SIMEP1

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SIMEP1
www.move-magazin.eu
Berlin, Montag, 19. Nobember 2012
SIMEP1 Spezial
„Früher gab es kein Obst!“
E in Rück-, Durch- und Zukunftsblick
mit Jano Costard (25), dem Organisator der SIMEP und Vorstand der
JEB-BB. von Christine Meiser und Luisa
Klopfer
Kannst du uns ein bisschen was
über die SIMEP und ihre Geschichte erzählen?
Die Simulation Europäisches Parlament (SIMEP) findet dieses Jahr zum
14. Mal statt. Ich selbst war 2004 zum
ersten Mal dabei, damals als Schüler
und 2005 gleich noch mal. Seitdem hat
sich die SIMEP stark weiterentwickelt.
Früher haben nur etwa 100 Schüler an
einer eintägigen Veranstaltung teilgenommen. Heute sind es rund 200
Schüler! Außerdem gab es keine Journalisten und keine Ausschusssitzungen. Seit einigen Jahren haben wir das
Konzept mit zwei Simulationen pro
Jahr. Über die SIMEP bin ich übrigens,
wie so viele, dann auch zur Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg (JEB) gekommen.
Ich kann mich auf jeden Fall erinnern, dass es auf meiner ersten SIMEP
nur Schokoriegel und so einen Kram
gab. Früher gab es kein Obst. Jetzt ist
es viel gesünder!
SIMEP-Teilnehmer beim Eröffnungdplenum (Sevil Asci)
Eine gute oder schlechte Entwicklung?
Doch, mit Obst und Gemüse kann ich
schon was anfangen.
Was motiviert dich, die SIMEP zu
organisieren?
Einfach zu sehen, was wir mit einer
solchen Veranstaltung erreichen können. Das wird noch viel deutlicher
morgen Abend nach der Finaldebatte
werden, wenn die SIMEP-Abgeordneten alles hinter sich haben. Sie werden
dann, so wie die Leute der letzten Jahre, total euphorisch sein und den langwierigen Entscheidungsprozess im
Europäischen Parlament mehr wertschätzen, da sie ihn nun selbst erlebt
haben. Es ist notwendig, viele Kompromisse zu akzeptieren, weil man
einfach seine eigene Meinung nicht
durchsetzen kann. Trotzdem sind sie
alle total begeistert.
Wie äußert sich die Arbeit in der
JEB in deinem Alltag?
Wir haben einmal im Monat ein
Treffen des Vorstandes, bei dem wir
wichtige Vereinsentscheidungen treffen. Auch veranstalten wir monatlich
einen Jour-Fixe, der in einem Café in
Berlin stattfindet sowie regelmäßige
Aktiventreffen. Seite 4
Deutscher Traum?
Ismail Ertug
Liebe Griechen!
M I D igration ist ein Dauerthema
und keine Besserung in Sicht
für Menschen, deren Träume nach der
Ankunft in der neuen Heimat platzen. Zwischen Wirtschaft und Politik
verschwinden schnell individuelle
Nöte. Wer profitiert von Flüchtlingen
und „illegalen“ Einwanderern? Mina
Saidze bringt uns zwei Schicksale aus
Spanien und Mazedonien näher.
Der Artikel auf Seite 14.
m Gespräch mit Hannah Ibnoulward
erklärt der Europa-Abgeordnete
Ismail Ertug, dass es keine Patentlösung zur Finanzkrise gibt und wo das
Problem der schwachen europäischen
Außenpolitik liegt. Zudem betont er
warum die SIMEP so wichtig ist. Denn
so viel anders als auf der SIMEP geht es
in Strasbourg und in Brüssel auch nicht
zu.
Das ganze Interview auf Seite 5.
er Staatsbankrott ist nicht abzuwenden, der Euro allerdings
schon. Und die Krise in Griechenland
hätte auch basisdemokratisch gelöst
werden können. Findet Jana Urban.
Sie denkt dort weiter, wo die SIMEP
an zwei Tagen zu kurz kommt. Es
geht um den Erhalt der Solidarität.
Spielt der aktuelle Sparkurs die europäischen Staaten gegeneinander aus?
Der Kommentar auf Seite 7
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move SIMEP1 Spezial 2
Editorial
Rund 200 Schülerinnen und
Schüler schlüpfen an zwei Tagen in
den Räumlichkeiten des Deutschen
Bundestages und des Berliner Abgeordnetenhauses in die Rolle von
Europa-Abgeordneten – das ist die
Simulation Europäisches Parlament
(SIMEP). Sie schafft die Möglichkeit,
Europapolitik aktiv nachzuvollziehen und so einen Zugang zu europapolitischem Engagement zu finden.
In dieser Zeitung vereinigen
sich die Kräfte der SIMEP und des
move-Magazins, dem Online-Magazin der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg, bereits
zum dritten Mal in Folge. Gemeinsam mit der move-Redaktion stemmen junge Menschen zusammen
eine Vielfalt an Aufgaben: Es wird
live von den Treffen und Debatten
der Fraktionen und Ausschüsse berichtet und kommentiert; Interviews
werden geführt, Fotos gemacht und
zum ersten Mal läuft unser Team
auch mit einer Filmkamera über die
Veranstaltung. All das ganz getreu
dem diesjährigen Motto: Europa,
jetzt erst recht!
Aber es wird auch inhaltlich gearbeitet. Drei Themen stehen in diesem Jahr im Mittelpunkt der SIMEP,
zu denen unsere move-Redakteure
einen vertiefenden Einblick liefern:
Zum einen soll der Europäische
Datenschutz überdacht werden, der
seit 1995 hinter den rasanten Entwicklungen des Cyberspace hinterherhinkt. Wie kann das Parlament
aus dem unüberschaubaren „Wer
weiß was?“ ein nutzerfreundliches
Instrumentarium gestalten?
Zweitens steht die Europäische Außenpolitik im Mittelmeerraum auf der Tagesordnung. Der
sogenannte Arabische Frühling hat
die politischen Beziehungen zwischen den arabischen und europäischen Ländern auf eine harte Probe
gestellt. Doch auch zwischen den
einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) gab es Meinungsverschiedenheiten. Wie kann
in Zukunft gemeinsame Verantwortung intergouvernemental verwirklicht werden?
Inhalt
Außerdem befassen sich die Abgeordneten auch mit der Zukunft des
Euro. Wer darf den Haushalt der EU
lenken? Es steht viel auf dem Spiel
und die Solidarität unter den Mitgliedstaaten muss bei Fragen nach
einer EU-Steuer oder gar eines neuen
Reformvertrages intakt bleiben.
Neben diesen drei HintergrundBerichten sind die Resultate der kreativen Arbeit vor Ort auf 16 Seiten
festgehalten. Mögen nicht nur die
SIMEP, sondern auch diese Zeitung
ein Anreiz sein, Europa erst recht zu
entdecken und selbst mitzugestalten.
Impressum
SIMEP-Teilnehmer
Thomas Mann
Ismail Ertug
Direkte Demokratie
Den Euro abschaffen
Was ist eigentlich SIMEP?
Die Zukunft des Euro
MensaGeMurmel
WWW
Mittelmeerpolitik
Stellungnahme zu Syrien
Der Deutsche Traum
Karikatur
Die JEB-BB
S. 2
S. 3
S. 4
S. 5
S. 6
S. 7
S. 8
S. 8
S. 10
S. 10
S. 12
S. 13
S. 14
S. 15
S. 16
Viel Spaß beim Lesen wünscht
Christoph Beeh
Das Team der move-SIMEP1-Spezial (Sevil Asci)
Impressum
Herausgeber Junge Europäische Bewegung Berlin-Brandenburg e.V.
Sophienstraße 28-29, D-10178 Berlin
Leitung Christoph Beeh
Chefredakteur Alexander Steinfeldt
Layout Maximilian Gens ([email protected])
Redaktion Rosa Anschütz, Sevil Asci, Theresa Gattert, Hannah Ibnoulward,
Arne Käthner, Luisa Klopfer, Sonja Luckmann, Amelie Maier, Christine Meiser,
Mina Saidze, Daniela Stoltenberg, Jana Urban
Auflage 350 Stück
Druck Copy House / dbusiness.de GmbH
move-magazin.eu | facebook.com/movemagazin | [email protected]
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move SIMEP1 Spezial 3
Du auch hier? - Ein Querschnitt durch die
diesjährigen SIMEP-Teilnehmer
E ine Abgeordnete, ein Helfer und eine Jungjournalistin haben ihre ganz persönliche Geschichte, wieso sie an der
SIMEP teilnehmen. Luisa Klopfer und Christine Meiser haben nach Motiven, politischen Einstellungen und Engagement befragt.
K D Wo triffst du auf Politik im Alltag?
Bist du Mitglied in einer politischen
Organisation?
lara Kische, 16, aus Dresden: auf
der SIMEP ist sie in die Rolle einer finnischen Abgeordneten der
ALDE-FIN geschlüpft.
Eigentlich treffe ich auf Politik nur
beim Nachrichtenschauen. Außerdem
habe ich Politik als Wahlfach in der
Schule gewählt.
Warum nimmst du an der SIMEP
teil?
Mich interessiert das Europäische Parlament und ich möchte die Abläufe dort
besser verstehen können.
er Berliner Daniel Kempin (26) ist
dieses Jahr Projektleiter der SIMEP
und kommt aus Stralsund.
Ich bin Mitglied der JEB seit eineinhalb
Jahren, weil ich mich überparteilich
engagieren will. Ich bin sozusagen „Leidenschaftstäter“ für den europäischen
Kontext, da mir Parteien zu wenig umsetzen.
Was ist deine Motivation, dich zu
engagieren?
Was kannst du uns über die Partei, die du vertrittst, erzählen?
Ich finde, dass Europa unglaublich viele
Möglichkeiten bietet, die wir zum Teil sehr
selbstverständlich leben, wie das Reisen innerhalb der EU oder Annehmlichkeiten wie
Produktstandards. Das ist oft so selbstverständlich, dass wir vergessen, dass vorher
viele Debatten darüber geführt und viele
Hindernisse überwunden wurden. Ich würde gerne das Europa, das wir jetzt haben,
weiterentwickeln und mich dafür einsetzen, dass das nicht weniger wird. Gerade
bei der JEB können wir vieles von unseren
eigenen Wünschen miteinbringen. Ich
habe das Gefühl, ich kann etwas verändern,
da ich die Menschen dazu bringen kann,
Europa nicht kritisch zu sehen, sondern als
Chance.
Demokratisch und liberal – ich bin in
der ALDE-FIN.
Wo würdest du dich politisch einordnen?
Was kannst du uns über das Land,
das du vertrittst, erzählen?
Das, was eigentlich jedem zunächst
zu Finnland einfällt: Nokia, Sauna, der
Weihnachtsmann wohnt in Finnland.
Außerdem ist Finnland eines der wenigen Länder mit AAA-Status (Einstufung
der Kreditwürdigkeit eines Staates. AAA
ist hierbei die beste Klassifizierung) und
liegt in der PISA-Studie immer ganz weit
vorne.
Entspricht das auch deiner perIch finde mich zum Teil in der CDU wiesönlichen politischen Einstellung? der, aber auch bei den Grünen. Meine
Meine Überzeugung ist weder links
noch rechts, jedoch auch nicht konservativ, obwohl ich auf ein katholisches Gymnasium gehe.
Was macht dich besonders?
Ich tanze schon seit ich sehr klein
bin: besonders Ballett und Hiphop,
auch auf Tourneen.
perfekte Regierung wäre also SchwarzGrün, das ist aber ein bisschen tricky.
(zwinkert)
R osa Anschütz ist Schülerin und
engagiert sich auf der SIMEP im
Presseteam. Sie kommt aus Berlin,
ist 15 Jahre alt und schnuppert zum
ersten Mal in die Welt der Politik.
Warum hast du dich für eine
Teilnahme an der SIMEP entschieden?
Ich hatte vorher noch nicht so viel
mit Politik am Hut und jetzt will ich
einfach ein bisschen mehr über Politik erfahren und wie das so abläuft.
Findest du, dass Europapolitik in
deinem Alltag präsent ist?
Deutschland ist Mitglied in der EU,
weshalb wir uns umeinander kümmern müssen. Europa geht jeden etwas an!
Beschreibe deine Aufgaben als
Mitglied der Presse.
Ich schreibe einen Artikel über Syrien, indem ich die Standpunkte der EU
und Deutschlands miteinander vergleiche.
Wo würdest du dich politisch
einordnen?
Als Partei mag ich die Grünen, da ich
ihre Ansichten größtenteils gut finde.
Manchmal aber auch nicht. Ich finfe ihre
Ansätze klug und nicht so unrealistisch
wie die der Piraten.
Hätte ich ein politisches Vorbild,
dann wäre es Renate Künast.
Die Welt soll über mich erfahren,
dass…
Was macht dich besonders? Hast
du zum Beilspiel schon Mal an
einem Chilischotenwettessen teilgenommen?
… ich vor kurzem vom Park Inn gesprungen bin! Ab und zu setze ich mir
so etwas in den Kopf. Bungeejumpen
war ich auch schon!
Das nicht, aber ich habe bei einem
Performanceprojekt
mitgearbeitet,
wo ich richtig aus mir raus kommen
konnte.
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move SIMEP1 Spezial 4
Der Europa-Mann
E r ist EP-Abgeordneter der Europäischen Volkspartei (EVP), sitzt im
Währungsausschuss und ist Pate des
Wortes„Menschlichkeit“. Auf der SIMEP
trafen wir den 66-Jährigen zu einem
Interview. Thomas Mann über Sixpack,
eineEU-SteuerundFußball-Regeln.von
Hannah Ibnoulward
Könnten Sie sich vorstellen, einige
Fortsetzung von Seite 1
Beschlüsse der SIMEP wirklich
Dort versuchen wir unsere Mitglieder umzusetzen?
in die Arbeit einzubinden, die nicht im
Vorstand sind, aber sich trotzdem einbringen wollen.
Habt ihr dieses Jahr alles erreicht,
was ihr euch vorgenommen habt?
Das kommt darauf an, wie die SIMEP
läuft, aber im Moment bin ich sehr optimistisch.
Was machst du so außerhalb der
JEB?
Ich promoviere derzeit in Berlin. Vorher habe ich meinen Bachelor in VWL
in Frankfurt (Oder) gemacht, bin dann
im ersten Jahr meines Masters nach
Mannheim und dann nach Toulouse
in Frankreich gewechselt. Dort waren
die Studenten „superinternational“.
Nur etwa drei von 25 Absolventen in
meinem Fach waren Franzosen. Nach
dem Abschluss meines Masters bin ich
wieder nach Berlin, meine alte Heimat, gezogen.
Das hängt von der Qualität der Vorschläge ab. Ich halte aber eine Menge davon. Ich habe zum Beispiel beim
europäischen Jugendkonvent mitgearbeitet. Dort haben die Jugendlichen
teilweise bis 2 Uhr morgens Themen
behandelt. Ich habe mich in die Reihen
der EVP gesetzt, um mal zu lauschen,
was da so besprochen wird. Einige von
den Jugendlichen sind dann auf mich
zugekommen und haben danach ein
Praktikum bei mir gemacht. Ich finde
es sehr gut, dass junge Leute aus allen Teilen Deutschlands hierher kommen, um das Parlament nachzuspielen. Man lernt, sich eine Meinung zu
bilden, andere davon zu überzeugen,
dass es noch einen anderen Weg gibt.
Dieses Jahr geht es bei der SIMEP
um die Eurokrise. Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach
nötig, um die Krise erfolgreich zu
meistern?
Ich war Mitglied des Sonderausschus-
Die JEB ist ja überparteilich, was
ses zur Lösung dieser Finanz- und
wäre denn deine eigene politische Bankenkrise. Dort haben wir in anEinordnung?
derthalb Jahren Arbeit viele VorschläSchwierig! Es fällt mir selber nicht
ganz einfach, mich einzuordnen.
Und dein Politisches Vorbild?
Da habe ich keins. Was mich motiviert, ist unser Europa mitzugestalten.
Ein besonderes Ereignis deines
Lebens?
Berlin-Marathon 2007!
ge gemacht, die ich nach wie vor für
gut halte. Wir wollen zum Beispiel
erreichen, dass nur noch zertifizierte Ratingagenturen arbeiten dürfen
und eine eigene europäische Ratingagentur als Alternative zu den großen
drei aufgebaut wird. Außerdem sollen
Hedgefonds nur tätig werden dürfen,
wenn sie zertifiziert sind. Wir wollen
Transparenz schaffen. Wir wollen eine
Bankenabgabe erreichen, also Maßnahmen der jeweiligen Banken als
einen Solidaritätsfond. Wir sind für
Thomas Mann (Sevil Asci)
eine Bankenüberwachung, um eine
neue sichere Grundlage zu schaffen.
Ein weiterer Vorschlag ist der Sixpack,
den ich heute ausgeführt habe. Das
sind 6 politische Maßnahmen, damit
der Stabilitäts- und Wachstumspakt,
den wir auf dem Papier schon längst
haben, durchgreifen kann. Das heißt,
dass Sanktionen verhängt werden
können, dass Mitgliedstaaten sich an
die Regeln halten müssen, damit wir
nicht eine Verteilung von gemeinsamen Schulden haben, bei denen die
Größten am meisten zahlen müssen.
Sollte die EU die Verschuldung
ihrer Mitgliedstaaten kontrollieren
können? Benötigt sie dafür direkte
Eingriffsrechte in die nationalen
Haushalte?
Wenn die Mitgliedsstaaten vernünftig
genug sind, sagen sie, dass wir einen europäischen Finanzkommissar oder -minister brauchen, der zwar die nationalen
Finanzminister miteinbezieht, aber ein
Durchgriffsrecht besitzt. Wir brauchen
Spielregeln wie beim Fußball. Da kann
man sagen, dass die Vereine noch so unterschiedlich sind, aber trotzdem die gleichen Regeln zu befolgen haben.
Welche Kompetenzen braucht die
EU für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik? Gehören dazu auch
ein größerer Haushalt und eine
EU-Steuer?
Die EU-Steuer, die ich zunächst befürworte, schreckt viele Bürger ab, da sie
befürchten, dass dadurch zusätzliche
Steuern auf sie zukommen.
Weiter gehts auf Seite 7
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move SIMEP1 Spezial 5
„Europa wird nicht ernstgenommen“
I smail Ertug ist MdEP in der S&D-Fraktion. Aufgewachsen im bayerischen
Amberg, bezeichnet er sich selbst als
Sohn einer klassischen türkischen Gastarbeiterfamilie. Im Interview spricht er
über die Kernthemen der SIMEP 2012,
die EU-Beitrittschancen der Türkei und
natürlich über die SIMEP selbst. von
Hannah Ibnoulward
Wir brauchen eine europäisierte Haushaltspolitik, wobei das Recht der nationalen Parlamente nicht angetastet
werden soll. Natürlich brauchen wir
feste Regeln, ich plädiere beispielsweise für eine Finanztransaktionssteuer.
Außerdem muss man sich auch über
Eurobonds Gedanken machen, das
heißt, dass man einen Anteil der Schulden vergemeinschaftet. Zusätzlich sind
Strukturreformen anzumahnen. Es gibt
keine 1a-Lösung, sondern ein Bündel
von Maßnahmen, die einer starken EU
bedürfen.
Halten Sie die SIMEP für eine
realistische Darstellung des europäischen Parlaments? Laufen die
Sitzungen bei Ihnen in ähnlicher
Form ab?
Ich gehe davon aus, dass das Grundprinzip mit der SIMEP erreicht wird. Im Endeffekt geht es bei uns auch nicht soviel
anders zu. Man sitzt im Plenum und hat
seine Themenbereiche und nach einer
Vorstellung des Berichterstatters, sind die
Parlamentarier dazu aufgerufen ihre Meinungen und Positionen dazu kundzutun
und so ungefähr ist das Ganze auch hier
dargestellt. Von daher ist es eine gute
Übung für junge Leute, um einen Einblick
in den Tagesablauf eines Parlamentariers
zu erhalten.
Am Ende der SIMEP werden die
Beschlüsse der Teilnehmer dem
EuropäischenParlamentübergeben.
Wie ernst werden Sie die Vorschläge der Jugendlichen nehmen und
könnten Sie sich auch vorstellen,
einige davon umzusetzen?
Durch die SIMEP erhalten wir ein Stimmungsbild für das wir sonst Institute
beauftragen. Von daher sollte man das
schon ernst nehmen. Das Besondere
dabei wird natürlich auch sein, dass
man sich die Inhalte anguckt.
Sie sind Mitglied des TürkeiAusschusses der EU. Warum tut
sich die EU ihrer Meinung nach
so schwer mit der Aufnahme der
Türkei?
Die Beitrittsfrage der Türkei ist meiner
Meinung nach eine zu hohem Maße
emotionale Frage. Trotzdem darf man
nicht vergessen, dass 2004 alle 27 Länder den Beitrittsverhandlungen zuge-
Ismail Ertug (Europäisches Parlament)
stimmt haben. Inklusive der Länder,
die jetzt auch so tun, als wenn sie daran nicht beteiligt gewesen wären. Die
Verhandlungen laufen jedoch weiter.
Wie stehen die Chancen für eine
Türkeiaufnahme?
Die Frage ist nicht, ob die Türkei aufgenommen wird, sondern wann. Jetzt
kommt es auf die Performance der
Türkei an. Wie sie ihre Hausaufgaben
macht, ihre Reformen angeht und ob
sie den Kopenhagener Kriterien gerecht
wird. Wenn sie das alles macht, wird es
eine transformierte Türkei geben, die
durchaus die europäischen Werte vertritt. Das Gleiche ist momentan auch
bei Kroatien zu beobachten.
Ein Thema der diesjährigen SIMEP
ist die Finanzkrise. Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach
nötig um die Krise zu bewerkstelligen?
Zuerst muss man sich über die Ursachen der Krise klar werden. Die Banken haben viel Geld durch Fehlspekulationen verbrannt und mussten dann
mit Staatsknete gestützt werden. Aufgrund dieses Kausalzusammenhangs
brauchen wir eine deutlich bessere
europäische Zusammenarbeit, was die
Wirtschaft und Währung anbelangt.
Ein weiteres Thema ist die EUAußenpolitik. Welche Maßnahmen
muss die EU ergreifen, um auf
internationale Konflikte, wie zum
Beispiel in Syrien, zu reagieren?
Die Europäische Union muss ihre Außenpolitik bündeln, was natürlich
schwierig ist, da es 27 eigene Außenminister gibt, die sich ungern etwas
sagen lassen. Wir haben zwar eine Vertreterin. Sie muss allerdings so stark
sein, dass sie für die EU sprechen kann,
was momentan nicht der Fall ist. Die
Meinungen in Europa gehen zu sehr
auseinander, daher werden wir von
der Welt nicht ernst genommen. Die
Länder müssen Kompetenzen abgeben.
Momentan sehe ich allerdings nicht
den Weg dahin.
Das dritte Thema der SIMEP ist
die Datenschutzpolitik. Hierbei
geht es auch um die Vorratsdatenspeicherung. Halten Sie diese
für eine effektive Methode zur
Verbrechensaufklärung?
In der jetzigen Form sicher nicht. Bisher
sind durch Vorratsdatenspeicherung keine großen Terrorakte verhindert worden.
Momentan ist die Datenvorratsspeicherung mit zu langen Speicherfristen, zu
intransparenten Inhalten und einer fehlenden demokratischen Legitimation eher
eine Gefahr als ein Nutzen.
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Die Zukunft des Euro
move SIMEP1 Spezial 6
Aus der Krise lernen:
für ein transparenteres Europa
U nsere Redakteurin Amelie Maier
fragt SIMEP-Abgeordnete, ob die
aktuelle Krise in Griechenland und der
Eurozone eine gute Möglichkeit ist, die
politischen Entscheidungsprozesse in
Europa verständlicher zu gestalten.
Die Eurokrise ist zurzeit in aller Munde und auch aus den Medien
nicht mehr wegzudenken. Insbesondere Griechenland steht seit vielen
Monaten im Fokus der Diskussion. Die
Troika, ein Zusammenschluss aus der
sche Systeme auszuprobieren und das
Engagement der Demonstranten für
die Einführung basisdemokratischer
Organe zu nutzen? Hier gibt es zwei
konträre Positionen unter den SIMEPAbgeordneten.
Was für einen gilt, gilt auch für
den anderen
Auf der einen Seite herrscht
Unmut über die Proteste der grie-
zustellen, da ein Zerfall der Eurozone
ungeahnte Gefahren mit sich bringt.
Die Probleme lassen sich nur durch
Solidarität lösen.“ Mehr Basisdemokratie sei sinnvoll auf allen politischen
Ebenen, damit sich die Bevölkerung
mehr am Gesetzgebungsprozess beteiligen kann. „Die Bürger müssen sich
mehr mit den Entscheidungen auseinandersetzen, um diese mitzutragen.“
Das vorläufige Ziel sei es, laut dem Abgeordneten, zunächst ein Bewusstsein
für die Kraft und Wirkungsfähigkeit
Europas zu schaffen.
Die nationale Brille abnehmen
(Sebastian2 / jugendfotos.de)
Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfond, hat durch
ihre Sparvorlagen zur Kreditvergabe
an das Land für Verstimmung in der
griechischen Bevölkerung gesorgt. Die
Menschen sind verärgert, dass sie den
Gürtel immer enger schnallen müssen und gehen auf die Straße. Jahrelang wurden strukturelle Fehler, wie
Korruption und Klientelpolitik verschleiert sowie fehlerhafte Haushaltsberichte vorgelegt. Die Politik war undurchsichtig und die Bürger wurden
nicht einbezogen.
chischen Bevölkerung, wie ein Abgeordneter Litauens erklärt. „Unser
Land muss auch die europäischen
Sparmaßnahmen erfüllen, da wir aufgrund unserer eigenen momentanen
geringen Wirtschaftsleistung selbst
Gelder in Anspruch nehmen müssen.“
Nach anfänglichem Widerspruch der
Bevölkerung schaffe es die litauische
Regierung nun, über die Kürzung von
Renten- und Verwaltungsausgaben sowie Beamtengehältern die auferlegten
Maßnahmen einzuhalten. Der Abgeordnete fordert, dass Griechenland die
gleichen Konsequenzen ziehen muss.
Fallbeispiel Griechenland
Griechen sind nicht allein schuldig
Es stellt sich die Frage, ob die
aktuelle Situation Griechenlands, die
„Stunde null“, in der sich das Land
gerade befindet, nicht eine großartige Chance für Europa ist, neue politi-
Im Gegensatz dazu bezieht ein
Abgeordneter Österreichs eine solidarische Position. „Wir müssen aufhören, Griechenland als Schuldigen dar-
Auch Thomas Mann, Mitglied
des Europäischen Parlaments und Referent auf der SIMEP, bezieht klar Stellung für ein gemeinschaftliches Europa. In seiner Rede an die Teilnehmer
des Planspiels plädierte er für einen
europäischen Bundesstaat, in dem die
Länder nach dem Prinzip „best practice“ zusammenarbeiten und voneinander lernen. Seine Forderung, Politiker
müssten ihre „nationale Brille“ abnehmen, sorgte bei den Abgeordneten für
Begeisterung.
Der Weg zu einer europäischen
Identität ist noch weit, eine gemeinsame Verfassung scheint momentan noch
nicht umsetzbar. Doch das Interesse daran wächst, wie sich heute auf der SIMEP
gezeigt hat. Ein vereintes Europa beruht
auf einer basisdemokratischen Organisation. Die Transparenz im politischen
Entscheidungsprozess muss gestärkt
werden, damit die Partizipation der europäischen Bürger steigt. Je mehr sich
jeder Einzelne und jeder Staat engagiert,
desto eher erreichen wir dieses Ziel. Die
Griechenland- und Eurokrise bietet somit
eine Chance für Europa, sich in diesem
Punkt weiterzuentwickeln und als Vorbild in der Welt voranzugehen. Nutzen
wir diese!
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Die Zukunft des Euro
Ist die Lösung, sich dem
Euro abzuwenden?
E uro ja oder nein? Auch auf der
SIMEP wird das Thema der Eurokrise kontrovers diskutiert. Vor Ort
hat sich unsere Redakteurin einen
Überblick gemacht. - ein Kommentar von Jana Urban
Streng. Mühsam. Vielversprechend? Die Diskussion um die Sparpolitik der Europäischen Union ist aktuell.
Was haben Deutschland und Frankreich
sich da ausgedacht mit ihrem „Paket
zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“? Es heißt, es solle die Volkswirtschaften antreiben und so das Gemeinschaftsgefühl der Union stärken.
Durch den Euro ist die Wirtschafts- und
Währungspolitik auf verschiedene Entscheidungsebenen gehoben worden.
Die Wirtschaftspolitik verbleibt in Händen der Nationalstaaten, während die
Währungspolitik seitdem eine europäische Angelegenheit ist. Das Prinzip der
Mobilität der Arbeitskräfte innerhalb
der Länder funktioniert nicht mehr.
Gerade in den letzten Monaten ist eine
„Flucht aus der Krise“ von Portugal und
Griechenland nach Deutschland zu beobachten. Fördert das tatsächlich die
Integration der EU? Oder wäre Europa,
insbesondere Griechenland, besser beraten, dem Euro den Rücken zu kehren?
Die SIMEP-Abgeordneten sind
pro-Europa eingestellt. Fragt man bei
konservativen Fraktionen nach, die
in Großbritannien und Tschechien
stark sind, hört man vom „Subsidiaritätsprinzip“ und deshalb einer negativen Einstellung zum Euro. Aber
bei Ländern wie Griechenland sind
die Abgeordneten des Europäischen
Parlaments positiv gestimmt: Man
brauche die EU als Unterstützer,
sonst würde die Wirtschaft zusammenbrechen.
Am Rande des SIMEP-EU-Frohmutes sehe ich das Ganze kritisch. Wissen
denn die Griechen gar nicht, worauf sie
sich da einlassen, mit den ganzen Forderungen und Paketen? Sparpakte sind
schließlich keine Weihnachtsgeschenke, sondern mergeln Griechenland und
seine Bevölkerung aus. 13,5 Milliarden
move SIMEP1 Spezial 7
Fortsetzung von Seite 4
Doch eigentlich bedeutet das nur, dass
wir unsere ganzen Ausgaben zu einem
europäischen Teil vereinen. Dabei handelt es sich gar nicht um so viel Geld,
wie die Bürger denken.
Doch momentan erhalten wir
dafür nur negative Reaktionen, da die
Bürger glauben, wir wollen ihnen noch
mehr Geld wegnehmen.
Ein weiteres Thema der SIMEP ist
die EU-Außenpolitik. Welche Maßnahmen sollte Europa ergreifen,
um auf Konflikte, wie zum Beispiel
in Syrien, zu reagieren?
(doro52 / pixelio.de)
Euro muss Griechenland in den nächsten zwei Jahren sparen. Dass das nicht
zu schaffen ist, haben Deutschland und
Frankreich erkannt und Hilfe angeboten. Doch diese Hilfe zwängt Griechenland in eine quälende Abhängigkeit.
Griechenland stünde nicht schlechter
da, wären es aus dem Euro ausgestiegen, denn es wären bankrott gegangen - was sie, liebe Griechen, das müsst
ihr euch schon eingestehen - ohnehin
schon sind.
Sie hätten von vorne anfangen
können, aber nach eigenen Spielregeln. Statt Defizite von Rentnern
bezahlen zu lassen, sollten lieber
die dafür gerade stehen, die die Krise verursacht haben. Die Krise wäre
auch basisdemokratisch lösbar gewesen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre eine Volksabstimmung gewesen, ob die Griechen
- und hier meine ich den Großteil der
Bevölkerung - die Hilfe von Europa
überhaupt möchten oder eben nicht.
Dies wurde jedoch durch massiven
Druck von den Geberländern verhindert.
Obwohl hier bei der SIMEP heitere Stimmung herrscht, sieht die
Wirklichkeit da draußen anders aus.
Allgemeine
Unzufriedenheit
liegt
in der Luft. Dass das Sparpaket der
großen Politiker der Integration und
Transparenz Europas hilft, sei deswegen stark in Frage gestellt.
Wir brauchen eine gemeinsame Basis
als Grundlage. Um militärisch eingreifen
zu können, haben wir momentan keine
Grundlage. Hoffentlich wird es dazu auch
nicht kommen. Wenn wir einmarschieren
sollten, könnten wir das nur auf Basis eines UN-Mandates tun. Aber auch hierbei
ist es wichtig, gemeinsam zu agieren und
als Europa mit einer Stimme zu sprechen.
Das ist allerdings ein langer Prozess.
Das dritte Thema der diesjährigen
SIMEP ist die Datenschutzpolitik.
Sollte es eine allgemeine Regelung
für in der EU ansässige Unternehmen hinsichtlich der Nutzung und
Weitergabe von Verbraucherdaten
geben? Wie sollte diese aussehen?
Wenn ich bei einer Firma einkaufe,
stelle ich später fest, dass ich Post von
einer Firma erhalte, die mit der anderen scheinbar gar nicht zusammenarbeitet. Meine Daten, die ich brauche,
um einen Kauf zu tätigen, werden weitergegeben, ohne dass ich die Einwilligung dazu gegeben habe. Das halte
ich nicht für zulässig. Oft kann man
gar nicht nachvollziehen, wer wann
welche Daten weitergegeben hat. Daher brauchen wir Institute und Überwachungsorgane und Strafen im Falle
eines Missbrauchs. Alles andere kann
gar nicht sein. Wir sind sowieso schon
kontrolliert genug. Viele Daten, von
denen wir meinen, wir gäben sie privat weiter durch Facebook und andere
soziale Netzwerke, sind nicht gelöscht.
Es wird nichts vergessen, überall hinterlassen wir Spuren. Das haben wir
gerade beim CIA-General in den USA
miterlebt.
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Die Zukunft des Euro
move SIMEP1 Spezial 8
Schüler ins Europäische Parlament
Die Zukunft des Euro
M D ehr als 200 Schüler und Schülerinnen aus ganz Deutschland
versammelten sich am Sonntag, 18.
November 2012 vor dem Bundestag
in Berlin. Es ist der Beginn eines spannendenWochenendes, bei dem die Jugendlichenhautnahmiterleben,wiees
sich anfühlt, Europa-Politiker zu sein.
von Daniela Stoltenberg
SIMEP, das bedeutet europäische Politik gestalten. Seit 1999
veranstaltet die Junge Europäische
Bewegung
Berlin-Brandenburg
(JEB) jedes Jahr die Simulation Europäisches Parlament (SIMEP). Das
Planspiel lässt jährlich auf mittlerweile zwei Veranstaltungen über
400 Schüler aus ganz Deutschland
zu Abgeordneten des Europäischen
Parlaments werden. Was denkt ein
Finne zur Syrien-Frage und wie
steht Griechenland zum Sparkurs
der EU? Und wie funktioniert eigentlich die parlamentarische Entscheidung? Solche Fragen können
die Teilnehmer nach der Simulation
sicher beantworten.
An zwei Tagen lernen die Abgeordneten vor der Kulisse des Bundestages und des Berliner Abgeordnetenhauses, wie die EU-Gesetzgebung
funktioniert. Zu drei Themen werden dem Parlament Entwürfe vorgelegt: Zukunft des Euro, Datenschutz
und Europäische Außenpolitik im
Mittelmeerraum stehen dieses Jahr
auf dem Programm. Ländergruppen,
Fraktionen, Ausschüsse – in verschiedenen Gremien diskutieren die
Angeordneten Positionen und formulieren Änderungsanträge. Dabei
werden die Fraktionen durch aktive
Politiker und Vertreter der Jugendparteiverbände unterstützt.
Den Abschluss des zweiten Tages bildet die große Debatte im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses. In der Abwägung zwischen
Länder- und Parteimeinung sowie
persönlicher Einstellung entscheiden die Parlamentarier anschließend über die Themen. Dabei können sie beweisen, dass sie zu echten
Experten in der europäischen Parlamentsarbeit geworden sind.
ie Finanz- und Schuldenkrise hält Europa noch immer in
Atem. Sie hat nicht bloß die finanziellen Defizite einzelner Länder aufgedeckt, sondern das europäische
Vorzeigeprojekt der Währungsunion
an sich in Frage gestellt. Die offensichtlichen Schwächen dieses Projekts sollten uns jedoch nicht deren
fundamentale Errungenschaften vergessen lassen. von Arne Käthner
Historie
Die Erfindung der Geldwirtschaft
wird allgemein als zivilisatorischer
Fortschritt anerkannt. Grund dafür ist
die ihr zugeschriebene Eigenschaft,
zwischenmenschliche Beziehungen
zu befrieden. Mit der Einführung von
Geld werden die Privilegien eines Einzelnen (Besitztümer, Titel oder Rechte)
für einen anderen erreichbar – vorausgesetzt er ist bereit, einen gewissen
Preis dafür zu zahlen. Indem sich die
gewaltfreie Beilegung von widerstreitenden Interessensüberschneidungen
als „preiswerter“ erweist (Reduzierung
von Unsicherheit sowie von Gefahr
für Leib und Leben), so das Argument,
verhindert Geld als Tauschmittel den
Ausbruch von Gewalt.
Eine Währung fungiert demnach durchaus als Verbindungsstück und stellt Tauschbeziehungen
auf eine gemeinsame, für beide Seiten vorteilhafte Grundlage. Darüber
hinaus, so die gängige Meinung,
schaffe die Geld- und Kreditwirtschaft nicht nur Märkte, sondern
auch Kulturen mit gleichem Werteverständnis. Mittels Geldwirtschaft
können Beträge, Schulden und Fristen minutiös aufgezeichnet und so
die gegenseitigen Verpflichtungen
präzise berechnet werden. Diesen
Umstand – das Aufkommen der
rationalen Wirtschaftsrechnung –
würdigte schon der Soziologe Max
Weber als einen entscheidenden
Beitrag für die Entwicklung der,
gegenüber anderen Kulturen fortschrittlichen,
westlichen
Gesellschaft und ihrer nach Gewinn strebenden Wirtschaft. Das rationale
Rechnungswesen
(Kapitalrechnung
und Kalkulation) stärke zudem die
Moral und das Rechtsempfinden gegenüber den Handelspartnern.
Dies ist zentral, da Handelspartner, wollen sie weiterhin miteinander ins Geschäft kommen, sich
auf eine gemeinsame Handhabung
von Leistungen und Rückzahlungen
einigen müssen. Ohne diese gemeinsamen Werte kann kein Vertrauen
in die Zuverlässigkeit des Handelspartners, aber auch kein Vertrauen
in eine Währung – eine abstrakte
Verkörperung eines Wertes, welche
rein relationalen Wert besitzt – entstehen. Vertrauen ist also für eine
funktionierende
Währungsgemeinschaft unabdingbar und muss von
einzelnen Marktakteuren – allem
voran der Schuldner – stets aufs
Neue erworben werden.
Gegenwart
Vor diesem Hintergrund erscheint
die Einführung einer Gemeinschaftswährung in einem eng miteinander
verflochtenen Wirtschaftsraum als
ein kluger Schritt. Nach gut einer
Dekade steckt dieses Vorzeigeprojekt Europas jedoch in einer ernstzunehmenden Krise. Die gepriesenen
Vorzüge scheinen sich amortisiert
zu haben: Viele Staaten haben das
ihnen
entgegengebrachte
Vertrauen durch eine Überschuldung
des eigenen Landes verloren. Die
Möglichkeit rationaler Handelsbeziehungen wird von einer Vielzahl
denkwürdiger Phänomene konterkariert (vollautomatischer Hochfrequenzhandel, Anleihenkauf auf
Pump, oder auch Nahrungsmittelspekulationen). Auf der Strecke geblieben sind außerdem das
Verständnis und der gegenseitige
Respekt im Umgang miteinander.
Letzteres musste die deutsche Kanzlerin in letzter Zeit immer wieder
erfahren. Bei ihren Auslandsreisen
in die befreundeten EU-Mitgliedstaaten war sie vor Anfeindungen
aufgebrachter Demonstranten nicht
gefeit – Transparente mit Nazivergleichen und Hitlergruß gehörten
dabei in Griechenland und Spanien
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Die Zukunft des Euro
move SIMEP1 Spezial 9
Zukunft
Zukunft ungewiss - wird der Euro kippen? (MoritzS / jugendfotos.de)
aber auch in Portugal, zum Standartrepertoire der Demonstranten.
Fest steht, so groß die Errungenschaften der Geldwirtschaft auch
sein mögen, sie birgt unweigerlich
auch Gefahren. Entscheidend für
das weitere Vorgehen zur Lösung
der Krise ist die Beantwortung der
Frage, ob die derzeitigen Probleme,
denen die Eurozone gegenübersteht,
dem Konzept der Monetarisierung
inhärent sind, oder aber ob wir es
lediglich mit einer fehlerhaften Umsetzung, beziehungsweise mit unvernünftigen politischen bzw. wirtschaftlichen Entscheidungen zu tun
haben? Von der Antwort auf diese
Frage hängt ab, welche Lösung für
die Gemeinschaftswährung angestrebt werden sollte.
Ein kurzer Blick auf die Machenschaften vormals anerkannter Großbanken oder aber auch auf die angehäuften Schuldenberge – nicht
einzelner, sondern aller – Euroländer
reicht eigentlich aus, um die Frage
eindeutig beantworten zu können.
Unzweifelhaft sind Fehler gemacht
worden; von einzelnen Individuen,
Institutionen, aber auch von den
Regierungen der beteiligten Länder.
Nicht nur Nachlässigkeiten bei der
Konstruktion der Währungsunion
werden als für die derzeitige Lage
verantwortlich anerkannt, sondern
vor allem die eigene Interpretation
der so schon laxen Rahmenbedingungen. So wird die Notwendigkeit
neuer Strategien für die Realität global interagierender Marktteilnehmer
mittlerweile auch allgemein anerkannt. Wie diese aussehen, wie sie
institutionalisiert und europaweit
umgesetzt werden sollten, bleibt jedoch strittig.
Schnelle Fortschritte bei der
Verabschiedung und Umsetzung gemeinsamer Finanz- und Währungsreformen sind daher auch weiterhin
nicht zu erwarten. Unterschiedliche
Bewertungen der Ereignisse, sowie
nationale Eigeninteressen der EuroLänder tragen ihr Übriges zum zähen
Ringen um Reformen bei. Selbst bei
einer Einigung über eine Vertiefung
der Wirtschafts- und Währungsunion, der Initialisierung einer Bankenaufsicht und der Einführung einer
Transaktionssteuer
werden
sich
Fragen zur Ausgestaltung und Umsetzung gemeinsamer Rahmenbedingungen fortwährend neu stellen.
Denn wirtschaftlicher wie sozialer
Wandel bilden Konstanten gesellschaftlicher Strukturen.
Eine Errungenschaft ist in der
Krise gestärkt worden: der länderübergreifende, friedliche Dialog über
die grundlegenden Werte auf denen
eine gemeinsame Währungsunion
zum allseitigen Vorteil gedeihen
kann. Die Aufgabe der Währungsunion würde daher tatsächlich einen
Rückschritt
für
transeuropäische
Austauschbeziehungen bedeuten.
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MensaGeMurmel
„Eigentlich treffe ich auf Politik nur
beim Nachrichtenschauen.“
„Ich will Abläufe im Parlament besser
verstehen können.“
„Das was eigentlich jedem zu Finnland
einfällt: Nokia, Sauna, der Weihnachtsmann wohnt in Finnland.“
„Niederlande? Blumen, Käse, Holzschuhe!“
Datenschutz
WWW - Wer weiß
1 990: Die kommerzielle Nutzung
des Internets beginnt. 1995: Die
EU erschafft Datenschutzrichtlinien.
Danach folgt nichts außer einer neuenDenkweise.DasInternetwirdimmer
alltäglicher. Neue Dienstleistungen
werden zur Verfügung gestellt, doch
die Richtlinien bleiben dieselben. Nun
soll sich dies ändern. vonVivianDreßler
„Politisches Vorbild?“ – „Arnold Schwarzenegger.“
Jeder kann heutzutage die Digitalisierung unseres Lebens im Alltag
erleben. Die Benutzung von TabletPCs, E-Readern, Laptops und Smartphones ist für uns selbstverständlich.
Soziale Netzwerke werden besucht.
Nachrichten gelesen. E-Mails geschrieben. Jeder ist mit jedem in
Kontakt, auch wenn dies über große
Entfernungen geschieht. Doch gerade
jene Vernetzung stellt ein großes Problem in Bezug auf den Umgang mit
unseren Daten dar. Zur Lösung sucht
die EU-Kommission nach neuen Regelungen, um den Datenschutz zu gewährleisten.
„Echt jetzt?“ - „Ja, na klar!“ (zwinker)
Die Anfänge des Datenschutzes
„Mehr Transparenz und Freiheit.“
„Es gibt keinen Grund, warum jemand
einen Computer zu Hause haben sollte“, sagte Ken Olsen – Präsident und
Gründer von DEC (Digital Equipment
Corporation) – im Jahre 1977. Wie
man sieht, war es selbst für Personen
aus der Computerbranche unvorstellbar, dass der Computer einen solch
großen Stellenwert in unserem Leben einnehmen würde. 1990, als die
kommerzielle Nutzung des Internets
ermöglicht wurde, konnte sich mit
„Ab und zu krieg ich es im Kopf und
dann brauch ich so etwas Mal.“
„Weder links noch rechts. Auch nicht
konservativ.“
„Die FDP auf jeden Fall nicht. Eher liberal!“
„Ich bin sozusagen Leidenschaftstäter
für den europäischen Kontext.“
„Ich finde, dass Europa unglaublich viele Möglichkeiten bietet, die wir zum
Teil sehr selbstverständlich leben.“
„Einzigartiges Experiment.“
„Was machst du da dann genau?“ „Also wenn die irgendwas Tolles machen wollen, sage ich: „Dafür gibt es
Geld!“ … oder auch eben nicht!“
„Europa nicht kritisch sehen, sondern
als Chance.“
„Das ist teilweise so selbstverständlich,
dass wir vergessen, dass vorher sehr
viele Hindernisse überwunden wurden.“
„Ich habe das Gefühl ich kann etwas
verändern.“
„Ich hatte vorher noch nicht so viel mit
Politik am Hut.“
move SIMEP1 Spezial 10
Sicherheit auch niemand vorstellen,
dass die Vernetzung unserer Welt
einmal so groß sein würde, dass die
Verbindung von Facebook-Kontakten
ein genaues Abbild unserer Weltkarte
produziert.
Jedoch sind die EU-Richtlinien
zum Thema Datenschutz 1995 entstanden, angesichts heutiger Entwicklungen also uralt. Das Internet
war noch nicht geprägt von der Dynamik. Es steckte gerade erst in den
Kinderschuhen, was die kommerzielle Nutzung anbelangt. Nun stellt
die starke Vernetzung durch das Internet aber einen Schwachpunkt für
die Privatsphäre des Menschen dar.
Ebenso komplex wie die Strukturen
des World Wide Web ist es für den
Benutzer nicht mehr möglich, seine
persönlichen Daten wirklich zu verfolgen. Wer was weiß, ist nicht mehr
ersichtlich. Gerade dies will die EU
aber erreichen.
So gilt es nun, neue Regelungen
zu finden. Es soll eine Verordnung
geschaffen werden, mit der ein allgemeiner Datenschutzrahmen gestaltet
werden soll. Zudem soll es Richtlinien geben, die dem Zweck der Verhütung, Untersuchung und Verfolgung
von Straftaten dienen.
Daten bestimmen die Wirtschaft
Das Potenzial der Wirtschaft vollkommen auszuschöpfen, ist ebenso ein
Ziel der neuen Richtlinien. Man will
versuchen, das Wirtschaftswachstum
„Allgemein finde ich ihre Ansätze
klug. Manchmal aber auch nicht.
Nicht so größenwahnsinnig wie die
Piraten - die sagen einfach irgendwelchen Kack.“
„Europa geht jeden etwas an!“
„Ich würde gerne das Europa, das ich
jetzt habe, weiterentwickeln und mich
dafür einsetzen, dass das nicht weniger
wird, aber auch nach meinen Vorstellungen mitgestalten.“
„Ich konnte so richtig aus mir rauskommen!“
„Meine perfekte Regierung wäre
Schwarz-Grün, das ist aber ein bisschen tricky.“
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Datenschutz
move SIMEP1 Spezial 11
was?
und die Wettbewerbsfähigkeit der EU
zu steigern. Doch was hat der Datenschutz mit der Wirtschaft zu tun?
Für uns ist es normal, im Internet nach Gebrauchsgegenständen zu suchen, diese zu bestellen
und sie uns einfach liefern zu lassen. Jeder von uns kennt aber auch
das Gefühl, wie es ist, ständig seine
Adresse, Telefonnummer oder allein schon seine E-Mail-Adresse angeben zu müssen. Was uns hierbei
plagt, ist das fehlende Vertrauen in
den Anbieter. Eben jenes lässt uns
zögern, online einzukaufen oder
bestimmte
Dienstleistungen
des
Internets in Anspruch zu nehmen.
Der fehlende Datenschutz sorgt somit dafür, dass wir uns gegen einen
Kauf entscheiden.
Wird nun durch neue Datenschutzrichtlinien
dafür
gesorgt,
dass wir besser verfolgen können,
was mit unseren persönlichen Informationen passiert, trauen wir
uns wieder mehr zu kaufen. Das so
entstandene Vertrauen kann dazu
genutzt werden, den Markt zu erweitern und zu optimieren. Dies
führt schließlich zu einem Wachstumspotenzial.
Alte Ziele – Neue Datenschutzrichtlinien
In seiner lebhaften Umgebung
wird das World Wide Web schnell zu
einem „Wer weiß was?“. Diese Frage
zu beantworten, erscheint für jeden
Benutzer unmöglich. Bereits in der
(Gerd Altmann / pixelio.de)
Richtlinie 95/46/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates hat man
versucht dem Nutzer einen Weg zu
ermöglichen, um die oben genannte
Frage zu klären. Allen Personen soll
es durch den Artikel 12 der Richtlinie
ermöglicht sein, Auskunft über seine
personenbezogenen Daten einzufordern. Dies umfasst sowohl die Information wie die Daten verarbeitet
werden, als auch welche Daten gespeichert wurden.
Dieser Artikel soll durch das
Recht auf Vergessenwerden erweitert
werden. Durch dieses soll erreicht
werden, dass Daten auf Wunsch des
Benutzers gelöscht werden müssen,
solange es keinen legitimen Grund
gibt, diese weiter aufzubewahren.
Zu beachten ist, dass auch der Artikel 12 bereits durch den Artikel 13
eingeschränkt ist, wenn zum Beispiel
die Sicherheit des Staates bedroht
ist oder es um ein wirtschaftliches/
finanzielles Interesse eines Mitgliedsstaates geht.
Bei Datenmissbrauch entscheiden weiterhin nationale Behörden,
wie es bisher auch in der Richtlinie
95/46/EG Artikel 28 geregelt war.
Diese haben bisher ihre Aufgaben in
völliger Unabhängigkeit ausgeführt.
Nun sollen aber Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen
den nationalen Datenschutzbehörden
erreichen sollen.
Diese und weitere Ergänzungen
sollen den Weg ebnen, um die Frage
„WWW – Wer weiß was?“ leichter zu
beantworten und den Benutzer zu
schützen.
„Politik, Hautnah, Jugend“
Rosa (15), Berlin
„Transparenz, Wissen, Europa“
SIMEP in 3 Worten
„Politisch, Aufschlussreich, Unterhaltsam“
Maxime (19), Berlin
„Begeisternd, Groß, Europäisch“
Jano (25), Berlin
„Vielfältig, Spannend, Gemeinsam“
Luisa (18), Berlin
Tom (17)
„Lernen, Verbinden, Kommunikation“
Flor (19), Berlin
„Politik, Lebendig, Erleben“ – Jana
(20), Göttingen
„Praxis, Verstehen, Erlernen“
Chrissy (16), Stuttgart
„Anwendung, Politik, Presse“
Marissa (18), Berlin
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EU-Außenpolitik
move SIMEP1 Spezial 12
Werte oder Interessen?
D er „Arabische Frühling“ hat
kaum die ersten Autokratien und damit Jahrzehnte des politischen Stillstandes weggefegt,
schon steht die EU mit einem neuen
Vertragswerk parat, um „die Beziehungen zwischen der EU und dem
südlichen Mittelmeerraum auf eine
qualitativ neue Stufe zu heben“. Die
sogenannte „Partnerschaft für Demokratie und gemeinsamen Wohlstand“, so heißt es, erweitert die sich
auf positive Erfahrungen stützende
bisherige Zusammenarbeit. von
Sonja Luckmann
Bis Mitte der neunziger Jahre
agierte die EU außenpolitisch kaum
gemeinschaftlich. Zwischen den vormaligen EG-Ländern und den Mittelmeerdrittländern (MDL) wurden
neben bilateralen Assoziierungsabkommen
Handelsabkommen abgeschlossen, die den wirtschaftlichen
Austausch fördern sollten. Das Ende
des Ost-West Konfliktes und die zunehmend als bedrohlich wahrgenommene politische Instabilität in den
südlichen Mittelmeeranrainerstaaten
läutete jedoch einen Politikwandel
ein.
Unter dem Dach einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) lancierte die EU 1995 den
Barcelona-Prozess:
Euro-mediterrane
Partnerschaft und entwickelte ein
umfassendes Instrumentarium zur
Förderung von Demokratisierungsprozessen in den MDL. Der multi- und
bilaterale Rahmen, unter Einschluss
der Konfliktparteien des Nahostkonfliktes, bot erstmalig ein Forum, um
politische Themen der Region gemeinsam anzugehen. So ambitioniert
und aussichtsreich dieser Ansatz
gestartet war, so schnell zeichnete
sich dessen Wirkungslosigkeit ab.
Die politische Konditionierung der
Wirtschaftspolitik mit der Zielgabe
Reformen hin zu mehr Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus
zu belohnen und deren Ausbleiben
zu sanktionieren, wich einer zunehmend normfreien Realpolitik. Reformprozesse
wurden
zugunsten
Demonstranten im „arabischen Frühling“ (FreedomHouse / flickr.com)
kurzfristiger Stabilitätsgarantien der
arabischen Autokraten ausgesetzt,
stattdessen floss, nicht ohne Erfolg,
das Gros finanzieller Mittel in den
Ausbau der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Kooperation.
Zwei Ereignisse nach der Jahrtausendwende führten zu einer Nachjustierung der EU-Mittelmeerpolitik:
Die Sicherheitsdebatten nach dem
Anschlag auf das World Trade Center,
als auch die Osterweiterung der EU
im Jahr 2004. Die Bedeutung stabiler,
politisch-verlässlicher Staaten an der
teils neuen Peripherie der Union wurde im Zuge der Sicherheitsdebatte als
Notwendigkeit zur Wohlstands- und
Friedenssicherung innerhalb der EUMitgliedsstaaten unterstrichen. Als
Antwort auf das neue Sicherheitsparadigma wurde infolgedessen die
Europäischen
Nachbarschaftspolitik (ENP) entworfen, die sowohl die
neuen postsowjetischen Nachbarn
östlich der EU umfasste, als auch den
zehn südlichen Mittelmeeranrainern
galt. In Anbetracht der knappen finanziellen Ressourcen, die der ENP
zur Verfügung stehen und der hohen
Abhängigkeit der EU-Mitgliedsstaaten
von verlässlichen Energielieferungen
und der gemeinsamen Bekämpfung
„illegaler“ Migration, erscheint Pragmatismus anstelle von Werteexport
als das effizientere Mittel der Wahl.
Mit viel Pomp wurde im Juli
2008 unter französischer EU-Ratspräsidentschaft schließlich die Union für
das Mittelmeer (UfM) öffentlichkeits-
wirksam ins Leben gerufen. Die dritte
und bis März 2011 letzte Initiative der
EU-Mittelmeerpolitik verstand sich
als Weiterentwicklung und Impulsgeber der wenig erfolgreichen Euromediterranen Partnerschaft aus dem
Jahre 1995. Der pragmatische und lösungsorientierte Ansatz mag die Möglichkeit schneller und praktischer Erfolge erhöhen, ein Ergebnis bleibt die
UfM bis heute jedoch schuldig.
In Brüssel hat man nach dem Ausbruch der arabischen Revolutionen erkannt, dass man mit der scheinbaren
Stabilitätspolitik in dieser Region auf
das falsche Pferd gesetzt hat. „Europa
hat sich nicht deutlich genug für den
Schutz der Menschenrechte und der
einheimischen demokratischen Kräfte
in der Region eingesetzt. Zu viele von
uns sind dem Irrglauben aufgesessen,
autoritäre Regime seien ein Garant für
Stabilität in der Region“, war fast reuevoll vom EU-Erweiterungskommissar
Stefan Füle zu vernehmen. Viel hat
man sich seitdem in Brüssel vorgenommen: Die Erneuerung der ENP, die
positive Konditionierung der Politik
und Demokratie und nachhaltige Entwicklung wieder zu den wichtigsten
Zielen erklärt. Der Ausgang der Revolutionen in den arabischen Staaten ist
offen und wird sicherlich nicht durch
ständig neue und erweiterte Ansätze
aus Brüssel entschieden. Dennoch hat
die EU mit der Neubelebung ihres eigenen Werteverständnisses sicherlich den
ersten Schritt in die richtige Richtung
gemacht.
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EU-Außenpolitik
move SIMEP1 Spezial 13
Kontraste?
Deutschlands Stellungnahme und die der EU
zum Syrienkonflikte
B ashar al- Assad scheint die
Medien regelrecht zu beherrschen. Bereits seit Juni 2000, dem
Damaszener Frühling, lehnt sich
die Bevölkerung Syriens gegen
ihren Präsidenten auf. Assads Regime beruht auf einer korrupten
Diktatur, in der der Wille des Volkes
unterdrückt wird. Die Aufstände
der Rebellen werden mit Waffen
und Panzern unterdrückt, finden
jedoch ihren Weg in die Medien
und fordern zum Mitdenken- und
handeln auf. Was können wir tun:
in Deutschland oder allgemein in
der EU? von Rosa Anschütz
Der Syrienkonflikt geht alle was
an, auch uns hier bei der SIMEP im November 2012. Es ist einer der drei zentralen Themen: die EU-Außenbeziehung zu der südlichen Nachbarschaft.
Deutlich ist, dass Deutschland,
aber auch die EU, nicht wegsehen,
sondern helfen wollen. Mit 22 Millionen Euro für humanitäre Hilfe
ist Deutschland einer der stärksten
Unterstützer der lokalen Bevölkerung, aber mit Geld lässt sich der
Konflikt in Syrien nicht lösen - vieles muss erst in dem Land selbst
verändern.
Die Verhandlungen zur Friedenssicherung laufen und am 14.
November wurden in Brüssel weitere Beschlüsse, wie eine Ausweitung der Reiseeinschränkung für
Vertreter des Regimes in Damaskus,
der Hauptstadt von Syrien, nach
Europa verabschiedet.
Eine Ausweitung der Kämpfe
in andere Länder sieht die EU als einen gefährlichen Knotenpunkt der
Probleme, der dringend verhindert
werden muss.
Doch die EU besteht aus 27 Staaten und nicht unbedingt alle sind sich
einig über das Vorgehen: der Druck
wird erhöht, Maßnahmen werden eingeleitet. Doch stehen alle Staaten hinter den gemeinsamen Beschlüssen
Auch wenn sich der Grundhaltung einig, sind sich die Länder
über die genauen Vorgehensschrit-
Eingestürzte Hausfront in Azaz (Voice of America News / youtube.de)
te nicht einig. Beispielsweise England und Deutschland.
Wie schon in früheren Jahrzehnten geschichtlich bewiesen, stützt
sich England eher auf sein Militär. In
den Medien wird dieser Aspekt häufig hervorgehoben. Das Ziel Assad als
Staatspräsident abzusetzen ist eine
zentrale Forderung Großbritanniens –
notfalls auch militärisch.
Für
Deutschland
hingegen
steht die Sicherheit der syrischen
Bevölkerung an erster Stelle. Die
Bundesregierung engagiert sich vor
allem bei Not- und Stabilisierungsmaßnahmen in der Region.
Die EU fordert zwar allgemein
ein verantwortungsbewusstes Handeln, doch Verantwortung ist ein
dehnbarer Begriff. Laut Catherine
Ashton, der hohen Vertreterin der
Außen- und Sicherheitspolitik müsse der Druck auf Syrien erhöht werden. Bashar al- Assad habe keine andere Möglichkeit als den Rücktritt.
Was Syrien gut täte, wäre ein
politischer Neuanfang.
Kommentar der Autorin
Ich frage mich ob Englands
„Eingreifungsmethode“ sinnvoll ist.
In einem Land wie Syrien, in
dem schon so viel Gewalt, herrscht,
noch mehr einfließen zu lassen,
halte ist für falsch.
Ich bin der Meinung, dass
nicht allein die Absetzung Assads
die politische Lage in Syrien ausgleichen würde.
Es fehlt eine politische Struktur, die erst aufgebaut werden
muss.
Doch halte ich es für wichtig
diesem Problem ins Auge zu sehen,
sich zu informieren und sich generell damit auseinander zu setzen.
Denn Politik weltweit geht
uns alle etwas an.
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move SIMEP1 Spezial 14
Deutscher Traum zerplatzt
M it der Flucht aus den Krisenländern und Südosten Europas
geht die Hoffnung einher, Arbeit im
reichen Westen zu finden und die Familie in der Heimat zu unterstützen.
Nach der Ankunft beginnt ein neuer
Lebensabschnitt: Einige steigen beruflich auf, während andere in die
falschen Kreise geraten. von Mina
Saidze
Die Zahl der Wirtschaftsflüchtlinge ist eine Dunkelziffer. Armut,
Arbeitslosigkeit und Hunger zählen
nicht als Gründe, damit das Recht
auf Asyl und Niederlassung gewährt
wird. So bleibt nur die Existenz als
illegaler Einwanderer oder die Möglichkeit einen Grund wie die politische Verfolgung oder religiöse Diskri-
Irland.
Die nach Deutschland ausgewanderte Eva Losara-Barreiro erzählte Al
Jazeera gegenüber, dass sie trotz ihres
Masterabschluss in Ingenieurwissenschaften sowie Kenntnissen in Englisch,
Spanisch und Mandarin keine Arbeit in
Spanien gefunden habe. Vor wenigen
Monaten erhielt sie ein Angebot von
einem Unternehmen in Baden-Württemberg. Die Flucht aus ihrer krisengeplagten Heimat hat sich gelohnt. Biografien wie die von Eva Losara-Barreiro sind
nicht ungewöhnlich und zeigen, dass
Krisenländer ihre besten Nachwuchskräfte an Deutschland und andere Länder der Welt verlieren.
Studiert hat auch Olivera Stamenovska. In der mazedonischen Haupt-
Rotlicht mal europäisch? (Micelli / jugendfotos.de)
minierung vorzutäuschen.
Seit der Erweiterung der Europäischen
Union im Januar 2007 gehören auch Rumänien und Bulgarien zu den Mitgliedsstaaten. Europäische Bürger, deren Länder
das Schengenabkommen unterzeichnet
haben, dürfen sich in der Schengenzone
frei bewegen. Von diesem Gesetz machen
viele junge Menschen aus Südosteuropa
Gebrauch, aber auch aus den Krisenländern Griechenland, Spanien, Italien und
stadt Skopje hat sie ihren Abschluss
in Jura erworben. Gebracht hat ihr das
nicht viel - außer einen Studienkredit,
der noch zurückgezahlt werden muss
und dessen Zinsen steigen. Im Internet wurde sie auf folgendes Angebot
aufmerksam: 400 Euro pro Monat,
dazu Verpflegung und Unterkunft. Am
Telefon habe eine freundliche Frauenstimme gesagt, sie werde Zimmer und
Flure putzen, in einem kleinen Hotel,
in einem Ort irgendwo in Ostdeutschland.
Die Kanzlei in Skopje, in der
Olivera sich als Anwältin beworben hatte, war schon länger insolvent: die große Euro-Krise, dann
das Sparprogramm der Regierung.
Die Sozialhilfe wurde auch gekürzt
und die Miete wurde für sie und
ihre Familie unbezahlbar. Es war
ein persönliches Scheitern, denn sie
wollte mehr vom Leben als das, was
für Menschen wie sie vorgesehen
schien. Jetzt, nachdem sie die Frau
aus Deutschland anrief, stand ihr
die Welt wieder offen. Bald würde
sie für ihre alten Eltern und drei Geschwisterkinder richtig sorgen können. Diesmal würde sie es schaffen.
Dort angekommen stellte sie
fest, dass es keinen Job als Zimmermädchen gab. Die angenehme Stimme stellte sich als Betreiberin einer
Escort-Agentur heraus, die junge,
gebildete Frauen aus Südosteuropa
weitervermittelte. Männer aus Bulgarien, Rumänien oder Mazedonien
können von ähnlichen Erfahrungen
berichten. Die Stelle als Bauarbeiter,
Krankenpfleger oder Reinigungskraft sei manchmal erfunden. Die
harmlose Internetanzeige oder das
Vertrauen in die Schlepper führt
in vielen Fällen in die Prostitution
oder dem Drogenhandel. Der Familie, Bekannten und Freunden in der
Heimat erzählen sie aus Scham und
Furcht nichts davon. Sie halten das
Bild eines reichen Nordwesten Europas, eines sicheren Deutschland
aufrecht, in welchem sich Tüchtigkeit in bare Münze auszahlt.
Von der Arbeitsmigration profitiert auch die deutsche Wirtschaft.
Diese Gruppe von Einwanderern
arbeitet mehr, manchmal riskante
Tätigkeiten, für weniger Lohn und
selbst um diesen werden sie oft betrogen. Sie existieren nicht auf dem
Papier, bewegen sich in der rechtlichen Grauzone und fehlen in der
Statistik.
Den deutschen Traum haben
sie sich anders vorgestellt.
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move SIMEP1 Spezial 15
Wie fest sitzt der Euro noch im Sattel?
vo
von Sevil Asci
Ein herzliches Dankeschön für die Zusammenarbeit
geht an ALEX, der neue Offene Kanal Berlin
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Die JEB Berlin-Brandenburg
Wir, die Junge Europäische Bewegung (JEB), sind ein gemeinnütziger, unabhängiger, überparteilicher
und politischer Jugendverband. Was
uns verbindet und besonders am Herzen liegt, ist der europäische Gedanke. Europa ist unsere Zukunft. Und da
wollen wir mitreden und mitgestalten.
Wir wollen nicht nur informieren, sondern fordern auch zu kritischem Denken auf. Mit jugendlicher
Energie bringen wir neue Ideen und
frischen Wind in europapolitische
Debatten. Mit zahlreichen Aktionen,
Veranstaltungen und Projekten in
Berlin und Brandenburg setzen wir
uns ehrenamtlich für ein geeintes,
demokratisches, bürgernahes, friedliches und solidarisches Europa ein.
Der Schwerpunkt unserer Aktionen liegt in der europapolitischen
Bildungsarbeit. Wir organisieren Seminare, Workshops, Planspiele, Podiumsdiskussionen,
Kundgebungen,
Reisen und vieles mehr. Unser größtes Projekt ist die Simulation Europäisches Parlament (SIMEP), die wir
zweimal im Jahr durchführen. Als
Stimme der europainteressierten Jugend werden wir aber auch regelmäßig zu Diskussionen und Veranstaltungen anderer eingeladen.
Bei uns kann jeder mitmachen,
der Begeisterung für Europa mitbringt. Kommt einfach zu unserem
monatlichen Jour Fixe und lernt uns
dort kennen, bringt eure Meinungen
und Ideen ein oder macht bei unseren Aktionen, Veranstaltungen und
Projekten mit. Wir freuen uns auf
euch!