Hamburger Diskurs-DL21_TTIP_15-03

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Hamburger Diskurs-DL21_TTIP_15-03
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Hamburger Diskurs
Regionalgruppe HH/S-H
44. Ausgabe: März 2015
Freihandelsabkommen
.....
“Regulatorischer Mechanismus“
gefährdet unsere Demokratie!
In einem Interview mit dem Hamburger Diskurs äußert sich Altbürgermeister Ortwin Runde zu den Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und CETA (Comprehensive Economic and Trade
Agreement”. CETA ist, wie die zuständige EU-Handelskommissarin Malmström vor einer Woche in Berlin mitteilte,
„ausverhandelt“. Jetzt würde der Text rechtlich geprüft und übersetzt. Danach könne das Abkommen von den zuständigen Gremien verabschiedet werden.
Diskurs: Warum schließen wir nicht
mit den Entwicklungsländern, den
Fortsetzung S. 2
www.forum-dl21.de
Kein Kurswechsel der SPD!
Dietrich Lemke
S. 2
So nicht! Nachverhandeln!
Beschluss der Regionalgruppe S. 5
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ISDS verfassungswidrig?
Michael Seide m
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S 6
S. 7
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Wer gewinnt, wer verliert?
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Verbraucherschutz ausbauen
Manfred Körner............
S. 8
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Impressum:
sa
Ortwin Runde: Es gibt ja eine ganze
Reihe von Gutachten und Prognosen,
die allerdings auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Orientiert man sich an dem jüngsten
Gutachten der Bertelsmann-Stiftung
zu TTIP, dann können wir in Deutschland auf längere Sicht mit einem
geradezu zu vernachlässigendem Anstieg der Arbeitsplätze um ein halbes
Prozent rechnen, die Reallöhne werden von den Gutachten auch nur mit
einem Plus von 2,2 % prognostiziert.
Regulatorische Mechanismen
Interview mit Ortwin Runde S. 1
Ku
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Gewinne. Nun hören wir, dass eine
Veränderung der Warenströme aber
auch Verlierer zurücklässt. Wer wären die Gewinner und wer die Verlierer von TTIP und CETA?
Inhalt
el
Altbürgermeister Ortwin Runde
nd
Diskurs: Wer ein Handelsabkommen
mit einem anderen vereinbart, er-
Veränderungen anderer ökonomischer Faktoren, wie beispielsweise
Währungsrelationen, haben da einen
sehr viel stärkeren Stellenwert. Interessanter klingt die prognostizierte
Umlenkung der Handelsströme. Die
USA sollen mit einem Zuwachs der
Handelsströme aus Deutschland um
98% profitieren. Der Innereuropäische Handel soll sich im Gegenzug
im Schnitt um 30% veringern. Eine
entsprechende innereuropäische Diskussion vermisse ich bisher.
v.i.S.d.P.: Dietrich Lemke
ha
Ortwin Runde: Man darf nicht vergessen, dass die Mehrheiten auf der
europäischen Ebene immer noch konservativ-neoliberal sind und entsprechend der Apparat. Deshalb machen
die USA, Brüssel, insbesondere aber
auch Bundeskanzlerin Merkel Druck,
um die Abkommen schnellstmöglich
unter Dach und Fach zu bringen. Wenn
es Frau Malmström gelänge, den Verträgen den Status von „gemischten
Abkommen“ zu verweigern, müssten
nicht einmal alle 28 EU-Staaten den
Abkommen zustimmen. Die Verträge
könnten dann schnell durchgewunken
werden, und die aufkeimende kritische Diskussion hätte ein Ende. Wenn
die Rechtsprüfung aber ergeben sollte, dass es sich doch um „gemischte
Abkommen“ handelt, dann gebe es
erstmalig Zeit für eine transparente,
breite öffentliche Diskussion.
wartet für sich eine Verbesserung
der Situation durch mehr Warenaustausch, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, höhere Löhne, höhere
Fr
ei
Diskurs: Um mit einer provozierenden Frage zu beginnen: Es hat schon
viele Verhandlungen über Freihandelsabkommen gegeben, die nicht
zum Erfolg geführt haben. So hat
das Europäische Parlament beispielsweise das Anti-Counterfeiting Trade
Agreement, kurz ACTA (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) nach
breiten internationalen Protesten
abgelehnt. Auch das Multilaterale
Abkommen über Investitionen (MAI)
scheiterte insbesondere am Widerstand Frankreichs. Welche Chancen
räumst du den diskutierten Abkommen TTIP und CETA noch ein?
Internationales Handelsgericht
BRICS-Staaten, insbesondere mit der
Russischen Föderation Freihandelsabkommen?
Ortwin Runde: Es gibt ja bereits mit
einer ganzen Reihe von Ländern Abkommen, und auch im Rahmen der
WTO gibt es seit 2012 Vereinbarungen. Aber du hast Recht: Am Ende
brauchen wir faire Handelsvereinbarungen für den Welthandel, wie sie
im Rahmen der WTO auch immer wieder angestrebt worden sind.
Diskurs: Die Türkei hat vor ein paar
Tagen gegen die transatlantischen Handelsabkommen protestiert und angedroht, die Zollunion mit der EU zu verlassen. Ist Erdogan zu aufgeregt?
Ortwin Runde: Die Türkei fürchtet,
dass die USA - aufgrund der Zollunion zwischen der Türkei und der EU
- in der Türkei einen neuen Absatzmarkt bekommt, ohne dass die Türkei mit ihren Produkten einen entsprechenden Absatzmarkt in den USA
bekommt. Die Bertelsmann-Stiftung
rechnet deshalb mit einem Verlust
von rund 95.000 Arbeitsplätzen in der
Türkei. Dieser Umstand zeigt deutlich die Nachteile bilateraler Abkommen, die immer auch in der Gefahr
sind, Dritte auszugrenzen und deren
Interessen nicht mit abzuwägen.
Diskurs: Die größten Bedenken bezüglich der Abkommen betreffen den
so genannten Investorenschutz. Danach können Unternehmen Staaten
vor privaten Schiedsgerichten verklagen, wenn sie sich benachteiligt
fühlen. Auf dem Konvent im September letzten Jahres hat unsere Partei
beschlossen, private Schiedsgerichte
kategorisch abzulehnen. Inzwischen
hat man im beabsichtigten Abkommen mit Kanada festgelegt, dass die
privaten Schiedsgerichte nur qualifiziertes Personal einstellen, mehr
Transparenz herstellen und auch eine
Revisionsinstanz einrichten sollen.
Vor diesem Hintergrund wird von
Kritikern der Abkommen befürchtet,
dass die SPD ihren Widerstand gegen
die Schiedsgerichte aufgeben könnte.
Ist an der Befürchtung etwas dran?
Ortwin Runde: Für einen Rechtsstaat
wie die Bundesrepublik sind private
Schiedsgerichte für internationale
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Handelskonflikte – wie auch immer
sie verfasst sind – inakzeptabel. Darauf hat die Grundwertekommission in
dankenswerter Klarheit hingewiesen.
men beschlossen worden. Darauf haben sich die 160 Mitglieder der WTO
geeinigt. Warum reicht dieses Abkommen den USA und der EU nicht aus?
Diskurs: Thomas Oppermann und Dirk
Wiese haben auf dem Kongress zum
Freihandelsabkommen die Einrichtung eines internationalen Handelsgerichtshofs ins Gespräch gebracht.
Ist das eine gute Idee?
Ortwin Runde: Das Bali-Abkommen
wurde von den Staaten akzeptiert,
weil nach sehr langen zähen Verhandlungen darauf geachtet worden
war, Vor- und Nachteile für die einzelnen Länder in ein einigermaßen
ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
Mit den transatlantischen Abkommen
wird versucht, bilaterale Standards
zu setzen, um privilegierte Handesbeziehungen zu ermöglichen. Dies
beinhaltet immer auch die Gefahr
des Ausschlusses von anderen Akteuren auf den Märkten. Eine offene weltweite Kommunikation über
Regelwerke für globalisierten Handel ist dem immer vorzuziehen. Die
nötigen wertorientierten Prinzipien
dazu hat die Grundwertekommission
vorgeschlagen (siehe Kasten S.5).
Ortwin Runde: Ja, das kann ich mir
gut vorstellen. Es könnte allerdings
nicht der EUGH sein, weil die USA
diesem u.U. Parteilichkeit vorwerfen
würden. Das Beste wäre ein Internationaler Handelsgerichtshof angebunden bei der WTO.
Diskurs: Kritik an den Abkommen
gibt es ja nicht nur in Europa. Die USamerikanische Senatorin Elizabeth
Warren, die sich für eine stärkere
Aufsicht und Kontrolle der Wallstreet
einsetzt, fürchtet, die Finanzmarktregulierungen der USA könnten durch
die Handelsabkommen unter Druck
geraten, und der Gesetzgeber in den
USA könnte bei seiner Steuer- und
Finanzgesetzgebung noch zurückhaltender agieren als bisher, um Klagen
von Finanzkonzernen gegen den amerikanischen Staat von vornherein aus
dem Weg zu gehen. Ist diese Befürchtung nicht überzogen?
Ortwin Runde: Nein, ich halte die
Befürchtung für sehr berechtigt.
Positiv finde ich, dass sich nun auch
in den USA eine vertiefte Diskussion
über das Verhältnis global agierender
Unternehmen zu den demokratisch
verfassten und legitimierten Staaten geführt wird. CETA enthält lange
Kapitel zum Thema Finanzmärkte,
und weil es bisher für die Staaten
schon unmöglich war, den Finanzsektor zu regulieren, wird es dann noch
schwerer, weil bei jeder Maßnahme
der Staaten und seiner zuständigen
Behörden befürchtet werden muss,
dass ein privates Schiedsgericht den
handelnden Staat zur Kasse bittet mit
dem Vorwurf, dem jeweiligen Finanzinstitut seien wegen regulatorischer
Maßnahmen Nachteile entstanden.
Diskurs: Vor zwei Jahren ist ein weltweites Abkommen im Rahmen der
WTO, das so genannte Bali-Abkomwww.forum-dl21.de
Diskurs: In den Entwürfen der Abkommen ist von der Einrichtung sogenannter „Regulatorischer Mechanismen“
die Rede. Dadurch soll bewirkt werden, dass die Stakeholder von Anfang
an in die Gesetzgebung der Handelspartner einbezogen werden. Läuft
das auf die „Idealvorstellung“ einer
marktkonformen Demokratie hinaus?
Ortwin Runde: Wir sprechen viel
über die privaten Schiedsgerichte
und ihre Gefahren für unsere Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit und
ihre Auswirkungen auf unsere Demokratie. Diese Probleme verschärfen sich noch einmal auf der Ebene
der Einrichtung der „regulatorischen
Mechanismen.“ Danach soll den Konzernen bereits im Vorfeld der Verabschiedung von Gesetzen die Möglichkeit gegeben werden, Einfluss auf
den Gesetzgebungsprozess und die
Gesetzgebungsvorhaben zu nehmen.
Daraus ergibt sich die Frage, welche Gestaltungsmöglichkeiten den
demokratisch legitimierten Staaten
in der sich weiter globalisierenden
Wirtschaft selbst noch verbleiben.
Bisherige Erfahrungen mit fehlender
Transparenz und einer fehlenden Beteiligung der breiten Öffentlichkeit
stimmen mich nicht optimistisch.
Hier ist unsere Partei gefordert, sehr
deutlich Position zu beziehen. ####
Beschlusstreue
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TTIP/CETA/TISA - Kein Kurswechsel der SPD!
Der Kongress zum Freihandelsabkommen in Berlin am 23. Februar 2015 kam für viele Genossinnen und Genossen
unerwartet. Gerade einmal fünf Monate zuvor hatte die SPD auf einem Konvent am 20. September 2014 in einem Beschluss „Erwartungen an die transatlantischen Freihandelsgespräche“ formuliert:
• “Hohe Standards bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucher- und Umweltschutz, der Daseinsvorsorge
sowie für hohe demokratische und
rechtsstaatliche Standards...
• In jedem Fall sind Investor-StaatSchiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen, wie
„Faire und Gerechte Behandlung“
oder „indirekte Enteignung“ abzulehnen... und
• Die Fähigkeit von Parlamenten und
Regierungen, Gesetze und Regeln
zum Schutz und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger zu erlassen,
darf auch nicht durch die Schaffung
eines „Regulierungsrates“ im Kontext regulatorischer Kooperation
erschwert werden.“ Soweit so klar! Im Übrigen sollte der
weitere Verhandlungsprozess intensiv
begleitet werden, um die Meinungsbildung innerhalb der SPD weiter
voranzubringen „mit fortlaufenden
Berichten über den Stand der Verhandlungen sowie geeigneten Formaten für
eine innerparteiliche, sachorientierte,
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
politische Debatte.“ Der Kongress in
Berlin war für diesen innerparteilichen
Diskussionsprozess eher kein geeigneter Einstieg, denn es lagen keine neuen
Fakten oder Informationen über die
Verträge oder den Verhandlungsstand
vor. Die TTIP-Vertragstexte sind immer noch nicht veröffentlicht, und den
1600 Seiten umfassenden CETA-Text
gibt es bisher immer noch ausschließlich in englischer Sprache. Keine gute
Grundlage für die angekündigte basisnahe Diskussion! Daraus lässt sich die
Befürchtung ableiten, mit dem Berliner
Das „Panel“ in Berlin mit Sigmar
und Frau Cecilia Malmström
Kongress solle eine Kurskorrektur des spruchsvoller sein würden als die zwiKonventbeschlusses in Sachen Freihan- schen den USA und uns, glaube vermutdelsabkommen eingeleitet werden. lich niemand. Der Abbau tarifärer und
Diese Befürchtungen konnten durch nicht-tarifärer Handelshemmnisse sei
die Rede unseres Vorsitzenden und sei- gerade für mittelständische Unternehne weiteren Einlassungen am 23.2.15 in men besonders wichtig.
Berlin nicht überzeugend ausgeräumt
Die genannten Vorteile – so Sigmar
werden:
- setzten aber voraus, dass die AbkomIn seinem Eingangsstatement stellte men den Primat der Politik über die
Sigmar fest, wir bräuchten eine Diskus- Märkte nicht aufheben. Ein Abkommen,
sion auf der Basis von Fakten und nicht das die Marktkonformität der Demoauf der Basis von diffusen Vermutungen; kratie voraussetzen würde, wäre mit
TTIP sei eine Debatte über ein Handels- unserem europäischen und deutschen
abkommen von großer Bedeutung, weil Verfassungsverständnis nicht vereinbar.
es mehr sein werde, als ein normales Han- Freihandelsabkommen dürften also wedelsabkommen. Es werde keinen Angriff der bestehende Gesetze zum Schutz der
auf existierende Regeln oder Gesetze Verbraucher, der Umwelt, der Kultur änim europäischen Raum oder in Kanada dern oder unter Rechtfertigungsdruck
geben, das heiße aber nicht, „dass un- bringen, noch dürfen sie das Recht gesere Gesetzgebung nicht indirekt durch wählter Parlamente oder Gremien komdieses Freihandelsabkommen unter munaler Selbstverwaltung in irgend eiDruck geraten könne.“ Das Ziel sei nicht, ner Weise einschränken. „Ein modernes
demokratische Regulierung zu verhin- Handelsabkommen, dass die Welthandern... Wir wollen die Standards für Ver- delsarchitektur bestimmen soll, darf z.B
braucherschutz, Umweltschutz und Ar- nicht Deregulierung zum bestimmenbeitnehmerrechte selbst festlegen, aber den Prinzip machen.“ Denn das „right to
„dazu seien wir angewiesen auf Partner.“ regulate,“ das in der Demokratie frei geTTIP solle im Zeitalter der ökonomischen wählten Parlamenten vorbehalten sei,
Globalisierung ein neues Kapitel globa- dürfe weder durch scheinbar technische
ler Handelspolitik aufschlagen. Es ginge Gremien wie den „Rat für regulatorische
um ein transatlantisches Vorbild für eine Kooperation“ noch durch Schiedsgeglobale Handelsarchitektur, denn das richte unterlaufen werden.
Stoppen der Verhandlungen auf der EbeNach diesen Aussagen unseres Vorne der WTO zeige, dass dort einstweilen sitzenden ließ sich noch nicht erkennen,
jedenfalls nicht zu erwarten ist, dass dort ob unsere Parteispitze sich von der LiStandards für den Welthandel entwi- nie des Konvents entfernen will. Stutzig
ckelt werden. Dass Abkommen zwischen machte dann aber ein weiterer Werbeden Vereinigten Staaten und China an- block für TTIP: Sigmar bemühte gar ein
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Problem der Bilateralen Abkommen
4
Diktum eines Bischofs von Hildesheim,
der als Ziel der Globalisierung verkündet
habe: Gerechtigkeit für alle und nicht
Reichtum für wenige! Ja, wer wollte da
nicht zustimmen! Bedauerlicher Weise aber enthalten die 1600 Seiten von
CETA nicht eine einzige Zeile, die auf
Schiedsgerichten eingesetzt, also nicht
für deren komplette Streichung, sondern
für einen anderen Weg. Wir wollen klarstellen, dass amerikanischen Investoren
keine größeren Rechte eingeräumt werden als europäischen Investoren.“ Genosse Gabriel nannte dann auch
Details, wie die Schiedsgerichtsbarkeit
aussehen soll:
1.Wir wollen, dass ein eigenes CETA
Schiedsgericht mit qualifizierten
Richtern, Berufsrichtern oder qualifizierten Wissenschaftlern gebildet
wird,
2.deren Verfahren öffentlich sein mögen.
3.Wir wollen, dass Entscheidungen des
Schiedsgerichts überprüft werden
können, und dass Entscheidungen
Frau Cecilia Malmström
nationaler Gerichte nicht in Schiedswill nicht nachverhandeln
verfahren aufgehoben werden können.
dieses Ziel ausgerichtet ist. Warum also 4. Investoren müssen sich entweder für
das übertriebene Werben für CETA und
das Schiedsverfahren oder den natiTTIP, in dem sogar eine Offenheit für den
onalen Rechtsweg entscheiden.
Beitritt von Schwellenländern in das at
lantische Bündnis angedeutet wird mit Gelingen müsse es, so führte Sigmar
der Option einer späteren Erweiterung Gabriel weiter aus, die Schiedsverfahren
von Russland?
Wo also ist der Haken? Sigmar verweist
an dieser Stelle seiner Rede, also nach
dem Werbeblock, auf den kritischen
Punkt der Abkommen: Das InvestorStaat-Schiedsverfahren! „Ich halte diese
ISDS-Verfahren (Investor-State-DisputeSettlement), wie wir sie kennen aus der
Vergangenheit, für überhaupt nicht in
die Zukunft übertragbar.“ Bei der Mandatserteilung durch die damalige Bundesregierung (CDU/FDP) habe sie eine
Protokollnotiz abgegeben, bei der sie
erklärt habe, dass sie der Meinung sei,
dass zwischen etablierten Rechtssystemen wie den USA und Europa eigentlich
Thomas Oppermann will
gar keine besonderen Schiedsverfahren
erforderlich seien. Wenn man allerdings Internationalen Handelsgerichtshof
etwas näher hinschaue, müsse man sich
mit Blick auf kleine und mittelständische aus dem Eindruck herauszulösen, es gebe
Unternehmen (KMU) fragen, ob das stim- hier eine Sondergerichtsbarkeit. Nein,
me. Ob wir wirklich einen Mittelständler nicht um die Schiedsverfahren aus dem
auf die amerikanische Gerichtsbarkeit Eindruck herauszulösen, muss es gehen,
verweisen wollen. Mit Blick auf China als vielmehr darum, die private Sondermüsse man fragen, ob solche Schiedsver- gerichtsbarkeit aufzuheben. Immerhin
fahren nicht doch Sinn geben, die Frage hat Sigmar aber betont, am Ende solle
sei doch, wer dort Richter ist. An diesem das stehen, was „Thomas Oppermann eiWochenende hätten die sozialdemokrati- nen internationalen Handelsgerichtsschen Partei- und Regierungschefs noch hof genannt hat, das ist die Richtung in
einmal ihre Haltung dazu deutlich ge- die wir gehen müssen.“ macht: „Wir haben uns für die Einführung
Mit der Aufzählung (1-4) am Schluss
rechtsstaatlicher Alternativen zu den der Rede von Sigmar Gabriel deutet sich
www.forum-dl21.de
Bernd Lange ist Mitglied im EuropaParlament und Sprecher des für die
Abkommen zuständigen Ausschusses
an, wohin der Zug fährt: Der Vorsitzende möchte CETA durchwinken, und es
darf der Eindruck entstehen, die SPD
hätte sich in den CETA-Verhandlungen
am Ende durchgesetzt. Dieser Eindruck
ergibt sich daraus, dass mit Ausnahme
der Forderung nach einem internationalen Handelsgerichtshofs, die Sigmar nun
Thomas Oppermann zugeschrieben hat,
alle oben genannten Positionen bereits
in dem CETA-Vertragsentwurf enthalten
sind:
1. Qualifizierte Richter: CETA S.171:
„Arbitrators shall have expertise or experience in public international law...“
2. Transparenz: CETA S. 174: „Hearings
shall be open to the public.“
3. Revisionsmöglichkeit: CETA S. 453:
Reviews and appeal.
4. Entscheidung über Rechtsweg: CETA
S. 463: „Choice of forum“.
Es bleibt die Forderung der Einrichtung eines internationalen Handelsgerichtshofs. Ja, sie geht nicht nur in die
richtige Richtung, sondern würde viele
der Kritikpunkte an den Schiedsgerichten im Rahmen der ICSID aufheben.
Bedauerlich, dass die sozialdemokratischen Spitzen bei ihrem Treffen in Madrid, diese Forderung nicht in ihren Forderungskatalog aufgenommen haben.
An diesem Punkt sollten wir unserem
Bundesvorstand Mut machen, weiter zu
arbeiten. Dietrich Lemke
Konventbeschluss ernst nehmen
5
Grundwertekommission:
Schlussfolgerungen zu TTIP
Beschluss: Januar 2015
Forum DL21, Regionalgruppe Hamburg-Schleswig-Hostein beschließt:
1) Die politische Freiheit der
Bürgerinnen und Bürger zur wirtschaftspolitischen
Gestaltung
wird durch das veränderte Verständnis von Handelshemmnissen
beschränkt, denn damit greift
das Abkommen in die binnenwirtschaftliche Angebotsstruktur und
Ordnung ein - sowohl diesseits wie
jenseits des Atlantiks. Das wäre
ein Meilenstein auf dem Weg zu einer marktkonformen Demokratie,
die demokratische Prozesse zur
Disposition stellt.
Am Abend des 23.2.2015, also am Tag des SPD-Kongresses in Berlin, hat
die Regionalgruppe DL21, HH-S-H, nach Anhörung der Rede unseres Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel (per lifestream) beschlossen, sich für die konsequente Umsetzung des SPD-Konvent-Beschlusses zu TTIP einzusetzen. Der Beschluss der Regionalgruppe DL21 HH-SH lautet:
2) Sowohl der Gleichheitsgrundsatz
als auch sozialdemokratische Gerechtigkeitsvorstellungen verletzen die beabsichtigten Regelungen
zum Investorenschutz. Sie stellen
eine Diskriminierung inländischer
Bürgerinnen und Bürger dar, die in
ihren Belangen anders als ausländische Investoren auf den üblichen
Rechtsweg angewiesen und zudem als Steuerzahler gezwungen
sind, die erheblichen Kosten verlorener Schiedsgerichts-Verfahren
zu tragen. Schiedsgerichte können
daher nicht privatrechtliche Einrichtungen sein, sondern müssen
eine rechtsstaatliche/öffentliche
Grundlage haben.
3) Ein Verstoß gegen Gerechtigkeitsprinzipien, die die prinzipielle Offenheit des Zugangs zu
Ressourcen voraussetzen, ist die
Exklusivität des Abkommens. Sie
schließt dritte Länder, insbesondere Schwellenländer, aus und ist ein
Verstoß gegen die Solidarität mit
diesen Ländern. Schwellenländer
haben derzeit Privilegien im Handel sowohl mit den USA als auch
mit der EU. Diese drohen durch
TTIP verloren zu gehen. Deshalb
droht TTIP jene zu schädigen, die
der Vorteile des internationalen
Handels besonders bedürfen.
_____________________________
Redaktion:
Dietrich Lemke, Manfred Körner
Michael Seide
TTIP/CETA/TISA: So nicht! Nachverhandeln!
I. Der Beschluss des SPD-Konvents vom
20.9.2014 zum Freihandelsabkommen
bleibt verbindliche Richtschnur für alle
Ebenen der Partei. Das gilt insbesondere
für die Aussage zu den Schiedsgerichten
(„... In jedem Fall sind Investor-StaatSchiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbegriffen, wie Faire und
Gerechte Behandlung“ oder „Indirekte
Enteignung“ abzulehnen.“ (Ziffer 8, Parteikonvent vom 20.9.2014)
II. Die Empfehlungen des zuständigen
Berichterstatters des EU-Parlaments an
die Europäische Kommission (Entwurf
eines Berichts vom 5.2.2015) sind zu unterstützen, das betrifft insbesondere
1. die Forderung nach mehr Transparenz, d.h. Veröffentlichung aller
politische relevanten Verhandlungsgrundlagen vor Beratung in den Gremien,
2. im Bereich der nicht-tarifären Handelshemmnisse Sicherung höchster
Verbraucher-, Umwelt-, Sozial- und
Gesundheitsstandards,
3. die Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge wie Energie-, Wasserver- und Abwasserentsorgung, Abfallentsorgung, ÖPNV, Bildung und
Kultur sind nicht verhandelbar.
4. die Berücksichtigung der Interessen
von Wirtschaftspartnern insbesondere in Entwicklungsländern,
5. die Übernahme der Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO – International Labour Organization),
6. Verzicht auf außergerichtliche Investor-Staatsklage-Schiedsverfahren
und
7. Verzicht auf die Einrichtung eines
Regulatorischen Rates und eines so
genannten „Regulatorischen Mechanismus“ vor Verabschiedung von Gesetzen in der EU und den USA.
III. Die Regionalgruppe hält die Positionsbestimmung der zuständigen Kommissarin Malmström – wie sie sie am
23.2.15 in Berlin geäußert hat -, dass
das CETA-Abkommen ausverhandelt
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und nicht mehr veränderbar sei –, für
falsch und insbesondere wegen ihrer
Präzidenzwirkung auf TTIP für politisch
gefährlich.
Wir begrüßen, dass Sigmar Gabriel deutlich Position hinsichtlich der in
Rede stehenden Schiedsgerichtsbarkeit
bezogen hat, die „Schiedsgerichte der
Vergangenheit seien auf heute nicht
übertragbar.“ Ziel müsse ein internationaler Handelsgerichtshof sein. Dieses
Ziel wird von uns geteilt. Allerdings darf
dieses Ziel nicht als langfristiges Ziel verstanden werden, weil es nach einer Verabschiedung von CETA und TTIP nicht
mehr durchsetzbar wäre. IV. Die Regionalgruppe setzt eine Arbeitsgruppe zum Thema TTIP ein, die
den weiteren Prozess um das Freihandelsabkommen begleitet. Diese Stellungnahme wird den zuständigen Gremien der Partei und den Abgeordneten
unserer Bundestags- und Bürgerschaftsfraktion zugeleitet. Die Regionalgruppe
bemüht sich über die Distrikte/
Kreise/Landesparteitag
um
Einrichtung eines entsprechenden Arbeitskreises auf Landesebene. ...
Begründung: (Auszüge):
zu 1.: Die in Planung befindlichen Verträge haben völkerrechtlichen Charakter. Ohne eine öffentliche Debatte in
Kenntnis aller dort vorgesehenen Verpflichtungen und ohne Verabschiedung
durch die Parlamente der EU-Länder sowie durch das EU-Parlament wären die
Vereinbarungen u.A. verfassungswidrig
und somit nichtig. Die öffentliche Debatte in unseren Demokratien ist nicht
verzichtbar.
Zu 3.: Die bitteren Erfahrungen vieler
Kommunen mit Cross-Border-LeasingModellen dürfen nicht unberücksichtigt
bleiben, sie würden mit TTIP wieder auferstehen. Die Erfahrungen mit der Privatisierung von Wasser waren durchweg
abschreckend; auch hier müssen entsprechend notwendige Schutzklauseln
vorgesehen werden,...
6
Grundgesetz verteidigen
Investor-Staat-Schiedsverfahren:
Selbstverständlich oder verfassungswidrig?
Seitdem die Öffentlichkeit immer mehr über die Verhandlungen zum Freihandelsvertrag der EU mit den USA (TTIP) und über den entsprechenden Vertrag mit Kanada (CETA) erfährt, werden die dort vereinbarten Investor-StaatSchiedsverfahren zunehmend in Frage gestellt.
Die Regelungen zu diesem Schiedsverfahren sehen vor, dass ein ausländischer Investor unter Umgehung der
staatlichen Gerichtsbarkeit vor einem internationalen Schiedsgericht, das nicht
öffentlich verhandelt und entscheidet,
den Staat wegen „indirekter Enteignung“ oder „unfairer Behandlung“ auf
Schadensersatz verklagen kann.
Zu der die Öffentlichkeit bewegenden
Frage, ob durch eine solche Schiedsge-
Michael Seide
richtsbarkeit, bei der drei Anwälte aus
international angesehenen Kanzleien
die Funktionen des Vertreters der Kläger- und der Beklagtenseite sowie des
Richters ausüben, das Recht des Staates,
Gesetze zu erlassen, faktisch aushöhlt,
hat das Bundeswirtschaftsministerium ein Rechtsgutachten veröffentlicht.
Darin kommt der Verfasser, Dr. Stephan Schill, zu dem Ergebnis, „dass der
Handlungsspielraum des Gesetzgebers
...(durch das Schiedsverfahren) ...im Vergleich zum existierenden Verfassungsund Unionsrecht kaum zusätzlichen
materiell-rechtlichen Bindungen unterworfen ist“, mithin die Besorgnisse der
Öffentlichkeit unbegründet sind. Dass
der Verfasser Mitglied der Schlichterliste
des International Centre for Settlement
of Investment Disputes (ICSID) ist, blieb
in den Medienberichten unbeachtet.
Andere Befürworter solcher Schiedsverfahren weisen darauf hin, dass
weltweit über 3000 Vereinbarungen
für Schiedsverfahren existieren; die
Mitgliedstaaten der EU haben alleine
1400 solcher Verträge geschlossen,
davon entfallen auf die Bundesrepublik Deutschland 134. Danach seien
Investor-Staat-Schiedsverfahren
seit
Jahrzehnten weltweit selbstverständliche Praxis. Erstaunlich ist dann, dass
die deutsche Öffentlichkeit - und wohl
auch der überwiegende Teil der deutschen Politik - erst in jüngerer Zeit, nämlich durch die Klage des schwedischen
Energieversorgers Vattenfall auf 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen des
Atomausstiegs, von der Existenz von
Investor-Staat-Schiedsvereinbarungen
erfahren hat. Zur Vattenfall-Klage wurde nur bekannt, dass nicht vorsehbar
sei, wann die - dann unanfechtbare Entscheidung falle, Deutschland aber
schon mehrere Millionen € Anwaltskosten zu tragen hatte. In einem erst kürzlich von der HansBöckler-Stiftung veröffentlichten Gutachten begründet Prof. Siegfried Broß
seine Ansicht, dass private Schiedsgerichte nicht an das Völkerrecht gebunden sind und zum „Verlust der staatlichen Souveränität und Selbstachtung“
führen. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht - Broß gehörte
bis 2010 dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts an; dieser Senat hat
2009 das bekannte Urteil zum LissabonVertrag gesprochen - stellt fest, dass
die Einrichtung von Schiedsgerichten
„verfassungswidrig ist, denn so könnten die parlamentarische Mitwirkung
und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts unterlaufen werden“. Unter Verweis auf einen Artikel von Andreas Zielcke (Süddeutsche Zeitung) vom
14.5.2014 stellt Broß fest, dass das Heranwachsen einer Funktionselite und die
Dominanz von Wettbewerb und Ökonomie über das Recht und die Menschen
die Staaten in eine Schieflage gebracht
hat. Auch der Jurist Heribert Prantl,
www.forum-dl21.de
(Süddeutsche Zeitung), sieht durch das
Investor-Staat-Schiedsverfahren den demokratischen Rechtsstaat gefährdet.
Weiterhin macht sich Broß folgende
Aussagen zu eigen:
Zweck des Abkommens ist es ja nicht,
den Investor vor entschädigungsloser
Enteignung zu schützen; dazu bedürfte
es keines Vertrages, das versteht sich in
einem Rechtsstaat von selbst. In erster
Linie soll er vielmehr geschützt werden
vor veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Wert seiner Anlage
mindern. Das aber bedeutet, dass sich
der vertragsschließende Staat seiner
gesetzgeberischen Freiheit und gesellschaftlichen Verantwortung begibt - vor
allem auf den besonders empfindlichen
Gebieten des Arbeits-, Verabraucherund Umweltschutzes. Denn das sind die
Politikbereiche, die die Profitabilität von
Kapitalanlagen am ehesten tangieren.
Michael Seide
Auszug aus dem Positionspapier
des BMBWi und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zur Transatlantic Trade
and Investment Partnership vom
23.2.2015
3. In TTIP dürfen für die Daseinsvorsorge keine zusätzlichen Marktöffnungsverpflichtungen für Deutschland
übernommen werden, die über das
im
WTO-Dienstleistungsabkommen
(GATS) von 1995 bereits verbindlich
Geregelte hinausgehen. Bei Erbringung von Dienstleistungen durch
ausländische Anbieter müssen die in
Deutschland geltenden rechtlichen
Rahmenbedingungen zu Standards
und Lizenzierung für soziale und Gesundheitsdienstleistungen eingehalten
werden. Die TTIP-Regelungen sollen
somit nicht zu Änderungen in den Rahmenbedingungen für die sozialrechtliche Leistungserbringung durch Dienste der freien Wohlfahrtspflege führen.
4) Deutschland hat im GATS für den
Bildungsbereich einen Vorbehalt, der
Maßnahmen für alle Bildungseinrichtungenumfasst, die gemischt oder
rein öffentlich finanziert sind. Darüber
hinaus wurden für rein privat finanzierte Bildungsdienstleistungen im GATS
teilweise
Öffnungsverpflichtungen
übernommen. Diese beziehen sich z.B.
auf die rein privatfinanzierte Erwachsenenbildung.
Vorsorgeprinzip
7
Kein Türöffner für Gentechnik!
Keine Unterordnung europäischer Umweltpolitik unter Freihandelslogik
Wenn von Produkten oder Technologien Gesundheits- oder Umweltrisiken zu erwarten sind, dann werden nach dem
in Europa bestehenden Vorsorgeprinzip diese Risiken vorausschauend bewertet und - wo erforderlich - durch Beschränkungen oder Verbote zum Schutz von Mensch und Umwelt verringert oder ausgeschaltet.
Das im Lissabon-Vertrag verankerte
Vorsorgeprinzip schreibt für den Umwelt- und Gesundheitsschutz Vorsorgemaßnahmen besonders in jenen Fällen
vor, in denen noch wissenschaftliche
Unsicherheit über das Risiko bestimmter
Produkte oder Verfahren herrscht. Auch
die Zulassung im Bereich der Gentechnik folgt in der EU dem Vorsorgeprinzip
und verlangt vor dem Inverkehrbringen und der Freisetzung von genetisch
veränderten Organismen (GVO) eine
umfassende Risikobewertung sowie
die Kennzeichnung genmanipulierter
Lebens- und Futtermittel. Alle zugelassenen GVOs müssen in einem öffentlich
zugänglichen Register eingetragen werden.
Ganz anders ist die Situation in den
USA, wo genmanipulierte Pflanzen offiziell als „im Wesentlichen gleichwertig“
(„substantially equivalent“) mit ihren
konventionellen Artgenossen behandelt
werden. Entsprechend gibt es weder ein
spezifisches GVO-Zulassungsverfahren
noch eine verpflichtende Risikobewertung oder Kennzeichnung. Für den Anbau genmanipulierter Pflanzen kommt
es nur fallweise zu Überprüfungen der
Umweltrisiken, während die Bewertung
der gesundheitlichen Risiken fast vollständig ins Belieben der Konzerne gesetzt ist.
Aus amerikanischer Sicht sind Verbote und Beschränkungen beim Handel
mit Gentechnik-Lebensmitteln Handelshemmnisse, da es in den USA das
in Europa übliche Vorsorgedenken nicht
gibt. Die US-Wirtschaftslobby versucht
deshalb, diese „regulatorischen Hindernisse“ in den Handelsabkommen aufzuheben oder zumindest in punktueller
Zusammenarbeit mit der europäischen
Industrie aufzuweichen.
Auf dem Berliner Kongress der SPD
am 26.3.2015 wurde suggeriert, die in
Rede stehenden Abkommensentwürfe
enthielten gar keine Regelungen bezüglich gentechnisch veränderter Produkte. Da mache man sich unnötig Sorgen
und ließe sich in die Irre führen. Das
Gegenteil ist der Fall! Da immerhin der
Vertragsentwurf zwischen der EU und
Kanada, wenn auch nur in englischer
Sprache, vorliegt, haben wir dort nachgelesen:
Im Article X.03: Bilateral Cooperation on Biotechnology auf den Seiten
442ff. wird u.a. als gemeinsames Ziel die
„Förderung effizienter wissenschaftsbasierter Zulassungsverfahren“ für
vertragliche Festlegung auf ein solches
Verfahren würde europäischen Parlamenten die Möglichkeit nehmen, hier
gesetzgeberisch zum Schutz der Verbraucher und der Umwelt tätig zu werden. Diese Gefahr droht selbstverständlich auch durch die Vereinbarung über
die Einrichtung eines Regulatorischen
Mechanismus, mit dessen Hilfe Einfluss
auf die Gesetzgebung auf beiden Seiten
des Atlantik durch Konzerne und andere so genannte Stakeholder genommen
werden soll.
Keine Abstriche bei Verbraucher- und Gesundheitsschutz
Zusammengefasst: Die strengen europäischen Standards sind nicht verhandelbar. Sie dürfen weder abgesenkt
noch durch gegenseitige Anerkennung
der unterschiedlichen Standards in den
Vertragspartnerstaaten
unterlaufen
werden. Zudem ist eine umfassende
Kennzeichnungspflicht auch für verarbeitete Produkte zwingend.
Dr. Manfred Körner, BUND
Gentechnik-Produkte festgelegt. Dieses
„wissenschaftsbasierte Zulassungsverfahren“ steht jedoch dem europäische
Vorsorgeprinzip bei den Zulassungsverfahren diametral gegenüber. In der
EU ist es auch ohne den vollständig
erbrachten Beweis eines Risikos möglich, Zulassungen zu untersagen oder
Restriktionen vorzunehmen. Nach dem
vermeintlich „wissenschaftsbasierten“
Ansatz dagegen sind derartige Auflagen
erst dann gerechtfertigt, wenn bereits
nachweislich ein Schaden eingetren ist.
Dieser Ansatz stellt aber eine erhebliche Gefahr für Mensch und Umwelt dar,
wie z.B. Erfahrungen mit dem Baustoff
Asbest oder dem Pestizid DDT gezeigt
haben.
Zu den verschiedenen Formen der Kooperation zur Zulassung gentechnisch
veränderter Produkte gehört auch die
Abstimmung so genannter „low level
presence“, womit das Auftreten von
Spuren nicht zugelassener GVOs in Produkten gemeint ist. Die völkerrechtswww.forum-dl21.de
Dr. Manfred Körner - BUND
Dec. 18, 2014: Einige Demokratische
Abgeordnete haben die US-Administration aufgefordert, Investorenschutz-Regeln aus größeren Freihandelsabkommen herauszunehmen. Sie
warnen, damit könnten Puffer gegen
zukünftige Krisen untergraben und
öffentliche Unterstützung für die Abkommen gefährdet werden. ... Senatorin Elizabeth Warren, Tammy Baldwin und Edward Markey schrieben an
den zuständigen Handelskommissar
Michael Froman: „Die Konsequenz der
Aufnahme von ISDS-Regelungen wäre,
man würde unseren Regulatoren die
Instrumente aus der Hand schlagen,
die sie benötigen, um die nächste Krise
zu verhindern.“ Auch warnten sie vor
Regelungen, die den Einsatz von Kapitalkontrollen begrenzen ...
Veränderte Handelsströme
8
2 Millionen neue Arbeitsplätze!
Einkommenszuwächse minimal!
Wer gewinnt, wer verliert?
Die prognostizierten Einkommenszuwächse bleiben dagegen selbst mittelfristig überschaubar. Den höchsten Zuwachs erhoffen sich die USA mit 13,4%,
Verlierer sind alle Länder außerhalb des
atlantischen Bündnisses; darunter Australien mit minus 7,4% gefolgt von Argentinien mit minus von 5,6%. (s. Grafik)
Auch die von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebene Broschüre zu TTIP
liest sich eher als Werbeschrift denn als Gutachten. Dennoch sind die Zahlen
ernüchternd: Es gibt nicht nur Gewinner der Vereinbarung, sondern auch Verlierer!
Binnenmarkt verursachten Handelsumleitung zurückzuführen. Ähnliche Effekte
existieren auch für die anderen EU-Länder,
wie zum Beispiel für Großbritannien. Die
handelspolitische Verflechtung der EULänder untereinander sinkt also.
Der Handel Deutschlands mit den
BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien,
China, Südafrika) würde durch das umfassende Abkommen um etwa 10 Prozent relativ zum Ausgangsgleichgewicht fallen.
Gegen die massive Ausweitung des transatlantischen Handels ist dies ein geringer
Effekt. Der Handel der USA mit den BRICSLändern würde allerdings deutlich stärker
In der Studie der Bertelsmann-Stif- zurückgehen (30 Prozent).
tung werden im wesentlichen drei BeWeniger innereuropäischer Handel
reiche untersucht: Veränderungen der
Handelsströme, Veränderungen auf
Deutschland USA
+ 93%
dem Arbeitsmarkt und Veränderungen der „Pro-Kopf-Einkommen“. Dabei
- 23%
werden zwei Szenarien untersucht: Deutschland Frankreich
a) Wirkungen durch den Ab- 29%
bau noch vorhandener Zölle und Deutschland Italien
b) eine so genannte „tiefe LiberalisieDeutschland Griechenland - 30%
rung“, d.h. Einbeziehungen aller so genannter nicht tarifärer Handelshemnisse.
Deutschland Spanien
- 30%
Die zentralen Ergebnisse werden in
der Studie wie folgt zusammengefasst:
Deutschland Portugal
- 30%
Innereuropäischer Handel sinkt!
Deutschland GBR
- 40%
„Der Handel Deutschlands mit seinen
traditionellen Handelspartnern in Europa
geht im umfassenden Szenario teilweise
Deutschland Russland
- 7%
stark zurück (zum Beispiel mit Frankreich:
–23 Prozent). Dies ist auf die RückabwickDeutschland China
- 12%
lung der durch europäische Zollunion und
Anstieg der Beschäftigung begrenzt!
Folgt man dem Bertelsmann-Gutachten, zeigt sich, dass TTIP zu einem Anstieg der Beschäftigung und zu einem
Rückgang der Arbeitslosigkeit in den
USA, der EU und im Durchschnitt aller
OECD-Staaten führt. „Im Zollszenario
sind die Effekte klein; bei einer tief greifenden Liberalisierung sind sie allerdings
deutlich größer. Im OECD-Durchschnitt
geht die Arbeitslosenrate um etwa 0,5
Prozentpunkte zurück.
Anstieg der Beschäftigung in Prozent
Belgien
0,10 %
Dänemark
0,50 %
Deutschland
0,47 %
Frankreich
0,47 %
Griechenland
0,78 %
Italien
0,62 %
Portugal
0,85 %
Schweden
0,72 %
Spanien
0,78 %
Türkei
minus 0,42 %
Zusammengefasst:
•
•
•
•
30 % weniger innereuropäischer
Warenaustausch,
weniger als 4 % Zuwachs des
Pro-Kopf-Einkommens,
weniger als 1 % Anstieg der
Beschäftigung und
Gefährdung demokratischer Spielregeln:
Will Europa das wirklich?
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