wert von >0,2ng/
ml, nach Strahlentherapie von 2,0ng/
ml über dem Nadir (= tiefster PSA-Wert
nach Therapie) als beweisend für ein
Tumor-Rezidiv angesehen. Die entscheidende Frage ist, ob ein lokales und/oder
systemisches Rezidiv vorliegt. Diese Frage ist vor allem nach radikaler Prostatektomie wegen des unterschiedlichen therapeutischen Vorgehens relevant. Eine
Differenzierung ist derzeit nur indirekt
möglich. So sprechen ein früher PSAAnstieg (< zwölf Monate), eine rasche
PSA-Verdoppelungszeit und ein niedrigdifferenzierter Primärtumor (Gleason
Score >7) eher für ein systemisches Rezidiv. Die weitere Therapieentscheidung
für Patienten mit einem vermuteten
Lokal-Rezidiv nach radikaler Prostatektomie sollte bei einem PSA-Wert zwischen 0,2-0,4ng/ml gefällt werden, da
nur in diesem niedrigen PSA-Bereich
eine potentielle kurative adjuvante Bestrahlung langfristig Erfolg versprechend
scheint (Evidenzlevel 2a). Bildgebende
Verfahren (CT, MRI, PET-CT) sind in
diesem PSA-Bereich kaum hilfreich und
verursachen nur Kosten (Evidenzlevel
10. Oktober 2009
© Doz. Madersbacher
Antiandrogene
Transrektaler Ultraschall im
Rahmen einer Biopsie
2a). Der zum Teil sehr lange natürliche
Verlauf der Erkrankung bei einem PSARezidiv nach radikaler Prostatektomie
sollte bei der Therapie-Entscheidung berücksichtig werden. Nach Brachytherapie oder externer Radiatio kommt in der
Regel nur antihormonelle Therapie (Antiandrogene oder Androgenentzug) in
Frage. Unter besonderen Bedingungen
insbesondere späten Rezidiven (> fünf
Jahre) kann eine neuerliche Radiotherapie sinnvoll sein.
Kastrationsresistentes
Karzinom
Patienten mit einem PSA-Anstieg
unter antihormoneller Therapie (cave:
Überprüfung des Testosteronwertes im
Falle von LHRH-Analoga) befinden
sich meist in einem fortgeschrittenen
Tumorstadium und werden relativ rasch
symptomatisch. Die durchschnittliche
Lebenserwartung beträgt ein bis drei
Jahre. Ein generell akzeptierter Therapie-Algorithmus für diese Patienten
existiert nicht. Sekundäre endokrine
Maßnahmen wie die Zugabe eines Andiandrogens beziehungsweise das Absetzen des Antiandrogens („antiandrogen withdrawl syndrome“) sowie die
Gabe von östrogenhaltigen Substanzen
:
wird empfohlen. Diese Maßnahmen
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state of the art
: können zu einer kurzfristigen Senkung
(vier bis sechs Monate) des PSA-Wertes
führen. Der Einfluss auf die Symptome
ist allerdings gering, jener auf das Gesamtüberleben nicht dokumentiert
(Evidenzlevel 2a).
Docetaxel gilt heute beim hormonrefraktären Prostatakarzinom als Chemotherapie der Wahl mit einem - wenn
auch bescheidenen - Überlebensvorteil
von medianen drei Monaten gegenüber
Methotrexat, vor allem aber einer deutlichen Verbesserung der Symptome und
der Lebensqualität (Evidenzlevel 1b).
Der positive Effekt von Docetaxel ist
unabhängig von Alter, Schmerzen, Performance Status sowie dem Vorhandensein von symptomatischen und asymptomatischen Metastasen (Evidenzlevel
1b). Trotz dieser positiven Ergebnisse
bleibt der optimale Zeitpunkt zum Start
einer Chemotherapie umstritten. Beim
asymptomatischen Patienten sollte die
Indikation (außer bei einem sehr raschen PSA-Anstieg) zurückhaltend gestellt werden.
Palliatives Management
Im hormonrefraktären Tumorstadium leiden viele Patienten unter
schmerzhaften
Knochenmetastasen.
Deswegen sollten das weitere Vorgehen
in Absprache zwischen Urologen, Onkologen, Radioonkologen, Schmerztherapeuten und Sozialarbeitern erfolgen.
Die Therapie der Wahl ist eine gezielte
Strahlentherapie, die bei rund 80 Prozent der Betroffenen zu einer Voll- oder
Teilremission der Schmerzen und zu
einer Re-Stabilisierung des betroffenen
Skelettabschnittes führt. Dasselbe gilt
für Lymphknoten-Metastasen, die zu
schwerwiegenden Druck- und Lymphabflussproblemen mit Ödembildung
führen können. Palliative Schmerzbestrahlung und Radionukleid-Therapie
(Samarium, Strontium), Cortison, adäquate medikamentöse Schmerzthera-
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pie und Anti-Emetika können zu einer
Besserung der Lebensqualität führen.
Zoledronsäure kann bei Patienten mit
einem ossär-metastasierten, kastrationsresistenten Prostata-Karzinom die Rate
an pathologischen Frakturen und Knochenereignissen signifikant vermindern
und dadurch die Lebensqualität verbessern (Evidenzlevel 1b).
Fallgruben bei
Diagnose und Therapie
Fallbeispiel 1
Ein 78-jähriger Patient wird am
Freitag Abend wegen seit Wochen bestehender Schmerzen am gesamten
Körper in einem auswärtigen Krankenhaus stationär aufgenommen. Am
Samstag berichtet der Patient über eine
zunehmende Schwäche der unteren
Extremität, welche anfangs auf einen
allgemeinen körperlichen Schwächezustand zurückgeführt wird. Der Patient entwickelt in weiterer Folge einen
inkompletten Querschnitt, weshalb
er am Montag auf die Neurochirurgie
transferiert wird. Ein CT zeigt multiple osteoplastische Metastasen - Verdacht auf ein Prostatakarzinom, da
der Serum-PSA Wert ist mit 4.350ng/
ml massiv erhöht. Es erfolgt die Vorstellung an unserer Abteilung, eine sofortige ultraschallgezielte Biopsie der
Prostata mit Schnellschnittbeurteilung
und die subkapsuläre Orchiektomie
als Notfallsmaßnahme sowie akute
Bestrahlung der für die Querschnittssymptomatik verantwortlichen Wirbelsäulenabschnitte. In weiterer Folge
kommt es zur deutlichen Regression
der neurologischen Symptomatik und
der Schmerzen.
Fazit: Bei jedem Patienten mit Symptomen, die durch ein lokal-progredientes (Makrohämaturie, infravesikale
Obstruktion) oder metastasiertes Prostata-Karzinom (Hydronephrose, Anä-
mie, Kreuz- und Knochenschmerzen,
inzipiente Querschnittslähmung) hervorgerufen werden können, muss differentialdiagnostisch an dieses Malignom
gedacht werden.
Fallbeispiel 2
Ein 82-jähriger Patient wird an der
medizinischen Abteilung wegen kardialer Beschwerden stationär aufgenommen. Der Patient ist von urologischer
Seite beschwerdefrei. Bei der Routineblutabnahme fällt ein erhöhter PSAWert von 13,0ng/ml auf und der Patient
wird mit der Bitte um Prostatabiopsie
an der Urologie vorgestellt. Von uns
wird eine PSA-Kontrolle in einem halben Jahr empfohlen mit dem Hinweis,
dass erst bei einem raschen PSA-Anstieg eine Biopsie in Betracht gezogen
werden sollte.
Fazit: Überdiagnose und in weiterer
Folge Übertherapie bedingt durch den
breiten Einsatz der PSA-Bestimmung
stellen eine der wesentlichen Herausforderung in der Frühdiagnostik des
Prostatakarzinoms dar. Eine PSABestimmung bei einem asymptomatischen Patienten mit einer Lebenserwartung von weniger als zehn Jahren
sollte unterlassen werden. 9
Literatur bei den Verfassern
*) Univ. Doz. Dr. Stephan Madersbacher1,
Priv. Doz. Dr. Anton Ponholzer,
Univ. Doz. Dr. Michael Rauchenwald;
alle: SMZ Ost Wien/Abteilung für Urologie und
Andrologie, Langobardenstrasse 122,
1220 Wien;
Univ. Doz. Dr. Robert Hawliczek, SMZ Ost
Wien/Institut für Radioonkologie;
Univ. Prof. Dr. Gero Kramer, Medizinische
Universität Wien/Universitätsklinik für Urologie;
Korrespondenzadresse:
Univ. Doz. Dr. Stephan Madersbacher,
Tel. 01/28 802/37 00;
E-Mail: [email protected]
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