Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer

Transcription

Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer
Regress im Schadensausgleichsrecht unter besonderer
Berücksichtigung des Privatversicherers
DISSERTATION
der Universität St. Gallen,
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Rechtswissenschaft
vorgelegt von
Alexander Müller
von
Münchwilen (Thurgau)
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Vito Roberto
und
PD Dr. Hardy Landolt
Dissertation Nr. 3174
D-Druck-Spescha
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit
zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 17. Januar 2006
Der Rektor
Prof. Ernst Mohr, PhD
VORWORT
Mein Dank gilt allen, die mich bei der vorliegenden Arbeit unterstützt haben. Herrn Prof.
Dr. Vito Roberto danke ich für den mir vertrauensvoll gewährten Freiraum, den er mir
bei der Bearbeitung des Themas einräumte. Für die Übernahme des Korreferates bin ich
Herrn PD Dr. Hardy Landolt zu Dank verpflichtet.
Den grössten Dank schulde ich jedoch meiner Mutter, die mir meine Ausbildung zum
Rechtsanwalt ermöglicht und mich stets unterstützt hat. Ihr sei diese Arbeit gewidmet.
Im weiteren danke ich Frau Dr. Ida Götte für die äusserst wertvolle und unermüdliche
Korrektur des Manuskripts.
Das Manuskript wurde im Dezember 2005 fertig gestellt. Literatur und Judikatur wurden
bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt.
Mörschwil, im Februar 2006
Alexander Müller
INHALTSÜBERSICHT
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
I
II
XI
XVI
XXV
EINLEITUNG
1
I. TEIL:
3
GRUNDLAGEN DES SCHADENSAUSGLEICHSRECHTS
§ 1.
Schadensausgleichssysteme
§ 2.
Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und
Schadensausgleichspflichtigen
13
§ 3.
Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Leistungspflichtigen
21
§ 4.
Ergebnis erster Teil
24
II. TEIL:
3
GRUNDLAGEN DES REGRESSRECHTS
26
§ 5.
Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen
26
§ 6.
Allgemeine Regressordnung
32
§ 7.
Einschränkungen des Regressrechts
60
§ 8.
Ergebnis zweiter Teil
88
III. TEIL:
§ 9.
REGRESS DES PRIVATVERSICHERERS
90
Stellung des Privatversicherers in der Regressordnung
90
§ 10. Regress des Sachversicherers
116
§ 11. Regress des Haftpflichtversicherers
133
§ 12. Besonderheiten des Privatversicherungsregresses
137
§ 13. Gültigkeit von Versicherungsklauseln
153
§ 14. Ergebnis dritter Teil
164
IV. TEIL:
166
SCHLUSSBETRACHTUNG
§ 15. Zusammenfassung und Reformvorschläge
166
ANHANG:
172
ALLGEMEINE VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN
172
EMPFEHLUNGEN DES SVV
172
I
INHALTSVERZEICHNIS
RÉSUMÉ
XXV
EINLEITUNG
1
I. TEIL:
3
GRUNDLAGEN DES SCHADENSAUSGLEICHSRECHTS
§ 1.
Schadensausgleichssysteme
3
I.
Haftungssystem
3
1.
3
Privatrechtliche Haftung
A. Allgemeines
3
B.
Deliktshaftung
4
i.
Allgemeines
4
ii.
Rechtsnatur des Haftungsanspruchs
5
iii. Verhältnis zwischen Verschuldens- und Kausalhaftung
C.
Vertragshaftung
8
i.
Allgemeines
8
ii.
Rechtsnatur des Haftungsanspruchs
8
2.
II.
Staatshaftung
I.
9
Versicherungssystem
10
1.
10
Privatversicherung
A. Allgemeines
10
B.
10
2.
§ 2.
5
Rechtsnatur des Privatversicherungsverhältnisses
Sozialversicherung
11
A. Allgemeines
11
B.
12
Rechtsnatur des Sozialversicherungsverhältnisses
Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und
Schadensausgleichspflichtigen
13
Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtigen
13
1.
13
Anspruchskonkurrenz/Solidarität
A. Echte und unechte Solidarität
13
B.
14
Relevanz der Unterscheidung
i.
Verjährungsunterbrechung und Subrogation
14
ii.
Reduktionsgründe
15
iii. Stellungnahme
17
II
C.
Differenzierte Solidarität
17
i.
Allgemeines
17
ii.
Stellungnahme
19
2.
Überentschädigungs- bzw. Bereicherungsverbot
19
Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und anderen
Ersatzpflichtigen
20
§ 3.
Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Leistungspflichtigen
21
I.
Anspruch aus Versicherungsvertrag
21
1.
Einzel- und Kollektivversicherung
21
2.
Eigen- und Fremdversicherung
21
3.
Zusatzversicherung / Überobligatorische Versicherung
22
II.
II.
Anspruch aus Sozialversicherung
22
III.
Anspruch aus Haftpflichtversicherung
22
IV.
Anspruch aus Arbeitsvertrag
24
§ 4.
Ergebnis erster Teil
24
II. TEIL:
GRUNDLAGEN DES REGRESSRECHTS
26
§ 5.
Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen
26
I.
Allgemeines
26
II.
Gesetzliches Rückgriffsrecht
27
III.
Vertragliches Rückgriffsrecht
29
IV.
Zwei Forderungen: originäre und derivative (subrogierte)
30
V.
Keine Solidarität im Innenverhältnis
31
§ 6.
Allgemeine Regressordnung
32
I.
OR
32
II.
1.
Allgemeines
32
2.
Entstehungsgeschichte
34
3.
Stellungnahme
36
4.
Rechtsvergleichende Betrachtung
38
A. Regressrecht in Deutschland
38
B.
Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein
39
C.
Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung
40
VVG
40
1.
Allgemeines
40
2.
Versicherungsarten
41
III
A. Summen- vs. Schadensversicherung
41
B.
Eigenschadensversicherung (Sach- und Personenversicherung)
42
C.
Drittschadensversicherung (Haftpflichtversicherung)
42
3.
Entstehungsgeschichte von Art. 72 VVG
43
4.
Rechtsvergleichende Betrachtung
44
A. Regressrecht in Deutschland
44
B.
Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein
45
C.
Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung
46
5.
III.
Stellungnahme
46
Sozialversicherungsrecht
47
1.
Allgemeines
47
2.
Rückgriff gegen Dritte
47
3.
Koordination der Rückgriffsansprüche innerhalb der
Versicherungsträger nach ATSG
48
Koordination mit Rückgriffsansprüchen anderer Versicherer
48
4.
IV.
Nach SVG
50
1.
Allgemeines
50
2.
Begriff des Betriebes eines Motorfahrzeuges
51
A. Kurzdarstellung der heutigen Rechtsprechung
51
B.
52
3.
Stellungnahme
Haftungskollisionen innerhalb des SVG
53
A. Vorbemerkungen
53
B.
55
4.
Kompensationstheorie oder sektorielle Verteilung?
Haftungskollision SVG-Haftung mit allg. Haftungsnorm
56
A. Vorbemerkungen
56
B.
57
Lehre und Rechtsprechung
i.
Betriebsgefahr ist gegeben
57
ii.
Ermässigung oder Ausschluss der Halterhaftung
58
iii. Betriebsgefahr ist nicht gegeben
C.
Zwei Fälle aus der Praxis
58
59
§ 7.
Einschränkungen des Regressrechts
60
I.
Quotenvorrecht
60
1.
Ausgangslage
60
2.
Illustrierendes Beispiel zum Quotenvorrecht
61
IV
3.
Sachliche Kongruenz in der Sachversicherung
A. Ausgangslage
62
B.
Illustrierendes Beispiel zum Gesamtschaden
63
C.
Weitere Konstellationen zur sachlichen Kongruenz
65
D. Stellungnahme
4.
67
A. Ausgangslage
67
B.
Lehre und Rechtsprechung
67
C.
Stellungnahme
69
Selbstbehalt bei der Kaskoversicherung mit Zeitwertzusatz
70
A. Ausgangslage
70
B.
Doktrin und Praxis
70
C.
Stellungnahme
71
6.
Quotenteilung
73
A. Vor Inkrafttreten des ATSG
73
B.
Im Sozialversicherungsrecht de lege lata
73
C.
Im Privatversicherungsrecht
73
Rechts- und Regresslage bei der Unterversicherung
74
1.
Ausgangslage
74
2.
Theorien in Lehre und Praxis
75
A. Der Zeitwert als Referenzgrösse
75
B.
Der Neuwert als Referenzgrösse
75
C.
Quotale Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert
76
3.
III.
66
Fiktives Quotenvorrecht
5.
II.
62
Stellungnahme
76
Haftungs- und Regressprivileg
77
1.
Allgemeines
77
2.
Entstehung des Privilegs
78
A. Im VVG
78
B.
Im Sozialversicherungsrecht
79
C.
Durch Vertrag
80
3.
Rechtsfolge des Privilegs
80
A. Allgemeines
80
B.
81
i.
Gestörte Solidargemeinschaft
Allgemeines
81
V
ii.
Aus Sicht des Geschädigten
81
iii. Aus Sicht des subrogierenden Versicherers
C.
Probleme bei Grobfahrlässigkeit
D. Regressprivileg und unmittelbares Forderungsrecht
IV.
82
83
Einbezug freiwillig erbrachter Leistungen des Schadensversicherers in
den Regress
84
1.
Ausgangslage
84
2.
Eigenschadensversicherung
85
A. Lehre und Rechtsprechung
85
B.
85
3.
§ 8.
81
Stellungnahme
Haftpflichtversicherung
86
A. Lehre und Rechtsprechung
86
B.
Stellungnahme
87
Ergebnis zweiter Teil
88
III. TEIL:
REGRESS DES PRIVATVERSICHERERS
90
§ 9.
Stellung des Privatversicherers in der Regressordnung
90
I.
„Gini/Durlemann-Praxis“
90
1.
Sachverhalt
90
2.
Erwägungen
90
II.
A. Bezüglich Beauftragtem (Gini)
90
B.
91
Bezüglich Hilfsperson (Durlemann)
Analyse der „Gini/Durlemann-Praxis“
92
1.
92
Auslegung
A. Methodische Interpretation
i.
Sprachlich-grammatikalische Interpretation
92
ii.
Teleologische Interpretation
93
iii. Historische Interpretation
94
iv.
95
B.
2.
3.
92
Systematische Interpretation
Aktuelle Rechtsprechung
97
Deckungsausschlussklauseln
99
A. Allgemeines
99
B.
99
Ausschluss der „fehlerhaften baulichen Konstruktion“
Auswirkungen auf den verursachenden Arbeitnehmer
A. Ausgangslage
101
101
VI
B.
Wortlaut der Klausel
102
C.
BGE 128 III 76 ff.
103
i.
Ausgangslage
103
ii.
Erwägungen des Bundesgerichts
104
iii. Stellungnahme
4.
Sog. Umkehrregress
107
A. Ausgangslage
107
B.
108
Rechtliche Auseinandersetzung
i.
Allgemeines
108
ii.
Zum „umgekehrten Gini/Durlemann“
109
iii. Zum Umkehrregress
110
iv.
111
C.
III.
104
Aktiv- und Passivlegitimation beim Umkehrregress
Ergebnis
112
Kritik an der geltenden Praxis
113
1.
Allgemeines
113
2.
Schadensversicherer als haftungsloser Leistungspflichtiger
114
3.
Integrales Regressrecht für den Eigenschadensversicherer
114
§ 10. Regress des Sachversicherers
116
I.
Allgemeines
116
II.
Regress des Gebäudeversicherers auf Mieter
116
1.
Ausgangslage
116
2.
Aus Sicht der Privatversicherer
117
A. Lehre und Rechtsprechung bezüglich leichtfahrlässiger
Verursachung
B.
C.
117
Lehre und Rechtsprechung bezüglich grobfahrlässiger
Verursachung
119
Stellungnahme
119
i.
Vorbemerkungen
119
ii.
Ad leichter Fahrlässigkeit
119
iii. Ad grober Fahrlässigkeit
3.
121
Aus Sicht der monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherer
121
A. Das Monopol
121
B.
Lehre und Rechtsprechung
122
C.
Rechtsvergleichende Betrachtung
124
VII
III.
i.
Deutschland
124
ii.
Österreich
125
Regress des Kaskoversicherers auf berechtigte Lenker
126
1.
Ausgangslage
126
2.
Rechtslage und Praxis
126
A. Bei leichter Fahrlässigkeit
126
B.
127
3.
IV.
Bei grober Fahrlässigkeit
Stellungnahme
Regress auf Arbeitnehmer bzw. Hilfsperson
128
129
A. Allgemeines
129
B.
129
Verletzung eines Mitarbeiters
i.
Ausgangslage
129
ii.
Rechtslage
130
C.
2.
Verletzung eines Dritten
Revision VVG
132
132
§ 11. Regress des Haftpflichtversicherers
133
I.
Allgemeines
133
II.
Regress des Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherers
133
1.
Ausgangslage
133
2.
Lehre und Rechtsprechung
134
A. Bei grober Fahrlässigkeit
134
B.
135
3.
III.
Bei leichter Fahrlässigkeit
Stellungnahme
135
Regelung de lege ferenda
137
§ 12. Besonderheiten des Privatversicherungsregresses
137
I.
Koordinationsklauseln
137
1.
Ausgangslage
137
2.
Zession
137
3.
Subsidiaritäts- und Komplementärklauseln
139
4.
Regressausschlussklausel
140
II.
Mehrfachversicherung
142
1.
Ausgangslage
142
2.
Doppelversicherung im Sinne des Gesetzes
143
3.
Mehrfachversicherung im Sinne des SVV
VIII
145
A. Mehrfachversicherung
145
i.
Allgemeines
145
ii.
Gleiches Rechtssubjekt
146
iii. Ungleiches Rechtssubjekt
4.
III.
IV.
146
Stellungnahme
148
Verjährung von Regressforderungen
148
1.
Ausgangslage
148
2.
Lehre und Rechtsprechung
149
A. Subrogation im Sinne von Art. 149 Abs. 1 OR
149
B.
150
Ausgleichsanspruch im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR
Verrechnung von Regressforderungen
151
1.
Ausgangslage
151
2.
Versicherungsrechtliche Sicht
152
3.
Stellungnahme
152
§ 13. Gültigkeit von Versicherungsklauseln
153
I.
Allgemeines
153
II.
Umfang der AVB-Kontrolle
154
1.
154
Allgemeines
A. Vorab: Genehmigungspflicht gemäss VAG
154
B.
Geltungskontrolle
154
C.
Auslegungskontrolle
155
D. Inhaltskontrolle
2.
156
Einzelne Klauseln
157
A. Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung
betreffend Regressansprüche gegen Arbeitnehmer und
Hilfspersonen
157
i.
Geltungskontrolle
157
ii.
Auslegungskontrolle
157
iii. Inhaltskontrolle
158
iv.
160
B.
Ergebnis
Deckungsausschluss in der Privathaftpflichtversicherung
betreffend sämtliche Regressansprüche
161
i.
Geltungskontrolle
161
ii.
Auslegungskontrolle
161
IX
iii. Inhaltskontrolle
162
iv.
162
Ergebnis
C.
Assistance-Klausel
163
i.
Geltungskontrolle
163
ii.
Auslegungskontrolle
163
iii. Inhaltskontrolle
163
iv.
164
Ergebnis
§ 14. Ergebnis dritter Teil
164
IV. TEIL:
166
SCHLUSSBETRACHTUNG
§ 15. Zusammenfassung und Reformvorschläge
166
I.
Konsolidierung VVG und OR
166
II.
Stellung des Eigenschadensversicherers
166
1.
Bemerkungen
166
2.
Revisionsvorschlag
167
III.
IV.
V.
Stellung des Haftpflichtversicherers
168
1.
Bemerkungen
168
2.
Revisionsvorschlag
168
Kein Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung
zulasten von Arbeitnehmern
170
1.
Bemerkungen
170
2.
Revisionsvorschlag
170
Zeitlicher Deckungsbereich in der Haftpflichtversicherung
170
1.
Bemerkungen
170
2.
Revisionsvorschlag
171
ANHANG:
172
ALLGEMEINE VERSICHERUNGSBEDINGUNGEN
172
EMPFEHLUNGEN DES SVV
172
X
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
a.A.
anderer Ansicht
a.a.O.
am angegebenen Ort
ABGB
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für das Fürstentum Liechtenstein
vom 1. Juni 1811 (210.0)
Abs.
Absatz
AGB
Allgemeine Geschäftsbedingungen
AHVG
Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 20.
Dezember 1946 (SR 831.10)
AJP
Aktuelle Juristische Praxis (St. Gallen)
Anm.
Anmerkung
a.M.
anderer Meinung
ArG
Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel vom 13.
März 1964 (SR 822.11)
ArGV1
Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz vom 10. Mai 2000 (SR 822.111)
Art.
Artikel
ATSG
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
vom 6. Oktober 2000 (SR 830.1)
ATSV
Verordnung über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts
vom 11. September 2002 (SR 830.11)
AVB
Allgemeine Versicherungsbedingungen
AVIG
Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die
Insolvenzentschädigung vom 25. Juni 1982 (SR 837.0)
Aufl.
Auflage
BBl
Bundesblatt
Bd.
Band
BG
Bundesgesetz
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (Deutschland)
BGE
Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichtes, Amtliche Sammlung
BGer
Bundesgericht
BGH
Bundesgerichtshof (Deutschland)
BJM
Basler Juristische Mitteilungen (Basel)
BK
Berner Kommentar
BPV
Bundesamt für Privatversicherungswesen
XI
BV
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April
1999 (SR 101)
BVG
Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 25. Juni 1982 (SR 831.40)
BZG
Bundesgesetz über den Bevölkerungsschutz und den Zivilschutz vom 4.
Oktober 2002 (SR 520.1)
bzw.
beziehungsweise
dgl.
dergleichen
d.h.
das heisst
Dig.
Digeste
Diss.
Dissertation
E.
Erwägung
EHG
Bundesgesetz über die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsunternehmungen und der Schweizerischen Post vom 28. März 1905 (SR
221.112.742)
EleG
Bundesgesetz betreffend die elektrischen Schwach- und Starkstromanlagen vom 24. Juni 1902 (SR 734.0)
ELG
Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung vom 19. März 1965 (SR 831.30)
f., ff.
folgende, fortfolgende
Fn
Fussnote
gl.A.
gleicher Ansicht
gl.M.
gleicher Meinung
GSchG
Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vom 24. Januar 1991 (SR
814.20)
GVA
Gebäudeversicherungsanstalt
GVP
St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis
HAVE
Zeitschrift: Haftung und Versicherung
HGer
Handelsgericht
Hrsg.
Herausgeber
insb.
insbesondere
i.S.
in Sachen
IVG
Bundesgesetz über die Invalidenversicherung vom 19. Juni 1959 (SR
831.20)
i.V.m.
in Verbindung mit
XII
JSG
Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und
Vögel vom 20. Juni 1986 (SR 922.0)
JT
Journal des Tribunaux (Lausanne)
Kap.
Kapitel
KGer
Kantonsgericht
KHG
Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (SR 732.44)
KUVG
Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 13. Juni 1911, ersetzt
durch das KVG
KVG
Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März 1994 (SR
832.10)
LFG
Bundesgesetz über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 (SR 748.0)
MG
Bundesgesetz über die Armee und die Militärverwaltung vom 3. Februar
1995 (SR 510.10)
MVG
Bundesgesetz über die Militärversicherung vom 19. Juni 1992 (SR 833.1)
m.w.H.
mit weiteren Hinweisen
N
Note (Randnote)
NGF
Nationaler Garantiefonds Schweiz
NJW
Neue juristische Wochenschrift (München)
Nr.
Nummer
NR
Nationalrat
NVB
Nationales Versicherungsbüro Schweiz
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
OGer
Obergericht
OGH
Oberster Gerichtshof (Österreich)
OR
Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (SR 220)
PrHG
Bundesgesetz über die Produktehaftpflicht vom 18. Juni 1993 (SR
221.112.944)
Pra
Die Praxis des Bundesgerichts (Basel)
recht
Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis (Bern)
RJN
Recueil de jurisprudence neuchâteloise
RLG
Bundesgesetz über Rohrleitungsanlagen zur Beförderung flüssiger oder
gasförmiger Brenn- und Treibstoffe vom 4. Oktober 1963 (SR 746.1)
S.
Seite
SchKG
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889
(SR 281.1)
XIII
SGW
Sammelstelle Gerichtsentscheide: Haftpflicht- und Versicherungsrecht
SIA
Schweizerischer Ingenieur- und Architekten-Verein
SJZ
Schweizerische Juristen-Zeitung (Zürich)
SN
Schweizer Norm
sog.
sogenannt
SprstG
Bundesgesetz über explosionsgefährliche Stoffe vom 25. März 1977 (SR
941.41)
SR
Systematische Sammlung des Bundesrechts
Sten Bull
Stenographisches Bulletin
SUVA
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Luzern)
SVA
Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungsstreitigkeiten, herausgegeben vom BPV
SVG
Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SR 741.01)
SVV
Schweizerischer Versicherungsverband
SVZ
Schweizerische Versicherungszeitschrift (Bern)
SZS
Schweizerische Zeitschrift für Sozialversicherung (Bern)
SZW
Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (Zürich)
USG
Bundesgesetz über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (SR 814.01)
usw.
und so weiter
UVG
Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 20. März 1981 (SR
832.20)
UWG
Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb vom 19. Dezember 1986
(SR 241)
VAG
Bundesgesetz betreffend die Aufsicht über die privaten Versicherungseinrichtungen vom 23. Juni 1978 (SR 961.01)
VE
Vorentwurf
VE-Brehm
Vorentwurf Brehm
VE HPG
Vorentwurf betreffend die Haftpflichtrechtsrevision
VE VVG
Vorentwurf betreffend das Versicherungsvertragsgesetz
VersR
Versicherungsrecht; Juristische Rundschau für die Individualversicherung
(Deutschland)
VersVG
Gesetz über den Versicherungsvertrag für das Fürstentum Liechtenstein
vom 16. Mai 2001 (215.229.1)
VG
Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (SR 170.32)
vgl.
vergleiche
XIV
VPB
Verwaltungspraxis der Bundesbehörden (Bern)
vs.
versus = gegen
VVG
Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag vom 2. April 1908 (SR
221.229.1)
VVG (D)
Gesetz über den Versicherungsvertrag für Deutschland vom 30. Mai 1908
z.B.
zum Beispiel
ZBL
Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht (Zürich)
ZBJV
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Bern)
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)
Ziff.
Ziffer
zit.
zitiert
ZK
Zürcher Kommentar
ZMR
Zeitschrift für Miet- und Raumrecht (Deutschland)
ZR
Blätter für Zürcherische Rechtsprechung (Zürich)
ZSR
Zeitschrift für Schweizerisches Recht (Basel)
ZWR
Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung (Sion)
XV
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ff.
XXII
ZUSAMMENFASSUNG
Die vorliegende Dissertation behandelt das Thema „Regress im Schadensausgleichsrecht“. Das Haftpflichtrecht kann ohne das Versicherungswesen kaum behandelt werden.
Aus diesem Grunde spielt die Privatversicherung auch im Regressrecht eine zentrale
Rolle, was in dieser Arbeit besonders berücksichtigt wird.
Im ersten Teil werden die Grundlagen des Schadensausgleichsrechts dargelegt. Bei der
Erörterung des Haftungssystems wird untersucht, inwieweit die Unterscheidung zwischen der Verschuldens- und der Kausalhaftung noch sinnvoll ist. Das schweizerische
Versicherungssystem wird kurz behandelt. Das Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten
und Schadensausgleichspflichtigen wird vom Prinzip der Anspruchskonkurrenz bzw. der
Solidarität bestimmt. Nach der Analyse dieses Grundsatzes wird die Frage einer allfälligen Solidaritätsgrenze diskutiert. Überlegungen zum Rechtsverhältnis Geschädigte Leistungspflichtige schliessen den ersten Teil ab.
Den Inhalt des zweiten Teils bilden die Grundlagen des Regressrechts. Es wird zunächst
das Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen, also das sog.
Regressverhältnis untersucht. Die historischen Interpretationen der Kaskadenordnung
von Art. 51 Abs. 2 OR und der Subrogationsbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG zeigt,
dass die Regressordnung de lege lata zu nicht sachgerechten Ergebnissen führt. Dasselbe
Resultat ergibt auch eine rechtsvergleichende Betrachtung. Unter dem Titel „Einschränkungen des Regressrechts“ wird das Quotenvorrecht dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der sachlichen Kongruenz in der Sachversicherung. Auch die Fragen des
fiktiven Quotenvorrechts, der Quotenteilung und des Selbstbehaltes bei der Kaskoversicherung werden besprochen. Besteht eine Unterversicherung, so stellt sich die Frage, ob
auch diesfalls das Quotenvorrecht gilt. Als weitere Einschränkung des Regressrechts ist
das Haftungs- bzw. Regressprivileg zu nennen. Diese Problematik wird erörtert, bevor
abschliessend die Regressmöglichkeit freiwillig erbrachter Leistungen des Schadensversicherers geklärt wird.
Im dritten Teil steht der Regress des Privatversicherers im Zentrum. Aufgrund der Wichtigkeit der „Gini/Durlemann-Praxis“, welche vom Bundesgericht entwickelt wurde,
nimmt sie in dieser Arbeit eine zentrale Stellung ein. Diese Praxis wird mittels einer
methodischen Interpretation geprüft. In einem nächsten Schritt wird der Regress des
Sachversicherers auf mögliche Haftpflichtige untersucht. In diesem Zusammenhang
stellt sich auch die Frage nach der Regressmöglichkeit auf Arbeitnehmer bzw. HilfsperXXIII
sonen. Unter dem Titel „Besonderheiten des Privatversicherungsrechts“ werden unter
anderem die Koordinationsklauseln der Versicherer einer Synopse unterzogen. Ebenso
fällt in dieses Kapitel die Problematik der Mehrfach- und Doppelversicherung. Mit der
Verjährung und Verrechnung von Regressforderungen wird dieser Teil abgeschlossen.
Im Rahmen einer Schlussbetrachtung werden Reformvorschläge gemacht, um eine Möglichkeit der Konsolidierung des Regressrechts des OR und des VVG aufzuzeigen. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse in dieser Arbeit wird unter anderem das integrale
Regressrecht zugunsten des Eigenschadenversicherers vorgeschlagen.
XXIV
RÉSUMÉ
La présente thèse a pour sujet "le droit de recours dans le cadre de la répartition des
dommages entre plusieurs responsables". Le droit de la responsabilité civile étant étroitement lié à celui des assurances, la présente thèse mettra l’accent sur le rôle central joué
par l’assurance privée en matière de recours.
La première partie de l’étude présente les principes régissant la répartition des dommages entre plusieurs responsables. Dans le cadre de la description du système de responsabilités, l’étude aborde la question de la distinction opérée par le droit suisse entre les
types de responsabilité pour faute et responsabilités causales et pose la question de la
pertinence d’une telle distinction. Le système suisse de l’assurance est brièvement traité.
Le rapport juridique entre le lésé et les sujets tenus à responsabilité est régi par le principe du concours de prétentions, respectivement par celui de la solidarité. Après
l’analyse de ces principes, l’étude aborde la question de la limite de la solidarité. Enfin,
la première partie s’achève sur une réflexion concernant le rapport juridique entre le lésé
et les sujets tenus à prestations.
Le contenu de la deuxième partie expose les principes régissant le droit de recours. En
premier lieu, l’étude examine les rapports juridiques existant entre plusieurs sujets de
responsabilité, c’est-à-dire les rapports régissant les recours. Les interprétations historiques de l’échelle des recours consacrée par l’article 51 al. 1 CO et de la norme de subrogation figurant à l’art. 72 al. 1 LCA montrent que la réglementation des recours conduit
de lege lata à des résultats insatisfaisants. Une analyse du droit comparé aboutit au même
résultat. Sous le titre "limitation du droit de recours" l’étude aborde le thème du droit
préférentiel. Ce thème est traité plus particulièrement sous l’angle de la congruence
matérielle dans l’assurance-chose. Les questions du droit préférentiel fictif, du principe
de la répartition proportionnelle et de la franchise dans l’assurance-casco sont aussi
abordées. De même, le présent travail examine la question du droit préférentiel en présence d’une sous-assurance. En outre, la problématique du privilège de responsabilité,
respectivement du privilège de recours, en tant que facteur de limitation du droit de recours est également présentée. Enfin, cette partie s’achève avec une analyse de la question du recours de l’assureur-dommage suite à une prestation effectuée à bien plaire.
Dans la troisième partie l’accent est mis sur le recours de l’assureur privé. En raison de
l’importance de la pratique "Gini-Durlemann", laquelle fut élaborée par le Tribunal fédéral, celle-ci prend dans le cadre de ce travail une place centrale. A l’aide d’une interpréXXV
tation méthodique, cette pratique fait l’objet d’un examen particulier. Dans une phase
ultérieure l’étude se penche sur le recours de l’assureur-chose contre d’éventuels responsables. Dans le cadre de cet examen se pose notamment la question du recours contre
l’employé, respectivement contre un auxiliaire. Sous le titre "Particularités du droit de
l’assurance privée" sont entre autres examinées les clauses de coordination prévues par
les assureurs. La problématique de la double assurance ainsi que celle de l’assurance
multiple sont également regroupées dans ce chapitre. Pour conclure, les questions de la
prescription et de la compensation des prétentions récursoires sont également développées.
Dans le cadre de considérations finales des propositions de réforme sont présentées,
destinées à consolider le droit de recours tel que prévu dans le CO ainsi que dans la
LCA. Fort des connaissances acquises au long de cette étude, l’auteur propose de consacrer le droit de recours intégral de l’assureur-dommage.
XXVI
Einleitung
Dem Haftpflicht- und Versicherungsrecht ist das Regressrecht immanent. Rein chronologisch betrachtet, steht der Regress bei einer Falllösung am Schluss. Man ist deshalb
versucht, dieser Thematik erst zu einem späten Zeitpunkt die erforderliche Beachtung zu
schenken. Wird hingegen die Regressproblematik zu Beginn eines Falles bedacht, kann
in taktischer Hinsicht viel gewonnen werden.
Das Regressrecht ist seit der Konzeption von Art. 51 Abs. 2 OR durch EUGEN HUBER
mehr oder weniger ein Zankapfel, und ebenso hat sich in der Praxis gezeigt, dass die
heutige gesetzliche Vorgabe schwierig zu handhaben ist. Überdies führt der (gescheiterte) Rückgriff oft zu unbefriedigenden Ergebnissen. Die schwankende bundesgerichtliche
Rechtsprechung trägt zur Klärung wenig bei. Daran hat sich bis dato nichts geändert,
weshalb sich eine genauere Betrachtung diesbezüglich durchaus lohnt, wenn nicht sogar
aufdrängt.
Eine Änderung des Regressrechts erhoffte man sich durch die Totalrevision des Haftpflichtrechts. Diese endete bekanntlich mit der Vernehmlassung des Vorentwurfs der
Kommission Widmer/Wessmer.1 Der neu zusammengesetzte Bundesrat (2004) hat bei
der Festlegung des Legislaturprogramms das Vorhaben der Totalrevision des Haftpflichtrechts aus der Traktandenliste gestrichen. Laut des Bundesamts für Justiz bedeutet
dies, dass in den nächsten 4 Jahren der VE HPG nicht weiter verfolgt wird und somit die
anstehende Revision an sich „beerdigt“ ist. Dieser Entscheid wird von vielen Seiten
bedauert. Etwas Hoffnung besteht nun vor allem in der Hinsicht, dass in künftigen Teilrevisionen anderer Gesetze gewisse Problempunkte revidiert werden können. Zu denken
ist etwa an die VVG-Totalrevision. Eine Kommission2 wurde dazu beauftragt, einen
Vorentwurf auszuarbeiten. Die Frist war ursprünglich auf Ende 2004 gesetzt, wurde aber
vom Bundesrat um ein Jahr verlängert.3 Überdies liegt schon ein Entwurf von Roland
1
2
3
Im Folgenden: VE HPG, abrufbar unter: <http://www.ofj.admin.ch/bj/de/home/themen/wirtschaft/ gesetzgebung/haftplicht.html> (besucht am 12. Dezember 2005).
Sog. Kommission Schnyder. Eine Totalrevision des VVG dürfte erfahrungsgemäss etwa 5–6 Jahre in
Anspruch nehmen. Der aktuelle Stand kann auch aus den Schreiben des BPV entnommen werden; vgl. dazu <http://www.finweb.admin.ch/pdf_neue_neue_Version/PDF-d/FS-TotalrevisionVVG_BPV_d.pdf >
(besucht am 12. Dezember 2005). Nach Auskünften der Expertenkommission wird jedoch der Entwurf
nicht vor Juni 2006 vorliegen.
Aus diesem Grunde kann der VE VVG leider in dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden.
1
Brehm vor, der im Auftrag der Schweizerischen Gesellschaft für Versicherungsrecht
erstellt wurde.4
Dies bedeutet für die vorliegende Arbeit, dass der VE HPG nicht berücksichtigt wird.
Vielmehr wird das Hauptaugenmerk auf die Totalrevision des VVG gerichtet. Dabei
geht es vordergründig um die Regressstellung des Privatversicherers, sei es als Eigenschadens- oder als Haftpflichtversicherer.
Wegen der Solidarität5 im Aussenverhältnis kommt es regelmässig zur Überbeanspruchung eines Solidarschuldners. Der Ausgleich wird im Innenverhältnis mittels Regresse
gesucht. So wird der Regress als Korrekturinstrument eingesetzt, um zu billigen und
rechtmässigen Resultaten zu gelangen. Die vorliegende Dissertation handelt von diesem
Innenverhältnis bzw. vom Regress, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der
Stellung des Privatversicherers im schweizerischen Regresssystem. Dabei wird das Ausgleichssystem im Sozialversicherungsrecht, welches neu im ATSG geregelt ist, nur so
weit behandelt, wie es entweder auf die Regresse im Privatrecht Auswirkungen zeitigt
oder deren Auslegung dienlich ist.
Es wird von der These ausgegangen, dass die heutige „Gini/Durlemann-Praxis“, welche
aus dem Bundesgerichtsentscheid 80 II 247 ff.6 abgeleitet wird, der Rechtsstellung des
Privatversicherers im Ausgleichssystem nicht gerecht wird. Dies wirkt sich auch auf den
Geschädigten aus. Um diese These zu überprüfen, werden in einem ersten Teil die
Grundlagen des Schadensausgleichsrechts dargestellt. Im zweiten Teil werden die
Grundlagen des Regressrechts erörtert, um dann anschliessend im dritten Teil den Regress des Privatversicherers zu analysieren. Im Rahmen einer Schlussbetrachtung werden Vorschläge für allfällige Gesetzesrevisionen gemacht.
4
5
6
Dieser Entwurf ist inkl. Kurzkommentar abgedruckt in: HAVE-Tagungsband „Retouchen und Reformen?“, Zürich 2004, S. 253 ff.; im Folgenden VE-Brehm.
Zur Begriffserklärung m.w.H. vgl. hinten § 2 I 1.
Pra (44) 1955, Nr. 18.
2
I. Teil:
Grundlagen des Schadensausgleichsrechts
§ 1.
Schadensausgleichssysteme
I.
Haftungssystem
1.
Privatrechtliche Haftung
A.
Allgemeines
Das Haftpflichtrecht bezweckt die Ausgleichung von zugefügten Schädigungen. Bereits
im römischen Recht ist ein Ausgleichssystem zu finden. Neben dem Grundsatz casum
sentit dominus galt schon damals als Gegenstück dazu ein culpa-orientiertes Deliktsrecht.7 Mit Einführung der Kausal- und später der Gefährdungshaftung8 wurde das reine
culpa-Prinzip aufgegeben.
Je nachdem aus welchem Rechtsverhältnis der Schadenersatzanspruch abgeleitet wird,
sind unterschiedliche Voraussetzungen erforderlich, die erfüllt sein müssen. Der Begriff
„Haftpflichtrecht“ wird regelmässig als Oberbegriff der ausservertraglichen Haftung
verstanden. Darunter ist aber auch die Haftung aus Vertrag zu zählen.9 Während bei der
ausservertraglichen Haftung irgendein Dritter in die subjektiven Rechte eines Rechtssubjektes eingreift und dadurch eine Obligation aus unerlaubter Handlung mit dem Geschädigten begründet, besteht bei der Vertragshaftung bereits vor der schädigenden Handlung
ein Rechtsverhältnis inter partes.
Als erste grosse Unterteilung des Haftpflichtrechtes ist die Unterscheidung in privatrechtliche und in öffentlich-rechtliche Normen zu nennen. Im Privatrecht gilt es weiter,
ausservertragliche und vertragliche Haftungsnormen auseinander zu halten. Gestützt auf
Art. 61 Abs. 1 OR existieren im öffentlichen Bereich neben den Bundesgesetzen auch
kantonale Bestimmungen. Die Kantone sind jedoch nur für den Bereich der hoheitlichen
Handlungen legitimiert, eigene Bestimmungen zu erlassen; betreffend gewerbliche Verrichtungen, also dort, wo der Staat dem Geschädigten gleichgeordnet ist, besteht nach
7
8
9
Rey, N 18 ff.
Vgl. hinten § 1 I B.
Vgl. etwa Oftinger/Stark, I, § 1 N 5; Rey, N 3 f.; Roberto, Haftpflichtrecht N 9; Rumo-Jungo, Haftpflicht,
N 89 ff.
3
Art. 61 Abs. 2 OR keine Gesetzgebungskompetenz, weshalb in diesem Bereich die Bestimmungen des OR gelten.10
Im Folgenden werden die verschiedenen Haftungsansprüche lediglich summarisch dargestellt, um bei der späteren Auseinandersetzung in concreto darauf zurückgreifen zu
können.
B.
Deliktshaftung
i.
Allgemeines
In der Deliktshaftung gemäss Art. 41 ff. OR unterscheidet man gemeinhin zwischen der
Verschuldens- und der Kausalhaftung.11 Letztere lässt sich weiter in eine einfache und
eine strenge Kausalhaftung, die Gefährdungshaftung, unterteilen. Bei gewissen einfachen Kausalhaftungen besteht für den Verursacher die Möglichkeit, einen Entlastungsbeweis, Exzeptions-, oder auch Sorgfaltsbeweis genannt, zu erbringen. Diese Entlastungsmöglichkeit gilt beispielsweise bei der Tierhalterhaftung nach Art. 56 OR, bei der
Geschäftsherrenhaftung gemäss Art. 55 OR oder bei der Haftung des Familienhauptes
nach Art. 333 ZGB, nicht aber bei der Werkeigentümerhaftung im Sinne von Art. 58
OR, welche als „strengste Kausalhaftung“12 bezeichnet wird. Die Gefährdungshaftung
knüpft an eine gefährliche Tätigkeit oder Anlage an. Das daraus resultierende Risiko ist
zwar sozialpolitisch gebilligt, jedoch unter eine Gefährdungshaftung gestellt, meistens
kombiniert mit einem Versicherungsobligatorium und einem direkten Forderungsrecht.
Dadurch werden allfällige sich aus der Gefährdung ergebende Folgen abgemildert.
Diese Unterscheidung ist nicht unbestritten. So wird von einem Teil der Lehre aus der
Möglichkeit der Erbringung des Sorgfaltsbeweises abgeleitet, dass es sich hierbei um
eine Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr handle.13
10
11
12
13
Statt aller: Roberto, Haftpflichtrecht, N 527.
Vgl. etwa Oftinger/Stark, I, § 1 N 114 ff.; Rey, N 57 ff.
Urteil des BGer vom 2. März 2005, 4C.386/2004, E. 2.2.
Roberto, Haftpflichtrecht, N 35 f. m.w.H.
4
ii.
Rechtsnatur des Haftungsanspruchs
Der Haftungsanspruch aus Delikt ist ein privatrechtlicher Anspruch, da zwischen dem
Schädiger und dem Geschädigten durch den Eingriff in die subjektiven Rechte eine
Obligation bzw. ein Schuldverhältnis14 entsteht. Sind die Haftungsvoraussetzungen15
erfüllt, so kann der Anspruch nach den zivilprozessrechtlichen Grundsätzen und/oder
dem SchKG durchgesetzt werden.
iii.
Verhältnis zwischen Verschuldens- und Kausalhaftung
In der Doktrin ist das Verhältnis zwischen der Verschuldenshaftung als Grundtatbestand
und der Kausalhaftung als Spezialtatbestand seit jeher umstritten. Es stellt sich nämlich
die Frage nach der anwendbaren Norm, d.h., ob neben einer Haftung aus Gesetz unter
Umständen alternativ eine Verschuldenshaftung angerufen werden kann. Während ein
Teil der Doktrin dem Grundsatz der Ausschliesslichkeit, auch Exklusivität genannt, den
Vorzug gibt,16 verficht ein anderer Teil den Grundsatz der Alternativität, auch Konkurrenz genannt.17 Im ersten Fall schliesst ein Haftungsgrund den anderen aus, nach dem
Grundsatz lex specialis derogat legi generali. Im zweiten Fall kann der eine oder der
andere Haftungsgrund geltend gemacht werden. Diese Frage ist vor allem wegen der
„Gini/Durlemann-Praxis“18 von Bedeutung.
Die Verfechter der Alternativität führen zu Recht aus, dass es verwirrend wäre, wenn
eine Sonderbestimmung, die eine Kausalhaftung vorsieht und somit per definitionem die
Rechtslage des Opfers verbessern wollte, letztlich im Regress zu deren Verschlimmerung führte.19 Selbst die Vertreter des Ausschliesslichkeitsprinzips schreiben diesem
lediglich eine relative Tragweite zu und argumentieren, dass das Spezialgesetz nur so-
14
15
16
17
18
19
Hier ist das Schuldverhältnis in Sinne der Summe der Verpflichtungen zwischen Privaten gemeint, welche
auf einen bestimmten Rechtsgrund zurückgehen. Vgl. zum Ganzen etwa Wiegand, S. 85 ff.
Rechtswidrigkeit, Kausalzusammenhang, Schaden und je nachdem Verschulden oder Misslingen des
Sorgfaltsbeweises.
So etwa Oftinger/Stark, II/1, § 19 N 21 f.; Schnyder, OR I, Art. 58 N 3 f.
Vgl. etwa BK-Brehm, Art. 51 N 55 f.; Keller/Gabi, 145; Maurer, Harmonisierung, S. 106; Oswald, S. 30;
so bereits Hartmann, S. 63; ebenso BGE 107 II 496.
BGE 80 II 247 ff. = Pra (44) 1955, Nr. 18. Bei diesem Entscheid wurde die Praxis entwickelt, den Schadensversicherer in die mittlere Stufe der Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR zu stellen und ihm den Regressanspruch gegen Vertragshaftende lediglich bei grobfahrlässiger Handlung zu gewähren; für weitere Einzelheiten vgl. hinten § 9 I ff.
So etwa Portmann, SVZ, S. 35 m.w.H.
5
weit Vorrang vor der allgemeinen Bestimmung haben solle, als es die Haftungsbedingungen verschärfe.
In BGE 80 II 247 ff. stellte das Bundesgericht fest, dass dort, wo ein Tatbestand von Art.
55 OR erfasst wird, allein diese Vorschrift anwendbar sei und nicht parallel dazu Art. 41
OR tangiert werde. Dem wird zum Teil entgegengehalten, dass dessen ungeachtet einem
Geschäftsherrn ein Verschulden angelastet werden könne, wenn sein persönliches Verhalten als schuldhaft zu qualifizieren sei.20
Der BGE 108 II 55 ff. wird regelmässig von den Gegnern des Konkurrenzprinzips herangezogen, indem sie es so auslegen, dass ein allfälliges Verschulden des Werkeigentümers als zusätzliches Verschulden zu betrachten sei und damit das Bundesgericht stillschweigend die Exklusivität von Art. 58 OR als Spezialnorm bejaht habe. Dieses Urteil
kann nach meinem Dafürhalten aber auch anders gelesen bzw. interpretiert werden,
zumal das Bundesgericht ausführt, dass es z.B. bei der Kollision von Motorfahrzeugund Tierhalterhaftung üblich sei, von einer Aufteilung des Schadens im Verhältnis 2:3
bis 1:3 zulasten des Motorfahrzeughalters auszugehen. Werde zum Werkmangel ein
zusätzliches Verschulden des Werkeigentümers in Betracht gezogen, so rechtfertige es
sich, diesen mit zwei Dritteln des Schadens zu belasten. Daraus kann ebenso gut die
Bekennung zur Alternativität gefolgert werden.
Im BGE 107 II 496 erwähnt das Bundesgericht – der Vollständigkeit halber, wie es anmerkt –, dass im Fall der Kausalhaftpflicht mit der Frage des Regresses nach Art. 72
Abs. 1 VVG und Art. 51 Abs. 2 OR jeweils zu prüfen sei, ob dem Kausalhaftpflichtigen
zusätzlich ein Verschulden angelastet werden könne. Treffe dies zu, stehe dem Versicherer, der Entschädigungsleistungen erbracht hat, der Rückgriff auf den Haftpflichtigen zu.
In diese Richtung ging das Bundesgericht auch schon im BGE 104 II 28.
In der Methodenlehre findet man überdies die Auffassung, dass dem Spezialitätsgrundsatz nicht unkritisch-mechanisch begegnet werden dürfe. Vielmehr müsse ein sog. Günstigkeitsvergleich angestellt werden.21 Aufgrund dieser Aussage und der obigen Ausführungen ist meines Erachtens Folgendes festzustellen: Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung vergrössert sich die Haftungsquote, wenn den Werkeigentümer auch
zusätzlich ein Verschulden trifft. Daraus lässt sich ableiten, dass es eine Differenzierung
20
21
Vgl. statt vieler: Oftinger, Bemerkungen, S. 172, wo er zudem festhält, dass es schwer einzusehen sei, dass
in casu Gini nicht ebenfalls ein Verschulden treffe usw.
So etwa Kramer, S. 113 ff. m.w.H.
6
zwischen der Kausalhaftung als solcher und der Verschuldenshaftung gibt. So war die
Absicht des Gesetzgebers, durch die Schaffung von Spezialtatbeständen die Haftpflicht
der Verursacher zu verschärfen. Die ratio legis liegt demnach in einer Besserstellung des
Opfers, nicht aber in einer Diskriminierung des subrogierenden22 Leistungspflichtigen.
Somit wäre es nicht richtig, wenn beispielsweise ein Sachversicherer nicht auf einen
Werkeigentümer Regress nehmen könnte, wenn diesem kein zusätzliches Verschulden
im Sinne von Art. 41 OR vorwerfbar wäre. Es ist anzunehmen, dass selbst die Vertreter
der Exklusivität nicht an das Regressverhältnis dachten, sondern lediglich den Anspruch
des Geschädigten in Betracht gezogen haben.23
In der Lehre wird eine neue Theorie für die systematische Einstufung vertreten: Die Idee
liegt darin, dass die speziellen Haftungstatbestände des OR als Haftungen für vermutete
Sorgfaltspflichtverletzungen qualifiziert werden.24 Dadurch werden diese Tatbestände als
vermeintliche reine Kausalhaftungen dargestellt, da aufgrund dieser Auffassung auch die
Kausalhaftungen unter die Verschuldenshaftung fallen. Somit handelt es sich um eine
Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr.25 Bei der Tierhalter- und bei der Geschäftsherrenhaftpflicht ist von einer erforderlichen Sorgfalt die Rede. Anders bei der Werkeigentümerhaftung, bei welcher nach dem Wortlaut des Gesetzes die Sorgfalt nicht als
Voraussetzung gilt. SCHWENZER führt insbesondere ins Feld, dass jede Haftpflicht, eben
auch jene des Werkeigentümers, auf mangelhafter Sorgfalt beruhe, was faktisch einem
Verschulden gleichkomme.26 In diese Richtung geht auch die bundesgerichtliche Rechtsprechung, insbesondere im Zusammenhang mit der Verkehrssicherungspflicht bei Skipisten. In mehreren neueren Urteilen führt das Bundesgericht aus, es könne offen bleiben, auf welche Grundlage sich der Haftpflichtanspruch stütze. Vielmehr sei von Interesse, ob die Skipiste den massgebenden Sicherungsanforderungen entsprach.27 Indem im
Weiteren jeweils auch die Verhältnismässigkeit und die Zumutbarkeit vorausgesetzt
werden, geht die Rechtsprechung des Bundesgerichts in Richtung Zurechnung von Sorg-
22
23
24
25
26
27
Vgl. hinten § 2 I B.
Im Ergebnis gl.M. Kramer, S. 117 f.
Roberto, Haftpflichtrecht, N 296, 424, 554; Roberto, Verschuldenshaftung und einfache Kausalhaftungen:
eine überholte Unterscheidung?, in: AJP 2005, S. 1325 ff.; Schwenzer, N 49.09; Honsell, Haftpflicht, § 1
N 23.
Roberto, Haftpflichtrecht, N 35.
Schwenzer, N 49.09; a.M. Honsell, Haftpflicht, § 1 N 23.
BGE 130 III 195 f.; 126 III 116 = Pra (89) 2000, Nr. 185; vgl. ferner auch BGE 131 III 116 f., wonach die
Frage, ob es sich bei der Tierhalterhaftung um eine gewöhnliche Kausalhaftung mit Befreiungsmöglichkeit
oder um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast handle, kaum praktische Bedeutung habe.
7
faltspflichten, welche wiederum lediglich beim Element Verschulden eingeordnet werden können.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass aufgrund der neueren Lehre und Rechtsprechung die Unterscheidung zwischen einfacher Kausal- und Verschuldenshaftung im
Ergebnis zu Makulatur wird. Für die Einstufung der einfachen Kausalhaftung in die
Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR müsste dies infolgedessen zur Konsequenz haben, dass Vertragshaftende auch auf einfache Kausalhaftende Regress nehmen könnten.
Dieser Feststellung steht jedoch die „Gini/Durlemann-Praxis“ und der Wortlaut von Art.
51 Abs. 2 OR entgegen.28
C.
Vertragshaftung
i.
Allgemeines
Mit der Vertragshaftung im Sinne des Haftpflichtrechtes sind die Tatbestände der positiven Vertragsverletzung, auch nichtgehörige Erfüllung genannt, sowie die Verletzung von
Nebenpflichten wie Sorgfalts-, Treue- und Schutzpflichten gemeint.29 Der eine Kontrahent wird bei der Vertragserfüllung durch den Vertragspartner oder durch eine mangelhafte Sache bzw. einen Werkmangel in seinem Eigentum oder in seiner Integrität verletzt
und dadurch geschädigt.
Die Haftung richtet sich nach dem Grundtatbestand von Art. 97 OR. Nicht darunter zu
subsumieren sind etwa die Verzugsregeln, die Nichterfüllung bzw. die Unmöglichkeit
oder die Gewährleistung aus Kauf- und Werkvertrag.
ii.
Rechtsnatur des Haftungsanspruchs
Zwischen der Vertragshaftung und der Deliktshaftung besteht Anspruchskonkurrenz.30
Der Vorteil der Vertragshaftung liegt bekanntlich in der Verschuldensvermutung mit
Exkulpationsmöglichkeit und in den längeren Verjährungsfristen. Dadurch erklärt sich
28
29
30
Für weitere Ausführungen vgl. hinten § 9.
Vgl. dazu Wiegand, S. 85 ff.
Statt vieler: Bucher, S. 337.
8
auch die „Flucht ins Vertragsrecht“, wie manchmal in der Lehre31 das Aufkommen der
Vertrauenshaftung32 genannt wird.
Für den vorvertraglichen Bereich gilt das Rechtsinstitut der von RUDOLF VON JHERING
entwickelten culpa in contrahendo.33 Auch hier ist höchst umstritten, ob der Anspruch
ausservertraglicher oder vertraglicher Natur ist.34 In dieser Arbeit wird nicht näher auf
diese Problematik eingegangen.
2.
Staatshaftung
Die Haftung des Bundes für den Bereich der hoheitlichen Tätigkeit wird durch Art. 146
BV bestimmt, worin eine Kausalhaftung für widerrechtliche Schädigung vorgesehen ist.
Ebenso ist auch in den meisten Kantonsverfassungen eine Staatshaftung verankert.35
Sodann enthält Art. 61 Abs. 1 OR eine Gesetzgebungskompetenz zugunsten der Kantone
und des Bundes. Für den Bund gilt grundsätzlich das VG. Vom Geltungsbereich des VG
sind hingegen gemäss Art. 1 Abs. 2 VG die Angehörigen der Armee mit Bezug auf ihre
militärische Stellung und ihre dienstlichen Pflichten ausgenommen. Die Haftung richtet
sich diesfalls nach Art. 60 ff. BZG. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von weiteren
Haftungsbestimmungen des Bundes, wie namentlich die Umwelthaftung nach Art. 59a
USG oder ferner die subsidiäre Haftung des Bundes im Sinne von Art. 16 Abs. 1 KHG.36
Praktisch alle Kantone haben von ihrer Kompetenz Gebrauch gemacht und eigene
Staatshaftungsgesetze erlassen. Die meisten Kantone und auch der Bund haben sich für
das System der Kausalhaftung entschieden.37
Tritt der Staat nicht hoheitlich, sondern gewerblich auf,38 so kommen laut Art. 61 Abs. 2
OR die Haftpflichtbestimmungen des OR und des ZGB zur Anwendung. Von Bedeutung
31
32
33
34
35
36
37
38
Roberto, Haftpflichtrecht, N 275.
Vgl. zu diesem Rechtsinstitut etwa Walter, Vertrauenshaftung im Umfeld des Vertrages, in: ZBJV 1996,
S. 273; Kuzmic, „Haftung aus Konzernvertrauen“, Diss. Zürich 1998.
Bucher, S. 277 ff. m.w.H.
Vgl. zu diesem Rechtsinstitut etwa Roberto, Haftpflichtrecht, N 283, 569; Bucher, S. 277 ff.; Guhl/Koller,
§ 13 N 2 ff.
Gross, Staatshaftung, S. 19.
Es kann nicht weiter auf die einzelnen besonderen Haftungen des Bundes eingegangen werden; für eine
umfassende Darstellung vgl. Gross, Staatshaftung, S. 24 ff.
Für Einzelheiten vgl. statt vieler: Gross, Staatshaftung, S. 55 ff.
Die Abgrenzung zwischen privat- und öffentlich-rechtlicher Haftung des Gemeinwesens bereitet unter
Umständen Mühe; vgl. dazu Gross, Staatshaftung, S. 111 ff.
9
sind diesbezüglich die folgenden Tatbestände: die Geschäftsherrenhaftung nach Art. 55
OR, die Tierhalterhaftung nach Art. 56 OR, die Werkeigentümerhaftung nach Art. 58
OR, die auch für Strassen gilt, die Haftung des Anstaltsinhabers nach Art. 333 ZGB und
die Grundeigentümerhaftung nach Art. 679 ZGB. Die Unterscheidung in öffentlichrechtliche und privatrechtliche Haftungsnormen ist vor allem bezüglich der unterschiedlichen Verfahrenswege39 und der Einstufung in die Regresskaskade von Bedeutung.
II.
Versicherungssystem
1.
Privatversicherung
A.
Allgemeines
Im Versicherungssystem ist das Solidaritätsprinzip verankert.40 Zahlreiche Personen
schliessen sich durch Zahlung einer Prämie zu einer Gefahren- oder Risiko- bzw. einer
Versichertengemeinschaft zusammen. Dabei steht die Prämienhöhe in Relation zur Höhe
des versicherten Risikos. Aus volkswirtschaftlicher Sicht liegt eine Umverteilung von
Volksvermögen vor, wenn Prämiengelder einem oder mehreren Versicherten bei Eintritt
eines versicherten Ereignisses zukommen.41
In der Privatassekuranz können die unterschiedlichsten Risiken und Objekte bzw. Subjekte versichert werden. Bei den Sachversicherungen etwa Gebäude, Hausrat, Wertsachen, Geschäftsinventar, Motorfahrzeuge usw., bei den Personenversicherungen Heilungskosten, Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Tod usw. und bei den Vermögensversicherungen Befriedigung oder Abwehr von Schadenersatzforderungen, Reisezwischenfall, Rechtsschutz usw.
B.
Rechtsnatur des Privatversicherungsverhältnisses
Das Versicherungsverhältnis zwischen einer natürlichen oder juristischen Person und
einer Versicherungsgesellschaft entsteht durch Abschluss eines Vertrages gemäss den
39
40
41
Vgl. dazu und zum Rechtswidrigkeitsbegriff im Besonderen: Roberto, Haftpflichtrecht, S. 151 ff.
Maurer, PVR, S. 41. Dieser Grundsatz gilt nicht für alle Versicherungsgebiete in gleichem Ausmass; nicht
so ausgeprägt ist die Solidarität beispielsweise im Bereich der beruflichen Vorsorge.
Vgl. dazu auch Maurer, PVR. S. 43 f.
10
Bestimmungen von Art. 1 ff. VVG und ergänzend, im Sinne der Subsidiarität gemäss
Art. 100 VVG, auch gemäss den Bestimmungen von Art. 1 ff. OR. Daraus ergibt sich
grundsätzlich die aus Art. 19 OR resultierende Vertrags- bzw. Abschlussfreiheit, mit
gewissen Einschränkungen oder Auflagen: so etwa durch die Aufsicht des Bundes gemäss VAG oder durch die zwingenden Bestimmungen des VVG.42 Zudem setzt das
Kartellrecht gewisse Schranken.
Der Versicherungsvertrag ist grundsätzlich im VVG geregelt, wobei nicht jeder Versicherungsvertrag dem VVG untersteht. Der sachliche Geltungsbereich ist in Art. 101
VVG – mittels eines Negativkataloges – festgehalten. Für jene Rechtsverhältnisse, welche nicht unter den Anwendungsbereich des VVG fallen oder für die das VVG keine
Vorschriften enthält, gilt nach Art. 101 Abs. 2 VVG bzw. Art. 100 VVG subsidiär das
OR. Betreffend die Auslegung von Versicherungsverträgen gelten neben Art. 33 VVG
die allgemein für das Privatrecht von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze und Auslegungsmethoden. Sie werden hier nicht weiter dargelegt.43
2.
Sozialversicherung
A.
Allgemeines
Die einzelnen Sozialversicherungszweige gründen einerseits auf den jeweiligen Bundesund Kantonsgesetzen und andererseits auf dem ATSG. Am 1. Januar 2003 ist das ATSG
in Kraft getreten mit dem Ziel, bestimmte Sozialversicherungszweige zu vereinheitlichen. So gesehen ist das ATSG ein Rahmengesetz. Dies ergeht aus Art. 2 ATSG, wonach die Bestimmungen des ATSG auf bundesgesetzlich geregelte Sozialversicherungen
anwendbar sind, soweit die einzelnen Sozialversicherungsgesetze es vorsehen und keine
Spezialbestimmungen enthalten.
Die Sozialversicherungsgesetze decken die wirtschaftlichen Folgen von eingetretenen
Risiken, welche etwa die Folgenden sind: Krankheit (IVG, KVG, UVG, BVG), Unfall
(IVG, UVG, MVG, KVG, BVG), Arbeitslosigkeit (AVIG), Alter (AHVG, BVG), Tod
(IVG, UVG, MVG, BVG), fehlende Existenzmittel (ELG) usw.
42
43
Aufgelistet in Art. 97 Abs. 1 VVG.
Vgl. für Einzelheiten etwa Kramer, S. 47 ff.
11
B.
Rechtsnatur des Sozialversicherungsverhältnisses
Das Rechtsverhältnis zwischen den versicherten Personen und den Trägern der Sozialversicherung ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen.44 Die Rechtsbeziehungen werden
einerseits durch das Gesetz oder durch einen sog. Typenvertrag, beispielsweise geregelt
in Art. 59 UVG, begründet. Einzelne Zweige – wie UVG, KVG, BVG – sehen Auffangeinrichtungen, namentlich in Form von Ersatzkassen, so etwa Art. 72 UVG, vor. Sodann
ist eine freiwillige Versicherungsunterstellung möglich, vorgesehen beispielsweise in
Art. 4 f. UVG.
Es kommen die allgemeinen Verfassungsgrundsätze zur Anwendung: so das Legalitätsprinzip, das Gebot von Treu und Glauben, der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, die
Gewährung des rechtlichen Gehörs, die Rechtsgleichheit und teilweise auch die Offizialmaxime gemäss Art. 43 ATSG. Die meisten Sozialversicherungsträger, sog. Verwaltungen, regeln den Einzelfall mit der versicherten Person bei gewichtigen Entscheiden
mittels Verfügung. Eine Ausnahme bildet der Leistungsentscheid der beruflichen Vorsorgeeinrichtung.
Das Verfahrensrecht richtet sich grundsätzlich nach den Art. 34 ff. ATSG. Solange das
Verfahrensrecht im ATSG nicht abschliessend geregelt ist, kommt im Sozialversicherungsverfahren gemäss Art. 55 Abs. 1 ATSG subsidiär das VwVG zur Anwendung.
Ebenfalls nach Art. 61 ATSG richtet sich das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht nach kantonalem Recht. Das kantonale Recht wird aber von einem grösseren Katalog von Verfahrensregeln, welche in Art. 61 lit. a–i ATSG geregelt sind, bestimmt.45
44
45
Locher, § 1 N 37.
Vgl. dazu etwa Freivogel, S. 112 ff.
12
§ 2.
Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Schadensausgleichspflichtigen
I.
Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtigen
1.
Anspruchskonkurrenz/Solidarität
A.
Echte und unechte Solidarität
Das gemeinsame Einstehen für eine Gesamtschuld46 gegen aussen – das sog. Aussenverhältnis – war bereits im römischen Recht verankert.47 Als eine Art „ungeschriebener
Rechtssatz“ wurde die Solidarität überliefert.48 Die solidarische Haftung einer Mehrheit
wurde sodann von OFTINGER49 als ungeschriebener Fundamentalsatz des Haftpflichtrechts bezeichnet. Die Solidarität kann durch Willenserklärung oder ex lege entstehen.
Heute ist im schweizerischen Privatrecht an verschiedensten Orten die Solidarität gesetzlich verankert.50 Entsteht ein solches Solidarschuldnerverhältnis, wird auch von einem
gesetzlichen Schuldverhältnis gesprochen.51 Aufgrund der Systematik des OR unterscheidet das Bundesgericht zwischen echter und unechter Solidarität.52 Bezüglich des
Haftpflichtrechts setzt die echte Solidarität ein gemeinsames Verschulden voraus, bei
Haftung aus verschiedenen Rechtsgründen liegt gemäss Art. 51 Abs. 2 OR Anspruchskonkurrenz bzw. unechte Solidarität vor.53
Im Sinne der Solidarität entsteht eine Gemeinschaft der Haftpflichtigen, die sog. Solidarschuldnergemeinschaft. Davon gilt es allfällige neutrale Leistungspflichtige54 zu unterscheiden, welche neben dieser Haftungsgemeinschaft unter Umständen dazugehören.
Primär sind darunter Versicherungen zu zählen, insbesondere Eigenschadensversiche-
46
47
48
49
50
51
52
53
54
Im Folgenden wird hauptsächlich von "Solidarität" gesprochen. Dabei geht es nicht um die Solidarität im
volkswirtschaftlichen Sinne betreffend etwa die Sozialversicherungen.
Dazu auch Nobel, S. 104.
So etwa Oftinger, I, S. 337; Rey, N 1404 m.w.H.
Oftinger, I, S. 337.
So etwa in Art. 143 ff. OR, Art. 506 OR, Art. 544 Abs. 3 OR, Art. 568 Abs. 1 OR, Art. 603 Abs. 1 ZGB,
Art. 60 Abs. 1 SVG usw.
Schaer, Grundzüge, N 521 mit Bezugnahme auf die deutsche Lehre. Weitergehend dazu etwa Wiegand, S.
85 ff.
BGE 119 II 131, 115 II 45, 112 II 143, 104 II 229 ff.; gegen diese Unterscheidung etwa Keller, Haftpflicht
II, S. 176 f.
Statt vieler: Bucher, S. 498 f.
Schaer, Grundzüge, N 472 ff., spricht in diesem Zusammenhang von Gemeinschaft der Ersatzpflichtigen;
in diesem Sinne auch Oftinger/Stark, I, § 11 N 65; vgl. dazu hinten § 9 III.
13
rungen55. Hier geht es primär um die Frage, ob die Versicherungsleistungen kumuliert
werden dürfen oder nicht. Wenn nicht, dann gilt es in einem zweiten Schritt die Leistungen – unter Berücksichtigung der Überentschädigungsgrenze – zu koordinieren. Es wird
also eine Koordinationsgemeinschaft gebildet. Um diese Schicksalsgemeinschaft zu
regeln, existieren zahlreiche Instrumente: Zu denken ist beispielsweise an das Quotenvorrecht oder das Regressprivileg usw. BREHM hingegen vertritt die Ansicht, dass zwischen den Versicherungen und den Haftpflichtigen überhaupt keine Solidarität bestehe,
dies mangels Identität des Schadens.56 Diese Lehrmeinung übersieht meines Erachtens,
dass die vertragliche Leistungspflicht des Versicherers exakt der Schadenhöhe entspricht, sofern die versicherte Summe nicht überschritten wird. Das Regressrecht des
Versicherers ist ohnehin unbestritten, weshalb dieser Auseinandersetzung über die Solidarität im Grunde genommen keine weitergehende Bedeutung zukommt.
Im Folgenden wird es hauptsächlich darum gehen, wie diese Koordinationsgemeinschaft
im Aussen- und im Innenverhältnis aussieht und welche Regeln zu gelten haben. Zudem
wird in dieser Arbeit hauptsächlich die unechte Solidarität behandelt, da sie in der Praxis
die zentrale Rolle spielt und vor allem hier die rechtlichen Probleme liegen.
B.
Relevanz der Unterscheidung
i.
Verjährungsunterbrechung und Subrogation
Die Unterschiede zwischen der echten und der unechten Solidarität werden in der Doktrin als gering eingestuft – es wird gar von einem „fragwürdigen Wert“57 gesprochen. Die
vordergründigen Unterschiede sind etwa die Verjährungsunterbrechung und die Subrogation58. Bei der echten Solidarität wirkt eine Unterbrechungshandlung gegenüber allen
Mithaftenden im Sinne von Art. 136 OR. Diese Wirkung gilt nicht bei der Anspruchskonkurrenz59, da diese Bestimmung restriktiv auszulegen ist.60 Bei der Anspruchskonkurrenz erfolgt keine Subrogation der Forderung des Geschädigten gegenüber weiteren
55
56
57
58
59
60
Sach-, Hausrat-, Gebäude-, Kaskoversicherungen usw.
Brehm, contrat, N 634 und N 637.
So Bucher, S. 499.
Mit der „Subrogation“ gehen die Ansprüche des Geschädigten von Gesetzes wegen auf einen Ersatzpflichtigen oder einen Versicherer über, der Zahlung geleistet hat; vgl. hinten § 5 I.
BGE 69 II 162 ff.; 106 II 250 ff.; 112 II 138 ff.
BK-Brehm, Art. 51 N 20 m.w.H.
14
Mitschuldnern auf den Leistenden. Vielmehr besitzt er – wie bereits gezeigt wurde61 –
einen sog. Ausgleichsanspruch originärer Art.
ii.
Reduktionsgründe
Das im Rahmen der Festsetzung der Schadenersatzhöhe eingeräumte richterliche Ermessen gemäss Art. 43 und 44 OR bereitet bei der Festsetzung der Solidaritätsgrenze erhebliche Schwierigkeiten. Unbestritten sind jene Umstände, für die der Geschädigte selbst
einzustehen hat – wie Selbstverschulden, konstitutionelle Prädisposition usw.62 Dieser
beim Geschädigten liegende Risikobereich bestimmt die Grenzen der Solidarität, analog
der Situation, in welcher lediglich ein Haftpflichtiger den Schaden verursacht hat. Demgegenüber sind jene Umstände, welche den Schädiger betreffen, in der Doktrin höchst
umstritten. Zahlreiche Autoren63 vertreten die Auffassung, dass die Mithaftung einerseits
die eigene Haftpflicht nicht schmälert, die Solidarität aber andererseits nie dazu führt,
dass eine Person wegen der Mithaftung anderer mehr leisten muss als ohne diese. Die
Grenze der Solidarität bildet nach dieser Lehrmeinung die eigene persönliche Haftpflicht
gegenüber dem Geschädigten, so wie sie bestünde, wenn er allein haften würde. Demgegenüber sehen die Gegner der vorgenannten Ansicht64 den Grundsatz der Solidarität erst
dann verwirklicht, wenn im Aussenverhältnis jegliche Geltendmachung von Herabsetzungsgründen individueller Art ausgeschlossen ist. Während die Rechtsprechung bei der
echten Solidarität einheitlich ist und die persönlichen Herabsetzungsgründe nicht zugelassen werden,65 ist das Bundesgericht bezüglich unechter Solidarität schwankend.66 Die
folgende Kasuistik soll einen kleinen Überblick verschaffen, ohne den Anspruch auf
Vollständigkeit erheben zu wollen:
61
62
63
64
65
66
Vgl. hinten § 5 IV.
Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 877.
Roberto, Haftpflichtrecht, N 550; Gauch/Schluep/Rey, Nr. 3941; Honsell, Haftpflicht, § 11 N 20; Keller/Gabi, S. 139 f.; Maurer, PVR, S. 416; Oftinger/Stark, I, § 10 N 33, und Oftinger, I, S. 345; Schaer,
Grundzüge, N 503, Schaffhauser/Zellweger, N 1453; Spiro, S. 456 Anm. 9; Keller, Haftpflicht II, S. 179;
Oswald, S. 25; Portmann, SVZ, S. 35.
Statt vieler: BK-Brehm, Art. 50 N 43 m.w.H. auf die Doktrin; zurückhaltend OR-Schnyder, Art. 51 N 9.
BGE 89 II 122 f.; 55 II 315.
A.M. OR-Schnyder, Art. 51 N 9, wo aus der Bundesgerichtspraxis, insb. BGE 112 II 143 f. und BGE 113
II 330 f., geschlossen wird, dass zwischen echter und unechter Solidarität nicht mehr unterschieden werde;
vgl. ferner auch ZWR, S. 60 ff., wo die Möglichkeit der Herabsetzung bei echter und unechter Solidarität
grundsätzlich bejaht wurde.
15
In BGE 127 III 265 f. hält das Bundesgericht fest, dass die Herabsetzung nach Art. 43
Abs. 1 OR im externen Verhältnis der unechten Solidarität zwar nicht ausgeschlossen,
dass dabei aber grosse Zurückhaltung angezeigt sei, weil andernfalls der Grundsatz der
Solidarität in Frage gestellt würde.
In BGE 93 II 333 ff. macht es im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zur
Rechtskraftwirkung allgemeine Ausführungen hinsichtlich der Tragweite der Solidarität.
Dabei äussert sich das Bundesgericht implizit für die persönlichen Herabsetzungsgründe
bei der Solidarität, macht jedoch zugleich wieder darauf aufmerksam, dass die Solidarität
Gläubiger- und nicht Schuldnerschutz sei. Man darf bei diesen Erörterungen aber nicht
übersehen, dass es vorliegend um die Rechtskraft geht und nicht direkt um die Grenzen
der Solidarität.
In BGE 97 II 345 wird insbesondere erwähnt, dass das Selbstverschulden des Verletzten
nicht stets dasselbe Gewicht habe, sondern je nach Haftungstatbestand mehr oder weniger ins Gewicht falle. Im vorliegenden Urteil ist vor allem interessant, dass ohne weitere
Ausführungen völlig selbstverständlich die verschiedenen Haftungsquoten bereits im
Aussenverhältnis individuell festgelegt wurden. Dabei darf ausser Acht gelassen werden,
dass das Bundesgericht in casu auch das Innenverhältnis mit berücksichtigt hat. Dies
geht aus E.6 hervor, in der die offene Differenz auf einen anderen Beklagten abgewälzt
wurde.
In BGE 90 II 12 f.67 hat das Bundesgericht das jugendliche Alter von 12 Jahren im Zusammenhang mit dem Lösen von Schraubenmuttern an einem Hochspannungsleitungsmasten zwar im Regress gewürdigt, auch wenn die exakte Reduktion nicht explizit dem
Urteil zu entnehmen ist, zumal noch weitere Herabsetzungsgründe, welche dem Geschädigten zuzurechnen waren, eine Reduktion bewirkten. Zudem gilt es zu beachten, dass
im vorliegenden Urteil der endgültige Ausgleich im Innenverhältnis angesprochen ist
und nicht die Solidaritätsgrenze im Aussenverhältnis.
Aus den Äusserungen des Bundesgerichts in BGE 130 III 603 geht hervor, dass es im
Aussenverhältnis nur dann zu einer Haftungsreduktion kommen könne, wenn das Drittverschulden dem Geschädigten über die Hilfspersonenhaftung zuzurechnen sei. Daraus
geht implizit hervor, dass reines Drittverschulden die Solidarität nicht zu schmälern
vermag.
67
Pra (53) 1964, Nr. 57.
16
iii.
Stellungnahme
Auch wenn die Unterschiede zwischen echter und unechter Solidarität als gering eingestuft werden können, stellt sich meines Erachtens die Frage, ob es sachlich gerechtfertigt
ist, zwischen zwei Solidaritätstypen zu unterscheiden.
Wenn schon keine echte Solidarität vorliegt, gelangen diesfalls überhaupt die Bestimmungen von Art. 143 ff. OR über die Solidarität mit all ihren Konsequenzen zur Anwendung? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Die Doktrin und auch die Judikatur
haben das Problem zwar erkannt, begnügen sich aber mit der Argumentation, dass aufgrund des Gesetzeswortlauts „entsprechend“ die Solidarität per analogiam auch für die
Anspruchskonkurrenz gelte.68 Dass mindestens eine analoge Anwendung vom Gesetzgeber gewollt war, lässt sich kaum bestreiten. Umso mehr drängt sich die Frage auf, weshalb, wie das Bundesgericht ausführt, die Subrogationswirkung gestützt auf Art. 149 OR
nicht auf die unechte Solidarität angewendet werden könne. Dass diese Frage nicht bloss
von akademischem Interesse ist, zeigt sich insbesondere bei der Diskussion über die
Möglichkeit der Einrede der persönlichen Herabsetzungsgründe. Zudem ist in einem
Haftpflichtprozess des Geschädigten gegen einen unechten Solidarschuldner von Interesse, ob die im Aussenverhältnis nicht in Anspruch genommenen Mitschuldner eine Solidargemeinschaft im Sinne von Art. 145 OR und somit in diesem Sinne auch eine Pflichtgemeinschaft zur Abwehr von Ansprüchen bilden.69 Die Haltung des Bundesgerichts ist
inkonsequent, wenn die Regeln über die Solidarität an sich angewendet werden, gleichzeitig aber die Subrogationswirkung ausgeschlossen wird.
C.
Differenzierte Solidarität
i.
Allgemeines
Im Aktienrecht ist in Art. 759 OR die sog. differenzierte Solidarität statuiert. Nach Abs.
1 dieser Bestimmung geht die Verantwortlichkeit nur so weit, wie der Organperson „der
Schaden aufgrund ihres eigenen Verschuldens und der Umstände persönlich zurechenbar
ist“. Damit gilt zwar echte Solidarität im Aussenverhältnis. Der individuelle Ersatzan-
68
69
BK-Brehm, Art. 51 N 17; Oftinger/Stark, I, § 10 N 13 ff.; Fellmann, Regress und Subrogation, S. 8 f.; vgl.
etwa BGE 112 II 143, 104 II 231 f., 97 II 343 f.
Guldener, S. 313.
17
spruch des Verantwortlichen richtet sich jedoch nach dem eigenen Verschulden und der
adäquat kausalen Verursachung.70
Das Besondere bei der aktienrechtlichen Regelung wird in Abs. 2 derselben Bestimmung
verankert,71 in dem der Gesetzgeber eine Verfahrensregel vorgesehen hat, welche dem
Aktionär die Verantwortlichkeitsklage erleichtern soll. Der Kläger kann nämlich mehrere Beteiligte gemeinsam für den Gesamtschaden72 einklagen und verlangen, dass der
Richter im gleichen Verfahren die Ersatzpflicht jedes einzelnen Beklagten festsetzt.
Dadurch wird der Kläger vom Prozessrisiko soweit befreit, dass er nicht schlechter dasteht, als wenn lediglich ein potenzieller Haftpflichtiger beklagt werden müsste.
Der Gesetzgeber wollte de facto eine Entlastung für den Kläger erreichen. Das Bundesgericht hat in BGE 122 III 325 ff.73 geprüft und zugleich festgehalten, dass der Kläger,
wenn er mehrere Beteiligte gemeinsam für den Gesamtschaden einklagt, das Risiko der
Gerichts- und Prozesskosten nur gegenüber einer einzigen Gegenpartei und nicht gegenüber jedem Beklagten trägt.74 Diesen Grundsatz präzisierte das Bundesgericht in BGE
125 II 138 ff. dahingehend, dass eine differenzierte Parteientschädigung der Beklagten
sich dann rechtfertige, wenn diese begründeten Anlass hatten, sich einzeln oder in Gruppen vertreten zu lassen. Mit diesem gesetzgeberischen Kunstgriff wird dem Kläger eindeutig eine komfortablere Prozessstellung eingeräumt, als wenn er sich der einfachen
Streitgenossenschaft bedienen müsste. Vor dieser Bestimmung konnten mehrere potenziell Haftpflichtige zu einer einfachen Streitgenossenschaft zusammengefasst werden,
zumal die Voraussetzungen – gleiche Zuständigkeit, gleiche Verfahrensart und innerer
Zusammenhang – regelmässig gegeben waren. In diesem Fall trug aber der Kläger das
Kostenrisiko gegenüber jedem ganz oder teilweise obsiegenden Beklagten.75
70
71
72
73
74
75
Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, § 36 N 107.
Sog. Lex David.
In dieser Arbeit wird die aktienrechtliche Verantwortlichkeit nicht weiter vertieft. Weitergehend etwa
Nobel, S. 112 ff.
Pra (86) 1997, Nr. 39; vgl. dazu die Bemerkungen von Vogel, SZW 1998, S. 146 ff.
Diese Auslegung wird von Vogel, Die Rechtsprechung des BGer zum Zivilprozessrecht im Jahre 1996, in:
ZBJV 1997, S. 773, als kühn bezeichnet; er räumt aber zugleich ein, dass sie dem Sinn des Gesetzgeberwillens entspreche.
Vogel, SZW 1998, S. 148.
18
ii.
Stellungnahme
In der vorliegenden Problematik stellt sich die Frage, ob das Prinzip der in Art. 759 Abs.
1 OR festgelegten differenzierten Solidarität auch auf das allgemeine Haftpflichtrecht
übernommen werden kann. Der Grundsatz, dass jede Person nach wie vor in erster Linie
für den von ihr selbst sorgfaltswidrig verursachten Schaden persönlich haftet, kann meines Erachtens – der aufgezeigten, herrschenden Auffassung folgend – übernommen
werden. Es entspricht einem Bedürfnis, die persönlichen Herabsetzungsgründe im Rahmen von Art. 43 und 44 OR – unbesehen allfälliger weiterer Haftpflichtiger – bereits im
Aussenverhältnis geltend machen zu können.
Der Geschädigte ist bei Klageeinreichung nicht in der Lage, die richtigen Haftungsquoten festzulegen. Um die Klage zu erleichtern, wäre eine analoge Regelung im Sinne von
Art. 759 Abs. 2 OR zu legiferieren. Für den Haftpflichtfall sähe diesfalls die Lösung wie
folgt aus: In einem ersten Schritt legt der Richter im Einheitsprozess die jeweiligen individuellen Quoten fest. Dies kann in der Regel ohne weiteres zur Folge haben, dass im
Aussenverhältnis weit mehr als 100% des erlittenen Gesamtschadens zugeteilt werden.
In der Lehre76 trifft man diesbezüglich den Begriff der sog. Überschussdeckung an,
wonach das Bonitätsrisiko auf die Solidarschuldner abgewälzt wird. Die effektive endgültige Tragung der Einzelquote jedes Solidarschuldners ist dann in einem zweiten
Schritt im gleichen Prozess zu bestimmen, nachdem der Geschädigte endgültig befriedigt
ist.
2.
Überentschädigungs- bzw. Bereicherungsverbot
Es entspricht dem allgemeinen Grundsatz des Schadenersatzrechts, dass der Geschädigte
durch den Schaden nicht bereichert werden darf.77 Dies entspricht dem sog. Überentschädigungsverbot, auch Bereicherungsverbot genannt, welches im Haftpflichtrecht
unbestritten78 und für das Sozialversicherungsrecht in Art. 69 ATSG verankert ist. So
muss sich der Geschädigte denn auch Leistungen des Schadensversicherers oder solche
76
77
78
Böckli, S. 1109.
BGE 131 III 16 m.w.H.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 592, 784 ff.; Schaer, Grundzüge, N 433, 485. Gegensätzlich ist das amerikanische Rechtssystem, bei welchem mittels punitive damages den Opfern ein
Mehrfaches des tatsächlich erlittenen Schadens unter dem Begriff Schadenersatz ausgezahlt wird.
Rey, N 13; BK-Brehm, Art. 43 N 25.
19
eines Solidarschuldners an die Ansprüche gegen die haftpflichtige Person oder weitere
Haftpflichtige anrechnen lassen.79
Dieser Rechtsgrundsatz gilt heute für das gesamte Schadensausgleichsrecht, soweit nicht
ausdrückliche Koordinationsregeln etwas Abweichendes vorsehen oder die Kumulation
im Sinne von Art. 96 VVG vereinbart wurde.80 Die Berechnung des Schadens erfolgt
grundsätzlich nach der sog. Differenztheorie.81
II.
Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und anderen Ersatzpflichtigen
Als Schadensausgleichspflichtige gelten neben den Haftpflichtigen grundsätzlich auch
sämtliche Schadensversicherer. Da die Eigenschadensversicherung jedoch auch – wie im
Folgenden noch zu zeigen sein wird82 – Leistungspflichtige ist, wird das Versicherungsvertragsverhältnis an jener Stelle erörtert werden.
In der Betriebsunterbruchsversicherung existieren Policen, in welchen schadensunabhängig, bei Eintritt eines gewissen Risikos, eine im Voraus bestimmte Versicherungssumme ausbezahlt wird. Der Versicherungsnehmer wird somit wie bei der Summenversicherung vom Schadensnachweis entlastet. Es wäre sachlich unkorrekt, bei einer solchen Versicherungsleistung per se von einer Schadensversicherung zu sprechen. Unklar
ist jedoch, ob auch Sachversicherungen unter Art. 96 VVG subsumiert werden können,
da in systematischer Hinsicht diese Bestimmung unter dem Titel „Besondere Bestimmungen über die Personenversicherung“ steht. Nach meinem Dafürhalten kann in concreto ein Regressausschluss, gestützt auf Art. 96 VVG, per analogiam auch für Sachversicherungen bejaht werden.83 Dies gilt umso mehr, als die Rechtsprechung im umgekehrten Fall auch Personenversicherungsleistungen unter das Regime von Art. 72 VVG
stellt.84 Voraussetzung ist natürlich, dass die Parteien in der Versicherungspolice eine
Anspruchskumulation vereinbart haben.
79
80
81
82
83
84
Zum Ganzen: insb. Schaer, Grundzüge, N 432 ff. mit detaillierten Ausführungen.
Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 939 ff.
Hier wird nicht weiter auf die Schadensberechnung eingegangen; für eine vertiefte Auseinandersetzung
vgl. hierzu statt vieler: Roberto, Schadensrecht, S. 9 ff.
Vgl. hinten § 9 II.
Gl.M. Rapp, S. 152 f.
Vgl. dazu die Ausführungen zur Summenversicherung, hinten § 6 II 2.
20
§ 3.
Rechtsverhältnis zwischen Geschädigten und Leistungspflichtigen
I.
Anspruch aus Versicherungsvertrag
1.
Einzel- und Kollektivversicherung
Von einer Einzelversicherung ist dann die Rede, wenn eine einzelne Person, eine einzelne Sache oder ein einzelnes Vermögen versichert ist.85 Es versteht sich von selbst, dass
der Versicherungsnehmer hier auch Anspruchsberechtigter ist.
Von einer Kollektivversicherung wird dann gesprochen, wenn eine Mehrzahl von Personen, Sachen oder Vermögen Gegenstand des Versicherungsvertrages bildet.86 Dies sagt
aber noch nichts aus über die Anspruchsberechtigung im Versicherungsfall. In der Kollektiv-Unfall- und Krankenversicherung steht dem Versicherten nach Art. 87 VVG ein
selbständiges Forderungsrecht gegen die Versicherer zu. Dies ist in der KollektivLebensversicherung jedoch nicht zwingend so.87
2.
Eigen- und Fremdversicherung
Je nachdem, ob der Versicherungsnehmer seine eigenen subjektiven Rechte oder dritte
Interessen versichert, handelt es sich um eine Eigen- oder um eine Fremdversicherung.88
Regelmässig wird ein kombinierter Vertrag abgeschlossen. Eine Fremdversicherung liegt
beispielsweise auch bei der Hausratsversicherung betreffend die Obhutssachen vor.
In der Sachversicherung wird fast durchwegs eine Neuwertdeckung vereinbart.89 Dieser
Umstand führt in Schadenfällen, welche durch haftpflichtige Dritte zu vertreten sind, zu
komplexen Fragestellungen im Regressverhältnis.90
85
86
87
88
89
90
Maurer, PVR, S. 177; VVG-Boll, Art. 48 N 17.
Maurer, PVR, S. 177; VVG-Boll, Art. 48 N 17.
Maurer, PVR, S. 175.
Maurer, PVR, S. 179; VVG-Boll, Art. 48 N 19.
Zum Neuwert vgl. Maurer, PVR, S. 500 ff.
Vgl. dazu hinten § 7 I und II.
21
3.
Zusatzversicherung / Überobligatorische Versicherung
Ist in einem Versicherungsvertrag vorgesehen, dass die Leistungen jene eines anderen
Versicherungsvertrages ergänzen sollen, so liegt eine Zusatzversicherung vor. Wird
dadurch ein obligatorisches Versicherungsverhältnis ergänzt oder erweitert, so liegt eine
überobligatorische Versicherung vor. Diese Zusatzversicherungen sind in der Personenversicherung, im Bereich UVG und KVG, zahlreich. Man spricht auch von Komplementärversicherungen.91
Auch wenn der obligatorische Teil regelmässig dem öffentlich-rechtlichen Bereich angehört, gründen die Leistungen aus solchen Zusatzversicherungen in aller Regel im
Privatversicherungsrecht, weshalb hier das VVG zur Anwendung gelangt.92 Eine Ausnahme bildet etwa der ausserobligatorische Vorsorgevertrag, welcher als Innominatkontrakt unter die allgemeinen Regeln des OR fällt.93
II.
Anspruch aus Sozialversicherung
Es wurde bereits ausgeführt, dass sich der Leistungsanspruch aus einem öffentlichrechtlich normierten Versicherungsverhältnis ableitet.94 Auch hier sind selbständige und
abgeleitete Ansprüche denkbar. Letztere stehen je nachdem überlebenden Personen zu,
die unterhaltsberechtigt sind. Zu denken ist etwa an Renten und Abfindungen an überlebende Ehegatten und Eltern bzw. Renten an geschiedene überlebende Ehegatten oder
Waisenrenten.
III.
Anspruch aus Haftpflichtversicherung
Die Haftpflichtversicherung schützt das Vermögen, welches durch Schadenersatzansprüche und allenfalls durch Genugtuungsforderungen belastet werden kann. Der Haftpflichtversicherer garantiert im Versicherungsvertrag, den Versicherungsnehmer von
diesen Haftungsansprüchen zu befreien (sog. Befreiungsanspruch) oder unberechtigte
Ansprüche abzuwehren (sog. Abwehranspruch oder Rechtsschutzfunktion des Haft-
91
92
93
94
Maurer, PVR, S. 377; vgl. dazu auch hinten § 12 I.
VVG-Nebel, Art. 101 N 53 ff.
Maurer, PVR, S. 463 f. Fn 1210; VVG-Nebel, Art. 101 N 57.
Locher, § 1 N 37 f.
22
pflichtversicherers). Der Befreiungsanspruch wandelt sich dann in einen Zahlungsanspruch, wenn der Haftpflichtige den Schadenersatz gegenüber dem Geschädigten bereits
geleistet hat. Dabei gilt es zu beachten, dass die Haftpflichtversicherer in den AVB dem
Versicherungsnehmer die Forderungsanerkennung verbieten. Die Missachtung dieses
Verbots kann nach meinem Dafürhalten aber erst dann eine Deckungseinschränkung zur
Folge haben, wenn der Haftpflichtversicherer zu beweisen vermag, dass er ein für ihn
günstigeres Resultat hätte erzielen können. Dieser hypothetische Beweis wird je nach
Konstellation schwierig zu erbringen sein. Steht aber fest, dass der Versicherungsnehmer
leichtfertig seine Haftung anerkennt, wird er sich eine Kürzung infolge der Obliegenheitsverletzung „Schadensminderungspflicht“ im Sinne von Art. 61 VVG gefallen lassen
müssen.
Im Rahmen der Rechtsschutzfunktion handelt der Versicherer in aller Regel im Namen
des Haftpflichtigen, es sei denn, ein Parteiwechsel werde veranlasst.95 Diese vertraglich
vereinbarte Stellvertretung kann etwa dann zu schwierig zu lösenden Fragen führen,
wenn die Haftpflichtversicherung in einem Haftpflichtfall eine im Deckungsbereich
liegende Vergleichsofferte der Gegnerschaft ausschlägt und damit der Versicherte beklagt wird und das Gericht den Haftpflichtigen in der Folge zu einer Schadenersatzleistung verurteilt, welche über der versicherten Deckung liegt. Hat nun der Haftpflichtversicherer oder der Versicherungsnehmer den die Deckung übersteigenden Teil zu übernehmen? Auch wenn der zu beurteilende Haftpflichtfall häufig komplex sein mag, stellt
sich die Frage, ob der Haftpflichtversicherer den Versicherungsvertrag schlecht erfüllt
hat. Meines Erachtens kann diese Frage weder mit Ja noch mit Nein beantwortet werden,
vielmehr ist der Umstand zu beachten, dass durch die vertragliche Pflicht der Versicherungsnehmer de facto gar nicht mehr in der Lage ist, den Schaden in eigener Regie zu
regulieren, weshalb er auf die richtige Erledigung durch die Versicherung nach Art. 2
ZGB vertrauen darf und auch muss. E contrario übernimmt aber dadurch der Versicherer
auch stillschweigend das Risiko eines ungünstigen Ergebnisses. Somit wird der Haftpflichtige nicht mit dem ungedeckten Teil belastet werden dürfen.
95
Ein Parteiwechsel ist in der Praxis jedoch eher die Ausnahme.
23
IV.
Anspruch aus Arbeitsvertrag
Der Arbeitnehmer, welcher aus persönlichen Gründen96 und ohne sein Verschulden an
der Arbeitsleistung verhindert wird, hat gemäss Art. 324a OR über eine gewisse Zeit
Anspruch auf Lohnfortzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber. Ist für die Arbeitsunfähigkeit ein Unfall ursächlich, leistet die Unfallversicherung des Arbeitnehmers ab dem
dritten Unfalltag den Lohnausfall.97 Somit beschränkt sich diesbezüglich der arbeitsvertragliche Anspruch auf die ersten zwei Tage.98 Mit verschuldeter Arbeitsunfähigkeit ist
lediglich ein offensichtliches Fehlverhalten und nicht bereits jede, insbesondere die
leichte, Fahrlässigkeit gemeint.99
Dem für den Lohnausfall aufkommenden Arbeitgeber entsteht ein sog. Reflexschaden.100
Die Position des zahlenden Arbeitgebers im Regressverhältnis war lange Zeit unklar.
Das Bundesgericht hat nun mit dem Entscheid BGE 126 III 521 ff. Klarheit geschaffen,
indem es den Arbeitgeber aus der Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR herausnimmt und ihm
im Ergebnis ein integrales Regressrecht einräumt. Weitere Ausführungen dazu erfolgen
hinten in einem separaten Kapitel.101
§ 4.
Ergebnis erster Teil
1. § 1 diente vor allem der Klärung und Präzisierung von Begriffen und der ersten Feststellung von konfliktträchtigen Bereichen. Im Sinne einer Einleitung wurde das Schadensausgleichssystem dargestellt, welches aus diversen Rechtsinstituten besteht, wie
etwa dem Haftpflichtrecht, worunter auch die Haftung aus Vertrag oder ebenso die
Staatshaftung zu zählen sind.
96
97
98
99
100
101
Von diesen subjektiven Leistungshindernissen gilt es die objektiven zu unterscheiden, welche nicht unter
die Lohnfortzahlungspflicht von Art. 324a OR fallen und somit im Risikobereich des Arbeitnehmers liegen.
Vgl. dazu Art. 324b OR.
Roberto, Schadensrecht, S. 41.
OR-Rehbinder/Portmann, Art. 324a N 5 m.w.H. So zählt gar die Ausübung riskanter Sportarten im Zweifelsfall als unverschuldet.
Statt vieler: Roberto, Schadensrecht, S. 38 ff.
Vgl. hinten § 9 II.
24
Mit dem eigentlichen Haftungssystem korreliert der zweite wichtige Pfeiler, das Versicherungssystem, welches von privatrechtlichen als auch öffentlich-rechtlichen Bestimmungen und Prinzipien bestimmt wird.
2. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Haftpflichtigen wird
durch das Aussenverhältnis bestimmt, was in § 2 behandelt wurde. Dabei bilden die
Haftpflichtigen – aufgrund der Solidarität – eine Solidargemeinschaft. Dabei wurde
erkannt, dass eine differenzierte Solidarität, analog zu Art. 759 Abs. 2 OR, das Aussenverhältnis am besten zu regeln vermag.
3. In § 3 ist das Verhältnis des Geschädigten zu den involvierten Leistungspflichtigen
dargelegt worden. Neben dem Privat- und Sozialversicherer ist in diesem Zusammenhang auch an die aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Lohnfortzahlungspflicht gemäss Art. 324a OR zu denken.
25
II. Teil:
Grundlagen des Regressrechts
§ 5.
Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen
I.
Allgemeines
Hat der Schadensausgleich zwischen dem Geschädigten und der Solidargemeinschaft
stattgefunden, geht es in einem zweiten Schritt um den Ausgleich zwischen den Solidarschuldnern und den involvierten Versicherern. Dies entspricht dem Regressverhältnis,
auch Innenverhältnis genannt, welches über das Regime von Art. 51 OR und Art. 72
VVG geregelt wird. Wie die Rechtsvergleichung noch zeigen wird, handelt es sich bei
der schweizerischen Lösung mit der Kaskadenordnung von Art. 51 Abs. 2 OR und der
Subrogation von Art. 72 VVG um ein einmaliges und einzigartiges Konstrukt, welches
aus einem schweizerischen „Kompromiss“ resultiert ist. Im Rahmen der Rechtsfindung
gemäss Art. 1 ZGB und des gerichtlichen Ermessens gemäss Art. 4 ZGB wurden sodann
diese beiden Bestimmungen mit- bzw. gegeneinander ausgelegt. Das Resultat ist die sog.
Gini/Durlemann-Praxis102, welche nun seit Jahrzehnten mehr oder weniger oft angewendet wird, entgegen sämtlichen Bedenken der Doktrin, welche bis dato nicht verstummt
sind.103
Mit dem Wort Subrogation wird der Forderungsübergang ex lege ausgedrückt, welcher
damit per definitionem eine Legalzession ist.104 Dieser Forderungsübergang erfolgt unabhängig von einem Parteiwillen. Gesetzliche Subrogationsbestimmungen für das Haftpflichtrecht sind etwa in Art. 72 ATSG für das Sozialversicherungsrecht und in Art. 72
VVG für das Privatversicherungsrecht zu finden. Im Rahmen der Subrogation gehen
sämtliche akzessorischen Vorzugs- und Nebenrechte des Haftpflichtanspruchs des Geschädigten, welche nicht untrennbar mit dessen Person verbunden sind, uneingeschränkt
auf den (Sozial-)Versicherer über.105
Im Rahmen der Nebenrechte subrogieren auch das direkte Forderungsrecht der geschädigten Person gegen die Haftpflichtversicherung und ebenso der Einredeausschluss auf
den Sozialversicherer. Dies ist in Art. 72 Abs. 4 ATSG vorgeschrieben, und wurde zuvor
102
103
104
105
BGE 80 II 247 ff.; detaillierte Ausführungen dazu erfolgen hinten § 9 I ff.
Vgl. etwa Honsell, Regress, S. 569 ff.
Art. 166 OR. Vgl. zum Ganzen etwa Bucher, S. 576 ff.
Urteil des BGer vom 19. November 2002, 4C.208/2002, E. 2.1.1; statt vieler: Guhl/Koller, § 34 N 71.
26
vom Bundesgericht ebenfalls zugestanden.106 Es stellt sich daher die Frage, ob dies auch
für den subrogierenden Schadensversicherer Gültigkeit hat oder ob hier das direkte Forderungsrecht als höchstpersönlich gilt. Während in der Doktrin beide Auffassungen
vertreten werden107, bejahte das Bundesgericht, zwar nebenbei, aber immerhin, den
Rechtsübergang dieses unmittelbaren (direkten) Forderungsrechts.108 Da Nebenrechte
Bestandteile der subrogierenden Forderung und damit als akzessorisch zu betrachten
sind, spricht nach meinem Dafürhalten nichts gegen den Rechtsübergang des direkten
Forderungsrechts, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb dieses Nebenrecht untrennbar mit
der geschädigten Person verbunden sein soll. Zudem wäre eine unterschiedliche Regelung zum ATSG kaum zu begründen, da in beiden Fällen dieselbe Legalzession mitwirkt.
II.
Gesetzliches Rückgriffsrecht
Im schweizerischen Recht sind, wie bereits erwähnt,109 an diversen Orten für das Innenverhältnis Regressrechte ex lege geregelt. Dabei sind diverse Ausgleichssysteme möglich. Im Einzelnen wird teilweise später darauf eingegangen.110 Die folgenden Ausführungen sollen einen kurzen Überblick verschaffen:111
Für das Privatrecht, betreffend echte Solidarität, stehen Art. 148 Abs. 1 und Art. 50 OR,
für die unechte Solidarität gilt Art. 51 Abs. 2 OR. Im Privatversicherungsrecht gilt für
die Schadensversicherer das durch die Subrogation verstärkte Regressrecht gemäss Art.
72 VVG. Nach der dispositiven Regelung von Art. 533 OR tragen die einfachen Gesellschafter die Belastung, soweit nichts anderes vereinbart ist, nach den Anteilen der Gewinn-und-Verlust-Beteiligung. Erben tragen die Erblasserschulden, mangels anderer
Abreden, nach Art. 640 Abs. 3 ZGB unter sich im Verhältnis ihrer Erbanteile.
Im Bereich des Sozialversicherungsrechts wird das Rückgriffsrecht durch das ATSG
geregelt. Art. 72 ff. ATSG umschreibt den Regress im Detail. Als besonderes Merkmal
106
107
108
109
110
111
BGE 119 II 289 ff., 292 f.
Bejahend etwa Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 162; a.M. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 956; Schaer, Grundzüge, N 551.
BGE 105 II 209 ff.; 119 II 289 ff., 292 f.; Urteil des HGer des Kantons ZH vom 23. Juni 2003, in: ZR 103
(2004) Nr. 65, S. 258.
Vgl. vorne § 5 I.
Vgl. hinten § 6.
Die folgende Aufzählung ist nicht abschliessend zu verstehen.
27
kann hier das integrale Regressrecht des Sozialversicherers hervorgehoben werden. Das
BVG, welches dem ATSG nicht untersteht, hat jedoch dessen Regressbestimmungen mit
Art. 34b BVG weitgehend übernommen.
Im öffentlichen Recht sind zahlreiche Regressbestimmungen verankert. Zu denken ist
etwa an das Regressrecht des Bundes gemäss Art. 7 VG gegen fehlbare Beamte, welche
vorsätzlich oder grobfahrlässig einen Schaden verursacht haben. Aber auch in den öffentlich-rechtlichen Spezialgesetzen sind Rückgriffsbestimmungen zu finden; zu denken
ist namentlich an Art. 60 Abs. 2 SVG, an Art. 59a Abs. 3 USG112, an Art. 3 Abs. 3 und 6
KHG oder an Art. 6 KHG, an Art. 34 Abs. 2 EleG und an Art. 37 Abs. 3 RLG.113 Bei der
Haftung im Rahmen des SVG und des RLG gilt ein direktes Forderungsrecht des Geschädigten gegenüber dem Versicherer. Analoge Rückgriffsrechte sind in den kantonalen
Verantwortlichkeitsgesetzen zu finden. In jenen Kantonen, in welchen die Gebäudeversicherung monopolisiert ist, sind regelmässig in den kantonalen Gesetzen über die Gebäudeversicherer auch entsprechende Regressbestimmungen vorgesehen.
Ist der Bund bzw. der Staat haftpflichtig, können nach der Rechtsprechung die gesetzlichen Regressbestimmungen analog angewendet werden.114 Der Bund haftet gemäss Art.
135 Abs. 1 MG kausal für Schäden, die Angehörige der Armee oder Truppen Dritten
widerrechtlich zufügen. Dabei steht dem vom Geschädigten in Anspruch genommenen
Bund im Sinne von Art. 138 MG ein Rückgriff gegen Angehörige der Armee zu, die den
Schaden vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht haben. Personen, die nach Art. 1a
und Art. 2 MVG bei der Militärversicherung gegen Schäden versichert sind, können ihre
Ansprüche im Rahmen von Art. 8 ff. MVG geltend machen. Ansprüche gegen den Bund
sind hingegen gemäss Art. 135 Abs. 3 MG ausgeschlossen.115 Auch im Zusammenhang
mit der Haftung für Umweltschäden, wenn mehrere Störer beteiligt sind, stellt sich die
Frage nach der Anwendbarkeit der gesetzlichen Rückgriffsbestimmungen. Die Recht-
112
113
114
115
Hier wird auf die Haftpflicht- und Regressbestimmungen des OR verwiesen.
Der Abschluss einer Haftpflichtversicherung ist im KHG und im RLG obligatorisch. Im EHG und im EleG
ist der Rückgriff auf Verschuldenshaftpflichtige beschränkt, während das KHG einen abschliessenden Katalog möglicher Regressaten vorsieht.
In BGE 116 II 647 f. wird die analoge Anwendung von Art. 72 VVG bejaht. In VPB 1997, Nr. 90, S. 866
wird die Anwendung von Art. 72 VVG dem Grundsatze nach nicht ausgeschlossen, in concreto aber verneint, da keine Haftung aus Verschulden in Frage stand; der Ausgleichsanspruch gemäss Art. 51 Abs. 2
OR wurde hingegen bejaht. Vgl. ferner BJM 1973, S. 157 ff., wo im Rahmen von Art. 76 Abs. 2 aSVG die
Anwendbarkeit von Art. 51 Abs. 2 OR verneint wurde.
BGE 127 II 289 ff., 291 f.; vgl. dazu auch Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 77 ff. m.w.H. zur Einstufung der
Militärversicherung.
28
sprechung der letzten Jahre ist einheitlich.116 Dabei wird zunächst festgehalten, dass bei
einer Mehrheit von Störern die Behörde nicht einen einzelnen Störer mit der vollen Zahlungspflicht belasten könne.117 Dabei liessen sich die in Art. 50 Abs. 3 und Art. 51 Abs.
2 OR enthaltenen Wertungen bei der Kostenverteilung analog heranziehen.118 Die in Art.
51 Abs. 2 OR zum Ausdruck kommende Skala der ethischen Wertungen werde aber von
einer wirtschaftlichen Interessenlage, dem Verursacherprinzip von Art. 8 GSchG, überlagert.119
III.
Vertragliches Rückgriffsrecht
Bei der vertraglichen Abänderung der Regressordnung gilt es zwischen Vereinbarungen
zu unterscheiden, welche unter Ersatzpflichtigen geschlossen werden, und solchen Abmachungen, die zwischen dem Geschädigten und dem Versicherer getroffen werden.
Eine Regressvereinbarung zwischen den Ersatzpflichtigen im Rahmen von Art. 51 OR
ist ohne weiteres möglich.120 Man wird jedoch einschränkend anmerken müssen, dass
nicht gegen den Willen eines Solidarschuldners eine andere Ordnung bestimmt werden
kann, da sonst ein Vertrag zulasten Dritter vorläge. Nach gefestigter Praxis des Bundesgerichts ist es hingegen nicht möglich, dass der Versicherer in Absprache mit dem Geschädigten die Regressordnung von Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 VVG mittels Vertrag
und durch entsprechende Zession abändert.121
Als vertragliches Rückgriffsrecht kann auch ein allfälliger Regressverzicht des Versicherers aufgefasst werden. OFTINGER/STARK gestehen dem Versicherer ein solches Recht
auch bereits vor dem Schadensfall zu, wobei sie auf die engen Grenzen der vertraglichen
Abänderung hinweisen, ohne jedoch zu nennen, worin sie liegen.122 Meines Erachtens
gilt es zu unterscheiden, zwischen welchen Parteien ein solcher Verzicht vereinbart wird:
116
117
118
119
120
121
122
Weitergehend etwa Fuhrer, Die Haftung für Umweltschäden und deren Versicherung, in: BJM 1992, S.
225 ff., 235.
Urteil des BGer vom 12. Oktober 1990, in: SGW 1990 Nr. 64, S. 12; GVP 1997, Nr. 18, S. 46.
Urteil des BGer vom 14. März 1975, in: ZBL 1976, S. 404; Urteil des BGer vom 30. April 1980, in: ZBL
1980, S. 540.
Urteil des BGer vom 15. Dezember 1983, in: SGW 1983, Nr. 63, S. 6 f.; Urteil des BGer vom 12. Oktober
1990, in: SGW 1990, Nr. 64, S. 13; ferner Urteil des Regierungsrats AG vom 20. April 1994, in: ZBL
1996, S. 132.
Oftinger/Stark, I, § 11 N 77.
Letztmals BGE 115 II 25 f. = Pra (78) 1989, Nr. 172.
Oftinger/Stark, I, § 11 N 17.
29
Verzichtet der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer auf allfällige Regresse,
so ist dies im Rahmen der Vertragsfreiheit durchaus möglich; verzichtet der Versicherer
hingegen gegenüber einem potenziellen Haftpflichtigen, so könnte man sich fragen, ob
der Versicherer dazu überhaupt berechtigt ist. Dies gilt deshalb, weil der Versicherer an
sich das Geld der Versicherungsnehmer, welches diese in Form von Prämien zur Verfügung stellen, zu verwalten hat. Handelt es sich um kleinere Regressbeträge, so kann ein
Verzicht mit dem eingesparten Aufwand gerechtfertigt werden; dies ist nicht möglich,
wenn es sich um eine namhafte Regressforderung handelt, auf welche verzichtet wird.
Dies könnte unter Umständen als eine Sorgfaltspflichtverletzung im Versicherungsvertragsverhältnis ausgelegt werden, was theoretisch die anderen Versicherungsnehmer zu
Schadenersatzforderungen berechtigen würde.
IV.
Zwei Forderungen: originäre und derivative (subrogierte)
Was sich auf der Seite des Geschädigten als Anspruchskonkurrenz manifestiert, zeigt
sich auf der Seite der Ersatzpflichtigen als Solidarität.123 Dabei gilt es – innerhalb der
Solidargemeinschaft –, grundsätzlich zwischen zwei Forderungen zu unterscheiden.
Dem vom Gläubiger in Anspruch genommenen Schuldner stehen im Rahmen der Solidarität unter Umständen zwei unterschiedliche Forderungen gegen seine solidarischen
Mitschuldner zu: eine derivative und eine originäre Forderung.
Der derivative Anspruch resultiert aus der Subrogation, welche bei der echten Solidarität
nach Art. 149 OR und beispielsweise auch beim Versicherungsregress nach Art. 72 Abs.
1 VVG vorgesehen ist. Kraft Subrogation gehen die Ansprüche des Geschädigten bzw.
des Gläubigers mit der Zahlung des Solidarschuldners auf diesen über.
Der originäre Anspruch ist der Ausgleichsanspruch aus Art. 51 OR. Nach dem Bundesgericht kann sich – soweit kein Spezialgesetz die Subrogation vorsieht – der Regressierende „nur“ auf einen Ausgleichsanspruch stützen.124 Dies wird mit der bloss analogen
Anwendung der Solidaritätsregelung von Art. 143 ff. OR begründet.125
123
124
125
Vgl. dazu vorne § 2 I.
BGE 115 II 48.
Statt vieler: BK-Brehm, Art. 51 N 17.
30
V.
Keine Solidarität im Innenverhältnis
Lehre und Rechtsprechung sind sich weitgehend einig, dass im Regressverhältnis keine
Solidarität besteht, mit der Konsequenz, dass im Innenverhältnis nur eine anteilsmässige
Leistungs- bzw. Ersatzpflicht besteht.126 Dieser Grundsatz ist für das Haftpflichtrecht
sachgerecht, denn die Schädiger bedürfen nicht des gleichen Schutzes wie der Geschädigte.
Bis zum Inkrafttreten des ATSG war diese Frage im Sozialversicherungsrecht hingegen
umstritten. Ein gewichtiger Teil der Doktrin stellte den Sozialversicherer ins Innenverhältnis zu den Haftpflichtigen, was sich in einer umfangreichen Kontroverse niederschlug.127 Erst mit Inkrafttreten des ATSG wurde restlos Klarheit geschaffen. Nach Art.
72 Abs. 2 ATSG herrscht nun auch im Innenverhältnis Solidarität unter den Haftpflichtigen bezüglich den dem ATSG unterstellten Sozialversicherern. Das Bundesgericht hat
noch kurz zuvor zugunsten der Sozialversicherer die bis dahin umstrittene Frage entschieden.128 Somit gehört der Sozialversicherer nicht ins Innenverhältnis der anderen
Solidarschuldner.
Ob dieser Grundsatz, der im Sozialversicherungsrecht seine Berechtigung hat, ins Privatversicherungsrecht transferiert werden kann, bedarf der genaueren Betrachtung. Nach
der heutigen Auslegung der Subrogation im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG129 wird man
das Innenverhältnis de lege lata nicht als Solidargemeinschaft bezeichnen können, zumal
der Schadensversicherer, wenn auch zu Unrecht, in diese Gemeinschaft gedrängt und die
Subrogation sehr eingeschränkt gewährt wird. Diese Auffassung wird zudem durch den
Grundsatz des Regressprozesses gestützt, wonach dessen Urteile keine Rechtskraftwirkung gegenüber Dritten zu zeitigen vermögen.130 Bekennt man sich jedoch zum integralen Regressrecht, so ist es konsequent, den leistenden Versicherer zum Kreis der Solidarschuldner zu zählen. An die Stelle des Geschädigten, welcher gegenüber der Solidargemeinschaft anspruchsberechtigt ist, tritt der Schadensversicherer. Diese Lösung gilt es de
lege ferenda zu verfolgen.
126
127
128
129
130
Roberto, Haftpflichtrecht, N 551; Oftinger/Stark, I, § 10 N 79; BK-Brehm, Art. 51 N 81 und 89 ff.; ORSchnyder, Art. 51 N 18; Koller, Solidarität, S. 5; von Tuhr/Escher, S. 316; Stein, S. 716; BGE 103 II 139;
a.A. Hartmann, S. 66 ff.; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 892.
Dazu wird in dieser Arbeit nicht näher eingegangen. Für weitere Hinweise sei auf die Ausführungen von
Läubli, Koordination, S. 172 ff.; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 917.; Oftinger/Stark, I, § 10 N 45 ff., verwiesen.
Urteil des BGer vom 19. November 2002, 4C.208/2002, E. 2.
Vgl. die folgenden Ausführungen hinten § 9.
BGE 93 II 333.
31
Die Konsequenz des Prinzips „keine Solidarität im Regressverhältnis“ liegt hauptsächlich darin, dass keine Anschlussregresse im Innenverhältnis stattfinden, d.h. kein sog.
Kettenregress bzw. keine zweite „Regressrunde“ zugelassen wird, sondern dass die Aufteilung nach den effektiven Quoten zu erfolgen hat.131 Der Kausalhaftpflichtige kann
sich somit nicht an den aus Vertrag Haftenden, sondern muss sich direkt an den Verschuldenshaftpflichtigen halten. Nach BREHM trägt damit der Kausalhaftpflichtige ein
allfälliges Insolvenzrisiko des aus Verschulden Haftpflichtigen, sofern er im Aussenverhältnis vom Geschädigten zuerst ins Recht gefasst wird.132 In einem zweiten Schritt
gewährt der Autor dem Kausalhaftpflichtigen dennoch einen Regress gegen den aus
Vertrag Haftenden, indem er Art. 148 Abs. 3 OR analog anwendet.133 Der Regress kann
aber nach meinem Dafürhalten in diesem Fall kein vollständiger sein, da Art. 148 Abs. 3
OR von einer gleichmässigen Verteilung spricht. Demgegenüber schränken OFTINGER/STARK den Grundsatz „keine Solidarität im Innenverhältnis“ ein, und zwar im Falle
der Insolvenz des Solidarschuldners, welcher aus Art. 41 OR haftet. Sie sprechen in
diesem Fall von der Ausfallshaftung, was zum Regress gegen den aus Vertrag Haftenden
berechtigt.134
Die Lösung über die analoge Anwendung von Art. 148 Abs. 3 OR überzeugt, zumal es
nicht korrekt wäre, wenn nur einer der beiden Solidarschuldner den Ausfall des aus
Verschulden Haftenden tragen würde. Dadurch wird das Schicksal der Solidargemeinschaft nicht der Willkür des Geschädigten überlassen.
§ 6.
Allgemeine Regressordnung
I.
OR
1.
Allgemeines
Im OR sind an verschiedensten Stellen Regressbestimmungen verankert: so etwa in Art.
50 und 51, Art. 144 usw. In dieser Arbeit werden einzig die unechte Solidarität und ihr
Innenverhältnis verfolgt, zumal vor allem hier viele Unsicherheiten und Probleme bestehen. Die herrschende Doktrin und die Rechtsprechung sehen bei der unechten Solidarität
131
132
133
134
Gl.M. Oftinger/Stark, I, § 10 N 80; a.M. Rey N 1514.
BK-Brehm, Art. 51 N 90.
BK-Brehm, Art. 51 N 91 f. m.w.H. auf die Doktrin.
Oftinger/Stark, I, § 10 N 80.
32
keine Subrogation begründet, weshalb es sich – wie bereits erwähnt – um einen reinen,
originären Ausgleichsanspruch handelt.135
Artikel 51 Abs. 2 OR sieht bekanntlich folgende culpa-orientierte Regressordnung vor,
welche an sich lediglich in der Regel ihre Anwendung finden sollte.136 Danach hat in
erster Linie der aus Verschulden Haftpflichtige, in zweiter Linie jener aus Vertrag Haftpflichtige und in letzter Linie derjenige, der kausal haftet, den Schaden zu liquidieren.
Was der Gesetzgeber einmal als offene Orientierungshilfe verankert hatte, wurde im
Laufe der Zeit von der Rechtsprechung zur fast unumstösslichen Regel umfunktioniert.137 Die Rechtsprechung hält sich konsequent an diese Regressordnung, auch wenn
das Bundesgericht138 die Möglichkeit der Regelabweichung aus Gerechtigkeitsgründen
grundsätzlich zulässt.139 Die Recherche in der amtlichen Sammlung der Bundesgerichtsentscheide ergibt, dass es keine von dieser Kaskadenordnung abweichenden publizierten
Urteile gibt. So kann auch BGE 116 II 645 ff. nicht als Entscheid für die Regelabweichung von Art. 51 Abs. 2 OR dienen, zumal es in diesem Entscheid um eine Haftungsverteilung unter mehreren Haftpflichtigen geht. Der Haftpflichtversicherer wurde lediglich aufgrund des direkten Forderungsrechtes zur unmittelbaren Leistung gezwungen.
Einige nicht amtlich publizierte Urteile, welche von der Kaskadenordnung abweichen,
bestehen dennoch.140
Die Ansichten über diese Stufenordnung sind in der Lehre äusserst kontrovers.141 In der
Praxis kann man feststellen, dass zwar heute einige Versicherungsgesellschaften nicht
mehr hinter dieser Regressordnung stehen, sich aber kaum für eine Praxisänderung einsetzen. Dies zeigt sich darin, dass, meiner Kenntnis nach, in letzter Zeit weder ein Musterprozess dagegen geführt noch je ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben wurde. Die
135
136
137
138
139
140
141
BGE 115 II 48; Oftinger/Stark, I, § 10 N 75; Rey, N 1493 ff.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 551.
Oftinger/Stark, I, § 10 N 50, 66, 73 m.w.H.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 555.
So auch etwa Schiedsgutachten von A. Keller vom 13. Februar 1998, in: SGW 1998 Nr. 16, S. 9 ff. In
diesem Schiedsgutachten schliesst sich Keller der neueren Lehre an, wonach die Regel von Art. 51 Abs. 2
OR nicht als starr zu betrachten sei und auch Art. 72 Abs. 1 VVG nicht lediglich ein Regressrecht auf
Haftpflichtige aus Art. 41 OR zulasse.
BGE 115 II 28 = Pra (78) 1989, Nr. 172.
Vgl. etwa Urteil des Appellationshofs des Kantons BE, III. Zivilkammer, vom 8. März 1988, in: SGW
1988 Nr. 9, S. 2 ff.; Urteil des HGer des Kantons SG vom 2. Juni 1999, in: SGW 1999 Nr. 38, S. 5 ff.
ZR 1956, S. 119 ff.; JT 1941 I, S. 363 ff.; Urteil des BGer vom 5. Mai 1987 i.S. Michaud gegen Eidgenossenschaft, in: SGW 1987 Nr. 25, S. 27 ff. oder als Urteilsanmerkung von Stark Emil W. in: ZBJV 1992, S.
223; etwas unklar im Urteil des BGer vom 29. Januar 1980 Tonossi c. Gaudin & Morand, in: SGW 1980
Nr. 4, S. 10 ff..
Oftinger, Bemerkungen, S. 172, spricht im Zusammenhang mit Art. 51 Abs. 2 OR von einer "wohl abgewogenen, ethisch fundierten – wenn auch unvollständigen – Regressordnung"; vgl. statt vieler etwa BKBrehm, Art. 51 N 144 ff. m.w.H.; Roberto, Haftpflichtrecht, N 554; Rey, N 1515.
33
schärfste Kritik in den letzten Jahren kam von SCHAER, OFTINGER/STARK und später von
RUMO-JUNGO.142 So wird in der Lehre denn auch mehrheitlich von einer „blossen“
Richtschnur im Zusammenhang mit der Regresskaskade gesprochen.143 OFTINGER/STARK schlagen für eine befriedigende Lösung die sektorielle Verteilung vor, wonach die Schadensquote auf die einzelnen Ersatzpflichtigen nach den Umständen festzulegen ist.144
2.
Entstehungsgeschichte
Die Entstehungsgeschichte der in Art. 51 Abs. 2 OR verankerten Regresskaskade wird
unter anderem von SCHAER überzeugend dargelegt.145 Der gesetzgeberische Wille, welcher der Entstehung dieser Kaskade zugrunde liegt, wird so weit dargelegt, als er für die
folgende Auslegung Anknüpfungspunkte ergibt.
Bei einer historischen Auslegung tritt bald der BGE 35 II 238 ff.146 in den amtlichen
Materialien in Erscheinung. Aus den Bulletins des National- und des Ständerates geht
explizit hervor, dass der Sachverhalt und das Ergebnis dieses Urteils wegleitend für das
Schicksal des Regresses unter den unechten Solidarschuldnern waren. Welcher Sachverhalt liegt diesem besagten Urteil zugrunde?
B ist Eigentümer eines im Jahre 1892 erbauten Hauses in Bern geworden. Dieses
Haus hat eine turmartig ausgestaltete Ecke, welche ein steil aufsteigendes Schieferdach trägt. Kurz nach Erwerb des Eigentums hatte B zur Überprüfung des Daches
einen Dachdecker- und Spenglermeister beauftragt, das Dach zu untersuchen und alle notwendigen Reparaturen daran vorzunehmen. Bei der Ausführung dieser Arbeit
ist ein Arbeitnehmer der beauftragten Firma mit einer Leiter, welche er an einem im
oberen Teil des Schieferdaches angebrachten Leiterhaken anhängte, auf das Dach
hinaufgestiegen. Als der Arbeiter auf der Leiter war, gab der Haken nach, und der
142
143
144
145
146
Schaer, Grundzüge, N 472 ff.; Oftinger/Stark, I, § 10 N 65; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1071 ff.; RumoJungo, Zusammenspiel, S. 616 ff.
Nach BK-Brehm, Art. 51 N 146, sollte Art. 51 II keine Zwangsjacke sein.
Oftinger/Stark, I, § 10 N 65; zur sektoriellen Verteilung vgl. hinten § 6 IV.
Schaer, Grundzüge, N 844 ff.; ebenso: Brühlmann, S. 105 ff.; Hartmann, S. 43 ff.; Stein, S. 708 f. Um
Wiederholungen zu vermeiden, wird in der vorliegenden Arbeit nur noch summarisch auf die Entstehungsgeschichte eingegangen.
Sog. Leiterhaken-Fall, Urteil Bühler/Hermann.
34
Arbeiter ist von einer Höhe von ungefähr 15 m zur Erde gefallen, wo er infolge der
schweren Kopfverletzungen das Leben verlor. Aufgrund einer Expertise konnte
festgestellt werden, dass der Haken lediglich mit einem 5 cm langen geschmiedeten
Nagel befestigt worden war, was nach Ansicht der Experten ein „furchtbarer Leichtsinn“ gewesen sei.
In der Folge verurteilte das Bundesgericht den neuen Eigentümer B zu Schadenersatz, gestützt auf die kausale Werkeigentümerhaftung. Die damalige Unfallversicherung schob die Anspruchssteller an den Gebäudeeigentümer ab.
Dieses Urteil wurde als höchst unbillig empfunden. Bei der Revision des OR von 1881
vom 30. März 1911 versuchten einige Parlamentarier, die Werkeigentümerhaftung in
eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast oder gar in eine Subsidiärhaftung147 umzuwandeln.148 Das Missbehagen gegen dieses Resultat stammte nicht zuletzt
auch aus dem Vergleich, welcher die Personenversicherung mit der Witwe des Verunfallten geschlossen hatte. Dieser Vergleich verpflichtete die Klägerin, den Ersatz des
entstandenen Schadens vorab auf dem Prozesswege gegen den Hauseigentümer bzw. den
Auftraggeber geltend zu machen. Im Gegenzug übernahm die Versicherung neben dem
Prozessrisiko auch eine Subsidiärdeckung für den Fall des Unterliegens.149
Zur Rettung der Werkeigentümerhaftung als Kausalhaftung konstruierte EUGEN HUBER
die heutige Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR150, um die zum Teil als zu weitgehend empfundenen Wirkungen einer Kausalhaftung durch das Innenverhältnis zu mildern. Damit könne dem Gebäudeeigentümer, „welcher für den Schaden persönlich nichts
kann, ein Rückgriffsrecht auf jene gewährt werden, die aus unerlaubter Handlung, aus
Delikt, den Schaden tragen oder vertraglich die Deckung des Schadens übernommen
haben, also auf die Versicherungsgesellschaft [...]“. Überdies gewichtete der historische
Gesetzgeber ein schuldhaftes Verhalten viel schwerer als die Kausalhaftung und sprach
gar von einer verdienten Strafe als Sanktion.151 Der Gesetzgeber war sich jedenfalls
einig, dass diese neu gestaltete Regressordnung einer vernünftigen Interpretation durch
147
148
149
150
151
Der Werkeigentümer wäre diesfalls so lange von der Haftung befreit gewesen, als der Geschädigte noch
von anderen Haftpflichtigen Schadenersatz hätte fordern können.
Müri, Sten Bull NR 1909, S. 741, 501.
BGE 35 II 238.
Vgl. Huber, Sten Bull NR 1909, S. 520 f.
Aus diesem Grunde die culpa-orientierte Gesetzgebung; vgl. dazu etwa Hartmann, S. 59.
35
einsichtige Richter bedürfe.152 Aufgrund der heutigen Technologisierung und Automatisierung und der dazu geschaffenen Gefährdungshaftungen bedarf die Ansicht des historischen Gesetzgebers jedoch einer erneuten Überprüfung.153
3.
Stellungnahme
Vorab ist festzuhalten, dass das Sozialversicherungssystem, welches vor etwa 100 Jahren
galt, weitgehend nicht dem heutigen System entspricht. So ereignete sich der erwähnte
Leiterhaken-Fall zeitlich vor dem Inkrafttreten des KUVG.154 Der Arbeitgeber hatte für
den Verunfallten eine private Unfallversicherung abgeschlossen, welche vermutungsweise nur eine subsidiäre Leistungspflicht beinhaltete. Auch wenn nach SCHAER155 die
Art der Versicherung in concreto unklar ist, so kann meines Erachtens immerhin festgestellt werden, dass es sich offensichtlich um eine Art private Personenversicherung handelte, welche in der vom Bundesgericht verstandenen Regresstreppe de lege lata in die
mittlere Stufe einzuordnen ist. Diese Folgerung deckt sich eigentlich auch mit dem Willen des Gesetzgebers, wenn – wie oben ausgeführt – der in die Haftung genommene
Werkeigentümer einen Regressanspruch, gestützt auf Art. 51 Abs. 2 OR, gegen die Versicherung haben soll. Damit steht der gesetzgeberische Wille an sich fest: Der Eigenschadensversicherer sollte in die mittlere Kaskadenstufe von Art. 51 Abs. 2 OR gestellt
werden.
In der moderneren Methodenlehre, welche auch vom Bundesgericht verfolgt wird, gilt
grundsätzlich der Methodenpluralismus.156 Darüber hinaus besteht weitgehend Einigkeit,
dass der gesetzgeberische Wille insbesondere dann zu überdenken und unter Umständen
entsprechend zu relativieren ist, wenn es sich um ein älteres Gesetz handelt oder sich die
Umstände, die gesellschaftliche Auffassung oder die Rahmenbedingungen geändert
haben. So führt das Bundesgericht in BGE 81 I 282 aus: Es „ist nicht massgebend, was
in den Gesetzesmaterialien steht oder was bei der Gesetzesberatung in der gesetzgebenden Behörde gesagt wurde, sondern was dem Gesetz im Lichte allgemeiner Rechtsanschauungen zu entnehmen ist, wobei die gegenwärtigen Verhältnisse zu berücksichtigen
152
153
154
155
156
Brühlmann, S. 121.
Vgl. dazu hinten § 6 V.
Für Einzelheiten vgl. etwa Locher, § 3 N 1 ff.
Schaer, Grundzüge, N 844.
Kramer, S. 151 ff.; Hausheer/Jaun, Einleitungsartikel, 2.84.
36
sind“.157 Genau diese Umstände liegen hier vor: So wurde zum einen seit damals ein sehr
ausgewogenes Sozialversicherungssystem entwickelt; zum anderen hat sich die gesellschaftliche Auffassung hinsichtlich des Verursacherprinzips wesentlich geändert, da
nicht mehr das Prinzip casum sentit dominus im Zentrum steht. Vielmehr hat sich eine
Anspruchshaltung der Geschädigten gegenüber den Verursachern eingestellt.
In diesem Sinne hat bereits VON TUHR158 zutreffend festgehalten: „Da nun die Auslegung
des Gesetzes nicht nach den aus den Materialien ersichtlichen Absichten der Beteiligten
zu erfolgen hat, sondern nach dem objektiven Sinn und dem inneren Zusammenhang der
im fertigen Gesetz enthaltenen Rechtssätze, so erscheint es mir unzulässig, aus dem
wohlüberlegten und fest gefügten Versicherungsgesetz eine wichtige Vorschrift herauszubrechen, weil bei der Beratung des OR an diesen bereits bestehenden Rechtssatz nicht
gedacht worden ist. Man muss meines Erachtens unter Aufrechterhaltung des Art. 72
Versicherungsgesetz den Art. 51 OR auf andere Verträge beschränken, durch welche
jemand die Haftung für einen Schaden übernimmt.“
Diesen Ausführungen VON TUHRS ist im Lichte der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
vollumfänglich zuzustimmen, zumal das VVG zum einen lex specialis159 ist und zum
anderen der Schadensversicherer nicht Haftpflichtiger, sondern Leistungspflichtiger160
ist. Zudem war beim „Leiterhaken-Fall“ die Haftung des Werkeigentümers verfehlt. Ein
Handwerker, der für die Kontrolle und die Instandsetzung des Daches beauftragt ist,
übernimmt in der Regel vertraglich dieses Risiko und kann somit die Werkeigentümerhaftung nicht geltend machen. So kommt die Werkeigentümerhaftung nach Art. 58 OR
sowohl beim Bau eines Werkes als auch bei Reparatur- oder Umbauarbeiten an einem
Werk nicht zur Anwendung. Vielmehr wird Art. 41 und 55 OR tangiert.161 Der verunfallte Unternehmer hatte Kenntnis vom renovationsbedürftigen Dach. Aus eben diesem
Grunde wurde er beauftragt, dieses zu reparieren. In solchen Konstellationen kann die
Werkeigentümerhaftung nicht greifen. Andernfalls wäre der Werkeigentümer ausser
Stande, eine Reparatur oder einen Werkmangel beseitigen zu lassen, ohne nicht gleich-
157
158
159
160
161
Siehe auch Kramer, S. 104 ff., m.H. auf den Theorienstreit Objektivismus vs. Subjektivismus; Hausheer/Jaun, Einleitungsartikel, 2.58 ff.
von Tuhr, S. 233 f.
So bereits Portmann, SVZ, S. 34; ebenso Vaverka, S. 250.
Ebenso Honsell, Haftpflicht, § 24 N 9; vgl. dazu auch hinten § 9 II.
Statt vieler: Roberto, Haftpflichtrecht, N 398; Oftinger/Stark, II/1, § 19 N 82; BGE 108 II 184 ff.; a.M.
Schwenzer, N 53.22.
37
zeitig Gefahr zu laufen, trotzdem infolge dieses Werkmangels noch haftpflichtig zu
werden.
Bereits an dieser Stelle kann festgehalten werden, dass die heutige Regressordnung Resultat eines für unbillig empfundenen Bundesgerichtsentscheides ist. Meines Erachtens
kann gar von einer Überreaktion des Gesetzgebers gesprochen werden, auch wenn
gleichzeitig an das richterliche Ermessen appelliert wurde. So bemerkte EUGEN HUBER,
dass man bei der Anwendung des Ermessensprinzips genügend Spielraum gewähren
müsse, um in den verschiedensten Fällen jeweils die billigste Lösung finden zu können.162 Somit hätte für das Bundesgericht durchaus die Möglichkeit bestanden, im Sinne
einer teleologischen und systematischen Auslegung, vom Willen des Gesetzgebers abzuweichen und damit ein fein abgestuftes Regresssystem zu entwickeln,163 beispielsweise im Sinne des Vorschlags der sektoriellen Verteilung, wie von OFTINGER/STARK vorgeschlagen. Dabei hätte auch die Subrogationsbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG
durchaus entsprechend einbezogen werden können.
4.
Rechtsvergleichende Betrachtung
A.
Regressrecht in Deutschland
Die Solidarität von Gesamtschuldnern wird im Allgemeinen in § 421 BGB und für das
Deliktsrecht in § 840 BGB festgehalten. In § 426 Abs. 1 BGB findet anschliessend die
Ausgleichspflicht unter den Gesamtschuldnern Eingang. Demnach sind die Gesamtschuldner im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, soweit nicht etwas
anderes bestimmt ist. In Abs. 2 wird sodann eine allfällige Ausgleichung unter den
Schuldnern vorgesehen. Mittels Subrogation geht die Forderung des Gläubigers gegen
die übrigen Schuldner auf den leistenden Schuldner über. Diese Bestimmung des allgemeinen Teils ist auch im Deliktsrecht Anspruchsgrundlage für den Innenausgleich, während § 840 BGB eine Scharnierfunktion zwischen den Haftungsnormen des Deliktsrechts
und den allgemeinen Regeln der Gesamtschuld bildet.164
162
163
164
Huber, Sten Bull NR 1909, S. 520 ff.
Gl.M. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1073; vgl. auch hinten § 9 II.
Wagner, § 840 N 1, 13.
38
Die Lehre in Deutschland lehnt bezüglich des Versicherers und des Dritthaftpflichtigen
die Anwendung eines Gesamtschuldverhältnisses ab.165 Die Doktrin gibt dem VVG,
welches als lex specialis gegenüber dem BGB eingestuft wird, ohnehin den Vorrang,
selbst wenn diesbezüglich ein Gesamtschuldverhältnis angenommen werden müsste.166
Diese Einstufung ist begrüssenswert und lässt zugleich die Frage aufkommen, weshalb
eine solche Auslegung nicht auch im schweizerischen Recht möglich sein soll, zumal die
gesetzliche Systematik mit jener in Deutschland praktisch identisch ist: Das VVG der
Schweiz ist ebenso ein Spezialgesetz wie jenes von Deutschland.
B.
Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein
Die Regelung des liechtensteinischen Schadenersatzrechtes bezüglich mehrerer Haftpflichtigen, § 1302 ABGB167, bedarf einer besonderen Erwähnung, da eine volle Solidarität – also das Einstehenmüssen für den ganzen Schaden, ohne Möglichkeit der Geltendmachung persönlicher Herabsetzungsgründe – vorgesehen ist. Dies gilt jedoch lediglich für vorsätzlich verursachte Schäden. Resultiert der Schaden aus einer Fahrlässigkeitshandlung, so hat jeder Teilnehmer einzig für seinen kausal verursachten Schaden
einzustehen.
Unabhängig davon, ob man für oder gegen die Geltendmachung persönlicher Herabsetzungsgründe ist, hat diese Regelung den Vorteil der Rechtsklarheit. Im Übrigen scheint
es – ohne näher darauf eingehen zu wollen – auch einleuchtend, dass der vorsätzlich
handelnde Täter nicht noch persönliche Herabsetzungsgründe168 zulasten des Geschädigten einbringen kann, während dem fahrlässig Handelnden, welcher unter Umständen
unbewusst sorgfaltswidrig gehandelt hat, durchaus mehr Spielraum gewährt werden
kann.
165
166
167
168
Selb, § 421 N 16; so bereits Karrer, S. 61.
Wohl implizit Weyers/Wandt, § 67 N 725 ff.; Karrer, S. 61.
Wortlaut von § 1302 ABGB: „In einem solchen Falle [Verursachung durch mehrere Teilnehmer] verantwortet, wenn die Beschädigung in einem Versehen gegründet ist, und die Anteile sich bestimmen lassen,
jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden. Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt
worden ist oder, wenn die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen, so haften alle für einen und einer für alle; doch bleibt demjenigen, welcher den Schaden ersetzt hat, der Rückersatz gegen die übrigen vorbehalten.“
Vgl. dazu vorne § 2 I.
39
C.
Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung
Aus der kurzen Rechtsvergleichung resultiert, dass die Regressordnungen der verglichenen Rechtsstaaten einfach und klar sind. Deshalb existieren vergleichbare Schwierigkeiten in der Praxis wie im schweizerischen Recht nicht. Zudem kam zum Vorschein, dass
die schweizerische Regressordnung im Privatrecht sehr komplex, teilweise auch unlogisch ist und dass die meisten Schwierigkeiten somit „hausgemacht“ sind.169
Die Probleme lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Regresskaskade von Art. 51
Abs. 2 OR führt zu sachlich unlösbaren Rechtsproblemen, da das Verhältnis zur Spezialnorm Art. 72 VVG nicht geklärt wurde. Dieser Feststellung wird im Folgenden und dann
ausführlich im Teil III nachgegangen.
II.
VVG
1.
Allgemeines
Das VVG sieht in Art. 72 Abs. 1 die Subrogation vor, also einen derivativen Forderungsübergang vom Geschädigten zum leistenden Schadensversicherer. Die ratio legis
dieser Bestimmung besteht einerseits im Bereicherungsverbot, was sich in der Anspruchskonkurrenz niederschlägt, und andererseits darin, dass durch die Leistungspflicht
des Schadensversicherers gegenüber dem Geschädigten nicht der Haftpflichtige entlastet
bzw. befreit werden soll.170
Die Wirkungen der Subrogation sind umfassend: Der Forderungserwerb erfolgt in der
Höhe, in welcher der Versicherer seine vertraglichen Leistungen erbracht hat. Inbegriffen sind sämtliche mit der Forderung akzessorischen Nebenrechte, wie Sicherheiten und
Vorrechte, aber auch Einreden usw.171 Der Haftpflichtige wird gegenüber dem Opfer in
der Höhe der Versicherungsleistungen befreit;172 im Gegenzug verliert das Opfer den
Ersatzanspruch gegen den Verursacher.
169
170
171
172
Gl.M. Schaer/Duc/Keller, Bossard/Daxelhoffer/Jaeger, S. 308; Maurer, Harmonisierung, S. 106.
So auch Honsell, Regress, S. 577.
Zum direkten Forderungsrecht als Nebenrecht vgl. vorne § 5 I.
Im Sinne von Art. 167 OR.
40
2.
Versicherungsarten
A.
Summen- vs. Schadensversicherung
Im Versicherungsrecht wird zwischen der Schadens- und der Summenversicherung unterschieden.173 Während die Schadensversicherung schadensausgleichenden Charakter
hat und damit an das Vorliegen eines Schadens anknüpft, wird die Leistung bei der
Summenversicherung schadenunabhängig erbracht. Bei der Summenversicherung spricht
man auch von abstrakter Bedarfsdeckung, da nicht primär bezweckt wird, einen konkreten Schaden zu decken. Die Relevanz der Unterscheidung liegt darin, ob auf den leistenden Versicherer die Subrogationsbestimmungen gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG anwendbar
sind oder nicht.
Bis zum Contacta-Urteil, BGE 104 II 44 ff., wurde bei Personenversicherungen Art. 96
VVG uneingeschränkt angewendet und damit der Summenversicherung unterstellt. Mit
diesem Urteil wurde die bisherige Konstanz durchbrochen und in BGE 119 II 361 ff.174
bestätigt. Dabei stellt das Bundesgericht für die Abgrenzung darauf ab, „ob die betreffende Leistung einen konkreten Schaden deckt oder ob sie unabhängig vom Vorhandensein eines Schadens zu leisten ist“.175 Zur Bejahung einer Schadensversicherung müssen
die Vertragsparteien, so das Bundesgericht weiter, die vermögensrechtliche Einbusse als
eine selbständige Bedingung des Anspruchs auf Leistung gemacht haben. Daneben sei
stets eine Gesamtwürdigung der rechtlichen Natur der in Frage stehenden konkreten
Versicherungsleistungen vorzunehmen. In der Lehre wird demgegenüber mehrheitlich
für die Lösung plädiert, auf den Inhalt und den Zweck der Leistungen abzustellen.176
Sach- und Vermögensversicherungen sind von ihrer Natur her grundsätzlich als Schadensversicherungen ausgestaltet, zumal die Leistungspflicht und die Entschädigungshöhe stets vom Schaden abhängen. In der Gebäude- und Fahrhabeversicherung ist praktisch
ausnahmslos eine Neuwertdeckung vereinbart, und zwar unabhängig von einer allfälligen Amortisation. In der Kaskoversicherung von Fahrzeugen ist ein Zeitwertzusatz vereinbart, welcher regelmässig den Zeitwert des entsprechenden Fahrzeuges übersteigt,
wiederum unabhängig von der individuellen Abnutzung. In diesem Fall stellt sich die
Frage, ob bezüglich der Differenz Zeitwert – Neuwert eine Summenversicherung vor173
174
175
176
Für eine vertiefe Auseinandersetzung vgl. etwa Rütsche/Ducksch, S. 39 ff.; ferner auch Stoessel, S. 503
ff.; Gutachten von Emil W. Stark vom 9. März 1995, in: SGW 1995 Nr. 10.
Pra (83) 1994, Nr. 163.
BGE 119 II 364 f. = Pra (83) 1994, Nr. 163.
Rütsche/Ducksch, S. 52; gl.M. Nigg, S. 879 f.
41
liegt.177 Die Doktrin geht in diesem Zusammenhang von einer Kombination Sach/Vermögensversicherung aus.178 Diese Überlegungen setzen jedoch die analoge Anwendung von Art. 96 VVG auf Sachversicherungen voraus.179
B.
Eigenschadensversicherung (Sach- und Personenversicherung)
Das VVG unterscheidet zwischen Schadens- und Personenversicherung. Diese Unterscheidung ist auf eine Ungenauigkeit des Gesetzgebers zurückzuführen,180 da das Regressrecht des Schadensversicherers gemäss Art. 72 VVG nicht nur auf die Sachversicherung zugeschnitten wurde,181 sondern unter Umständen auch auf Personenversicherungen anwendbar ist. Lediglich dann, wenn die Personenversicherung konkret als
Summenversicherung ausgestaltet ist, entfällt eine Subrogation im Sinne von Art. 72
Abs. 1 VVG.
C.
Drittschadensversicherung (Haftpflichtversicherung)
Auf den Haftpflichtversicherer kann nach herrschender Lehre Art. 72 VVG keine direkte
Anwendung finden, und zwar aus folgenden Gründen: Erstens wird eingewendet, Art. 72
VVG beziehe sich lediglich auf die Eigenschadensversicherung. Zudem werde lediglich
ein Rückgriff auf verschuldenshaftpflichtige Personen zugelassen, und es mangle an der
Identität des Schadens.182 Dann wird aber doch auf die Subrogationsbestimmung von
Art. 72 VVG zurückgegriffen, wenn auch nur per analogiam.183 Durch diese analoge
Anwendung sei es auch möglich, gegebenenfalls einen Regress auf Kausalhaftpflichtige
zuzulassen, „denn die Subrogation umfasst die gleichen Rechte, wie sie der versicherte
Haftpflichtige gegenüber möglichen Mithaftpflichtigen hätte geltend machen können“184.
177
178
179
180
181
182
183
184
Bejahend etwa Stoessel, S. 519 f.
Koenig, PVR, S. 535 f., was aber Maurer, PVR, S. 502, kritisiert, ohne jedoch einen Gegenvorschlag zu
liefern.
Vgl. dazu hinten § 7 I.
Stoessel, S. 507 m.w.H.
Maurer, PVR, S. 417.
BK-Brehm, Art. 51 N 65; Koenig, PVR, S. 289; Maurer, PVR, S. 422.
BGE 116 II 647 = Pra (80) 1991, Nr. 45, E. 2; Oftinger/Stark, I, § 11 N 102; Schaffhauser/Zellweger,
N 1476.
BGE 116 II 647 f.; so auch schon BGE 79 II 407 ff. = Pra (43) 1954, Nr. 36; vgl. ferner auch Schiedsgericht H. Oswald vom 22. Februar 1983 in: SGW 1983 Nr. 9, S. 26.
42
Dies entspricht der sog. Alter-ego-Praxis. Damit tritt der Haftpflichtversicherer in die
Rechtsstellung des versicherten Haftpflichtigen, mit der Konsequenz, dass sich der Versicherer in der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR dort einzuordnen hat, wo sich sein
haftpflichtiger Versicherungsnehmer befindet bzw. befand.
Diese Einstufung des Haftpflichtversicherers ist im Ergebnis richtig, zumal es sowohl
sachlich als auch dogmatisch nachvollziehbar ist. Bedauerlich ist einzig der Umstand,
dass ein derart zentraler Tatbestand bis dato nicht gesetzgeberisch festgehalten wurde.
3.
Entstehungsgeschichte von Art. 72 VVG
Das VVG vom 2. April 1908 trat am 1. Januar 1910 in Kraft und ist damit zeitlich vor
der Bestimmung des Art. 51 Abs. 2 OR185 entstanden, was diesem Gesetz zum Teil den
Ruf des antiquierten VVG einbrachte.186 Das Problem bei der Auslegung der Subrogationsbestimmung des Art. 72 VVG liegt in der Frage, was der Gesetzgeber mit dem Ausdruck „unerlaubte Handlung“ gemeint haben könnte. Die überwiegende Lehre und auch
die Rechtsprechung subsumieren unter den Ausdruck „unerlaubte Handlung“ lediglich
die Verschuldenshaftung, womit ein Regress auf Kausalhaftpflichtige ausser Betracht
bleibt.187
Die juristische Subkommission beschränkte offenbar den Regressanspruch auf den Fall,
wo „ein delictischer Ersatzanspruch gegen einen Dritten“ besteht. Zudem wurde in den
Materialien festgehalten, dass auch bei „kontraktlicher Haftung“ bei gleichzeitiger Haftung aus Delikt ein Regressanspruch gegeben sein soll.188 Weitere Details, welche eine
schlüssigere Interpretation zuliessen, sind aus den Gesetzesmaterialien kaum zu entnehmen. Was wollte die Kommission mit dem zweiten Satz festhalten?
TUHR189 folgerte daraus, dass das Verschulden nicht Voraussetzung des Versicherungsregresses sei. Diese Auslegung von Art. 72 VVG würde im Ergebnis ein integrales
Regressrecht bedeuten. In diese Richtung geht auch die neuere Doktrin.190 Wie in diesem
VON
185
186
187
188
189
190
OR vom 30. März 1911; in Kraft getreten per 1. Januar 1912.
Gauch, VVG, S. 62.
Vgl. statt vieler: Oftinger/Stark, I, § 11 N 31; Portmann, SVZ, S. 33; BGE 62 II 181.
Vgl. Protokoll der juristischen Subkommission 1898, S. 54 ff.
von Tuhr, SJZ 1922, S. 233 ff.
So etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1083 ff.
43
Absatz kurz dargelegt, versteht hingegen die herrschende, aber ältere Lehre diese Bestimmung in der Weise, dass ein Regress des Versicherers nur bei Vorliegen eines Verschuldens möglich sein soll. In diesem Zusammenhang gilt es auch den Umstand zu
beachten, dass während der Zeit der Entstehung des VVG die Geschäftsherren-, die
Tierhalterhaftpflicht und auch die Haftung des Familienhauptes als Verschuldenshaftungen aufgefasst wurden.191 Daraus wird teilweise gefolgert, dass zu diesem Zeitpunkt
unter dem Begriff der unerlaubten Handlungen lediglich die Verschuldenshaftungstatbestände zu subsumieren waren.192 Dies liesse meines Erachtens aber auch den Schluss zu,
dass der Gesetzgeber die Subrogation des Versicherers eben viel weiter fassen wollte. Er
wählte bewusst den Begriff „unerlaubte Handlung“ und nicht „aus Verschulden“, um
gerade auch die Kausalhaftung des Werkeigentümers zu erfassen.
Die Regressordnung des Art. 72 VVG allein gäbe genügend Anlass für eine Revision
dieses Gesetzes. Dies wurde bereits am Juristentag 1962 erkannt.193 Zurzeit gleicht das
Versicherungsrecht einer Grossbaustelle: So wird sowohl das VAG als auch das VVG
revidiert. Das VVG wird in einem ersten Schritt teilrevidiert,194 wobei auch längerfristig
eine Totalrevision ins Auge gefasst wird.195 Die Botschaft des teilrevidierten VVG ist
bereits im Parlament beraten und tritt per 1. Januar 2006 in Kraft.
4.
Rechtsvergleichende Betrachtung
A.
Regressrecht in Deutschland
Das Regressrecht des deutschen Schadensversicherers wird in § 67 VVG (D) geregelt.
Ein Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten geht auf den Versicherer über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt hat. Auch im
deutschen VVG hat somit die Subrogation Eingang gefunden. § 67 Abs. 1 VVG (D)
lautet wie folgt:
191
192
193
194
195
Schaer, Grundzüge, N 917 m.w.H.
Dazu etwa Roelli/Jaeger, Art. 72 N 5.
Dazu Gauch, VVG, S. 62.
Das teilrevidierte VVG ist per 1. Januar 2006 in Kraft getreten. Kernpunkte der Teilrevision waren die
Einführung einer Informationspflicht der Versicherungsgesellschaft, die Neuregelung der Anzeigepflichtverletzung, die Teilbarkeit der Prämie bei vorzeitiger Beendigung des Versicherungsvertrages sowie das
Vertragsschicksal bei einer Handänderung des versicherten Gegenstandes.
Vgl. auch vorne Einleitung.
44
„Steht dem Versicherungsnehmer ein Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen einen Dritten zu, so geht der Anspruch auf den Versicherer über, soweit dieser dem
Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil
des Versicherungsnehmers geltend gemacht werden. Gibt der Versicherungsnehmer
seinen Anspruch gegen den Dritten oder ein zur Sicherung des Anspruchs dienendes
Recht auf, so wird der Versicherer von seiner Ersatzpflicht insoweit frei, als er aus
dem Anspruch oder dem Recht hätte Ersatz erlangen können.“
Danach wird dem leistenden Versicherer ein integrales, umfassendes Regressrecht gegen
alle beteiligten Haftpflichtigen eingeräumt – unter Vorbehalt des Quotenvorrechts, welches hier ganz offensichtlich nicht bloss auf leichte Fahrlässigkeit beschränkt ist.196
Diese Lösung mit dem integralen Regressrecht ist sachgerecht und dient darüber hinaus
der Rechtssicherheit.197 Dies zeigt sich auch darin, dass die Literatur bezüglich des Regresses weniger umfangreich ausfällt. Von § 67 VVG (D) werden auch die Ausgleichsansprüche von Haftpflichtversicherern erfasst.198
B.
Regressrecht im Fürstentum Liechtenstein
Das Versicherungsvertragsgesetz (VersVG)199 von Liechtenstein regelt das Regressrecht
des Versicherers in Art. 53 Abs. 1, wo die Subrogation wie folgt bestimmt wird:
„Auf das Versicherungsunternehmen geht insoweit, als es Entschädigung geleistet
hat, der Ersatzanspruch über, der dem Anspruchsberechtigten gegen Dritte zusteht.“
Diese Regelung erinnert stark an die schweizerische Regelung im VVG, ist doch der
Satz bzw. der Wortlaut identisch mit Art. 72 VVG, mit der Ausnahme, dass bei Letzterem bekanntlich die Anspruchsberechtigung auf die „unerlaubte Handlung“ reduziert ist.
196
197
198
199
Vgl. dazu Weyers/Wandt, § 67 N 735 ff., wo zum Ausdruck kommt, dass § 67 VVG weit auszulegen sei.
Vgl. dazu hinten § 9 III 3.
Weyers/Wandt, § 67 N 736.
Gesetz vom 16. Mai 2001 über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VersVG),
215.229.1.
45
Demnach steht den liechtensteinischen Schadensversicherern – wie in Deutschland und
Österreich – ein integrales Regressrecht gegen sämtliche Haftpflichtige zu, und zwar
ohne Einschränkung.
Diese Regelung ist klar und eindeutig, auch wenn an dieser Stelle nochmals betont werden muss, dass an sich unter den Begriff „unerlaubte Handlung“ ohne weiteres auch
Kausalhaftungstatbestände subsumiert werden könnten, zumal unter diesem Titel im OR
sämtliche ausservertraglichen Haftungstatbestände figurieren.
C.
Zwischenergebnis aus der Rechtsvergleichung
Durch die unterlassene Koordination zwischen VVG und OR und dem unklaren Ausdruck „unerlaubte Handlung“ wurde die Handhabung des schweizerischen Regressrechtes unnötig erschwert. Dies im Gegensatz zum ausländischen Recht, bei welchem einerseits teilweise explizit auf den Vorrang des VVG hingewiesen und andererseits eine
klare Subrogationsnorm statuiert wird.
5.
Stellungnahme
Die Schwierigkeiten hinsichtlich der aus Art. 72 Abs. 1 VVG resultierenden Subrogation, im Zusammenhang mit der Kaskade von Art. 51 Abs. 2 OR, gründen in einer Unterlassung des Gesetzgebers, der es versäumt hat, das Verhältnis der Spezialgesetze zum
allgemeinen neueren Regressrecht des OR zu regeln bzw. anzupassen. Dies mag daran
liegen, dass nicht schon zu Beginn der Beratung die Revision des Art. 51 OR geplant
war und somit eine Anpassung der speziellen Regressnormen untergegangen ist.200
Zudem ist hinsichtlich der Regressaten der Ausdruck „unerlaubte Handlung“ nicht allzu
glücklich ausgefallen. Es entbehrt jeglicher Logik, wenn die aus Kausalhaftpflicht oder
aus Vertrag Haftenden nicht zu den möglichen Regressschuldnern von Art. 72 Abs. 1
VVG gezählt werden. Überdies galt damals wie heute die Werkeigentümerhaftung als
unerlaubte Handlung, weshalb es keinen Grund gibt, den gesetzgeberischen Willen so
auszulegen, dass die unerlaubte Handlung dem Verschulden gleichzustellen wäre. Wäh-
200
Hartmann, S. 81.
46
rend die unerlaubte Handlung als Oberbegriff für eine Art der Obligationsentstehung
dient, versteht sich das Verschulden als Tatbestandselement einzelner Haftungsarten.
Nach dem allgemeinen Verständnis ist es Zweck einer Eigenschadensversicherung, den
Schaden einer bestimmten Art zu ersetzen, und zwar unabhängig davon, ob dem Geschädigten für diesen Schaden ein Dritter haftet. Dadurch sollen dem Versicherungsnehmer die Mühe und das Risiko eines Prozesses gegen den Dritten erspart bleiben.
Hingegen wollte meines Erachtens der Geschädigte mit dem Abschluss seiner Eigenschadensversicherung kaum den haftpflichtigen Dritten begünstigen. Wäre dem so, würde es sich – wohl stillschweigend – um Versicherungen zugunsten Dritter handeln. Davon spricht aber bei Sach- und Kaskopolicen zu Recht niemand.201
III.
Sozialversicherungsrecht
1.
Allgemeines
Mehrere Ersatzpflichtige bilden bezüglich kongruenter Leistungen eine Koordinationsgemeinschaft. Bei der Beteiligung von Sozialversicherern gilt es neben dem Rückgriff
gegenüber einem Dritten auch den Ausgleich innerhalb der Koordinationsgemeinschaft
zu berücksichtigen. Ausserdem ist zwischen solchen Gemeinschaften zu unterscheiden,
welche einzig aus dem ATSG unterstellten Versicherungsträgern bestehen, und solchen,
bei denen zusätzlich auch Privatversicherer nach VVG involviert sind. Je nachdem ändert sich die Rückgriffsregelung. Dabei geht es ausschliesslich um die Koordination des
Rückgriffs und nicht um jene der Leistungen.202 Dies wird im Folgenden kurz dargelegt.
2.
Rückgriff gegen Dritte
In Art. 72 Abs. 1 ATSG ist ein integrales Regressrecht statuiert, basierend auf dem Prinzip des „neutralen Ersatzpflichtigen“203. Der Versicherungsträger tritt zum Zeitpunkt des
Ereignisses in die Ansprüche der versicherten Person und ihrer Hinterlassenen ein, wel-
201
202
203
Honsell, Regress, S. 572 hält fest, dass das Regressergebnis nicht vom zufälligen Umstand abhängen soll,
ob der Geschädigte eine Eigenschadenversicherung abgeschlossen hat.
Betreffend Leistungskoordination vgl. Art. 63 ff. ATSG.
Mit diesem Begriff sind Ersatzpflichtige, welche keine Schadenursache zu vertreten haben, gemeint; vgl.
dazu etwa Beck, ATSG, S. 130.
47
che diese gegenüber Dritten besitzen. Diese Regelung bezieht sich demnach auf Rückgriffe gegen Haftpflichtige oder ihren Haftpflichtversicherer. Als Besonderheit gilt es
speziell die solidarische Haftung mehrerer Haftpflichtiger gegenüber den regressierenden Versicherungsträgern gemäss Art. 72 Abs. 2 ATSG zu erwähnen. Dadurch wird
teilweise der Schluss gezogen, dass die Sozialversicherer gar nicht mehr zur Anspruchskonkurrenz zählen und damit eine Unterscheidung zwischen Aussen- und Innenverhältnis obsolet wird.204 Sodann umfasst die Subrogation nach ATSG auch ein allfälliges
direktes Forderungsrecht der geschädigten Person, welches ihr gegenüber dem Haftpflichtversicherer zusteht. Umfang, Kongruenzen und Regressprivilegien werden in den
darauf folgenden Art. 73–75 ATSG geregelt.205
Regressberechtigte im Sinne des ATSG sind nur jene Sozialversicherungsträger, welche
diesem Gesetz unterstellt sind. Die berufliche Vorsorge untersteht nicht dem ATSG. Mit
der 1. BVG-Revision, welche per 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, sind jedoch die
Regressbestimmungen direkt im BVG dem ATSG angeglichen worden.206
3.
Koordination der Rückgriffsansprüche innerhalb der Versicherungsträger
nach ATSG
Das Regressverhältnis mehrerer dem ATSG unterstellter Sozialversicherer wird durch
Art. 16 ATSV geregelt. Danach werden die beteiligten Sozialversicherungsträger zu
einer Gesamtgläubigerschaft zusammengeschlossen. Innerhalb dieser Gemeinschaft
werden sie im Verhältnis der von ihnen zu erbringenden kongruenten Leistungen ausgleichspflichtig. Es findet demnach eine proportionale Aufteilung statt.
4.
Koordination mit Rückgriffsansprüchen anderer Versicherer
Beinhaltet die Koordinationsgemeinschaft sowohl Sozialversicherer nach ATSG als auch
Versicherer nach VVG, so stellt sich die Frage, wie eine allfällige Ausgleichung zu er-
204
205
206
So etwa Beck, ATSG, S. 131 f.; ebenso bereits schon vor Inkrafttreten des ATSG Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 917, wo von fingierter Anspruchskonkurrenz die Rede ist.
Die entsprechenden Artikel werden bei der Darlegung der jeweiligen Themen weiter herangezogen und
gegebenenfalls behandelt.
Art. 34b BVG.
48
folgen hat, zumal eine gesetzliche Regelung nirgends verankert ist. In der Doktrin werden drei Theorien vertreten:207
1. Proportional-Methode: Bei dieser Methode bilden alle beteiligten Versicherer eine
Gesamtgläubigerschaft. Innerhalb dieser Gemeinschaft stehen sich alle Regressforderungen gleichberechtigt gegenüber. Die Aufteilung der Forderungen erfolgt sodann im Verhältnis der jeweilig erbrachten Versicherungsleistungen. Diese Meinung wird von der
überwiegenden Lehre vertreten.208
2. Rangfolge-Methode: Diese Methode richtet sich nach der zeitlichen Entstehung der
jeweiligen Subrogation. Damit werden die Sozialversicherer, infolge der unmittelbaren
Subrogation, gegenüber den Privatversicherern bevorzugt, welche erst bei Erbringen der
Leistung in die Geschädigtenansprüche subrogieren.
3. Entflechtungs-Methode: Diese Theorie wird vor allem von DENGER verfochten.209
Hier werden die zwei Kategorien von Versicherern berücksichtigt, indem zweiphasig
verfahren wird. In einer ersten Stufe werde das Regresssubstrat für die Sozialversicherer
nach ATSG ermittelt, wobei der Brutto-Direktanspruch des Versicherten als Basis diene.
Das verbleibende Substrat, welches den Brutto-Direktanspruch darstelle, werde auf die
zweite Kategorie von Versicherern, jenen nach VVG, aufgeteilt.
Für die Proportionalmethode spricht meines Erachtens vor allem das Prinzip der Gleichbehandlung, auch wenn aufgrund der Neukonzeption des Art. 72 Abs. 2 ATSG, wonach
mehrere Haftpflichtige gegenüber den Versicherungsträgern solidarisch haften, auch die
Rangfolgemethode eine gewisse Berechtigung erlangt hat. Die Entflechtungsmethode ist
deshalb abzulehnen, weil die Sozialversicherer davon profitieren, wenn der Geschädigte
eine Zusatzversicherung210 nach VVG abgeschlossen hat.211 Diesfalls wird der BruttoDirektschaden kleiner und damit das Regresssubstrat der Versicherer der ersten Kategorie grösser. Der dadurch erzielte Profit geht dann zulasten der Versicherer der zweiten
Kategorie.
207
208
209
210
211
Die Darstellung erfolgt lediglich summarisch, da es vor allem ein sozialversicherungsrechtliches Problem
betrifft. Für weitere Ausführungen vgl. etwa Schaer/Duc/Keller, Denger, S. 339 ff.; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1100 ff.
So etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1108 m.w.H.; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 627 ff.; Schaer, Hard
cases, S. 20 f.
Schaer/Duc/Keller, Denger, S. 340 ff., wo auch zwei Beispiele dargestellt werden.
Z.B. eine Auto-Insassenversicherung.
Ebenfalls ablehnend Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 626 Fn 73.
49
IV.
Nach SVG
1.
Allgemeines
Dieses Kapitel behandelt die Rechtslage, wenn eine Haftung nach SVG mit anderen
Haftungsnormen kollidiert. Auf die weiteren Gefährdungshaftungen212 wird nicht eingegangen. Die im SVG statuierte Gefährdungshaftung von Art. 58 Abs. 1 kommt nur dann
zur Anwendung, wenn das Fahrzeug in Betrieb war und sich diese Betriebsgefahr auch
auf den Schaden ausgewirkt hat. Ist der Betrieb nicht gegeben, kommt eine Verschuldenshaftung gemäss Art. 58 Abs. 2 SVG in Betracht. Somit ist die Bejahung des Betriebes bei der Gefährdungshaftung von zentraler Bedeutung, weshalb dieser Frage im folgenden Abschnitt kurz nachgegangen wird.213
Das SVG sieht als Spezialgesetz eine eigene Regressordnung vor. Dies ergibt auch Sinn,
da es sich beim vorliegenden Gesetz um eine Gefährdungshaftung handelt, bei welcher
die Betriebsgefahr in besonderer Weise zu berücksichtigen ist. Dabei wird aber lediglich
die Haftungskollision mehrer Halter geregelt, während das Verhältnis zu anderen Haftpflichtigen, welche aus anderen Rechtsgründen haften, keine spezielle Regelung erfährt.
Die Bestimmung von Art. 60 SVG verankert zunächst in Abs. 1 die Solidarität gegenüber Dritten, und zwar handelt es sich dabei um die echte Solidarität. Dies ist unproblematisch. Die Schadensverteilung im Innenverhältnis wird von Abs. 2 bestimmt. Entsprechend wird der Schaden unter den beteiligten Haftpflichtigen, unter Würdigung aller
Umstände, verteilt. Als Richtlinie wird bestimmt, dass mehrere Motorfahrzeughalter
nach Massgabe des von ihnen zu vertretenden Verschuldens den Schaden tragen, wenn
nicht besondere Umstände, namentlich die Betriebsgefahren, eine andere Verteilung
rechtfertigen. Dieser viel diskutierte Abs. 2 hat zu zwei Methoden geführt: der Kompensationsmethode und der sektoriellen Verteilung.214
Betreffend Schaden unter Haltern gibt Art. 61 SVG Auskunft. Zunächst fällt auf, dass
hier zwischen Personen- und Sachschäden unterschieden wird. Dies ist nach überwiegender Meinung nicht sachgerecht und entbehrt jeglicher Logik.215 Hinsichtlich der
Personenschäden ist Abs. 1 im Ergebnis praktisch identisch mit der Bestimmung von
212
213
214
215
Zu denken ist etwa an folgende Gefährdungshaftungen: Art. 1 PrHG, Art. 64 LFG, Art. 1 EHG, Art. 3
KHG, Art. 27 EleG, Art. 33 RLG, Art. 27 SprstG, Art. 15 JSG, Art. 59a-b USG.
Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Art. 60 und 61 SVG vgl. etwa Hulliger.
Zu den Einzelheiten vgl. hinten § 6 IV.
So noch das EHG.
50
Art. 60 SVG. Hingegen wird in Abs. 2 betreffend Sachschäden unter Haltern eine Verschuldenshaftung statuiert.
Sodann wird hier der guten Ordnung halber festgehalten, dass Art. 60 ff. SVG lex specialis zu den allgemeinen Normen des OR sind. Dennoch wird von einem Teil der Lehre
die Anwendbarkeit der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR für das SVG bejaht, dies
im Sinne von Art. 4 ZGB, da das Gesetz dem Richter die Würdigung aller Umstände
auferlege.216 Kollidiert eine Haftung aus SVG mit anderen Haftungsnormen, so bleibt die
Frage von Seiten des Gesetzes unbeantwortet, nach welchen Regeln der Schaden im
Innenverhältnis aufzuteilen ist. Diese Problematik wird in einem eigenen Abschnitt erörtert.217
2.
Begriff des Betriebes eines Motorfahrzeuges
A.
Kurzdarstellung der heutigen Rechtsprechung
Damit die Haftungskollisionen bzw. der Regress nach SVG untersucht werden können,
bedarf es vorab der kurzen Klärung des Begriffs „Betrieb eines Motorfahrzeuges“218,
zumal damit die Gefährdungshaftung steht oder fällt.
Der Betriebsbegriff wird in BGE 63 II 269 ff.219 wie folgt umschrieben: „Das Motorfahrzeug ist im Betrieb, wenn seine maschinellen Einrichtungen, welche die dem Motorfahrzeugverkehr eigentümliche Gefahrenquelle darstellen, also namentlich Motor und
Scheinwerfer, im Gange sind, wobei der Fortbewegung des Fahrzeuges durch den Motor
diejenige durch die eigene Schwerkraft zum mindesten bei bewusster Ausnutzung
gleichgestellt werden muss.“
Zwischen dem Betrieb des Motorfahrzeugs bzw. seiner spezifischen Betriebsgefahr und
dem Unfall muss zudem ein Kausalzusammenhang bestehen. Nach Bundesgericht ist
dieser Zusammenhang dann zu bejahen, „wenn eine dem Betrieb des Fahrzeuges eigene
216
217
218
219
So etwa Giger, Art. 60 Ziff. 2a.
Vgl. hinten Ziff. 4.
Ausführlich etwa A. Keller, Rechtsgutachten für den Nationalen Garantiefonds Schweiz und das Nationale
Versicherungsbüro Schweiz zum Bagger-Küde-Fall, in: HAVE 2003, I, S. 18 ff.
Bestätigt etwa in BGE 82 II 47; 88 II 458.
51
Gefahr sich auswirkt, dagegen zu verneinen, wenn bloss anlässlich des Betriebes eines
solchen Fahrzeuges Schaden entsteht“220.
Somit kann festgehalten werden, dass ein Betrieb im Sinne von Art. 58 Abs. 1 SVG dann
nicht vorliegt, wenn die motorischen Kräfte nicht zur Fortbewegung, sondern ausschliesslich zur Arbeitsleistung verwendet werden.221 Es wird auch gefordert, dass die
Betriebsgefahren nicht abstrakt, sondern konkret, nach den jeweiligen Umständen, zu
beurteilen sind, wie sie sich im Einzelfall verwirklicht oder ausgewirkt haben.222 Diesbezüglich darf nicht übersehen werden, dass das Bundesgericht mit seiner Rechtsprechung
manchmal auch die abstrakte Betriebsgefahr genügen lässt: die sog. latente Betriebsgefahr; beispielsweise dort, wo der Motor läuft, aber das Fahrzeug nicht in Bewegung ist.
Dieses Problem ist in der Praxis als Sonderfall der stillstehenden Fahrzeuge bekannt.
Dabei stellt das Bundesgericht auf eine Gesamtbetrachtung ab, worin sich auch eine
zeitliche Komponente widerspiegelt.223 Tendenziell bejaht das Bundesgericht bei stillstehenden Fahrzeugen auf der Fahrbahn den Betrieb.224
B.
Stellungnahme
Obschon das Bundesgericht die Betriebsgefahr zu Recht nicht extensiv auslegt, kann
diese Praxis zu nicht sachgerechten Resultaten führen. Aus diesem Grunde wird versucht, eine Lösung aufzuzeigen, welche mit relativ einfachen Mitteln eine Haftungsbeurteilung nach SVG zulässt.
Aus den obigen Ausführungen und der dargelegten Kasuistik kann gefolgert werden,
dass auf die beim Unfall konkret ausgewirkten Energien abgestellt werden könnte. Dies
entspricht auch der ratio legis, die Betriebsgefahr unter die Gefährdungshaftung zu stellen. Die von einem Motorfahrzeug ausgehende Gefahr korreliert mit der entsprechenden
kinetischen Energie, welche bekanntlich nach der Formel: E = (m*v2)/2 berechnet wird.
Ist die Energie gleich Null, so kann sich die Betriebsgefahr grundsätzlich nicht ausgewirkt haben und darf bei der Schadensaufteilung keine Berücksichtigung finden. Eine
220
221
222
223
224
BGE 107 II 271; 114 II 379.
So auch das Urteil des KGer SG, in: SJZ 1969, S. 12; a.M. Keller, Haftpflicht I, S. 292.
BGE 85 II 521 f.; 105 II 213 E. 4b; Schaffhauser/Zellweger, N 1321 u. N 1336.
So etwa BGE 64 II 237 ff.
Der Betrieb wurde vom BGer bejaht, in: BGE 113 II 323 ff.; 95 II 635; 81 II 554; 64 II 240; 63 II 339.
Betrieb verneint, in: BGE 114 II 382; 107 II 273; 102 II 281; 100 II 49; 97 II 161 ff.; 78 II 161; 72 II 217
ff.
52
Ausnahme dieser Regel würde etwa der Fall bilden, bei welchem ein Motorfahrzeug
kurz anhält, um einen Zusammenstoss mit einem anderen Strassenbenützer zu verhindern. Hier darf nicht auf die Kollisionsenergien, sondern auf jene vor dem sich anbahnenden Unfall abgestellt werden. Wissenschaftliche Genauigkeit ist beim Ganzen zwar
nicht verlangt, meines Erachtens auch nicht erstrebenswert und im Übrigen auch nicht
möglich. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die Geschwindigkeit sich quadratisch auswirkt. Die physikalische Energieformel wird – unter Anrufung der konkreten
Berechnung, wie hier vorgeschlagen – bis dato jedoch mehrheitlich abgelehnt.225
Eine scharfe Kausalhaftung lässt sich meines Erachtens nur dadurch rechtfertigen, dass
eine Haftung mitunter für jene Fälle begründet wird, bei welchen sich die tatsächliche
Gefahr auch verwirklicht hat. So ist nicht einzusehen, weshalb ein zwar in den Verkehr
eingegliedertes Fahrzeug, welches vor dem auf Rot stehenden Lichtsignal seit einigen
Sekunden oder Minuten steht, plötzlich mit einer Haftung belastet wird, bloss weil ihm
ein anderer Verkehrsteilnehmer – Auto oder Fahrrad – aufgefahren ist. Die tote Masse,
wie das Bundesgericht zu sagen pflegt,226 hätte ja auch ein Stein oder sonst ein Hindernis
sein können.
3.
Haftungskollisionen innerhalb des SVG
A.
Vorbemerkungen
Einleitend und Bezug nehmend auf die vorherigen Ausführungen wird die Problematik
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung betreffend die Betriebsgefahr anhand eines
Sachverhaltes dargelegt:
Halter A hält korrekt vor dem roten Lichtsignal. Dies macht hinter A auch das Fahrzeug B. Das dritte Fahrzeug C kann nicht mehr rechtzeitig anhalten und fährt B von
hinten auf, so dass Letzterer auf A gestossen wird. Dabei wird die Beifahrerin des
Fahrzeuges B, die Ehefrau des Halters B, schwer verletzt. C begeht Fahrerflucht,
225
226
Statt vieler etwa Hulliger, S. 98 f., wo er das Beispiel eines Motorrades anführt, welches in einen Reisebus
prallt. Der dabei ausgewirkte physikalische Stoss, m1*v1 = m2*v2, kann meines Erachtens dabei niemals
alleine den Bus den Abhang hinunterstossen, sondern da muss ein weiterer Umstand in der Kausalkette
hinzutreten.
BGE 97 II 166.
53
und es gelingt in der Folge nicht, ihn zu finden. Die Beifahrerin des B wird von der
UVG-Versicherung schadlos gehalten. Letztere macht Regress, aber auf wen? Ebenso möchte B seinen Fahrzeugschaden geltend machen.
Bemerkungen: C ist nicht auffindbar, weshalb gegen ihn de facto keine Ansprüche gestellt werden können. Dass der nationale Garantiefonds hinsichtlich des Personenschadens nicht zur Anwendung gelangt, ergeht aus Art. 76 Abs. 4 SVG, worin eine subsidiäre Deckung227 statuiert ist. Dasselbe gilt für den Fahrzeugschaden des B, wenn er eine
Kaskoversicherung besitzt. Somit muss vorab nach anderen Ersatzpflichtigen gesucht
werden. Halter B fällt unter das Haftungs- bzw. neu das Regressprivileg nach ATSG.
Die Frage, ob der subrogierende Versicherer trotzdem Regress auf den an sich privilegierten Schädiger nehmen kann, ist eine Frage der gestörten Solidargemeinschaft. Diese
Frage wird in einem separaten Kapitel erörtert.228 Wird der herkömmlichen Auffassung
gefolgt, so bleibt B auch im Regress privilegiert, weshalb lediglich noch Halter A in
Betracht kommt. Da das Fahrzeug noch in den Verkehr eingegliedert ist, würde nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung die Haftung vollumfänglich auf den unschuldigen A
fallen.
Dieses Resultat kann nach meinem Dafürhalten nicht richtig sein. Dies zeigt sich auch
dadurch, dass anstelle des Fahrzeuges A ebenso gut ein Stein – eben eine tote Masse –
hinzugedacht werden kann, für welchen logischerweise keine Gefährdungshaftung besteht. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung ginge die Beifahrerin B nicht leer aus,
sondern für den erlittenen Schaden käme der nationale Garantiefonds zum Zuge, da
keine Haftpflichtigen vorhanden sind. Dem steht meines Erachtens auch Art. 59 SVG
nicht entgegen, wonach lediglich die höhere Gewalt, nicht aber der blosse Zufall einen
Haftungsausschlussgrund darstellt, stellt man auf die sich beim Unfall ausgewirkte Energie ab.
227
228
Vgl. dazu hinten § 12 I 3.
Vgl. hinten § 7 III.
54
B.
Kompensationstheorie oder sektorielle Verteilung?
In der Doktrin werden in Bezug auf die quotale Aufteilung des Schadens zwei verschiedene Methoden vertreten: die sog. sektorielle Verteilung229 und die sog. Kompensationsmethode230.
Bei der sektoriellen Verteilung231 werden alle relevanten Ursachen zusammen als Kreis
oder Kuchen dargestellt, womit jede Ursache in Form eines Sektors abgebildet wird.232
Je gewichtiger die Relevanz der Teilursache, desto grösser wird das „Kuchenstück“. Der
gesamte Kreis bzw. Kuchen entspricht dem Gesamtschaden im Sinne von Art. 42 OR.
Die Veränderung des einen Sektors wirkt sich auf sämtliche anderen im Kreis enthaltenen Sektoren aus. Wird ein Sektor vernachlässigbar klein, so scheidet er sogar aus der
Verteilung aus.233 Ist im Innenverhältnis ein Versicherer beteiligt, so nehmen OFTINGER/STARK diesen aus dem Solidarschuldnerverhältnis heraus und gewähren ihm ein
Rückgriffsrecht gegen alle Haftpflichtigen. Die Autoren rufen auch in Erinnerung, dass
Art. 51 Abs. 2 OR keinen zwingenden Charakter habe.234 Diese Lösung entspricht im
Ergebnis einem integralen Regressrecht.
Bei der Kompensations- bzw. Neutralisationsmethode werden gleichartige Ursachen,
welche miteinander kollidieren, aus der Rechnung gestrichen bzw. neutralisiert.235 Die
Quoten der verbleibenden Ursachen werden dadurch erhöht. Dabei können sowohl Verschuldensquoten als auch Betriebsgefahren neutralisiert werden. Eine Kompensation der
Betriebsgefahren findet nach Bundesgericht dann nicht statt, wenn keiner der ersatzpflichtigen Halter ein Verschulden zu vertreten hat.236 Diesfalls werden die Schäden
nach der Grösse der Betriebsgefahren verteilt.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung hat sich bis dato noch auf keine Methode wirklich festgelegt. Hinsichtlich des Regresses unter Motorfahrzeughaltern wird jedoch tendenziell die Kompensationsmethode favorisiert.237 Bei der Verschuldenskompensation
229
230
231
232
233
234
235
236
237
Vgl. etwa: Oftinger/Stark, I, § 9 N 12 ff.; Roberto, Schadensrecht, S. 319 m.w.H.
So etwa Guhl/Koller, § 10 N 74, 78.
Auch "Kuchenprinzip" genannt.
Oftinger/Stark, I, § 9, N 13.
Oftinger/Stark, I, § 9 N 14; nach dem Prinzip "minima non curat Praetor".
Oftinger/Stark, I, § 11 N 74 ff.
Oftinger/Stark, I, § 9 N 15.
BGE 105 II 209 ff.
BGE 99 II 95 ff.; BBl 1973 II 1199.
55
werden die beiden Methoden etwa gleich oft angewendet.238 Das Bundesgericht führt im
Entscheid BGE 113 II 329239 aus, dass die beiden Halter dem Lenker oder seiner Hinterbliebenen solidarisch nach Art. 60 Abs. 1 SVG haften. Die Kompensation findet nach
Auffassung des höchsten Gerichtes nur unter Haltern statt, weshalb die zum Teil in der
Lehre geäusserten Bedenken hinsichtlich Kompensation der beteiligten Betriebsgefahren
bei der Kollision mit allgemeinen Haftungstatbeständen obsolet geworden sind.240 Eine
Kompensation der Betriebsgefahren findet nach der Rechtsprechung auch dann nicht
statt, wenn beide Halter schuldlos sind. In diesem Fall wird der Schaden nach den von
den beteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren aufgeteilt.241 Es ist zu bedauern, dass sich das Bundesgericht bis heute nicht für eine einheitliche Praxis entschieden
hat.
4.
Haftungskollision SVG-Haftung mit allg. Haftungsnorm
A.
Vorbemerkungen
Die Einordnung der Gefährdungshaftung in die Regressordnung bereitet seit jeher Probleme, und eine entsprechende konsequente Praxis existiert dazu nicht. Wie die historische Auslegung gezeigt hat, stammt die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR aus einer
Zeit, in der die Gefährdungshaftungstatbestände erst im Aufkommen waren und der
Gesetzgeber diese bei der Konzeption nicht bedacht hatte.242 Seither wird versucht, die
Gefährdungshaftung ins geltende Recht einzuordnen, was jedoch nicht einfach ist, zumal
bei der Gefährdungshaftung sich lediglich die konkrete Gefahr, welche an sich sozialadäquat gebilligt wird, verwirklicht hat.
238
239
240
241
242
Für Verschuldenskompensation: BGE 116 II 737; 116 II 427; 97 II 345; 67 II 188. Gegen eine Neutralisierung der Verschulden: BGE 113 II 328; 95 II 581; 92 II 44; 63 II 224; 60 II 199.
Sog. Ebenrain-Tunnel-Fall.
Dazu noch etwa Oftinger/Stark, II/2, § 25 Fn 1162.
BGE 123 III 279; Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 661.
Vgl. vorne § 6 I 2.
56
B.
Lehre und Rechtsprechung
i.
Betriebsgefahr ist gegeben
Nach der herrschenden Lehre soll die Gefährdungshaftung auf die Gesetzesstufe von
Art. 51 Abs. 2 OR gestellt werden, mit der zusätzlichen Einschränkung des Prinzips der
Vorwegtragung eines Regressteils für die Verwirklichung der Betriebsgefahr.243 OFTIN244
GER/STARK wollen die sektorielle Methode angewendet wissen.
Eine andere Meinung
geht dahin, die Gefährdungs- mit der Kausalhaftung im Innenverhältnis gleichzustellen.245 Diese Lösung basiert auf der Überlegung, dass die strenge Haftung für die Betriebsgefahr lediglich als Schutz für den Geschädigten im Aussenverhältnis statuiert
wurde, sich aber im Innenverhältnis, aufgrund des fehlenden tadelnswerten Verhaltens,
ein weiteres Festhalten an dieser scharfen Haftung nicht rechtfertigen lasse.
Das Bundesgericht hat sich in BGE 116 II 645 diesbezüglich gegen die Anwendung von
Art. 51 Abs. 2 OR ausgesprochen, indem es diesen Fall als Ausnahme von der aufgestellten Kaskade einstuft und die Regelung vielmehr dem Grundsatz von Art. 60 Abs. 2
Satz 1 unterstellt, wonach der Schaden auf die beteiligten Haftpflichtigen unter Würdigung aller Umstände zu verteilen sei.246 Die bereits erwähnte Kompensationsmethode
betreffend die kollidierenden Betriebsgefahren findet somit spätestens dort ihr Ende, wo
Haftpflichtige aus SVG-fremden Haftungsgründen beteiligt sind, da sonst mittels Kompensation der Betriebsgefahren diese meistens zur Nichtberücksichtigung führen würden.247
Meines Erachtens führt sowohl das Prinzip der Vorwegtragung eines Haftungsteils
betreffend die Betriebsgefahr als auch die bundesgerichtliche Lösung zum gleichen
Ergebnis: Es entspricht nämlich der von OFTINGER/STARK vorgeschlagenen Lösung der
sektoriellen Methode.
243
244
245
246
247
Rey, N 1523; eher kritisch: Schaer, Grundzüge, N 869 ff.; Oftinger/Stark, I, § 10 N 51; Oftinger/Stark,
II/2, § 25 N 714; Schaffhauser/Zellweger, N 1467.
Oftinger/Stark, II/2, § 25 N 711.
BK-Brehm, Art. 71 N 133 m.w.H.
BGE 116 II 649 E.3b.
So auch Oftinger/Stark, II/2, § 25 Fn 1162.
57
ii.
Ermässigung oder Ausschluss der Halterhaftung
Die Relevanz der Betriebsgefahr kann durch ein grobes Drittverschulden oder durch ein
grobes Selbstverschulden derart in den Hintergrund gedrängt werden, dass es den Kausalzusammenhang hinsichtlich der Betriebsgefahr zu unterbrechen vermag.248 Gemäss
Art. 59 Abs. 1 SVG ist jedoch vorausgesetzt, dass kein zusätzliches Verschulden des
Halters bzw. des Lenkers mitgewirkt und ebenso keine fehlerhafte Beschaffenheit des
Fahrzeuges zum Unfall beigetragen hat. Sind diese Bedingungen erfüllt, wird der Halter
gemäss Art. 59 Abs. 1 SVG von der Haftung befreit. Trifft nun der Kausalhaftpflichtige,
welcher ein zusätzliches Verschulden zu vertreten hat, mit einer aus Gefährdung haftenden Person zusammen, so verteilen sich die Sektoren des Gesamtschadens auf mehrere
Komponenten.249
Kann der Halter den Beweis des grobfahrlässigen Selbstverschuldens des Geschädigten
nicht erbringen, so kann seine Haftung dennoch gemäss Art. 59 Abs. 2 SVG gemildert
werden. Ein eigenes Verschulden des Halters oder Lenkers wird nach Rechtsprechung
des Bundesgerichts mit dem Selbstverschulden kompensiert.250 Diese Lösung liegt aufgrund des Gesetzeswortlautes nicht zwingend auf der Hand. Auf weitere Einzelheiten
kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden.
iii.
Betriebsgefahr ist nicht gegeben
Ist die Betriebsgefahr nicht gegeben, so haftet der Fahrzeughalter einzig dann, wenn ihm
ein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Wenn dies der Fall ist, so fällt er in der
Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR auf die unterste Stufe.
Wird ein parkiertes Fahrzeug von einem Tier oder infolge eines Werkmangels beschädigt, und ist alternativ zur Kausalhaftung ein zusätzliches Verschulden gegeben, so stellt
sich wiederum die Frage, wie der für den Schaden aufgekommene Teilkaskoversicherer
regressieren kann. Nach der Regresskaskade steht dem Teilkaskoversicherer grundsätzlich ein Regressanspruch gegen den Haftpflichtigen aus Art. 41 OR zu. Wendet man
hingegen die sektorielle Verteilung an – wie oben dargelegt –, so gilt es zu beachten,
248
249
250
Vgl. dazu eindrücklich Urteil des BGer vom 24. August 2001, 4C.141/2001.
Vgl. dazu etwa Hulliger, S. 84 ff., wo versucht wird, die verschiedenen Konstellationen, unter Berücksichtigung der Verschuldenshöhe, zu katalogisieren.
BGE 64 II 237; 64 II 312.
58
dass diesfalls der Kaskoversicherer aus dem Innenverhältnis herauszunehmen und ihm
damit keine Quote zuzuteilen ist.251
C.
Zwei Fälle aus der Praxis
Betreffend Kollision zwischen Tierhalter- und Motorfahrzeughaftung hat das Bundesgericht252 beispielsweise eine Haftungsquote des Tierhalters von 75% für rechtmässig
erklärt. Der Tierhalter hatte ein leichtes, zusätzliches Verschulden zu vertreten, während
dem Motorfahrzeughalter lediglich die Betriebsgefahr angelastet werden konnte.
Hinsichtlich der Haftungskollision zwischen Werkeigentümer- und Motorfahrzeughaftung beurteilte das höchste Gericht253 die Aufteilung in der Weise, dass ohne jegliches
Verschulden eine Aufteilung 1:3 zu 2:3 zulasten des Motorfahrzeughalters gerechtfertigt
sei. Treffe den Werkeigentümer ein zusätzliches Verschulden, so sei dieselbe Aufteilung,
jedoch zulasten des Werkeigentümers, rechtmässig.
Wird ein aus OR Haftpflichtiger vom Geschädigten im Aussenverhältnis belangt, so hat
er aufgrund der Solidarität für den kausal verursachten Schaden grundsätzlich vollen
Ersatz zu leisten. Im Innenverhältnis hat er sich an die Regresskaskade von Art. 51 Abs.
2 OR zu halten. Davon nicht betroffen sind Haftungssubjekte aus SVG, welche eine
Betriebsgefahr zu vertreten haben. Gegen solche Haftpflichtige wird der Regress des
beispielsweise Verschuldenshaftpflichtigen zugelassen, eben mit der Begründung, dass
die Betriebsgefahr stets ihren Anteil zu übernehmen hat.
Eine umfangreiche Kasuistik betreffend die Kollision von Halterhaftung und Verschuldenshaftung, inklusive graphischer Darstellung, ist bei EMMENEGGER/GEISSELER254 zu
finden. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird in dieser Arbeit lediglich darauf verwiesen.
251
252
253
254
Oftinger/Stark, I, § 11 N 74.
BGE 85 II 243 ff. = Pra (48) 1959, Nr. 174.
BGE 108 II 57 f.
Emmenegger/Geisseler, Ausgewählte Fragen der SVG-Haftung in: Strassenverkehrsrechts-Tagung 2004,
S. 3 ff., insb. S. 30 ff. und Anhang.
59
§ 7.
Einschränkungen des Regressrechts
I.
Quotenvorrecht
1.
Ausgangslage
Kommt für einen Schadensfall eine Schadensversicherung auf, wird aber durch ihre
Leistung nicht der ganze erlittene Schaden gedeckt, so stellt sich die Frage, ob der Geschädigte seine Direktansprüche weiterhin gegenüber dem Haftpflichtigen durchsetzen
kann, ungeachtet eines Regressanspruchs der leistenden Versicherung. Nach der tradierten Rechtsparömie nemo subrogat contra se darf der subrogierende Versicherer nicht
zulasten des Geschädigten regressieren. Letzterem verbleibt dadurch die sog. Direktschadensforderung gegenüber dem Haftpflichtigen, welche er grundsätzlich255 vorweg
geltend machen kann. Mit anderen Worten: Die Subrogation ist mit dem Vorbehalt des
Quotenvorrechts des Geschädigten belastet.
Es gibt zwei Ursachen, weshalb nicht der ganze Schadenersatz eingebracht werden kann:
Liegt ein Reduktionsgrund gemäss Art. 43 oder Art. 44 OR vor, also ein herabgesetzter
Schadenersatzanspruch infolge Selbstverschuldens, mitwirkender Betriebsgefahr, jugendlichen Alters, Gefälligkeit, Zufall oder Billigkeit usw., so kommt das sog. Verteilungsvorrecht256 zur Anwendung. Besteht bei der Haftpflichtversicherung eine ungenügende Deckung oder ist die haftpflichtige Person insolvent, so wird das sog. Befriedigungsvorrecht257 tangiert. Somit ist das Quotenvorrecht als Oberbegriff aufzufassen.
Beim Quotenvorrecht des Geschädigten handelt es sich um einen wichtigen, von der
Rechtsprechung258 aufgrund des Art. 88 SVG entwickelten allgemeinen Grundsatz, der
bei teilweiser Haftung und/oder ungenügender Deckungssumme zur Anwendung kommt
und sich über das gesamte Haftpflichtrecht erstreckt. Dieser Grundsatz wird von Lehre
und Judikatur259 allgemein anerkannt, jedoch nur im Rahmen der leichten Fahrlässigkeit.
Bei grobfahrlässigem Selbstverschulden – sofern es nicht die adäquate Kausalität zu
255
256
257
258
259
Eine Ausnahme besteht bei grobfahrlässigem Selbstverschulden; vgl. dazu die folgenden Ausführungen.
Für das Sozialversicherungsrecht in Art. 73 Abs. 1 ATSG.
Art. 73 Abs. 3 ATSG.
BGE 96 II 355.
BK-Brehm, Art. 51 N 135 ff.; Maurer, PVR, S. 419; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 38; Oftinger/Stark, I, § 11 N
46; Rey, N 1565 ff.; Schaer, Grundzüge, N 934 ff.; im Urteil des BGer vom 29. Juni 2004, 4C.101/2004
ging bei der Direktschadensberechnung das Quotenvorrecht des Geschädigten offenbar vergessen.
60
unterbrechen vermag – wird, in Anlehnung an das ATSG, die Quotenteilung vorgenommen.260
Der Regress des subrogierenden Versicherers bezieht sich immer nur auf identische
Schadensposten.261 Man spricht dabei auch von sachlicher Kongruenz, womit ausgedrückt wird, dass sich die Versicherungsleistung immer auf einen Einzelschaden richtet.262 Auf der Seite des Versicherers bedeutet dies, dass er infolge dieses Grundsatzes
nur in jene Haftpflichtansprüche subrogieren kann, für welche er selbst auch eine Leistung erbracht hat. Auf der Seite des Geschädigten hat das Quotenvorrecht zur Konsequenz, dass der Versicherer nur so weit hinter die Direktschadensforderung zurücktritt,
als die Ersatzforderung des Geschädigten gleichartig mit den versicherten Schäden ist;263
auf die nichtkongruenten Schadensposten wird somit das Quotenvorrecht nicht gewährt
– mit der Konsequenz, dass der Geschädigte auf diese nichtkongruenten Schadenskategorien nicht mehr und nicht weniger erhält, als der Verursacher hierfür ersatzpflichtig
ist.
2.
Illustrierendes Beispiel zum Quotenvorrecht
Da sich das Quotenvorrecht am besten an einem Beispiel erklären lässt, wird anhand
eines Verkehrsunfalles eine Berechnung dargelegt, welche auf folgendem Sachverhalt
basiert:
A beschädigt das Fahrzeug des B. Ersteren trifft, als Folge eines Selbstverschuldens
von B, eine Haftungsquote von 50%. B erleidet einen Schaden am Fahrzeug von
CHF 6000.-. Er benötigt aus beruflichen Gründen einen Ersatzwagen und bezahlt
dafür CHF 1200.-. In der Vollkaskoversicherung von B, bei welcher ein Selbstbehalt von CHF 1000.- vorgesehen ist, sind die Ersatzwagenkosten nicht gedeckt.
260
261
262
263
Vgl. Art. 73 Abs. 2 ATSG, früher etwa Art. 42 Abs. 2 aUVG.
Oftinger/Stark, I, § 11 N 43 f.; Maurer, PVR, S. 399; Koenig, PVR, S. 288; Beck, Schadenausgleichsysteme, S. 301.
Im Sozialversicherungsrecht werden folgende Kongruenzen unterschieden: ereignisbezogene, personelle,
sachliche und zeitliche; ausführlich dazu etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 980 ff. Dies gilt grundsätzlich
auch in der Sachversicherung, wobei einzig die sachliche Kongruenz von Relevanz ist, da die anderen
kaum zu Diskussionen Anlass geben dürften. Die personelle Kongruenz ist auch bei einem Gebäudeschaden eines Mehrfamilienhauses unter den Stockwerkeigentümern abzulehnen; zur sachlichen Kongruenz
vgl. unten Ziff. 3.
So auch Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1015.
61
Die entsprechende Lösung sieht wie folgt aus: Der gesamte Schaden von B beträgt CHF
7200.- (Schaden am Auto: CHF 6000.- plus Ersatzwagen: CHF 1200.-). Vom Kaskoversicherer erhält er CHF 5000.-; sein ungedeckter Schaden ist demnach CHF 2200.-. Die
haftpflichtrechtlich geschuldete Entschädigung beträgt CHF 3600.- (50% des Schadens:
CHF 3000.- plus 50% Ersatzwagenkosten: CHF 600.-). Hier gilt nun eben das Quotenvorrecht: Der Geschädigte darf den Haftpflichtanspruch so weit geltend machen, bis er
zusammen mit der Leistung seiner Versicherung den ganzen Schaden gedeckt erhält. In
concreto heisst das also: B kann seinen Selbstbehalt von CHF 1000.- und CHF 600.- für
die Ersatzwagenkosten vom Haftpflichtversicherer bzw. vom Haftpflichtigen selbst
fordern. Der Kaskoversicherer kann nur auf den Rest der aus der Haftpflicht geschuldeten Entschädigung regressieren, d.h. ihm verbleiben CHF 2000.-.
Es bleibt Folgendes anzumerken: Wie die Lösung zeigt, hat der Geschädigte nicht die
ganzen Ersatzwagenkosten erhalten. Der Grund liegt im bereits erwähnten Grundsatz der
identischen Schadensposten, der sog. sachlichen Kongruenz. Der Kaskoversicherer kann
auf die Schadensposition „Mietwagenkosten“ nicht regressieren, da diese in der Kaskoversicherung nicht gedeckt sind. Der Geschädigte wiederum muss sich aus demselben
Grunde mit dem haftpflichtrechtlich geschuldeten Teil der Mietwagenkosten begnügen
und kann ihn nicht mit anderen Posten verrechnen. Diese Lösung stützt sich lediglich auf
die Praxis ab, zumal ausserhalb der Sozialversicherungen264 keine Urteile diesbezüglich
existieren. Dennoch bezieht sich nach der hier vertretenen Ansicht auch im Bereich der
Privatversicherungen das Quotenvorrecht nur auf kongruente Schadensposten.
3.
Sachliche Kongruenz in der Sachversicherung
A.
Ausgangslage
Im Bereich der Sozialversicherungen ist die sachliche Kongruenz ausdrücklich geregelt,265 wodurch eine weitere Differenzierung gleichartiger Schadensposten gemacht
wird. Im Haftpflichtrecht – wie auch in der Versicherungswirtschaft – wird pauschal nur
zwischen Personen-, Sach- und Vermögensschäden unterschieden.266 Innerhalb der
Sachversicherungen werden die versicherten Leistungsarten weiter unterteilt in Gebäu-
264
265
266
Ad Sozialversicherung etwa BGE 119 II 361 ff.
Art. 74 ATSG, inklusive namentlicher, nicht abschliessender Aufzählung in Abs. 2.
Maurer, PVR, S. 539 f.
62
de-, Fahrhabe- und Vermögensschäden. Letztere lassen sich materiell in weitere Kategorien unterteilen, wie Schäden infolge Betriebsunterbruchs, Chômage, Schlossänderungskosten, Freilegungskosten, Lebenshaltungskosten usw. Es drängt sich deshalb die Frage
auf, ob in Analogie zum Sozialversicherungsrecht auch in der Sachversicherung eine
Unterscheidung in Leistungen gleicher Art – bezüglich dieser Versicherungsobjekte und
ihren Unterkategorien – angezeigt ist, zumal teilweise die Gebäude-, die Fahrhabe- und
die Vermögensversicherung in einer und derselben Police vertraglich geregelt werden.
Eine solche Regelung ist weder im Gesetz noch in der Judikatur zu finden. Würde nämlich die sachliche Kongruenz zwischen den verschiedenen Versicherungsleistungen
bejaht, würden – soweit auch die personelle Kongruenz gegeben ist – sämtliche Sachund Vermögensschäden pro Ereignis als ein Gesamtschaden gelten. Aufgrund des Quotenvorrechts des Geschädigten würde sich dies bei einer Teilhaftung positiv auf den
Geschädigten auswirken, weshalb diese Frage nicht nur akademischer Natur ist.
B.
Illustrierendes Beispiel zum Gesamtschaden
Eine solche sachliche Gleichartigkeit könnte beispielsweise aus dem Zusammentreffen
von einem Fahrhabe- mit einem Gebäudeschaden oder von einer Chômage mit einem
Mietzinsausfall resultieren. Zur Verdeutlichung der Problematik diene folgendes Beispiel:
Ein Gebäudeeigentümer (E) erleidet einen Wasserschaden, welcher teilweise der
Unternehmer (U) zu vertreten hat. Aufgrund der fehlerhaften, von E gelieferten Pläne entsteht ein Baumangel, weshalb eine quotale Haftung des U von 20% resultiert.
Der Gebäudeschaden verursacht Reparaturkosten über CHF 8000.-; für den Fahrhabeschaden belaufen sich die Reinigungskosten auf CHF 3000.-. In der Gebäudeversicherungspolice ist ein Selbstbehalt von CHF 2000.- und bei der Hausratversicherungspolice kein Selbstbehalt vereinbart.
Lösung:
a) Gebäudeschaden-Abrechnung:
Gebäudeschaden (Zeitwert):
Entschädigung Sachversicherer:
Direktschaden:
CHF 8000.CHF 6000.CHF 2000.-
63
Ersatzpflichtiger Schaden (20%):
Quotenvorrecht des Geschädigten:
Verbleibender Regressanspruch:
CHF 1600.CHF 1600.CHF
0.-
b) Fahrhabeschaden-Abrechnung:
Fahrhabeschaden (Zeitwert):
Entschädigung Sachversicherer:
Direktschaden:
Ersatzpflichtiger Schaden (20%):
CHF 3000.CHF 3000.CHF
0.CHF 600.-
Kann nun der Geschädigte E seinen trotz des Quotenvorrechts verbleibenden Direktschaden betreffend das Gebäude von CHF 400.- im Fahrhabeschaden geltend machen?
Grundsätzlich stellen sowohl der Gebäude- wie auch der Fahrhabeschaden einen Sachschaden im Rechtssinne dar. Auf den ersten Blick könnte man nunmehr sachliche Kongruenz annehmen, was zur Folge hätte, dass der Geschädigte seinen Direktschaden vom
Haftpflichtigen vorrangig geltend machen könnte. Wonach definiert sich aber die sachliche Kongruenz: aus der haftpflichtrechtlichen Definition des Sachschadens,267 aus den
sachenrechtlichen Abgrenzungskriterien,268 aus der Deckungszuständigkeit bzw. der
entsprechenden Subrogation der involvierten Sachversicherer oder etwa aus den Abgrenzungsnormen von kantonalen Gebäudeassekuranzen?269 Zur Verdeutlichung der anstehenden Problematik stelle man sich etwa vor, dass im vorerwähnten Beispiel zusätzlich
auch das Motorfahrzeug in der Garage am Standort Schaden genommen hätte.
Je nach Auffassung, ob die sachliche Kongruenz bejaht wird oder nicht, ergeben sich
folgende Resultate:
267
268
269
Vgl. etwa Keller, Haftpflicht II, S. 103 m.w.H., wonach als Sachschaden die Beschädigung, die Zerstörung
oder der Verlust einer Sache verstanden wird.
Im Sinne von Art. 642 und ferner Art. 655 ZGB. Danach gilt als Entscheidungskriterium die „am Orte
übliche Auffassung“. Gemäss BGer wird dieser Ortsgebrauch nur in Zweifelsfällen als Kriterium herangezogen, so etwa in BGE 106 II 333 ff.
Vgl. etwa die Zuteilungstabelle der GVA St. Gallen vom 1. Januar 2005.
64
Kongruenz bejaht
Quotenvorrecht
Geschädigten
Verbleibender
schaden
Regressanspruch
Versicherungen
Kongruenz verneint
des Gebäudevers. + Fahrhabevers.:
1'600.- + 400.- = 2'000. Direkt- 0.-
Nur Gebäudevers.:
1'600.400.-
der Gesamtsch. – Quotenvorr. von E
2’200.- – 2'000.- = 200.-
Gebäudevers. 0.Fahrhabevers. 600.-
Aufteilung:
Gebäudevers. CHF 133.30 (2/3)
Fahrhabevers. CHF 66.70 (1/3)
(im Verhältnis der erbrachten Leistungen, analog Art. 16 ATSV)
C.
Weitere Konstellationen zur sachlichen Kongruenz
Eine weitere Konstellation in diesem Zusammenhang stellt sich etwa bei einem Fahrzeug, das nach einer Reparatur infolge Kollision einen merkantilen Minderwert aufweist.
Sind die Reparaturkosten mit dem entstandenen Minderwert kongruent? Der Minderwert
ist in der Kaskoversicherung nicht versichert, stellt aber haftpflichtrechtlich einen ersatzpflichtigen Schaden dar.270 Bei einer Teilhaftung stellt sich nun die Frage des Quotenvorrechts hinsichtlich dieses Minderwertes. OFTINGER/STARK und SCHAER verneinen die
Kongruenz zwischen Minderwert und Reparaturkosten.271 SCHAER argumentiert über die
Substanzbeeinträchtigung, welche nur bei der Reparatur, nicht aber beim Minderwert
behoben werde. Demnach würde sich das Quotenvorrecht des Geschädigten lediglich auf
die Reparaturkosten beziehen, nicht aber auf den Minderwert, welchen er nur im Rahmen der Haftungsquote ersetzt erhielte. Der Versicherer hingegen subrogierte nicht in
den Schadensposten Minderwert, weshalb er gegenüber dem Haftpflichtigen auch nur im
Rahmen der Haftungsquote die erbrachten Reparaturkosten regressieren könnte.
Im Weiteren bejaht SCHAER die Kongruenz zwischen den Reparatur- und den Abschleppkosten, den Gutachter- und den Prüfkosten, nicht aber zwischen den Reparaturkosten und dem Nutzungsausfall oder den Ersatzbeschaffungskosten.272 Während die
270
271
272
Roberto, Schadensrecht, S. 43, 163 ff. m.w.H.
Oftinger/Stark, I, § 11 N 43.; Schaer, Grundzüge, N 1176.
Schaer, Grundzüge, N 1175 ff.
65
Reparatur auf den Substanzschaden gerichtet sei, stelle der Nutzungsausfall und die
Ersatzbeschaffung reinen Vermögensschaden dar.
D.
Stellungnahme
Wenn bei Personenschäden – wohl zu Recht – die Kongruenzen als Voraussetzungen für
das Quotenvorrecht herangezogen werden, so hat dies grundsätzlich auch bei den Sachschäden zu gelten. In Anlehnung an den römisch-rechtlichen Grundsatz nemo subrogat
contra se wäre eine Regelung in dubio pro Geschädigten denkbar, da der Gesetzgeber
darüber schweigt. Betrachtet man hingegen die Gesamtgläubigerschaft, zu der auch die
Versicherer zu zählen sind, so wird deutlich, dass bei Bejahung der sachlichen Kongruenz beispielsweise der Gebäudeversicherer in Ansprüche des Geschädigten subrogieren könnte, für die er keine (bezüglich des Hausrats) oder nur anteilsmässige (Anteil am
Gesamtschaden) Deckung gewährt.
Auf den obigen Fall bezogen bedeutet dies Folgendes: Bei Bejahung der sachlichen
Kongruenz beliefe sich der Gesamtschaden auf CHF 11 000.-, wovon 20%, also CHF
2200.-, ersatzpflichtig wären. Nach Abzug des Direktschadens verbliebe ein Regresssubstrat von CHF 200.-, das sich Gebäude- und Hausratversicherung im Rahmen der Gesamtgläubigerschaft unter sich aufteilen könnten. Dies kann meines Erachtens nicht sein,
weshalb also die Kongruenz in den obigen Beispielen zu verneinen ist, analog der filigranen Unterteilung bei Personenschäden.273 Ohne auf Einzelheiten der Sozialversicherungsregresse einzugehen, sei in diesem Zusammenhang auf ein neueres, im Ergebnis
fragwürdiges Urteil des Bundesgerichts hingewiesen,274 bei welchem die sachliche Kongruenz zwischen Erwerbs- und Haushaltsschaden bejaht und dadurch von einem Gesamtschaden ausgegangen wurde. Im Falle einer Teilhaftung profitiert dadurch der Geschädigte, indem das Quotenvorrecht auf eine grössere Quote anwendbar wird, zulasten
der Sozialversicherer, insbesondere der Invalidenversicherung.275
Die von SCHAER angewandten Kriterien der Substanzbeeinträchtigung und des reinen
Vermögensschadens können nur teilweise überzeugen. Während bei einem Personenschaden der rasche Transport ins Spital der Schadensminderung und damit der Heilung
273
274
275
Vgl. Art. 74 ATSG.
BGE 131 III 17 f. E. 7.3.
Vgl. dazu die Kritik von Studhalter, Personen-Schaden-Forum 2005, Zürich 2005, S. 63 ff., insb. Beiblatt
„Vertiefungen und Diskussionen“, S. 3 f.
66
dient, trägt der Transport des beschädigten Fahrzeugs in die Reparaturstätte nichts zur
Wiederherstellung der Substanz bei. Gleiches gilt auch für die Gutachter- und Prüfkosten. Deshalb ist auch bei diesen Schadensposten die sachliche Kongruenz zu verneinen.
Aus den angestellten Überlegungen resultiert somit, dass die sachliche Kongruenz auch
in der Sachversicherung durchaus einer Prüfung und Berücksichtigung bedarf. Wünschenswert wäre, dass diese Problematik in einer künftigen VVG-Revision Eingang
fände und gesetzgeberisch geregelt würde.
4.
Fiktives Quotenvorrecht
A.
Ausgangslage
Die Situation des sog. fiktiven Quotenvorrechts276 kann aus zwei Gründen entstehen: Der
Geschädigte schöpft seinen Direktanspruch gegenüber dem Haftpflichtigen nicht vollständig aus. Diesfalls stellt sich die Frage, ob der Haftpflichtversicherer dennoch das
Quotenvorrecht – eben ein fiktives – entgegenhalten kann, selbst dann, wenn der Anspruch bereits verjährt ist. Die gleiche Frage stellt sich auch, wenn ein Sozialversicherer
auf allfällige Regressforderungen verzichtet hat. Wer profitiert davon, allfällige andere
Sozialversicherer oder die Haftpflichtversicherung?
B.
Lehre und Rechtsprechung
Eine gesetzliche Regelung fehlt im ATSG, zumal Art. 73 ATSG lediglich von den effektiven Ansprüchen spricht. Während sich das Bundesgericht mit dieser Frage bis dato
meines Wissens noch nicht zu befassen hatte, gibt es ein paar kantonale Entscheide über
das fiktive Quotenvorrecht.277 Die Doktrin nimmt wie folgt zu dieser Problematik Stellung:
276
277
Auch abstraktes Quotenvorrecht genannt.
Vgl. dazu Kolly, S. 303 m.H. auf die kantonale Rechtsprechung. Der Autor stellt jedoch fest, dass die
beiden Urteile, ohne weitere Begründung, unterschiedlich ausgefallen sind.
67
RUMO-JUNGO278 lässt den Sozialversicherer nicht subsidiär in die Geschädigtenrechte
treten, wenn die geschädigte Person ihre Direktforderung nicht geltend macht; die Autorin lässt damit den Einwand des fiktiven Quotenvorrechts des Haftpflichtversicherers zu.
OFTINGER/STARK279 bejahen das fiktive Quotenvorrecht aufgrund des Gesetzeswortlauts
von aUVG 42 I, indem sie ausführen, dass die gegenteilige Lösung contra legem wäre.
KELLER280 berücksichtigt ebenfalls die nicht geltend gemachten Ansprüche der geschädigten Person und stellt dabei auf die gesetzliche Formulierung „vom Dritten geschuldeter Ersatz“ ab. Er betrachtet das Verhältnis Haftpflichtiger – Geschädigter als reine Interpartes-Beziehung.
SCHATZMANN281 und BECK282 schliessen sich – jedoch ohne Begründung – den oben
erwähnten Meinungen an, welche sich für das fiktive Quotenvorrecht aussprechen.
Aus diesen Lehrmeinungen geht – vor allem gestützt auf den Wortlaut des Gesetzes –
einhellig hervor, dass es das abstrakte Quotenvorrecht gibt und es somit nicht auf die
Geltendmachung des Direktschadens ankommt. Der Direktschaden muss einzig ausgewiesen werden können; auf die gehemmte Durchsetzung einer Naturalobligation, welche
sich unter Umständen aus der Verjährung ergibt, wird nicht abgestellt.
Gegen die herrschende Auffassung plädiert vor allem KOLLY283. Das abstrakte Forderungsrecht sei aus Gründen der ratio legis des integralen Regressrechts und des Quotenvorrechts zu verneinen. Die Subrogation benachteilige den Geschädigten auch dann
nicht, wenn er seine ihm zustehende Direktforderung nicht geltend mache. Bis das Bundesgericht diese Rechtsfrage entschieden habe, schlägt der Autor die folgende pragmatische Lösung vor: Der Haftpflichtversicherer informiert den Geschädigten über dessen
ihm zustehenden Direktansprüche. Unterlässt der Haftpflichtversicherer dies, so kann
das abstrakte Quotenvorrecht nicht eingewendet werden, wenn die Geschädigtenforderung verjährt ist.284 Wenn der Geschädigte trotz Hinweis auf seine Rechte der Geltend-
278
279
280
281
282
283
284
Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1016.
Oftinger/Stark, I, § 11, Fn 251.
Keller, Haftpflicht II, S. 225.
Schatzmann, S. 103.
Beck, Schadenausgleichsysteme, S. 302.
Kolly, S. 302 ff.
Gemäss Auskünften des Autors handelt es sich um ein Versehen, indem der Invalidenversicherung im
aufgeführten Beispiel lediglich CHF 100'000.- und nicht CHF 500'000.- zugesprochen wurden.
68
machung verzichtet und seine Forderungen verjähren lässt, soll der entsprechende Betrag
zwischen dem Haftpflicht- und dem Sozialversicherer hälftig geteilt werden.
C.
Stellungnahme
Die zentrale Frage ist: Wer soll von der Nichtgeltendmachung einer Forderung profitieren, der Schadens- bzw. der Sozialversicherer oder der Haftpflichtversicherer? Solange
der Anspruch des Geschädigten noch nicht untergegangen ist,285 muss die Haftpflichtversicherung de jure noch damit rechnen, irgendwann dafür belangt zu werden. Wenn
der Anspruch jedoch verjährt ist, so wäre rein theoretisch nur noch, aber immerhin, eine
Verrechnung denkbar, zumal die Konnexität286 keine Voraussetzung der Verrechnung
bildet.
Ohne den Anspruch einer definitiven Lösung erheben zu wollen, scheint es mir sachlogisch, darauf zu achten, weshalb denn der Geschädigte seinen Direktanspruch nicht voll
ausgeschöpft hat. Liegt es nämlich im Verhandlungsgeschick des Haftpflichtversicherers, dass er einen für sich vorteilhaften Vergleich ausgehandelt hat, so wäre es meines
Erachtens stossend, wenn dennoch das Regresssubstrat für den Eigenschadensversicherer
gleich bliebe. Zudem ist es bekanntlich gerade bei komplexen Personenschäden praktisch nicht möglich, eine exakte Schadensberechnung mit Kapitalisierung zu bewerkstelligen. Ebenso hat unter Umständen der Geschädigte auch aufgrund immanenter Prozessrisiken auf eine vollständige Durchsetzung seines Anspruches verzichtet. Diese Tatsachen sind ebenfalls zu berücksichtigen.
Die von KOLLY vorgeschlagene Lösung ist nach meinem Dafürhalten abzulehnen, da der
Haftpflichtversicherer in erster Linie vertragliche Pflichten inter partes, also gegenüber
seinem Versicherungsnehmer, wahren muss und nicht zum Rechtsschutzversicherer des
Geschädigten umfunktioniert werden darf. Der Haftpflichtversicherer hat die Interessen
des Verursachers zu vertreten. Zudem ist die gewählte Terminologie verwirrend, zumal
das Gegenteil des abstrakten bzw. fiktiven nicht das konkrete Quotenvorrecht ist. Vielmehr findet bei Ablehnung des fiktiven Quotenvorrechts, was KOLLY verficht, das Vorrecht des Geschädigten gar keine Anwendung.
285
286
Ein Untergang wäre beispielsweise durch eine Verzichtserklärung oder durch einen Vergleich mit „SaldoKlausel“ denkbar.
Vgl. dazu hinten § 12 IV.
69
Hat der Geschädigte oder ein Sozialversicherer hingegen wider besseres Wissen auf
seine Rechte verzichtet und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr damit zu rechnen, dass auf die verzichteten Ansprüche zurückgekommen werden kann, so wäre nach
meinem Dafürhalten das fiktive Quotenvorrecht in concreto zu verneinen.
5.
Selbstbehalt bei der Kaskoversicherung mit Zeitwertzusatz
A.
Ausgangslage
Die Kaskoversicherungen sind heute praktisch ausnahmslos mit einem sog. Zeitwertzusatz ausgestaltet. Dabei ist unklar, wie weit die Subrogation des Versicherers geht. Die
Frage bezieht sich auf den Selbstbehalt bei der Kaskoversicherung: Inwieweit hat der
Geschädigte ein Vorrecht darauf, diesen Selbstbehalt ersetzt zu erhalten? Ausgangslage
bildet folgender Sachverhalt:287
Fahrzeughalter S kollidiert mit Fahrzeughalter G. S trifft eine Haftungsquote von
100%. G hat eine Vollkaskoversicherung mit Zeitwertzusatz beim Versicherer K.
Letzterer leistet CHF 17 000.-, wovon der Selbstbehalt von CHF 1000.- bereits in
Abzug gebracht worden ist. Der Zeitwert des Fahrzeugs des S beträgt CHF 14 000.-.
Kann nun G seinen Selbstbehalt vom Haftpflichtversicherer H des S vorweg geltend
machen?
B.
Doktrin und Praxis
Wie bereits erwähnt, erfolgt die Subrogation des leistenden Versicherers nur in kongruente Leistungen.288 Bezieht man diesen Grundsatz auf den Selbstbehalt in der Kaskoversicherung, so entsteht in der Praxis Uneinigkeit darüber, ob bei dieser „Schadensposition“ das Quotenvorrecht zum Tragen kommt.
Die Lehre greift zwar diesen Sachverhalt auf, erachtet es aber als selbstverständlich, dass
der Geschädigte den Selbstbehalt vorweg beim Haftpflichtversicherer geltend machen
287
288
Dieser Sachverhalt bildet die Grundlage der SVV-Empfehlung Nr. 2/2001.
Vgl. dazu vorne § 7 I 3.
70
kann.289 Über diese Lösung gibt es keine Auseinandersetzung. Dies erstaunt umso mehr,
als der SVV eine Empfehlung290 für diese Problematik abgegeben hat.291 Der SVV splittet die Leistung des Kaskoversicherers in den Zeitwert und den Zeitwertzusatz. Dadurch
kann hinsichtlich des Zeitwertes die Kongruenz bejaht werden, da es sich um gleichartige Leistungen von Haftpflicht- und Sachversicherung handelt. Das Quotenvorrecht wird
deshalb gewährt, so dass im oben aufgeführten Fall G von H CHF 1000.- fordern kann
und K im Regress noch ein Substrat in der Höhe von CHF 13 000.- verbleibt.
Dieser Lösung des SVV steht ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich entgegen.292 Darin wird Bezug auf KELLER293 genommen, wonach Leistungen, die über den
Schaden hinausgehen – wie es bei der Neuwertversicherung der Fall ist –, keinen Einfluss auf den Rückgriff und das Quotenvorrecht haben.294
C.
Stellungnahme
Betrachtet man den Teil, der den Zeitwert übersteigt, d.h. den Zeitwertzusatz, als Summenversicherung295, so subrogiert der Kaskoversicherer von vornherein nur in die Zeitwertquote. Diesfalls steht für den Rückgriff und damit für das Quotenvorrecht lediglich
der haftpflichtrechtlich geschuldete Zeitwert zur Verfügung. Die Zusatzentschädigung
fällt diesfalls vollumfänglich dem Versicherungsnehmer zu. Da die Qualifizierung des
Zeitwertzusatzes umstritten ist, drängen sich noch weitere Überlegungen auf.
Unbestritten ist, dass haftpflichtrechtlich mindestens der Zeitwert des Fahrzeuges geschuldet ist. Mit Blick auf die Differenztheorie könnte man sich aber auch fragen, ob
nicht der Selbstbehalt als Schaden zu werten ist, zumal der Geschädigte durch den Unfall
keine Vermögenseinbusse erleiden darf. Damit ist nicht von vornherein klar, was nun die
vom Obergericht des Kantons Zürich erwähnte haftpflichtrechtliche Quote de jure aus-
289
290
291
292
293
294
295
Vgl. Maurer, PVR. S. 419; VVG-Graber, Art. 72 N 40 m.H. auf ein kant. Urteil.
Unter den SVV-Gesellschaften werden vornehmlich Empfehlungen abgegeben, welche dann in abkommensähnlicher Weise verwendet werden. Die in der vorliegenden Arbeit angesprochenen oder behandelten
Empfehlungen sind im Anhang abgedruckt.
SVV-Empfehlung Nr. 2/2001 vom 26. Juni 2001.
OGer ZH, Entscheid vom 13. April 1989, in: SGW 1989 Nr. 19 S. 2 f.
Keller, Haftpflicht II, S. 184.
Zweifelsfrei gehört ein Bonusverlust des Geschädigten nie in eine Quotenvorrechtsberechnung, da sowohl
die sachliche als auch die zeitliche Kongruenz fehlt.
Vorausgesetzt, Art. 96 VVG sei analog auf Sachversicherungen anwendbar; vgl. dazu vorne § 6 II.
71
macht. Der Geschädigte bezahlt für seine Zeitwertzusatzversicherungs-Deckung eine
Prämie. Würde er sich diese finanziellen Aufwendungen sparen, bekäme er einfach den
Zeitwert entschädigt. Wie hoch dieser Zeitwert ist, bestimmt sich entweder nach dem
Marktwert oder nach dem Neuwert abzüglich Amortisation.296 Dieser Ersatz ist häufig
niedriger als der Wert eines adäquaten Fahrzeugs auf dem Markt.297 Der Vorteil liegt in
der Differenz Zeitwert – Zeitwertzusatz, für welche unter anderem die Versicherungsprämie erbracht wird. Der Kaskovertrag wird aber nicht nur aus diesem Grunde stipuliert, sondern es wird an Fälle gedacht, die leichtfahrlässig durch den Versicherungsnehmer selbst verursacht werden und damit zu seinen Lasten gehen. Somit ist die Aussage, der Geschädigte bezahle die Prämie für die Zeitzusatzdeckung, nur die halbe Wahrheit. Der in der Police vereinbarte Selbstbehalt ist zwar Vertragsbestandteil und nur inter
partes gültig, ist aber dennoch durch den Verursacher kausal ausgelöst worden. Somit ist
dieser Selbstbehalt haftpflichtrechtlich nicht geschuldet. Demgegenüber ist aber auch
anzumerken, dass der sog. Skalenwert in der Kaskoversicherung in der Regel sehr grosszügig ausgelegt ist. Dadurch geht der Geschädigte, kauft er sich ein gleichwertiges Fahrzeug auf dem Markt, nicht selten mit einem finanziellen Gewinn aus dem Schadensfall
heraus.
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist im Ergebnis der Lösung des SVV grundsätzlich zuzustimmen. Meines Erachtens ist es jedoch in concreto nicht primär eine Frage der identischen Schadensposten, sondern eine Frage des haftpflichtrechtlich geschuldeten Schadens. Erst in einem zweiten Schritt kommt dann das Quotenvorrecht des Geschädigten zum Zuge, wodurch der Geschädigte den Haftpflichtanspruch so weit selbst
geltend machen kann, bis er zusammen mit den Versicherungsleistungen seinen ganzen
erlittenen Schaden gedeckt hat. Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch über die Qualifikation der Zeitwertzusatzquote als Summenversicherung.
296
297
In der Praxis ist in aller Regel der sog. Eurotax-Wert massgebend.
Oftinger/Stark, I, § 6 N 361.
72
6.
Quotenteilung
A.
Vor Inkrafttreten des ATSG
Das Quotenvorrecht soll dann nicht gelten, wenn der Geschädigte grobfahrlässig den
Schaden verursacht hat, da er sonst von der Kürzung des Sozialversicherers kaum betroffen würde. Das wäre nach OFTINGER/STARK298 nicht vernünftig und inakzeptabel.
So sah beispielsweise das aUVG in Art. 42 Abs. 2 die sog. Methode der Quotenteilung
vor. Danach gehen die Ansprüche des Versicherten und seiner Hinterlassenen entsprechend dem Verhältnis der Versicherungsleistungen zum Schaden auf den Versicherer
über. Somit wird die Schadenersatzleistung proportional im Verhältnis der erbrachten
Leistungen zum Gesamtschaden aufgeteilt und die Sozialversicherung subrogiert in diese
Quote.
B.
Im Sozialversicherungsrecht de lege lata
Mit Inkrafttreten des ATSG, in concreto mit Art. 73 Abs. 2, hat sich zweierlei geändert:
einerseits die Berechnungsmethode und andererseits die Anwendbarkeit des Quotenvorrechts.
Nach neuer Berechnungsmethode wird die Summe sämtlicher im Einzelfall gegebenen
Haftpflichtansprüche der geschädigten Person um den Kürzungsbetrag der Sozialversicherung vermindert. Das Quotenvorrecht wird nach Art. 73 Abs. 2 ATSG nur noch dann
nicht angewendet, wenn der Versicherungsträger seine Leistungen im Sinne von Art. 21
Abs. 1 oder 2 gekürzt hat. Dadurch ist die Anwendung der neuen Quotenteilung auf
Fälle mit Vorsätzlichkeitskürzungen beschränkt.299
C.
Im Privatversicherungsrecht
Man kann sich fragen, inwieweit diese neue Berechnungsform auch für die Schadensversicherung gemäss VVG Gültigkeit zu entfalten vermag. Oder gilt im Privatversicherungsbereich noch weiterhin der herkömmliche Begriff der Quotenteilung? Die Antwort
298
299
Oftinger/Stark, I, § 11 N 210.
Kieser, ATSG, Art. 73 N 7.
73
kann zurzeit kaum gegeben werden. Es wird sich zeigen, wie die Gerichte damit umgehen. Meines Erachtens könnte es durchaus sein, dass die neue Regel des ATSG per analogiam auf das Privatversicherungsrecht Anwendung finden wird, zumal auch das VVG
diesbezüglich keine eigene Bestimmung enthält. Zwei differente Berechnungsmethoden
in ein und demselben Fall wären nämlich kaum vertretbar.
II.
Rechts- und Regresslage bei der Unterversicherung
1.
Ausgangslage
Übersteigt der Ersatzwert die vertraglich vereinbarte Versicherungssumme der Eigenschadensversicherung, so besteht eine Unterversicherung.300 Bei einem Teilschaden sieht
Art. 69 Abs. 2 VVG vor, dass „der Schaden in dem Verhältnis zu ersetzen ist, in dem die
Versicherungssumme zum Ersatzwert steht“. Dadurch resultiert eine Kürzung, welche
nach der sog. Proportionalregel301 berechnet wird.
Ist der Schaden durch einen Haftpflichtigen zu vertreten, so tritt neben die Eigenschadensversicherung auch ein Haftpflichtanspruch, welcher jedoch höchstens dem Zeitwert
der beschädigten Sache entspricht. Wie gezeigt wurde, kommt im Falle ungenügender
Deckung oder bei einer Teilhaftung das Quotenvorrecht gegenüber dem Haftpflichtversicherer grundsätzlich zum Tragen.
Die Sachversicherungsverträge sehen vornehmlich eine Neuwertdeckung vor, während
bekanntlich der haftpflichtrechtlich relevante Schaden sich lediglich auf den Zeitwert
bzw. die Reparaturkosten bezieht.302 Im Falle der Unterversicherung im Zusammenhang
mit der Neuwertdeckung gilt der Grundsatz des Quotenvorrechts hingegen nicht per se
uneingeschränkt. Es stellt sich somit die Frage, wie die Differenz zwischen Neuwert und
Zeitwert zu verteilen ist, da unklar ist, ob sich das Quotenvorrecht auf die ganze versicherte Summe oder lediglich auf den Zeitwert bezieht.303
Um die Problematik zu verdeutlichen, wird wiederum ein Beispiel herangezogen. Die
möglichen Lösungen werden im folgenden Abschnitt dargestellt.
300
301
302
303
Maurer, PVR, S. 505.
Berechnungsformel: Entschädigung des Versicherers = Schaden x Versicherungssumme / Ersatzwert.
Pro memoria: Übersteigen die Reparaturkosten den Zeitwert der beschädigten Sache, so liegt ein Totalschaden vor.
Analog der Problematik des Zeitwertzusatzes in der Kaskoversicherung, vgl. vorne I 5.
74
X hat eine Mobiliarneuwertversicherung bei Z. Der Neuwert beträgt CHF 10 000.-.
Der Zeitwert liegt bei CHF 8000.-. Die versicherte Summe beträgt CHF 8000.-,
weshalb eine Unterversicherung besteht. X erleidet an seiner Fahrhabe einen Totalschaden, welcher durch Y verursacht wurde. Die Haftungsquote liegt bei 25%, d.h.
in concreto sind CHF 2500.- haftpflichtrechtlich geschuldet.
2.
Theorien in Lehre und Praxis
A.
Der Zeitwert als Referenzgrösse
Nach der ersten Variante werden dem Versicherungsnehmer Leistungen mindestens in
der Höhe des Zeitwertes garantiert. Für den Fall, dass die Versicherungssumme den
Zeitwert übertrifft, gilt die versicherte Summe als Referenzgrösse. Auf den obigen Sachverhalt angewendet, bedeutet es Folgendes: Der Versicherungsnehmer X erhält aus seiner Versicherungspolice bei Z die Summe von CHF 8000.-. Damit hat er haftpflichtrechtlich betrachtet keinen ungedeckten Schaden, weshalb die Z bei Y die ganzen CHF
2500.- regressieren kann. Hätte X lediglich einen Teilschaden erlitten, so wäre kraft der
Proportionalregel vom Sachversicherer unter Umständen nicht einmal der Zeitwert entschädigt worden. Hier hätte aber das Quotenvorrecht – aufgrund der identischen Schadensposten – bis zum Ausgleich des Zeitwerts durchgeschlagen.
Hier wird etwa dahingehend argumentiert, dass X bewusst eine Unterversicherung in
Kauf genommen habe und damit rein nach den haftpflichtrechtlichen Grundsätzen entschädigt werden darf und soll. Der Neuwert spiele somit keine Rolle.
B.
Der Neuwert als Referenzgrösse
Wie gezeigt, könnte bei der Kaskoversicherung der Zeitwertzusatz als Summenversicherung eingestuft werden. Da der Zeitwertzusatz mit der Differenz Neuwert – Zeitwert
vergleichbar ist, kann in concreto analog argumentiert werden mit dem Ergebnis, dass
bei dieser Differenz, welche eben als Summenversicherung gilt, die Subrogation keine
Anwendung findet. Aufgrund der kongruenten Schadensposten innerhalb des Zeitwertes
kommt hier das Quotenvorrecht voll zum Tragen. Das Resultat ist somit versicherungsnehmerfreundlich, zumal der Geschädigte zunächst die versicherte Leistung oder bei
Teilschaden die gesetzlich geschuldete Quote nach Art. 69 Abs. 2 VVG vom Eigenschadensversicherer erhält und für den Rest bis auf die Höhe des Neuwerts das Quotenvor75
recht gegenüber dem Haftpflichtigen durchsetzen kann.304 Im eingangs genannten Beispiel würde somit der Sachversicherer vorab CHF 8000.- an den Versicherungsnehmer
leisten. Letzterem stünde zudem ein Vorrecht gegenüber dem Haftpflichtigen zu, weshalb er von den haftpflichtrechtlich geschuldeten CHF 2500.- den Direktschaden von
CHF 2000.- für sich in Anspruch nehmen könnte. Z wäre infolgedessen noch zu CHF
500.- regressberechtigt.
C.
Quotale Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert
Eine Zwischenlösung kann mit der quotalen Aufteilung der Differenz Zeitwert – Neuwert erreicht werden. Sie erinnert an die sog. Entflechtungsmethode, welche bei der
Koordination von Versicherungsleistungen anzutreffen ist.305 Dieser Begriff wird sowohl
hier als auch im Folgenden verwendet. Es wird zweistufig vorgegangen, indem in einem
ersten Schritt der Zeitwert festgesetzt wird. Die Differenz zwischen Zeitwert und Neuwert wird dann in einem zweiten Schritt prozentual im Verhältnis Zeitwert zu Neuwert
errechnet und entschädigt.306 Auf das Anfangsbeispiel angewendet, bedeutet es Folgendes: Z leistet einmal die volle Summe von CHF 8000.- an X. Die Differenz zwischen
Neuwert und Zeitwert, also in casu CHF 2000.-, wird prozentual Neuwert zu Zeitwert
aufgeteilt. Im vorliegenden Fall entspricht der Zeitwert 4/5 des Neuwertes, weshalb der
Versicherungsnehmer auch in diesem Verhältnis am Quotenvorrecht partizipieren soll,
was in concreto 4/5 von CHF 2000.- bzw. CHF 1600.- ausmacht. Damit erstreckt sich
der Regressanspruch von Z auf CHF 400.-.
3.
Stellungnahme
Vorab ist festzustellen, dass es für den vorliegenden Fall rein dogmatisch keine richtige
Lösung gibt: Trägt der Versicherungsnehmer die Differenz, so zieht er keinerlei Vorteile
aus der abgeschlossenen Eigenschadensversicherung, weshalb seine Prämien umsonst
entrichtet wurden, zumal ihm der Zeitwert ja ohnehin vom Haftpflichtigen bzw. dessen
Versicherer ersetzt worden wäre. Wird das Quotenvorrecht vollumfänglich gewährt, so
sind unter Umständen all jene Versicherungsnehmer benachteiligt, welche die ganze
304
305
306
So auch Ostertag, Art. 72 N 3; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 38.
Vgl. dazu Schaer/Duc/Keller, Denger, S. 340 ff.; hinten § 6 III.
Im Ergebnis ebenso VVG-Graber, Art. 72 N 38.
76
Versicherungssumme ins Risiko mit eingeschlossen und dafür Prämien bezahlt haben.
Somit drängt sich die Lösung nach der quotalen Aufteilung der Differenz Zeitwert –
Neuwert auf. Dies gilt es genauer zu untersuchen:
Nur wenn die Unterversicherung so gross ist, dass die Versicherungssumme unterhalb
des Zeitwerts liegt, kommt das Quotenvorrecht des Geschädigten zur Anwendung. Entspricht die versicherte Summe mindestens dem Zeitwert, so entsteht dem Geschädigten
an sich gar kein haftpflichtrechtlicher Direktschaden, weshalb auch das Quotenvorrecht
nicht bemüht werden muss. Ausgehend von der These, dass die Differenz Zeitwert –
Neuwert einer Summenversicherung gleichkommt, gelangt man unter gleichzeitiger
Anwendung von Art. 69 Abs. 2 VVG zur Entflechtungsmethode. Dadurch wird die Differenz nicht einfach einer Seite gutgeschrieben, sondern es wird nach dem quotalen
Verhältnis zwischen versicherter Summe und Ersatzwert geteilt. Nach meinem Dafürhalten entspricht diese Lösung der ratio legis von Art. 69 Abs. 2 VVG, welche darin liegt,
die Relation zwischen Leistung und Gegenleistung zu wahren.307 Diesem gesetzgeberischen Willen wird die quotale Aufteilung gerecht. Deshalb ist es legitim, in teleologischer Auslegung die These der Entflechtungsmethode auch hier anzuwenden.
III.
Haftungs- und Regressprivileg
1.
Allgemeines
Ein Privileg im Sinne des Haftpflichtrechtes hat die Bedeutung, dass eine haftpflichtige
Person, welche an sich unter allgemeinen Voraussetzungen für einen Schadenersatz oder
für einen Regressanspruch einzustehen hätte, von den Ansprüchen befreit wird. Begründung hierfür ist eine bestimmte enge Beziehung zwischen der ersatzpflichtigen und der
geschädigten Person.308
Aufgrund des Haftungsprivilegs kann die geschädigte Person gegenüber dem Haftpflichtigen keine Schadenersatzansprüche geltend machen. Indem das Regressprivileg lediglich Regressansprüche des involvierten Versicherers gegenüber dem Haftpflichtigen
versagt, nicht aber allfällige Direktansprüche verhindert, geht es nicht so weit wie das
Haftungsprivileg.
307
308
VVG-Bolly, Art. 69 N 6.
Kieser, ATSG, Art. 75 N 2.
77
Die Voraussetzungen für ein Privileg sind kumulativ: leichtes Verschulden und häusliche Gemeinschaft, Ehegatten oder Hilfsperson.309
2.
Entstehung des Privilegs
A.
Im VVG
Im Privatversicherungsrecht ist ein Regressprivileg in Art. 72 Abs. 3 VVG stipuliert,
welches im Zusammenhang mit Art. 14 Abs. 4 VVG steht.310 Hier haftet der Versicherer
in vollem Umfang, wenn der Versicherungsnehmer, der Anspruchsberechtigte oder eine
in Art. 14 Abs. 3 VVG aufgeführte Person den Schaden leichtfahrlässig herbeigeführt
hat.
In Art. 72 Abs. 3 VVG ist der privilegierte Personenkreis zum einen auf Personen beschränkt, die mit dem Anspruchsberechtigten in häuslicher Gemeinschaft leben. Es müssen Hausgenossen im Sinne von Art. 331 ZGB sein, welche eine Wohngemeinschaft
gemäss Art. 162 ZGB bilden.311 Zum anderen werden jene Personen in den bevorzugten
Kreis subsumiert, für deren Handlungen der Anspruchsberechtigte einstehen muss. Darunter sind primär Hilfspersonen zu zählen. Aber auch andere Verhältnisse sind denkbar,
wie etwa das Halter-Lenker-Verhältnis.312 Bei dieser zweiten Kategorie wird denn auch
von einer Gefahrengemeinschaft gesprochen.313
Wann diese Sondereigenschaft zwischen Geschädigtem und Schädiger bestehen muss,
um das Privileg zu tangieren, wird vom Gesetz nicht bestimmt. In der Doktrin wird entweder auf den Zeitpunkt der Entstehung der Schadenersatzforderung und/oder auf den
Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Schädigers abgestellt.314 Nach meinem Dafürhalten
überzeugt einzig das Abstellen auf den Zeitpunkt der Entstehung des Geschädigtenanspruchs, zumal beim Abstellen auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme die Anwendbarkeit des Privilegs unter Umständen lediglich vom Zeitpunkt der Geltendmachung des
309
310
311
312
313
314
Auf Einzelheiten wird vorliegend nicht eingegangen.
VVG-Graber, Art. 72 N 55.
Beck, Regress, S. 121 f.
Davon gilt es den Fall des berechtigten Lenkers zu unterscheiden, welcher ins Garagentor des Halters
fährt. Dieser kann von der Gebäudeversicherung nicht belangt werden, solange die Handlung als leichtfahrlässig eingestuft werden kann. Das Gleiche gilt auch für den Kaskoversicherer.
So etwa Beck, Regress, S. 122 f.
Roelli/Jaeger, Art. 72 N 63, plädieren für die Anwendbarkeit in beiden Fällen; für den Zeitpunkt der
Inanspruchnahme VVG-Graber, Art. 72 N 62.
78
Schadenersatzanspruchs abhängig wird. Diesfalls wäre der Versicherer gut beraten,
möglichst schnell den Anspruch durchzusetzen, damit er nicht Gefahr läuft, dass der
Schädiger in der Zwischenzeit Hausgenosse oder Hilfsperson des Geschädigten wird.
B.
Im Sozialversicherungsrecht
Historisch geht das Haftungs- und Regressprivileg auf das KUVG vom 13. Juni 1911
zurück, welches per 1. April 1918 in Kraft trat. Diese Sonderstellung gewisser Haftpflichtiger fand in der Folge in zahlreichen weiteren Bundesgesetzen Eingang, wie etwa
im aUVG, im aAHVG usw. Mit Schaffung des ATSG und seinem Inkrafttreten am 1.
Januar 2003 wurde ein einheitliches Regressprivileg geschaffen, welches die einzelgesetzlichen Regelungen ablöst. Das altrechtliche und hinsichtlich Wirkungen ins Privatrecht nicht unbestrittene Haftungsprivileg wurde damit aufgegeben.
In Art. 75 ATSG ist somit de lege lata lediglich noch ein Regressprivileg für alle bundesrechtlich geregelten Sozialversicherungszweige, mit Ausnahme der beruflichen Vorsorge, statuiert.315 Damit dürfte auch die beinahe endlose Diskussion obsolet sein, ob es
nun im Haftpflichtrecht ein Haftungsprivileg, als eine Art „allgemeinen Rechtsgrundsatz“ gebe, was im Übrigen vom Bundesgericht schon früher abgelehnt wurde, mit der
Begründung, es bedürfe hierfür einer Gesetzesänderung.316 Dies ist nun mit Schaffung
des ATSG geschehen. Das darin vorgesehene Privileg kommt nur bei leichtfahrlässiger
Schadensverursachung zur Anwendung. Im Falle von Absicht oder Grobfahrlässigkeit
kann grundsätzlich ein voller Regress durchgesetzt werden. Ebenso privilegiert sollen
nach der Doktrin und der Rechtsprechung offenbar auch die Kausalhaftpflichtigen werden.317 Da der Begriff Kausalhaftpflicht als Oberbegriff der verschuldens-unabhängigen
Haftungstatbestände gilt, zählen darunter auch die Gefährdungshaftungstatbestände als
sog. scharfe Kausalhaftungen.318 In diesem Sinn ist meines Erachtens auch der BGE
4C.286/2003 zu lesen, bei welchem explizit die gewöhnlichen Kausalhaftungen unter
315
316
317
318
Der Wegfall des Haftungsprivilegs bedeutet, dass bei einem Arbeitsunfall der Arbeitgeber dem geschädigten Arbeitnehmer gegenüber für jedes Verschulden sowie für Kausalhaftungstatbestände für Direktansprüche einzustehen hat.
BGE 117 II 617; a.A. etwa Beck, Regress, S. 127 f.
So etwa Kieser, ATSG, Art. 75 N 7; Oftinger/Stark, I, § 11 N 222; bestätigt im Urteil des BGer vom 18.
Februar 2004, 4C.286/2003.
Statt vieler: Roberto, Haftpflichtrecht, N 34.
79
das Privileg subsumiert werden. Der privilegierte Personenkreis umfasst im Übrigen
Familienangehörige und Arbeitgeber.
C.
Durch Vertrag
Grundsätzlich wäre eine vertragliche Privilegierung aufgrund der Vertragsfreiheit durchaus möglich. Durch Art. 72 Abs. 2 VVG wird diese Möglichkeit jedoch eingeschränkt,
indem der Geschädigte und Versicherungsnehmer die Rückgriffsrechte des leistenden
und subrogierenden Schadensversicherers nicht durch Vereinbarungen schmälern darf,
will er nicht aus dem Versicherungsvertragsverhältnis schadenersatzpflichtig werden. Ob
nur Handlungen319 des Versicherten zu dieser Rechtsfolge führen können oder ob auch
unterlassene Handlungen320, die zur Wahrung eines Rechtes erforderlich sind, dazu geeignet sind, ist in der Lehre umstritten.321
Zudem ist zu überlegen, ob durch eine vertragliche Privilegierung ein Vertrag zulasten
Dritter geschlossen würde. Dies wäre dann der Fall, wenn die Privilegierung zulasten der
anderen Solidarschuldner ginge. Dies ist eine Frage der „gestörten Solidargemeinschaft“,
welche im Folgenden behandelt wird.
3.
Rechtsfolge des Privilegs
A.
Allgemeines
Die Rechtsfolge ist sowohl im ATSG als auch im VVG dieselbe: Sind sämtliche Voraussetzungen erfüllt, so findet keine Subrogation statt und der Versicherer hat den Schaden
abschliessend zu tragen.
319
320
321
Zu denken ist etwa an Saldoquittungen und dgl.
Zu denken ist etwa an unterlassene Handlungen betreffend Verjährungsunterbrechung.
Vgl. dazu auch VVG-Graber, Art. 72 N 50.
80
B.
Gestörte Solidargemeinschaft
i.
Allgemeines
Fällt ein Haftpflichtiger infolge eines Privilegs oder wegen Insolvenz aus der Solidaritätsgemeinschaft aus, so stellt sich die Frage, zu wessen Lasten die ausfallende Quote
geht. Dies ist die Problematik der sog. gestörten Solidargemeinschaft. Dabei gilt es zu
unterscheiden, ob dieser Ausfall den Geschädigten selbst oder ob er einen Sozialversicherungsträger tangiert.
ii.
Aus Sicht des Geschädigten
Im Verhältnis zwischen den Solidarschuldnern und dem Geschädigten kommt allenfalls
das Haftungsprivileg in Betracht, welches jedoch mit Inkrafttreten des ATSG – wie
bereits erwähnt – aufgehoben wurde.322 Nach Ausführungen des Bundesgerichts dürfen
die Folgen eines Ausscheidens eines Haftpflichtigen aus der Solidargemeinschaft nicht
dem Geschädigten aufgebürdet werden.323
iii.
Aus Sicht des subrogierenden Versicherers
Tritt an die Stelle des Geschädigten ein subrogierender Sozialversicherer, wird in der
Doktrin mehrheitlich die Ansicht vertreten, dass sich das Regresssubstrat des leistenden
Versicherers um diesen ausscheidenden Teil reduziere.324 Als Gründe werden etwa genannt: das Verbot der Verträge zulasten Dritter; keine Solidarität im Innenverhältnis; der
Wille des Gesetzgebers und, dass im anderen Fall den regressbelasteten Schädigern ein
Regressanspruch, gestützt auf Art. 148 Abs. 2 OR, zustünde.
Das Verbot der Verträge zulasten Dritter vermag nur für Fälle zu überzeugen, bei denen
das Privileg vertraglich vereinbart wurde, nicht hingegen beim gesetzlichen Privileg.
322
323
324
Vgl. dazu vorne § 7 III 2 B.
BGE 113 II 331; offengelassen noch in BGE 104 II 307; vgl. ferner auch ZWR 1984, S. 136 ff. So auch
etwa Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 901.
VVG-Graber, Art. 72 N 65; Oftinger/Stark, I, § 11 N 53; Schaer, Grundzüge, N 982 f.; Keller, Haftpflicht
II, S. 178; Frei, S. 140 f.; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 55; a.M. Läubli, Koordination, S. 174; Koller, Privileg,
S. 25 ff., 29; Vogel/Bichsel, S. 331 ff., welche innerhalb des direkten Forderungsrechts von Art. 65 Abs. 1
SVG dem obligatorischen Haftpflichtversicherer die Berufung auf das Privileg gänzlich versagen.
81
Dieses Argument wird durch die Rechtsfolgen betreffend Vereitelung der Subrogation
gemäss Art. 72 Abs. 2 VVG geschmälert. Der Einwand, im Innenverhältnis gebe es
keine Solidarität, ist beachtenswert; nicht hingegen die Argumentation, gestützt auf Art.
148 Abs. 2 OR, zumal die unechte Solidargemeinschaft gerade nicht unter die allgemeinen Bestimmungen von Art. 143 ff. OR fällt. Weshalb zudem ein voller Regress auch
Art. 14 Abs. 4 VVG widersprechen sollte,325 ist nicht ersichtlich, stehen die anderen
Haftpflichtigen doch in keiner Weise in einer Art „Sonderbeziehung“ zum Geschädigten.
Im obgenannten Entscheid326 hat sich das Bundesgericht auf die Seite des Geschädigten
gestellt. Diese Begünstigung steht nicht im Zentrum der Diskussion, vielmehr ist die
Frage umstritten, wie weit die Subrogation zu reichen vermag. Unabhängig vom Resultat
der oben dargelegten Auseinandersetzung gilt es die neue Regelung von Art. 72 Abs. 2
ATSG zu beachten, wonach auch für das Innenverhältnis Solidarität statuiert wurde.327
Die Meinungen in der Literatur sind bereits heute geteilt.328 Nimmt man den Grundsatz
der Subrogation ernst, so wird man meines Erachtens kaum darum herumkommen, dem
subrogierenden Versicherer die Rechtsposition des Geschädigten einzuräumen. Es bleibt
somit abzuwarten, wie die Rechtsprechung die Regressordnung des ATSG diesbezüglich
auslegen wird.329
C.
Probleme bei Grobfahrlässigkeit
Nun ist im Zusammenhang mit einer allfälligen Privilegierung von Gesetzes wegen stets
die Rede von leichter Fahrlässigkeit. Wie sieht aber die Rechtslage aus, wenn ein Familienmitglied oder ein Arbeitnehmer grobfahrlässig seinen Hausgenossen oder seinen
Arbeitgeber geschädigt hat? Zur Verdeutlichung der Problematik mag der folgende Fall
dienen:
Der Arbeitnehmer X beschädigt grobfahrlässig während der Verrichtung seiner Arbeit eine Maschine des Arbeitgebers Y. Die Sachversicherung Z des Y hält Letzte-
325
326
327
328
329
Vertreten von Roelli/Jaeger, Art. 72 N 55.
BGE 113 II 331.
Leider wird hier nicht weiter auf die Solidarität im Innenverhältnis eingegangen.
Für eine Beibehaltung der heutigen Rechtsprechung: Frei, S. 140 f.; a.M. Läubli, Koordination, S. 174;
Vogel/Bichsel, S. 331 ff.
So auch Koller, Privileg, S. 27 ff.
82
ren schadlos, da ihm keine grobfahrlässige Handlung im Rahmen von Art. 14 Abs. 3
VVG vorgeworfen werden kann.
Hätte X leichtfahrlässig gehandelt, käme ein Regress im Sinne des Privilegs gemäss Art.
72 Abs. 3 VVG ohnehin nicht in Betracht. Würde nun der Regress des Schadensversicherers bei grobfahrlässiger Verursachung vollumfänglich dem an sich privilegierten
Verursacher zugestanden, stünde dies im Widerspruch zur wirtschaftlichen Einheit von
Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer.330 Die Versicherung Z würde diesfalls Y einerseits eine ungekürzte Leistung erbringen, aber andererseits diese wieder bei X regressweise zurückfordern. Die wirtschaftliche Einheit im Arbeitsverhältnis ist auch in Art. 14
Abs. 3 VVG verkörpert. Wenn der Arbeitgeber in der Beaufsichtigung des Arbeitnehmers grobfahrlässig gehandelt hätte, wäre einzig eine quotale Kürzung der Versicherungsleistung in Frage gekommen. Ein darauf anschliessender Regress auf den Arbeitnehmer wäre bei dieser Konstellation ausgeblieben. Somit wäre es nicht korrekt, wenn
der Versicherer im einen Fall keine Schadenbelastung zu verzeichnen hätte, im anderen
hingegen schon.
Aus diesem Grunde wird auch hier – wie bereits SCHAER vorgeschlagen hat331 – ein
quotaler Regress favorisiert, indem dem Versicherer der Regress nur soweit zugestanden
wird, als dies der Kürzung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG bezüglich des Direktschadens entsprochen hätte. Mit anderen Worten: Es darf nicht darauf ankommen, ob der
Versicherer dem Anspruchberechtigten gegenüber eine Grobfahrlässigkeitskürzung
vornimmt oder ob er vorab die Leistungen vollumfänglich erbringt und dann in einem
zweiten Schritt regressweise beim Schädiger wieder ausgleicht.
D.
Regressprivileg und unmittelbares Forderungsrecht
Im Zusammenhang mit dem Regressprivileg stellt sich die Frage, ob der Haftpflichtversicherer des privilegierten Schadenverursachers sich ebenfalls auf Art. 72 Abs. 3 VVG
berufen kann. Diese Frage ergibt sich aber nur dann, wenn dem Geschädigten ein direktes Forderungsrecht gewährt wird, wie beispielsweise in Art. 65 Abs. 1 SVG, und dieses
direkte Forderungsrecht auf den leistenden Versicherer übergeht.
330
331
Gl.M. Schaer, Grundzüge, N 991.
Schaer, Grundzüge, N 991.
83
Es wurde erwähnt, dass die Subrogation auch das unmittelbare Forderungsrecht erfasst
und es sich dabei nicht um ein höchstpersönliches Recht handelt, sondern um ein mit der
Haftpflichtforderung verbundenes Vorzugsrecht.332 Die Rechtsprechung gewährt dem
Haftpflichtversicherer auch im Zusammenhang mit dem direkten Forderungsrecht die
Berufung auf das Regressprivileg.333 Das überzeugt vor allem deshalb, weil das direkte
Forderungsrecht dem Geschädigten die Durchsetzung seines Anspruches gegenüber dem
Haftpflichtversicherer erleichtern und nicht den subrogierenden Versicherer begünstigen
soll.
IV.
Einbezug freiwillig erbrachter Leistungen des Schadensversicherers in den
Regress
1.
Ausgangslage
Im Schadensfall kann es aus verschiedenen Gründen dazu kommen, dass der Versicherer
auch Leistungen erbringt, welche die vertragliche Pflicht übersteigen. Dies ist einerseits
möglich durch Nichterheben von Einreden, insbesondere von Kürzungsmöglichkeiten
gemäss Art. 14 Abs. 3 VVG. Die Frage, ob eine Subrogation erfolgen kann, stellt sich
zum Beispiel, wenn der Kaskoversicherer dem Halter eine ungekürzte Entschädigung
leistet, obwohl der berechtigte Lenker das kaskoversicherte Fahrzeug grobfahrlässig
beschädigt hat. Die gleiche Frage stellt sich, wenn der Eigenschadensversicherer Leistungen erbringt, die vom Vertragsinhalt nicht abgedeckt sind.334
Diese Kulanz führt zur nicht einfachen Frage der Regressmöglichkeit einer solchen Leistung, oder anders gefragt: Fallen auch solche Leistungen, die ohne vertragliche Pflicht
erbracht werden, unter die Subrogationsbestimmungen des VVG? Bei der Beurteilung
dieser Problematik gilt es zwischen dem Eigenschadens- und dem Haftpflichtversicherer
zu unterscheiden.
332
333
334
Vgl. vorne § 5 I.
Urteil des HGer des Kantons ZH vom 23. Juni 2003, in: ZR 103 (2004) Nr. 65, S. 258 f.; ferner BGE 127
III 583 wo jedoch das Haftungsprivileg in Frage stand.
Zu denken ist etwa an Schäden infolge fehlerhafter baulicher Konstruktion, welche von der Schadensversicherungsdeckung ausgeschlossen sind.
84
2.
Eigenschadensversicherung
A.
Lehre und Rechtsprechung
In der Lehre besteht Einigkeit darüber, dass bei Leistungen, die ausserhalb des Deckungsbereiches liegen, keine Subrogation gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG stattfindet.335
Hinsichtlich der dem Geschädigten nicht entgegengehaltenen Kürzungsmöglichkeiten im
Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG entschied das Bundesgericht, dass der Rechtsübergang
nach Art. 72 VVG auch dann eintritt, wenn die Versicherung aus reiner Kulanz bezahlt
hat.336 Diese Ansicht wurde bereits von der älteren Lehre vertreten, auf welche sich das
Bundesgericht auch abgestützt hat.337 Während ein Teil der neueren Doktrin die Auffassung des Bundesgerichts teilt,338 verneint SCHAER den Rechtsübergang mit dem Argument, dass eine Nichtschuld bezahlt worden sei.339
B.
Stellungnahme
Grundsätzlich ist der Auffassung beizupflichten, wonach auf erbrachte Leistungen, welche ausserhalb des Deckungsbereiches liegen, die Subrogation nicht stattfindet. Es handelt sich somit um eine „echte Kulanzleistung“. Wenn eine solche Kulanzleistung vorliegt, der Versicherer also einen stichhaltigen Ausschlussgrund ins Feld führen könnte
und trotzdem leistet, so darf meines Erachtens eine Subrogation deshalb nicht erfolgen,
weil sonst dadurch ein Vertrag zulasten Dritter – nämlich zulasten des Haftpflichtigen –
geschlossen würde.340 Die Schwierigkeit der Durchsetzbarkeit der Forderung und der
Beweislasten erfordern in der Regel juristisches beziehungsweise fachliches Wissen und
finanzielle Mittel. Da der Schadensversicherer über diese Mittel verfügt, steht er in einer
günstigeren Position als ein geschädigter Laie. Da die Versicherungsgesellschaft in aller
Regel über weit grössere finanzielle Ressourcen verfügt als eine Privatperson, ist dadurch das in jedem Zivilprozess inhärente Prozessrisiko ungleich verteilt. Ein privater
335
336
337
338
339
340
Schaer, Schadensversicherer, S. 111; ebenso auch VVG-Graber, Art. 72 N 35.
BGE 120 II 63.
Roelli/Jaeger, Art. 72 N 33.
VVG-Graber, Art. 72 N 35.
Schaer, Schadensversicherer, S. 110 f.; so wohl auch Honsell, Regress, S. 576, und Hausheer, Die privatrechtliche Rechtsprechung des BGer im Jahre 1994, in: ZBJV 1996, S. 396 ff., wobei der Rezensent die
Frage am Ende offen lässt.
Im Ergebnis gleich: Keller, Haftpflicht II, S. 209 f. mit Verweis auf BGE 107 II 498.
85
Geschädigter würde eher von einem schwierigen und aufwendigen Prozess absehen als
ein Versicherer.
Durch das Erbringen einer echten freiwilligen Leistung, welche im Anschluss noch unter
die Subrogationsbestimmung von Art. 72 Abs. 1 VVG fiele, würde der Schadensversicherer indirekt zu einer Art Rechtsschutzversicherung umfunktioniert. Bei beiden Versicherungsarten würde das Kostenrisiko eines Zivilverfahrens durch einen Versicherer
übernommen. Dadurch könnten Bestimmungen der Verordnung über die Rechtsschutzversicherung341 tangiert und unter Umständen auch verletzt werden.
Aufgrund des auslegungsbedürftigen Wortlauts von AVB-Klauseln besteht für den Versicherer, der sich auf einen allfälligen Deckungseinwand beruft, stets die Ungewissheit
der Vertragsauslegung in dubio contra stipulatorem. Dieser Grundsatz ist in Art. 33
VVG verankert. Demgegenüber ist die Wahrscheinlichkeit eines durch den Verursacher
veranlassten Prozesses, welcher die Grobfahrlässigkeitskürzung anfechten möchte, wesentlich kleiner. Mit anderen Worten: Nicht jede Kulanzleistung hat de facto den gleichen Beweggrund. Der Versicherer kauft sich in gewissen Fällen eher das Risiko eines
allfällig drohenden Prozesses aus, als dass er kulant sein will. In diesem Fall liegt eine
„unechte Kulanzleistung“ vor. Bei einem derartigen Risikoauskauf wäre meines Erachtens die Subrogation zu bejahen. Dies gilt deshalb, weil der leistende Schadensversicherer einwenden kann, dass der Haftpflichtige oder sein Versicherer ja ohnehin für den
Schaden aufkommen müssten. Dieses Argument ist betreffend Risikoauskauf richtig,
vermag aber für Leistungen ausserhalb des klaren Deckungsbereiches nicht zu überzeugen.
3.
Haftpflichtversicherung
A.
Lehre und Rechtsprechung
Erbringt der Haftpflichtversicherer gegenüber dem Geschädigten eine Leistung, ohne
Bestehen einer Haftpflicht oder eines haftpflichtrechtlich relevanten Schadens, so wird in
der Lehre der Regressanspruch bzw. die Subrogation verneint.342 Die Kulanzleistung,
welche auf Nichterheben von Einreden wie Kürzungsgründe im Sinne von Art. 14 Abs. 2
341
342
SR 961.22; zu denken ist insb. an Art. 3 betreffend Kompositversicherer. Auf Haftpflichtversicherer ist
gemäss Art. 2a diese Verordnung nicht anwendbar.
VVG-Graber, Art. 72 N 35.
86
und 3 VVG beruht, wird in der Lehre nicht erörtert. Die Rechtsprechung hatte sich meines Wissens mit dieser Konstellation bis dato nicht zu befassen.
B.
Stellungnahme
Meines Erachtens können die beim Eigenschadensversicherer gemachten Überlegungen
nicht per se übernommen werden, zumal das Versicherungsvertragsverhältnis inter partes und deren Nebenpflichten tangiert werden. Im Übrigen kann von einer freiwillig
erbrachten Leistung des Haftpflichtversicherers nur in Fällen gesprochen werden, in
welchen dem Geschädigten kein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Versicherer
zusteht.
Im ersten Fall, bei welchem der Haftpflichtversicherer Leistungen erbringt, ohne dass
der Versicherungsnehmer haftpflichtig ist oder ohne dass ein haftpflichtrechtlicher Schaden vorhanden ist, begeht der Versicherer eine Schlechterfüllung des Versicherungsvertrags. Anstelle eines Rückgriffes auf den Haftpflichtigen kann dieser, resultiert ihm daraus ein Schaden, Haftungsansprüche gegenüber dem Versicherer geltend machen.
Im zweiten Fall, bei welchem der Versicherer die volle Leistung erbringt, obschon er
Kürzungsgründe geltend machen könnte, sind folgende Überlegungen anzustellen: Zunächst kommt es nach meinem Dafürhalten nicht darauf an, ob es sich um einen Fall von
Art. 14 Abs. 2 oder von Abs. 3 VVG handelt, zumal Hilfspersonen als mitversicherte
Personen in der Haftpflichtversicherungspolice aufzufassen sind, soweit der Versicherungsnehmer für ihre Handlungen einzustehen hat. Betrachtet man die Rechtslage rein
formaljuristisch, so ist das Ergebnis in beiden Fällen dasselbe: Der gegenüber dem Geschädigten haftpflichtige Versicherungsnehmer schuldet den Schadenersatz X, egal, ob
die Kürzung zunächst einredeweise geltend gemacht wird oder nicht. Aus vor allem
taktischen Überlegungen kann man sich jedoch fragen, ob der Haftpflichtige nicht um
gewisse Chancen betreffend Verhandlungsgeschick und Prozesstaktik gebracht wird.
Diese Problematik ist mit der Frage der sog. „perte d’une chance“ vergleichbar,343 zumal
in einer Vergleichsvereinbarung zwischen dem Haftpflichtversicherer und dem Geschädigten ein Vertrag zulasten eines Dritten gesehen werden kann, was ein rechtswidriger
Eingriff in die geschützte Rechtsposition des Haftpflichtigen darstellt. Letzterer kann
343
Vgl. dazu etwa Roberto, Haftpflichtrecht, N 778 ff.; für eine vertiefte Auseinandersetzung: Müller Christoph, La Perte d’une chance, Diss. Neuenburg 2002; Müller Christoph, Schadenersatz für verlorene Chancen – Ei des Kolumbus oder Trojanisches Pferd?, in: AJP 2002, S. 389 ff.
87
geltend machen, dass er dadurch der Wahrscheinlichkeit einer hypothetisch günstigeren
Vermögensentwicklung verlustig gegangen sei: Unter Umständen hätte der Geschädigte
auf einen umständlichen und aufwendigen Prozess verzichtet oder der Haftpflichtige
hätte einfach den Prozess besser geführt. Überdies hat der Haftpflichtversicherer gegenüber seinen Versicherungsnehmern gewisse aus der Rechtsschutzfunktion der Haftpflichtversicherung resultierende Treuepflichten zu beachten, welche nach meinem Dafürhalten gerade darin liegen, im konkreten Fall die günstigste Lösung für den haftpflichtigen Versicherungsnehmer zu erzielen. Aus diesen Gründen sollte im Falle freiwillig
erbrachter Leistungen dem Haftpflichtversicherer der Regress aufgrund „eventuell verpasster Kürzungsmöglichkeit“ gegen seine Versicherungsnehmer verwehrt sein.
§ 8.
Ergebnis zweiter Teil
1. In § 5 wurde das Innenverhältnis, d.h. das Rechtsverhältnis zwischen mehreren Schadensausgleichspflichtigen, erörtert. Dieses Verhältnis wird hauptsächlich durch gesetzliche Rückgriffsrechte geregelt: einerseits durch das originäre Regressrecht gemäss Art.
51 Abs. 2 OR und andererseits durch den derivativen Regressanspruch gemäss Art. 72
Abs. 1 VVG oder Art. 72 ff. ATSG. Überdies ist auch ein vertraglich vereinbartes Rückgriffsrecht denkbar.
2. Im Innenverhältnis gilt grundsätzlich keine Solidarität; als Ausnahme gilt die Bestimmung von Art. 72 Abs. 2 ATSG. Somit sind Kettenregresse ausgeschlossen.
3. In entstehungsgeschichtlicher Betrachtung konnte festgestellt werden, dass der Gesetzgeber von Art. 51 Abs. 2 OR den Eigenschadensversicherer – geleitet durch den
„Leiterhaken-Fall“ – in die mittlere Stufe der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR
stellen wollte. Eine methodologische Auseinandersetzung brachte zum Vorschein, dass
der Sinn und Zweck dieser Bestimmung verfehlt wird, wenn der Schadensversicherer in
die Regresskaskade gestellt wird. Überdies sieht – bei entsprechender Auslegung – Art.
72 Abs. 1 VVG als lex specialis ein integrales Regressrecht vor.
4. Ebenso darf auch das VVG nicht einer rein historischen Auslegung unterzogen werden, mit dem Resultat, dass der Begriff „unerlaubte Handlung“ nicht auf die Haftung
nach Verschulden reduziert werden darf. Diese Lösung entspricht auch der Rechtsstellung des Versicherers nach deutschem, österreichischem oder fürstentumliechtensteinischem Versicherungsvertragsgesetz.
88
5. Im Sozialversicherungsrecht ist die Koordination der Rückgriffsansprüche dreigeteilt:
Gegenüber dem Haftpflichtigen besteht ein integrales Regressrecht gemäss Art. 72 Abs.
1 ATSG. Das Regressverhältnis zwischen mehreren Sozialversicherern wird im Sinne
einer Gesamtgläubigerschaft geregelt. Die Koordination zwischen Sozialversicherern
nach ATSG und solchen nach VVG ist hingegen gesetzlich nicht geregelt. Die von der
herrschenden Lehre verfochtene Proportionalmethode bewirkt die sachgerechteste Lösung.
6. Ist eine Gefährdungshaftung beteiligt, bedarf es im Regressverhältnis einer besonderen Berücksichtigung der Betriebsgefahr, welche zu berücksichtigen ist, bevor ein Ausgleich nach Art. 51 Abs. 2 OR erfolgt. Die Beurteilung danach, ob die Betriebsgefahr
sich überhaupt ausgewirkt hat, ist eine umstrittene Frage. In der vorliegenden Arbeit
wird vorgeschlagen, grundsätzlich die Betriebsgefahr über die Energieformel zu gewichten. Das SVG sieht eigene Haftungskollisionsregeln vor. Dabei ist umstritten, ob die
endgültige Schadensaufteilung nach der Kompensationsmethode oder nach der sektoriellen Methode zu erfolgen hat, wobei sich eine Tendenz pro Kompensation abzeichnet.
7. Das Regressrecht findet gewisse Einschränkungen. Eine der wichtigsten resultiert aus
dem Quotenvorrecht. Dabei ist bis heute strittig, ob es auch ein sog. fiktives Quotenvorrecht gibt. Im Zusammenhang mit dem Zeitwertzusatz in der Kaskoversicherung wurde
der Frage nachgegangen, ob auch hier das Quotenvorrecht bezüglich des Selbstbehaltes
tangiert wird. Das Ergebnis fällt zugunsten des Versicherungsnehmers aus. Auch im
Falle der Unterversicherung wird das Regressrecht des Eigenschadensversicherers eingeschränkt, folgt man der hier favorisierten Lösung der Entflechtungsmethode. Als weitere
Regresseinschränkung gilt es, das Regressprivileg zu erwähnen. Diesbezüglich wirft
insbesondere die gestörte Solidargemeinschaft die schwierige Frage auf, zu wessen Lasten der Ausfall eines privilegierten Solidarschuldners zu erfolgen hat. Selbst unter der
Bestimmung von Art. 72 Abs. 2 ATSG bleibt die Rechtslage umstritten. Hinsichtlich der
Regressmöglichkeit freiwilliger Leistungen resultierte eine differenzierte Lösung, da
einerseits zwischen der Haftpflicht- und der Eigenschadensversicherung und andererseits
zwischen echten und unechten Kulanzleistungen unterschieden werden muss.
89
III. Teil: Regress des Privatversicherers
§ 9.
Stellung des Privatversicherers in der Regressordnung
I.
„Gini/Durlemann-Praxis“
1.
Sachverhalt
In der Versicherungswirtschaft zählt der sog. Gini/Durlemann-Entscheid344 zu den einschneidendsten und somit auch zu den prominentesten Urteilen der letzten Jahrzehnte.345
Da dieses Urteil für das Regress- und das Versicherungsrecht von hoher Bedeutung ist
und es auch heute noch – aufgrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung – Beachtung
geniesst, drängt sich eine vertiefte Auseinandersetzung auf, zumal in der vorliegenden
Arbeit darauf immer wieder Bezug genommen wird. Dem Urteil liegt der folgende
Sachverhalt zugrunde:
Gini war von Peroni beauftragt, eine Dépendance seiner Villa neu zu streichen. Ginis Angestellter Durlemann hatte die Aufgabe, mittels einer Schweisslampe die
Aussenwand aus Holz von alter Farbe zu befreien. Bei einer Türe konnte das Feuer
ins Innere dringen, so dass das ganze Haus abbrannte. Der Sachversicherer wollte
auf Gini und Durlemann regressieren.
2.
Erwägungen
A.
Bezüglich Beauftragtem (Gini)
Der Sachversicherer liegt laut Bundesgericht mit der Ansicht falsch, eine versäumte oder
ungenügende Instruktion und Überwachung führe neben der Haftung von Art. 55 OR
auch zu einer solchen aus Art. 41 OR, weil diese Unterlassungen eine unerlaubte Handlung darstellten. Die Haftungsvoraussetzungen von Art. 55 OR seien nicht mit dem Verschulden im Sinne von Art. 41 OR gleichzusetzen. Im Übrigen seien sie vorliegend ohnehin nicht erfüllt, da es sich um Routinearbeiten handelte und Durlemann ein erfahrener
Arbeiter sei. Gini sei darüber hinaus kein persönliches Verschulden vorwerfbar, er hafte
344
345
BGE 80 II 247 ff. = Pra (44) 1955, Nr. 18.
Bestätigt in BGE 93 II 353.
90
nur über Art. 101 OR für das leichte Verschulden seines Arbeiters Durlemann bei der
Vertragsausführung, so das Bundesgericht. Damit bestehe bei Gini keine Deliktshaftung,
und Art. 101 OR führe zu einer vertraglichen Haftung.
Die vom Sachversicherer vorgelegte Zession über die Ansprüche von Peroni gegen Gini
und Durlemann ist nach Bundesgericht nicht beachtlich, da sie Art. 51 OR derogiert.346
Die gewichtigste Feststellung liegt in der folgenden Aussage: Der Sachversicherer und
der aus Vertrag Haftpflichtige stehen laut Bundesgericht, gestützt auf Art. 51 Abs. 2 OR,
grundsätzlich auf derselben Stufe, da beide aus Vertrag haften. Da für diesen Fall Art. 51
Abs. 2 OR keine Lösung vorsehe, wird Art. 51 Abs. 1 OR und damit Art. 50 Abs. 2 OR
herangezogen: Dadurch wird der Richter ermächtigt, den Regress und dessen Umfang
nach Ermessen zu bestimmen. Dabei gibt das Bundesgericht Folgendes zu bedenken:
Mit der Einführung von Art. 51 OR habe der Gesetzgeber dem Versicherer nicht eine
neue Regressmöglichkeit schaffen wollen, welche er nicht bereits mit Art. 72 VVG innegehabt hätte. Andererseits sei unter der alleinigen Regressregel von Art. 72 VVG die
Zedierung der Haftpflichtansprüche an den Sachversicherer möglich gewesen. Deshalb
soll mit Art. 51 Abs. 2 OR auch nicht jeder Regressanspruch des Sachversicherers auf
den vertraglich Haftenden ausgeschlossen sein. Allerdings rechtfertige es sich, diesen
Regress bezüglich der Vertragshaftung einzuschränken, und zwar für Fälle, bei welchen
die Vertragsverletzung grobfahrlässig erfolgte. Diese Lösung dränge sich auch im Lichte
von Art. 14 Abs. 4 VVG auf: Wenn der Sachversicherer bei leichtfahrlässiger Herbeiführung des Ereignisses nicht kürzen dürfe, sei es nicht ersichtlich, warum er regressieren
können soll, wenn diese leichte Fahrlässigkeit den Vertragspartner des Versicherungsnehmers treffe.
B.
Bezüglich Hilfsperson (Durlemann)
Die Haftung von Durlemann wurde im Sinne von Art. 41 OR in kurzen Zügen bejaht
und die Fahrlässigkeit als leicht eingestuft. Durlemann wurde deshalb zur Leistung von
CHF 4000.- verurteilt.
Anmerkung: Dies erstaunt im Lichte der heutigen Brandschutzvorschriften. Meines Erachtens hat Durlemann mit seinem Handeln elementarste Vorsichtsgebote verletzt und
346
So bereits schon BGE 45 II 645.
91
damit grobfahrlässig gehandelt.347 Der zu leistende Schadenersatz wurde um 80% gekürzt, was unter Berücksichtigung der finanziellen Verhältnisse des Durlemann erfolgte.
Die Kürzung erscheint auf den ersten Blick erheblich. Betrachtet man aber den im Jahre
1954 höchstversicherbaren Lohn in der Unfallversicherung, so zeigt sich, dass Durlemann mit der Schadenersatzzahlung erheblich belastet wurde.348
II.
Analyse der „Gini/Durlemann-Praxis“
1.
Auslegung
A.
Methodische Interpretation
i.
Sprachlich-grammatikalische Interpretation
Sowohl in Art. 51 Abs. 2 OR als auch in Art. 72 Abs. 1 VVG wird der Ausdruck „unerlaubte Handlung“ verwendet. Es ist im Folgenden zu prüfen, ob mit diesem Ausdruck de
jure auch dasselbe gemeint ist:
Die Bestimmung von Art. 51 Abs. 2 OR lautet: „[...] durch unerlaubte Handlung verschuldet [...].“ Durch diese Ausdrucksweise gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass mit
dem Ausdruck „unerlaubte Handlung“ nicht bereits klar ist, welche Haftung gemeint
war. Wenn „unerlaubte Handlung“ mit der „Haftung aus Verschulden“ gleichzusetzen
wäre, so würde es sich bei der obigen Bestimmung um einen Pleonasmus handeln.
Bezüglich des Art. 72 Abs. 1 VVG gilt es zu prüfen, ob unter den Begriff „unerlaubte
Handlung“ nicht auch Haftpflichtige aus Vertrag fallen. Mit dem aus dem Haftpflichtrecht stammenden Ausdruck „unerlaubte Handlung“ sind zwar die Vertragshaftenden
nicht explizit mit eingeschlossen. Fallen jedoch unter diesen Ausdruck selbst gewöhnliche Kausalhaftpflichtige, so sind nach meinem Dafürhalten erst recht auch Haftende aus
Vertrag, welche in einer Sonderstellung zum Geschädigten stehen, mit einzubeziehen. Es
lässt sich sachlich nicht begründen, weshalb eine ausservertraglich haftpflichtige Person
ohne jede Sonderbindung349 vor einem Vertragspartner gegenüber einem Dritten einzustehen hat. Wer sich nämlich vertraglich bindet, der schenkt dem Kontrahenten ein er-
347
348
349
Ebenfalls zweifelnd Oftinger, Bemerkungen, S. 171.
Höchstversicherbarer Lohn 1954: CHF 9'000.-.
Höchstversicherbarer Lohn 2004: CHF 106'800.-.
Vgl. dazu die neuere Doktrin zum gesetzlichen Schuldverhältnis; so etwa Wiegand, S. 85 ff.
92
höhtes Vertrauen. Wird dieses verletzt, so muss der dafür verantwortliche Vertragspartner billigerweise auch für die Vertragsverletzung einstehen.
ii.
Teleologische Interpretation
Im Versicherungsvertrag verspricht die Versicherungsgesellschaft Deckung für einen
Schaden für den Fall, dass sich das versicherte Risiko de facto verwirklichen sollte. Für
diese Leistung zahlt der Versicherungsnehmer eine entsprechende risikobezogene Prämie, weshalb beim Versicherungsvertrag von einem synallagmatischen Vertrag gesprochen werden kann.350 Der Versicherungsnehmer schliesst eine Sachversicherung primär
deshalb ab, um im Schadensfall möglichst einfach an eine Ersatzleistung zu gelangen,
um nicht gegen allfällige Haftpflichtige rechtlich vorgehen zu müssen.351 Somit handelt
es sich bei der Versicherungsleistung nicht um eine Haftung, sondern um eine Vertragserfüllung, welche der primären Leistungspflicht, in concreto der Risikodeckung, entspricht und nichts mit dem Schadenersatz – auch sekundäre Leistung genannt – zu tun
hat. Eine Sekundärleistung liegt denn auch bei denjenigen Haftungssubjekten vor, welche aus Vertrag haften.352 Daran ändert sich auch aufgrund der teilweise unpräzisen
Ausdrucksweise des Gesetzgebers im VVG nichts, wo zum Teil von einer Haftung des
Versicherers die Rede ist.353 Der Wortlaut eines Gesetzes ist grundsätzlich primärer
Anknüpfungspunkt bei dessen Auslegung. Was aber nach der heutigen Methodenlehre
vielmehr entscheidend ist, ist die Teleologie eines Gesetzes.354 Meines Erachtens ist die
Formulierung des VVG diesbezüglich unklar. Richtigerweise müsste in diesem Zusammenhang von einer Leistungspflicht gesprochen werden. Somit darf die Terminologie
nicht überbewertet werden, sie ist vielmehr als gesetzgeberisches Versehen einzustufen.355
Der Vergleich des Bundesgerichts mit Art. 14 Abs. 4 VVG vermag ebenso wenig zu
überzeugen, da die ratio legis dieser Bestimmung darin liegt, den Versicherungsnehmer
350
351
352
353
354
355
Maurer, PVR, S. 211 m.w.H.
Daneben gibt es regelmässig den Vorteil der sog. Neuwertentschädigung.
Gl.M. Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1079; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 619; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 3;
Honsell, Haftpflicht, § 24 N 8; a.M. wohl das BGer, BGE 63 II 150, wonach diese beiden Ansprüche identisch seien; Brühlmann, S. 139.
So etwa in Art. 14 Abs. 1 VVG.
Statt vieler: Kramer, S. 152.
So mahnte bereits der römische Jurist Celsus daran, sich nicht an die Worte zu klammern, sondern sich
ihrer Kraft und Macht bewusst zu werden (Dig. 1, 3, 17).
93
bzw. den Prämienzahler nicht mit Schäden zu belasten, deren Risiko er gerade versichern wollte. Somit betrifft dieser Kürzungsausschluss die Beziehung inter partes. Haftpflichtige Dritte stehen aber gerade nicht in einer solchen Beziehung, weshalb es auch
nicht nachvollziehbar ist, wenn Dritte von Art. 14 Abs. 4 VVG profitieren könnten.
Zudem wirken sich diese entgangenen Regresseinnahmen wiederum bei der Prämienrechnung des Geschädigten aus.356
iii.
Historische Interpretation
Wie bereits gezeigt,357 gründet diese Fehlentwicklung358 des schweizerischen Regressrechts im „Leiterhaken-Fall“359. Bei diesem Urteil haftete der Werkeigentümer – wie
heute – kausal, was als ungerecht, ja gar unbillig aufgefasst wurde. Dadurch stand die
Werkeigentümerhaftung in der Ausgestaltung einer Kausalhaftung in Frage. EUGEN
HUBER „rettete“ mit der Schaffung der Regresskaskade die Werkeigentümerhaftung in
der heutigen Form, wollte aber mit Art. 51 Abs. 2 OR keine starre Ordnung aufstellen,
sondern mit dem Ausdruck „in der Regel“ vielmehr eine Orientierungshilfe geben.360 Es
haben also gewisse Zufälligkeiten bei der Gesetzgebung dieser Regressbestimmung
mitgewirkt, welche es rechtfertigen, diese Norm extensiv, soweit überhaupt erforderlich,
auszulegen.361
Das Bundesgericht hat sich in BGE 63 II 155 f. bereits einmal ausführlich mit der Entstehungsgeschichte des Art. 51 Abs. 2 OR auseinander gesetzt und ist dabei zum Schluss
gekommen, dass der Gesetzgeber dem aus Gesetz haftenden Werkeigentümer zwar einen
Regressanspruch gegen den Versicherer einräumen wollte. Es sei aber nicht entscheidend, was der Gesetzgeber bei Erlass der Bestimmung gewollt habe, sondern was dem
Gesetz im Lichte allgemeiner Rechtsanschauung zu entnehmen sei.362 Daraus folgerte
das Bundesgericht weiter, dass nicht einzusehen sei, wieso vom Versicherungsvertrag
des Geschädigten ein Dritter, nach Gesetz Haftender, profitieren sollte, ohne dafür Prä-
356
357
358
359
360
361
362
Ebenso Haller, S. 367 f.
Vgl. vorne § 6 I 2.
Schaer, Grundzüge, N 842, spricht sogar von einer fehlerhaften Wertungsanleitung.
BGE 35 II 238 ff.
Sten Bull NR 1909, S. 737.
Gl.M. Oftinger/Stark, I, § 10 N 73.
BGE 63 II 155 f. E. 7.
94
mien bezahlt zu haben.363 Im Ergebnis schützte somit das Bundesgericht den Regressanspruch des Personenversicherers gegen den aus Gesetz haftenden Werkeigentümer. Dadurch wurde das integrale Regressrecht des Schadensversicherers im Sinne von Art. 72
VVG zu Recht bejaht. Weshalb dasselbe Gericht rund 17 Jahre später im „Gini/Durlemann-Entscheid“ zu einer anderen Auslegung gelangte, ist nicht nachvollziehbar.
Der Einfluss von Art. 51 Abs. 2 OR auf Art. 72 VVG und der Zusammenhang der beiden
Artikel kann aufgrund des Resultats der historischen Auslegung kaum bezweifelt werden. Dennoch drängt sich die Frage nach der derogatorischen Kraft des Spezialgesetzes
auf. Das Argument des Bundesgerichts im „Gini/Durlemann-Entscheid“364, wonach der
Gesetzgeber die Stellung des Versicherers durch die Schaffung von Art. 51 Abs. 2 OR
nicht habe verbessern wollen, mag durchaus dem gesetzgeberischen Willen entsprechen.
Das bedeutet aber nicht zugleich, dass der Gesetzgeber die Versicherungen im Regressverhältnis benachteiligen wollte.
iv.
Systematische Interpretation
In systematischer Hinsicht fällt auf, dass das OR im zweiten Abschnitt den Begriff „unerlaubte Handlung“ als Entstehungsgrund einer Obligation im Titel aufführt. Unter diesem zweiten Abschnitt sind sodann sämtliche ausservertraglichen Haftungstatbestände,
also auch die Kausalhaftung wie die Tierhalter- oder die Werkeigentümerhaftpflicht, zu
finden. Wenn nun Art. 72 Abs. 1 VVG die Subrogation von Ersatzansprüchen aus „unerlaubter Handlung“ vorsieht, ist meines Erachtens der Schluss legitim, dass dadurch auf
den Titel des zweiten Abschnittes des OR verwiesen wird und nicht bloss auf die Verschuldenshaftung.365 Überdies existierten auch schon im aOR von 1881 gewisse Kausalhaftungstatbestände. Hätte der Gesetzgeber die Subrogation für Kausalhaftungen ausschliessen wollen, hätte er anstelle des Begriffs „unerlaubte Handlung“ den Ausdruck
„Verschuldenshaftung“ gewählt.
Die Anwendung der Prioritätenregel lex posterior derogat legi priori kann hier nicht in
dem vom Bundesgericht verwendeten Sinne herangezogen werden. Überdies lässt sich
363
364
365
BGE 63 II 156 E. 7; so etwa auch Oftinger/Stark, I, § 11 N 65 ff.; a.M. wohl Oswald, S. 28.
BGE 80 II 255.
Gl.M. Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622.
95
dieser Grundsatz nicht ohne weiteres neben dem Grundsatz lex specialis derogat legi
generali anwenden.366 Die zeitliche Gesetzeskonkurrenz wirkt meines Erachtens vielmehr nur dort, wo gleichrangige Gesetze nebeneinander stehen. Das VVG ist aber – wie
bereits ausgeführt wurde – das Spezialgesetz zum OR und muss daher Letzterem vorgehen.367 Bei der Konkurrenz der beiden Rechtsgrundsätze kann damit der Ansicht VON
TUHRS368 gefolgt werden, wonach der Grundsatz lex posterior generalis non derogat
priori speciali gilt. Dadurch hätte das Bundesgericht in der Revision des OR keinen
Anlass sehen dürfen, den Willen des Gesetzgebers in die Richtung zu interpretieren,
dieser habe implizit auch das Spezialgesetz VVG ändern wollen. Mit der Revision eines
allgemeinen Gesetzes wird meines Erachtens per se kein Spezialgesetz tangiert. Wenn
man Änderungen auf solche Gesetze bewirken möchte, braucht es bekanntlich bei den
Schlussbestimmungen deren Nennung inkl. des neuen, geänderten Gesetzestextes. Dies
erfolgte jedoch bei der Revision des OR nicht.
Im Sinne der systematischen Interpretation ist die Rechtsordnung als „Einheit“ aufzufassen, weshalb auch eine disziplinenübergreifende Berücksichtigung möglich ist.369 Der
Begriff „unerlaubte Handlung“ ist auch im Gesellschaftsrecht, in Art. 567 Abs. 3 OR
betreffend die Kollektivgesellschaft und in Art. 722 OR betreffend die Aktiengesellschaft, anzutreffen. In beiden Fällen haftet die Gesellschaft für den Schaden aus unerlaubten Handlungen, die ein Gesellschafter in Ausübung seiner geschäftlichen Verrichtung begeht. Für die Auslegung von Art. 72 Abs. 1 VVG ist es demnach von gewissem
Interesse, welche Haftungsnormen im Gesellschaftsrecht unter diesen Begriff subsumiert
werden. Die Doktrin äussert sich nur teilweise zum Inhalt des Begriffs „unerlaubte
Handlung“, und wenn, dann nur nebenbei.370 Das gilt deshalb, weil offenbar im Gesellschaftsrecht dies nicht die gleiche Tragweite hat wie im Regressrecht. Das Bundesgericht erwähnt in BGE 124 III 299 zur „unerlaubten Handlung“ in Klammern den Art. 41
OR. Ob dadurch eine vertragliche Haftung ausgeschlossen wird, bleibt meines Erachtens
jedoch offen. Dennoch kann festgehalten werden, dass die überwiegende Lehre den
Begriff „unerlaubte Handlung“ im Gesellschaftsrecht extensiv auslegt. Somit fällt in
366
367
368
369
370
Dazu etwa Kramer, S. 101 f. m.w.H.
So schon von Tuhr, S. 234; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 2; a.A. Hartmann, S. 108; Rütsche/Ducksch, S. 46.
Betreffend Regressregeln des SVG als Spezialgesetz vgl. etwa Hulliger, S. 68.
von Tuhr, S. 234.
Kramer, S. 78.
Extensive Interpretation etwa von ZK-Siegwart, Art. 567 N 6; Böckli, S. 1603; Meier-Hayoz/Forstmoser,
§ 2 N 21; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622 Fn 56; offengelassen von ZK-Homburger, Art. 722 N
1185 ff.; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, § 21 N 9 ff.; BK-Hartmann, Art. 567 N 7.
96
diesem Rechtsgebiet ebenso die vertragliche Haftung als auch die Kausalhaftung unter
den Begriff „unerlaubte Handlung“.371 Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung
drängt sich dieselbe Interpretation für Art. 72 Abs. 1 VVG auf, zumal es keine sachlichen Gründe gibt, weshalb unter „unerlaubter Handlung“ je nachdem etwas anderes zu
verstehen wäre.
Hätte Gini selber gehandelt, so wäre er Peroni gegenüber – im Sinne der Anspruchskonkurrenz – sowohl aus Werkvertrag als auch aus Art. 41 OR haftbar gewesen. Im Sachversicherungsregress verhilft bei leichtfahrlässiger Handlung hingegen lediglich die
ausservertragliche Haftung zu einem Anspruch. Es ist nicht einleuchtend, dass bei gleicher Handlung, gleichem Verschulden und demselben Schaden ein unterschiedliches
Regressergebnis resultiert, je nachdem, welches Haftungssubjekt angesprochen wird.
Nach HALLER ist der Regress bei jeder Fahrlässigkeit zuzulassen, wodurch er sich nicht
gänzlich zum integralen Regressrecht bekennt.372
B.
Aktuelle Rechtsprechung
Ein neuer Entscheid des Bundesgerichts lässt gewisse Hoffnungen aufkommen, dass eine
Änderung der Rechtsprechung im Gange ist, und zwar in Richtung integrales Regressrecht. Im Mittelpunkt steht der bekannte BGE 126 III 521 ff., bei dem der Regress des
Arbeitgebers betreffend die vertraglich geschuldete Lohnfortzahlung aus regressrechtlicher Sicht zu beurteilen war. Bis zu diesem Urteil war die Einordnung des Rückgriffs
des Arbeitgebers bezüglich dieser Lohnfortzahlungsfälle umstritten, da er als Reflexgeschädigter keine widerrechtliche Schädigung erlitten hatte.373
Das Bundesgericht macht folgende Ausführungen: „Da der Arbeitgeber seinen Vertrag
erfüllt und nicht aus Schlechterfüllung für den entstandenen Schaden haftet, kann die in
Art. 51 Abs. 2 OR vorgesehene Abstufung […] nicht auf die Lohnfortzahlung des Arbeitgebers übertragen werden.“374 Weiter führt das Bundesgericht aus, und dies ist nun
für die vorliegende Arbeit von grossem Interesse: „Der Arbeitgeber ist diesbezüglich den
subrogierenden Sozial- und Schadensversicherern gleichzustellen, auch wenn diese ihre
371
372
373
374
In diesem Sinne auch Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622.
Haller, S. 371.
Statt vieler: Roberto, Schadensrecht, S. 41 m.w.H. zum Stand der Doktrin vor dem BGE 126 III 521 ff.
BGE 127 III 523. So auch Roberto, Schadensrecht, S. 41.
97
Rechtsstellung bereits im Unfallzeitpunkt erlangt haben.“375 Somit steht fest, dass sowohl eine direkte als auch eine analoge Anwendung der Regresskaskade von Art. 51
Abs. 2 OR keine Anwendung auf Lohnfortzahlungsfälle finden kann. Der im Aussenverhältnis stehende Arbeitgeber wird als haftungsloser Leistungspflichtiger im Innenverhältnis aus der Solidargemeinschaft herausgenommen, und es wird ihm ein integrales
Regressrecht gewährt.376 Indem das Bundesgericht für diese Auslegung auf die Subrogation des Sozial- und Schadensversicherers zurückgreift und diese beiden Versicherer
gleich behandelt, gesteht es Letzteren implizit ein integrales Regressrecht zu. Ob das
Bundesgericht damit eine Änderung der Rechtsprechung in Aussicht gestellt hat oder ob
es sich um ein Versehen handelt, ist zurzeit fraglich.
Es erstaunt, dass dieses Urteil in der Doktrin noch nicht die meines Erachtens adäquate
Aufmerksamkeit gefunden hat.377 HAUSHEER/JAUN interpretieren das Urteil im Ergebnis
als eine Praxisänderung. RUMO-JUNGO erwartet nun den gleichen Schritt auch für die
privaten Versicherungen. PORTMANN schliesst aus der höchstrichterlichen Aussage einzig, dass damit „die Sozialversicherer gemeint sind, entgegen der Meinung des Bundesgerichts aber nicht die (privaten) Schadensversicherer“.
Auch nach der hier vertretenen Meinung ist die Leistungspflicht des Arbeitgebers durchaus mit jener des Schadensversicherers vergleichbar, handelt es sich doch bei beiden um
eine vertragliche Hauptleistungspflicht und nicht um eine sekundäre Pflicht bzw. um
einen Schadenersatz.378 Der einzig relevante Unterschied besteht darin, dass der Arbeitgeber trotz seiner weiterdauernden Leistungspflicht keine Gegenleistung, welche in der
Arbeitsleistung seines Arbeitnehmers liegt, mehr erhält. Demgegenüber hat der Sachversicherer für dieses Risiko eine Leistung in Form der Prämie erhalten. Diese Prämie steht
aber eben gerade in Relation mit den aus dieser Branche zu zahlenden Schäden. Aus
diesen und den bereits genannten Gründen besteht meines Erachtens begründete Hoffnung, dass die Gerichte das integrale Regressrecht des Eigenschadensversicherers künftig anerkennen werden. Da es sich aber eben noch nicht um eine gefestigte Rechtsprechung handelt und damit eine Rückkehr zur „Gini/Durlemann-Praxis“ nicht ausgeschlossen ist, ist die Darlegung der weiteren Konsequenzen des BGE 80 II 247 ff. berechtigt;
375
376
377
378
BGE 126 III 523 E. 2b.
Ebenso Weber/Schaetzle, S. 101 ff.
Vgl. dazu etwa Hausheer/Jaun, ZBJV 2001, S. 927 ff.; Weber/Schaetzle, S. 101 ff.; Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 621; Portmann, ARV, S. 113.
Gl.M. BK-Brehm, Art. 41 N 31; Hausheer/Jaun, ZBJV 2001, S. 929.
98
dies gilt umso mehr, als zwischen den beteiligten Regressparteien alles andere als Konsens in der Regressdogmatik herrscht.
2.
Deckungsausschlussklauseln
A.
Allgemeines
In der Versicherungspraxis hat sich über die Jahrzehnte ein äusserst feines System von
Deckungsausschlussklauseln entwickelt, um präventiv unliebsamen Aktiv- als auch
Passivregressen entgegenzuwirken, welche teilweise aus der ungünstigen „Gini/Durlemann-Praxis“ resultieren. Bestünde ein integrales Regressrecht für den Schadensversicherer, so wären solche Präventivmassnahmen weitgehend unnötig. Die AGBKontrolle wird später in dieser Arbeit diskutiert.379
B.
Ausschluss der „fehlerhaften baulichen Konstruktion“
In der Sachversicherung wird in den AVB praktisch ausnahmslos ein Deckungsausschluss betreffend die fehlerhafte bauliche Konstruktion380 vorgesehen.381 Das heisst,
dass immer dann, wenn die Konstruktion als solche nicht normgerecht382, nicht
vorschriftsgemäss383 oder nicht den Regeln der Baukunst entsprechend bewerkstelligt
wurde, daraus resultierende Wasser- und auch Elementarschäden in der entsprechenden
Versicherungspolice nicht gedeckt sind. Zu einer solchen fehlerhaften Konstruktion kann
es sowohl infolge fehlerhafter Planung als auch infolge mangelhafter Ausführung kommen.
Die Wasserversicherung384 lehnt, gestützt auf diese Klausel, jegliche Leistungen ab,
zumal nicht beabsichtigt wird, den Versicherungsnehmer Prämien für „Dritte“ bezahlen
zu lassen. Vielmehr steht dem Geschädigten, meistens dem Bauherrn, ein Gewähr-
379
380
381
382
383
384
Vgl. hinten § 13.
Zwar fehlt in der Praxis eine klare Definition, was eine „fehlerhafte bauliche Konstruktion“ ist. Dennoch
ist in der Praxis folgende Umschreibung üblich: „Unter baulicher Konstruktion sind sowohl der planerische als auch der ausführungstechnische Teil eines Werkes zu verstehen.“ Über den Begriff „Fehler“ wird
vorliegend nicht eingegangen, um den Rahmen nicht zu sprengen.
Vgl. im Anhang die entsprechende AVB-Klausel.
So etwa nach den SIA-Normen oder einfach den Schweizer Normen (SN).
Anweisungen von Herstellern usw.
Mit dem Ausdruck Wasserversicherung wird eine private Sachversicherung bezeichnet, welche das Risiko
Wasser deckt.
99
leistungs- und Schadenersatzanspruch gegen den Verursacher bzw. den fehlbaren Unternehmer zu, welchen es auch zu beanspruchen gilt. Würde nämlich der geschädigte Versicherungsnehmer ohne diesen Deckungsausschluss die Leistung aus seiner Sachversicherungspolice geltend machen, fiele die Regressnahme des Sachversicherers unter die
ungünstige Regressordnung. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf die Prämiengestaltung der Sachversicherung.
Zur Praxiserleichterung hat der SVV eine Empfehlung385 herausgegeben, nach welcher
Schadenfälle, die aus einer fehlerhaften baulichen Konstruktion resultieren, grundsätzlich zwischen Sach- und Betriebshaftpflichtversicherer hälftig zu teilen sind. Darunter
fallen lediglich Schäden, deren Zeitwert höchstens CHF 50 000.- beträgt. Ebenso genügt
eine adäquate Schadensverursachung, weshalb Exkulpationsbeweise ausgeschlossen
sind. Obschon diese Empfehlung eine Vereinfachung der Rechtslage sein sollte, gibt es
in der Praxis erhebliche Diskussionen über ihre Auslegung. Eine eingehende Auseinandersetzung kann hier nicht erfolgen, jedoch werden die wichtigsten Diskussionspunkte
kurz genannt: Zunächst wird darüber diskutiert, was de jure eine fehlerhafte bauliche
Konstruktion ist; fällt etwa ein Produktemangel auch unter diesen Begriff? Betreffend
die Limite von CHF 50 000.- ist unklar, ob sie für den Gesamtschaden, welcher aus den
Schadenskategorien Gebäude, Fahrhabe und Betriebsunterbrechung bestehen kann, kumuliert oder für jede Kategorie einzeln gilt. Des Weiteren ist der Kreis der möglichen
Haftpflichtigen diskussionswürdig, zumal unklar ist, ob beispielsweise auch Planer und
Architekten zu diesem Kreis zählen. Aufgrund dieser Schwierigkeiten ist der SVV gefordert, diese Empfehlung entweder zu revidieren oder ausser Kraft zu setzen.386
Aus dem gleichen Grunde wird heute in der Praxis vermehrt der geschädigte Kunde auch
bei Schäden infolge positiver Vertragsverletzung387 bereits vor der Leistungserbringung
auf die Regressschwierigkeiten hingewiesen. Dadurch kann der Geschädigte besser
entscheiden, ob er tatsächlich gewillt ist, auf allfällige Direktansprüche zu verzichten.
Der geschädigte Versicherungskunde wird für ein solches Vorgehen nur dann zu begeistern sein, wenn der Zeitwert seines erlittenen Schadens etwa dem Neuwert388 entspricht,
zumal haftpflichtrechtlich lediglich der Schaden nach Zeitwert geschuldet ist. Dies ist
385
386
387
388
SVV-Empfehlung Nr. 2/1994; vgl. Anhang.
Zu diesem Problembereich existiert weder Literatur noch Judikatur.
Die pos. Vertragsverletzung bzw. die Schlechterfüllung ist nicht als "fehlerhafte bauliche Konstruktion" zu
qualifizieren, zumal lediglich etwas bereits Bestehendes bei der Vertragserfüllung beschädigt wird.
Die Mehrheit der Eigenschadensversicherer sieht eine sog. Neuwertdeckung vor.
100
nicht selten der Fall, da sich solche fehlerhaften Konstruktionen vor allem zu Beginn der
Inbetriebnahme manifestieren und damit regelmässig Neubauten betroffen sind.
3.
Auswirkungen auf den verursachenden Arbeitnehmer
A.
Ausgangslage
Als Kernpunkt der höchstrichterlichen Ausführungen im „Gini/Durlemann-Entscheid“
muss die Einstufung der Sachversicherung in die mittlere Stufe der haftpflichtrechtlich
geprägten Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR bezeichnet werden.389 Die zweite
wichtige Aussage besteht darin, dass dem Sachversicherer, obschon er auf der gleichen
Stufe wie der Werkvertragshaftende steht, lediglich gegen Letzteren ein Regressrecht
zugestanden wird, wenn die schadensverursachende Handlung als grobfahrlässig einzustufen ist.390 Dadurch wird ein Regress des Sachversicherers im Falle von leichter Fahrlässigkeit nur gestützt auf Art. 41 OR möglich, da über die Werkvertragshaftung im
Sinne von Art. 368 i.V.m. Art. 101 OR in diesem Fall keine Regressmöglichkeit besteht.
Hinsichtlich Versicherungsschutz sehen die AVB der Versicherungen eine empfindliche
Unterscheidung vor:391 In der Haftpflichtversicherung wird zwischen den Regressansprüchen gegenüber den Arbeitnehmern und gegenüber jenen Personen unterschieden,
die mit der Leitung oder der Beaufsichtigung des Betriebes betraut sind. Dies gilt in
Anlehnung an die Regelung von Art. 59 VVG, welche bei der Betriebshaftpflichtversicherung den „gewöhnlichen“ Arbeitnehmer nicht mit einschliesst. Für diese Personengruppe besteht ex lege keine Deckung für Direktansprüche des Geschädigten, zumal Art.
59 VVG lediglich für den Versicherungsnehmer selbst und seine Vertreter sowie für jene
Personengruppe, die mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes betraut ist, also
für sog. Repräsentanten, wie sie in der Lehre392 auch genannt werden, Deckung vorsieht.
Praktisch sämtliche AVB der schweizerischen Versicherungsgesellschaften ziehen den
Personenkreis jedoch weiter und schliessen die Deckung für Haftpflichtansprüche gegen
die Arbeitnehmer zwar mit ein,393 sehen hingegen zugleich einen Regressausschluss
dieser Personengruppe vor. Im Kommentar der damaligen Unfalldirektorenkonferenz
389
390
391
392
393
BGE 80 II 250.
BGE 80 II 255 f.
Der genaue Wortlaut der Klauseln ist im nächsten Abschnitt B oder hinten im Anhang zu finden.
Koenig, PVR, S. 501.
Maurer, PVR, S. 538 f.
101
wird ausgeführt, dass dieser Regressausschluss aufgenommen worden sei, um vor allem
den immer häufiger werdenden Regressansprüchen der Sachversicherer und der SUVA
gegenüber Angestellten und Arbeitern zu begegnen.394
Etwas anderes gilt etwa dann, wenn der Arbeitnehmer zugleich dem Verwaltungsrat
derselben Firma angehört. Wird ein Arbeitnehmer in den Verwaltungsrat gewählt, so
gehört er aus versicherungsrechtlicher Sicht zu den oben angeführten Personen, welche
mit der Leitung des Betriebes betraut sind. Folglich sind Regressansprüche anderer Versicherer gegen diesen Arbeitnehmer, welcher auch Verwaltungsrat ist, grundsätzlich von
der Betriebshaftpflichtversicherung zu decken. Durch die Doppelstellung des Arbeitnehmers verschlechtert sich demnach die Stellung des Betriebshaftpflichtversicherers,
während jene des Arbeitnehmers letztlich verbessert wird.
Mit anderen Worten bedeutet dies, dass, wenn der Geschädigte gegen den Arbeitgeber
direkt vertragliche Haftungsansprüche geltend macht, der Arbeitnehmer für diese sog.
Direktansprüche durch die Betriebshaftpflichtpolice gedeckt ist. Hält sich hingegen der
Geschädigte vorab an seine Sachversicherung, da diese beispielsweise ihm den Neuwert
entschädigt, so beruft sich der Betriebshaftpflichtversicherer des Arbeitgebers im Regress auf die AVB-Klausel „Regress und Ausgleichsansprüche Dritter“. Inwieweit ein
solcher Ausschluss überhaupt vor einer AGB-Auslegung standhält, insbesondere hinsichtlich einer allfällig analogen Anwendung von Art. 321e OR betreffend die gefahrengeneigte Tätigkeit, ist höchst fraglich und wurde vom Bundesgericht bis dato nicht explizit entschieden.395 Trotzdem sieht der VE-Brehm die Beibehaltung des Art. 59 VVG
vor.
B.
Wortlaut der Klausel
Aufgrund der Wichtigkeit dieser Klausel wird auch an dieser Stelle der allgemeine Wortlaut wiedergegeben:
394
395
Kommentar der Unfalldirektorenkonferenz zu den AVB allgemeine Betriebshaftpflichtversicherung vom
22. März 1966.
An dieser Stelle sei jedoch auf das Gutachten von Th. Koller verwiesen, welches die SUVA in Auftrag
gegeben hat; auszugsweise zu finden in: recht 1999, S. 43 ff.; bejahend Müller, S. 99; ebenso Gross, Haftpflichtversicherung, S. 56 f. Diese beiden Autoren gehen von einer stillschweigenden Abmachung unter
den Gesellschaften aus, in der Regel, aus sozialen Gründen, auf solche Arbeitnehmerregresse zu verzichten. Ein solches Entgegenkommen der Versicherer basiert auf reiner Kulanz und lässt sich in keiner Vereinbarung des SVV finden; vgl. dazu auch hinten § 13.
102
„Versichert ist die Haftpflicht …
– des Versicherungsnehmers als Betriebsinhaber …
– des Vertreters des Versicherungsnehmers sowie der mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes betrauten Personen …
– der Arbeitnehmer und übrigen Hilfspersonen des Versicherungsnehmers aus ihren
Verrichtungen für den versicherten Betrieb und aus ihrer Tätigkeit im Zusammenhang mit den versicherten Grundstücken, Gebäuden, Räumlichkeiten und Anlagen.
Nicht versichert sind Regress- und Ausgleichsansprüche Dritter für Leistungen, die
sie den Geschädigten ausgerichtet haben.“
C.
BGE 128 III 76 ff.
i.
Ausgangslage
Die vom Bundesgericht im Entscheid 128 III 80396 gemachten Ausführungen zur Organhaftung im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB gilt es im Folgenden genauer zu untersuchen,
zumal unter anderem SCHAER397aus dem Urteil den Schluss zieht, dass Art. 59 VVG
dadurch zur Makulatur werde. Dies hätte wiederum Auswirkungen auf die hier in Frage
stehende Regressausschlussklausel.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Bei der Reinigung eines vom kantonalen Landwirtschaftsinstitut des Kantons Jura
betriebenen Stalles wurde ein Landwirtschaftslehrling, welcher sich dazu auf einem
4 m hohen Rollgerüst befand, durch einen entweichenden jungen Stier heruntergestossen. Im Stall befanden sich zu diesem Zeitpunkt acht junge Stiere, die von einem
weiteren Lehrling mit einer Heugabel in einer Ecke hätten gehalten werden sollen.
Ein Stier konnte entweichen und das Rollgerüst so unglücklich berühren, dass der
Lehrling vom Gerüst stürzte, was zu schweren Verletzungen führte. Das Gerüst war
396
397
Pra (91) 2002, Nr. 56. Vgl. dazu die Urteilsbesprechung von Beck P., in: HAVE 2002, S. 215 ff.
CaseTex Nr. 4683 zu finden in: <http://www.legalnet/content.html> (besucht am 12. Dezember 2005).
103
nicht mit Bremsen versehen. Zudem hatte es der Betriebschef bzw. der dazu beauftragte Mitarbeiter unterlassen, den Lehrling zu instruieren und zu überwachen.
ii.
Erwägungen des Bundesgerichts
Das Bundesgericht hatte sich in erster Linie mit der in casu gültigen Rechtsgrundlage
bzw. mit dem Verhältnis zwischen kantonalem öffentlichem Staatshaftungsrecht und
dem UVG auseinander zu setzen. Darauf wird hier nicht näher eingegangen. In einem
weiteren Schritt geht das Bundesgericht – für die Prüfung des Regressprivilegs – auf die
Organhaftung des Art. 55 Abs. 2 ZGB ein. Das Bundesgericht argumentiert etwa dahingehend, dass dann, wenn der Arbeitgeber wie im vorliegenden Fall eine juristischen
Person sei, ihm die Handlungen der Organe zuzurechnen seien. Übertrage der Betriebsleiter (in casu Organ) seine Befugnisse an seinen Mitarbeiter, werde dieser gestützt auf
diese Delegation ein Organ des Arbeitgebers.398 Genau diese Ausführungen könnten
unter Umständen für die Auslegung von Art. 59 VVG entscheidend sein, was es im
Folgenden zu untersuchen gilt.
iii.
Stellungnahme
Der guten Ordnung halber wird vom Bundesgericht zunächst festgehalten, dass Handlungen von Organen einer juristischen Person Letzterer auch zugerechnet werden. Viel
interessanter hingegen ist die Aussage über die Delegation von Organkompetenzen:
Wenn ein Organ seine Befugnisse an einen seiner Mitarbeiter überträgt, werde dieser,
gestützt auf diese Delegation, selbst zum Organ des Arbeitgebers bzw. der juristischen
Person. Jede andere rechtliche Konstruktion käme – laut Bundesgericht – der Aussage
gleich, dass eine hierarchische Struktur genüge, um die Haftung des Arbeitgebers abzuschwächen, was nicht annehmbar sei. Aufgrund dieser Feststellung des Bundesgerichts
drängen sich folgende Fragen auf: Wo liegt in haftpflichtrechtlicher Sicht noch der Unterschied zwischen einem Organ und einer Hilfsperson? Sind nicht am Ende sämtliche
Aufgaben, welche Arbeitnehmer ausführen, an sich „delegierte Aufgaben“?
Zunächst gilt es zu überlegen, weshalb denn nicht einfach Art. 55 OR angewendet und
stattdessen der Weg über die Organhaftung eingeschlagen wurde? Nach meinem Dafürhalten wäre die ausservertragliche Hilfspersonenhaftung gemäss Art. 55 OR ohne weite-
398
BGE 128 III 80.
104
res als Haftungsgrundlage zur Verfügung gestanden, hätte jedoch in concreto nicht weitergeholfen, da das Privileg des Arbeitgebers den Regress verhindert hätte.399 Da die
Handlung des beauftragten Mitarbeiters sogar als grobfahrlässig eingestuft wurde und
damit das Regressprivileg an sich nicht in Betracht gekommen wäre, musste eine Haftungsnorm herangezogen werden, bei welcher ein persönliches Verschulden dem Arbeitgeber zugerechnet werden konnte: Dafür eignete sich eben lediglich die Organhaftung
im Sinne von Art. 55 ZGB, welche dann vom Bundesgericht auch bemüht wurde. Eine
extensive Anwendung – etwa auf Hilfspersonen – von Art. 55 Abs. 2 ZGB wird jedoch
von der Doktrin teilweise abgelehnt.400 So werde jemand, welcher lediglich als Vertreter
oder Hilfsperson für die juristische Peron tätig werde, nicht Organ, sondern unselbständiger Weisungsempfänger.401
Des Weiteren drängt sich die Frage auf, weshalb denn nicht die Arbeitgeberhaftung auf
Art. 101 i.V.m. Art. 328 OR abgestützt wurde, da meines Erachtens bei einem Lehrling
kaum an der Hilfspersonenqualität gezweifelt werden kann. Die Antwort liegt nicht
direkt auf der Hand. Der Kreis muss über die Haftung hinaus erweitert werden, und zwar
zur Deckung der Haftpflichtversicherung. Wie noch an anderer Stelle zu zeigen sein
wird,402 fällt die Zurechnungsnorm von Art. 101 OR unter das Kürzungsregime von Art.
14 Abs. 2 VVG, im Gegensatz zur Geschäftsherrenhaftung gemäss Art. 55 OR, welche
unter Art. 14 Abs. 3 VVG subsumiert wird. Bei letzterer Kürzungsbestimmung wird für
eine Leistungsherabsetzung des Versicherers vorausgesetzt, dass die Hilfsperson grobfahrlässig gehandelt und der Anspruchsberechtigte bzw. der Arbeitgeber in der Beaufsichtigung, in der Anstellung oder durch die Aufnahme der Hilfsperson elementarste
Vorsichtsgebote missachtet hat. Dies wurde im vorliegenden Bundesgerichtsentscheid
stillschweigend verneint, während die Haftung nach Art. 101 i.V.m. Art. 328 OR über
Art. 14 Abs. 2 VVG zu einer Leistungskürzung bzw. zu einem Leistungsausschluss
geführt hätte und dadurch der Geschädigte der Bonität der Organe ausgesetzt gewesen
wäre. Die Vermutung liegt nahe, dass deshalb die Lösung über die vertragliche Haftung
nicht in Betracht kam und somit die Organhaftung herangezogen werden musste.
399
400
401
402
Das schuldhafte Verhalten der Hilfsperson im Sinne von Art. 41 OR hätte meines Erachtens mit keiner
juristischen Konstruktion auf den Arbeitgeber projiziert werden können, auch wenn man von der Alternativität zwischen Art. 55 und Art. 41 OR ausgeht. Zum Regressprivileg vgl. vorne § 7 III.
Vgl. dazu Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 19; ZGB-Huguenin, Art. 54/55 N 17 m.w.H.
ZGB-Huguenin, Art. 54/55 N 17.
Vgl. hinten § 10 IV.
105
Im Weiteren fragt sich, ob durch diese doch auf einen weiten Personenkreis angewendete
Organhaftung nicht eine unwillkommene Vermischung zwischen Organ- und Hilfspersonenhaftung erfolgt ist. Die vom Bundesgericht angesprochenen, delegierten Aufgaben
werden in der Urteilsbegründung nicht weiter umschrieben, weshalb davon ausgegangen
werden muss, dass sämtliche Aufgaben, welche an Arbeitnehmer delegiert werden, dem
Grundsatze nach Arbeitgeberaufgaben sind, da Letzterer sich sowohl vertraglich verpflichtet als auch ausservertraglich für seine Hilfspersonen im Rahmen des sog. funktionellen Zusammenhangs gegenüber Dritten einstehen muss. Bis dato unterschied die
Doktrin jedoch Art. 55 Abs. 2 ZGB von Art. 55 OR gerade mithilfe des Begriffs des
Organs der juristischen Person und dem Begriff der Hilfsperson.403 Zudem wird davon
ausgegangen, dass sich die Eigenschaften eines Organs und einer Hilfsperson ausschliessen.404 Als vertretungsrechtliche Organe werden jene Funktionäre einer juristischen
Person bezeichnet, die nach Gesetz, nach Statuten oder gemäss einem von diesen abgeleiteten Reglement zur Erfüllung gewisser Aufgaben bestimmt sind, oder auch jene, die
de facto solche Aufgaben in erkennbarer Weise selbständig erfüllen405 – ein sog. faktisches Organ bzw. ein sog. faktischer Verwaltungsrat.
Angewendet auf das hier zur Diskussion stehende Urteil bedeutet dies eine Ausdehnung
der Hilfspersonenhaftung im Sinne von Art. 55 OR auf all jene Fälle, bei welchen das
Verschulden bewiesen werden kann. Ob diese Konsequenz de jure vom Bundesgericht
so gewollt war, ist meines Erachtens zurzeit fraglich, und es bleibt abzuwarten, ob dieses
Urteil bestätigt wird. Jedenfalls sollte nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, dass
dadurch Art. 59 VVG zur Makulatur werde, obschon – wie aus den bereits erfolgten
Ausführungen mehrfach resultiert – ein solches Ergebnis an sich wünschenswert wäre.
Nichtsdestoweniger darf dennoch davon ausgegangen werden, dass das Bundesgericht
durchaus gewillt ist, gewünschte Ergebnisse auch in den Gesetzen de lege lata zu konstruieren, obschon an sich andere Haftungsnormen zur Auswahl ständen, aber in casu zu
keiner oder zu keiner befriedigenden Geldleistung geführt hätten.
403
404
405
Statt vieler: Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 14.
Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 14; Rey, N 971.
Oftinger/Stark, II/1, § 20 N 15 mit weitergehenden Ausführungen.
106
4.
Sog. Umkehrregress
A.
Ausgangslage
In der Versicherungswirtschaft versteht man unter dem sog. Umkehrregress zweierlei:
Weil der Versicherer wegen des „Gini/Durlemann-Urteils“ auf die Stufe der aus Vertrag
Haftenden gesetzt worden war, kam die Idee auf, diese Einstufung müsse per se gelten,
sodass einerseits bei Vorliegen einer leichten Fahrlässigkeit des Unternehmers oder
seiner Hilfspersonen stets der Sachversicherungsvertrag zu belasten sei, selbst dann,
wenn dessen Betriebshaftpflichtversicherer den Schaden zuerst reguliert hat. Diese Ansicht figuriert unter dem Begriff des sog. umgekehrten Gini/Durlemann. Andererseits
führt eine extensive Auslegung des „Gini/Durlemann-Entscheides“ teilweise zur Überzeugung, dass der Kausalhaftpflichtige oder sein Haftpflichtversicherer auf den Sachversicherer regressieren könne und dies auch entgegen dem Willen des geschädigten Versicherungsnehmers. Dies entspricht dem sog. Umkehrregress.
Die folgenden Sachverhalte sollen die beiden Konstellationen verdeutlichen:
1.
Regress des Tierhalters auf den Kaskoversicherer oder die private Krankenversicherung: Das Tier des Halters X verletzt das Kind Y schwer. Vorausgesetzt, es kommt
Art. 41 OR alternativ zu Art. 56 OR nicht in Betracht, versucht der in Anspruch genommene Haftpflichtversicherer Regress auf die private Krankenkasse zu nehmen.
2.
Regress des Werkeigentümers auf den Kaskoversicherer: In einem Autobahntunnel fällt plötzlich eine Beleuchtung auf das Fahrzeug des X. Der aufgrund von Art. 58
OR leistende Betriebshaftpflichtversicherer versucht, den Schaden regressweise auf die
Kaskoversicherung abzuwälzen.
3. Regress des Produktehaftpflichtversicherers auf die Feuerversicherung: Infolge eines
technischen Defekts eines neuen Fernsehgeräts kommt es zu einem Brandschaden an
Gebäude und Fahrhabe des Geräteeigentümers. Die Produktehaftpflichtversicherung des
Herstellers hält den Geschädigten im Rahmen des Zeitwertes schadlos und versucht nun,
die erbrachten Leistungen regressweise bei der Gebäude- bzw. bei der Fahrhabeversicherung geltend zu machen.
4.
Regress des Betriebshaftpflichtversicherers auf die Wasserversicherung: Der
Handwerker Z bohrt versehentlich in eine Wasserleitung. Die Betriebshaftpflichtversi107
cherung des Arbeitgebers des Z will – gestützt auf den „Gini/Durlemann-Entscheid“ –
Regress auf die Wasserversicherung des Gebäudeeigentümers nehmen mit dem Argument, wenn Letztere als Erste geleistet hätte, ihr der Regress bei leichter Fahrlässigkeit ja
auch nicht zugestanden hätte.
B.
Rechtliche Auseinandersetzung
i.
Allgemeines
Die obigen Beispiele haben alle zwei Gemeinsamkeiten: Zum einen trägt letztlich immer
der Geschädigte selbst, zwar über seine Versicherungspolice, den erlittenen Schaden,
und zum andern anerbietet sich eine Regressmöglichkeit nur bei Vorhandensein einer
Eigenschadensversicherung seitens des Geschädigten. Die Beispiele zeigen die heutigen
Missstände im privatrechtlichen Regresssystem deutlich auf. Es ergibt nämlich keinen
Sinn, die Regressmöglichkeit von der Zufälligkeit abhängig zu machen, ob der Geschädigte selbst gegen den Schaden versichert ist oder nicht. Der Geschädigte schloss mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seine Eigenschadensversicherung nicht für
Ereignisse ab, bei denen er einen Haftpflichtigen belangen könnte, sondern für jene
Risiken, die sich ohne haftpflichtbegründeten Dritteinfluss verwirklicht haben. Zu denken ist namentlich an Schäden infolge von Elementarereignissen, aufgrund defekter
Gebäudeteile oder leichten Selbstverschuldens.
Der Gedanke des Bundesgerichts, durch haftpflichtige Dritte verursachte Schäden seien
bei der Prämienkalkulation mit berücksichtigt, greift zu kurz, zumal die Prämie der Preis
dafür ist, dass der Versicherer als Gegenleistung die Gewährung des Versicherungsschutzes eines bestimmten Risikos übernimmt.406 Die Prämie wird dabei nach den Gesetzen der Statistik berechnet, unter Berücksichtigung der Gesamtheit der in einem Risikokollektiv versicherten Personen. Diese Personengruppe bringt durch Leistung ihrer
Prämien das Kapital für Schäden auf, welche durch das beschriebene Risiko entstanden
sind. Aus diesen Grundsätzen ist unzweifelhaft die Relation zwischen der Prämienhöhe
und der Anzahl der eingetretenen Schäden ersichtlich.407 Werden somit noch Schäden,
welche durch haftpflichtige Dritte verursacht wurden, gedeckt, so gibt es eine ungewollte
Verschiebung von der Haftpflichtversicherungs- auf die Sachversicherungsseite, welche
406
407
Vgl. etwa Maurer, PVR, S. 288 ff.
Gl.M. war auch das BGer im BGE 63 II 156.
108
letztlich nicht von den Versicherern, sondern von den Versicherungsnehmern zu tragen
ist.408 Indem nun eindeutige Haftpflichttatbestände über eine Eigenschadensversicherung
endgültig reguliert werden, müssen mehr und grössere Risiken gezeichnet werden. Dadurch steigt die Prämienbelastung der einzelnen Versicherungsnehmer an – oder der
Versicherungsnehmer geht gar eines Schadenfreiheitsrabatts verlustig. Dies ist letztlich
ein Zirkelschluss: Kausalhaftpflichtfälle und leichtfahrlässig verursachte Schäden werden dadurch auf die Eigentümer bzw. die Besteller abgewälzt. Dieses Resultat entbehrt
meines Erachtens jeglicher Gerechtigkeit, und ebenso fehlt die Logik. Dies entspricht
kaum dem Willen des Gesetzgebers.409 Zudem erhält der Haftpflichtversicherer auch
eine Prämie für die Risikoabdeckung von Vermögenseinbussen seines Versicherungsnehmers infolge verursachter Schäden.
ii.
Zum „umgekehrten Gini/Durlemann“
Das Hauptargument, welches hier von den Befürwortern ins Feld geführt wird, liegt
darin, dass der Sachversicherer, hätte er als Erster geleistet, bei Vorliegen einer leichtfahrlässigen Handlung der Hilfsperson ja auch nicht hätte regressieren können.
Da – wie bereits an anderer Stelle aufgeführt410 – der Versicherer nur schlecht in die
Regressordnung von Art. 51 Abs. 2 OR hineinpasst und der gesetzgeberische Wille
aufgrund der veränderten Sozialversicherungssysteme sich nicht mehr so eindeutig für
die heutige Zeit interpretieren lässt, wäre es nicht einzusehen, dass man den Regress des
Betriebshaftpflichtversicherers des leichtfahrlässig handelnden Handwerkers auf den
Sachversicherer zuliesse; dies – notabene – alles gestützt auf den „Gini/DurlemannEntscheid“.
Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang übersehen, dass sich die Hilfsperson selbst
haftpflichtig im Sinne von Art. 41 OR gemacht hat. Dass der Werkvertrag i.V.m. Art.
101 OR überhaupt bemüht werden muss, gründet, wie bereits ausgeführt, darin, dass
Regress- und Ausgleichsansprüche Dritter nicht zugelassen werden. Gerade schon in der
begründeten Verschuldenshaftung des Verursachers ist der Widerspruch zur Theorie des
„umgekehrten Gini/Durlemann“ ersichtlich und einleuchtend.
408
409
410
So auch Oftinger/Stark, I, § 11 N 74, Fn 81.
Aus Sicht der Sozialversicherung (SUVA) so auch Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 30.
Vg. Vorne § 9.
109
iii.
Zum Umkehrregress
Vorab kann festgehalten werden, dass in all jenen Fällen, in welchen der kausalhaftpflichtige Verursacher ein zusätzliches Verschulden411 zu vertreten hat, ein Regress des
Kausalhaftpflichtigen nicht in Frage kommt, vorausgesetzt, man vertritt, wie in der vorliegenden Arbeit favorisiert, das Prinzip der Alternativität.
Diese Ansichten über die Rechtsstellung des Privatversicherers im Regress sind bekanntlich kontrovers, und die obige, extensive Auslegung des „Gini/Durlemann-Entscheides“
steht auch im Widerspruch zur allgemeinen, sich verstärkenden ablehnenden Haltung
gegenüber diesem Urteil und ebenso gegenüber der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2
OR. Der Sachversicherer wird sodann – wie noch zu zeigen sein wird – als ursachenloser
Ersatzpflichtiger betrachtet, weil lediglich eine Leistungs-, jedoch keine Haftpflicht
besteht.412
Das Bundesgericht äusserte sich im BGE 114 II 345 zur vorliegenden Problematik in
dem Sinne, dass es den Regress des aus Vertrag Haftpflichtigen auf den Versicherer
grundsätzlich zuliesse. Diese Äusserung darf aber nicht ohne Berücksichtigung des Kontextes gelesen werden, handelt es sich doch beim vorliegenden Urteil um einen Spezialfall. Der Vermieter hat nämlich den Kaskoversicherungsvertrag zugunsten des Mieters
abgeschlossen, was sich im Übrigen auch darin zeigt, dass der Mieter für die Prämien
aufzukommen hat. Auch das vor wenigen Jahren ergangene Urteil BGE 126 III 521 ff.
zeigt deutlich, dass vertraglich Leistungspflichtige – in casu der Arbeitgeber – zwar im
Aussenverhältnis als mögliche Schuldner ins Recht gefasst werden können, aber im
Innenverhältnis nicht in die Kaskadenordnung von Art. 51 Abs. 2 OR subsumiert werden
dürfen. Dieses Urteil lässt den Analogieschluss zum Versicherungsvertrag ohne weiteres
zu mit dem Resultat, dass auch der Sachversicherer als ursachenloser Leistungspflichtiger keine Solidargemeinschaft im Sinne des OR bildet.413
Ebenso darf nach meinem Dafürhalten der Wille des Geschädigten nicht umgangen oder
gar missachtet werden: Wenn der Geschädigte sich für den beschwerlicheren Weg der
Durchsetzung des Haftpflichtanspruches entscheidet, wäre es unbillig oder rechtsmissbräuchlich im Sinne von Art. 2 ZGB, wenn der belangte Haftpflichtversicherer den Geschädigten in einem zweiten Schritt wieder via Eigenschadensversicherung „belangen“
411
412
413
Vgl. dazu vorne § 1 I.
Vgl. dazu § 9 III 2.
Vgl. hinten § 9 III 2.
110
könnte. Ein solcher Umkehrregress käme einer Schadloshaltung des Haftenden zulasten
der freiwilligen Vorsorgeabsicherung des Geschädigten gleich.
iv.
Aktiv- und Passivlegitimation beim Umkehrregress
Im Folgenden gilt es zu prüfen, ob der Sachversicherer im Regressprozess des subrogierenden Haftpflichtversicherers passivlegitimiert ist, also bezüglich des strittigen Rechts
überhaupt beklagt werden kann. Oder anders gefragt: Ist der Haftpflichtversicherer für
den Regressprozess aktivlegitimiert?
Die Prüfung der Legitimation erfolgt frei und von Amtes wegen.414 Die Passivlegitimation ist dann zu bejahen, wenn die klagende Partei einen Anspruch direkt gegenüber dem
Beklagten hat. Ob im Fall des BGE 114 II 342 ff. de jure eine Subrogation stattgefunden
hat oder ob vielmehr dem Mieter ein eigener Versicherungsanspruch zugestanden wurde,
resultiert nicht schlüssig aus der Urteilsbegründung. Somit kann festgehalten werden,
dass mit BGE 114 II 342 ff. der Regress auf den Kaskoversicherer zugelassen worden
wäre, die Frage nach der Passivlegitimation jedoch nicht explizit bejaht wurde.
Der Tribunal Cantonal JU nimmt zu einem Schadenversicherungsregress gegen einen
aus Art. 58 SVG Haftpflichtigen im Urteil vom 29. September 1989415 wie folgt Stellung: „Il ne s’agit pas à proprement parler d’un problème de qualité pour défendre, mais
d’une répartition interne des responsablilités.“ Aus dem Kontext dieser Aussage könnte
gefolgert werden, dass Streitigkeiten im Innenverhältnis nie mit einer Passivlegitimation
zu tun haben. Meines Erachtens darf jedoch dieser Satz nicht für den umgekehrten Fall
verwendet werden: den Regress des Kausalhaftpflichtigen auf den Versicherungsvertrag.
Das Gericht spricht auch nicht von einer Allgemeingültigkeit.
Der Geschädigte, welcher auf die Geltendmachung der Sachversicherungsleistungen
„verzichtet“ und stattdessen den Haftpflichtigen in Anspruch nimmt, gibt dadurch mindestens konkludent zum Ausdruck, dass er das Rendement seiner Versicherungspolice
nicht belasten möchte. Dies ist für alle Beteiligten nach Treu und Glauben ohne weiteres
ersichtlich, weshalb es dem Vertrauensgrundsatz widerspräche, wenn man den Umkehrregress oder den „umgekehrten Gini/Durlemann“ zulassen würde. Nach meinem Dafür-
414
415
BGE 126 III 63.
Tribunal Cantonal JU, Entscheid vom 29. September 1989, in: SGW 1989, Nr. 56, S. 4 f.
111
halten ist der Sachversicherer sogar aus dem Versicherungsvertragsverhältnis – im Sinne
der Nebenpflichten (Sorgfalts- und Treuepflichten) – gehalten, den Willen des Versicherungsnehmers zu respektieren. Wird dennoch gegen dessen Willen gehandelt, läge unter
Umständen gar eine Vertragsverletzung gemäss Art. 97 OR vor. Zudem bestünde bei
Bejahung des Umkehrregresses für den Geschädigten die Ungewissheit, inwieweit der
Selbstbehalt, welcher durch die Zahlung des Sachversicherers ausgelöst würde, unter das
Quotenvorrecht fiele.416
C.
Ergebnis
Wie aus den obigen Darlegungen resultiert, sind sich die Lehre und auch die Rechtsprechung zum Umkehrregress nicht schlüssig. Aufgrund des neuesten Urteils BGE 126 III
521 ff. kann jedoch gefolgert werden, dass analog zum Arbeitgeber der Sachversicherer
im Aussenverhältnis zwar wie ein Solidarschuldner mit einzubeziehen ist, im Innenverhältnis hingegen nicht mehr belangt werden kann. Umgekehrt kann der aus dem Versicherungsvertrag belangte Versicherer jedoch ohne weiteres Ansprüche gegen andere
Haftpflichtige regressweise geltend machen. Ebenso dürfte in einem Regressprozess die
Passivlegitimation des Sachversicherers grundsätzlich nicht gegeben sein. Eine Ausnahme besteht etwa dann, wenn der leichtfahrlässig handelnde Haftpflichtige die Prämien
mindestens mitbezahlt hat.
Zusammenfassend werden im Folgenden „Pro und Contra“ des Umkehrregresses zusammengestellt:
Contra Umkehrregress:
a) Der Sachversicherer ist neutraler Leistungspflichtiger und nicht Haftpflichtiger im
Sinne des Haftpflichtrechts, weshalb eine Zuteilung auf die Stufe Vertrag im Sinne von
Art. 51 Abs. 2 OR nicht sachgerecht ist. Eine extensive Auslegung von BGE 80 II 247
ff. ist weder gerechtfertigt noch je vom Bundesgericht so interpretiert worden. Im Gegenteil: Das Bundesgericht hat in BGE 63 II 156 einen Regress des Eigenschadensversicherers auf den aus Art. 58 OR Haftpflichtigen explizit bejaht.
416
Diese Frage wird vorne in § 7 I 5 erörtert.
112
b) Das Bundesgericht lässt in analogen Situationen für vertraglich Leistungspflichtige
das integrale Regressrecht zu.
c) Der Wille des Geschädigten ist zu respektieren und darf nicht über das Regressrecht
umgangen werden.
d) Der vertragliche Anspruch des Geschädigten gegenüber seinem Versicherer aus der
Versicherungspolice subrogiert nicht. Der Haftpflichtversicherer tritt vielmehr in die
Position seines Versicherungsnehmers als alter ego.
Pro Umkehrregress:
a) Das VVG selbst spricht im Zusammenhang mit den Leistungen des Schadensversicherers von Haftpflicht.
b) Durch die Einstufung des Schadensversicherers in Art. 51 Abs. 2 OR resultiert ein
Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis.
III.
Kritik an der geltenden Praxis
1.
Allgemeines
Aus der obigen Darlegung und Auseinandersetzung geht eindeutig hervor, dass die heutige Regresspraxis nicht zu befriedigen vermag, obschon durch den BGE 126 III 521 ff.
durchaus Hoffnung auf eine Praxisänderung besteht. Sowohl der Eigenschadensversicherer bzw. der Versicherungsnehmer als auch der Arbeitnehmer werden erheblich benachteiligt. Das Nebeneinander von einer allgemeinen Regressregel und einer spezialgesetzlichen Subrogationsnorm verhindert de facto eine sachgerechte Lösung, was aber de jure
nicht so sein müsste. Der Gesetzgeber ist gefordert, das Regressrecht im Bereich des
Privatrechts zu koordinieren.417 Aufgrund der erfolgten Analyse können die folgenden
zwei Thesen aufgestellt werden:
417
Ebenso OR-Schnyder, Art. 51 N 23.
113
2.
Schadensversicherer als haftungsloser Leistungspflichtiger
In systematischer Sicht steht die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR unter dem Titel
„unerlaubte Handlung“. Diese Gesetzesbestimmung regelt die Regressordnung bzw. das
Innenverhältnis unter den Haftpflichtigen, welche den Schaden verursacht haben. Der
Eigenschadensversicherer ist für den Schaden haftpflichtrechtlich nicht verantwortlich,
sondern hat vielmehr die Übernahme eines genau umschriebenen Risikos versprochen,
was der vertraglichen Leistungspflicht des Versicherers entspricht. Oft wird hingegen
fälschlicherweise davon gesprochen, der Versicherer hafte gegenüber dem Geschädigten.418 Richtigerweise spricht SCHAER hinsichtlich des Schadensversicherers auch vom
neutralen Ersatzpflichtigen.419 Auch der Sozialversicherer wird in der Doktrin als neutraler Ersatzpflichtiger bezeichnet.420
Meines Erachtens ist dieser Begriff von SCHAER im Resultat zwar richtig, aber nicht
ganz korrekt. Dies gilt deshalb, weil der Versicherer nicht ersatzpflichtig ist. Ein Ersatzpflichtiger leistet entweder im Rahmen des Deliktrechts, also ausservertraglich, oder er
erbringt eine vertragliche Sekundärleistung. Der Eigenschadensversicherer erbringt bei
Realisierung des übernommenen Risikos eine Vertragsleistung, die sog. Primärleistung.421 Deshalb ist nach meinem Dafürhalten dem Begriff „haftungsloser oder neutraler
Leistungspflichtiger“ den Vorzug zu geben.
Auf jeden Fall steht fest, dass solche Vertragspflichtige nicht in die Regresskaskade
unter die Haftpflichtigen subsumiert werden können, wozu denn auch kein Anlass bestünde, sieht doch das Spezialgesetz in Art. 72 VVG den Rückgriff des Schadensversicherers vor.
3.
Integrales Regressrecht für den Eigenschadensversicherer
Die bisherigen Ausführungen zeigen zweierlei: Zum einen kann festgehalten werden,
dass die Auslegung des derzeitigen Regressrechts hinsichtlich des Eigenschadensversicherers nicht sachgerecht ist. Zum anderen ist ein integrales Regressrecht bereits de lege
418
419
420
421
So etwa Stein, S. 708.
Schaer, Grundzüge, N 477 ff.
Läubli, Koordination, S. 172.; ferner auch Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1085.
Die gesetzliche Ersatzpflicht des Sozialversicherers ist wohl ebenfalls als Leistungspflicht aufzufassen.
Hier spielt die Unterscheidung im Ergebnis keine Rolle, da das integrale Regressrecht in Art. 72 ATSG
statuiert ist.
114
lata mittels entsprechender Auslegung von Art. 72 Abs. 1 VVG denkbar, analog der
Rechtsstellung des Sozialversicherers gemäss Art. 72 ff. ATSG. Die Subrogation hat
hingegen – im Gegensatz zur Stellung des Sozialversicherers – nicht bereits zum Zeitpunkt des Ereignisses zu erfolgen, sondern mit Erbringung der Leistung. Dies ist der eine
Weg für ein integrales Rückgriffsrecht de lege lata, welcher unter Umständen auch vom
Bundesgericht beschritten wird.
Einen anderen Weg gehen OFTINGER/STARK mit der sektoriellen Verteilung, wonach
alle rechtlich relevanten Ursachen zusammen in einem Kreis berücksichtigt werden und
jeder Ursache, nach Massgabe des Einflusses auf den Schaden, ein Sektor zugeteilt
wird.422 Dabei werden die Schadensversicherer im Innenverhältnis aus diesem Kreis
herausgenommen, und es wird ihnen ein Regressrecht gegen sämtliche Haftpflichtigen
zugestanden.423 Dieser Weg entspricht im Ergebnis dem integralen Regressrecht.
In ähnlicher Weise plädiert RUMO-JUNGO für ein integrales Regressrecht, indem die
Autorin den Wortlaut von Art. 51 Abs. 2 OR als Hinweis für eine verhältnismässige
Verteilung des Schadens und nicht als ausschliessliche Zuteilungsnorm versteht.424
BREHM macht den Lösungsvorschlag, den Regress beim entgeltlichen Vertrag grundsätzlich zuzulassen, wobei er für eine gleichmässige Teilung zwischen dem nicht schuldigen
Vertragspartner des Geschädigten und dem Versicherer plädiert. Kein Regressrecht soll
hingegen beim unentgeltlichen Vertrag gewährt werden.425 Dieser Vorschlag ist ein
Fortschritt gegenüber der heutigen Praxis, lässt aber im Ergebnis den Verursacher trotzdem von einer Versicherungsleistung profitieren, deren Prämien er nicht mitfinanziert
hat.426
STEIN legt zunächst den heutigen Stand der Lehre bezüglich der Regressmöglichkeit des
Schadensversicherers dar427 und begrüsst im Ergebnis seiner Abhandlung die im VE
HPG vorgeschlagene Regressbestimmung.428
422
423
424
425
426
427
428
Oftinger/Stark, I, § 9 N 12 ff.
Oftinger/Stark, I, § 11 N 74 f.; vgl. dazu auch vorne § 6 IV.
Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 617; Rumo-Jungo, Haftpflicht, N 1087.
BK-Brehm, Art. 51 N 124 ff.
Ablehnend auch Stein, S. 710 m.w.H.
Stein, S. 710.
Stein, 715 f.
115
Um Klarheit zu schaffen, ist eine Modifizierung der Regressbestimmungen des VVG
erforderlich.
§ 10. Regress des Sachversicherers
I.
Allgemeines
Als Schadensversicherer fällt der Sachversicherer unter die Regressbestimmung von Art.
72 Abs. 1 VVG. Der Sachversicherer ist Eigenschadensversicherer. Im Zusammenhang
mit Fahrzeugen spricht man diesbezüglich von der Kaskoversicherung.429
Die Regressproblematik des Eigenschadensversicherers wurde bereits ausführlich dargelegt.430 Im Folgenden werden spezielle Regress- bzw. Versicherungsvertragskonstellationen aufgezeigt, und es wird nach einer Lösung gesucht.
II.
Regress des Gebäudeversicherers auf Mieter
1.
Ausgangslage
Eine spezielle Regresskonstellation zwischen Gebäudeversicherern und Mietern ergibt
sich dann, wenn der Mieter die ihm durch Mietvertrag anvertraute Sache infolge einer
fahrlässigen Handlung beschädigt und dadurch die mietvertraglichen Sorgfaltspflichten
verletzt. Für gewisse Schäden, insbesondere Brand- und Wasserschäden, besteht Deckung bei einer Gebäudeversicherung, welche durch den vermietenden Eigentümer abgeschlossen wurde. Das Besondere daran ist, dass sich der Mieter realiter regelmässig
über den Mietzins – bewusst oder unbewusst – an dieser Sachversicherung bezüglich des
gemieteten Objekts finanziell beteiligt, zumal kein wirtschaftlich handelnder Eigentümer
und Vermieter diesen Aufwand nicht in den Mietzins mit einbezieht.431 Soweit die Abwälzung über den Mietzins erfolgt, ist in mietrechtlicher Sicht dagegen nichts einzuwenden, zumal die Versicherungsprämien als Betriebskosten des Vermieters gelten, die
zusammen mit weiteren Liegenschaftskosten durch den Mietzins auf die Mieterschaft
429
430
431
Maurer, PVR, S. 519.
Vgl. vorne § 5 ff.
So auch KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7).
116
überwälzt werden können;432 einzig über die Nebenkosten dürfen die Gebäudeversicherungsprämien dem Mieter nicht belastet werden.433
Durch diese Mitfinanzierung der Versicherungsprämie ist der Mieter nicht irgendein
Dritter in Bezug zum Eigentümer und zu dessen Versicherer, sondern steht in einem
Vertragsverhältnis. Beschädigt der Mieter fahrlässig die gemietete Sache, so stellt sich
die Frage, inwieweit sich diese Art Sonderbeziehung auf die Haftpflicht und den Regress
auswirkt.434
2.
Aus Sicht der Privatversicherer
A.
Lehre und Rechtsprechung bezüglich leichtfahrlässiger Verursachung
Bis Ende März 2005 existierte eine Empfehlung des SVV, wonach der Sachversicherer
keine Regresse auf den schadenverursachenden Mieter durchführt, soweit eine leichtfahrlässige Schadensverursachung in Frage steht.435 Diese Praxis basiert auf der obgenannten Überlegung, dass der Mieter regelmässig mit dem Mietzins die Prämie der Gebäudeversicherung seines Vermieters mitfinanziert. Dadurch wird der Gebäudeversicherungsvertrag de facto zu einem Vertrag zugunsten Dritter436, bzw. der Mieter ist analog
zum Versicherungsnehmer bzw. zum Eigentümer im Sinne von Art. 14 VVG zu behandeln. Auch wenn diese Empfehlung heute nicht mehr in Kraft ist, so darf davon ausgegangen werden, dass die meisten Privatversicherer auch weiterhin dieselbe Praxis wie
vor der Aufhebung verfolgen werden.
Das Bundesgericht hat in BGE 65 II 262 den bis heute geltenden unbestrittenen Grundsatz im Schadensausgleichsrecht festgelegt, wonach ein ermächtigter Besitzer einer
Sache, welcher die Prämien für die Schadensversicherung selbst bezahlt, durch diesen
eigenfinanzierten Versicherungsschutz so weit von der Haftung befreit wird, als die
Versicherung für den Schaden aufkommen muss. Das Bundesgericht hat diese Praxis in
432
433
434
435
436
Lachat/Stoll/Brunner, S. 298.
Statt vieler: Lachat/Stoll/Brunner, S. 214 f.
Wenn im Folgenden die Rede von Schäden am Mietobjekt ist, so sind nur jene gemeint, welche unter die
Deckung der Gebäudeversicherung fallen.
Vgl. Empfehlung Nr. 17/1999 im Anhang.
Vgl. Art. 112 OR.
117
BGE 114 II 342 ff.437 bestätigt, wenn auch etwas verschlüsselt. Diesem Entscheid liegt
der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die X SA vermietet Y ein Auto, wobei eine Kaskoversicherung abgeschlossen wurde. Y verursacht schuldhaft einen Schaden am gemieteten Fahrzeug. Die X SA weigert sich, den Schaden über die Kaskoversicherung zu regulieren und macht Y direkt haftbar.
Das Bundesgericht hiess den Schadenersatzanspruch gegen Y gut, bejahte jedoch grundsätzlich den Regressanspruch des Mieters gegen den Kaskoversicherer. Dies rechtfertige
sich umso mehr, als im Mietzins nach allgemeiner Lebenserfahrung die Kaskoversicherungsprämien mit berücksichtigt seien. Dieser Entscheid kann im Grundsatz per Analogieschluss auch auf andere Mietverhältnisse – insbesondere auf Wohnungsmieten –
angewendet werden.438
In der Lehre wird der Regress auf einen haftpflichtigen Dritten, welcher die Versicherungsprämie bezahlt hat, ebenfalls mehrheitlich abgelehnt, soweit der Schaden auf einer
leichtfahrlässigen Handlung basiert: So wird regelmässig von einem stillschweigenden
Regressverzicht ausgegangen. Ein Regress des Sachversicherers wäre nach OFTIN439
GER/STARK sogar rechtsmissbräuchlich.
Gemäss SCHAER ist es gar „eine Selbstverständlichkeit und bedarf keiner weiteren Rechtfertigungsgründe“, dass dem Mieter, welcher die Prämien für die Schadensversicherung bezahlt, die vom Schadensversicherer
erbrachten Leistungen an eine allfällige Haftpflichtforderung anzurechnen sind.440 Ebenso ist es für HONSELL mit der geltenden Rechtsordnung unvereinbar, „denjenigen mit der
Regressforderung zu belasten, der die Prämie bezahlt hat“.441
437
438
439
440
441
Pra (79) 1990, Nr. 168.
A.M. KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7).
Oftinger/Stark, I, § 11 N 58. Sich an diese Auffassung anlehnend auch BK-Brehm, Art. 51 N 82a.
Schaer, Schadensversicherer, S. 106.
Honsell, Regress, S. 577.
118
B.
Lehre und Rechtsprechung bezüglich grobfahrlässiger Verursachung
Verursacht der Mieter den Schaden am Mietobjekt grobfahrlässig, so ist grundsätzlich
unbestritten, dass aufgrund der Subrogation ein Regress des leistenden Eigenschadensversicherers möglich ist. Fraglich ist einzig, in welchem Umfang der Rückgriff zu erfolgen hat.
Bei konsequenter Anwendung des obigen Analogieschlusses zwischen Mieter und Eigentümer drängt sich überdies die Frage auf, ob sich die Haftung tatsächlich auf die
ganze erbrachte Leistung nach Zeitwert oder ob sich der Regress nicht vielmehr lediglich
auf den Umfang der Kürzungsmöglichkeit nach Art. 14 Abs. 2 VVG erstreckt.442 Ist der
Mieter haftpflichtversichert, wird der Versicherer überdies, im Sinne von Art. 14 Abs. 2
VVG und gestützt auf die AVB, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Grobfahrlässigkeitskürzung anbringen.
C.
Stellungnahme
i.
Vorbemerkungen
Nach meinem Dafürhalten beschränkt sich die vorliegende Diskussion auf jene gemieteten Objekte und Räume, welche auch de jure im Besitz bzw. in der Sachherrschaft des
Mieters sind. Nur hier finanziert der Mieter die Gebäudeversicherungsprämie mit. Somit
kommen etwa in Frage: die Mietwohnung und die in einem Mehrfamilienhaus gemeinschaftlich genutzten Räume; nicht aber Wohnungen Dritter innerhalb desselben Gebäudes.
ii.
Ad leichter Fahrlässigkeit
Die ehemalige Regelung des SVV überzeugt und hält auch – wie dargelegt – einer teleologischen Auslegung und entsprechend analogen Anwendung von Art. 14 VVG stand,
zumal unter anderem Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist, den leichtfahrlässig handelnden Versicherungsnehmer nicht mit Kürzungen zu belasten. Zudem begründet meines Erachtens die vertragliche Sonderbeziehung zwischen Mieter und Eigentümer ein
442
So etwa Schaer, Schadensversicherer, S. 104, 110, wo von „virtueller Grobfahrlässigkeitskürzung“ die
Rede ist.
119
Regressprivileg gemäss Art. 72 Abs. 3 VVG, da der Eigentümer für die Handlungen des
Mieters, im Sinne der Hilfspersonenhaftung von Art. 101 OR, einzustehen hat.443 Deshalb korrespondiert Art. 72 Abs. 3 VVG mit der Bestimmung von Art. 14 Abs. 3 und 4
VVG. Es verändert die Stellung des Schadensversicherers ja nicht, ob nun der Versicherungsnehmer selbst oder ein berechtigter Dritter den Schaden leichtfahrlässig angerichtet
hat. Würde man diesen Regress auf den Mieter zulassen, so hätte dies eine Risikoverminderung zur Folge, jedoch bei gleich bleibender Prämie. Bewohnt der Eigentümer das
Mietobjekt nicht selbst, so kämen alle Risiken, welche vom Benutzer ausgehen, nicht
mehr in Betracht. Somit würde der Versicherer alleine von der Tatsache der Vermietung
des Objektes profitieren, ohne dass dadurch der Versicherungsnehmer eine Prämienreduktion erfahren würde.444
Wird ein Mieter bei der Nutzung seines Mietobjektes gestört, so steht ihm grundsätzlich
eine Klage aus Besitzesstörung gemäss Art. 928 ZGB zu. Er wird in aller Regel diesen
Rechtsbehelf der Verantwortlichkeitsklage im Sinne von Art. 679 ZGB vorziehen, da
einige Kantone für den Besitzesschutzprozess ein summarisches Verfahren vorsehen.445
Dennoch ist für die vorliegende Problematik von Interesse, dass bezüglich Art. 679 ff.
ZGB, indem vom Nachbarn oder vom Eigentümer die Rede ist, der Nachbarbegriff weit
gefasst wird.446 So wird die Aktiv- und die Passivlegitimation neben dem Grundeigentümer ebenso auf jene Personen ausgedehnt, welche ein beschränktes dingliches oder ein
obligatorisches Recht an der Immissionsquelle haben.447 Würde man streng der grammatikalischen Auslegung folgen, wären Mieter nicht legitimiert. Was jedoch im ZGB als
gefestigtes Recht gilt, wird in anderen Rechtsgebieten noch bestritten, dies, obschon die
beiden Sachverhalte vergleichbar sind.
Somit kann festgehalten werden, dass es sachgerecht ist, den Mieter, welcher leichtfahrlässig das gemietete Objekt beschädigt, bezüglich der Regresse des Sachversicherers
analog dem Eigentümer des Objektes zu behandeln.
443
444
445
446
447
Gl.M. VVG-Graber, Art. 72 N 60. Das Privileg basiert nicht auf einer häuslichen Gemeinschaft, was vom
KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7), zu Recht abgelehnt wird.
So auch Honsell, Regress, S. 577 f., wonach Art. 72 VVG eben einer interessengerechten Interpretation
unterzogen werden müsse.
Schmid/Hürlimann-Kaup, N 250.
So etwa Schmid/Hürlimann-Kaup, N 958 ff.
Für die Passivlegitimation vgl. BGE 104 II 19 ff. Für die Aktivlegitimation vgl. BGE 109 II 304;
Schmid/Hürlimann-Kaup, N 959.
120
iii.
Ad grober Fahrlässigkeit
Hat der Mieter grobfahrlässig das Mietobjekt beschädigt, so kommt das Regressprivileg
von Art. 72 Abs. 3 VVG nicht zur Anwendung. Damit ist aber nicht gesagt, wie weit die
Subrogation des Eigenschadensversicherers reicht. Aus den obigen Darlegungen resultiert unter anderem, dass der Eigenschadensversicherer am Ende weder besser noch
schlechter gestellt werden darf, egal ob der Schaden durch den Versicherungsnehmer
selbst oder durch seinen Mieter verursacht wurde. Bei konsequenter Anwendung des
obigen Analogieschlusses bedeutet dies, dass die Höhe der Haftpflicht des Mieters der
Kürzungsquote von Art. 14 Abs. 2 VVG entspricht, so wie sie bestanden hätte, wenn der
Versicherungsnehmer selbst gehandelt hätte. Dies entspricht demnach auch der Regressquote des Eigenschadensversicherers.448
Ist der Mieter haftpflichtversichert, so wird seine Versicherung den Regress des Gebäudeversicherers wiederum gemäss Art. 14 Abs. 2 VVG und gestützt auf die zugrunde
liegenden AVB kürzen. Diesen gekürzten Teil wird die Gebäudeversicherung direkt
beim Mieter regressweise einfordern müssen. Diese Lösung ist auch deshalb gerecht, da
der Mieter bei einer grobfahrlässigen Handlung eine Quote des Schadens tragen soll, in
Konsequenz der analogen Behandlung des Versicherungsnehmers.
3.
Aus Sicht der monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherer
A.
Das Monopol
In gewissen Kantonen sind die obligatorischen Gebäudeversicherungen für Feuer- und
Elementarschäden monopolisiert.449 Nur nebenbei sei erwähnt, dass das Bundesgericht
die Verhältnismässigkeit kantonaler Gebäudeversicherungsmonopole erst kürzlich wieder bestätigt hat.450 Hat das Faktum eines solchen Monopols eine Auswirkung auf die
anwendbaren Regressnormen? Die Frage ist mit „ja – aber“ zu beantworten. Die Gründe
werden im Folgenden dargestellt:
448
449
450
Vgl. dazu auch die Regelung des sankt-gallischen Gebäudeversicherungsgesetzes, Art. 33 Abs. 2, wonach
gegenüber dem Versicherungsnehmer eine Kürzung infolge grobfahrlässiger Herbeiführung des Schadens
von höchstens 50% vorgesehen ist.
Nicht monopolisiert in den Kantonen: AI, GE, OW, SZ, TI, UR, VS. Hier wird über die Privatassekuranz
versichert.
BGE 124 I 25 ff.
121
Aufgrund von Art. 103 Abs. 2 VVG ist das VVG nicht auf die monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherungen anwendbar. In diesen Kantonen sind in den Gebäudeversicherungsgesetzen eigene Regressbestimmungen statuiert worden. Es ist aber kein Zufall,
dass die Bestimmungen der Regelung von Art. 51 Abs. 2 OR sehr ähnlich sind. Denn
nach Lehre und Rechtsprechung dürfen die kantonalen Regressbestimmungen betreffend
Gebäudeassekuranzen die Rechtsstellung der Haftpflichtigen nicht schwächen und wären
andernfalls bundesrechtswidrig, zumal die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR zwingendes Recht ist.451 Danach kann das Rückgriffsrecht einer kantonalen Gebäudeversicherungsanstalt gegen den Schädiger nicht durch kantonale Subrogationsbestimmungen
ausgedehnt bzw. erweitert werden.452 So entspricht zum Beispiel Art. 51 Gesetz über die
Gebäudeversicherung des Kantons St. Gallen453 jener Regressordnung von Art. 72 VVG,
wenn man – wohl unkorrekterweise, aber der Rechtsprechung folgend – den Begriff
„unerlaubte Handlung“ mit Verschulden gleichsetzt. Die Regelung des Kantons Aargau
sieht hingegen eine umfassendere Regressmöglichkeit vor, indem in § 51 GebVG454
uneingeschränkt von fehlbaren Dritten die Rede ist. Die meisten übrigen kantonalen
Gesetze über die Gebäudeversicherung verweisen einfach auf die Bestimmungen des
OR.455
B.
Lehre und Rechtsprechung
Bezüglich Mieterregresse stellt sich die Frage, ob die oben dargelegte Praxis zwischen
den Privatversicherern auch auf die monopolisierten kantonalen Gebäudeversicherer
angewendet werden kann. Dies ist zurzeit heftig umstritten.456 Dabei geht es zunächst um
451
452
453
454
455
456
GVP 1972, Nr. 11, S. 36 ff.; GVP 1989, Nr. 30. S. 63; OR-Schnyder, Art. 51 N 4; VVG-Graber, Art. 72 N
14; Gauch/Aepli/Stöckli, Art. 50-51 N 2.
BGE 103 II 337 = Pra (67) 1978, Nr. 89.; 96 II 175; gegen diese Einstufung plädieren Schaer/Duc/Keller,
Bossard/Daxelhoffer/Jaeger, S. 303 f.
Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 26. Dezember 1960, sGS 873.1.
Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 15. Januar 1934, SAR 673.100.
So etwa die Gesetze der folgenden Kantone: AR, Art. 33 Gesetz über die Gebäude- und Grundstückversicherung vom 30. April 1995, 862.1; BE, Art. 42 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 6. Juni 1971,
873.11; BL, § 50 Gesetz über die Versicherung von Gebäuden und Grundstücken vom 12. Januar 1981,
SGS 350; BS, § 26 Gebäudeversicherungsgesetz vom 22. März 1973, 695.100; GL, Art. 43 Sachversicherungsgesetz vom 2. Mai 1993, V D/1; LU, § 36 Gebäudeversicherungsgesetz vom 29. Juni 1976, SLR 750;
NW, Art. 86 Sachversicherungsgesetz vom 27. April 1986, 867.1; SH, Art. 32 Gebäudeversicherungsgesetz vom 8. Dezember 2003, SHR 960.100; SO, § 56 Gesetz über die Gebäudeversicherung, Brandverhütung, Feuerwehr und Elementarschadenhilfe vom 24. September 1972, 618.111; TG, § 40 Gesetz über die
Gebäudeversicherung vom 23. August 1976, 956.1; ZG, § 41 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom
20. Dezember 1979, 722.11; ZH, § 72 Gesetz über die Gebäudeversicherung vom 2. März 1975, 862.1.
Dazu sind einige Prozesse hängig.
122
die Frage, ob das VVG bei Bedarf analog herangezogen werden kann, und wenn ja,
welcher Auslegungsmethode der Vorzug gegeben wird. Im reinen Wortlaut der meisten
kantonalen Gebäudeversicherungsgesetze wird der Mieter nirgends explizit erwähnt.
Dadurch wäre der Regress an sich möglich. Fragt man hingegen nach der Teleologie der
betreffenden Bestimmungen, so kann das Resultat, um es vorwegzunehmen, nicht anders
als bei den Privatversicherern lauten. Dies bedarf im Folgenden einer genaueren Erörterung:
Das Kantonsgericht St. Gallen hatte sich im Jahre 2004 mit dieser Thematik zu befassen.457 Der zu beurteilenden Regressforderung der GVA St. Gallen lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine 79-jährige Nutzniesserin einer Wohnung vergass das aufgesetzte
Teewasser in der Küche, als sie zwischendurch die Post holen ging und dabei in ein
Gespräch mit dem Hausmeister kam. Es entstand ein Wohnungsbrand mit grossem Sachschaden, welcher von der GVA St. Gallen reguliert wurde. Bei der Beurteilung der Regressforderung der GVA St. Gallen gegen die Mieterin wird die Auslegung nach dem
Wortlaut in den Vordergrund gestellt. Das Gericht führt dazu aus, dass nach Art. 11 Abs.
1 und Art. 21 Abs. 3 des Gebäudeversicherungsgesetzes des Kantons St. Gallen der
Eigentümer sowohl einziger Versicherungsnehmer als auch einziger Versicherter sein
kann, obschon es einräumt, dass ohne weiteres davon auszugehen sei, dass die Verursacherin wirtschaftlich für die Prämien aufkomme. Für das Wohnrecht ergibt sich das
bereits aus Art. 778 ZGB, wonach der Berechtigte die Lasten des gewöhnlichen Unterhaltes trägt. Weshalb nicht nach dem Sinn und Zweck ausgelegt wird, bleibt in der Begründung leider offen. Zudem setzt sich das Gericht einzig mit der Lehrmeinung von
HONSELL auseinander und blendet offenbar die oben dargelegte Doktrin aus. Da im zu
beurteilenden Fall die Wohnberechtigte den Gebäudebrand grobfahrlässig verursacht
hatte, wurde die Regressforderung der Gebäudeversicherung St. Gallen schon deshalb
gutgeheissen.
Das Obergericht des Kantons Thurgau hatte sich kürzlich ebenfalls mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.458 Das vom Mieter zu vertretende Verhalten gründet darin, dass
er eine Matratze beim Verlassen des Zimmers direkt am Elektrospeicherofen liegen liess,
was zu einem Hitzestau und in der Folge zum Brandausbruch führte. Zunächst lässt das
Gericht das Argument nicht gelten, dass die Mieterregresse zu einer Prämiensenkung
führten, zumal die Gebäudeversicherung Thurgau keinen einzigen Zahlungseingang
457
458
KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7).
OGer TG, Entscheid vom 20. April 2004 (ZBO.2003.7).
123
eines Mieterregresses ausweisen konnte. Das Obergericht sieht hingegen für eine analoge Anwendung des VVG in concreto keinen Raum. Zwar wird im Urteil die dazu gängige Doktrin dargelegt; eine diesbezügliche Auseinandersetzung findet hingegen nicht
statt, indem am Ende kurzum festgestellt wird, dass das VVG auf den Gebäudeversicherungsvertrag keine Anwendung finde. Die Auslegung des kantonalen Gebäudeversicherungsgesetzes erfolgt somit nach rein grammatikalischer Methode. Im Ergebnis wird
auch hier die Regressforderung gegen den Mieter geschützt.
Der Gerichtskreis VIII Bern-Laupen befasste sich im Entscheid vom 10. Juni 2005459
ebenfalls mit dem Regressanspruch des kantonalen Gebäudeversicherers gegen einen
Mieter. Zu beurteilen war ein leichtfahrlässiges Verhalten des Mieters. Im Gegensatz zu
den beiden vorhergehenden Urteilen wird hier die Klage des Gebäudeversicherers abgewiesen. Das Gericht folgt dabei vollumfänglich der vorne bezüglich Privatversicherer
dargelegten Argumentation.460
C.
Rechtsvergleichende Betrachtung
i.
Deutschland
Vergleicht man Lehre und Rechtsprechung in Deutschland, so fällt auf, dass die vorliegende Thematik weit stärker Eingang in eine vertiefte Auseinandersetzung gefunden hat
als bei uns. In Deutschland wird nach neuester Rechtsprechung der Mieter, der leichtfahrlässig den Versicherungsfall herbeiführt, vor Regressansprüchen des Versicherers
geschützt. Damit wurde die nicht unbestrittene Lösung über einen allfälligen Haftungsverzicht des Vermieters aufgegeben.461 Der deutsche Bundesgerichtshof bekennt sich
neuerdings zur Lösung des konkludenten Regressverzichts.462 Vorausgesetzt, der Schaden ist leichtfahrlässig durch den Mieter verursacht worden, wird zunächst eine Vertragslücke in den AVB gesucht, die in einem nächsten Schritt durch den konkludenten
Regressverzicht geschlossen wird.463 In Deutschland existiert zudem ein Regressver-
459
460
461
462
463
Z 04 5007 HOJ.
Vgl. vorne III B.
Weitergehend etwa Armbrüster, Zur Haftung des Mieters für Sachschäden bei bestehender Sachversicherung des Vermieters, in: NJW 1997, S. 177 ff.; Armbrüster, Zum vertraglichen und gesetzlichen Schutz
des Haftpflichtigen vor einem Regress des Sachversicherers, in: VersR 1994, S. 893.
BGH, Urteil vom 14. Februar 2001 (VIII ZR 292/98).
Vgl. dazu Plassmann, S. 87, wo die Lehre über eine konkludente Vereinbarung des Regressverzichts
dargelegt wird; ebenso Oftinger/Stark, I, § 11 N 58.
124
zichtsabkommen der Feuerversicherungen, unter das auch die Mieter fallen und so davon profitieren.464 Im Zusammenhang mit einem Regress des Gebäudeversicherers auf
einen Stockwerkeigentümer, welcher Sondereigentum leichtfahrlässig beschädigt hatte,
kam ihm der Bundesgerichtshof mit der Konstruktion des sog. Sachersatzinteresses zu
Hilfe, welches mitversichert sei.465 Somit kann festgehalten werden, dass die Rechtslage
in Deutschland – neben einer klaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – durch ein
Abkommen geklärt ist. Weshalb, wie das Kantonsgericht St. Gallen ausführt, der
Rechtsvergleich in casu unbrauchbar sein soll, wird bedauerlicherweise ebenfalls nicht
erläutert.466
ii.
Österreich
Auch der österreichische Oberste Gerichtshof hatte sich mit einer Regressforderung des
Gebäudeversicherers gegen einen Mieter auseinanderzusetzen.467 Speziell bei diesem
Sachverhalt ist die in den AVB vereinbarte Klausel, Art. 12 Abs. 1 AWB 1986: Darin
wird ein Regressverzicht auf den leichtfahrlässig handelnden Wohnungsmieter festgehalten, welcher ganz oder teilweise die Prämie für das versicherte Wohngebäude trägt. Der
Gerichtshof hiess dennoch die Regressklage gut, und zwar deshalb, weil es sich im vorliegenden Fall um eine Geschäftsraummiete handelte. Meines Erachtens hätte die Klage
vielmehr deshalb geschützt werden können, weil der beschädigte Raum zum Nachbarobjekt zählte, für welches der haftpflichtige Mieter gerade keine Prämien bezahlt hatte. Aus
dieser Ausgangslage kann vor allem die Erkenntnis geschöpft werden, dass der Regress
auf den Mieter eben nicht einfach ein Regress auf irgendeinen Dritten ist, weshalb denn
auch sogar die Versicherungsbedingungen diesbezüglich einen Regressverzicht vorsehen. Weshalb die Einschränkung auf Wohnungsmieter gemacht wird, ist bei genauerer
Betrachtung nicht nachvollziehbar.
464
465
466
467
Plassmann, S. 89.
BGH, Urteil vom 28. März 2001 (IV ZR 163/99); vgl. dazu die Abhandlung von Armbrüster, Sachersatzinteresse im Gebäudeversicherungsvertrag, in: ZMR, 2001, S. 717 ff.
KGer SG, Entscheid vom 25. Oktober 2004 (BZ.2004.7).
OGH, Entscheid vom 7. April 2000 (7Ob34/99x).
125
III.
Regress des Kaskoversicherers auf berechtigte Lenker
1.
Ausgangslage
Ein analoges Schicksal zu dem des Mieters trifft auch den berechtigten Lenker, welcher
das ausgeliehene Fahrzeug infolge einer fahrlässigen Handlung beschädigt. Während der
Halter gegenüber Dritten aus Art. 58 Abs. 4 SVG haftpflichtig wird, hat der fehlbare
Lenker den Schaden, gestützt auf Art. 41 OR, zu übernehmen. Hat der Lenker das Fahrzeug gemietet, so gelten die vorhergehenden Ausführungen in Kapitel II sinngemäss. Im
vorliegenden Kapitel geht es um die unentgeltliche, leihweise Überlassung eines Fahrzeuges an einen Dritten, welcher nicht zwingend unter das Regressprivileg von Art. 72
Abs. 3 VVG zu fallen hat.
Dem für den Eigenschaden aufkommenden Kaskoversicherer des Halters stellt sich die
Frage, ob er entweder gegenüber dem Halter eine Kürzungsmöglichkeit hat oder ob er
sonst im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG auf den fehlbaren Lenker regressieren kann.
2.
Rechtslage und Praxis
A.
Bei leichter Fahrlässigkeit
Es ist vorwegzunehmen, dass die Versicherer in der Schweiz praktisch nie auf einen
leichtfahrlässig handelnden Lenker Rückgriff nehmen, obschon in den meisten AVB ein
entsprechender Regressverzicht fehlt. Ebenso wird regelmässig in den Privathaftpflichtpolicen, welche Schäden beim Lenken fremder Fahrzeuge mitversichern, der Regress
des Kaskoversicherers ausgeschlossen oder mit einer Subsidiärklausel versehen. Es sei
angemerkt, dass eine Kürzung gegenüber dem Halter im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG
nicht möglich ist, da der Lenker nicht grobfahrlässig handelte. Somit fehlt auch eine
gesetzliche Regelung.
In der Lehre wurde diese Frage meines Wissens einzig von SCHAER468 eingehend erörtert. Er versucht, die Lösung unter verschiedenen juristischen Theorien bzw. Konstruktionen zu finden. Dabei greift er unter anderem rechtsvergleichend auf den in Deutschland
bestehenden Rechtsstreit „Sacherhaltungs- contra Sachersatztheorie“ zurück, welcher
jedoch durch eine entsprechende AVB-Regelung gelöst wurde, und zwar in der Weise,
468
Schaer, Schadensversicherer, S. 99 ff.; vgl. dazu auch die diesbezügliche Rezension von Nigg, S. 880.
126
dass der Versicherer auf die berechtigten Benutzer nur im Falle der vorsätzlichen oder
grobfahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles regressieren kann. Die Konstruktion der stillschweigenden Übernahme eines solchen Regressverzichtes, beim Fehlen einer expliziten Klausel, hängt gemäss SCHAER vom gesunden Menschenverstand ab.
Hilfskonstruktionen über die Fremd- oder Mitversicherung helfen im Ergebnis – so auch
seine Ausführungen – auch nicht direkt weiter. Dasselbe ergibt sich aufgrund der sog.
Repräsentantentheorie, wonach der Mieter – berechtigt durch seinen Mietvertrag – in
Bezug auf das versicherte Risiko an die Stelle des Versicherungsnehmers tritt. Ein Regressausschluss auf der Grundlage eines stillschweigend vereinbarten Haftungsverzichtes zwischen Halter und Lenker scheitert an Art. 72 Abs. 2 VVG, wonach der Anspruchsberechtigte das Rückgriffsrecht des Versicherers nicht schmälern darf.
Finanziert der ermächtigte Lenker oder der Besitzer die Prämien für die Kaskoversicherung, so führen dieselben Überlegungen wie beim Mieter einer Liegenschaft oder Wohnung zum Regressausschluss bei leichter Fahrlässigkeit. Dies wird jedoch bei einer altruistischen Überlassung kaum je zutreffen. Aber auch bei der gewöhnlichen Gebrauchsleihe, bei welcher der Lenker sachimmanenterweise die Prämienfinanzierung nicht trägt,
sollte das Ergebnis nicht anders lauten.469
B.
Bei grober Fahrlässigkeit
Verursachte der Lenker den Unfall infolge schweren Verschuldens, so steht dem Kaskoversicherer grundsätzlich ein Regressrecht gegenüber dem Lenker, welcher aus Art. 41
OR haftpflichtig ist, ohne weiteres zu. Eine Kürzungsmöglichkeit direkt gegenüber dem
anspruchsberechtigten Versicherungsnehmer ist lediglich im Rahmen von Art. 14 Abs. 3
VVG möglich. Sind dessen Voraussetzungen nicht erfüllt, so kann der Halter die volle
Entschädigung beanspruchen. In diesem Fall stellt sich die Frage der Regressquote gegenüber dem fehlbaren Lenker. Sind indes die Voraussetzungen für eine Kürzung erfüllt,
wird diese jedoch gegenüber dem Versicherungsnehmer nicht einredeweise entgegengehalten, so liegt eine freiwillig erbrachte Leistung vor. Ob sich in diesem Fall der Versicherer auf die Subrogation berufen kann, wird in einem eigenen Kapitel behandelt.470
469
470
Vgl. dazu unten die Stellungnahmen in Ziff 3.
Vgl. vorne § 7 IV.
127
Das Kantonsgericht Wallis471 hiess einen Regress auf den grobfahrlässig handelnden
Lenker in der Höhe von 30% gut. Dabei stützt sich das kantonale Gericht auf Art. 72
Abs. 1 VVG und nicht etwa auf Art. 14 Abs. 2 VVG. Das Obergericht Zürich472 lässt den
Regress des leistenden Kaskoversicherers auf den Sohn des Halters – in Anlehnung an
Art. 14 Abs. 2 VVG und gestützt auf Art. 72 Abs. 1 VVG – zu, und zwar in der Höhe
von 20%. Der Umstand, dass der Sohn ein relativ neues Luxusfahrzeug auf einer öffentlichen Strasse in Mailand längere Zeit unbeaufsichtigt stehen gelassen hatte, wurde als
grobfahrlässig gewertet. Das Bundesgericht473 schliesslich schützt den Regress des Kaskoversicherers auf ein Organ, welches grobfahrlässig mit dem Firmenfahrzeug einen
Unfall verursacht hat. Dabei wird eine Quote von 25% gutgeheissen. Das Gericht führt
dabei aus, dass der Versicherer bei voller Entschädigung auf den Schädiger zurückgreifen könne, wie das der Versicherungsnehmer selber gekonnt hätte, da das Organ gemäss
Art. 55 Abs. 3 ZGB für sein Verschulden persönlich verantwortlich sei.474
3.
Stellungnahme
Für die Regressbeurteilung sind meines Erachtens folgende Überlegungen anzubringen:
Artikel 58 Abs. 4 SVG statuiert ein kausales Einstehenmüssen des Halters für fremdes
Verhalten. Diese Bestimmung ist eine Haftung für Hilfspersonen im Sinne des Regressprivilegs von Art. 72 Abs. 2 VVG. Danach sind unter anderem Personen privilegiert,
„für deren Handlungen der Anspruchsberechtigte einstehen muss“. Unter diesen Personenkreis ist auch der Lenker zu subsumieren, wonach sich schon daraus das Rückgriffsverbot auf den leichtfahrlässig handelnden Lenker ergibt.475 Somit kommt es nicht darauf
an, ob der Lenker mit dem Halter in häuslicher Gemeinschaft lebt. Weshalb diese Konstruktion Art. 72 Abs. 3 VVG i.V.m. Art. 58 Abs. 4 SVG nicht auch in der Rechtsprechung als Grundlage heranzog, ist nicht nachvollziehbar.
Aufgrund dieses Regressprivilegs kommt ein Regress auf den berechtigten Lenker lediglich bei grobfahrlässigem Verhalten in Betracht. Betreffend die Quote sind dieselben
471
472
473
474
475
KGer VS, Entscheid vom 6. Juni 1984, in: SVA XV Nr. 88.
OGer ZH, Entscheid vom 1. Juni 1993, in: SGW 1993 Nr. 23.
BGE 120 II 58 ff., 64.
A.M. Honsell, Regress, S. 576. Der Autor betrachtet das Organ nicht als Dritten, sondern als Repräsentanten der AG, weshalb der Anspruch der AG gemäss Art. 14 Abs. 2 hätte gekürzt werden müssen.
Gl.M. Oftinger/Stark, I, § 11 Fn 72; VVG-Graber, Art. 72 N 60; offenbar a.A. BGE 91 II 234 betreffend
Auslegung von Art. 14 Abs. 3 VVG.
128
Grundsätze heranzuziehen, die beim Regress auf den Mieter erörtert wurden. Somit
richtet sich die Rückgriffsquote nach dem Verschulden des Lenkers, weshalb sich, in
Anlehnung an Art. 14 Abs. 2 VVG, eine Quote in der Höhe der Kürzungsmöglichkeit
ergibt.476 Diese Auffassung dürfte auch jener in den oben aufgeführten Urteilen entsprechen.
IV.
Regress auf Arbeitnehmer bzw. Hilfsperson
A.
Allgemeines
Hinsichtlich des Arbeitnehmerregresses wurden die diesbezüglichen Schwierigkeiten
bereits erörtert.477 Aufgrund von Deckungslücken in der Betriebshaftpflichtversicherung
können aus sozialpolitischer Sicht ungewollte Härtefälle entstehen.478
Im vorliegenden Abschnitt wird die Regressmöglichkeit des Unfallversicherers im überobligatorischen Bereich bei Arbeitsunfällen abgehandelt.
B.
Verletzung eines Mitarbeiters
i.
Ausgangslage
In Bezug auf die Arbeitsunfälle stellt sich immer wieder die heikle Frage des Regressrechtes des privaten Unfallversicherers auf den schuldhaft handelnden Arbeitnehmer
bzw. dessen Arbeitgeber.479 Für die anschliessende Auseinandersetzung soll der folgende
Sachverhalt die Grundlage bilden:
Während der Verrichtung der Arbeit verletzt ein Arbeitnehmer seinen Arbeitskollegen durch eine grobfahrlässige Handlung. Beide arbeiten im Unternehmen X. Der
private Unfallversicherer erbringt Leistungen, welche er auf dem Regresswege vom
Betriebshaftpflichtversicherer des Unternehmens X wieder hereinholen möchte.
476
477
478
479
So auch Schaer, Schadensversicherer, S. 104 ff.
Vgl. dazu vorne § 9 II 2.
Vgl. dazu vorne § 9 II.
Auf das integrale Regressrecht im Sinne des ATSG wird – wie einleitend bemerkt – nicht eingegangen.
129
Vorweg sei angemerkt, dass bei leichtfahrlässiger Verursachung und auch bei einer
Haftung aus Art. 55 OR das Regressprivileg gemäss Art. 72 Abs. 3 VVG tangiert würde,
weshalb sich die Problematik einzig auf die Grobfahrlässigkeit beschränkt.480
ii.
Rechtslage
Der private Unfallversicherer erbringt seine vertraglich geschuldete Leistung. Die ungünstige Regressordnung im Sinne der „Gini/Durlemann-Praxis“ spielt hier keine Rolle,
da die Handlung grobfahrlässig war, weshalb der Arbeitgeber im Sinne von Art. 101 OR
für seine Arbeitnehmer einstehen muss. Wenn also ein Arbeitnehmer einen seiner Betriebskollegen grobfahrlässig schädigt, hat der Geschädigte oder der subrogierende Unfallversicherer grundsätzlich einen vertraglichen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis
gegenüber seinem Arbeitgeber, welcher sich aus den Arbeitgeberpflichten im Sinne von
Art. 328 OR ergibt. Für diesen Schaden wird die Betriebshaftpflichtversicherung grundsätzlich einstehen müssen, liegen doch keine Deckungseinwände vor. Damit ist aber
noch nicht gesagt, in welcher Höhe die Leistung auszufallen hat. Es stellt sich mit anderen Worten die folgende Frage: Kann der Haftpflichtversicherer eine Kürzung infolge
Grobfahrlässigkeit im Sinne von Art. 14 VVG vornehmen und den Personenversicherer
für den Restbetrag auf das Unternehmen direkt verweisen?
Eine Kürzung kommt entweder aufgrund von Art. 14 Abs. 2 VVG oder im Sinne von
Art. 14 Abs. 3 VVG in Betracht. Letztere Bestimmung berechtigt den Versicherer zur
Leistungskürzung, wenn der Versicherungsfall durch eine Person herbeigeführt wurde,
die selbst nicht Versicherungsnehmer ist, zu diesem Zeitpunkt aber in einer engen faktischen oder rechtlichen Beziehung zum Versicherungsnehmer stand.481 Das Gesetz fasst
den Personenkreis in zwei Personengruppen, nämlich in jene der Hausgenossen und in
jene der Personen, für deren Handlungen der Versicherte einzustehen hat. Diese Aufzählung ist abschliessend.482 In casu kommt nur die zweite Gruppe in Frage. Aufgrund des
Wortlauts wird für eine Leistungskürzung kumulativ ein schweres Verschulden der
Hilfsperson und des Versicherungsnehmers vorausgesetzt: bei der Hilfsperson in Bezug
auf die Verursachung des Schadens und beim Anspruchsberechtigten hinsichtlich der
Aufnahme, Anstellung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson. Demgegenüber hält Art.
480
481
482
Auf das Regressprivileg wird ausführlich in § 7 III eingegangen.
Vgl. etwa VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 24.
VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 24.
130
14 Abs. 2 VVG eine Leistungskürzungsmöglichkeit für Fälle bereit, in denen der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte selbst das Ereignis grobfahrlässig herbeigeführt haben. In der hier zur Diskussion stehenden Ausgangslage handelte aber eine
Hilfsperson des Versicherungsnehmers bzw. Arbeitgebers. Die Handlungen der Hilfsperson werden gemäss Art. 101 OR dem Arbeitgeber zugerechnet. Herrschende Lehre
und Rechtsprechung gehen davon aus, dass Art. 101 OR eine „blosse“ Zurechnungsnorm
ist und nicht etwa eine eigene Haftungsgrundlage bildet, weshalb das Verhalten des
Gehilfen dem Geschäftsherrn zuzurechnen ist. Dies entspricht der hypothetischen Vorwerfbarkeit.483
Als Zwischenfazit kann somit festgehalten werden, dass Art. 14 Abs. 2 VVG Handlungen des Versicherungsnehmers oder ihm zugerechnete Handlungen sanktioniert und mit
Art. 14 Abs. 3 VVG Handlungen von Hilfsperson gemeint sind. Aus diesem Grunde ist
die zentrale Frage hier, welche Art von Haftung für Hilfspersonen damit gemeint ist.
Fällt nämlich der Erfüllungsgehilfe gemäss Art. 101 OR nicht unter Art. 14 Abs. 3 VVG,
so muss der Arbeitgeber im Sinne von Art. 14 Abs. 2 VVG eine Kürzung hinnehmen,
wie wenn er die Handlung selbst ausgeführt hätte. Die gleiche Frage stellt sich bei der
juristischen Person, die für das Verhalten ihrer Organe im Sinne von Art. 55 Abs. 2 ZGB
einzustehen hat.
Somit unterscheidet sich Art. 101 OR ganz deutlich von der ausservertraglichen Hilfspersonenhaftung gemäss Art. 55 OR, welche eine eigene Haftungsnorm ist. Während die
Botschaft des Bundesrates zum VVG484 und die ältere Lehre485 noch Art. 101 OR und
Art. 55 OR unter Art. 14 Abs. 3 VVG subsumierten, plädieren die jüngere Lehre486 und
implizit auch die Rechtsprechung487 dafür, lediglich die ausservertragliche Hilfspersonenhaftung darunter zu zählen und somit die vertragliche Hilfspersonenhaftung unter das
Regime von Art. 14 Abs. 2 VVG zu stellen.
Da in der Regel beide Bestimmungen, also Art. 101 und Art. 55 OR erfüllt sein werden,
kann der Betriebshaftpflichtversicherer einen Grobfahrlässigkeitsabzug durchaus geltend
machen, und zwar unabhängig davon, ob dem Geschäftsherrn selbst betreffend die Auf-
483
484
485
486
487
Vgl. dazu OR-Wiegand, Art. 101 N 11 ff.; Gauch/Aepli/Stöckli, Art. 101 N 6; Guhl/Koller, § 31 N 33 ff.;
Schwenzer, N 23.10; BGE 92 II 19; 113 II 426; 117 II 67; 119 II 338.
BBl 1904 I 287.
So etwa Roelli/Keller, S. 244 f.
Koenig, PVR, S. 297; Keller, Hilfsperson, S. 4, beide m.w.H. hinsichtlich der historischen und teleologischen Auslegung. So aber auch schon Ostertag, Art. 14 N 9.
BGE 91 II 234.
131
nahme, die Anstellung oder die Beaufsichtigung der Hilfsperson grobfahrlässiges Handeln vorgeworfen werden kann. Es genügt, wenn der Angestellte selbst die elementarsten
Vorsichtsgebote missachtet und dadurch Schaden verursacht hat. Das heisst aber nicht,
dass der Arbeitgeber die Kürzungsfolgen, welche darin liegen, dass er vom Geschädigten
oder von dessen Versicherer für die Differenz in Anspruch genommen wird, selbst tragen muss. Ihm steht vielmehr ein Anspruch aus Art. 321e OR gegenüber dem fehlbaren
Arbeitnehmer zu.
C.
Verletzung eines Dritten
Wird durch einen Arbeitnehmer bei der Vertragserfüllung ein Dritter oder gar der Vertragspartner verletzt, so kommt das Regressprivileg nicht zur Anwendung. Vielmehr
liegt hier ein gewöhnliches Haftungsverhältnis vor. So richtet sich auch der Regress des
Unfallversicherers nach den Prinzipien von Art. 72 VVG und Art. 51 Abs. 2 OR.
2.
Revision VVG
Im VE-Brehm wird vorgeschlagen, Art. 72 Abs. 1 VVG zu streichen und den Sachversicherer generell der Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR unterzuordnen. Dies ist jedoch lediglich dem Kommentar zum VE-Brehm, jedoch nicht dem Gesetzesentwurf
selbst zu entnehmen.488 Aufgrund der vorhergehenden Ausführungen in dieser Arbeit ist
diese Regelung nicht sachgerecht. Im Übrigen würde dieser Lösung wiederum die Einmaligkeit bzw. Einzigartigkeit anhaften, zumal mindestens in den Nachbarländern dem
Schadensversicherer ein integrales Regressrecht zugestanden wird.
Dieser Entwurf entspricht nicht der heute herrschenden Doktrin und Praxis, da an sich
weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass die Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR
nicht mehr zeitgemäss ist und in keiner Art und Weise der heutigen Rechtsauffassung
entspricht. Weshalb der Geschädigte eine Versicherung für haftpflichtige Dritte abschliessen soll, ist unersichtlich.
488
Brehm, Entwurf, S. 313.
132
§ 11. Regress des Haftpflichtversicherers
I.
Allgemeines
Das VVG hält für den Haftpflichtversicherer keine direktanwendbare Regressbestimmung bereit. Die herrschende Lehre und das Bundesgericht wenden jedoch die Subrogationsbestimmung von Art. 72 VVG analog an. Dies erlaubt denn auch die „Alter-egoPraxis“489, die dem Haftpflichtversicherer dieselbe Regressposition zugesteht, wie sie
seinem Versicherungsnehmer vor der Leistungserbringung zugestanden hat.
Da das VVG dem Geschädigten kein direktes Forderungsrecht gegenüber dem Haftpflichtversicherer gewährt, können allfällige Einreden aus dem Versicherungsverhältnis
und eventuelle Grobfahrlässigkeitsabzüge im Sinne von Art. 14 Abs. 2 und 3 VVG direkt dem Geschädigten entgegengehalten werden. Dies lässt viele Regressfälle erst gar
nicht entstehen, es sei denn, der Haftpflichtversicherer erbringe den vollen, ungekürzten
Schadenersatz und beabsichtige, die Differenz, die sich infolge des Abzugs gemäss Art.
14 VVG ergibt, beim Versicherungsnehmer bzw. bei seiner Hilfsperson einzuverlangen.490 Etwas anderes gilt im Falle des direkten Forderungsrechts.491
II.
Regress des Motorfahrzeughaftpflicht-Versicherers
1.
Ausgangslage
Aufgrund des unmittelbaren Forderungsrechtes des Geschädigten gegenüber dem Motorfahrzeugversicherer gemäss Art. 65 Abs. 1 SVG kann der leistende Versicherer allfällige
Kürzungsgründe nicht einredeweise geltend machen. Der Ausgleich wird in einem zweiten Schritt durch das in Art. 65 Abs. 3 SVG eingeräumte Regressrecht geschaffen. Danach hat der Versicherer ein Rückgriffsrecht gegen den Versicherungsnehmer oder den
Versicherten in der Weise, als er zur Ablehnung oder Kürzung seiner Leistung im Sinne
des VVG befugt wäre. Dadurch ist die Bestimmung von Art. 14 VVG angesprochen.
Nach Art. 63 Abs. 2 SVG deckt die Versicherung „die Haftpflicht des Halters und der
Personen, für die er nach diesem Gesetz verantwortlich ist“. Die Verantwortung des
489
490
491
Vgl. dazu vorne § 6 II 2 C.
Dies ist eine Frage der Regressmöglichkeit freiwillig erbrachter Leistungen, welche bereits vorne in § 7 IV
behandelt wurde.
Vgl. etwa Art. 65 Abs. 1 SVG.
133
Halters für den Lenker ergibt sich aus Art. 58 Abs. 4 SVG. Somit ist der Lenker auch
anspruchsberechtigt im Sinne von Art. 14 VVG. Indem in der MotorfahrzeughaftpflichtVersicherung neben dem Halter auch die mitwirkenden Hilfspersonen von Gesetzes
wegen mitversichert sind, wird teilweise davon ausgegangen, dass es sich dabei um zwei
Versicherungsverhältnisse handle, wie wenn die Halter- und die Lenkerversicherung in
verschiedenen Verträgen geregelt wären.492 In einem nächsten Schritt werden dann der
Halter und der Lenker in eine Solidargemeinschaft gestellt. Beide, sowohl Halter als
auch Lenker, seien anspruchsberechtigt.493 Somit ist der Lenker zwar nicht Versicherungsnehmer, aber mitversicherte Person und damit Versicherter.494
Hat der Halter den Unfall verursacht, steht dem leistenden Haftpflichtversicherer gemäss
Art. 65 Abs. 3 SVG i.V.m. Art. 14 Abs. 2 VVG ein Rückgriff in der Höhe des Kürzungsrechts zu. War hingegen ein berechtigter Dritter Lenker und Unfallverursacher, stellt sich
für den Haftpflichtversicherer die Frage, ob er neben dem Lenker, welcher aus Art. 41
OR haftet, auch auf den Halter, gestützt auf Art. 58 Abs. 4 SVG und Art. 65 Abs. 3
SVG, Regress nehmen kann. Dabei gilt es zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit zu
unterscheiden.
2.
Lehre und Rechtsprechung
A.
Bei grober Fahrlässigkeit
Gemäss Art. 58 Abs. 4 SVG haftet der Halter nicht nur für sein eigenes, sondern auch für
fremdes Verhalten. Darunter ist sowohl das Verhalten des berechtigten Lenkers, der
Hilfsperson als auch jenes des Strolches495 zu zählen. Hier ist einzig die Konstellation
bezüglich des berechtigten Lenkers von Interesse. In diesem Zusammenhang ist nun in
der Doktrin umstritten, ob der Halter auch für das grobfahrlässige Verhalten des berechtigten Lenkers regressweise in Anspruch genommen werden kann.
Das Bundesgericht hat mit dem Entscheid BGE 91 II 233 f. der Diskussion an sich ein
Ende gesetzt, indem es den Regress auf den Halter nur zulässt, wenn ihm ein eigenes
492
493
494
495
Vgl. hierzu Maurer, PVR, S. 364; BGE 91 II 233.
Vgl. dazu Keller, Hilfsperson, S. 8.
Statt vieler: Maurer, PVR, S. 173 f.; VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 31, sprechen von einer Doppelstellung des Lenkers.
Gemäss Art. 75 SVG. Danach haftet der Halter zwar mit dem Strolch solidarisch. Der Versicherer darf
aber den Halter finanziell nicht belasten, wenn letzteren an der Entwendung keine Schuld trifft (Abs. 3).
134
kausales oder hinsichtlich Auswahl, Instruktion oder Überwachung des Lenkers grobfahrlässiges Verschulden vorgeworfen werden muss. Diese Lösung wird von der Lehre
mehrheitlich vertreten.496 Ausgegangen wird dabei von der Annahme des unterschiedlichen Versicherungsverhältnisses von Halter und Lenker: „[…] die eine deckt die Haftpflicht des Halters und schützt diesen gegen den ihm drohenden Eingriff in sein Vermögen, während die andere die persönliche Pflicht der in Art. 63 Abs. 2 genannten Personen deckt und in entsprechendem Sinn ihrem Schutze dient.“497 Die stärkste Kritik gegen
diese Argumentation liefert KELLER498. In seiner Analyse zu Art. 14 VVG – wonach
Haftung und Versicherungsdeckung eine funktionelle, strukturelle und auch inhaltliche
Einheit bilden sollen – kommt der Autor zum Schluss, dass es sachgerecht sei, wenn der
Haftpflichtversicherer sowohl gegen den Lenker als auch gegen den Halter die Kürzungsgründe regressweise geltend machen könne.499
B.
Bei leichter Fahrlässigkeit
Die Ausführungen betreffend Kaskoversicherer können nicht einfach analog herangezogen werden, da bei der Haftpflichtversicherung der Lenker versicherte Person ist. Aufgrund dessen ist es dem Haftpflichtversicherer im Sinne der zwingenden Bestimmung
von Art. 14 Abs. 4 VVG verwehrt, gegen den Halter als Versicherungsnehmer und ebenso auf den berechtigten Lenker zu regressieren. Dies gilt selbstverständlich nicht für den
Strolchenfahrer, gegen den in Art. 75 Abs. 2 SVG ein Regressrecht zugunsten des Halters und seines Haftpflichtversicherers statuiert ist.
3.
Stellungnahme
Betrachtet man den Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 oder 2 VVG, so entsteht der Eindruck,
der Versicherer könne unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte den Schaden verursacht hat, kürzen. Dies gilt meines Erachtens indes
nur dann, wenn der Anspruchsberechtigte zum Personenkreis von Art. 14 Abs. 3 VVG
496
497
498
499
Oftinger/Stark, II/2, § 26 N 226 f.; Maurer, PVR, S. 364 f.; VVG-Hönger/Süsskind, Art. 14 N 33 m.H. auf
die in diesem Sinne anschliessende kantonale Rechtsprechung; a.M. Keller, Hilfsperson, S. 8 ff.; Giger,
Art. 58 Ziff. IV.
BGE 91 II 233.
Keller, Hilfsperson, S. 1 ff., S. 8 ff.
Gl.M. etwa Giger, Art. 58 Ziff. IV m.w.H.
135
zählt, zumal die beiden Absätze 1 und 2 gegenüber Abs. 3 lediglich subsidiären Charakter aufweisen. In der Doktrin wird dieser Umstand übersehen, indem beispielsweise
ausgeführt wird, dass Art. 14 Abs. 3 VVG dann zur Anwendung komme, wenn nicht der
Versicherungsnehmer oder der Anspruchsberechtigte, sondern eine Drittperson das befürchtete Ereignis schuldhaft herbeigeführt habe.500 In Abs. 3 wird jedoch nicht von
irgendeinem Dritten gesprochen, sondern ebenfalls vom Anspruchsberechtigten. Dies
lässt den Schluss zu, dass erst dann, wenn die persönlichen Voraussetzungen des Anspruchsberechtigten im Sinne der Spezialbestimmung von Abs. 3 nicht vorliegen, die
allgemeine Kürzungsbestimmung gemäss Abs. 1 oder 2 angerufen werden kann.
Im Sinne des Vorranges von Art. 14 Abs. 3 VVG verdient die vom Bundesgericht verfolgte Lösung eindeutig den Vorzug. Der Haftpflichtversicherer übernimmt das Risiko,
welches aus der Betriebsgefahr eines Motorfahrzeuges und eines allfälligen schuldhaften
Verhaltens des Lenkenden resultiert. Ist dem Lenker eine grobfahrlässige Handlung
vorwerfbar, so steht der Haftpflichtversicherer nicht schlechter da, als wenn der Halter
das Fahrzeug gelenkt hätte, da der aus Art. 41 OR haftende Lenker Regressschuldner
wird. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn der Halter von der regelmässig grobfahrlässigen Fahrweise oder der Angetrunkenheit des Lenkers Kenntnis hat und ihm trotzdem sein Fahrzeug anvertraut. Diesfalls ist es gerechtfertigt, den Halter mit dem Verhalten des Lenkers regressweise zu belasten. Die Gegenargumente von KELLER sind wenig
überzeugend und basieren im Übrigen auf einer „ergänzenden Auslegung“501, weshalb
sein vorgeschlagenes Ergebnis nicht direkt auf Art. 14 Abs. 3 VVG basiert. Insbesondere
übersieht der Autor, wenn er den Schutz des Versicherers in den Mittelpunkt stellt, dass
der Versicherer nicht schlechter gestellt wird, wenn ihm lediglich ein Regressanspruch
gegen den Lenker zugestanden wird. Vielmehr würde der Haftpflichtversicherer besser
gestellt, wenn anstelle des Halters der Lenker gehandelt hätte, da er diesfalls zwei
Regressaten in Anspruch nehmen könnte. Zudem ist die Verknüpfung der beiden Deckungen bezüglich Halter und Lenker unzulässig, was zu einer Vermischung von Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigtem führt. Anspruchsberechtigt ist, wer aus der
Versicherungspolice legitimiert ist, den daraus resultierenden Anspruch durchzusetzen.502 Dies ist in aller Regel der Versicherungsnehmer als Vertragspartei.
500
501
502
So etwa Maurer, PVR, S. 361.
Keller, Hilfsperson, S. 7.
Maurer, PVR, S. 175.
136
III.
Regelung de lege ferenda
Der VE-Brehm sieht in Art. 53 Abs. 2 vor, dass der Haftpflichtversicherer im Rahmen
seiner Leistungen in die Rechte des Versicherten gegen allfällige Mithaftpflichtige eintritt. Dies entspricht – wie dargelegt – der heutigen, mehrheitlich unangefochtenen
Rechtsprechung des Bundesgerichts. Es wäre bestimmt zu begrüssen, wenn die heutige
„Alter-ego-Praxis“ des Haftpflichtversicherers eine gesetzliche Verankerung erfahren
würde.
§ 12. Besonderheiten des Privatversicherungsregresses
I.
Koordinationsklauseln
1.
Ausgangslage
Immer wieder wurde der Versuch unternommen, die gesetzliche, als starr empfundene
Regressordnung mittels vertraglicher Koordinationsregeln, häufig kombiniert mit einer
vertraglichen Zession, zu modifizieren. Unter Zuhilfenahme von Subsidiaritäts-, Komplementär- oder Regressausschlussklauseln sollte unter Umständen ein Rückgriff gänzlich ausgeschlossen werden. Dabei wird teilweise nicht nur über das Ziel hinausgeschossen, sondern gegen die geltende, teilweise zwingende Rechtsordnung verstossen. Überdies können dadurch empfindliche Deckungslücken entstehen.
2.
Zession
Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die gesetzliche Regressordnung immer
dann durch eine vertraglich vereinbarte Zession geändert werden kann, wenn es sich
dabei nicht um zwingendes Recht handelt, welches dadurch umgangen wird.503 Dabei
gilt es jedoch zu bedenken, dass eine Abtretung ex post ins Leere läuft, nachdem der
Anspruchsberechtigte bereits befriedigt wurde, zumal dadurch – zum Zeitpunkt der Leistung – sein Anspruch untergegangen ist.504 Eine Regressvereinbarung ist nach einem Teil
der Lehre nur dann zulässig, wenn die Abmachung zwischen den verschiedenen Ersatz-
503
504
So schon Oswald, S. 13; Roelli/Jaeger, Art. 72 N 69.
Gl.M. Schaer, Grundzüge, N 961.
137
pflichtigen sich auf diese selbst bezieht, nicht aber dann, wenn die Abmachung zwischen
dem Geschädigten und einem Ersatzpflichtigen getroffen wird.505 Dies ist meines Erachtens einleuchtend, wäre doch Letzteres ein Vertrag zulasten Dritter im Sinne von Art.
111 OR.
Das Bundesgericht hat im „Gini/Durlemann-Entscheid“ bereits festgehalten, dass die
Regresskaskade von Art. 51 Abs. 2 OR nicht durch eine Abtretung abgeändert oder
umgangen werden könne.506 Dasselbe gilt für Art. 72 Abs. 1 VVG, bei welchem es nicht
zulässig ist, die Subrogation zugunsten des Versicherers auf andere Haftpflichtige auszudehnen.507 Im Sinne der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht wäre dies auch nicht
nötig, spricht doch das Spezialgesetz VVG von „unerlaubter Handlung“ und nicht von
einer Verschuldenshaftung.
Damit der Bauwesenversicherer508 nicht als Haftpflichtiger in die mittlere Stufe von Art.
51 Abs. 2 OR subsumiert werden kann, behilft man sich mit folgendem Passus in den
AVB: „Die Bauwesenversicherung hat nicht für Schäden aufzukommen, welche durch
den Haftpflichtversicherer eines am Bau des Werkes Beteiligten getragen werden müssen. Sie leistet jedoch einen Kostenvorschuss. Der Bauherr ist im Umfang des geleisteten
Vorschusses verpflichtet, seine Forderung gegen den Haftpflichtigen abzutreten.“ Das
Kantonsgericht Neuenburg509 hat eine Abtretung im Sinne dieser Klausel gutgeheissen.
In einem nicht publizierten Entscheid hat das Bundesgericht eine gegen dieses Urteil
gerichtete Berufung abgewiesen.510 Diese Zession, welche nach Art. 164 OR gültig zustande gekommen war, hatte jedoch nur deshalb Bestand, weil die vereinbarte Versicherungsleistung nicht als definitive, sondern als vorübergehende Leistung ausgestaltet war.
Somit fehlte es für die unechte Solidarität an der erforderlichen Voraussetzung der Leistungsidentität.
Nach überwiegender Lehre ist die Abtretung des Befreiungsanspruches des Versicherten
an den Geschädigten, welcher ihm aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag zusteht,
505
506
507
508
509
510
Oftinger/Stark, I, § 10 N 92.
BGE 80 II 252 f.; bestätigt in BGE 119 II 131 f.; so schon BGE 45 II 645.
A.M. Rumo-Jungo, Zusammenspiel, S. 622.
Gegenstand der Bauwesenversicherung ist die Versicherung von Bauleistungen gegen das Risiko der sog.
Bauunfälle und des Diebstahls neuer Bauteile, die mit dem Bauwerk fest verbunden sind.
So im Entscheid des KGer NE, Entschied vom 29. September 1997, in: RJN 1998, S. 76 ff. Vgl. dazu den
Kommentar von Koller, Solidarität, S. 2 ff.
Koller, Solidarität, S. 2.
138
nicht ausgeschlossen.511 Das Bundesgericht lässt die Zession des aus der Haftpflichtversicherungspolice garantierten Befreiungsanspruches im Sinne von Art. 164 Abs. 1 OR
zu, auch wenn die Haftpflicht noch nicht rechtskräftig feststeht.512 Im Rahmen der
Rechtsprechung513, wonach auch die Abtretbarkeit künftiger Forderungen bejaht wird,
selbst dann, wenn das Grundverhältnis zum Zeitpunkt der Abtretung noch nicht besteht,
ist meines Erachtens dieser Befreiungsanspruch ohne weiteres abtretbar.
Aufgrund der oben dargelegten Doktrin und Rechtsprechung bleibt nach meinem Dafürhalten nur ein kleiner Anwendungsbereich für eine rechtsgültige Zession innerhalb des
Regressverhältnisses, zumal gerade die gesetzlich verankerte Regresskaskade nicht umgangen werden kann. Eine Abtretung der Ansprüche ist dann sinnvoll, wenn der Versicherer lediglich seine Leistung im Rahmen eines Kostenvorschusses oder im Sinne einer
Kreditfunktion erbringt oder seine Leistung ohne vertragliche bzw. gesetzliche Pflicht
erfolgte. Bei all diesen Fällen kommen – mangels Leistungsidentität – die Subrogationsund Regressbestimmungen nicht zur Anwendung. Deshalb hat der Versicherer ohne eine
rechtsgültige Abtretungserklärung, welche natürlich den Formvorschriften von Art. 165
Abs. 2 OR unterliegt, keinerlei Regressmöglichkeiten.
3.
Subsidiaritäts- und Komplementärklauseln
Von einer Subsidiärdeckung ist immer dann die Rede, wenn eine Versicherungsleistung
lediglich in untergeordneter Weise bestehen soll, also nur dann, wenn nicht noch durch
eine andere Versicherungspolice die gleiche Gefahr bzw. das gleiche Interesse versichert
ist.514 Soll die Leistung einer Versicherungspolice nur eine andere Versicherungsleistung
ergänzen, so spricht man von einer Zusatz- oder Komplementärdeckung.
In den AVB sind häufig Klauseln anzutreffen, die eine Leistungspflicht bzw. die Schadensdeckung immer dann ausschliessen, wenn der Versicherte anderweitig Leistungen
erhalten kann. Das BPV steht den Subsidiärklauseln zurückhaltend gegenüber, während
511
512
513
514
Abtretbarkeit bejahend etwa Maurer, PVR, S. 380, 541 f.; a.M. Roelli/Jaeger, Art. 59 N 24.
BGE 115 II 264 ff., 266 f. mit Hinweisen auf die kantonale Rechtsprechung, die in dieser Frage nicht
einheitlich ist.
BGE 41 II 135; 84 II 363.
Maurer, PVR, S. 372 ff., wo auch eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Klauseln erfolgt. Dies
wird in dieser Arbeit nicht aufgegriffen, um nicht den Rahmen zu sprengen.
139
es die Komplementärklauseln grundsätzlich gutheisst.515 Das Bundesgericht bejahte
hingegen unter der Geltung des KUVG die Zulässigkeit von Subsidiärklauseln mit Zessionspflicht.516 Gerade hinsichtlich sog. Assistance-Versicherungen bestehen regelmässig solche Klauseln, weil in dieser Versicherungsbranche sehr oft Doppelversicherungsverhältnisse517 bestehen, welche an sich nach Art. 53 VVG bzw. Art. 71 VVG zu regeln
wären.518 Die AVB verlangen, dass Leistungen nur erbracht werden, wenn der Unfall der
eigenen Notrufzentrale gemeldet wurde und diese die Hilfeleistung auch geregelt hat. Ist
eine solche Praxis haltbar? Gerichtlich wurde diese Angelegenheit bis dato nicht beurteilt, weshalb auch diese AVB-Klauseln einer AVB-Kontrolle zu unterziehen sind.519
4.
Regressausschlussklausel
Die härteste Art, allfällige Regresse abzuweisen, ist die Deckungsausschlussklausel520.
Die Ausschlussklausel betreffend Regress- und Ausgleichsansprüche wurde bezüglich
der Betriebshaftpflichtversicherung bereits eingehend erörtert.521 Neuerdings sind jedoch
auch vollumfängliche Regressausschlussklauseln in Privathaftpflichtversicherungs-AVB
zu finden, was zu unliebsamen Überraschungen für die Versicherungsnehmer führen
kann, welche sich hinsichtlich sämtlicher möglicher Haftungsansprüche abgesichert
wähnen.522
515
516
517
518
519
520
521
522
Aus einer nicht veröffentlichten Stellungnahme des BPV vom 12. Januar 1998 geht hervor, dass das
Bundesamt den Subsidiärklauseln grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, sich jedoch bewusst ist, dass
regelmässig AVB solche Klauseln enthalten, da viele Versicherungsprodukte nicht mehr genehmigungspflichtig sind. Gegen Komplementärklauseln hat das BPV nichts einzuwenden; vgl. zum Ganzen Maurer,
PVR, S. 376 f.
Urteil des EVG vom 15. August 1988, in: SGW1988 Nr. 44, S. 4.
Vgl. dazu auch vorne § 12 II.
Die Doppelversicherungsverhältnisse entstehen in dieser Branche oft deshalb, weil der Versicherungsnehmer regelmässig einerseits über die Krankenkasse und andererseits über eine Personen-Assistance oder
Rechtsschutzversicherung versichert ist. Dadurch entstehen zwangsläufig Überschneidungen.
Vgl. dazu hinten § 13.
Vgl. beispielsweise in der Sachversicherung den wohl prominentesten Deckungsausschluss, "fehlerhafte
bauliche Konstruktion".
Vgl. vorne § 9 II 3.
Auszug einer AVB einer Privatversicherung: „Von der Versicherung ausgeschlossen sind: [...] sämtliche
Regress- und Ausschlussansprüche Dritter, wie insb. von anderen Haftpflichtigen, Versicherern, Arbeitgebern, Verbänden, Clubs, Stiftungen, Kassen usw. für Leistungen, die sie den Geschädigten ausgerichtet
haben [...]“.
140
Aufgrund der nicht unerheblichen Relevanz in der Praxis und der Tatsache, dass bereits
im VE-Brehm die Beibehaltung von Art. 59 VVG propagiert wird,523 drängt sich eine
AGB-Kontrolle dieser Bestimmung geradezu auf. Die Argumentation im VE-Brehm
überzeugt aufgrund der in dieser Arbeit vorgebrachten Erläuterungen in keiner Weise.
Der Sachversicherer soll und darf nach der hier vertretenen Auffassung nur dann belastet
werden, wenn kein haftpflichtiger Dritter belangt werden kann. Im Übrigen übersieht der
VE-Brehm bei der Aussage, die Versicherer würden in der Regel auf leichtfahrlässig
handelnde Arbeitnehmer nicht regressieren, dass dies einzig und alleine von der Politik
und der Kulanz der jeweiligen Gesellschaft abhängig ist. Auch aus einer sehr einschneidenden Kürzung des Schadenersatzanspruches können äusserst harte, wenn nicht gar
unbillige Ergebnisse resultieren.
Ohne das Ergebnis der noch folgenden AGB-Kontrolle vorwegnehmen zu wollen, kann
bemerkt werden, dass eine vollumfängliche Regressausschlussklausel gegen Treu und
Glauben verstossen könnte. Zudem kann deren Durchsetzung im Sinne von Art. 2 Abs. 2
ZGB unter Umständen rechtsmissbräuchlich sein.524 Die Klausel richtet sich primär
gegen die Unfallversicherungen, insbesondere gegen die SUVA525, wodurch im Ergebnis
sämtliche Regresse aus Personenschäden abgeblockt werden sollten, dies, obschon eine
Haftpflicht besteht. Darüber hinaus darf der Versicherungsnehmer, wohl zu Recht, davon
ausgehen, dass er durch seine Haftpflichtversicherung auch für solche Risiken Deckung
geniesst. Gerade hinsichtlich der Personenschäden, bei welchen die Unfallversicherer
eine gesetzlich verankerte Vorleistungspflicht trifft, diese im Gegenzug aber per Unfallzeitpunkt ein integrales Regressrecht eingeräumt erhalten, wird durch eine solche Ausschlussklausel die Haftpflichtversicherung obsolet. Die Praxis zeigt, dass insbesondere
Personenschäden immense Kosten generieren. Ein solcher Regressausschluss ist für
einen Schädiger existenzgefährdend. Dass eine Gerichtspraxis dazu fehlt, liegt einzig
und alleine in der Kulanz der Unfallversicherer, welche nämlich mit nicht unerheblichen
Prozesschancen einen Regressanspruch gegen den Verursacher gerichtlich durchsetzen
könnten.
523
524
525
Brehm, Entwurf, S. 310 f.
In diesem Sinne auch Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 30.
Solche und ähnliche Klauseln werden deshalb auch SUVA-Klauseln genannt.
141
II.
Mehrfachversicherung
1.
Ausgangslage
Unter Doppelversicherung ist gemäss Art. 53 Abs. 1 VVG die Versicherung des gleichen Gegenstandes, gegen die gleiche Gefahr, für die gleiche Zeit, oder bei zwei oder
mehreren Versicherern zu verstehen, wobei das Total der Versicherungssummen höher
als der Versicherungswert ist.526 Es müssen also zwei oder mehrere Vollwertversicherungen bestehen, damit von einer Doppelversicherung gesprochen wird. Liegen zwei
Versicherungsverträge auf erstes Risiko vor, so wird von einer sog. uneigentlichen Doppelversicherung oder auch von einer Mehrfachversicherung gesprochen, wobei nach
einem Teil der Doktrin auch diesfalls von einer analogen Anwendung der VVG-Regeln
ausgegangen wird.527 Unter den Versicherern wird bei Beteiligung einer Teilwertversicherung von Mehrfachversicherung und nicht von Doppelversicherung gesprochen.528
Die Mehrfachversicherung ist gesetzlich nicht geregelt. Damit hat sich eine Lösung inter
partes aufgedrängt, was denn unter den SVV-Gesellschaften auch geschehen ist, indem
der SVV Empfehlungen herausgegeben hat.
Liegt eine Doppelversicherung vor, so besteht implizit nach dem Wortlaut von Art. 71
Abs. 1 VVG zwischen den Versicherern keine Solidarität, denn sie schulden aus Vertrag
nur anteilsmässig. Somit ist der reine Doppelversicherungsfall nach VVG streng genommen gar kein regressrechtliches Thema, da bei der anteilsmässigen Deckung theoretisch keine Regresskonstellation entstehen kann. In der Praxis ist es jedoch aus Gründen
der Praktikabilität häufig so, dass der eine Versicherer den Fall reguliert und den nach
Art. 71 VVG übersteigenden Teil vom anderen Versicherer zurückfordert. Der Anspruch
wird sich dabei auf die ungerechtfertigte Bereicherung gemäss Art. 62 ff. OR abstützen.
Des Weiteren gilt es noch zwischen Aussen- und Fremdversicherung zu unterscheiden:
Unter Aussenversicherung versteht man die Deckung für Schäden am Eigentum, welche
ausserhalb des Standortes gemäss Police entstehen. Die Aussendeckung ist regelmässig
als Teilwertversicherung ausgestaltet. Bei der Fremdversicherung werden fremde Perso-
526
527
528
Maurer, PVR, S. 403; Koenig, PVR, S. 322.
VVG-Boll, Art. 71 N 9; Roelli/Jaeger, Art. 71 N 3.
In der Literatur werden teilweise die Begriffe unterschiedlich definiert, so etwa: Hauswirth/Suter, S. 117 f.
142
nen, fremdes Vermögen oder Dritteigentum mit eingeschlossen,529 welche sich in der
Obhut des Versicherungsnehmers der Standortversicherung befinden.
Hat der eine Versicherer mit oder ohne Kenntnis eines Mehrfach- bzw. Doppelversicherungsverhältnisses geleistet, so entsteht unter Umständen ein Rückgriffsverhältnis, welches jedoch, wie erwähnt, einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Gerade aufgrund der
unterschiedlichen Terminologie und der lediglich rudimentären gesetzlichen Regelung
kann in der Praxis – trotz gewisser Empfehlungen usw. – keine Auffassung als die herrschende bezeichnet werden. Die Regeln von Art. 53 und Art. 71 Abs. 1 VVG sind nach
Art. 97 Abs. 1 VVG zwingendes Recht, womit festgehalten werden kann, dass reine
Doppelversicherungsverhältnisse der Vertragsautonomie entzogen sind.
2.
Doppelversicherung im Sinne des Gesetzes
Bei der reinen Doppelversicherung wird der Schaden im Sinne der nach Art. 97 Abs. 1
VVG für zwingend erklärten Bestimmung von Art. 71 Abs. 1 VVG im Verhältnis der
Versicherungssummen geteilt. Auch hier gilt das Prinzip des Überentschädigungsverbots, wonach selbst bei gutgläubiger Doppelversicherung nicht mehr als der entstandene
Sachschaden vergütet werden soll.530 Die Bestimmung von Art. 71 Abs. 1 VVG ist auf
die Sachversicherung zugeschnitten, weshalb diese lediglich sinngemäss auf die Haftpflichtversicherung angewendet werden kann.531
Damit eine Doppelversicherung de jure vorliegt, müssen kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Die Versicherungssummen beider Versicherer zusammen müssen
den Versicherungswert übersteigen. 2. Es muss das gleiche Interesse bzw. das gleiche
Objekt betroffen sein. 3. Die Deckung muss sich auf dieselbe Gefahr beziehen. 4. In
zeitlicher Hinsicht müssen beide Versicherungen während des Schadendatums laufen.
Liegen sämtliche Voraussetzungen vor, so bestimmt das VVG, dass eine „Pro-rataDeckung“ erfolgt; d.h., jeder Versicherer leistet in dem Verhältnis für den Schaden, in
dem seine Versicherungssumme zur gesamten Versicherungssumme beider Versicherungen steht. Jeder Versicherer leistet demnach seine Quote an den Geschädigten und
nicht etwa das Ganze und nimmt für die auf den anderen Versicherer entfallende Quote
529
530
531
Maurer, PVR, S. 313.
Koenig, PVR, S. 326. In diesem Zusammenhang unterscheidet der Autor zwischen bösgläubiger und
gutgläubiger Doppelversicherung. In der vorliegenden Arbeit wird auf diese Unterscheidung verzichtet.
Maurer, PVR, S. 407.
143
Regress. Dies ist deshalb so, weil nach schweizerischem Recht nach Art. 71 VVG kein
Regressrecht unter den Versicherern besteht.532 Bestehen zwei Versicherungsverträge für
denselben Haftpflichtfall, so wird nicht auf die Versicherungssumme im Sinne von Art.
71 VVG abgestellt, sondern auf die Leistung, die der Haftpflichtversicherer im Versicherungsfall zu erbringen hätte, wenn keine andere Haftpflichtversicherung daneben bestehen würde.533 Dies führe zur hälftigen Teilung des Schadens.534
Diese Lösung ist nicht kundenfreundlich, muss der Geschädigte doch bei zwei Versicherern um Leistung ersuchen. Zudem besteht dadurch eher das Risiko der Überentschädigung. Um dies zu verhindern, müssen sich die beiden Versicherungsgesellschaften ohnehin absprechen, zumal in der Praxis die Schadensberechnung meistens nicht mathematisch exakt erfolgen kann (Amortisation, Neuwert usw.). Reguliert eine Gesellschaft den
Schaden vorab, kommt lediglich ein originäres Regressrecht in Frage, ist doch die Legalzession im Spezialgesetz nirgends erwähnt. Damit ist aber auch konkludent gesagt,
dass der Anspruch des Versicherungsnehmers gegenüber der nicht leistenden Versicherung nicht auf die leistende Versicherung übergeht. Für die Konstruktion eines Regressanspruches käme unter anderem die Anwendung der Art. 143 ff. OR in Frage. Gegen
diese Anwendung spricht primär, dass die beiden Versicherer nicht solidarisch haften,
sondern dass beide unabhängig voneinander eine vertragliche Leistungspflicht innehaben. Somit scheidet eine direkte Anwendung aus. Aber aufgrund der ratio legis der Bestimmungen der Art. 143 ff. OR, die nämlich darin besteht, allgemeine Regeln betreffend „gemeinsames Zusammenstehen für eine Schuld“ aufzustellen, ist es meines Erachtens legitim, diese Regeln per analogiam trotzdem heranzuziehen, zumal durch Art. 71
VVG eben ein besonderes Verhältnis unter den Versicherern geschaffen wird.535 Gestützt auf diese Auslegung wäre Art. 148 OR heranzuziehen, wo das Rechtsverhältnis
unter den Solidarschuldnern geregelt wird. Diesfalls käme nicht eine hälftige Teilung in
Betracht, sondern die Aufteilung aus dem Rechtsverhältnis im Sinne von Art. 71 VVG.
Für den geleisteten Mehrbetrag gewährt Art. 148 Abs. 2 OR ein Rückgriffsrecht. Diese
dargelegte Lösung ist meines Erachtens sachlich gerechtfertigt und entspricht auch der
Teleologie der Doppelversicherung, welche ja in keiner Art und Weise von einer Trennung der beteiligten Versicherungen spricht und auch keine solche beabsichtigt.
532
533
534
535
Koenig, PVR, S. 327; vgl. auch vorne § 12 II 1.
Maurer, PVR, S. 407; Schiedsgericht H. Oswald vom 13. Januar 1981, in: SGW 1981 Nr. 1, S. 24 f.
Schiedsgericht H. Oswald vom 13. Januar 1981, in: SGW 1981 Nr. 1, S. 25.
Einer analogen Auslegung von Art. 71 Abs. 1 VVG widerspricht meines Erachtens auch nicht der zwingende Charakter dieser Bestimmung, da im Ergebnis nicht von der gesetzgeberischen Lösung abgewichen
wird; ähnlich auch VVG-Graber, Art. 72 N 17.
144
Eine Frage gilt es jedoch so oder anders zu klären, und zwar jene der Selbstbehalte.
Beide Versicherer vereinbaren regelmässig einen Selbstbehalt. Würden nun beide Versicherer unabhängig voneinander ihren vertraglich vereinbarten Selbstbehalt dem Kunden
gegenüber in Abzug bringen, so würde der geschädigte Versicherungsnehmer schlechter
gestellt, als wenn er keine Doppelversicherung abgeschlossen hätte. Es fällt bei der
Durchsicht der Literatur auf, dass dieses Problem bis dato nicht erörtert wurde. Umso
mehr drängt sich hier eine Darstellung bzw. ein Lösungsvorschlag auf. Der Versicherungsnehmer bezahlt eine doppelte Prämie zur Abdeckung eines bestimmten Risikos.
Tritt dieses versicherte Risiko ein, so profitieren die beteiligten Versicherer, welche nur
anteilsmässig ihre Leistungen erbringen müssen, obschon sie Prämien für den Fall einer
vollen Leistung erhalten haben. Dies gilt es grundsätzlich zu akzeptieren, zumal die
Regelung des VVG diesen Vorteil konkludent billigt. Aufgrund dieses Resultats ist es
aber richtig, den Versicherungsnehmer wenigstens im Rahmen des Selbstbehaltes profitieren zu lassen, und zwar so, dass er in einem Doppelversicherungsfall keine Selbstbehalte zu tragen hat. Den Ausfall des vereinbarten Selbstbehaltes hat jede Gesellschaft,
unabhängig von der anderen, selbst zu übernehmen.
3.
Mehrfachversicherung im Sinne des SVV
A.
Mehrfachversicherung
i.
Allgemeines
Bevor die Regelungen des SVV erörtert werden, gilt es nochmals daran zu erinnern, dass
ein Handlungsspielraum lediglich ausserhalb der eigentlichen Doppelversicherungen
besteht. Also dann, wenn mindestens eine Teilwertversicherung beteiligt ist.
Ist ein Versicherungsnehmer am Mehrfachversicherungsverhältnis beteiligt, so kommt
die Empfehlung des SVV Nr. 2.02.02 zur Anwendung. Sind mehrere Versicherungsnehmer involviert, so wird die Empfehlung des SVV Nr. 2.02.01 tangiert. Dies gilt es im
Folgenden zu analysieren.
145
ii.
Gleiches Rechtssubjekt
Nach der Empfehlung Nr. 2.02.02536 ist der Schaden wie folgt aufzuteilen: „Jeder Versicherer bezahlt vorweg die Hälfte des Betrages, den er ohne Vorhandensein einer mehrfachen Versicherung zu leisten hätte. Der ungedeckt bleibende Restbetrag wird anschliessend von den beteiligten Versicherern zu gleichen Teilen übernommen.“537 Dabei wird
stillschweigend davon ausgegangen, dass der Teilwertversicherer nicht mehr leisten
muss, als er vertraglich zugesichert hat. Denn liegt der Schaden etwas höher als der im
Beispiel der SVV-Empfehlung aufgeführte, so wird der versicherte Teilwert leicht überstiegen. Diesfalls wird meines Erachtens keine den versicherten Teilwert übersteigende
Leistung verlangt werden dürfen, auch wenn die Empfehlung sich dazu in keiner Weise
äussert.
Betreffend den Selbstbehalt fällt die Entlastung des Versicherungsnehmers auf, indem er
im Ergebnis keinen solchen zu tragen hat. Dies ist aus denselben Gründen wie bei der
Doppelversicherung sachgerecht, zahlt doch der Versicherungsnehmer zu viel Prämie.
Davon sollen nicht nur die Versicherer profitieren.
iii.
Ungleiches Rechtssubjekt
Folgendes Beispiel soll der Verdeutlichung dienen:
Ein Hotelgast G übernachtet bei Hotelier H. G ist bei der X hausratversichert, und H
hat bei der Betriebsversicherung, welche er bei Y abgeschlossen hat, auch Gästeeffekte in die Deckung miteingeschlossen. Während des Aufenthaltes von G wird in
sein Zimmer eingebrochen. Dabei wird ihm eine Fotokamera gestohlen. Welche
Versicherungsgesellschaft muss den Schaden übernehmen?
Sind zwei Rechtssubjekte im Spiel, kommt die SVV-Empfehlung Fremd- vor Aussenversicherung538 zur Anwendung. Nach den Ausführungen des SVV gilt dies jedoch nur
536
537
538
SVV-Empfehlung Nr. 2.02.02 vom 1. Januar 1997.
Vgl. dazu das Beispiel in der Empfehlung 2.02.02 im Anhang.
SVV-Empfehlung Nr. 2.02.01 vom 1. Januar 1997.
146
dann, wenn es sich um eine Doppelversicherung handelt, also zwei Vollwertversicherungen tangiert werden. Diese Einschränkung auf Vollwertversicherungen kann nicht
gewollt sein, zumal dies contra legem wäre, ist doch Art. 71 Abs. 1 VVG gemäss Art. 97
Abs. 1 VVG zwingender Natur. Vielmehr ist die Anwendung dieser Empfehlung auf
Teilwertversicherungen beschränkt.
Kommt die Empfehlung Nr. 2.02.01 zur Anwendung, so gilt die Regel, dass zulasten der
Standortpolice zu 100% zu entschädigen ist, d.h. mit anderen Worten, dass die Fremdversicherung grundsätzlich zu belasten ist. Eine Einschränkung gilt dann, wenn die restliche Versicherungssumme der Standortpolice noch genügend Deckung aufweist. Die
ratio legis liegt darin, dass diese Regel nicht zu einer Benachteiligung des Fremdversicherungsnehmers (H) führen soll. Sofern also die Ansprüche der Dritteigentümer (G)
zunächst über deren Aussenversicherungsdeckung abgewickelt werden, da sie ja grundsätzlich einen Deckungsanspruch aus ihrer eigenen Police besitzen, so hat der Standortversicherer die volle Deckung zu übernehmen. Auf das obige Beispiel angewendet bedeutet dies, dass G den Schaden über die Y abwickeln kann, sofern die versicherte
Summe für den Gesamtschaden ausreicht.
Eine Ausnahme wird lediglich bei Motorfahrzeugen gemacht, bei welchen die Aussendeckung – welche bei der Teilkasko enthalten ist – der Fremdversicherung vorgeht. Ein
solcher Fall kann sich beispielsweise bei einem Fahrzeug ereignen, das, während es in
der Obhut des Garagisten ist, aus dessen Räumlichkeiten gestohlen wird. Diesfalls hat
also die Teilkaskoversicherung den Diebstahlsschaden letztlich zu übernehmen. Weshalb
bei Motorfahrzeugen gerade die umgekehrte Regelung gewählt wurde, bleibt ungeklärt
und lässt sich offenbar auch nicht beantworten. Die Teilkaskoversicherung kann versuchen, auf den Garagisten gemäss Art. 72 Abs. 1 VVG zu regressieren, wenn es gelingt,
Letzterem eine vertragliche Sorgfaltspflichtverletzung zu beweisen.
In der Praxis wird intensiv darüber diskutiert, was unter dem Begriff „Standortversicherer“ zu verstehen ist: Entgegen einer gelegentlich vertretenen Ansicht ist im Rahmen der
Fremdversicherung unter Standortversicherung auch die Aussendeckung zu subsumieren. Das Ergebnis ist sehr entscheidend, denn bei der gegenteiligen Auffassung liegt eine
gewöhnliche Mehrfach- oder Doppelversicherung vor, welche nach der Empfehlung Nr.
2.02.02 oder nach Art. 71 Abs. 1 VVG zu teilen wäre, während sonst die Empfehlung
Nr. 2.02.01 zur Anwendung gelangt, mit dem Resultat einer 100%igen Leistungspflicht
der Fremdversicherung. Meines Erachtens darf der Ausdruck „Standortversicherer“ nicht
alleine gemäss dem Wortlaut ausgelegt werden, vielmehr ist nach der Teleologie zu
147
fragen. Sinn und Zweck der primären Regulierung über den Fremdversicherer liegen
darin, dass der Versicherungsnehmer seine Police beanspruchen soll, welche den Sachgewahrsam innehat und den Nutzen der Sache realisieren kann. Somit ist der Begriff
„Standortversicherer“ extensiv auszulegen, so dass auch die Aussendeckung darunter
fällt. Zudem wäre es nicht korrekt, wenn die Empfehlung Nr. 2.02.02 auch bei Beteiligung zweier Rechtssubjekte zur Anwendung käme, mit dem Ergebnis, dass beide Versicherungsnehmer keinen Selbstbehalt zu tragen hätten.
4.
Stellungnahme
Wie aus den vorhergehenden Darlegungen resultiert, sind die Doppel- bzw. die Mehrfachversicherungsverhältnisse sehr komplex und verwirrend. Viele Diskussionen könnten im Keim erstickt werden, würde man sämtliche Mehrfachversicherungsverhältnisse,
unabhängig einer Voll- oder Teilwertversicherung, unter einer Bestimmung regeln.
Dabei wäre die Lösung des heutigen Art. 71 VVG an sich richtig, wenn in der Praxis
auch etwas schwerfällig zu handhaben. Um jedoch extreme Missverhältnisse zu vermeiden, welche durch unterschiedliche Versicherungssummen entstehen könnten, ist an der
quotalen Aufteilung auch de lege ferenda festzuhalten. In einem zweiten Teil ist hingegen ein Regressrecht für jene Versicherung zu gewähren, welche den Schaden vorab
reguliert und dabei im Ergebnis zu viel geleistet hat. Die vertraglich vorgesehenen
Selbstbehalte sind meines Erachtens bei sämtlichen Mehrfachversicherungskonstellationen ausser Acht zu lassen, zumal der Versicherungsnehmer durch die mehrfache Versicherung ja auch weit mehr Prämien bezahlt hat, als an sich für die Abdeckung seiner
Risikos nötig gewesen wäre. Der Versicherer leistet somit im Ergebnis seine proportionale Quote, welche aufgrund der beiden Versicherungssummen bestimmt wird, aber
ohne Abzug des Selbstbehaltes.
III.
Verjährung von Regressforderungen
1.
Ausgangslage
Das vor allem im Versicherungsregress resultierende Nebeneinander von subrogierter
Forderung, im Sinne von Art. 72 Abs. 1 VVG, und dem Ausgleichsanspruch im Sinne
von Art. 51 Abs. 2 OR wurde vorne aufgezeigt. Die Wirkungen und die zum Teil
148
nachteiligen Konsequenzen dieser komplexen Regresssystematik de lege lata schlagen
sich auch im Verjährungsrecht nieder. Diese Problematik ist Gegenstand des vorliegenden Abschnitts.
Beim Regress auf der Grundlage der Subrogation ist die Rechtslage unbestritten: Die
subrogierende Forderung des Geschädigten gegenüber dem Schädiger trägt dasselbe
Schicksal wie der Direktanspruch, von welchem sie abgeleitet wird, weshalb im Zeitpunkt der Legalzession die Verjährungsfrist bereits schon zu laufen begonnen hat.539
Demgegenüber kann beim originären Ausgleichsanspruch die Frist erst dann zu laufen
beginnen, wenn die Forderung überhaupt entstanden ist. Dennoch gilt es festzuhalten,
dass das geltende Recht die Verjährung des Ausgleichsanspruches nicht durch eine allgemeine Bestimmung regelt. Deshalb wäre eine starre Übernahme dieser Ausgangslage
etwas gewagt, und die Gefahr von ungerechten Härtefällen wäre gross, zumal sich Haftpflichtige dadurch noch nach Jahren über die eigene Verjährungsfrist hinaus mit Ausgleichsansprüchen konfrontiert sähen.
Eine Lösung ist in den Spezialgesetzen Art. 83 Abs. 3 SVG und Art. 39 Abs. 3 RLG
vorgesehen. Danach verjährt der Rückgriff innert zwei Jahren ab dem Tag, an dem die
Leistung voll erbracht wurde und die haftpflichtige Person bekannt war.
2.
Lehre und Rechtsprechung
A.
Subrogation im Sinne von Art. 149 Abs. 1 OR
Der Fristenlauf des subrogierten Anspruches des Geschädigten beginnt nach den Regeln
des Art. 60 OR, also mit Erlangung der Kenntnis über Schaden und Schädiger, wenn es
sich um einen ausservertraglichen Anspruch handelt. Dabei ist auch die unter Umständen
längere strafrechtliche Verjährungsfrist auf die subrogierende Forderung anwendbar. Ist
der Anspruch vertraglicher Natur, so richtet sich die Verjährung nach den allgemeinen
Verjährungsregeln des OR.
539
Statt vieler: Roberto, Haftpflichtrecht, N 575; Oftinger/Stark, I, § 11 N 161; a.M. offenbar Rumo-Jungo,
Haftpflicht, N 957; Rumo-Jungo, Subrogation, S. 416 f., wonach die Verjährung erst bei erfolgter Subrogation zu laufen beginne. Leider ist nicht ersichtlich, worauf sich die Autorin tatsächlich abstützt, zumal
der Verweis auf Oftinger/Stark, I, § 11 N 161, nicht korrekt ist.
149
B.
Ausgleichsanspruch im Sinne von Art. 51 Abs. 2 OR
Hier beginnt die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Rückgriffsberechtigte seine Leistung an den Geschädigten erbringt,540 da erst dadurch ein Ausgleich
unter den Solidarschuldnern erforderlich wird. Dabei wird von einem Teil der Lehre die
Verjährung des Bereicherungsrechts analog herangezogen, also Art. 67 OR. Dies führt
zu einer relativen Frist von einem Jahr und einer absoluten Frist von zehn Jahren.541 Ein
anderer Teil der Lehre verficht die Ansicht, dass sich die Dauer der Verjährung nach
dem Anspruch richtet, den der Geschädigte gegen den haftpflichtigen Dritten besass.542
Eine herrschende Lehre hat sich bis dato nicht abgezeichnet.
Das Bundesgericht jedoch hat entschieden, dass das Rückgriffsrecht erst zu dem Zeitpunkt entsteht, in dem die haftpflichtige Person das Opfer entschädigt hat.543 Somit ist es
grundsätzlich möglich, dass ein Solidarschuldner zwar im Aussenverhältnis vom Geschädigten nicht mehr belangt werden kann, aber im Innenverhältnis durchaus noch mit
einer Regressforderung zu rechnen hat. Obschon das Bundesgericht diesen originären
Ausgleichsanspruch als selbständiges Recht anerkennt und somit der Fristenlauf an sich
erst mit der Zahlung der Ersatzpflicht an den Geschädigten beginnt, versagt es dem Regressberechtigten unter gewissen Umständen die Durchsetzung eines solchen Ausgleichsanspruches. Dies gilt dann, wenn der Regressberechtigte von der Möglichkeit auf
einen anderen Haftpflichtigen zurückzugreifen, was mittels Streitverkündung möglich
wäre, rechtzeitig Kenntnis erhalten, aber dennoch nichts unternommen hat.544
Somit übernimmt das Bundesgericht den von der Lehre vorgeschlagenen Analogieschluss, baut hingegen zugleich eine Rechtsmissbrauchsschranke im Sinne von Art. 2
Abs. 2 ZGB ein, indem es das zu lange Zuwarten mit der Erhebung eines Anspruches als
eine rechtsmissbräuchliche Verzögerung betrachtet. Voraussetzung ist, dass der Regressberechtigte von der Möglichkeit, auf einen anderen Haftpflichtigen zurückzugreifen, rechtzeitig Kenntnis erhält, aber dennoch untätig bleibt und dadurch die Position des
anderen Haftpflichtigen grundlos verschlechtert. Das Bundesgericht schlägt als geeignete
Massnahme etwa die Streitverkündung vor. Dadurch erhält der Regressat die Möglich-
540
541
542
543
544
Siehe dazu BK-Brehm, Art. 51 N 141.
Vgl. etwa BK-Brehm, Art. 51 N 143; kritisch zur analogen Anwendung Rey, N 1723.
Oswald, S. 12; Oftinger/Stark, II/1, § 16 N 389.
BGE 115 II 48 ff.
BGE 115 II 49; bestätigt in BGE 127 III 266 f. Zum letzteren Entscheid vgl. auch Fellmann, Verjährung,
S. 113. ff. Vgl. dazu auch die Ausführungen im Kap. IV.
150
keit, beispielsweise als Nebenintervenient, oder gar als Hauptpartei, in den Prozess einzutreten, um so seine Interessen und Rechte umfassend zu wahren.
Im gleichen Entscheid wurde hingegen die nicht unerhebliche Frage offen gelassen, wie
die Rechtslage aussieht, wenn der Regressberechtigte vor der Verjährung konkurrierender Forderungen des Geschädigten gegen andere Mitschuldner keinerlei Veranlassung
hatte, seinen Ausgleichsanspruch zu erheben, weil er von der Rückgriffsmöglichkeit
keine Kenntnis erlangt hat. Immerhin verrät das Bundesgericht de fine so viel, dass diesfalls kein treuwidriges Verhalten vorgehalten werden könne. Ob daraus geschlossen
werden kann, dass die Verjährungseinrede diesfalls nicht gehört würde, ist meines Erachtens fraglich.545
IV.
Verrechnung von Regressforderungen
1.
Ausgangslage
Unter den Versicherungsgesellschaften kommt die Frage der Verrechnungsmöglichkeit
von gegenseitigen Regressforderungen im Sinne von Art. 120 ff. OR auf. Dadurch könnte unter Umständen „elegant“ eine eigene Schuld durch Preisgabe einer gleichartigen
Gegenforderung kompensiert werden.546
Damit eine Forderung verrechnet werden kann, müssen kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Gegenseitigkeit der Forderung, 2. Durchsetzbarkeit (Fälligkeit und
Klagbarkeit) der Verrechnungsforderung, 3. Erfüllbarkeit der Hauptforderung und 4.
Gleichartigkeit der Leistungen. Ohne in dieser Arbeit auf Einzelheiten eingehen zu können, kann hier festgehalten werden, dass gerade betreffend Regressforderungen die Vorraussetzungen regelmässig erfüllt sein dürften, zumal es sich stets um Geldforderungen
handelt, welche praktisch immer erfüllbar und ebenso auch gegenseitig und gleichartig
sind. Die Konnexität ist nach herrschender Lehre und Rechtsprechung kein Erfordernis
der Verrechnung.547
545
546
547
So jedoch Fellmann, Verjährung, S. 119.
Grundlegend zur Verrechnung vgl. etwa Bucher, S. 428 ff.
Statt vieler: Guhl/Koller, § 37 N 15; Schwenzer, N 77.11; BGE 91 II 213 ff.; 63 II 133.
151
2.
Versicherungsrechtliche Sicht
An sich wäre auch unter den Versicherern die gegenseitige Verrechnung von Forderungen möglich. Nun existiert unter den dem SVV angeschlossenen Gesellschaften ein
Regresskodex548. Darunter zählt unter anderem auch ein Verrechnungsverbot, das bestimmt, dass jeder „Einzelfall individuell beurteilt und erledigt“ wird. Dieses Verbot
basiert auf der Überlegung, dass ohne dieses Verbot der Willkür jedes Bearbeiters Tür
und Tor geöffnet wäre, zumal ja auch strittige Forderungen verrechnet werden könnten.
Das Verrechnungsrecht ist gemäss Art. 126 OR dispositives Recht, weshalb ein solches
Verrechnungsverbot durch Parteivereinbarung durchaus möglich ist. Ebenso hat es sich
auch in der Praxis bewährt.
3.
Stellungnahme
Das Verrechnungsverbot unter den SVV-Gesellschaften hat unbestreitbar den Vorteil der
Einzelfalllösung. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass in der Praxis dieses Verrechnungsverbot in gewisser Weise auch missbraucht werden kann, indem es der
Regressat ausnützt und zudem damit rechnet, dass die andere Versicherungsgesellschaft
nicht vorschnell gegen ihn Klage beim Gericht erhebt. Auf die Nichtklageerhebung kann
teilweise vertraut werden, da es Usanz ist, vorab in Vergleichsverhandlungen549, bei
welchen mehrere strittige Fälle zusammengenommen werden, eine Lösung zu finden.
Erst wenn auch dieser Vergleichsversuch gescheitert ist, steht gewissermassen der Weg
ans Gericht offen. Diese Umstände verhindern oftmals eine sachliche und effiziente
Regressbearbeitung.
Dennoch ist meines Erachtens am Verrechnungsverbot grundsätzlich festzuhalten, um
eben nicht der Willkür freien Lauf zu gewähren. Eine Ausnahme könnte man etwa dann
vorsehen, wenn eine Forderung durch eine Hinhaltetaktik des Regressaten, welche gegen
Art. 2 ZGB verstösst, verjährt ist, aber eben im Sinne von Art. 120 Abs. 3 OR noch mit
einer Gegenforderung verrechenbar wäre.
548
549
Vgl. Anhang.
Sog. Direktionsregressbesprechungen.
152
§ 13. Gültigkeit von Versicherungsklauseln
I.
Allgemeines
Es wurde bereits mehrfach auf die in der Versicherungswirtschaft verwendete umfangreiche AVB-Praxis hingewiesen.550 Versicherungsverträge wären ohne Standardisierung
kaum denkbar. Die Versicherer sind zum einen darauf angewiesen, das zu übernehmende
Risiko möglichst eingrenzen und auch kalkulieren zu können. Zum anderen drängt sich
aus ökonomischen Gesichtspunkten auf, diesen doch komplexen Vertragsinhalt zu standardisieren. Es darf aber nicht übersehen werden, dass durch den Beizug von AVB eine
Risikoverlagerung bewirkt werden kann.551 Überdies versteht sich von selbst, dass die
einzelnen Policen nicht ausgehandelt werden können und damit der Deckungsumfang
grundsätzlich nicht zur Disposition steht. Über die Jahre sind indes nicht nur komplexe
und teilweise schwer verständliche AVB-Werke entwickelt worden, sondern es haben
sich in gewissen Bereichen auch Deckungslücken und heikle Ausschlüsse eingeschlichen.552
Für das Versicherungsvertragsrecht sieht Art. 33 VVG eine Unklarheitsregel vor. Nach
überwiegender Auffassung bezieht sich diese Norm ausschliesslich auf die Anwendung
von gefahrenbeschränkenden Abreden, also auf Ausschlussbestimmungen.553 Im allgemeinen AGB-Recht hat die Rechtsprechung aus dem Vertrauensprinzip eine allgemeingültige Unklarheitsregel abgeleitet554 und auch auf Versicherungsverträge angewendet,
weshalb die Unterscheidung zur Makulatur wird.555 Im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern verfügt die Schweiz bis heute über kein eigenes AGB-Gesetz. Einzig
in Art. 8 UWG wird eine entsprechende Lösung für die Inhaltskontrolle bereitgehalten.
Wie noch zu zeigen sein wird, handelt es sich dabei um eine nicht griffige Bestimmung.
Im Folgenden geht es darum, die allgemeinen, von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der allgemeinen AGB-Kontrolle darzulegen. Da es nicht primär ein
Regressproblem darstellt, wird lediglich summarisch darauf eingegangen.556 In einem
550
551
552
553
554
555
556
Vgl. vorne § 9 II 2; § 12 I.
Zum Ganzen statt vieler: VVG-Fuhrer, Art. 33 N 1 ff. m.H. auf die historische Entwicklung.
Vgl. vorne § 12 I.
Roelli/Keller, S. 457; Koenig, PVR, S. 169
So etwa BGE 115 II 268 ff.
Gl.M. etwa VVG-Fuhrer, Art. 33 N 19 ff.
Für eine vertiefte Auseinandersetzung hinsichtlich dieser Problematik, auf Versicherungsverträge bezogen,
vgl. insb. VVG-Fuhrer, Art. 33 N 1 ff.
153
zweiten Schritt werden die vorne behandelten AVB-Klauseln dieser Kontrolle unterzogen.
II.
Umfang der AVB-Kontrolle
1.
Allgemeines
A.
Vorab: Genehmigungspflicht gemäss VAG
Die AVB unterstehen der Genehmigungspflicht des BPV. Dies ergibt sich aus dem
Zweck des VAG, insbesondere aus Art. 17 VAG, wonach das BPV die Geschäftstätigkeit hinsichtlich Beachtung des schweizerischen Rechts überwacht.557 Artikel 9 VAG ist
so zu verstehen, dass die Genehmigung nur dann versagt werden kann, wenn die AVB
gegen zwingendes Recht verstossen. Die einmal erfolgte Genehmigung der AVB bedeutet jedoch nicht, dass diese in einem Zivilprozess nicht anfechtbar bzw. mittels einer
AGB-Kontrolle überprüfbar wäre.
B.
Geltungskontrolle
Mit der Geltungskontrolle wird der Vertragsinhalt ermittelt. Dabei wird zweistufig vorgegangen: In einer ersten Stufe wird geprüft, ob die AVB als Ganzes rechtsgültiger Bestandteil des Einzelvertrages wurden. Ist dies zu bejahen, wird in einer zweiten Stufe
abgeklärt, ob die einzelnen Klauseln der AVB Gültigkeit erlangen.
AVB werden, aufgrund des regelmässig vorliegenden faktischen Machtgefälles zwischen
den Parteien, meistens global übernommen und vorab vom Versicherungsnehmer nicht
gelesen. Für die Konsensbildung ist auf jeden Fall wichtig, vor oder bei Vertragsschluss
explizit auf den Beizug der AVB hinzuweisen. Dies entspricht der Globalübernahme.558
Diese stillschweigende Übernahme von AGB wird – unter Berücksichtigung des Ver-
557
558
Koenig, PVR, S. 26.
BGE 108 II 418 E. 1b. Von der Globalübernahme wird die sog. Vollübernahme unterschieden, bei welcher
die Vertragspartner die AGB in voller Kenntnis über Inhalt und Tragweite übernehmen. Insbesondere bei
Versicherungsverträgen bildet die Globalübernahme die Regel, da der Versicherungsnehmer in der Regel
die AVB beim ersten Durchlesen kaum vollumfänglich verstehen kann. Im Schadensfall wird er kein Interesse daran haben, mit einem Dissens den Vertrag zu Fall zu bringen und überhaupt keine Deckung zu geniessen; vgl. dazu auch VVG-Fuhrer, Art. 33 N 47.
154
trauensprinzips – von Lehre und Rechtsprechung zugelassen.559 Somit wird auch Ungelesenes in einem Vertrag grundsätzlich vom normativen Konsens erfasst.
Ist festgestellt, dass die AVB integrierender Bestandteil des vorliegenden Versicherungsvertrages bilden, sind die einzelnen Klauseln danach zu prüfen, ob sie dem Vertrauensprinzip Genüge tun. Dies erfolgt anhand der vom Bundesgericht entwickelten
Ungewöhnlichkeitsregel. Diese besagt, dass alle ungewöhnlichen Klauseln von der globalen Zustimmung zu AGB herauszunehmen sind, auf deren Vorhandensein die schwächere oder weniger geschäftserfahrene Partei nicht besonders aufmerksam gemacht worden ist.560 Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass potenziell kritische oder in ihrer
Auswirkung einschneidende Klauseln mittels Fettschrift hervorgehoben werden. Damit
erübrigt sich häufig die Auseinandersetzung darüber, ob nun die Klausel ungewöhnlich
ist, denn durch die Hervorhebung ist die fragliche Bestimmung ohne weiteres zunächst
einmal Vertragsinhalt geworden.
C.
Auslegungskontrolle
Da der Globalübernahme regelmässig bloss ein normativer Konsens zugrunde liegt, ist
damit noch nicht gesagt, dass sich die Parteien über den Inhalt der Klausel einig sind
bzw. diesen auch so gewollt haben. Dazu sind die AVB-Bestimmungen zunächst nach
den Grundsätzen der allgemeinen Vertragsauslegung zu prüfen, wodurch der wirkliche
Parteiwille erforscht wird.561 In Zweifelsfällen wird, und zwar in subsidiärer Weise, die
Unklarheitsregel (in dubio contra stipulatorem) zur Anwendung gebracht. Danach gehen
Unklarheiten zulasten des Aufstellers von AGB.562 Das Bundesgericht präzisiert diese
Regel dahin, dass die Unklarheitsregel erst dann Platz greife, wenn nach umfassender
Auslegung, unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, die Unklarheit noch immer
besteht.563 Die Unklarheitsregel von Art. 33 VVG findet – wie erwähnt – lediglich auf
Ausschlussbestimmungen Anwendung. Da aber die allgemein geltende Unklarheitsregel
auch für Versicherungsverträge Geltung hat, spielt diese Einschränkung kaum eine Rolle.
559
560
561
562
563
Guhl/Koller, § 13 N 50.
BGE 109 II 452 ff.; 119 II 443 ff.
BGE 122 III 121.
BGE 115 II 264 ff.
BGE 122 III 118.
155
Im Zusammenhang mit der Auslegungskontrolle wird sodann das Restriktionsprinzip
erwähnt, wonach Klauseln, die einen schützenswerten Vertragspartner schlechter stellen,
eng auszulegen seien.564 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung sind Risikoeinschränkungen zuungunsten des Versicherers auszulegen, womit es das Restriktionsprinzip, ohne es so zu benennen, zur Anwendung bringt.565 Zudem verlange das Aushöhlungsverbot – so SCHAER im unveröffentlichten Gutachten566 –, dass Formulierungen in
den AVB nicht den Zweck einer Versicherungsdeckung gefährden dürfen.
Diese beiden Prinzipien lassen sich meines Erachtens ohne weiteres unter Art. 2 ZGB
subsumieren. Ob jedoch das Restriktionsprinzip nicht bereits in der Unklarheitsregel
enthalten ist, bleibt fraglich.
D.
Inhaltskontrolle
Mit der Inhaltskontrolle soll der Konsument vor unangemessenen, gegen Treu und Glauben verstossenden Klauseln geschützt werden, auch wenn die AGB rechtsgültig in den
Vertrag einbezogen wurden und ihr Inhalt auch vor der Auslegungskontrolle standhält.567
Als Grundlage für eine Inhaltskontrolle kann Art. 8 UWG genannt werden. Da dieser
Artikel, neben der Voraussetzung der erheblichen Abweichung, das Zusatzerfordernis
der Irreführung vorsieht, hat er praktisch kaum Bedeutung, zumal die erheblichen Mängel der AVB in irreführender Weise verschleiert werden müssen.568 Überdies ist der
Beweis der Irreführung äusserst schwierig zu erbringen. Dadurch wurden dem an sich
richtigen Kontrollinstrument „die Zähne“ gezogen.569 Dennoch wurde im BGE 119 II
443 ff., in einem obiter dictum, die Irreführung und damit die Voraussetzung von Art. 8
UWG bejaht. Eine AVB-Regel kann hingegen im Sinne der Generalklausel von Art. 2
UWG unlauter sein.570
564
565
566
567
568
569
570
So etwa VVG-Fuhrer, Art. 33 N 178 ff., m.w.H. auf die spärliche Kasuistik. Der Autor versagt das Restriktionsprinzip zwar nicht, misst ihm indes neben der Unklarheitsregel keine eigenständige Bedeutung
zu; Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 27, mit Verweis auf ein unveröffentlichtes Gutachten von R. Schaer
im Auftrage der SUVA vom 12. März 2000.
BGE 110 II 403 ff.
Gutachten im Auftrage der SUVA vom 12. März 2000.
VVG-Fuhrer, Art. 33 N 185.
Huguenin, S. 86 und 87 f., mit einem Plädoyer für eine offene Inhaltskontrolle; Pedrazzini/ Pedrazzini, N
12.13; ebenso noch von Büren/Marbach, N 1072 in der ersten Aufl.
Guhl/Koller, § 14 N 53, wo von einer stumpfen Waffe gesprochen wird.
von Büren/Marbach, N 951.
156
Nach der Privatautonomie gäbe es an sich keine Inhaltskontrolle, denn es gilt der Grundsatz pacta sunt servanda. Heute wird indes von einem Teil der Doktrin verlangt, bei
AGB weitgehend auch der Vertragsgerechtigkeit Rechnung zu tragen.571 Die Lehre fordert mehrheitlich eine offene Inhaltskontrolle, wonach in Konsumentenverträge bzw.
deren AGB eingegriffen werden kann, obschon ihr Wortlaut und Inhalt eindeutig feststellbar ist.572 Nach überwiegender Meinung ist als Rechtsgrundlage de lege lata Art. 19
Abs. 2 OR heranzuziehen.573 Hingegen lässt das Bundesgericht lediglich eine verdeckte
Inhaltskontrolle zu, was sich in der Geltungs- und Auslegungskontrolle niederschlägt,
aber kein eigentliches zusätzliches Kontrollinstrument darstellt.574
2.
Einzelne Klauseln
A.
Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung betreffend Regressansprüche gegen Arbeitnehmer und Hilfspersonen
i.
Geltungskontrolle
Diese Klausel lässt sich ausnahmslos in sämtlichen AVB der Betriebshaftpflichtversicherer finden und ist ebenso ausschliesslich mit Fettdruck oder anderen grafischen Darstellungen besonders hervorgehoben. Aus diesem Grunde kann festgehalten werden, dass
diese Klausel, auch wenn sie und ihre Folgen für den Leser ungewöhnlich anmuten,
mittels Globalübernahme rechtsgültig zum Vertragsinhalt wird. Die Geltungskontrolle
wird somit die Klausel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu Fall bringen.
ii.
Auslegungskontrolle
Die in Frage stehende Klausel ist – auch wenn der Wortlaut etwas schwer leserlich bzw.
verständlich ist – grundsätzlich nicht unklar. Der Versicherer dehnt die in Art. 59 VVG
vorgeschriebene Haftung im persönlichen Geltungsbereich aus, indem auch Hilfsperso-
571
572
573
574
Vgl. etwa Huguenin, S. 87 f. m.w.H.
In diesem Zusammenhang sei auf das AGB-Gesetz von Deutschland hingewiesen, wonach eine umfassende Inhaltskontrolle möglich gemacht wird. Obschon in der Schweiz mehrfach Bestrebungen in diese Richtung unternommen wurden, konnte bis heute kein Durchbruch für ein AGB-Gesetz verzeichnet werden.
VVG-Fuhrer, Art. 188 ff., wo die verschiedenen Lehrmeinungen und Rechtsgrundlagen dargelegt werden.
BGE 109 II 452 ff.; 119 II 443 ff.; BGE 115 II 268; Guhl/Koller, § 14 N 53; Huguenin, S. 86 ff. m.w.H.
157
nen des Versicherungsnehmers grundsätzlich versichert werden; dies allerdings unter der
Einschränkung auf Direktansprüche. Fraglich könnte dennoch sein, wer unter den Begriff „mit der Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes betraute Person“ zu subsumieren ist. Die Versicherer ziehen den Personenkreis derer, welche zu dieser Kategorie zu
zählen sind, sehr eng. Diese Auslegung deckt sich sodann mit der Doktrin und der Praxis575 zum Art. 3 lit. d ArG i.V.m. Art. 9 ArGV1. Danach übt eine solche höhere leitende
Tätigkeit aus, „wer aufgrund seiner Stellung und Verantwortung sowie in Abhängigkeit
von der Grösse des Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder
Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung eines Betriebes oder Betriebsteils einen
nachhaltigen Einfluss nehmen kann“576.
Im Sinne des ArG und der ArGV dürfte diese Klausel auch der Unklarheitsregel Genüge
tun.
iii.
Inhaltskontrolle
Im Sinne einer offenen Inhaltskontrolle wird im Folgenden versucht, einen Ausweg aus
der für den Arbeitnehmer ausweglosen Situation577 zu finden, unter der Annahme, dass
der bereits besprochene BGE 128 III 76 ff. nicht als gefestigte Praxis betrachtet werden
darf bzw. kann und dass eine offene Inhaltskontrolle überhaupt justiziabel ist.
Die Idee des Auswegs aus diesem Dilemma liegt im Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber. Wird der Arbeitnehmer vom Geschädigten direkt
belangt, was Letzterem denn auch freigestellt ist zu tun, so soll der Arbeitnehmer grundsätzlich einen solchen Freistellungsanspruch geltend machen können. Er kann mit anderen Worten vom Arbeitgeber beanspruchen, von diesen Ersatzansprüchen befreit zu
werden. Leistet der Arbeitnehmer selbst, so wandelt sich nach derselben Lehre dieser
Anspruch in einen Anspruch auf Ersatzleistung. Obwohl eine solche Regelung im Gesetz
575
576
577
Vgl. etwa BGE 126 III 337 ff.
Art. 9 ArGV1.
Die Situation entsteht durch die Regressnahme der Sachversicherung auf den Arbeitnehmer, der keine
entsprechende Deckung in einer Haftpflichtversicherung geniesst.
158
nirgends Niederschlag gefunden hat, wird dieser Anspruch von einem gewichtigen Teil
der Lehre bejaht.578
Dieser Freistellungsanspruch gründet in der ratio legis von Art. 321e OR, wonach sich
das Mass der Sorgfalt, für die ein Arbeitnehmer einzustehen hat, nach dem konkreten
Arbeitsverhältnis richtet, unter Berücksichtigung des Bildungsgrades und des Berufsrisikos. Daraus hat die Doktrin die schadensgeneigte Arbeit abgeleitet.579 Dieses Betriebsrisiko – im Rahmen der leichten Fahrlässigkeit – hat letztlich der Arbeitgeber und nicht
der Arbeitnehmer zu tragen.580 Dabei gilt es stets die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung zu beachten. Während ein Teil der Lehre und die ältere Rechtsprechung581 noch
von einem dreigeteilten Fahrlässigkeitsbegriff ausgehen, wird heute weitgehend dessen
Unterteilung, mit Verweis auf das Gesetz, auf leichte und grobe Fahrlässigkeit beschränkt.582 Dies ist meines Erachtens auch sachgerecht, fällt doch in der Praxis bereits
die Unterscheidung in leichte und grobe Fahrlässigkeit in Einzelfällen nicht leicht.583 Für
die Problematik in concreto genügt denn auch diese Unterscheidungsfeinheit, zumal ein
Freistellungsanspruch lediglich bei leichter Fahrlässigkeit besteht und im Übrigen bei
Grobfahrlässigkeit der Arbeitgeber bzw. der Unternehmer über die Betriebshaftpflichtversicherung grundsätzlich Deckung geniesst.584
Mit anderen Worten kann festgehalten werden, dass der Arbeitgeber letztlich für den
durch seinen Angestellten leichtfahrlässig verursachten Schaden einzustehen hat, und
zwar unbesehen davon, ob er über seine Betriebshaftpflichtpolice Deckung beanspruchen kann. Aus dieser Warte betrachtet, stellt man jedoch fest, dass das Ergebnis immer
noch nicht stimmen kann, denn der Arbeitgeber hat eine Vermögensversicherung abgeschlossen, welche nun die Leistung verweigert, bloss weil die Forderung auf dem Regresswege und nicht als Direktanspruch gestellt wird. Dieser Freistellungsanspruch
578
579
580
581
582
583
584
Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 94 f.; BK-Rehbinder, Art. 321e N 27; Rehbinder, Arbeitsrecht, § 8 N
150; Schaer, Schadensversicherer, S. 101 f.; Vaverka, S. 248.
Vgl. dazu OR-Rehbinder/Portmann, Art. 321e N 5; Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 95 ff. m.w.H. auf
die deutsche Lehre und Rechtsprechung. In diesem Zusammenhang plädiert der Autor für eine Ausweitung
der Haftungsbeschränkung betreffend schadensgeneigter Arbeit.
So auch OR-Rehbinder/Portmann, Art. 321e N 5.
BGE 100 II 338; OR-Rehbinder/Portmann, Art. 321e N 5.
Vgl. statt vieler: Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 104 f.
Auf weitere Ausführungen wird in dieser Arbeit verzichtet, zumal es für die vorliegende Problematik
kaum Relevanz hat.
Die Deckung kann jedoch unter Umständen im Sinne von Art. 14 Abs. 3 VVG gekürzt werden. Sodann
geniesst der grobfahrlässig handelnde Arbeitnehmer das Regressprivileg von Art. 72 Abs. 3 VVG nicht
mehr, weshalb ein Arbeitnehmerregress nicht ausgeschlossen wäre, wenn er auch in der Praxis selten
durchgeführt wird.
159
schlägt sich in der Bilanz des Unternehmers auf der Passivseite nieder, und für dies hat
die Haftpflichtversicherung die Deckung vertraglich übernommen und auch Prämien
erhalten.
Auch aufgrund des Aushöhlungsverbots darf der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer
darauf vertrauen, dass er auch für Regressansprüche gegen seine Arbeitnehmer, welche
am Ende in seiner Bilanz zu Buche schlagen könnten, Deckung geniesst. Unlauter im
Sinne der Generalklausel von Art. 2 UWG dürfte dieser Deckungsausschluss nicht sein,
und zwar deshalb, weil die Betriebshaftpflichtversicherer dennoch über die gesetzlich
geforderte Deckung (Art. 59 VVG) hinausgehen.
iv.
Ergebnis
So gesehen handelt es sich meines Erachtens bei dieser fraglichen Deckungsausschlussklausel um einen „Papiertiger“, welcher bis dato leider noch nie angefochten wurde.
Dies mag hauptsächlich daran liegen, dass die SUVA und die Sachversicherer mehrheitlich aus sozialen Gründen in der Praxis auf Arbeitnehmerregresse verzichten. Zudem ist
auf beiden Seiten der Respekt vor einem für sie ungünstigen Präzedenzfall nicht zu übersehen, was die Verhandlungs- und Vergleichsbereitschaft nicht unwesentlich steigert.
Dennoch dürfte – aufgrund des BGE 128 II 76 ff. – in nächster Zeit mit einem solchen
Prozess zu rechnen sein, bei welchem diese fragliche Klausel angefochten wird. Ebenso
ist es nur schwer vorstellbar, dass ein Gericht den leichtfahrlässig handelnden Arbeitnehmer heute noch zu einer Schadenersatzforderung verurteilen würde, welche ihn unter
Umständen in existenzielle Schwierigkeiten bringen könnte. Dennoch sei nochmals
daran erinnert, dass das Bundesgericht im „Gini/Durlemann-Entscheid“ diesen schwerwiegenden Schritt getan hat. Man kann jedoch heute davon ausgehen, dass sich die sozialpolitischen Wertanschauungen gewandelt haben, so dass Hoffnung auf eine gewisse
Milde des Gerichts besteht.585
585
So etwa die Basler Gerichtspraxis, BJM 1974, S. 253, welche bei leichter Fahrlässigkeit die "Faustregel"
entwickelt hat, dass der Arbeitnehmer nicht mehr als einen Monatslohn für den Schaden leisten soll; vgl.
dazu Roberto, Arbeitnehmerhaftung, S. 98 f.
160
B.
Deckungsausschluss in der Privathaftpflichtversicherung betreffend sämtliche Regressansprüche
i.
Geltungskontrolle
Seit wenigen Jahren wird von einer Privathaftpflichtversicherung versucht, sämtliche
Regress- und Ausgleichsansprüche von der Deckung auszuschliessen.586 Aufgrund der
Globalübernahme werden solche Klauseln vorerst einmal – meist stillschweigend – zum
Vertragsinhalt. Der Versicherungsnehmer, welcher jedoch mit dem Versicherungsvertragsabschluss das Risiko sämtlicher Vermögensschäden, welche aus einem von ihm zu
vertretenden Haftpflichtfall resultieren, abdecken möchte, muss nicht mit einer derartig
einschneidenden Deckungseinschränkung rechnen. Gerade gegenüber den Regressansprüchen der Sozialversicherer, welchen von Gesetzes wegen eine Vorleistungspflicht
auferlegt ist, geniesst er in concreto keine Deckung.
Da der Versicherungsnehmer nach Art. 2 ZGB darauf vertrauen darf, dass seine Police
den üblichen Deckungsumfang gewährt, so wie ansonsten bei allen anderen Versicherungsgesellschaften, kommt hier die Ungewöhnlichkeitsregel zur Anwendung. Somit
bedarf es für die Gültigkeit dieser Klausel einer besonderen Hervorhebung. Dieser Voraussetzung werden aber die besagten AVB in keiner Art und Weise gerecht. Somit scheitert dieser Regressausschluss bereits an der Geltungskontrolle. Da eine grafische Änderung für künftige Policen jedoch leicht zu bewerkstelligen ist, ist es angezeigt, auch die
weiteren Kontrollinstrumente näher zu prüfen.
ii.
Auslegungskontrolle
So wie bereits der Regressausschluss bei der Betriebshaftpflichtversicherung ist die
Klausel nicht als unklar oder schwer leserlich zu qualifizieren, es wird sogar noch eine
nicht abschliessende Aufzählung der ausgeschlossenen Regressanten aufgeführt. Somit
vermag die Auslegungskontrolle die Klausel nicht zu Fall zu bringen.
586
Vgl. dazu auch Läubli, Deckungsausschlüsse, S. 29 f. Der Wortlaut ist in Fn 522 wiedergegeben.
161
iii.
Inhaltskontrolle
Im Rahmen der Inhaltskontrolle erkennt man bald, dass die vorliegende Klausel realiter
den Konsumenten bzw. den Versicherungsnehmer nur sehr lückenhaft vor Vermögensschäden infolge Haftpflichtfälle schützt. Da der Versicherungsnehmer jedoch nach Treu
und Glauben auf einen umfassenden Versicherungsschutz, welcher der Versicherungsusanz entspricht, vertrauen darf, stellt sich die Frage, ob eine solche Verwendung unlauter
im Sinne des UWG ist. Da der gravierende Deckungsausschluss nicht verschleiert wird,
ist die Voraussetzung der Irreführung gemäss Art. 8 UWG nicht erfüllt. Durch die bereits
erwähnte Verletzung von Treu und Glauben wird hingegen die Generalklausel von Art. 2
UWG tangiert. Gestützt auf diese Bestimmung stehen die Prozesschancen nicht schlecht,
dass ein Gericht die Klausel für nichtig erklärt, obschon es an die bis dato fehlende offene Inhaltskontrolle zu erinnern gilt.
In prozessualer Hinsicht ist es aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, dass ein Gericht den
versicherten Haftpflichtigen einfach so den Regressansprüchen des Geschädigten ausgesetzt sein lässt. Der Haftpflichtige, welcher beispielsweise von einer regressierenden
Unfallversicherung gerichtlich belangt wird, geniesst nicht einmal die Deckung „Abwehr
unberechtigter Ansprüche“ bei der Haftpflichtversicherung, welche sämtliche Regressansprüche nicht deckt. Somit ist der beklagte Haftpflichtige gut beraten, wenn er der
Haftpflichtversicherung zusätzlich den Streit verkündet. Spätestens in einem Zweitprozess, je nach kantonaler Prozessordnung auch bereits früher, könnte dann die entsprechende AVB-Kontrolle erfolgen.
iv.
Ergebnis
Aus der AVB-Kontrolle resultiert, dass ein genereller Regressausschluss in der Privathaftpflichtversicherung unlauter und damit kaum durchsetzbar ist. Es bleibt abzuwarten,
ob die dafür verantwortliche Haftpflichtversicherungsgesellschaft an einer solchen Klausel tatsächlich festhalten oder gar diesbezüglich einen Prozess in Kauf nehmen will.
162
C.
Assistance-Klausel
i.
Geltungskontrolle
Im Sinne der Schadensminderungspflicht, welche aus Art. 61 VVG resultiert, dürfte eine
solche Klausel587 kaum als ungewöhnlich zu qualifizieren sein, ist doch der Versicherungsnehmer dazu angehalten, das Schadensausmass möglichst gering zu halten.
Dennoch wäre es für den Versicherer ratsam, will er die Klausel mit Sicherheit im Vertragsinhalt wissen, mittels besonderer Hervorhebung auf diese Klausel hinzuweisen.
Dies wird jedoch in der Praxis unterschiedlich gehandhabt.
ii.
Auslegungskontrolle
Die in Frage stehende Klausel ist meines Erachtens, dem Wortlaut nach betrachtet, nicht
unklar. Auch der Sinn und Zweck geht unzweideutig aus der Bestimmung hervor, wird
doch eine klare Bedingung für die Leistungserbringung vorausgesetzt. Somit dürfte der
Bestimmung von Art. 33 VVG rechtsgenüglich Folge geleistet worden sein.
iii.
Inhaltskontrolle
Auch hier wird die Inhaltskontrolle im Sinne einer offenen gehandhabt. Vorab gilt es
noch der Frage nachzugehen, ob denn in concreto eine Subsidiärklausel vorliegt. Betrachtet man die konkrete Formulierung, so lässt sich erkennen, dass dadurch vielmehr
eine Bedingung (condicio) gesetzt wird, welche für eine Leistungserbringung erfüllt sein
muss. Somit erübrigt sich meines Erachtens die Frage, ob das BPV, welches Subsidiaritätsklauseln mit grösster Zurückhaltung bewilligt,588 im vorliegenden Fall eine solche
Bestimmung gutheissen würde. An Bedingungen geknüpfte Leistungen verstossen im
Privatversicherungswesen meines Erachtens kaum gegen zwingendes Recht.
Bei den Assistance-Klauseln hat alleine der Zufall, welche Notrufnummer dem Versicherungsnehmer zuerst in den Sinn gekommen ist bzw. welche er zuerst vorliegen gehabt
hatte, gewirkt. Aus diesem Grunde drängt sich die Frage auf, ob nicht mit einer hypothe-
587
588
Vgl. auch vorne § 12 I 3.
Maurer, PVR, S. 373, N 962.
163
tischen Einwilligung, welche aus dem Behandlungsvertrag zwischen Arzt bzw. Spital
und Patient bekannt ist, argumentiert werden könnte. Mit dieser Konstruktion der hypothetischen Einwilligung des Patienten kann der infolge nicht rechtsgenüglicher Aufklärung erfolgte und damit rechtswidrige Eingriff gerechtfertigt werden. Auf die vorliegende Problematik bezogen, bedeutet dies Folgendes: Hätte die vom Versicherungsnehmer
avisierte Versicherungsgesellschaft nämlich Kenntnis über eine Doppelversicherung
gehabt, so wäre die Einholung der Einwilligung bzw. eine Koordination erfolgt. Diesfalls müsste ein Regress durchsetzbar sein. Für den Fall der Unkenntnis über die andere
Versicherung könnte argumentiert werden, dass diese ohnehin eingewilligt hätte, weil sie
aus Vertrag dazu verpflichtet gewesen wäre. Dies entspricht meines Erachtens einer
hypothetischen Einwilligung.
Zum gleichen Ergebnis führt eine analoge Anwendung der Regelung über die Geschäftsführung ohne Auftrag gemäss Art. 419 ff. OR. In diesem Sinne ist die organisierende
Versicherung der Geschäftsführer und die passive Notfallzentrale der Geschäftsherr.
Gemäss Art. 422 OR steht diesfalls ein sog. Verwendungsersatzanspruch zu, wonach der
Geschäftsführer alle Aufwände, die notwendig, nützlich und den Verhältnissen angemessen waren, ersetzt erhält.
iv.
Ergebnis
Lässt man die offene Inhaltskontrolle zu und zieht diesfalls das dispositive Recht zu
Rate, gelangt man mit entsprechender Auslegung zum Ergebnis, dass die AssistanceKlausel ungültig und damit anfechtbar ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Versicherer diese
Ungereimtheit bereinigen werden.
§ 14. Ergebnis dritter Teil
1. In § 9 stand die „Gini/Durlemann-Praxis“ im Zentrum, da dadurch die Stellung des
Privatversicherers nachhaltig bestimmt wird. Die Analyse dieser Praxis zeigte nicht
unerhebliche Auswirkungen für den haftpflichtigen Arbeitnehmer auf, zumal dieser bei
leichtfahrlässig verursachten Schäden den Regressansprüchen schutzlos gegenübersteht.
Aufgrund einer methodologischen Interpretation der beiden Regressbestimmungen von
Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72 Abs. 1 VVG konnte festgestellt werden, dass die „Gini/Durlemann-Praxis“ systemfremd ist und auf einer falschen Auslegung des Begriffs
164
„unerlaubte Handlung“ basiert. Es besteht Hoffnung, dass dies nun auch das Bundesgericht erkannt hat, was sich aus BGE 126 III 521 ff. ableiten lässt. Damit würden auch die
Diskussionen um den sog. Umkehrregress obsolet.
2. Als Hauptergebnis dieses dritten Abschnittes gilt die Feststellung, dass den Interessen
der Eigenschadensversicherer und ihrer Versicherungsnehmer einzig ein integrales Regressrecht gerecht wird. Es konnten aber auf der anderen Seite auch Grenzen des Regresses von Schadensversicherern aufgezeigt werden: so etwa der Regress des Gebäudeversicherers auf den leichtfahrlässig handelnden Mieter oder der Regress des Kaskoversicherers auf den leichtfahrlässig handelnden Lenker. Analoge Überlegungen galt es
auch betreffend den Motorfahrzeughaftpflichtversicherer anzustellen. Ob auch der Halter
für grobfahrlässiges Verhalten des berechtigten Lenkers einzustehen hat, wurde hier im
Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung beantwortet: Der Halter kann nur dann
regressweise belangt werden, wenn das Anvertrauen seines Fahrzeuges als grobfahrlässig zu betrachten ist.
3. Unter besonderer Beachtung des Privatversicherungsregresses wurde der Frage der
Koordinationsklauseln nachgegangen. Dabei tritt eine der Deckungsausschlussklauseln
in den Vordergrund. Es ist der Deckungsausschluss betreffend Hilfspersonen in der
Betriebshaftpflichtversicherung. Die AGB-Kontrolle zeigt, dass dieser Klausel vor allem
mit einer Inhaltskontrolle begegnet werden kann. Als weitere Besonderheiten gelten
etwa die Mehrfachversicherung, die Verjährung und die Verrechnung. Gerade bei den
letzten beiden Rechtsinstituten zeigte sich unter anderem, wie revisionsbedürftig die
schweizerische Regressordnung ist.
165
IV. Teil: Schlussbetrachtung
§ 15. Zusammenfassung und Reformvorschläge
I.
Konsolidierung VVG und OR
In dieser Arbeit ist unter anderem zum Ausdruck gekommen, dass die Vermischung von
versicherungsrechtlichen Teilen mit jenen des allgemeinen Haftpflichtrechtes in der
Vergangenheit als nicht geglückt eingestuft werden muss. Dies liegt nicht primär an
einer verfehlten Gesetzgebung als solcher, sondern die Crux gründet in der Rechtsanwendung, wo vom Grundsatz der lex specialis abgewichen wurde.
An der Lex-specialis-Lösung im Sinne von Art. 72 VVG ist meines Erachtens zwingend
festzuhalten. Eine Trennung des Sachversicherungs- und des Haftpflichtversicherungsregresses drängt sich de lege ferenda auf.
Da die Revision des Haftpflichtrechts nicht mehr weiter verfolgt wird, werden in dieser
Arbeit lediglich Revisionsvorschläge hinsichtlich der hängigen VVG-Revision unterbreitet. Wie aus den erfolgten Erörterungen resultiert, wäre eine Beibehaltung der heutigen
Regressregelung gemäss Art. 50 f. OR nicht zwingend negativ, liesse deren Auslegung
aufgrund des Ausdrucks „in der Regel“ genügend Spielraum für eine gerechte Lösung.
II.
Stellung des Eigenschadensversicherers
1.
Bemerkungen
Das im VVG zu regelnde Regressrecht des Eigenschadensversicherers sollte – aufgrund
der obigen Überlegungen – mit einem möglichst einfachen und umfassenden Rückgriffsrecht gelöst werden, um künftig allen Parteien ein sachgerechtes und rechtssicheres
System bieten zu können. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Schadensversicherer
ein Leistungspflichtiger aus Vertrag und kein Haftpflichtiger ist.
Diesem Anspruch kann nur ein integrales Regressrecht, analog demjenigen der Sozialversicherer gemäss ATSG, gerecht werden. Ausnahmen, wie der Zeitpunkt der Subrogation usw., bleiben natürlich vorbehalten. Das aufgezeigte Ziel besteht darin, das Risiko
bzw. dessen finanzielle Belastung dem Verursacher und nicht dem Geschädigten aufzubürden. Dabei spräche einiges dafür, auch im VVG die Solidarität der Haftpflichtigen im
Innenverhältnis zu stipulieren.
166
Es wurde gezeigt, dass den Versicherern bereits mit dem heute geltenden Recht ein integrales Regressrecht durch entsprechende Auslegung von Art. 51 Abs. 2 OR und Art. 72
Abs. 1 VVG zugestanden werden könnte: entweder über eine teleologische und systematische Auslegung dieser Bestimmungen oder über die sektorielle Verteilung, wie sie
OFTINGER/STARK vorschlagen.
2.
Revisionsvorschlag
Es wird vorgeschlagen, den heute gültigen Art. 72 VVG wie folgt zu ändern:
Art. 72: Rückgriff des Eigenschadensversicherers
Abs. 1:
Variante 1: Der Versicherer tritt im Zeitpunkt des versicherten Ereignisses
bis auf die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung in sämtliche Schadensausgleichsansprüche des Anspruchsberechtigten ein.
Variante 2: Auf den Versicherer geht insoweit, als er Entschädigung geleistet
hat, der Ersatzanspruch über, der dem Versicherungsnehmer gegenüber Haftpflichtigen, sowohl ausservertraglich als auch vertraglich, zusteht.
Abs. 2:
lit. a: Ein Rückgriffsrecht gegen Personen, die mit dem Anspruchsberechtigten in häuslicher Gemeinschaft leben, in enger Beziehung zum Versicherungsnehmer stehen wie namentlich Entlehner, Mieter, Pächter, Leasingnehmer, oder gegen dessen Arbeitgeber, steht dem Versicherer nur zu, wenn sie
den Schaden absichtlich, vorsätzlich oder grobfahrlässig verursacht haben.
lit. b: Hat der Haftpflichtige die Versicherungsprämie mitfinanziert, so beschränkt sich der Regress bei grobfahrlässiger Handlung auf die Kürzungsquote, wie sie sich aus Art. 14 Abs. 2 VVG ergibt. Liegt eine vorsätzliche
Handlung vor, so besteht ein voller Regressanspruch.
167
Abs. 3:
Auf die übergegangenen Ansprüche bleiben die ihrer Natur entsprechenden
Verjährungsfristen anwendbar. Für den Regressanspruch des Versicherers
beginnen jedoch die relativen Fristen erst mit dessen Kenntnis seiner Leistungen und der Person des Ersatzpflichtigen zu laufen.
Abs. 4:
Mehrere Haftpflichtige haften für Rückgriffsansprüche des Eigenschadensversicherers solidarisch.
Abs. 5:
Die Subrogation erfasst auch ein direktes Forderungsrecht der geschädigten
Person gegenüber dem Haftpflichtversicherer. Einreden aus dem Versicherungsvertrag, die der geschädigten Person nicht entgegengehalten werden
dürfen, können auch gegenüber dem Regressanspruch des Versicherers nicht
vorgebracht werden.
III.
Stellung des Haftpflichtversicherers
1.
Bemerkungen
In dieser Arbeit wurde festgestellt, dass die heutige, von Lehre und Rechtsprechung
entwickelte „Alter-ego-Praxis“ rechtsgenüglich ist und grundsätzlich zu sachgerechten
Lösungen führt. De lege ferenda ist jedoch eine explizite Rückgriffsregelung im VVG
hinsichtlich des Haftpflichtversicherers zu erlassen, damit von der heutigen analogen
Anwendung Abstand genommen werden kann.
2.
Revisionsvorschlag
Es wird vorgeschlagen, die Regressordnung des VVG mit einem separaten Artikel
betreffend Rückgriff des Haftpflichtversicherers zu ergänzen:
168
Art. 72a: Rückgriff des Haftpflichtversicherers
Abs. 1:
Der Haftpflichtversicherer tritt insoweit, als er Entschädigung an den Geschädigten geleistet hat, an die Stelle seines Versicherungsnehmers, welche
dieser innerhalb der Solidargemeinschaft eingenommen hat.
Abs. 2:
Deckungsausschlüsse betreffend Regressansprüche sind insoweit ausgeschlossen, als für Direktansprüche Deckung besteht.
Art. 72b: Rückgriff auf Haftpflichtige in einer Sonderstellung mit dem Geschädigten
Abs. 1:
Das Gericht kann den Umfang des Rückgriffs einschränken, wenn besondere Umstände, namentlich enge Beziehungen zwischen dem Haftpflichtigen und dem Geschädigten, es rechtfertigen. Eine solche enge Beziehung
besteht namentlich bei Miet- und Pachtverhältnissen und gilt auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Anstalten.
Abs. 2:
Handelte der in einer Sonderbeziehung stehende Haftpflichtige leichtfahrlässig, so entfällt das Rückgriffsrecht vollständig.
Abs. 3:
Allfällige Direktansprüche des Geschädigten werden von Abs. 1 und 2 nicht
betroffen.
169
IV.
Kein Deckungsausschluss in der Betriebshaftpflichtversicherung zulasten
von Arbeitnehmern
1.
Bemerkungen
Der Deckungsausschluss in den Betriebshaftpflicht-AVB bezüglich der Arbeitnehmer
und Hilfspersonen ist aufgrund der aufgezeigten Gründe fallen zu lassen. Die erfolgte
Analyse hat zum Vorschein gebracht, dass eine solche Klausel nicht sozialverträglich ist
und zudem auch gegen Treu und Glauben verstösst. Solange weder der Gesetzgeber
noch das Bundesgericht dieser Praxis Einhalt gewähren, wäre der SVV gefordert, diesbezüglich eine einheitliche Regelung zu erlassen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil diese
Klausel in Kombination mit der „Gini/Durlemann-Praxis“ zu endlosen Diskussionen
führt, wer nun den Schaden de facto verursacht hat.
2.
Revisionsvorschlag
Es wird vorgeschlagen, den heute gültigen Art. 59 VVG wie folgt zu ändern und in Art.
97 VVG unter die zwingenden Bestimmungen aufzunehmen:
Hat sich der Haftpflichtversicherer gegen die Folgen der mit einem gewerblichen Betriebe verbundenen gesetzlichen Haftpflicht versichert, so erstreckt
sich die Versicherungsdeckung insbesondere auf die Haftpflicht der Vertreter,
der Arbeitnehmer und der Hilfspersonen des Versicherungsnehmers; mit eingeschlossen sind die daraus resultierenden Regressansprüche.
V.
Zeitlicher Deckungsbereich in der Haftpflichtversicherung
1.
Bemerkungen
Im Zusammenhang mit der Verjährung von Ausgleichsansprüchen wurde festgestellt,
dass im zeitlichen Deckungsbereich Handlungsbedarf besteht, um ungewollte Deckungslücken zu schliessen. Dabei stellt die subrogierte Forderung keine Schwierigkeiten dar.
170
2.
Revisionsvorschlag
Es wird vorgeschlagen, folgende Bestimmung – im Sinne der Verursachungstheorie –
ins VVG aufzunehmen:
Die Deckung des Haftpflichtversicherers erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht
auf sämtliche Schäden, die während der in der Police vereinbarten Versicherungsdauer verursacht wurden.
171
Anhang:
Allgemeine Versicherungsbedingungen
1
AVB MobiCasa Multirisk, Ausgabe Mai 2004
2
AVB MobiPro Multirisk, Ausgabe November 2004
Empfehlungen des SVV
1
Regresskodex für alle Gesellschaften des SVV
2
Empfehlung der Schadenleiterkommission des SVV Nr. 17/1999, Anspruchskonkurrenz
3
Empfehlung der Schadenleiterkommission des SVV Nr. 2/1994, Fehlerhafte
bauliche Konstruktion als Ausschlussgrund in der Wasserversicherung
4
Empfehlung der Kommission Schaden- und Rechtsdienst des SVV Nr. 2.02.01,
Abgrenzung; Fremd- und Aussenversicherung
5
Empfehlung der Kommission Schaden- und Rechtsdienst des SVV Nr. 2.02.02,
Abgrenzung; Aufteilung der Entschädigung bei mehrfacher Versicherung; inkl.
Ergänzung zur Empfehlung SRD Nr. 2.02.02.
6
Empfehlung der Schadenleiterkommission des SVV Nr. 2/2001, Kaskoversicherung mit Zeitwertzusatz
172