Virtuelle Werkstoffe

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Virtuelle Werkstoffe
Virtuelle Realitäten | Personenstromsimulation
Virtuelle Realitäten | Material-Simulation
Arbeit im Detail: Materialforschung hat bei Siemens
seit jeher enorme Auswirkungen auf das Geschäft
aller Sektoren. Im Bild testet Dr. Stefan Lampenscherf
die Wärmeleitung einer keramischen Probe.
sammenhang sehr präzise wiedergeben: Je
dichter eine Menge wird, desto langsamer
bewegt sie sich. „Dadurch, dass wir die vielen
Einflussfaktoren auf das menschliche Gehverhalten stark aggregiert haben, können wir
unsere Algorithmen schlank halten. Das macht
unseren Simulator bei den Berechnungen so
schnell“, sagt Gerta Köster.
Dies ist vor allem wichtig, um die Personenstromsimulation für Kurzzeitprognosen einzusetzen. Ziel ist es, Einsatzleitern Entscheidungshilfen an die Hand zu geben, bevor etwas
passiert. Befinden sich etwa auf einem Bahnsteig nach Konzerten oder Fußballspielen bereits viele Fans und wird zusätzlich noch verspätet ein vollbesetzter Zug erwartet, könnten
Lotsen in der Leitzentrale per Knopfdruck eine
Kurzzeitprognose anfordern. Wüssten sie dann
durch Kösters Simulation bereits drei Minuten
vor einer kritischen Situation, dass sich eine lebensbedrohliche Verdichtung zusammenbraut,
könnten sie den Zug nicht einfahren lassen und
solange warten, bis der Bahnsteig leerer ist.
„Unser Simulator berechnet ein solches Szenario im Zeitraffer, zum Beispiel bei 5.000 Fuß-
und Kerninformationen herauszufiltern, um sie
in den Algorithmus einzubinden – eine wichtige Voraussetzung für eine schnelle Simulationsberechnung.
Genau dies ist ein Teilaspekt des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförder ten Projektes „Regionale Evakuierung – Planung,
Kontrolle und Anpassung“ (REPKA), an dem Siemens, die Technische Universität München, die
Polizeidirektion in Kaiserslautern sowie das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen beteiligt sind. Bei REPKA werden Perso nenströme nach Fußballspielen im Fritz-WalterStadion in Kaiserslautern analysiert. Ziel ist es,
eine Evakuierung des Stadions in einem Gebiet
mit einem Radius von einem Kilometer mit Hilfe
neuer Simulationsmodelle besser und flexibler
planen und kontrollieren zu können.
Kösters Part ist es dabei, ihre Simulationen so
zu skalieren, dass das Gehverhalten von 50.000
Menschen in Echtzeit berechnet werden kann,
ohne einen Großrechner einsetzen zu müssen.
Dabei soll zudem das Verhalten von Menschengruppen – etwa Fans oder Familien – einbezogen werden, die auch untereinander agieren.
Der Simulator berechnet Szenarien im Zeitraffer, etwa
bei 5.000 Fußgängern zehnmal schneller als in Echtzeit.
gängern zehnmal schneller als in Echtzeit“,
sagt Kösters CT-Kollege Dr. Wolfram Klein. Er
hat den Simulator maßgeblich programmiert.
Acht Erfindungen sind bereits zum Patent angemeldet, denn die Schnelligkeit dieses Simulationswerkzeugs ist weltweit einzigartig. Sie
übertrifft beispielsweise bei weitem Simulationen nach dem so genannten Multi-AgentenAnsatz, die mehrere Stunden laufen. Darüber
könne zwar genauer die Position einzelner Personen bestimmt werden, doch „bei uns geht es
darum, die Dichte einer Menschenmasse möglichst schnell zu berechnen“, sagt Gerta Köster.
Diesen mathematischen Ansatz haben weltweit erstmals die theoretischen Physiker Prof.
Dr. Kai Nagel und Prof. Dr. Michael Schreckenberg im so genannten Nagel-SchreckenbergModell für Verkehrssimulationen eingesetzt.
In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München am Fachbereich „Computation in Engineering“ um Prof. Dr. Ernst Rank ent wickelten ihn die Forscher von Siemens weiter.
Simulation mit Kameradaten. In Zukunft
macht Kösters Team den Simulator fit für die
Verarbeitung von Echtzeit-Daten, die über Kamerasysteme oder Funktechnologie erhoben
werden. Die Forscher wollen ihren Simulator
befähigen, die Daten online zu übernehmen
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Pictures of the Future | Herbst 2009
Und es gilt, die topographischen Gegebenheiten
rund ums Stadion zu beachten, das auf einer
Anhöhe, dem Betzenberg, inmitten eines dicht
bebauten Wohngebietes liegt. All das muss
nicht nur hochpräzise funktionieren, sondern
auch in Echtzeit. „Das sind große Herausforderungen“, sagt Köster. „Wir müssen unsere Modelle verbessern, testen und den Code anpassen,
damit er weiterhin sehr schnell bleibt.“
Über REPKA soll zudem ein virtueller Trainingssimulator entstehen, mit dem Einsatzleiter ab 2011 Rettungseinsätze durchspielen und
Auswirkungen ihrer Entscheidungen erfahren
können. „Wir wollen damit die Möglichkeit geben, virtuell Erfahrungen von Situationen zu
sammeln, die in der Realität nicht getestet werden können“, sagt Köster.
Die Szenarien sollen simulieren, was passiert, wenn Abgänge im Stadion wegen Feuer
gesperrt sind, wie die Menschen auf Durchsagen
reagieren, in welche Richtung sie laufen und
wo es zu bedrohlichen Verdichtungen kommen
könnte. Zusätzlich soll der Trainingssimulator in
Echtzeit zeigen, was passiert, wenn eine Rettungstür geöffnet wird. „Solche interaktiven Einflüsse nehmen wir dann zusätzlich in unsere Per sonenstromsimulationen auf und betreten damit
völliges Neuland in der Forschung“, sagt Gerta
Köster.
Nikola Wohllaib
Virtuelle Werkstoffe
Die Entwicklung eines
Werkstoffs am Computer
vom atomaren Aufbau
bis zur Frage, wie sich
das Material im späteren
Bauteil verhalten wird,
ist Ziel der Materialforscher von Siemens.
Mit Computermodellen
können sie ihre Ideen
testen, bevor sie das neue
Material aufwändig im
Labor herstellen und
vermessen.
H
eutige Werkstoffe sind schon sehr leistungsfähig. Will man weiter optimieren,
werden die Einflussparameter bald so vielfältig, dass man ihre schiere Zahl und ihre vielschichtigen Zusammenhänge nicht mehr rational und im Experiment erfassen kann.“ So
beschreibt Dr. Wolfgang Rossner die Herausforderung eines Materialforschers. Rossner leitet in der zentralen Siemens-Forschung, der
Corporate Technology (CT), die Entwicklung
keramischer Werkstoffe – deren Anwendungen reichen von neuen Stoffen für Leuchtdioden über Detektoren in der Medizintechnik
bis zur Beschichtung von Gasturbinen.
Wo also bei der Optimierung der Materialien
ansetzen? Bei ihrer Struktur, der chemischen
Zusammensetzung oder dem Herstellungsprozess? Sofort tauchen weitere Fragen auf. Um
zum Beispiel einem porösen Stoff eine andere
Struktur zu geben, kann man Größe, Form oder
Verteilung der Poren ändern. Aber welche
Maßnahme bringt am meisten? Es ist, als stünde der Forscher an einem Schaltpult voller Regler, deren jeweilige Wirkung er nur grob kennt.
Dazu kommt, dass alle Rädchen ineinander
greifen. Ändert er einen Parameter, wird sich
das an anderer Stelle auswirken. Jede einzelne
Variante im Labor herzustellen und zu testen,
kostet aber zu viel Zeit und Geld.
Vor allem Computermodelle helfen den
Materialwissenschaftlern, Schneisen durch das
Dickicht der Möglichkeiten zu schlagen (Pictures
of the Future, Frühjahr 2006, S.70). Am virtuellen Werkstoff spielen sie durch, wie sich einzelne Parameter auf sein Verhalten auswirken. So
identifizieren sie Zusammenhänge zwischen Materialeigenschaften, bestimmten Mikrostrukturen
und der chemischen Zusammensetzung, die es
möglich machen, ein gewünschtes Werkstoffverhalten einzustellen. Dadurch lernen die Forscher schon vor Beginn der Laborversuche, welche Veränderungen Erfolg versprechen. Darüber
hinaus sind virtuelle Materialien perfekt definiert. Im Labor kämpft der Experimentator mit
unbekannten Nebeneffekten, die eine gesuchte
Wirkung leicht verdecken können. Modelle dagegen arbeiten mit idealisierten Materialien unter definierten Bedingungen. Liefert eine gezielte Materialveränderung in der Simulation
nicht die gewünschte Wirkung, kann man sie
ziemlich sicher ausschließen. So loten die Forscher am Modell auch die physikalischen Grenzen eines Werkstoffs aus.
Die physikalischen Grenzen eines Experiments dagegen überwinden sie virtuell: Am
Computer simulieren sie Belastungen – zum
Beispiel extrem hohe Temperaturen, die sie im
Labor nicht nachstellen können. Anhand der
Modelle lässt sich dann einschätzen, welche
Mechanismen die Lebensdauer eines Materials
und damit eines Bauteils bestimmen. „Wie sich
der Werkstoff in der Anwendung verhält", sagt
Rossner, „das will man nicht erst nach der Produktion wissen, sondern schon bei seiner Entwicklung berücksichtigen.“
Das Thema ist wichtig, nicht nur für Siemens: Neue oder verbesserte Werkstoffe bringen Wettbewerbsvorteile und sind der Motor
für Innovationen. Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert deshalb
die virtuelle Werkstoffentwicklung mit 20 Millionen Euro. Zwei der insgesamt 14 Verbundprojekte werden bei Siemens CT koordiniert.
Analyse auf atomarer Ebene. Die Forscher
wollen für jede Anwendung genau verstehen,
wie die Struktur und Zusammensetzung des
Werkstoffs sein Verhalten bestimmen. Erst
dann wissen sie, wie sie einem Material gezielt
eine gewünschte Eigenschaft verleihen können
oder wo sie ansetzen müssen, um Bauteilversagen auszuschalten. Ihre Arbeit führt sie tief
hinein in den Werkstoff. Vor etwa vier Jahren
hat Rossners Mitarbeiter Dr. Stefan Lampenscherf mit der so genannten Multi-SkalenModellierung begonnen. Dabei werden verschiedene Simulationsmethoden kombiniert,
um einen Werkstoff durchgängig von seinem
atomaren Aufbau bis hin zu seinem Verhalten
im Bauteil zu beschreiben. Die Modelle erfassen dabei die unterschiedlichsten Größenordnungen. So sind Mikrostrukturen im Material –
zum Beispiel Körnigkeit, Poren oder Risse – typischerweise Bruchteile von Millimetern groß.
Sie werden mit der Finite Elemente Methode
(FEM) gut beschrieben, einem Verfahren, das
ein Stück Werkstoff am Computer in kleinste
Bausteine unterteilt, bis hinunter zu Größen
von einzelnen Materialkörnern, die typisch einige zehntel bis hundertstel Millimeter groß sind.
Um andererseits die Auswirkung der chemischen Zusammensetzung eines Materials zu
untersuchen, brauchen die Forscher Methoden,
um die Wechselwirkungen auf einer noch kleineren Skala, nämlich zwischen Atomen, zu beschreiben. Am genauesten geht das mit der
Dichtefunktionaltheorie (DFT), welche die quantenmechanischen Wechselwirkungen zwischen
Atomen beschreibt. In diesem Fall setzt aber
die verfügbare Rechenzeit Grenzen. Für angewandte Forschung, wie Siemens sie betreibt,
sind Rechenzeiten bis zu einigen Tagen noch
akzeptabel. Damit lassen sich mit den heute
verfügbaren DTF-Methoden und Rechenkapazitäten aber nur etwa 1000 Atome erfassen.
Will man jedoch eine Struktur von nur einem
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Virtuelle Realitäten | Material-Simulation
tausendstel Millimeter Größe auf atomarer
Ebene simulieren, müsste man die Wechselwirkungen von Milliarden Atomen berechnen. Das
würde alle Ressourcenrahmen sprengen. Einen
möglichen Ausweg bieten weniger detaillierte
molekulardynamische Modelle. Sie beschreiben
vereinfacht die Bewegung der Atome in einem
Kraftfeld, dem interatomaren Potenzial. Die
näher werden. Ähnlich wie FEM heute in vielen
Entwicklungsabteilungen etabliert ist, werden
auf lange Sicht atomare Modelle auch von Werkstoffexperten ohne detaillierte quantenmechanische Kenntnisse bedient werden können.
Effizienz durch Simulation. Wie ihre Arbeit
in der Praxis aussieht, zeigen Rossner und sein
Grundlage einer erfolgreichen Materialentwicklung: das
enge Zusammenspiel zwischen Experiment und Modell.
quantenmechanischen Vorgänge im Material
stecken dann in der Definition dieses Potenzials.
Die Kunst der Materialwissenschaftler in
Rossners Team ist es also, für jede Fragestellung das richtige Modell auszuwählen. Das tun
sie, indem sie die Werkstoffe eingehend im Labor vermessen und ihre Ergebnisse permanent
Mitarbeiter Dr. Philip Howell an Wärmedämmschichten für Gasturbinenschaufeln. Die einige
zehntel Millimeter dünnen keramischen Schichten schützen die Metallschaufeln vor Temperaturen von über 1.300 Grad Celsius. Die Schicht
hält einem Temperaturunterschied von einigen
100 Grad zwischen Ober- und Unterseite stand.
ein FEM-Modell. Diese virtuelle Probe dient
dann dem Vergleich mit ihrem realen Pendant:
Passt die simulierte Wärmeleitfähigkeit zu den
im Labor gemessenen Werten und bestätigt
sich damit das verwendete Modell? Erst dann
beginnen die Forscher, die Struktur des Werkstoffs und seine Materialzusammensetzung zu
verändern. Hoch wärmeisolierende Keramik
besteht heute vorwiegend aus Zirkonoxid. Die
Forscher wollen zum Beispiel testen, ob sie
durch Zugabe anderer Atome die Wärmeleitfähigkeit herabsetzen können.
Um die Auswirkung dieser Maßnahme abzuschätzen, arbeitet Philip Howell unter anderem mit Forschern am Fritz-Haber-Institut in
Berlin an atomaren Modellen für solche Keramiken. Der Knackpunkt liegt in der Anpassung
an die konkrete Fragestellung, erzählt er: „Das
molekulardynamische Modell, mit dem wir die
Wärmeleitfähigkeit beschreiben wollen, benötigt ein passendes interatomares Potenzial, hier
nen metallischen photonischen Kristall beschrieb, der im Vergleich zu Glühwendeln heutiger Lampen, die vor allem Wärmestrahlung
abgeben, einen höheren Anteil an sichtbarer
Strahlung aussenden sollte. Photonische Kristalle wirken wie sehr präzise Lichtfilter – sie emittieren oder absorbieren aufgrund ihrer Struktur
nur Licht bestimmter Wellenlängen. Anstatt
nun im Labor mit der komplizierten Herstellung
eines solchen Kristalls zu beginnen, wandten
sich die Osram-Entwickler an Siemens CT. Sie
wollten prüfen, ob die im Patent beschriebene
Struktur tatsächlich den angekündigten Effekt
liefern würde.
Wolfgang Rossners Team versuchte zunächst,
eine solche Struktur im Labor zu erzeugen.
Schon die ersten Schritte erwiesen sich erwartungsgemäß als äußerst schwierig, aber der
Wettbewerber hätte ja durchaus über einen geeigneten Herstellungsprozess verfügen können.
Deshalb arbeitete Howell parallel mit Experten
Auf den Punkt …
Von automatisierten, virtuellen Produk-
LEUTE:
tionslinien für Hörgeräte über voll funktions-
Verknüpfung von Bildsystemen:
fähige 3D-Kopien realer Gebäude bis zu
Dr. Jürgen Simon, Healthcare
Trainingsanwendungen im Cyberspace:
[email protected]
Siemens ist führend bei den wirtschaftlichen
Christine Lorenz, CT
Anwendungen der virtuellen Welt. (S.88)
[email protected]
Frank Sauer, CT
In verschiedenen Projekten gelingt Siemens-
[email protected]
Forschern bereits eine Bildfusion von Daten aus
Virtuelle Konferenzen:
CT-, MRT-, Ultraschall- und anderen Geräten
Dr. Steve Russell, CT
sowie eine Visualisierung über Augmented
[email protected]
Reality, was Diagnosen und Behandlungen
Stuart Goose, CT
künftig wesentlich verbessern dürfte. (S.92)
[email protected]
Dr. Yakup Genc, CT
Immer mehr lässt sich in der virtuellen Welt
Vom Atom bis zum Bauteil
Moleküldynamik (z.B. für
thermische Leitfähigkeit)
MultiskalenModellierung
Atomare Eigenschaften
(z.B. für Phononendispersion)
Digitale Keramik: Die Forscher verfeinern die
Multimedia-Dokumentation:
Anlage „Virtureal“ in Second Life ganz reale
Sylvia Glas, CT
Wartungsarbeiten durchführen, als ob man
[email protected]
vor Ort wäre. Das kann dazu beitragen, durch
Sarah Witzig, CT
weniger Reisen Energie zu sparen. (S.95)
[email protected]
Virtuelle Schaufelradbagger:
Siemens hat eine kostengünstige Tech-
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(rechts), das sie mit einem Computertomographen
vermessen und digitalisiert haben (Mitte).
Ramesh Subramanian, Ingenieur in der Siemens-Division Fossil Power Generation, rechnet
vor, was eine bessere Keramik bringt: „Eine Wär medämmschicht, die höheren Temperaturen
standhält und eine niedrigere Wärmeleitfähigkeit hat, reduziert den Aufwand für die Kühlung
der Turbine. Bei einer Gasturbine der F-Klasse
führt eine Temperaturerhöhung um 100 Grad
zu einer Steigerung der Energieeffizienz von
etwa einem Prozent. Das klingt wenig, aber der
Betreiber kann so pro Jahr etwa ein bis zwei
Millionen Euro Brennstoffkosten sparen.“
Auf der Suche nach einer Keramik mit besserer Wärmeisolierung betrachten die Wissenschaftler zunächst den Einfluss ihrer Mikrostruktur. Mit einem Computertomographen
(CT) vermessen sie ein Stück Keramik und übertragen die Mikrostruktur möglichst genau in
Dr. Thomas Baudisch, CT
nologie zur Dokumentation und Archivierung
[email protected]
entwickelt. Sie verbessert die Visualisierung
Roland Rosen, CT
komplexer Inhalte, von medizinischen Be-
[email protected]
fundbildern bis zu virtuellen Modellen von
Personenstromsimulation:
Industriegütern – und all das interaktiv im
Dr. Gerta Köster, CT
3D-Multimedia-Kontext. (S.96)
[email protected]
Mikrostruktur an einer virtuellen Kopie des Originals
mit den Modellrechnungen abgleichen. Für
Rossner liegt darin die Grundlage für erfolgreiche Materialentwicklung: „Das enge Zusammenspiel zwischen Experiment und Modell
zeichnet unsere Gruppe besonders aus.“
Eine große Herausforderung ist es außerdem, die Modelle miteinander zu verzahnen –
also zum Beispiel aus dem atomaren Modell
heraus Eigenschaften für die Bausteine des
FEM-Modells abzuleiten. Unter anderem deshalb pflegt die Arbeitsgruppe engen Kontakt zu
Hochschulen und Forschungsinstituten in aller
Welt – beispielsweise zu den Universitäten
Cambridge und Oxford und dem Max-PlanckInstitut für Eisenforschung in Düsseldorf. Vor
allem dort sitzen die Experten für atomare Modelle. Sie können mit ihrem tiefen Verständnis
für die Methodik und die quantenmechanischen Vorgänge im Werkstoff helfen, sinnvolle
Materialmodelle von der atomaren bis zur makroskopischen Skala zu entwickeln. Rossner erwartet, dass die Modelle in Zukunft viel praxis-
[email protected]
erledigen: So lassen sich mit Hilfe der Siemens-
Dr. Wolfram Klein, CT
für Zirkonoxid. Einen Grundlagenforscher interessieren aber meistens prinzipielle Fragen, zum
Beispiel ob ein Modell in der Lage ist, eine gesuchte Eigenschaft – in unserem Fall die Wärmeleitfähigkeit – atomar zu beschreiben. Dafür
reicht der Nachweis an einem Modellmaterial,
für das ein Potenzial existiert. Wir in der Industrie hingegen müssen ein produktfähiges Bauteil entwickeln und brauchen belastbare Aussagen für einen ganz bestimmten Werkstoff.
Deshalb müssen dann eigene Potenziale für
spezifische Stoffe entwickelt werden“. Derzeit
prüft Howell, ob sein molekulardynamischer
Ansatz geeignet ist, um brauchbare Trendaussagen für die Wärmeleiteigenschaften von
Zirkonoxidkeramik zu erzeugen.
Physikalische Grenzen entdecken. In einem
anderen Fall ist Howell bereits am Ziel: Ein Konkurrent von Osram hatte drastische Effizienzsteigerungen bei Glühlampen angekündigt.
Recherchen förderten ein Patent zutage, das ei-
für die computertechnische Modellierung photonischer Kristalle zusammen. Sie ließen virtuelle perfekte Strukturen entstehen, wie sie im
Labor bisher nicht erzeugt werden konnten.
Nur weil auch die Simulationen das im Patent
beschriebene Verhalten nicht zeigten, waren die
Forscher überzeugt, dass die Ankündigung der
revolutionären Lichtquelle nicht belastbar war.
Und in der Tat: Sie wurde später zurückgezogen.
Dr. Klaus Orth, Entwicklungsleiter für thermische Strahler bei Osram Consumer Lighting,
ist zufrieden: „Die Idee, metallische photonische
Kristalle zu verwenden, ist nicht neu, aber wir
waren uns eigentlich sicher, dass sie den Temperaturen von bis zu 2.700 Grad Celsius über die
gesamte Lampenlebensdauer nicht standhalten
würden. Die Simulationen haben zudem gezeigt, dass die im Patent veröffentlichten Strukturen auch physikalisch nicht zum Erfolg führen. Nur bei positiven Simulationsergebnissen
hätten wir mit den aufwändigen Laborarbeiten
begonnen.“
Christine Rüth
Siemens entwickelt einen Simulator für
[email protected]
riesige Schaufelradbagger. Das Ziel: neue Auto -
Virtuelle Werkstoffe:
matisierungstechnik zu testen, und die Geräte-
Dr. Wolfgang Rossner, CT
führer am virtuellen Objekt zu schulen. (S.98)
[email protected]
Dr. Stefan Lampenscherf, CT
Mit der Simulation von Personenströmen
[email protected]
soll künftig die Sicherheit in Stadien oder an-
Ramesh Subramanian, Energy
deren öffentlichen Plätzen verbessert werden.
[email protected]
Mit einer von Siemens und der TU München
Dr. Klaus Orth, Osram: [email protected]
entwickelten Software werden in Echtzeit gefährliche Verdichtungen in den Menschen-
Jaron Lanier: [email protected]
massen identifiziert, visualisiert und Maßnah-
Prof. Nassir Navab: [email protected]
men ergriffen, bevor etwas passiert. (S.101)
LINKS:
Die Entwicklung eines Werkstoffs am
Webpage von Jaron Lanier:
Computer – vom atomaren Aufbau bis zur
www.jaronlanier.com
Frage, wie sich das Material im Bauteil verhal-
Webpage von Prof. Nassir Navab:
ten wird – ist Ziel der Materialwissenschaftler
www.navab.in.tum.de
von Siemens. An Modellen, die das Verhalten
Computation in Engineering, TUM:
eines Werkstoffs nachbilden, können sie ihre
www.inf.bauwesen.tu-muenchen.de
Ideen testen, bevor sie das neue Material auf-
Biosense Webster Inc.:
wändig im Labor herstellen. (S.102)
www.biosensewebster.com
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