Christina Pluhar, L`Arpeggiata und Nuria Rial
Transcription
Christina Pluhar, L`Arpeggiata und Nuria Rial
25.09.2013 L’ARPEGGIATA CHRISTINA PLUHAR LEITUNG NURIA RIAL SOPRAN SAISON 2013/2014 ABONNEMENTKONZERT 1 Mittwoch, 25. September 2013, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal MAURIZIO CAZZATI Ciaccona (1616 – 1678) L’ARPEGGIATA CHRISTINA PLUHAR LEITUNG NURIA RIAL SOPRAN „L’AMORE INNAMORATO“ ARIE, LAMENTI E SINFONIE FRANCESCO CAVALLI „Vieni, vieni in questo seno“ Arie der Nerea aus „Rosinda“ (1651) „Affliggetemi, guai dolenti“ Arie der Artemia aus „L’Artemisia“ (1657) „Che città“ Arie des Nerillo aus „Ormindo“ (1644) FRANCESCO CAVALLI Sinfonia aus „Il Giasone“ (1649) Sinfonia aus „L’Eliogabalo“ (1668) (1602 – 1676) O quam suavis aus „Mottetti a voce sola“ (1645) „Dammi morte“ Arie der Oronta aus „L’Artemisia“ „Piante ombrose“ Arie der Calisto aus „La Calisto“ (1651) „Verginella io morir vo“ Arie der Calisto aus „La Calisto“ Canzon a 3 aus „Musiche sacre“ (1656) „Alle mie ruine“ Lamento der Ecuba aus „Didone“ „Ardo, sospiro e piango“ Arie der Artemia aus „L’Artemisia“ „Piangete, occhi dolenti“ Lamento der Climene aus „Egisto“ (1643) „Ninfa bella“ Arie des Satirino aus „La Calisto“ „Non e maggior piacere“ Arie der Calisto aus „La Calisto“ Keine Pause „Restino imbalsamente“ Arie der Calisto aus „La Calisto“ 02 | PROGRAMMABFOLGE „L’Alma fiacca svani“ Lamento der Cassandra aus „Didone“ (1641) Das Konzert wird am Freitag, den 4. Oktober 2013, um 20.05 Uhr auf NDR Kultur gesendet. PROGRAMMABFOLGE | 03 L’ARPEGGIATA L’ARPEGGIATA BESETZUNG THEORBE UND LEITUNG BAROCKGEIGE Christina Pluhar Veronika Skuplik VIOLA DA GAMBA, LIRONE Rodney Prada ZINK Doron Sherwin BAROCKCELLO Josetxu Obrgegon PSALTERION Margit Übellacker PERKUSSION David Mayoral LAUTE Eero Palviainen CEMBALO UND ORGEL Haru Kitamika BAROCKHARFE Sarah Ridy 04 | BESETZUNG Das hochdekorierte Ensemble L’Arpeggiata wurde im Jahre 2000 von Christina Pluhar gegründet und besteht ausschließlich aus virtuosen und künstlerisch herausragenden Musikern. In Zusammenarbeit mit Solisten verschiedenster musikalischer Herkunft begeistert das Ensemble Publikum und Presse in der ganzen Welt durch unkonventionelle, mitreißende Aufführungen. Benannt nach der gleichnamigen Toccata von Giovanni Girolamo Kapsberger hat sich L’Arpeggiata ganz auf die Auf führung der Musik des 17. Jahrhunderts spezialisiert. Dabei treffen überschäumende Spielfreude, Lust am Improvisieren und Experimentierfreudigkeit auf das musikalische Handwerk der historischen Aufführungspraxis. L’Arpeggiata tritt regelmäßig bei bedeutenden Musikfestivals auf, darunter die Schwetzinger Festspiele, die Händelfestspiele in Halle, die RuhrTriennale, das Printemps des Arts de Nantes, die Ludwigsburger Schlossfestspiele und das Musikfest Postdam; L’Arpeggiata gastierte u.a. in der Londoner Wigmore Hall, der New York Carnegie Hall, in Tokyo und beim Hong Kong Arts Festival. Die Einspielungen von L’Arpeggiata wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Cannes Classical Award, der Diapason d’Or, der Edison Price und der Echo Klassik, den Christina Pluhar und L’Arpeggiata 2009 für das Album „Teatro d’amore“, 2010 für „Via Crucis“ und 2011 für Monteverdis Vespro della beata vergine erhielten. Ihre neue CD „Los Párajos Perdidos – The South American project“ erschien im Januar 2012 bei EMI/virgin classics. L’ARPEGGIATA | 05 CHRISTINA PLUHAR NURIA RIAL Christina Pluhar wurde in Graz geboren. Nach Nuria Rial studierte Gesang und Klavier in ihrem ihrem Studium der Konzertgitarre entdeckte sie ihre Liebe zur Renaissance- und Barockmusik und begann ihr Lautenstudium bei Toyohiko Satoh am Koninklijk Conservatorium in Den Haag. Sie erlangte dort 1989 das Solistendiplom für Laute, setzte aber ihre Ausbildung bei Hopkinson Smith an der Schola Cantorum Basiliensis fort, wo sie 1992 das „Diplom für Alte Musik” erlangt. Barockharfe studiert Pluhar bei Mara Galassi an der Scuolo Civica di Milano, der Besuch von zahlreichen Meisterkursen bei Paul O’dette, Jesper Christensen und Andrew-Lawrence King prägen ihren musikalischen Werdegang. Von 1990 bis 2000 war Pluhar Mitglied des Ensembles „La Fenice“, mit dem sie 1992 einen ersten Preis im internationalen Ensemblewettbewerb für Alte Musik in Malmö erlangte und die siebenteiligen Reihe „L’heritage de Monteverdi“ bei dem Label „Ricercar” einspielte. Pluhars solistische Einspielung mit Werken von Alessandro Piccini erschien 1996 bei der Plattenfirma „Empreinte Digitale“. Seit 1993 hat sie einen Lehrauftrag an der Kunstuniversität in Graz und gibt Meisterkurse in Deutschland, Belgien und Frankreich. Seit 1999 unterrichtet sie eine Klasse für Barockharfe am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Heimatland Katalonien. Sie wechselte nach Basel in die Klasse von Kurt Widmer, machte 2003 ihren Abschluss und gewann den Helvetia Patria Jeunesse in Luzern für ihre herausragenden Fähigkeiten als Sängerin. Sie trat bereits bei den führenden Festivals in Europa auf. Als Konzertsolistin arbeitete Rial mit Dirigenten wie Paul Goodwin, Gustav Leonhardt, René Jacobs, Thomas Hengelbrock, Skip Sempé, Laurence Cummings, Pierre Cao. Dabei wurde sie von Spitzenensembles wie Il Giardino armonico The English Concert, Les Musiciens du Louvre, Concerto Köln, dem Kammerorchester Basel, der Akademie für Alte Musik, La Risonanza, l’Arpeggiata oder dem Züricher Kammerorchester begleitet. Rial sang in wichtigen Opernproduktionen wie in Francesco Cavallis „Eliogabalo“ in Brüssel, Monteverdis „Orfeo“ an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin sowie in Mozarts „Zauberflöte“ in Genua. 2011 übernahm sie die Partie der „Ilia“ aus Mozarts „Idomeneo“ auf einer Tournee durch die Schweiz. SOPRAN THEORBE UND LEITUNG Seit 1992 lebt Pluhar als freischaffende Musikerin in Paris. Sie konzertierte als gefragte Solistin und Continuo-Spielerin mit verschiedenen Kammermusikensembles und Barockorchestern wie: La Fenice (Jean Tubery), Hesperion XXI (Jordi Savall), Accordone (Marco Beasley), Ricercar Consort (Philippe Pierlot), Concerto Soave (Maria Cristina Kiehr), Elyma (Gabriel Garrido), Les musiciens du Louvre (Marc Minkowsky), 06 | THEORBE UND LEITUNG Akademia (Françoise Laserre), La Grande Ecurie et la Chambre du Roi (Jean-Claude Malgoire), Concerto Cölln (Konrad Junghänel). Unter der Leitung von René Jacobs, Ivor Bolton, Alessandro di Marchi, Gabriel Garrido u. v. a. sowie als Begleiterin von Andreas Scholl, Marco Beasley und Dominique Visse war Pluhar zudem bei zahlreichen Festivals zu hören. Sie war außerdem Assistentin von Ivor Bolton an Münchner Staatsoper. Nuria Rial hat zahlreiche CDs für verschiedene Labels aufgenommen. Darunter die preisgekrönte Figaro-Aufnahme mit René Jacobs. Seit Januar 2009 ist sie Exklusivkünstlerin bei Sony Classical/ BMG Masterworks. Unter den letzten Aufnahmen befand sich eine Händel-CD mit dem Kammerorchester Basel, „Duetti amorosi“ mit dem Countertenor Lawrence Zazzo und Händels „Neun Deutsche Arien“ mit der Austrian Baroque Company. Ihre CD „Via Crucis“ gewann den niederländischen „Edison Award“. 2009 erhielt sie den Echo Klassik für ihre Haydn-CD mit dem Orfeo Barockorchester, und sie bekam einen zweiten Echo Klassik für ihren Beitrag auf der CD „Teatro d’Amore“ mit Christina Pluhar und Philippe Jaroussky. SOLISTIN | 07 KARNEVAL DER LEIDENSCHAFTEN DIE OPERN VON FRANCESCO CAVALLI Francesco Cavalli ist in. Seit der Dirigent Raymond Leppard 1967 bei den Festspielen in Glyndebourne Cavallis „Ormindo“ wieder zum Leben erweckte, erlebt die Musik dieses lange Zeit kaum beachteten Großmeisters der venezianischen Oper ein nachhaltiges Revival. In den ersten 25 Jahren seit ihrer Wiederentdeckung durch Leppard wurde alleine Cavallis „La Calisto“ 57 Mal nachgespielt. Fast alle seiner 27 überlieferten Opern sind inzwischen wiederaufgeführt worden, und seit einigen Jahren läuft ein großes Editionsprojekt, das Cavallis Partituren in historisch-kritischen Ausgaben dem Musikbetrieb wieder zugänglich macht. Dieser Erfolg wirft Fragen auf: Woher kommt nach 350 Jahren des Beinahe-Vergessens diese Begeisterung? Welchen Nerv trifft diese Musik beim heutigen Publikum? KAUFLEUTE UND FREIGEISTER Was die frühe venezianische Oper ausmacht, versteht man am besten aus den Umständen ihrer Entstehung. Der Siegeszug der Oper in Venedig begann vor dem Hintergrund zweier historischer Katastrophen. Von 1630 bis 1631 wütete die Pest in der Lagunenstadt; knapp 50 000 Menschen, ein Drittel der venezianischen Bevölkerung, erlagen der Seuche. Auf ihrem Höhepunkt, im November 1630, forderte die Epidemie fast 15 000 Opfer binnen eines Monats. Zur medizinischen Katastrophe kam die militärische: Im Mai 1630 wurde ein venezianisches Heer in der Schlacht von Villabella vor Mantua vernichtend geschlagen. Kaum hatte das venezianische Gemeinwesen sich von diesen Schicksalsschlägen einigermaßen erholt, fand es Kraft, Lebensfreude und Initiative genug für eine musikhistorische Großtat: 1637 wurde in Venedig das erste öffentliche, gegen Bezahlung für jeder- 08 | PROGRAMM mann (der Geld genug hatte) zugängliche Opernhaus, das Teatro San Cassiano, eröffnet. Psychologisch gesehen mag dies einem Ausbruch der Lebenslust nach der überstandenen Depression zuzuschreiben sein. Wirtschaftlich betrachtet war es ein Geniestreich des venezianischen Stadtmarketings, denn schon damals war der Karnevalstourismus für die Serenissima eine wichtige Einnahmequelle, und das neu installierte Spektakel war auch als zusätzliche Attraktion für die Karnevalssaison gedacht. Das Konzept bewährte sich glänzend: Vierzig Jahre später zählte Venedig bereits sieben Opernhäuser und die venezianische Oper erwies sich als Exportschlager. Der Satiriker Ferrante Pallavicino verhöhnte hier (vorerst) ungestraft den bankrotten Papst und die Inquisition; die Nonne Arcangela Tarabotti klagte in Büchern wie „Väterliche Tyrannei“ oder „Convent Hölle“ die erzwungene Kasernierung vieler Frauen in den Klöstern an. Und an der Universität im von Venedig aus verwalteten Padua hatte ein gewisser Galileo Galilei mittels Hightech-Optik Krater auf dem Mond und Monde um den Jupiter entdeckt. Im Zentrum der liberalen Publizistik in Venedig stand die Accademia degli Incogniti; eine Vereinigung von Gelehrten und Honoratioren, die 1630 mitten in der Zeit größter Bedrängnis gegründet worden war. Diese freigeistige Accademia betrieb nicht nur ein eigenes Theater, auch mehrere namhafte Opern-Librettisten gehörten ihr an. DRAMEN MIT MUSIK Die Venezianer machten das Konzept Oper, das einige Florentiner Gelehrte um 1600 ersonnen hatten, marktfähig. An den Höfen in Florenz oder Mantua diente die Oper dem Fürstenlob und der Repräsentation; in päpstlichen Rom legte man den Schwerpunkt auf geistliche Erbauung. Im rein privatwirtschaftlich finanzierten, von Konkurrenz angetriebenen venezianischen Opernbusiness lag das Augenmerk dagegen auf der Unterhaltung eines zahlenden Publikums. Zu den Grundelementen der venezianischen Oper zählen so von Anfang an Intrigen, Sex und komische Nebenfiguren. Man kultivierte das Spiel mit Illusionen und Desillusionierung, Verkleidungen, Maskeraden und Travestie. Gipfelwerke der venezianischen Oper, wie Monteverdis „Krönung der Poppea“, zeichneten sich dabei durch einen gnadenlos analytischen Blick auf die menschliche Natur aus. Venedig war der Ort, an dem solche Sichtweisen gediehen. Bereits Anfang des Jahrhunderts hatte man die Jesuiten aus der Stadt verbannt; so blieb die Republik lange ein Hort der Publikationsfreiheit. Francesco Cavalli schwamm auf der Erfolgswelle der venezianischen Oper obenauf. Maestro Claudio Monteverdi selbst hatte den 14-jährigen Cavalli (alias Pier Francesco Caletti-Bruni) 1616 als Sänger an San Marco engagiert. Vier Jahre später wurde Cavalli Organist an der Kirche San Giovanni e Paolo, ab 1639 bekleidete er das Amt des Zweiten Organisten an San Marco. Hauptberuflich war Cavalli also sein Lebtag lang Kirchenmusiker, doch Geschichte schrieb er im Nebenberuf als OpernKomponist. 32 Musiktheaterwerke werden Cavalli heute zugerechnet (fünf sind verschollen); mit einer erfolgreichen Oper verdiente er das Zweibis Dreifache seines Jahressalärs als Organist. Dank solcher Aufträge – und weil er eine reiche Witwe geehelicht hatte – residierte Cavalli ab 1647 umsorgt von einer zahlreichen Dienerschaft in einem eigenen Haus am Canal Grande. Die Chancen der neuen Gattung Oper hatte er früh erkannt: 1639, zwei Jahre nach dessen Eröffnung, schrieb Cavalli seine erste Oper fürs Teatro San Cassiano; im Jahresabstand folgten weitere. Als „Dramma musicale“ oder „Dramma per musica“ wurden die neuartigen Werke damals bezeichnet. Viele von ihnen sind heute nur als Textbücher überliefert, denn offenbar war das Verhältnis von Dichtung „Prozession vor S. Maria della Salute“. (Alljährlicher Besuch des Dogen zur Erinnerung an das Ende der Pest im Jahre 1631), Gemälde von Francesco Guardi, um 1780 PROGRAMM | 09 und Musik ein anderes als bei späteren „Opern“. Noch war die Text-Dichtung ein literarisches Kunstwerk eigenen Rechts, keine bloße Komponiervorlage. Die Musik entwickelte sich eng am Wort entlang und ging dabei mit größter Beweglichkeit vom melodisch-biegsamen und sanglichen Textvortrag zu ariosen Partien über. Eine säuberliche Teilung von berichtenden Rezitativen und emotionalen Arien bildete sich als verbindliches Modell erst langsam heraus. Die Dichter-Persönlichkeiten, mit denen Cavalli für seine Drammi zusammenarbeitete, verraten viel über die Entwicklung des neuen Genres. Giovanni Francesco Busenello etwa schrieb Geschichte als Dichter von Monteverdis „Krönung der Poppea“. Im Hauptberuf war der Sohn aus guter Familie allerdings Jurist, Vikar und Diplomat. Studiert hatte der dichtende Rechtsanwalt im nahegelegenen Padua, und er war Mitglied der honorigen Accademia degli Incogniti. In seinem Libretto für „Didone“ von 1640 entwarf Busenello eine Vorgeschichte der Verwüstung, wie sie uns ähnlich in mehreren Opern dieser Zeit begegnet: „Troja steht in Flammen, in Elend und Ruin gestürzt nach dem Tod von Hector, Paris, Priamus und allen anderen Helden.“ Vor dieser Ausgangslage beginnt die Geschichte der Königin Dido und ihrer verschmähten Liebe, für die Busenello einen weiteren Grundbaustein marktgerechter Dramaturgie einführte: das Happy End. Statt des tragischen Ausgangs in Vergils „Aeneas“ lassen Busenello/Cavalli ihre Dido-Oper mit einem „Lieto fine“, einem glücklichen Ende, schließen. So gelang dem Duo in einer Zeit, in der Opern meist kurzlebige Werke für eine Saison waren, mit „Didone“ eines der frühesten wiederverwertbaren und exportfähigen Referenzwerke des Genres: 1650 wurde „Didone“ als erste von vielen CavalliOpern in Neapel nachgespielt. Zu den typischen musikalischen Elementen, die sich in diesen ersten Jahrzehnten der Entwicklung des Genres Oper etablierten, zählt die Klageszene, das Lamento. Montverdi hatte mit seinem berühm- „Diana und Calisto“, Gemälde von Peter Paul Rubens, um 1640 10 | PROGRAMM ten Lamento aus „Arianna“ (1608) für diesen Typus ein Modell geliefert. Cavalli komponierte in „Didone“ eine eindrucksvolle Sonderform des Typus: das Lamento über einem Basso ostinato. Hekuba, die (ehemals) stolze Königin der Trojaner, beklagt hier den Verlust von Heimat, Königreich, Ehemann und ihrer vielen Kinder. Ihre Szene gliedert sich in den Wechsel von freier, rezitativisch vorgetragener Klage und ariosen Basso-ostinato-Abschnitten. Als Bassmodell wählt Cavalli dabei das archetypische musikalische Symbol des Schmerzes, die fallende chromatische Linie. Diese sich unablässig wiederholende Bassfigur und das strenge Reimschema laufen mit mechanischer, geradezu schicksalhafter Unerbittlichkeit ab. und verführt Calisto in Frauengestalt. Als Calisto sich später der echten Diana zärtlich nähert, weist die Göttin sie empört zurück. Denn Diana ist in JUPITER IN FRAUENKLEIDERN Um allen Konkurrenten zuvorzukommen ließ Faustini „La Calisto“ als eine von zwei Cavalli-Opern noch vor Beginn der Karnevalssaison im November 1651 herauskommen. Doch die Oper wurde ein Flop; ein Sänger-Star erkrankte kurz vor der Premiere, der Impresario selbst verstarb drei Wochen darauf. Die Geschäfte des Teatro San Aponal übernahm Faustinis Bruder Marco, der im Hauptberuf Jurist und ein grundsolider Buchführer war. So ist uns von Marcos Hand ein Bilanzbuch überliefert, das sowohl über die wenig befriedigende Auslastung von „La Calisto“ als auch über den enormen Aufwand für Ausstattung und Spezialeffekte Auskunft gibt: Zu den Bühnenbildern zählten u. a. eine Wüste, eine Grotte der Ewigkeit und eine himmlische Sphäre. Für die Wassernymphe Calisto waren ein Springbrunnen und für die Auf- und Abtritte des diversen Götterpersonals Wagen an Seilzügen vorgesehen. Am erfolgreichsten und längsten arbeitete Cavalli mit dem illustren Giovanni Faustini zusammen. Anders als der gelehrte und honorige Nebenberufsdichter Busenello war Faustini ein Theaterprofi – und eine zwielichtige Gestalt. Sogar ein Mord – der aber nie polizeilich verfolgt wurde – wird dem Dichter und Theatermanager nachgesagt. Als einer der ersten Vertreter des neuen Berufsbildes „Impresario“ wirkte Faustini nacheinander am Teatro San Cassiano, am Teatro San Moisè und am Teatro San Aponal, das der Opernunternehmer 1650 für seine Produktionen anmietete. 14 Libretti schrieb Faustini im Laufe seiner Karriere, 11 davon für Cavalli. Die heute mit Abstand erfolgreichste Koproduktion der beiden ist „La Calisto“. Deren nur noch locker an mythische Vorlagen angelehnter Plot verrät die karnevaleske Lust an Parodie, Travestie und dem Kopfstand der sozialen Ordnung: Göttervater Jupiter kommt in eine verwüstete Welt, um diese wieder zu begrünen. Stattdessen verfällt er den Reizen der Calisto, die zum Gefolge der jungfräulichen Göttin Diana gehört. Von Calisto zurückgewiesen, verkleidet Jupiter sich als Diana den Hirten Endymion verliebt, doch der steigt irrtümlich dem als Diana verkleideten Jupiter nach. Um seine Inkognito nicht preiszugeben, muss der Götterpatriarch die Annäherung des Naturburschen über sich ergehen lassen. Jupiters rachsüchtige Frau Juno fährt derweil vom Olymp herab und verwandelt dessen Lustobjekt Calisto in einen Bären. Neben dieser Haupthandlung hat Faustini noch mehrere Nebenhandlungen und komisches Personal wie die unbefriedigte Nymphe Linfea, einen lüsternen Satyr sowie Folter und Notzucht ins Geschehen eingewoben. INTERNATIONALER ERFOLG Nach Faustinis Tod wurde der Graf Nicolò Minato Cavallis wichtigster literarischer Mitarbeiter. Zu Anfang seiner Karriere war Minato wie Busenello PROGRAMM | 11 Jurist im Hauptberuf und Dichter aus Leidenschaft. Später stieg er ganz aufs Theaterfach um, übernahm die Leitung des Teatro San Salvador und wurde hauptberuflicher Librettoschreiber. Und das mit durchschlagendem Erfolg: 1669 berief ihn Leopold I. als seinen Hofdichter nach Wien. 170 Libretti verfasste Minato während seiner Wiener Zeit, manche davon hielten sich als Klassiker des Genres bis zu Hasses und Telemanns Tagen. Die Oper „Artemisia“ war Cavallis und Minatos zweite Kooperation. Nebenhandlungen und komische Elemente, wie Faustini sie als Modell etabliert hatte, finden sich auch hier, doch der Grundton ist ernster. – Seit 1657 residierten die Jesuiten wieder in Venedig, und die Zeiten allzu großer Freiheiten waren wohl vorbei. So kreist Cavalli/Minatos Oper um den typisch-tragischen Grundkonflikt zwischen Staatsraison und individuellem Glück: Königin Artemisia verliebt sich in einen vermeintlichen Diener, der sich als Erzfeind und Mörder ihres pflichtschuldigst geliebten Gatten Mausolos entpuppt. „Ich habe es unternommen, nichts anderes zu tun, als die Eigenheiten der menschlichen Leidenschaften in natürlicher Weise darzustellen“, schrieb Nicolò Minato dazu im Vorwort seiner „Artemisia“ – und fügte hinzu, man möge das Ganze doch lieber auf dem Theater anschauen als es nur zu lesen. Genau dies tat das Publikum, die Oper wurde ein voller Erfolg. Nach der Premiere am Teatro San Giovanni e San Paolo im Januar 1657 wurde „Artemisia“ im Jahr darauf in Neapel, 1659 in Palermo, 1663 in Mailand und 1665 in Genua nachgespielt. FRANCESCO CAVALLI O QUAM SUAVIS O WIE SÜSS O quam suavis est, Domine, spiritus tuus, qui ut dulcedinem tuam in filios demonstrares pane suavissimo de caelo praestito, esurientes reples bonis, fastidiosos divites dimittens inanes. O wie süß ist, Herr, Dein Geist, der, um deinen Kindern deine Milde zu zeigen, du sie sättigest mit süßem Brot vom Himmel; der du die Hungrigen mit Gütern speisest, und die Reichen leer ausgehen lässest. aus „Musiche sacre” Ilja Stephan PIANTE OMBROSE SCHATTENSPENDENDE PFLANZEN Piante ombrose dove sono i vostri onori? Vaghi fiori dalla fiamma inceneriti, colli, e liti di smeraldi già coperti or deserti del bel verde, io vi sospiro: dove giro, calda, il piede, e sitibonda, trovo l’onda rifuggita entro la fonte, nella fronte bagnar posso, ho ’l labbro ardente. Inclemente: si chi tuona arde la terra? Non più Giove, ah non più guerra. Schattenspendende Pflanzen, wo ist eure Pracht? Hübsche Blumen, von den Flammen eingeäschert, Hügel und Gestade, vormals smaragden gefärbt, nun verlassen von eurem Grün, ich beweine euch. Wohin mein Fuß sich wendet, heiß und dürstend wie ich bin, finde ich die Wasser in ihre Quellgründe zurückgeflohen, noch kann ich meine Stirn darin netzen, oder meine brennenden Lippen. Gnadenlos, ja, verbrennt der Donnergott die Erde! Ende, ach Jupiter, ende deinen Krieg! aus „La Calisto“, Akt I, Szene 2 Pier Francesco Cavalli: „L‘Egisto“, eigenhändige Partitur. Bereits drei Jahre nach ihrer Uraufführung 1643 in Venedig wurde Cavalis „L’Egisto“ in Paris nachgespielt. 12 | PROGRAMM TEXT | 13 VERGINELLA IO MORIR VO ALS JUNGFRAU WILL ICH STERBEN PIANGETE, OCCHI DOLENTI WEINET, SCHMERZENDE AUGEN Dunque Giove immortale, che protegger dovrebbe, santo nell’opre,il virginal costume, acceso a mortal lume, di deflorar procura i corpi casti, e render vani i voti di puri cori, a Cinzia sua devoti? Tu sei qualche lascivo, e la natura sforzi con carmi maghi ad ubbidirti. Girlandata di mirti Venere mai non mi vedrà feconda. Torna, torna quell’onda nello speco natio, che bever non vogl‘io de’ miracoli tuoi libidinoso mago. Resta co’ tuoi stupori. Addio mio vago. So denn, der unsterbliche Jupiter, der in heiligem Wirken jungfräuliche Sittsamkeit schützen sollte, bemüht sich, von irdischem Feuer entzündet, keusche Körper zu entjungfern und zu vereiteln die Gelübde reiner, Cynthia ergebener Herzen? Du bist nur irgendein Lüstling, und zwingst die Natur mit Zaubersprüchen, dir zu gehorchen. Myrtenkränze wird mich Venus nie tragen sehen. Leite sie zurück, jene Flut, in die Höhle ihres Urquells, denn ich will nicht trinken von deinem Wunderzeug, geiler Zauberer, du! Bleib bei deinem Blendwerk! Ade, mein Hübscher Verginella io morir vo’. Stanza, e nido per Cupido del mio petto mai farò. Verginella io morir vo’. Scocchi amor, scocchi se può tutte l’armi per piagarmi, ch’alla fine il vincerò. Verginella io morir vo’. Als Jungfrau will ich sterben! Kammer und Nest für Amors Lust mach’ ich nie aus meiner Brust. Als Jungfrau will ich sterben! Schieße Amor, wenn Du kannst, alle Waffen mich zu treffen, denn am Ende sieg ich doch. Als Jungfrau will ich sterben! Piangete, occhi dolenti, e al flebil pianto mio pianga la fonte, e il rio; articolate accenti frondose, e mute piante de’ miei casi infelici selvagge spettatrici. E narrate pietose a chi di qua se n’ passa l’empia mia sorte, ahi lassa, e l’altrui tradimento; al mesto mio lamento e Progne, e Filomena accompagnino i loro queruli e tristi canti. Ah simplicette amanti non credete a promesse di giovane amatore, ch’ha volubile il core, e la sciagura mia de’ suoi spergiuri esempio ora vi sia. Weinet, schmerzende Augen, und bei meinem kläglichen Weinen weine die Quelle und es weine der Fluss; erhebt eure Stimmen, belaubte und verschwiegene Pflanzen, Naturzeuginnen meines Unglücks. Und mit Mitleid erzählet dem Vorüberkommenden mein grausames, ach, elendes Schicksal und wie andere mich verrieten; meine wehmütige Klage mögen Prokne und Philomela mit ihren leidvollen und traurigen Gesängen begleiten. Oh, naive Liebende, glaubt den Versprechen des jugendlichen Liebhabers nicht, der ein unstetes Herz hat, und mein Unglück, da er seinen Eid brach, sei euch nun ein Exempel. aus „Egisto“, Akt II, Szene 6 aus „La Calisto“, Akt I, Szene 2 14 | TEXT TEXT | 15 NON E MAGGIOR KEIN GRÖSSERES VERGNÜGEN Non è maggior piacere, che seguendo le fere fuggir dell’uomo i lusinghieri inviti: tirannie de’ mariti son troppo gravi, e troppo è il giogo amaro viver in libertade è il dolce, il caro. Di fiori ricamato morbido letto ho il prato, m’è grato cibo il mel, bevanda il fiume. Dalle canore piume a formar melodie tra i boschi imparo. Viver in libertade è il dolce, il caro. Kein größeres Vergnügen gibt es als das Wild verfolgend zu fliehn der Männer Kosen und Locken; Tyranneien eines Gatten sind zu hart und zu bitter das Ehejoch. In Freiheit leben ist süß mir und teuer. Blumenbestickte Wiesen hab‘ ich als weiches Bett, als Speise den Honig, als Trank den Bach. Von den gefiederten Sängern lern ich die Melodien im Walde. In Freiheit leben ist süß mir und teuer. aus „La Calisto“, Akt I, Szene 4 RESTINO IMBALSAMATE MÖGEN SIE UNAUSLÖSCHLICH Restino imbalsamate nelle memorie mie le delizie provate. Fonti limpide, e pure al vostro gorgoglio la mia divina, ed io, coppia diletta, e cara ci baceremo a gara, e formeremo melodie soavi, qui dove con più voci Eco risponde, unito il suon de’ baci, al suon dell‘onde. Mögen sie unauslöschlich mir in Erinnerung bleiben, diese köstlichen Ereignisse. Ihr klaren und reinen Quellen, beim Klang eures Murmelns werden meine Göttliche und ich, ein seliges, liebendes Paar, uns um die Wette küssen, und süße Melodien erklingen lassen, hier, wo das Echo vielstimmig antwortet, der Klang unserer Küsse vereint mit dem Wasser. T’aspetto, e tu non vieni pigro, e lento mio contento; m’intorbidi i sereni; anima, ben, speranza, Dich erwarte ich, doch du kommst nicht, träge und langsame Freude mein; du trübst mir den heiteren Sinn, meine Seele, mein Schatz, meine Hoffnung, 16 | TEXT moro nella tardanza. T’attendo, e tu non giungi. Luminosa neghittosa, con spine il cor me pungi. Deh vieni, e mi ristora, moro nella dimora. und ich sterbe ob deines Säumens. Ich erwarte dich, und du kommst nicht. Du Leuchtende, Gelassene, stichst mir mit Dornen ins Herz. Also komm und erquicke mich, ich sterbe ob des Verzugs. aus „La Calisto“, Akt III, Szene 1 VIENI, VIENI IN QUESTO SENO KOMM, KOMM AN DIESE BRUST Vieni, vieni in questo seno, che sereno già t’accolse entro il suo latte. Le sue, caro, mamme intatte, se già manna a te stillaro, da quei fini loro rubini. Vo’, ch‘ambrosia or ti zampillino. Sii tranquillino, mio placato e bel Polluce, Le mie sorti alla tua bel luce. Komm, komm an diese Brust, die in heitereren Zeiten dich mit Milch empfing. Mein Geliebter, diese jungfräulichen Brüste, die dich einst nährten, mit ihrem Manna, lass ihre Rubine nun mit Ambrosia überfließen. Sei still, mein schöner Pollux, lasse mich dein Licht sein. aus „Rosinda“, Akt III, Szene 5 AFFLIGGETEMI, GUAI DOLENTI QUÄLT MICH, SCHMERZVOLLE SORGEN Affliggetemi, guai dolenti, Trafiggetemi rei tormenti. Dolce speranza, e tu Deh non venir a lusingarmi più, rip. Quält mich, schmerzvolle Sorgen, stecht mich, grausame Foltern. Und du, süße Hoffnung, schmeichle mir nicht mehr. aus „L’Artemisia“, Akt 2, Szene 12 TEXT | 17 CHE CITTÀ WELCH EINE STADT DAMMI MORTE LASS MICH STERBEN, ODER LASS MICH FREI Che città, che città, che costumi, che gente sfacciata, ed insolente: ognun meco la vole con fatti, e con parole. Che città, che città, che costumi, che gente sfacciata, ed insolente. Mille perigli, e mille mi sovrastano al giorno, ho cento insidiatori ognor d’intorno; né so il perché capire, chi me ’l saprebbe dire? Tal le guance mi tocca, che non conosco appena seco cortese ognun m’invita a cena, né so il perché capire, chi me ’l saprebbe dire? Ognun tace, e lo sa, che città, che città. Non vedo l’ora, che ritorni Amida in Tremisene per partir di qua. Che città, che città, che costumi, che gente sfacciata, ed insolente. Welch eine Stadt, welche Sitten, welch verdorbenes und unverschämtes Pack! Jeder will etwas von mir mit Taten und mit Worten. Welch eine Stadt, welche Sitten, welch verdorbenes und unverschämtes Pack! Tausenderlei Gefahren drohen mir am Tag, jede Stunde stellen hundert Leute mir nach. Und ich verstehe nicht, weshalb. Wer kann’s mir sagen? Dieser berührt meine Wangen, den ich kaum kenne, und lädt mich ach so freundlich zum Speisen. Und ich verstehe nicht, weshalb. Wer kann’s mir sagen? Jeder weiß es, und sagt’s doch nicht! Welch eine Stadt, welch eine Stadt. Noch sehe ich die Stunde nicht, in der Amida hier fortgeht und nach Tremisene zurückkehrt. Welch eine Stadt, welche Sitten, welch verdorbenes und unverschämtes Pack! Dammi morte, ò libertà, rip. Cieco Amor, che tante pene, Tanti guai, tante catene, Sostener il cor non sa. Dammi morte, ò libertà. Troppo è dura servitù E martir troppo severo, Adorar un Idol fiero, Una rigida beltà. Dammi morte, ò libertà. Lass mich sterben, oder lass mich frei, blinder Amor, denn mein Herz kann solchen Scherz nicht ertragen, solchen Gram und solche Haft. Lass mich sterben, oder lass mich frei. Zu hart ist der Dienst, zu unerträglich die Qual, das grausame Bild eines fühllosen Mannes anzubeten. Lass mich sterben, oder lass mich frei. aus „Ormindo“, Akt II, Szene 1 18 | TEXT aus „ L’Artemisia“, Akt 3, Szene 4 L’ALMA FIACCA SVANI SEINE SEELE ENTFLIEHT L’alma fiacca svanì, la vita ohimè spirò, Corebo, o dio morì, e sola mi lasciò, per sposa ei mi voleva, e io qui piango prima che sposa, vedova rimango. La vita così va, anco mio padre il re nel fin di grave età regno, e vita perdé. Del senso umano o debolezza, o scorno su i secoli disegna, e vive un giorno. Seine Seele entflieht, das Leben erlischt in ihm, er stirbt, weh mir, er stirbt und lässt mich hier allein. Er begehrte mich zur Gattin, doch ehe ich Braut ward, bin ich in Tränen Witwe geworden. Mein Leben ist vertan. Fiel nicht des Vaters Haupt, ward nicht dem alten Mann Thron und Leben geraubt? O Elend des menschlichen Geistes, Jahrhunderte verachtet er und lebt kaum einen Tag. Nel tempio io tornerò i numi a supplicar, altrove andar non so, sia guardia mia l’altar; e s’all’altar morrò, vi prego, o dèi, le vittime a gradir de’ spirti miei. So muss ich nun zurück In meinen Tempel gehn. Ich will nicht mehr das Glück, nur mehr den Tod erfehn. Und finde ich den Tod, Götter, hört mein Rufen, mein Opferblut färbt rot des Tempels Stufen. aus „Didone“, Akt 1, Szene 4 TEXT | 19 ALLE RUINE DEL MIO AUF DEN TRÜMMERN MEINES KÖNIGREICHES Alle ruine del mio regno adunque sopravvivo decrepita, e son giunta a riputar il pianto testimon trivial de’ miei dolori! Onde va l’alma mia cercando oltre le lagrime il tenore di lamentarsi, mentre in questa notte in un punto perdei regno, patria, marito, e figli miei. Auf den Trümmern meines Königreiches sitz ich einsam, dem Tode nah, und mit nutzlosen Tränen bezeuge ich, welche Leiden ein Mensch zu ertragen vermag. Wohin geht meine Seele, vom Klagen erschöpft, um sich auszuweinen jenseits der Tränen. Ach in einer einzigen Nacht hab‘ ich verloren die Herrschaft, die Heimat, den Gatten und meine Kinder! Tremulo spirito flebile, e languido escimi subito, vadasi l’anima, ch’Erebo torbido Cupido aspettala. Povero Priamo scordati d’Ecuba vedova misera. Causano l’ultimo orrido esito Paride, e Elena. Zitternde Seele, schwach und schmachtend, verlasse mich sofort! Bis in den Erebus, wo sie erwartet wird, wandert die Pilgerin. Wehe dir Priamos, niemand betrauert dich, wenn ich gestorben bin. Unseres Untergangs Ursache waren doch Paris und Helena. Ahi tra tanti nemici prova il mio petto solo penuria di ferite, nè cade ancor la mia tra tante vite. Cassandra, ohimè, Cassandra piango, piangi, piangiamo, il caso estremo, l’alba non rivedremo. Wehe, unter so vielen Feinden stehe ich als Einzige aufrecht und bin noch ohne Wunden, ich falle nicht als Opfer unter die Toten. Cassandra, wehe dir, Cassandra, weine, weine und lass mich mit dir weinen, in unserer schweren Lage wird das Licht nie mehr scheinen. 20 | TEXT Vipera livida, aspide pessimo, mordimi, todimi. Intime viscere spruzzano, stillano fervide lagrime. Crollano, tremano, ardono, cadono, portici, e tempii. Vassene in polvere, restati in cinere, porpora e imperio. Neidische Viper, giftige Schlangenbrut, nagt mir im Eingeweide. Bittere Tränenflut, die aus den Augen rinnt, zeigt dir mein Herzensleid. Tore und Tempelbau bersten und brechen schon, werden der Flammen Raub. Asche ist nun mein Kleid, Purpur und Königsthron, alles zerfällt zu Staub. aus „Didone“, Akt 1, Szene 6 ARDO, SOSPIRO E PIANGO ICH BRENNE, ICH VERZEHRE MICH UND WEINE Ardo, sospiro, e piango, Osservo eterna fè, E pur senza mercè Lassa, rimango, ecc. Pensando ogn’ hor: io vò, Come fuggir le pene e non lo sò, rip. Peno, languisco, e moro Per chi non ha pietà. Passo mia fresca età Senza ristoro. Pensando ogn’ hor, ecc. Ich brenne, ich verzehre mich und weine, treu wäre ich in Ewigkeit, doch ohne Gnade bleibe ich, klagend. Immer denke ich: Ich will, doch weiß nicht wie dem Gram entfliehen. Ich leide, schmachte und sterbe für einen herzlosen Mann. Meine Jugend vergeht ohne Trost. Immer denke ich: Ich will, etc. aus „L’Artemisia“, Akt I, Szene 12 TEXT | 21 KONZERTVORSCHAU ABO-KONZERT 2 | NDR DAS ALTE WERK NINFA BELLA SCHÖNE NYMPHE Dienstag, 29. Oktober 2013, 20 Uhr Ninfa bella, che mormora di marito il tuo genio? S’il mio sembiante aggradati in grembo, in braccio pigliami, tutto, tutto mi t’offerò. Schöne Nymphe, was murmelt da, dein Sinn von einem Gatten? Wenn dir meine Erscheinung zusagt, nimm mich in deinen Schoß, deinen Arm! Ganz, ganz biete ich mich dir dar! LE POÈME HARMONIQUE Molle come lanugine, e non pungenti setole son questi peli teneri, che da membri mi spuntano: neppur anco m’adombrano il mento lane morbide, ma sulle guance candide i ligustri mi ridono, e sopra lor s’innestano rose vive, e germogliano. Questa mia bocca gravida di favi soavissimi, ti porgerà del nettare. Weich wie Wolle, und keine spitzen Borsten sind diese zarten Haare, die meinen Gliedern entsprießen; auch verdüstert mein Kinn noch keinerlei weiche Wolle, sondern es lächelt auf weißen Wangen mir weißer Ligusterschimmer. Und darauf sind gepfropft frische Rosen, die sprießen. Dieser mein Mund, beladen mit süßen Honigwaben soll dir Nektar reichen. Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal aus „La Calisto“, Akt I, Szene 13 22 | TEXT Claire Lefilliâtre Sopran Jan van Elsacker Tenor Serge Goubioud Tenor Arnaud Marzorati Bass Vincent Dumestre Theorbe und Leitung Benjamin Lazar Regie „Venezia dalle strade ai Palazzi” Werke von: CLAUDIO MONTEVERDI FRANCESCO MANELLI BENEDETTO FERRARI BIAGIO MARINI 19 Uhr: Einführungsveranstaltung mit Ilja Stephan im Kleinen Saal der Laeiszhalle Vincent Dumestre Das Venedig-Projekt bei NDR Das Alte Werk geht weiter. Auf eine Zeitreise in das Venedig des Goldenen Barock begeben sich Vincent Dumestre und sein Ensemble Le Poème Harmonique: Sie führen uns durch einen Tag in den Straßen und prunkvollen Palästen der „Serenissima“. Der Regisseur und Barockspezialist Benjamin Lazar hat hierfür mit Ensemble und Solisten ein szenisches Konzept samt Gestenrepertoire erarbeitet, das ganz dem Vorbild historischer Aufführungen folgt. Dazu gehört auch die Beleuchtung, die sich allein auf den Schein der Kerzen beschränkt und die magische Atmosphäre eines Zeitalters evoziert, in dem die Freiheit der Musik noch nicht durch drakonische Regelwerke beschränkt wurde. KONZERTVORSCHAU | 23 NDR DAS ALTE WERK PODIUM DER JUNGEN NDR SINFONIEORCHESTER NDR DAS NEUE WERK ABONNEMENTKONZERT ABONNEMENTKONZERTE ABONNEMENTKONZERTE Samstag, 12. Oktober 2013, 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio Abo-Konzert 3 Mittwoch, 27. November 2013, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Sonntag, 20. Oktober 2013, 18 Uhr! Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio THOMAS ADÈS AND THE BAROQUE VENICE BAROQUE ORCHESTRA NDR Chor Philipp Ahmann Leitung Paulo Ferreira Fagott Werke von: CAMILLE SAINT SAËNS, PHILIPPE HERSANT, JEAN ABSIL und PHILIPPE SCHOELLER B2 | Donnerstag, 17. Oktober 2013, 20 Uhr A2 | Sonntag, 20. Oktober 2013, 11 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Yutaka Sado Dirigent Roland Greutter Violine Werke von: LEONARD BERNSTEIN, IGOR STRAWINSKY und SERGEJ PROKOFJEW Maurice Steger Blockflöte Werke von: ANTONIO VIVALDI, DOMENICO SARRI, TOMASO ALBINONI, LEONARDO LEO und FRANCESCO GEMINIANI LA VOIX DU BASSON 19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal der Laeiszhalle Freitag, 22. November 2013, 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio SONDERKONZERT Mittwoch, 30. Oktober 2013, 20 Uhr Bucerius Kunst Forum „BACCHUS, APOLLON UND DIE GEBURT DER OPER IN ITALIEN“ The Harp Consort Marco Beasley Tenor Steven Player Tanz Barockgitarre Andrew Lawrence-King Barockharfe Leitung Werke u. a. von: CLAUDIO MONTEVERDI, FRANCESCO CAVALLI, LORENZO I. DE’ MEDICI, BIAGIO MARINI, EMILIO DE’ CAVALIERI, CARLO GESUALDO BUTTONS & KEYS NDR Bigband Jörg Achim Keller Leitung Christian Elsässer Piano Alexander Hrustevich Bajan (Knopfakkordeon) Werke von: ANTONIO VIVALDI, SERGEI PROKOFJEW, VYACHESLAV CHERNIKOV und „FLYING IN CIRCLES“ (NDR BIGBAND featuring CHRISTIAN ELSÄSSER) 17.10.2013 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung 20.10.2013 | 11 Uhr: Familienmusik parallel zum Konzert C1 | Donnerstag, 24. Oktober 2013, 20 Uhr D1 | Freitag, 25. Oktober 2013, 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Thomas Hengelbrock Dirigent Miah Persson Sopran Detlef Roth Bariton NDR Sinfonieorchester NDR Chor RIAS Kammerchor Werke von: DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH und JOHANNES BRAHMS Keller Quartett Louis Lortie Klavier Werke von: THOMAS ADÈS, HENRY PURCELL und FRANCOIS COUPERIN 19 Uhr: Einführungsveranstaltung Freitag, 8. November 2013, 20 Uhr Hamburg, Instituto Cervantes Josep-Maria Balanyà Klavier JOSEP-MARIA BALANYÀ „Un peu à gauche, s.v.p.“ 11-teiliger Zyklus für Klavier solo 19 Uhr: Klangradar 3000 mit Schülern der Stormarnschule Ahrensburg Einführungsveranstaltungen mit Thomas Hengelbrock jeweils um 19 Uhr In Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de 24 | KONZERTVORSCHAU KONZERTVORSCHAU | 25 IMPRESSUM Herausgegeben vom Fotos: NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK BEREICH ORCHESTER UND CHOR [M] Fotolia; David Wassermann/brandXpictures (Titel) Rothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg [email protected] NDR Das Alte Werk im Internet: www.ndr.de/dasaltewerk Foto: © [M] Stockbyte, Stefano Stefani | Photodisc, ccvision In Hamburg unter auf 99,2 Frequenzen Weitere Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur ndr.de/ndrkultur Marco Borggreve (S. 5) Marco Borggreve (S. 6) Merçè Rial (S. 7) akg-images | Erich Lessing (S. 9) Album | Joseph Martin (S. 10) akg-images (S. 12) Per Buhre (S. 23) Leitung: Rolf Beck Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront Redaktionsassistenz: Annette Martiny/ Janina Hannig NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co. Druck: Nehr & Co. GmbH Redaktion des Programmheftes: Dr. Ilja Stephan Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Der Text von Dr. Ilja Stephan ist ein Originalbeitrag für den NDR. Die Konzerte von NDR Das der Reihe NDRAlte DasWerk Alte Werk hören Sie auf NDR Kultur 26 | IMPRESSUM Hören und genießen