Digitale Nachwuchsforderung - IT

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Digitale Nachwuchsforderung - IT
Digitale Nachwuchsförderung am Beispiel
von „Jugend hackt“ 1
Eine Hausarbeit im Rahmen des Seminars „Außerschulische Jugendbildung“2
Michael Gruben
Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik, Institut für Erziehungswissenschaft,
Fakultät der Humanwissenschaften, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Mai 2014
1
2
Dieses Werk wird verbreitet unter der Lizenz CC-BY-NC-ND
gehalten von Dipl.-Päd. Martin Nugel
Zusammenfassung
Im heutigen Diskurs über Medienpädagogik geht die Schere der Meinungen über den
Umgang von Kindern und Jugendlichen mit dem Computer weit auseinander. Auf der Seite
der Vertreter, die sich für eine frühe Heranführung an den Computer aussprechen, entwickeln
sich Methoden, Leitfäden und Projekte zur Unterstützung dieser Bewegung. So wurde
beispielsweise mit „Jugend hackt“ 2013 in Berlin ein Treffen für Jugendliche veranstaltet, die
dort innerhalb von zwei Tagen, unter der Verwendung von Open Data, Softwareprojekte
umsetzten. Inwieweit diese Veranstaltung in den Kontext der außerschulischen Jugendarbeit
eingebettet werden kann, welche Perspektiven damit eröffnet werden und was dies für die
Zukunft der Medienpädagogik bedeutet, wird in der vorliegenden Arbeit dokumentiert.
II
Inhaltsverzeichnis
1 Digitale Nachwuchsförderung als Komponente der modernen Gesellschaft
1.1 Kinder, Jugendliche und Computer – Eine Gretchenfrage . . . . . . . . . . . .
1.2 Medienpädagogik als Bestandteil deutscher Bildungspolitik und außerschulischer Jugendbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1.3 Neue Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1
2 Open Data – ein digitaler Beitrag für mehr Demokratie
5
3 Jugend Hackt – ein Projekt zur Förderung junger Programmiertalente
7
2
3
4 Perspektiven der digitalen Nachwuchsförderung in der modernen Gesellschaft 9
5 Fazit
Literaturverzeichnis
11
i
1
1 Digitale Nachwuchsförderung als
Komponente der modernen Gesellschaft
Kinder und Jugendliche finden sich heute in einer Welt wieder, die häufig als „Informationsgesellschaft“ bezeichnet wird. Daher sind Daten heute „eine Art Antriebsmittel unserer
Gesellschaft“ (Barnickel und Klessmann 2012, S. 127). „In Deutschland Neuland, wo digitale
Bürgerrechte auf der Beliebtheitsskala ungefähr den Status eingeschlafener Füße haben,
der Informatikunterricht an Schulen mit Turbo Pascal bestritten wird und Engagement nur
politisch ist, wenn es offline passiert“ (Netzpolitik.org [Gastbeitrag] 2013), werden vereinzelt
Stimmen wach, die für eine frühe Heranführung von Kindern und Jugendlichen an den
Computer plädieren. Damit soll bereits in jungen Jahren der Umgang mit Daten und dem
Computer als Informationsträger geschult werden.
1.1 Kinder, Jugendliche und Computer – Eine Gretchenfrage
Demgegenüber positionieren sich genauso Stimmen, die den Sinn dieser Bewegung hinterfragen und kritisieren. Hans Bussmann argumentiert, dass Computerpädagogen unfähig sind,
sich in kindliches Denken einzufühlen (vgl. Bussman 1988, S. 22f.). Weiterhin spielen „[. . . ]
für [. . . ][sie] die Bedingungen einsichtigen, intelligenten Lernens keine Rolle, ganz einfach
deswegen, weil sie sie nicht kennen“ (ebd., S. 23). Explizit stellt er sich entschieden gegen
Papert1 auf. Bedingungen für ein kindgerechtes Aufwachsen sollen „die Möglichkeit für
einen verständigen, kindgemäßen Dialog; Freiheit für den eigenen, bewegungsuchenden
Körper [. . . ]; Vögel, Blumen und Wiesen als Erfahrungselemente einer Welt [. . . ], wie sie war
[sein], ehe sie Herr Papert in die verstümmelte Dimension seines Bildschirmreichs transformierte“ (ebd., S. 22f.). Nicht zuletzt spalte der Computer das Kind in eine Doppelrolle
zwischen gesellschaftsgefälliger Interessiertheit für den Computer und inneren kindlichen
Bedürfnissen (vgl. ebd., S. 22f.).
Mit seiner Einstellung ist Bussmann nicht allein. Ein Beispiel für einen weiteren Vertreter
ist Manfred Spitzer, der seiner Missgunst in Titeln, wie „Digitale Demenz. Wie wir uns
1
Mathematiker und Psychologe; Fordert computergestützten Unterricht und Zugang zu Computern im
Kleinkindalter (vgl. http://www.papert.org/
2
und unsere Kinder um den Verstand bringen.“ (Spitzer 2012), Ausdruck verleiht. Sachlicher
drückt sich hingegen Spanhel aus, der die Balance Heranwachsender zwischen ihrer realen
Alltagswelt und der viertuellen Welt anmahnt (vgl. Spanhel 2008, S. 301f.).
Auch wenn die Stimmen der Kritiker sehr laut sind, werden sie im Rahmen der vorliegenden
Arbeit nicht tiefergehend betrachtet. Deren Aussagen sollten beim weiteren Lesen jedoch
stets im Hinterkopf behalten werden.
1.2 Medienpädagogik als Bestandteil deutscher Bildungspolitik
und außerschulischer Jugendbildung
Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung sind die Medien, zu denen auch der Computer und das Internet zu zählen sind, trotz aller Kritik heute Bestandteil der deutschen
Bildungspolitik. Aus Sicht der Wissenschaft befindet man sich mit derartigen Aussagen, auf
der Ebene der kindlichen Fürsorge, in der Medienpädagogik, welche als eine Fachrichtung
der Erziehungswissenschaft eingeordnet wird (vgl. Lenzen 2002, S. 38f.). Hierzulande wird
Jugendmedienarbeit jedoch nur sehr stiefmütterlich behandelt. Neben Medienzentren ist
diese in Institutionen nur punktuell und am Rande vorkommend, das Bewusstsein von
Möglichkeiten und Chancen ist nur sehr gering ausgeprägt (vgl. Spanhel 2008, S. 290).
Wird Medienpädagogik ausgeübt, so sind Spaß, Unterhaltung und persönlicher Nutzen die
Ziele für das Individuum. Diese werden jedoch nicht systematisch oder curricular verfolgt.
Es findet eine Orientierung an aktuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten, Interessen und
Neigungen, insbesondere den Medienerfarungen, -kompetenzen und -präferenzen statt
(vgl. ebd., S.291). Eine weit vorgreifende Planung stünde den täglichen Entwicklungen in
dieser sich schnell wandelnden Welt nur im Weg. Weiterhin soll die Medienpädagogik auch
Bildungsbenachteiligte ansprechen, die keinen Computer zuhause haben, um den „digital
divide“ der Gesellschaft nicht weiter zu stärken (vgl. ebd., S. 301f.).
Die außerschulische Jugendbildung fokussiert im Hinblick auf Medienpädagogik die folgenden Ziele (Schorb 1999, S.406):
1. Erweiterung der Handlungsfähigkeit der Jugendlichen
2. Erfahren und Erlernen bewusster Kommunikation
3. Befähigung, die eigenen Interessen (selbstkritisch) zu erkennen und kreativ umzusetzen
4. Erwerb von Verhaltenssicherheit
5. Fähigkeit, eigenes Erleben und eigene Problemsichten in Bilder und Worte umzusetzen
3
Es soll also das Selbstkonzept des Kindes oder Jugendlichen gestärkt werden, was auch Ziel
der Pädagogik im Allgemeinen ist. Darüber hinaus wird in Bezug auf Medien Wert auf den
Ausbau der Kommunikations- und Ausdrucksfähigkeiten gelegt. Kinder und Jugendliche
sollen laut Spanhel lernen, mit ihrem eigenen Verhalten etwas zu bewirken, selbst gestellten
Anforderungen zu genügen und durch ihr Handeln kontrollierend auf die Umwelt einzuwirken. Dabei entscheiden sie autonom, was sie tun wollen und erleben sich selbst als primäre
Ursache ihres Handelns ohne sich ständig kontrolliert zu fühlen. Sie agieren in einer Gruppe
gleichaltriger, mit denen sie sich verbunden fühlen, die sie annehmen und anerkennen (vgl.
Spanhel 2008, S. 293).
Medienpädagogik bringt im Methodischen eine Öffnung hin zu spielerischen, experimentierenden Arbeitsformen mit neuen Möglichkeiten zu eigenwilligen, phantasievollen und
kreativen Mediengestaltungen. Das Thematische wird um Möglichkeiten der Bezugnahme
auf konkrete Fragen und Probleme aus der Lebenswelt der Heranwachsenden erweitert.
Einen Ernstcharakter bekommt Medienarbeit dann, wenn Jugendliche ein Medienprodukt
herstellen, welches gebraucht wird und künftig verwendet werden soll (vgl. ebd., S. 300).
1.3 Neue Medien
Produziert wird heute immer mehr mithilfe der „neuen Medien“. Dieser recht unscharfe
Begriff deckt alle digitalen Medien ab. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Computer
und Internet und wird häufig synonym zu Begriffen, wie Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) gebraucht (vgl. Buchholtz 2010, S. 17). Neue Medien gehören heute
zur Medienpädagogik (vgl. Jörissen und Marotzki 2009, S. 30), für die sich darin virtuelle
Lern- bzw. Bildungsräume, mit der Möglichkeit zu selbstgesteuerten Lernprozessen, auf der
Grundlage lustvoller, sozialer und kollaborativer Lernformen eröffnen (vgl. Spanhel 2008, S.
300). Im Zentrum der Medienpädagogik steht dabei häufig das Internet (z.B. Jörissen und
Marotzki 2009, S. 169 ff.). Unterstrichen wird der Bedarf darin, dass „gerade Projekte im
Bereich von Computer und Internet [. . . ] heute bei älteren Kindern und Jugendlichen den
größten Zuspruch“ (Spanhel 2008, S. 294) finden.
Laut Spanhel erfährt die praktische Medienarbeit im Zuge der immer größer werdenden
Popularität der neuen Medien eine Bereicherung und Neuorientierung. Dieser neue Orientierungsrahmen setzt die Kenntnisnahme der ursprünglichen Bedeutung der Medien vorraus.
Für Jugendliche werden die kommunikativen Möglichkeiten der neuen Medien wichtig. Sie
dienen mehr und mehr als Träger der alltäglichen sozialen Beziehungen. Kinder und Jugendliche nutzen sie, um ihre sozialen Netzwerke zu pflegen, zu vertiefen, auszuweiten und zu
stabilisieren. Kurzum: Jugendliche sind in virtuellen Welten zuhause (vgl. ebd., S. 297f). Sie
schaffen sich in „dem spielerischen Wechsel zwischen realen und virtuellen Räumen [. . . ] ihre
4
’Spielräume zum Leben’ (Schaefer 1986)“ (Spanhel 2008, S. 298f.). Kinder und Jugendliche
eignen sich den Umgang mit neuen Medien häufig ohne pädagogische Hilfe an (vgl. ebd., S.
300).
Auf diesen Zug, der heute kaum noch aufzuhalten scheint, kann die Kinder- und Jugendarbeit
bereits mit einigen Mehrwerten antworten (vgl. Röll 2003, S. 272). Sie . . .
• . . . vermittelt Schlüsselqualifikationen für die partizipative und kommunikative Kompetenz in der Wissensgesellschaft,
• . . . eröffnet multioptionale Denkweisen und Netzdenken,
• . . . fördert mehrperspektivisches Wahrnehmen und
• . . . zeigt Kindern und Jugendlichen, dass mit den Produkten, die sie erzeugen, zumindest mehr als zuvor, Öffentlichkeit und damit Aufmerksamkeit erzielt wird.
Zu diesem Zweck haben sich sowohl auf bundes- und landespolitischer, als auch auf Vereinsebene diverse Projekte herausgebildet. Mit Landesjugendservern1 haben sich Portale im
Internet entwickelt, die aktuelle oder vergangene Projekte der Kinder- und Jugendmedienarbeit im jeweiligen Bundesland aufzeigen und Interessierten eine Plattform zur Diskussion
bieten. Hinzu kommen virtuelle Kinder- und Jugendhäuser, Jugendchatserver (z.B. „Cyberland“) oder Internetzeitschriften (z.B. http://www.vuz-web.de) auf institutioneller oder
Vereinsebene (vgl. Spanhel 2008, S. 299).
1
z.B. für Bayern http://www.bjr.de/
5
2 Open Data – ein digitaler Beitrag für mehr
Demokratie
Ein vollkommen anderes Thema beschreibt Open Data, welches im nachfolgenden Kapitel in
der Dokumentation des Projekts „Jugend hackt“ mit der zuvor erläuterten (außerschulischen)
Jugendmedienarbeit gebündelt wird.
In Informatikerkreisen haben sich zwei gegensätzliche Positionen zur Nutzung und Erstellung von Programmen/Software und Daten herauskristallisiert. Auf der einen Seite geht es
um die Produktion digitaler Güter zum Ziel, diese zu verkaufen oder bestehende weiter zu
vertreiben. Darunter zählen kommerzielle Unternehmen, wie Microsoft oder Apple, welche
Betriebssysteme und darauf zugeschnittene (proprietäre) Software anbieten, um sich im
freien Markt zu platzieren. Diese Position wird im Verlauf der vorliegenden Arbeit nicht
weiter betrachtet. Im Gegenzug dazu haben sich Vereine gegründet, Projekte gefunden und
einzelne Personen dazu entschlossen, ihre Produkte und oft auch die zugrundeliegende
Substanz (den Quellcode), der Öffentlichkeit frei zur Verfügung zu stellen. Warum sie das
tun hat verschiedene Ursachen. Vielen geht es um einen Erfahrungsaustausch, andere wollen
idealistisch sein und ihren Teil zu einer freien und offenen Welt beitragen, wieder andere
üben sich in einer freien Umgebung und bauen auf Kommentare der Gemeinschaft, um dann
im kommerziellen Feld bessere und abgestimmtere Ergebnisse zu liefern.
Zur Gruppe der offenen Computer- und Internetarbeit gehört die Verbreitung von Wissen im
öffentlichen Interesse. Sehr bekannte Vertreter dieser Bewegung sind Wikis, deren Konzept
zum transparenten und offenen dokumentieren, organisieren und verwalten von Wissen
bereits in Unternehmen Einzug gehalten hat (Gruben 2013, S. 8). Der Verbreitung offenen
Wissens wiederum lässt sich Open Data unterordnen. Die Wissenstreppe nach North (vgl.
North 2005, S. 36) zeigt, dass Daten nichts anderes sind, als Zeichen, denen eine Syntax
zugeordnet wurde. Fügt man den Daten eine Bedeutung hinzu, erhält man Informationen.
Werden diese widerum vernetzt, so entsteht Wissen.
Die Open Data Bewegung verfolgt im Grunde genommen die Neu-Entstehung von Information und Wissen mithilfe von Rohdaten aus öffentlichen Verwaltungen und der Berechnung
durch semantische Technologien und/oder eigens entwickelte Software. Dabei macht man
sich das Gesetz der Informationsfreiheit zunutze und regt Behörden an, ihre Daten unter der
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Berücksichtigung der Regelungen des Datenschutzes frei verfügbar zu machen. Laut Barnickel stellen öffentliche Verwaltungen häufig einen Teil ihrer Daten in Form von Dokumenten
zur Verfügung, in denen die Daten bereits aggregiert wurden. Die zugrundeliegenden Rohdaten sind oft nur organisationsintern verfügbar. Herrschaftswissen fußt heute jedoch auf
aktuellen Informationen und deren Besitz, mit dem die Gesellschaft vermeintlich leichter
gesteuert werden kann (vgl. Barnickel und Klessmann 2012, S. 127). Ein Vorreiter in Sachen
Open Data ist Berlin.1 So nutzten beispielsweise Dženan Džafi´c und Dominik Franke in
ihrem auf den Informatiktagen 2013 in Bonn vorgestellten Projekt die offenen Karten- und
Geländedaten von Berlin, um rollstuhlfahrerfreundliche Routen zu berechnen (vgl. Džafi´c
und Franke 2013, S. 185 ff.).
Generelle Anforderungen an Open Data fasst Barnickel aus Beschreibungen durch die Sebastopol Group und der Sunlight Foundation wie folgt zusammen (Sebastopol Group 2007;
Sunlight Foundation 2010 zitiert nach Barnickel und Klessmann 2012, S. 130ff.): Die veröffentlichten Datensätze sollten . . .
• . . . so vollständig, wie möglich und dabei möglichst im Rohformat inklusive beschreibender Metadaten veröffentlicht werden
• . . . direkt aus den ursprünglichen Quellen veröffentlicht und mit Informationen zum
Ablauf der Sammlung und Erstellung der Daten angereichert werden
• . . . möglichst zeitnah zur Entstehung oder Aktualisierung des Datensatzes freigegeben
werden
• . . . ohne größeren Aufwand oder Hürden (Verfügbarkeit, einheitliche Formate) zugänglich sein
• . . . maschinenlesbar und damit automatisiert zu verarbeiten sein
• . . . diskriminierungsfrei, also ohne Aufforderung zum Nachweis der eigenen Identität
oder dem Vorlegen einer Begründung, abrufbar sein
• . . . offene Standards, im Sinne der freien Verbreitung von Informationen, verwenden
• . . . eindeutig sichtbar mit einer Lizenz versehen und gemeinfrei nutzbar sein
• . . . permanent verfügbar sein und Änderungen, Aktualisierungen und Löschungen
durch Versionskontrolle und Archivierung nachvollziehbar gestaltet werden
• . . . ohne Kosten bereitgestellt werden
1
siehe http://daten.berlin.de/
7
3 Jugend Hackt – ein Projekt zur Förderung
junger Programmiertalente
Am 7. und 8. September fand im Jugendgästehaus Königstadt in Berlin eine Veranstaltung
statt, die die in Abschnitt 1.2 erläuterte Medienpädagogik und die im vorangegangenen
Kapitel 2 beschriebene Open Data Bewegung zusammenfasst. „Jugend hackt“1 ist eine
Initiative des Netzwerks „Young Rewired State“2 und der Open Knowledge Foundation
Deutschland3 , welches sich wie folgt zusammenfassen lässt.
„Jugend hackt ist ein zweitägiges Camp für junge Haecksen und Hacker, für die
HTML, CSS, Python und Co. keine langweiligen Abkürzungen, sondern wichtiger
Bestandteil ihrer Freizeitbeschäftigung sind.“ (Open Knowledge Foundation
Deutschland e.V. 2013a)
63 Jugendliche aus zwölf Bundesländern trafen dort auf 23 MentorInnen, wo gemeinschaftlich
unter Gleichgesinnten Ideen entwickelt und realisiert wurden (vgl. Schröder 2013). Wie im
„Dokuvideo“ unter http://jugendhackt.de/ergebnisse/ zu sehen ist, war dies eine
großartige Erfahrung, die im Gegensatz zur heimischen Aktivität steht, still und allein im
„Kämmerchen zu hocken“. Auch zur Schule, in der viel vorgegeben wird, grenzt sich das
Projekt ab.
Im Gegensatz zur Breite des Spektrums, was für künstlerische und musische Aktivitäten
geboten wird, investiert der Staat „viel zu wenig Geld [. . . ][dafür], Kinder und Jugendliche
an den Computer heranzuführen.“ (Stefen Wehrmeyer in Open Knowledge Foundation
Deutschland e.V. 2013b, Min. 1:05). „Jugend hackt“ soll einen Teil dazu beitragen, die jugendliche Kreativität und den sehr frühen Umgang mit dem Computer zu fördern (vgl.
Stefen Wehrmeyer in ebd., Min. 1:20). Darüber hinaus soll gezeigt werden, dass es noch mehr
Erfahrungen mit dem Computer (über das Spielen hinaus) und mehr Kinder gibt, die sich
damit auseinandersetzen (vgl. Stefen Wehrmeyer in ebd., Min. 1:30). In Bezug auf Open
Data will das Projekt Jugendliche dazu bewegen, das persönliche Recht auf Information
1
2
3
http://jugendhackt.de/
https://youngrewiredstate.org/
http://www.okfn.de/
8
wahrzunehmen und daraus kreative Dinge zu entwickeln. Im Zuge dessen sollen Politiker dazu angeregt werden, noch mehr Daten herauszugeben, „damit wir insgesamt unsere
Gesellschaft besser machen können“ (Stefen Wehrmeyer in Open Knowledge Foundation
Deutschland e.V. 2013b, Min. 2:35).
So entwickeln die Jugendlichen im Verlauf der Veranstaltung beispielsweise computergenerierte Visualisierungen zum Thema Wahlen und Umfragen (vgl. ebd., Min. 1:37) oder eine
elektronische Karte, die den nächsten Weg zu einer behindertenfreundlichen Gastätte weist
(vgl. ebd., Min. 2:18). Nach eigenen Aussagen der Jugendlichen blieb es nicht allein beim
Erstellen von Produkten. Sie lernten darüber hinaus einiges über das Auslesen von Datenbanken aus dem Internet, eigneten sich Hintergründe von Schlagworten, wie „Processing
Mapping“, oder ganze Programmiersprachen an oder übten sich in Projektmanagement.
Auch das in der Schule angeeignete Wissen über die Hypertext Markup Language (HTML),
mit der Webseiten gestaltet werden, wurde vertieft (vgl. ebd., Min. 2:48). Ihre Präsentationskompetenz übten sie beim Vorstellen ihrer vollendeten Projekte vor dem anwesenden
Publikum. Um die Ergebnisse zu würdigen, wurden am Ende der Veranstaltung Urkunden
ausgeteilt und Gewinner gekürt (vgl. ebd., Min. 3:41).
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4 Perspektiven der digitalen
Nachwuchsförderung in der modernen
Gesellschaft
Wie in Kapitel 1 gezeigt wurde, wird von politischer Seite her nur wenig zur außerschulischen
Medienbildung beigetragen. Projekte, wie „Jugend hackt“, sind treibende Kräfte dafür, dass
die in Abschnitt 1.2 beschriebenen Ziele der Medienpädagogik in Angriff genommen werden.
Einserseits wird das Selbstkonzept der Jugendlichen dadurch gestärkt, dass sie in PeerGruppen gehört werden, Akzeptanz finden und ihre Stärken in Teams einbringen können.
Kommunikations- und Ausdrucksfähigkeit wurde zusätzlich sowohl in der beschriebenen
Gruppenkonstellation, als auch beim Präsentieren der Ergebnisse geübt. Dabei ist nicht zu
vergessen, dass der Computer, als größtes Gut der Veranstaltung, selbst der Träger unserer
heutigen Kommunikation ist. Im Zweifel hilft ein Gedankenexperiment, bei dem die Frage
diskutiert werden kann, was überhaupt übrig bleibt, wenn man ohne Computer mit jemanden
kommunizieren möchte, dem man nicht unmittelbar gegenübersteht.1
„Jugend hackt“ widmet sich darüber hinaus einem weniger offensichtlichem Aspekt: der
politischen Bildung. Wie in Kapitel 3 von Stefan Wehrmeyer erläutert wurde, sollen öffentliche
Verwaltungen durch die Nutzung von Open Data dazu angeregt werden, noch mehr Daten
zu veröffentlichen. Jugendliche, die Open Data kennen und auf deren Basis bereits etwas
geschaffen haben, interessieren sich auch für die Daten selbst, wo sie entstanden sind und
was sie bedeuten. Mit Rückgriff auf die in Kapitel 2 erläuterte Wissenstreppe nach North
können Jugendliche sich ihre Meinung anhand von Informationen bilden, die sie aus eigens
mit Bedeutungen angereicherte Daten gewonnen haben. Nichts anderes ist Politik.
Bei aller Kritik, die in Abschnitt 1.1 in Ansätzen aufgezeigt wurde, tragen Medien in der
heutigen Informationsgesellschaft eine wesentliche Bedeutung zur Sozialisation bei (vgl.
Hoffmann und Mikos 2007, S. 7 f.). Daraus lässt sich schließen, dass Kinder und Jugendliche
möglichst früh an den Computer herangeführt werden sollten, um ihnen in ihrer Entwicklung
1
auch die beiden Teilnehmer eines Telefongesprächs werden heute mithilfe von Computertechnologie
miteinander verbunden; die Empfängeradresse auf einem Brief wird maschinell gelesen und ausgewertet;
selbst das Auto, die Bahn, der Bus mit dem man sein Gegenüber erreicht ist durchsetzt mit „intelligenten“
elektronischen Bauteilen . . .
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keine Steine in den Weg zu legen. Doch Suess stellt fest, dass im Kindesalter Eltern wichtiger,
als Peers und Medien sind. Im Jugendalter ist die Bedeutung der Peers wesentlich größer,
als die der Medien (vgl. Suess 2004, S. 287). Die Medienpädagogik befindet sich daher in
einem Dilemma zwischen blindem Verfolgen aktueller Trends und dem Rückbesinnen auf
kindgerechte Förderung. Vollbrecht geht zudem davon aus, „dass der Medienumgang und
die Mediennutzung sich in der Jugendzeit ständig verändern und zunehmend eine kritische
Distanz gegenüber den Medien aufgebaut wird“ (Vollbrecht 2003, S. 17). Wie soll es also in
der Medienpädagogik weiter gehen?
Beispielsweise setzt sich Spanhel in einem aktuellen Beitrag mit Ingrid Paus-Hasebrinks
Begriff der Identitätsgenese auseinander (vgl. Spanhel 2013, S. 79). Dabei wird Kommunikation auf Basis der eigenen Identität in den Vordergrund der Betrachtung gerückt. So könnte
sich die Medienpädagogik nach diesem Ansatz zunächst auf die Bildung einer Identität
konzentrieren, um daran anschließend (Kommunikations-) Möglichkeiten im Umgang mit
Neuen Medien aufzuzeigen. Rölls in Abschnitt 1.3 aufgeführte Mehrwerte der Kinder- und
Jugendarbeit bieten dazu adäquate Orientierungspunkte.
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5 Fazit
Die vorliegende Arbeit zeigt, dass sowohl die Ziele und Perspektiven der Medienpädagogik als auch der Umgang mit öffentlichen Gedankengut alles andere, als festgelegt sind.
Zwischen der Macht der Industrie, die immer neue High-Tech-Produkte auf den Markt
bringt, und der elterlichen Fürsorge der Zöglinge ist die Medienpädagogik in ein Dilemma
gedrängt worden. Daneben kämpfen Aktivisten Stück um Stück für mehr und transparentere
Information der Bürger Deutschlands. Mit der starken Dynamik der heutigen Entwicklungen
kommt hinzu, dass Projekte zur Förderung des digitalen Nachwuchses häufig ohne theoretischen Hintergrund auskommen. Wie in Abschnitt 1.2 erläutert, wird oft nur spontan auf
Gegebenheiten reagiert und kurzerhand eine Initiative gestartet. So beschreibt beispielsweise
Pritlove im Inhaltstext für einen seiner Podcasts ohne Umschweife, dass das Projekt „Chaos
Macht Schule“ „aus eigener Initiative heraus entstand [. . . ], um Schüler mit den Realitäten
des Internets bekannt zu machen und Lehrer und Eltern im Bereich Medienkompetenz zu
unterstützen“ (vgl. Pritlove 2012).
Insgesamt entsteht gegenüber der aktuellen Situation ein sehr chaotischer Eindruck. Eine
Profession, wie die außerschulische Jugendbildung, wirkt, als Vermittler zwischen Theorie
und Praxis, wie ein Stabilisator, da sie Begründungen für praktische Gegebenheiten und
Handlungswege bietet. Folglich fehlt es aktuell an professionellen Kräften, die den theoretischen Hintergrund von Projekten, wie „Jugend hackt“ stärken, um nicht noch mehr Fragen
aufzuwerfen. Denn nur mit einem annährend gleichen Verhältnis von Fragen und Antworten
kann von einer Weiterentwicklung gesprochen werden.
i
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