Unten fahrende Verbundschalwagen

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Unten fahrende Verbundschalwagen
BRÜCKENBAU
FACHBEITRAG
Unten fahrende
Verbundschalwagen
Abbildung 1: Je Brückenseite
sorgen zwei unten fahrende
Verbundschalwagen für raschen
Baufortschritt bei der Talbrücke
Nuttlar im Sauerland.
Fotos und Grafiken: Doka
ie einzellige Stahlverbundbrücke Nuttlar liegt im Zuge
des Neubauabschnitts der
Bundesautobahn A 46 zwischen den Anschlussstellen Bestwig-Velmede und
Nuttlar. Sie überspannt in einer Höhe von
115,00 m das Tal des Schlebornbachs.
Nach ihrer Fertigstellung wird sie die
höchste Talbrücke Nordrhein-Westfalens
sein. Ihr Überbau weist einen geschlossenen Stahlkasten mit außenliegenden
Schrägstreben auf.
Die Fahrbahnplatte mit ihrer konstanten
Querneigung entsteht im Pilgerschrittverfahren in Ortbeton. Ihre Dicke beträgt im
Innenfeld 40 cm und an den Kragarmrändern 25 cm. Am Brückenrand kragen die
im Drittelspunkt unterstützten Kragplatten frei aus.
Zwei Paare aus insgesamt vier identischen
Verbundschalwagen sind zur Herstellung
des Stahlverbund-Überbaus im Einsatz.
Sie sind unten fahrend ausgelegt, d.h. sie
hängen an den Stahlverbund-Längsträgern der Kragplatten. Die Schalung selbst
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arbeitet ankerlos ohne Durchdringung der
Fahrbahnplatte.
Dies war einerseits vom Bauherrn so vorgegeben. Andererseits gewährleistet dies
das störungsfreie Arbeiten von oben beim
Bewehren, Betonieren und Glätten.
Statische Belastung
des Stahlverbund-Längsträgers
Grundsätzlich erzeugen bereits die direkten Einwirkungen auf die als Verfahrträger
genutzten
StahlverbundLängsträger mehr als eine reine Vertikalbeanspruchung.
Hier sind Eigenlasten der Verbundschalwagen, Betongewichtslasten der Fahrbahnplatte, Materiallagerung und Verkehrslasten im Arbeitsbetrieb zu nennen.
Durch die Lage ihrer Resultierenden zum
Aufhängepunkt am Stahlverbund-Längsträger verursachen sie ein Moment. Dieses
Moment ist durch ein Kräftepaar in den
Stahlbau einzuleiten.
Dies gilt ebenso für zusätzliche horizontale Einwirkungen durch z.B. Windbelastung auf den Schalwagen.
Das genannte Moment und die äußeren
Horizontallasten können durch zwei verschiedene Methoden in den Stahlbau eingeleitet werden.
Damit verbunden sind unterschiedliche
Anforderungen an den Stahlbau – im Speziellen an den Stahlverbund-Längsträger.
Stahlverbund-Längsträger
mit Torsionsbeanspruchung
Variante 1: Sofern der StahlverbundLängsträger statisch für eine planmäßige Torsionsbeanspruchung ausgelegt ist,
können das Moment sowie etwaige äußere Horizontallasten durch ein horizontales
Kräftepaar (AH, BH) in den Stahlbau geleitet werden. Hierbei greift die Horizontallast AH am Untergurt des StahlverbundLängsträgers und die Horizontallast BH
an der Unterkante des Hohlkastenquerschnitts der Brücke an.
Stahlverbund-Längsträger
ohne Torsionsbeanspruchung
Variante 2: Sollte der Stahlverbund-Längsträger der Kragplatten nicht auf eine Tor-
Filigrane Verbundbrücken erfordern
ein hohes Augenmerk auf die Statik
der Schalwagen.
Seit Jahren ist ein Trend zu filigraneren, Material sparenden Stahlüberbauten von Verbundbrücken erkennbar. Vor allem die ästhetische Erscheinungsweise, Dauerhaftigkeit
und wartungsarme Konstruktion dieser Bauwerke sind hierfür maßgebend. In der Bauphase wirkt sich diese leichte Herstellungsart jedoch auf die Einleitung von Eigengewicht und
Betonierlasten aus den Verbundschalwagen aus. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit
den statischen Bedingungen und zeigt Lösungsansätze am Beispiel der Talbrücke Nuttlar
im Sauerland.
Alexandra Sell und Thomas Streicher
Abbildung 2: Statisches System
mit Torsionsbeanspruchung des
Stahlverbund-Längsträgers
sionsbeanspruchung ausgelegt sein, ist die Konstruktion insofern
anzupassen, als die Momentenbeanspruchung über ein vertikales Kräftepaar (AV, BV) abzuleiten ist. Planmäßig auftretende Horizontallasten – z.B. aus Wind – sind hierbei über einen beiderseits definierten Druckkontakt in die Unterkante des Hohlkastens
einzuleiten.
Die Kopplung zweier gegenüberliegender Verbundschalwagen
mittels Zugband gewährleistet, dass Horizontallasten aus beiden
Richtungen sicher beherrscht werden. Dieses Zugband ist während des Überfahrens der Brückenpfeiler aus- bzw. wieder einzubauen.
Für beide Varianten gilt, dass sich die Vertikallast am Stahlverbund-Längsträger nicht immer gleichmäßig links und rechts
neben dem Steg einstellen wird. Diese ungleichmäßige Lastverteilung ist in der Regel weniger ein Torsionsproblem, als vielmehr
ein lokales Biegemomentenproblem im unteren Flansch des
Stahlverbund-Längsträgers. Der Untergurt muss entsprechend
der erwarteten Lasten dimensioniert sein.
Abbildung 3: Statisches System
ohne Torsionsbeanspruchung des
Stahlverbund-Längsträgers
te in den Stahlbau.Verzogen wird jeder Verbundschalwagen auf
Rollenauflagern mit Hilfe eines hydraulischen Schreitwerks.
Während des Betoniervorgangs hängen die Verbundschalwagen zusätzlich in Aufhängezangen. Zum Umsetzen sind
Teile der Schalung über einen Wippträger hydraulisch einklappbar, um die Schrägstreben zu queren. Je sechs synchronisierte Hydraulikzylinder pro Wagen vereinfachen und erleichtern
den Ein- und Ausschalvorgang erheblich.
Technische Lösung
für die Talbrücke Nuttlar
Als technische Lösung kam bei der Talbrücke Nuttlar die Variante 2 zur Anwendung. Sie besteht aus einem statischen System im Zusammenwirken von Wagenebene, Schalungsebene
sowie Hub- und Absenkeinheit. Dabei erlaubt eine eigenständige Wagenebene die optimale Weiterleitung aller Auflagerkräf-
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FACHBEITRAG
Abbildung 4: Die jeweils gegenüberliegenden Verbundschalwagen sind mittels Zugbändern in jeder
Gespärrescheibe gekoppelt, um die Horizontallasten aus beiden Richtungen sicher zu beherrschen
Abbildung 5: Ist der Stahlverbund-Längsträger
der Kragplatten (im Bild oben Mitte) nicht auf
eine Torsionsbeanspruchung ausgelegt, muss
der Schalwagen die Momentenbeanspruchung
über ein rein vertikales Kräftepaar ableiten
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Infos
Fazit + Bewertung
www.doka.de
Es empfiehlt sich, die genannten Abhängigkeiten zwischen Stahlverbund-Längsträger
und Verbundschalwagen bereits bei
Planung und Auslegung von Stahlverbundbrücken zu berücksichtigen. Für Variante
2 muss – ausgehend vom konkreten Fall
der Talbrücke Nuttlar – mit etwa 10 bis
15% höheren Kosten der Verbundschalwagenkonstruktion gerechnet werden. Hinzu
kommt die aufwändigere Handhabung
beim Überfahren der Brückenpfeiler.
Alexandra Sell
Senior Structural
Engineer, Entwicklung AT Deutschland
Tel.: 08141/394 - 0
Thomas Streicher
Senior Project
Technician, Competence Center
Bridges – Gruppe
München
Tel.: 08141/394 - 0
Bauwerksdaten
Gesamtlänge:
660,00 m
Konstruktionshöhe:
6,00 m
Konstruktionsbreite:
29,20 m
Höhe über Talgrund:
115,00 m
Tragwerksart:
Deckbrücke
Stützung:
Widerlager und Pfeiler/Stützen
Stützweiten:
77,00 m, 2 x 95,00 m, 115,00 m,
2 x 97,50 m, 83,00 m
Gründung:
Flachgründung,
Bohrpfahlgründung
Fahrbahnplattenbreite:
28,60 m
Kragarmbreite:
rd. 9,00 m
Betonagelängen:
19,20 m bis 25,00 m
Anzahl der Wochentakte:
28
Beton:
C 35/45
Radius:
1.000,00 m
konstante Querneigung:
4%
Schalungsvorhaltung:
4 Stück unten fahrende
Doka-Verbundschalwagen
Bauausführung:
Max Bögl Bauunternehmung
GmbH & Co. KG, Sengenthal
Schalungsplanung:
Doka Competence Center
Bridges – Gruppe Maisach
Statische Berechnung:
Entwicklung AT Deutschland,
Maisach, Ing. Büro SuessStaller-Schmitt, Gräfelfing