Gut verkaufte Geschichte - Haute école de gestion ARC

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Gut verkaufte Geschichte - Haute école de gestion ARC
Schweiz am Sonntag, Nr. 12, 22. März 2015
22 WIRTSCHAFT
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Die Swiss
fliegt in Genf
ins Minus
VON BENJAMIN WEINMANN
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Die Expansion in Genf gehört für die
Swiss zu den wichtigsten Strategiepfeilern. Ende 2012 startete die LufthansaTochter ihr Vorhaben, in der welschen
Metropole ihren Marktanteil auszubauen und Platzhirsch Easyjet Kunden abzujagen. Doch in der Branche ist zu hören,
dass die Swiss Mühe hat, es auf einen
grünen Zweig zu bringen.
«Unser Businessplan in Genf war
von Anfang an sehr ambitiös», sagt
Swiss-Operationschef Rainer Hiltebrand.
Die Strategie funktioniere nicht
schlecht. Auf die Frage, ob die Swiss inzwischen schwarze Zahlen schreibe, sagt
er: «Wir sind auf einem vernünftigen
Weg, aber noch nicht am Ziel.»
DIE GENFER EXPANSION reisst also ein
Loch in die Swiss-Kasse. Und daran wird
sich so rasch nichts ändern. Laut Mediensprecher Mehdi Guenin ist der
Break-even in der Calvin-Stadt erst für
2017 budgetiert.
Die Swiss steht in Genf vor einer
grossen Herausforderung. Denn sie
muss sich bei der Westschweizer Kundschaft in Erinnerung rufen. In der Vergangenheit hatte Genf in den Plänen der
Swiss lange Zeit ein Schattendasein ge● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
2,3 Millionen
So viele Passagiere zählte die Swiss
2014 ab Genf. Dies entspricht einem
Marktanteil von 15,2 Prozent.
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fristet. Mit der Folge, dass die emotionale
Verbindung der Bevölkerung zur Schweizer Fluggesellschaft auf der Strecke blieb.
Die Konkurrenz nutzte dies aus und profitierte vom rasanten Wachstum im Genfer Seebecken. Der Flughafen präsentiert
Jahr für Jahr einen neuen Passagierrekord, und die britische Billigairline Easyjet etablierte sich als eigentlicher «Home
Carrier» der Genfer mit einem Marktanteil von über 40 Prozent.
Jener der Swiss lag Ende 2013 bei
14,4 Prozent, letztes Jahr waren es erst
15,2 Prozent. Die Passagierzahl stieg
zwar um 11 Prozent auf 2,3 Millionen.
Doch das ist zu wenig angesichts der
enormen Investitionen, die die Swiss in
Genf getätigt hat. Denn mittlerweile bedient sie 42 Destinationen – gegenüber
13 vor der grossen Expansion. SwissOperationschef Hiltebrand eröffnete eine Genfer Personalbasis und stellte
160 neue Angestellte ein, insbesondere
für die Kabine. Die Marketingkosten
wurden stark erhöht. Und mit Lorenzo
Stoll holte die Swiss einen langjährigen
Nestlé-Manager für die Expansion.
Wie gut die Flüge gefüllt sind, will
Sprecher Mehdi Guenin nicht sagen.
Aber die Auslastung entspreche im
Durchschnitt ungefähr derselben wie
jener des gesamten Europanetzes, wo
sie 77,6 Prozent beträgt. Die kommenden Monate werden für die Swiss in
Genf nicht einfacher. Denn sie bewegt
sich in einem Spannungsfeld im Kampf
gegen die Low-Cost-Airlines und die
Fluggesellschaften aus dem arabischen
Raum. Oder, wie es Sprecher Mehdi
Guenin sagt: «Wir müssen ständig attraktive Preise und Destinationen anbieten, ohne jedoch die Swiss-Qualität
zu reduzieren.»
KOMMT HINZU, dass die Swiss eigentlich
bereits ab 2014 mit den neuen C-SeriesFliegern von Bombardier ab Genf fliegen wollte. Doch die haben Verspätung.
Die neuen Maschinen wären kostensparender als die heutigen Maschinen.
Swiss-Chef Harry Hohmeister rechnet
frühestens Anfang 2016 mit der Inbetriebnahme der neuen Kurzstreckenflotte, wie er letzte Woche im Rahmen der
Jahreszahlenpräsentation bestätigte.
Easyjet kündigte derweil an, im
Frühling fünf neue Ziele ins Streckennetz aufzunehmen, das damit 69 Destinationen umfassen wird. Zudem rechnen die Engländer mit einem Wachstum von 5 bis 10 Prozent.
Blancpain – seit 1735. Doch wäre die Marke nicht in den Achtzigern wiedererweckt worden, gäbe es sie heute wohl nicht mehr.
KEYSTONE/GEORGIOS KEFALAS
Gut verkaufte Geschichte
Die Uhrenmarken setzen auf Emotionen – und Tradition ist die beste Variante davon
Die «älteste Uhrenfabrik» der
Schweiz ist auch die jüngste.
Denn für ein Start-up ist nichts
interessanter als die Adoption
einer brachliegenden Marke.
VON MICHAEL HEIM
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B
reitling 1884», «Oris 1904»
«Blancpain 1735», «Breguet
1775». Wer durch die Uhrenmesse Baselworld schlendert,
trifft überall auf Jahreszahlen. Seit Jahrhunderten, so die Botschaft,
werden im Jura von Hand Uhren zusammengeschraubt. Es ist die Faszination
des Echten, der Tradition. Doch so wertvoll das Material der Uhren und so hart
die verarbeiteten Edelsteine, so brüchig
sind die Traditionen, die in Wirklichkeit
hinter vielen Zahlen stehen.
Da gibt es Extremfälle wie die Marke «Julien Coudray 1518». Diese sei ein
reines Fantasieprodukt, gibt der Vertreter der Firma zu. Man spiele auf den ersten Uhrmacher von Paris an, der vor 500
Jahren gelebt haben soll. Mit dessen Familie hat die Uhrenfabrik aber genauso
wenig zu tun wie mit dessen Uhren. Gegründet wurde die Schweizer Herstellerin teurer Uhren im Jahr 2010. Heute gehört sie einem belgischen Industriellen.
Nicht immer ist der Fall so klar. Viel
häufiger kommt es vor, dass ein Hersteller sich einer Marke bedient, die eigentlich längst verblichen ist. Die Reaktivierung erlaubt ihm, ein Produkt mit Geschichte auf den Markt zu werfen, das
sonst keine hätte. Man müsse solche Traditionen immer skeptisch betrachten,
sagt René Weber, auf Luxusgüter spezialisierter Aktienanalyst der Bank Vontobel. «Es gibt sicher Fälle mit Hand und
Fuss», sagt er. «Andere aber sind reines
Marketing. Da kauft einer Marken und
Produkte zusammen und verpackt das
in eine schöne Geschichte.»
ZWISCHEN DEN EXTREMEN finden sich
viele Graustufen. Etwa die Firma DuBois
& Fils. Sie ist gemäss Werbung mit 250
Jahren die «älteste Uhrenfabrik der
Schweiz» – und zugleich ein Start-up, das
sich im Internet mit Crowdfunding Kapital besorgte, um seine erste Kollektion
auf den Markt bringen zu können.
Hinter DuBois steht Thomas Steinemann. Bis 2009 arbeitete er für die
US-Firma Fossil, doch da wollte er weg.
Er habe sich eine «Prinzessin» gesucht,
die man wachküssen könne, erzählt er,
und wurde bei DuBois fündig, die seit
den 90er-Jahren einem deutschen Rohstoffhändler gehörte. «Ich hatte eine Liste von Marken, die mich interessierten»,
erzählt er. DuBois war eine davon.
STEINEMANN IST ein Marketing-Profi.
Eine eigene Produktion hat DuBois
nicht. Erst müsse man ein Retailkonzept
aufbauen, den Vertrieb organisieren. Die
alte Marke helfe dabei, sagt er, auch
wenn man sie nicht in den Vordergrund
stellen wolle. Mit der Familie DuBois sei
man in Kontakt, könne etwa das Archiv
nutzen. Auch habe man alte Uhren übernommen, die nun wieder verkauft werden. Doch gross beteiligt sind die DuBois
nicht. Die Firma gehört Steinemann und
einem Pool an Minderheitsaktionären.
Ein ähnlicher Fall ist «H. Moser &
Cie.», die dank einer Finanzspritze von
Medizinaltechnik-Unternehmer Thomas
Straumann Bekanntheit erlangte. Die
Marke war bereits über Jahrzehnte inaktiv, als sie 2005 durch einen Ex-Manager
von IWC wiederbelebt wurde. Auch dieser suchte sich einen Namen, auf dem er
aufbauen konnte.
Moser war eine alte Marke. 1828 in
St. Petersburg gegründet, war die Firma
in Russland einst eine grosse Nummer.
In Schaffhausen wirkte Heinrich Moser
als Industrieller, baute etwa ein Kraftwerk. Doch beim Tod des Firmengründers 1874 begann der Niedergang. Seine
Frau verstand nichts vom Geschäft, wie
Urenkel Roger Balsiger erzählt. «Die Firma änderte mehrfach die Hand. In den
60er-Jahren verliert sich die Spur.»
Balsiger und die Familienstiftung
der Mosers waren an der Neulancierung
beteiligt. Ansonsten hat die neue Firma
mit der alten wenig zu tun. Die frühere
H. Moser & Cie. war dermassen tot, dass
sie nicht einmal mehr als eine gültige
Marke eingetragen war. Nach einem harzigen Start und einem ersten Besitzerwechsel scheint die Firma nun gut unterwegs zu sein. «Bis Ende Jahr erwarten
wir schwarze Zahlen», sagt Balsiger.
Die Wiederbelebungsversuche von
Moser und DuBois haben berühmte Vorbilder. Hublot-Präsident Jean-Claude Biver machte sich in den Achtzigerjahren
zur Legende, als es ihm gelang, aus der
verstaubten Blancpain wieder eine grosse Marke zu machen. Eine andere Erfolgsgeschichte war Breguet, eine der äl-
■ SO VIELE UHRMACHER-LEHRLINGE WIE NOCH NIE
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Die Schweizer Uhrenindustrie
muss sich derzeit keine Sorgen
um ihren Nachwuchs machen.
Wie eine diese Woche veröffentlichte Statistik zeigt, ist der Uhrmacherberuf weiterhin beliebt bei
den Schulabgängern.
Die Branche stellte 2014 insgesamt 472 neue Lehrverträge für
Uhrmacher und verwandte Berufe
wie Mikromechaniker, Mikrozeichner und Polisseur aus. Das entspricht einem Plus von 8 Prozent
gegenüber dem Vorjahr. Im Vergleich zum Jahr 2004 bedeutet
dies ein Wachstum von 75 Prozent. Damals stellte die Uhrenbranche 269 Lehranfänger ein.
Die Statistiken des Arbeitgeberverbandes reichen bis ins Jahr
1984 zurück: Den Tiefpunkt registrierte die Branche im Jahr
1991, als lediglich 70 Lehrlinge
einen Abschluss machten.
Wer Uhrmacher werden will, kann
dies klassisch in einem Lehrbetrieb und mit dem Besuch einer
Berufsschule tun oder eine Vollzeitschule absolvieren. Während
die Zahl der Lehrstellen in den Betrieben in den letzten Jahren stagnierte, nahmen Ausbildungsverträge in Vollzeitschulen deutlich
zu. Gab es 2009 noch 118 Einsteiger in eine Schule, waren es letztes Jahr insgesamt 201. BEAT SCHMID
testen Uhrenmarken, die aber praktisch
bedeutungslos geworden war. Grund für
die vielen brachliegenden Marken war
eine heftige Krise, welche die Branche in
den Siebzigerjahren auf den Kopf gestellt hatte. Viele Hersteller mussten aufgeben, als die einst teuren Quarzwerke
aus Fernost plötzlich billiger wurden als
Schweizer Uhrwerke. Die Massenproduktion von früher rechnete sich schlicht
nicht mehr.
Ulrich Herzog kam in dieser Zeit als
Krisenmanager zur Marke Oris. Die Firma aus Hölstein BL hatte einst zu den
fünf grössten Schweizer Herstellern gehört. 1928 hatte sie bereits acht Fabriken
und einen Absatz von mehr als einer Million Uhren pro Jahr. Doch die Quarzkrise
warf auch sie aus der Bahn. Irgendwann
gehörte sie zur Swatch-Vorgängerin
Asuag und produzierte nur noch Verluste. Als die Asuag beschloss, Oris zu
schliessen, habe das Management die
Marke und 60 von 220 Mitarbeitern
übernommen, sagt Herzog, der noch
heute Oris-Präsident ist. Der Neustart gelang. Zwar werden weniger Uhren als
früher verkauft. Doch der Umsatz ist höher, denn die Uhren kosten mehr.
DAS FUNKTIONIERT nicht immer. FavreLeuba, einst eine namhafte Marke, wurde nach der Krise mehrfach verkauft.
1995 ging sie an den Konzern LVMH,
nach der Jahrtausendwende kaufte die
spanische Familie Lopez die Rechte. Sie
suchte den Neustart und liess in Basel
eine alte Villa zum repräsentativen Firmensitz umbauen. Doch das Projekt
misslang. Mittlerweile gehört die Marke
dem indischen Tata-Konzern, ohne dass
Uhren produziert werden. Auch dieser
spekuliert auf die Geschichte. Offenbar
war Favre-Leuba auf dem Subkontinent
einst erfolgreich und wurde in einem
Atemzug mit grossen Marken genannt.
Geschichte sei für viele Marken ein
starkes Verkaufsargument, sagt François
Courvoisier, Dozent für Uhrenmarketing
an der Haute Ecole Arc in Neuenburg.
Für eine Wiederbelebung brauche es jedoch viel Geld und Geduld. Marke und
Design sei das eine. Die wahre Herausforderung aber sei es, die Uhr dann auch
in die Handelskanäle zu bringen.