Christina Pluhar, L`Arpeggiata und Nuria Rial

Transcription

Christina Pluhar, L`Arpeggiata und Nuria Rial
25.09.2013
L’ARPEGGIATA
CHRISTINA PLUHAR LEITUNG NURIA RIAL SOPRAN
SAISON 2013/2014 ABONNEMENTKONZERT 1
Mittwoch, 25. September 2013, 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
MAURIZIO CAZZATI
Ciaccona
(1616 – 1678)
L’ARPEGGIATA
CHRISTINA PLUHAR LEITUNG
NURIA RIAL SOPRAN
„L’AMORE INNAMORATO“
ARIE, LAMENTI E SINFONIE
FRANCESCO CAVALLI
„Vieni, vieni in questo seno“
Arie der Nerea aus „Rosinda“ (1651)
„Affliggetemi, guai dolenti“
Arie der Artemia aus „L’Artemisia“ (1657)
„Che città“ Arie des Nerillo aus „Ormindo“ (1644)
FRANCESCO CAVALLI
Sinfonia aus „Il Giasone“ (1649)
Sinfonia aus „L’Eliogabalo“ (1668)
(1602 – 1676)
O quam suavis aus „Mottetti a voce sola“ (1645)
„Dammi morte“ Arie der Oronta aus „L’Artemisia“
„Piante ombrose“
Arie der Calisto aus „La Calisto“ (1651)
„Verginella io morir vo“
Arie der Calisto aus „La Calisto“
Canzon a 3 aus „Musiche sacre“ (1656)
„Alle mie ruine“ Lamento der Ecuba aus „Didone“
„Ardo, sospiro e piango“
Arie der Artemia aus „L’Artemisia“
„Piangete, occhi dolenti“
Lamento der Climene aus „Egisto“ (1643)
„Ninfa bella“ Arie des Satirino aus „La Calisto“
„Non e maggior piacere“
Arie der Calisto aus „La Calisto“
Keine Pause
„Restino imbalsamente“
Arie der Calisto aus „La Calisto“
02 | PROGRAMMABFOLGE
„L’Alma fiacca svani“
Lamento der Cassandra aus „Didone“ (1641)
Das Konzert wird am Freitag, den 4. Oktober 2013,
um 20.05 Uhr auf NDR Kultur gesendet.
PROGRAMMABFOLGE | 03
L’ARPEGGIATA
L’ARPEGGIATA
BESETZUNG
THEORBE UND LEITUNG
BAROCKGEIGE
Christina Pluhar
Veronika Skuplik
VIOLA DA GAMBA,
LIRONE
Rodney Prada
ZINK
Doron Sherwin
BAROCKCELLO
Josetxu Obrgegon
PSALTERION
Margit Übellacker
PERKUSSION
David Mayoral
LAUTE
Eero Palviainen
CEMBALO UND ORGEL
Haru Kitamika
BAROCKHARFE
Sarah Ridy
04 | BESETZUNG
Das hochdekorierte Ensemble L’Arpeggiata wurde
im Jahre 2000 von Christina Pluhar gegründet
und besteht ausschließlich aus virtuosen und
künstlerisch herausragenden Musikern. In Zusammenarbeit mit Solisten verschiedenster musikalischer Herkunft begeistert das Ensemble Publikum
und Presse in der ganzen Welt durch unkonventionelle, mitreißende Aufführungen. Benannt nach
der gleichnamigen Toccata von Giovanni Girolamo
Kapsberger hat sich L’Arpeggiata ganz auf die
Auf führung der Musik des 17. Jahrhunderts spezialisiert. Dabei treffen überschäumende Spielfreude, Lust am Improvisieren und Experimentierfreudigkeit auf das musikalische Handwerk der
historischen Aufführungspraxis. L’Arpeggiata tritt
regelmäßig bei bedeutenden Musikfestivals auf,
darunter die Schwetzinger Festspiele, die
Händelfestspiele in Halle, die RuhrTriennale, das
Printemps des Arts de Nantes, die Ludwigsburger
Schlossfestspiele und das Musikfest Postdam;
L’Arpeggiata gastierte u.a. in der Londoner
Wigmore Hall, der New York Carnegie Hall,
in Tokyo und beim Hong Kong Arts Festival.
Die Einspielungen von L’Arpeggiata wurden mit
zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der
Cannes Classical Award, der Diapason d’Or, der
Edison Price und der Echo Klassik, den Christina
Pluhar und L’Arpeggiata 2009 für das Album
„Teatro d’amore“, 2010 für „Via Crucis“ und 2011
für Monteverdis Vespro della beata vergine erhielten. Ihre neue CD „Los Párajos Perdidos – The
South American project“ erschien im Januar 2012
bei EMI/virgin classics.
L’ARPEGGIATA | 05
CHRISTINA PLUHAR
NURIA RIAL
Christina Pluhar wurde in Graz geboren. Nach
Nuria Rial studierte Gesang und Klavier in ihrem
ihrem Studium der Konzertgitarre entdeckte sie
ihre Liebe zur Renaissance- und Barockmusik und
begann ihr Lautenstudium bei Toyohiko Satoh
am Koninklijk Conservatorium in Den Haag. Sie
erlangte dort 1989 das Solistendiplom für Laute,
setzte aber ihre Ausbildung bei Hopkinson Smith
an der Schola Cantorum Basiliensis fort, wo sie
1992 das „Diplom für Alte Musik” erlangt.
Barockharfe studiert Pluhar bei Mara Galassi an
der Scuolo Civica di Milano, der Besuch von zahlreichen Meisterkursen bei Paul O’dette, Jesper
Christensen und Andrew-Lawrence King prägen
ihren musikalischen Werdegang. Von 1990 bis
2000 war Pluhar Mitglied des Ensembles „La
Fenice“, mit dem sie 1992 einen ersten Preis im
internationalen Ensemblewettbewerb für Alte
Musik in Malmö erlangte und die siebenteiligen
Reihe „L’heritage de Monteverdi“ bei dem Label
„Ricercar” einspielte. Pluhars solistische Einspielung mit Werken von Alessandro Piccini erschien
1996 bei der Plattenfirma „Empreinte Digitale“.
Seit 1993 hat sie einen Lehrauftrag an der Kunstuniversität in Graz und gibt Meisterkurse in
Deutschland, Belgien und Frankreich. Seit 1999
unterrichtet sie eine Klasse für Barockharfe am
Königlichen Konservatorium in Den Haag.
Heimatland Katalonien. Sie wechselte nach Basel
in die Klasse von Kurt Widmer, machte 2003 ihren
Abschluss und gewann den Helvetia Patria Jeunesse
in Luzern für ihre herausragenden Fähigkeiten als
Sängerin. Sie trat bereits bei den führenden Festivals in Europa auf. Als Konzertsolistin arbeitete Rial
mit Dirigenten wie Paul Goodwin, Gustav Leonhardt,
René Jacobs, Thomas Hengelbrock, Skip Sempé,
Laurence Cummings, Pierre Cao. Dabei wurde sie
von Spitzenensembles wie Il Giardino armonico
The English Concert, Les Musiciens du Louvre,
Concerto Köln, dem Kammerorchester Basel, der
Akademie für Alte Musik, La Risonanza, l’Arpeggiata
oder dem Züricher Kammerorchester begleitet.
Rial sang in wichtigen Opernproduktionen wie in
Francesco Cavallis „Eliogabalo“ in Brüssel, Monteverdis „Orfeo“ an der Staatsoper Unter den Linden
in Berlin sowie in Mozarts „Zauberflöte“ in Genua.
2011 übernahm sie die Partie der „Ilia“ aus Mozarts
„Idomeneo“ auf einer Tournee durch die Schweiz.
SOPRAN
THEORBE UND LEITUNG
Seit 1992 lebt Pluhar als freischaffende Musikerin
in Paris. Sie konzertierte als gefragte Solistin und
Continuo-Spielerin mit verschiedenen Kammermusikensembles und Barockorchestern wie:
La Fenice (Jean Tubery), Hesperion XXI (Jordi
Savall), Accordone (Marco Beasley), Ricercar
Consort (Philippe Pierlot), Concerto Soave
(Maria Cristina Kiehr), Elyma (Gabriel Garrido),
Les musiciens du Louvre (Marc Minkowsky),
06 | THEORBE UND LEITUNG
Akademia (Françoise Laserre), La Grande Ecurie
et la Chambre du Roi (Jean-Claude Malgoire),
Concerto Cölln (Konrad Junghänel). Unter der
Leitung von René Jacobs, Ivor Bolton, Alessandro
di Marchi, Gabriel Garrido u. v. a. sowie als Begleiterin von Andreas Scholl, Marco Beasley und
Dominique Visse war Pluhar zudem bei zahlreichen
Festivals zu hören. Sie war außerdem Assistentin
von Ivor Bolton an Münchner Staatsoper.
Nuria Rial hat zahlreiche CDs für verschiedene
Labels aufgenommen. Darunter die preisgekrönte
Figaro-Aufnahme mit René Jacobs. Seit Januar
2009 ist sie Exklusivkünstlerin bei Sony Classical/
BMG Masterworks. Unter den letzten Aufnahmen
befand sich eine Händel-CD mit dem Kammerorchester Basel, „Duetti amorosi“ mit dem Countertenor Lawrence Zazzo und Händels „Neun Deutsche Arien“ mit der Austrian Baroque Company.
Ihre CD „Via Crucis“ gewann den niederländischen
„Edison Award“. 2009 erhielt sie den Echo Klassik
für ihre Haydn-CD mit dem Orfeo Barockorchester,
und sie bekam einen zweiten Echo Klassik für
ihren Beitrag auf der CD „Teatro d’Amore“ mit
Christina Pluhar und Philippe Jaroussky.
SOLISTIN | 07
KARNEVAL DER LEIDENSCHAFTEN
DIE OPERN VON FRANCESCO CAVALLI
Francesco Cavalli ist in. Seit der Dirigent Raymond
Leppard 1967 bei den Festspielen in Glyndebourne
Cavallis „Ormindo“ wieder zum Leben erweckte,
erlebt die Musik dieses lange Zeit kaum beachteten
Großmeisters der venezianischen Oper ein nachhaltiges Revival. In den ersten 25 Jahren seit ihrer
Wiederentdeckung durch Leppard wurde alleine
Cavallis „La Calisto“ 57 Mal nachgespielt. Fast alle
seiner 27 überlieferten Opern sind inzwischen
wiederaufgeführt worden, und seit einigen Jahren
läuft ein großes Editionsprojekt, das Cavallis
Partituren in historisch-kritischen Ausgaben dem
Musikbetrieb wieder zugänglich macht. Dieser
Erfolg wirft Fragen auf: Woher kommt nach 350
Jahren des Beinahe-Vergessens diese Begeisterung?
Welchen Nerv trifft diese Musik beim heutigen
Publikum?
KAUFLEUTE UND FREIGEISTER
Was die frühe venezianische Oper ausmacht,
versteht man am besten aus den Umständen ihrer
Entstehung. Der Siegeszug der Oper in Venedig
begann vor dem Hintergrund zweier historischer
Katastrophen. Von 1630 bis 1631 wütete die Pest
in der Lagunenstadt; knapp 50 000 Menschen, ein
Drittel der venezianischen Bevölkerung, erlagen der
Seuche. Auf ihrem Höhepunkt, im November 1630,
forderte die Epidemie fast 15 000 Opfer binnen
eines Monats. Zur medizinischen Katastrophe kam
die militärische: Im Mai 1630 wurde ein venezianisches Heer in der Schlacht von Villabella vor
Mantua vernichtend geschlagen. Kaum hatte das
venezianische Gemeinwesen sich von diesen
Schicksalsschlägen einigermaßen erholt, fand es
Kraft, Lebensfreude und Initiative genug für eine
musikhistorische Großtat: 1637 wurde in Venedig
das erste öffentliche, gegen Bezahlung für jeder-
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mann (der Geld genug hatte) zugängliche Opernhaus, das Teatro San Cassiano, eröffnet. Psychologisch gesehen mag dies einem Ausbruch der
Lebenslust nach der überstandenen Depression
zuzuschreiben sein. Wirtschaftlich betrachtet
war es ein Geniestreich des venezianischen Stadtmarketings, denn schon damals war der Karnevalstourismus für die Serenissima eine wichtige
Einnahmequelle, und das neu installierte Spektakel
war auch als zusätzliche Attraktion für die Karnevalssaison gedacht. Das Konzept bewährte sich
glänzend: Vierzig Jahre später zählte Venedig bereits
sieben Opernhäuser und die venezianische Oper
erwies sich als Exportschlager.
Der Satiriker Ferrante Pallavicino verhöhnte hier
(vorerst) ungestraft den bankrotten Papst und die
Inquisition; die Nonne Arcangela Tarabotti klagte
in Büchern wie „Väterliche Tyrannei“ oder „Convent
Hölle“ die erzwungene Kasernierung vieler Frauen
in den Klöstern an. Und an der Universität im von
Venedig aus verwalteten Padua hatte ein gewisser
Galileo Galilei mittels Hightech-Optik Krater auf
dem Mond und Monde um den Jupiter entdeckt.
Im Zentrum der liberalen Publizistik in Venedig
stand die Accademia degli Incogniti; eine Vereinigung von Gelehrten und Honoratioren, die 1630
mitten in der Zeit größter Bedrängnis gegründet
worden war. Diese freigeistige Accademia betrieb
nicht nur ein eigenes Theater, auch mehrere
namhafte Opern-Librettisten gehörten ihr an.
DRAMEN MIT MUSIK
Die Venezianer machten das Konzept Oper, das
einige Florentiner Gelehrte um 1600 ersonnen
hatten, marktfähig. An den Höfen in Florenz oder
Mantua diente die Oper dem Fürstenlob und der
Repräsentation; in päpstlichen Rom legte man
den Schwerpunkt auf geistliche Erbauung. Im rein
privatwirtschaftlich finanzierten, von Konkurrenz
angetriebenen venezianischen Opernbusiness lag
das Augenmerk dagegen auf der Unterhaltung
eines zahlenden Publikums. Zu den Grundelementen der venezianischen Oper zählen so von Anfang
an Intrigen, Sex und komische Nebenfiguren.
Man kultivierte das Spiel mit Illusionen und Desillusionierung, Verkleidungen, Maskeraden und
Travestie. Gipfelwerke der venezianischen Oper,
wie Monteverdis „Krönung der Poppea“, zeichneten
sich dabei durch einen gnadenlos analytischen
Blick auf die menschliche Natur aus. Venedig war
der Ort, an dem solche Sichtweisen gediehen.
Bereits Anfang des Jahrhunderts hatte man die
Jesuiten aus der Stadt verbannt; so blieb die
Republik lange ein Hort der Publikationsfreiheit.
Francesco Cavalli schwamm auf der Erfolgswelle
der venezianischen Oper obenauf. Maestro Claudio
Monteverdi selbst hatte den 14-jährigen Cavalli
(alias Pier Francesco Caletti-Bruni) 1616 als Sänger
an San Marco engagiert. Vier Jahre später wurde
Cavalli Organist an der Kirche San Giovanni e Paolo,
ab 1639 bekleidete er das Amt des Zweiten Organisten an San Marco. Hauptberuflich war Cavalli
also sein Lebtag lang Kirchenmusiker, doch
Geschichte schrieb er im Nebenberuf als OpernKomponist. 32 Musiktheaterwerke werden Cavalli
heute zugerechnet (fünf sind verschollen); mit
einer erfolgreichen Oper verdiente er das Zweibis Dreifache seines Jahressalärs als Organist.
Dank solcher Aufträge – und weil er eine reiche
Witwe geehelicht hatte – residierte Cavalli ab 1647
umsorgt von einer zahlreichen Dienerschaft in
einem eigenen Haus am Canal Grande. Die Chancen
der neuen Gattung Oper hatte er früh erkannt:
1639, zwei Jahre nach dessen Eröffnung, schrieb
Cavalli seine erste Oper fürs Teatro San Cassiano;
im Jahresabstand folgten weitere. Als „Dramma
musicale“ oder „Dramma per musica“ wurden die
neuartigen Werke damals bezeichnet. Viele von
ihnen sind heute nur als Textbücher überliefert,
denn offenbar war das Verhältnis von Dichtung
„Prozession vor S. Maria della Salute“. (Alljährlicher Besuch des Dogen zur Erinnerung an das Ende der Pest
im Jahre 1631), Gemälde von Francesco Guardi, um 1780
PROGRAMM | 09
und Musik ein anderes als bei späteren „Opern“.
Noch war die Text-Dichtung ein literarisches
Kunstwerk eigenen Rechts, keine bloße Komponiervorlage. Die Musik entwickelte sich eng am Wort
entlang und ging dabei mit größter Beweglichkeit
vom melodisch-biegsamen und sanglichen Textvortrag zu ariosen Partien über. Eine säuberliche
Teilung von berichtenden Rezitativen und emotionalen Arien bildete sich als verbindliches Modell
erst langsam heraus.
Die Dichter-Persönlichkeiten, mit denen Cavalli für
seine Drammi zusammenarbeitete, verraten viel
über die Entwicklung des neuen Genres. Giovanni
Francesco Busenello etwa schrieb Geschichte als
Dichter von Monteverdis „Krönung der Poppea“.
Im Hauptberuf war der Sohn aus guter Familie
allerdings Jurist, Vikar und Diplomat. Studiert hatte
der dichtende Rechtsanwalt im nahegelegenen
Padua, und er war Mitglied der honorigen Accademia degli Incogniti. In seinem Libretto für „Didone“
von 1640 entwarf Busenello eine Vorgeschichte
der Verwüstung, wie sie uns ähnlich in mehreren
Opern dieser Zeit begegnet: „Troja steht in Flammen, in Elend und Ruin gestürzt nach dem Tod von
Hector, Paris, Priamus und allen anderen Helden.“
Vor dieser Ausgangslage beginnt die Geschichte der
Königin Dido und ihrer verschmähten Liebe, für die
Busenello einen weiteren Grundbaustein marktgerechter Dramaturgie einführte: das Happy End.
Statt des tragischen Ausgangs in Vergils „Aeneas“
lassen Busenello/Cavalli ihre Dido-Oper mit einem
„Lieto fine“, einem glücklichen Ende, schließen.
So gelang dem Duo in einer Zeit, in der Opern
meist kurzlebige Werke für eine Saison waren, mit
„Didone“ eines der frühesten wiederverwertbaren
und exportfähigen Referenzwerke des Genres:
1650 wurde „Didone“ als erste von vielen CavalliOpern in Neapel nachgespielt.
Zu den typischen musikalischen Elementen, die
sich in diesen ersten Jahrzehnten der Entwicklung
des Genres Oper etablierten, zählt die Klageszene,
das Lamento. Montverdi hatte mit seinem berühm-
„Diana und Calisto“, Gemälde von Peter Paul Rubens, um 1640
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ten Lamento aus „Arianna“ (1608) für diesen Typus
ein Modell geliefert. Cavalli komponierte in „Didone“
eine eindrucksvolle Sonderform des Typus: das
Lamento über einem Basso ostinato. Hekuba, die
(ehemals) stolze Königin der Trojaner, beklagt
hier den Verlust von Heimat, Königreich, Ehemann
und ihrer vielen Kinder. Ihre Szene gliedert sich in
den Wechsel von freier, rezitativisch vorgetragener
Klage und ariosen Basso-ostinato-Abschnitten. Als
Bassmodell wählt Cavalli dabei das archetypische
musikalische Symbol des Schmerzes, die fallende
chromatische Linie. Diese sich unablässig wiederholende Bassfigur und das strenge Reimschema
laufen mit mechanischer, geradezu schicksalhafter
Unerbittlichkeit ab.
und verführt Calisto in Frauengestalt. Als Calisto
sich später der echten Diana zärtlich nähert, weist
die Göttin sie empört zurück. Denn Diana ist in
JUPITER IN FRAUENKLEIDERN
Um allen Konkurrenten zuvorzukommen ließ
Faustini „La Calisto“ als eine von zwei Cavalli-Opern
noch vor Beginn der Karnevalssaison im November
1651 herauskommen. Doch die Oper wurde ein
Flop; ein Sänger-Star erkrankte kurz vor der Premiere, der Impresario selbst verstarb drei Wochen
darauf. Die Geschäfte des Teatro San Aponal übernahm Faustinis Bruder Marco, der im Hauptberuf
Jurist und ein grundsolider Buchführer war. So ist
uns von Marcos Hand ein Bilanzbuch überliefert,
das sowohl über die wenig befriedigende Auslastung von „La Calisto“ als auch über den enormen
Aufwand für Ausstattung und Spezialeffekte
Auskunft gibt: Zu den Bühnenbildern zählten u. a.
eine Wüste, eine Grotte der Ewigkeit und eine
himmlische Sphäre. Für die Wassernymphe Calisto
waren ein Springbrunnen und für die Auf- und
Abtritte des diversen Götterpersonals Wagen an
Seilzügen vorgesehen.
Am erfolgreichsten und längsten arbeitete Cavalli
mit dem illustren Giovanni Faustini zusammen.
Anders als der gelehrte und honorige Nebenberufsdichter Busenello war Faustini ein Theaterprofi –
und eine zwielichtige Gestalt. Sogar ein Mord – der
aber nie polizeilich verfolgt wurde – wird dem
Dichter und Theatermanager nachgesagt. Als einer
der ersten Vertreter des neuen Berufsbildes
„Impresario“ wirkte Faustini nacheinander am
Teatro San Cassiano, am Teatro San Moisè und am
Teatro San Aponal, das der Opernunternehmer
1650 für seine Produktionen anmietete. 14 Libretti
schrieb Faustini im Laufe seiner Karriere, 11 davon
für Cavalli. Die heute mit Abstand erfolgreichste
Koproduktion der beiden ist „La Calisto“. Deren
nur noch locker an mythische Vorlagen angelehnter
Plot verrät die karnevaleske Lust an Parodie, Travestie und dem Kopfstand der sozialen Ordnung:
Göttervater Jupiter kommt in eine verwüstete Welt,
um diese wieder zu begrünen. Stattdessen verfällt
er den Reizen der Calisto, die zum Gefolge der
jungfräulichen Göttin Diana gehört. Von Calisto
zurückgewiesen, verkleidet Jupiter sich als Diana
den Hirten Endymion verliebt, doch der steigt irrtümlich dem als Diana verkleideten Jupiter nach.
Um seine Inkognito nicht preiszugeben, muss der
Götterpatriarch die Annäherung des Naturburschen
über sich ergehen lassen. Jupiters rachsüchtige
Frau Juno fährt derweil vom Olymp herab und verwandelt dessen Lustobjekt Calisto in einen Bären.
Neben dieser Haupthandlung hat Faustini noch
mehrere Nebenhandlungen und komisches Personal wie die unbefriedigte Nymphe Linfea, einen
lüsternen Satyr sowie Folter und Notzucht ins
Geschehen eingewoben.
INTERNATIONALER ERFOLG
Nach Faustinis Tod wurde der Graf Nicolò Minato
Cavallis wichtigster literarischer Mitarbeiter. Zu
Anfang seiner Karriere war Minato wie Busenello
PROGRAMM | 11
Jurist im Hauptberuf und Dichter aus Leidenschaft.
Später stieg er ganz aufs Theaterfach um, übernahm
die Leitung des Teatro San Salvador und wurde
hauptberuflicher Librettoschreiber. Und das mit
durchschlagendem Erfolg: 1669 berief ihn Leopold I.
als seinen Hofdichter nach Wien. 170 Libretti verfasste Minato während seiner Wiener Zeit, manche
davon hielten sich als Klassiker des Genres bis zu
Hasses und Telemanns Tagen. Die Oper „Artemisia“
war Cavallis und Minatos zweite Kooperation.
Nebenhandlungen und komische Elemente, wie
Faustini sie als Modell etabliert hatte, finden sich
auch hier, doch der Grundton ist ernster. – Seit 1657
residierten die Jesuiten wieder in Venedig, und
die Zeiten allzu großer Freiheiten waren wohl vorbei. So kreist Cavalli/Minatos Oper um den
typisch-tragischen Grundkonflikt zwischen Staatsraison und individuellem Glück: Königin Artemisia
verliebt sich in einen vermeintlichen Diener, der
sich als Erzfeind und Mörder ihres pflichtschuldigst
geliebten Gatten Mausolos entpuppt. „Ich habe es
unternommen, nichts anderes zu tun, als die
Eigenheiten der menschlichen Leidenschaften in
natürlicher Weise darzustellen“, schrieb Nicolò
Minato dazu im Vorwort seiner „Artemisia“ – und
fügte hinzu, man möge das Ganze doch lieber
auf dem Theater anschauen als es nur zu lesen.
Genau dies tat das Publikum, die Oper wurde
ein voller Erfolg. Nach der Premiere am Teatro
San Giovanni e San Paolo im Januar 1657 wurde
„Artemisia“ im Jahr darauf in Neapel, 1659 in
Palermo, 1663 in Mailand und 1665 in Genua
nachgespielt.
FRANCESCO CAVALLI
O QUAM SUAVIS
O WIE SÜSS
O quam suavis est, Domine, spiritus tuus,
qui ut dulcedinem tuam in filios demonstrares
pane suavissimo de caelo praestito,
esurientes reples bonis,
fastidiosos divites dimittens inanes.
O wie süß ist, Herr, Dein Geist, der, um deinen
Kindern deine Milde zu zeigen, du sie sättigest
mit süßem Brot vom Himmel; der du die
Hungrigen mit Gütern speisest, und die Reichen
leer ausgehen lässest.
aus „Musiche sacre”
Ilja Stephan
PIANTE OMBROSE
SCHATTENSPENDENDE PFLANZEN
Piante ombrose
dove sono i vostri onori?
Vaghi fiori
dalla fiamma inceneriti,
colli, e liti
di smeraldi già coperti
or deserti
del bel verde, io vi sospiro:
dove giro,
calda, il piede, e sitibonda,
trovo l’onda
rifuggita entro la fonte,
nella fronte
bagnar posso, ho ’l labbro ardente.
Inclemente:
si chi tuona arde la terra?
Non più Giove, ah non più guerra.
Schattenspendende Pflanzen,
wo ist eure Pracht?
Hübsche Blumen,
von den Flammen eingeäschert,
Hügel und Gestade,
vormals smaragden gefärbt,
nun verlassen
von eurem Grün, ich beweine euch.
Wohin mein Fuß sich wendet,
heiß und dürstend wie ich bin,
finde ich die Wasser
in ihre Quellgründe zurückgeflohen,
noch kann ich meine Stirn
darin netzen, oder meine brennenden Lippen.
Gnadenlos, ja,
verbrennt der Donnergott die Erde!
Ende, ach Jupiter, ende deinen Krieg!
aus „La Calisto“, Akt I, Szene 2
Pier Francesco Cavalli: „L‘Egisto“, eigenhändige
Partitur. Bereits drei Jahre nach ihrer Uraufführung
1643 in Venedig wurde Cavalis „L’Egisto“ in Paris
nachgespielt.
12 | PROGRAMM
TEXT | 13
VERGINELLA IO MORIR VO
ALS JUNGFRAU WILL ICH STERBEN
PIANGETE, OCCHI DOLENTI
WEINET, SCHMERZENDE AUGEN
Dunque Giove immortale,
che protegger dovrebbe,
santo nell’opre,il virginal costume, acceso a
mortal lume,
di deflorar procura
i corpi casti, e render vani i voti
di puri cori, a Cinzia sua devoti?
Tu sei qualche lascivo, e la natura
sforzi con carmi maghi ad ubbidirti.
Girlandata di mirti
Venere mai non mi vedrà feconda. Torna, torna
quell’onda
nello speco natio,
che bever non vogl‘io
de’ miracoli tuoi
libidinoso mago.
Resta co’ tuoi stupori.
Addio mio vago.
So denn, der unsterbliche Jupiter,
der in heiligem Wirken
jungfräuliche Sittsamkeit schützen sollte,
bemüht sich, von irdischem Feuer entzündet,
keusche Körper zu entjungfern
und zu vereiteln die Gelübde
reiner, Cynthia ergebener Herzen?
Du bist nur irgendein Lüstling, und zwingst
die Natur mit Zaubersprüchen, dir zu gehorchen.
Myrtenkränze wird mich
Venus nie tragen sehen.
Leite sie zurück, jene Flut,
in die Höhle ihres Urquells,
denn ich will nicht trinken
von deinem Wunderzeug,
geiler Zauberer, du!
Bleib bei deinem Blendwerk!
Ade, mein Hübscher
Verginella io morir vo’.
Stanza, e nido
per Cupido
del mio petto mai farò.
Verginella io morir vo’.
Scocchi amor, scocchi se può
tutte l’armi
per piagarmi,
ch’alla fine il vincerò.
Verginella io morir vo’.
Als Jungfrau will ich sterben!
Kammer und Nest
für Amors Lust
mach’ ich nie aus meiner Brust.
Als Jungfrau will ich sterben!
Schieße Amor, wenn Du kannst,
alle Waffen
mich zu treffen,
denn am Ende sieg ich doch.
Als Jungfrau will ich sterben!
Piangete, occhi dolenti,
e al flebil pianto mio
pianga la fonte, e il rio;
articolate accenti
frondose, e mute piante
de’ miei casi infelici
selvagge spettatrici.
E narrate pietose
a chi di qua se n’ passa
l’empia mia sorte, ahi lassa,
e l’altrui tradimento;
al mesto mio lamento
e Progne, e Filomena
accompagnino i loro
queruli e tristi canti.
Ah simplicette amanti
non credete a promesse
di giovane amatore,
ch’ha volubile il core,
e la sciagura mia
de’ suoi spergiuri esempio ora vi sia.
Weinet, schmerzende Augen,
und bei meinem kläglichen Weinen
weine die Quelle und es weine der Fluss;
erhebt eure Stimmen,
belaubte und verschwiegene Pflanzen,
Naturzeuginnen
meines Unglücks.
Und mit Mitleid erzählet
dem Vorüberkommenden
mein grausames, ach, elendes Schicksal
und wie andere mich verrieten;
meine wehmütige Klage mögen
Prokne und Philomela
mit ihren leidvollen
und traurigen Gesängen begleiten.
Oh, naive Liebende,
glaubt den Versprechen
des jugendlichen Liebhabers nicht,
der ein unstetes Herz hat,
und mein Unglück, da er seinen Eid brach,
sei euch nun ein Exempel.
aus „Egisto“, Akt II, Szene 6
aus „La Calisto“, Akt I, Szene 2
14 | TEXT
TEXT | 15
NON E MAGGIOR
KEIN GRÖSSERES VERGNÜGEN
Non è maggior piacere,
che seguendo le fere
fuggir dell’uomo i lusinghieri inviti:
tirannie de’ mariti
son troppo gravi, e troppo è il giogo amaro
viver in libertade è il dolce, il caro.
Di fiori ricamato
morbido letto ho il prato,
m’è grato cibo il mel, bevanda il fiume.
Dalle canore piume
a formar melodie tra i boschi imparo.
Viver in libertade è il dolce, il caro.
Kein größeres Vergnügen
gibt es als das Wild verfolgend
zu fliehn der Männer Kosen und Locken;
Tyranneien eines Gatten
sind zu hart und zu bitter das Ehejoch.
In Freiheit leben ist süß mir und teuer.
Blumenbestickte Wiesen
hab‘ ich als weiches Bett,
als Speise den Honig, als Trank den Bach.
Von den gefiederten Sängern
lern ich die Melodien im Walde.
In Freiheit leben ist süß mir und teuer.
aus „La Calisto“, Akt I, Szene 4
RESTINO IMBALSAMATE
MÖGEN SIE UNAUSLÖSCHLICH
Restino imbalsamate
nelle memorie mie
le delizie provate.
Fonti limpide, e pure
al vostro gorgoglio
la mia divina, ed io,
coppia diletta, e cara
ci baceremo a gara,
e formeremo melodie soavi,
qui dove con più voci Eco risponde,
unito il suon de’ baci, al suon dell‘onde.
Mögen sie unauslöschlich
mir in Erinnerung bleiben,
diese köstlichen Ereignisse.
Ihr klaren und reinen Quellen,
beim Klang eures Murmelns
werden meine Göttliche und ich,
ein seliges, liebendes Paar,
uns um die Wette küssen,
und süße Melodien erklingen lassen,
hier, wo das Echo vielstimmig antwortet,
der Klang unserer Küsse vereint mit dem Wasser.
T’aspetto, e tu non vieni
pigro, e lento
mio contento;
m’intorbidi i sereni;
anima, ben, speranza,
Dich erwarte ich, doch du kommst nicht,
träge und langsame
Freude mein;
du trübst mir den heiteren Sinn,
meine Seele, mein Schatz, meine Hoffnung,
16 | TEXT
moro nella tardanza.
T’attendo, e tu non giungi.
Luminosa
neghittosa,
con spine il cor me pungi.
Deh vieni, e mi ristora,
moro nella dimora.
und ich sterbe ob deines Säumens.
Ich erwarte dich, und du kommst nicht.
Du Leuchtende,
Gelassene,
stichst mir mit Dornen ins Herz.
Also komm und erquicke mich,
ich sterbe ob des Verzugs.
aus „La Calisto“, Akt III, Szene 1
VIENI, VIENI IN QUESTO SENO
KOMM, KOMM AN DIESE BRUST
Vieni, vieni in questo seno,
che sereno
già t’accolse entro il suo latte.
Le sue, caro,
mamme intatte,
se già manna a te stillaro,
da quei fini
loro rubini.
Vo’, ch‘ambrosia or ti zampillino.
Sii tranquillino, mio placato e bel Polluce,
Le mie sorti alla tua bel luce.
Komm, komm an diese Brust,
die in heitereren Zeiten
dich mit Milch empfing.
Mein Geliebter,
diese jungfräulichen Brüste,
die dich einst nährten,
mit ihrem Manna,
lass ihre Rubine
nun mit Ambrosia überfließen.
Sei still, mein schöner Pollux,
lasse mich dein Licht sein.
aus „Rosinda“, Akt III, Szene 5
AFFLIGGETEMI, GUAI DOLENTI
QUÄLT MICH, SCHMERZVOLLE SORGEN
Affliggetemi, guai dolenti,
Trafiggetemi rei tormenti.
Dolce speranza, e tu
Deh non venir a lusingarmi più, rip.
Quält mich, schmerzvolle Sorgen,
stecht mich, grausame Foltern.
Und du, süße Hoffnung,
schmeichle mir nicht mehr.
aus „L’Artemisia“, Akt 2, Szene 12
TEXT | 17
CHE CITTÀ
WELCH EINE STADT
DAMMI MORTE
LASS MICH STERBEN, ODER LASS MICH FREI
Che città, che città,
che costumi, che gente
sfacciata, ed insolente:
ognun meco la vole
con fatti, e con parole.
Che città, che città,
che costumi, che gente
sfacciata, ed insolente.
Mille perigli, e mille
mi sovrastano al giorno,
ho cento insidiatori ognor d’intorno;
né so il perché capire,
chi me ’l saprebbe dire?
Tal le guance mi tocca,
che non conosco appena
seco cortese ognun m’invita a cena,
né so il perché capire,
chi me ’l saprebbe dire?
Ognun tace, e lo sa,
che città, che città.
Non vedo l’ora, che ritorni Amida
in Tremisene per partir di qua.
Che città, che città,
che costumi, che gente
sfacciata, ed insolente.
Welch eine Stadt,
welche Sitten, welch verdorbenes
und unverschämtes Pack!
Jeder will etwas von mir
mit Taten und mit Worten.
Welch eine Stadt,
welche Sitten, welch verdorbenes
und unverschämtes Pack!
Tausenderlei Gefahren
drohen mir am Tag,
jede Stunde stellen hundert Leute mir nach.
Und ich verstehe nicht, weshalb.
Wer kann’s mir sagen?
Dieser berührt meine Wangen,
den ich kaum kenne,
und lädt mich ach so freundlich zum Speisen.
Und ich verstehe nicht, weshalb.
Wer kann’s mir sagen?
Jeder weiß es, und sagt’s doch nicht!
Welch eine Stadt, welch eine Stadt.
Noch sehe ich die Stunde nicht, in der Amida
hier fortgeht und nach Tremisene zurückkehrt.
Welch eine Stadt,
welche Sitten, welch verdorbenes
und unverschämtes Pack!
Dammi morte, ò libertà, rip.
Cieco Amor, che tante pene,
Tanti guai, tante catene,
Sostener il cor non sa.
Dammi morte, ò libertà.
Troppo è dura servitù
E martir troppo severo,
Adorar un Idol fiero,
Una rigida beltà.
Dammi morte, ò libertà.
Lass mich sterben, oder lass mich frei,
blinder Amor, denn mein Herz
kann solchen Scherz nicht ertragen,
solchen Gram und solche Haft.
Lass mich sterben, oder lass mich frei.
Zu hart ist der Dienst,
zu unerträglich die Qual,
das grausame Bild
eines fühllosen Mannes anzubeten.
Lass mich sterben, oder lass mich frei.
aus „Ormindo“, Akt II, Szene 1
18 | TEXT
aus „ L’Artemisia“, Akt 3, Szene 4
L’ALMA FIACCA SVANI
SEINE SEELE ENTFLIEHT
L’alma fiacca svanì,
la vita ohimè spirò,
Corebo, o dio morì,
e sola mi lasciò,
per sposa ei mi voleva, e io qui piango
prima che sposa, vedova rimango.
La vita così va,
anco mio padre il re
nel fin di grave età
regno, e vita perdé.
Del senso umano o debolezza, o scorno
su i secoli disegna, e vive un giorno.
Seine Seele entflieht,
das Leben erlischt in ihm,
er stirbt, weh mir, er stirbt
und lässt mich hier allein.
Er begehrte mich zur Gattin, doch ehe ich Braut
ward, bin ich in Tränen Witwe geworden.
Mein Leben ist vertan.
Fiel nicht des Vaters Haupt,
ward nicht dem alten Mann
Thron und Leben geraubt?
O Elend des menschlichen Geistes,
Jahrhunderte verachtet er und lebt kaum einen Tag.
Nel tempio io tornerò
i numi a supplicar,
altrove andar non so,
sia guardia mia l’altar;
e s’all’altar morrò, vi prego, o dèi,
le vittime a gradir de’ spirti miei.
So muss ich nun zurück
In meinen Tempel gehn.
Ich will nicht mehr das Glück,
nur mehr den Tod erfehn.
Und finde ich den Tod, Götter, hört mein Rufen,
mein Opferblut färbt rot des Tempels Stufen.
aus „Didone“, Akt 1, Szene 4
TEXT | 19
ALLE RUINE DEL MIO
AUF DEN TRÜMMERN MEINES KÖNIGREICHES
Alle ruine del mio regno adunque
sopravvivo decrepita, e son giunta
a riputar il pianto
testimon trivial de’ miei dolori!
Onde va l’alma mia
cercando oltre le lagrime il tenore
di lamentarsi, mentre in questa notte
in un punto perdei
regno, patria, marito, e figli miei.
Auf den Trümmern meines Königreiches
sitz ich einsam, dem Tode nah,
und mit nutzlosen Tränen bezeuge ich,
welche Leiden ein Mensch zu ertragen vermag.
Wohin geht meine Seele,
vom Klagen erschöpft, um sich auszuweinen
jenseits der Tränen. Ach in einer
einzigen Nacht hab‘ ich verloren
die Herrschaft, die Heimat, den Gatten und
meine Kinder!
Tremulo spirito
flebile, e languido
escimi subito,
vadasi l’anima,
ch’Erebo torbido
Cupido aspettala.
Povero Priamo
scordati d’Ecuba
vedova misera.
Causano l’ultimo
orrido esito
Paride, e Elena.
Zitternde Seele,
schwach und schmachtend,
verlasse mich sofort!
Bis in den Erebus,
wo sie erwartet wird,
wandert die Pilgerin.
Wehe dir Priamos,
niemand betrauert dich,
wenn ich gestorben bin.
Unseres Untergangs
Ursache waren doch
Paris und Helena.
Ahi tra tanti nemici
prova il mio petto solo
penuria di ferite,
nè cade ancor la mia tra tante vite.
Cassandra, ohimè, Cassandra
piango, piangi, piangiamo,
il caso estremo,
l’alba non rivedremo.
Wehe, unter so vielen Feinden
stehe ich als Einzige aufrecht
und bin noch ohne Wunden,
ich falle nicht als Opfer unter die Toten.
Cassandra, wehe dir, Cassandra,
weine, weine und lass mich mit dir weinen,
in unserer schweren Lage
wird das Licht nie mehr scheinen.
20 | TEXT
Vipera livida,
aspide pessimo,
mordimi, todimi.
Intime viscere
spruzzano, stillano
fervide lagrime.
Crollano, tremano,
ardono, cadono,
portici, e tempii.
Vassene in polvere,
restati in cinere,
porpora e imperio.
Neidische Viper,
giftige Schlangenbrut,
nagt mir im Eingeweide.
Bittere Tränenflut,
die aus den Augen rinnt,
zeigt dir mein Herzensleid.
Tore und Tempelbau
bersten und brechen schon,
werden der Flammen Raub.
Asche ist nun mein Kleid,
Purpur und Königsthron,
alles zerfällt zu Staub.
aus „Didone“, Akt 1, Szene 6
ARDO, SOSPIRO E PIANGO
ICH BRENNE, ICH VERZEHRE MICH UND WEINE
Ardo, sospiro, e piango,
Osservo eterna fè,
E pur senza mercè
Lassa, rimango, ecc.
Pensando ogn’ hor: io vò,
Come fuggir le pene e non lo sò, rip.
Peno, languisco, e moro
Per chi non ha pietà.
Passo mia fresca età
Senza ristoro.
Pensando ogn’ hor, ecc.
Ich brenne, ich verzehre mich und weine,
treu wäre ich in Ewigkeit,
doch ohne Gnade
bleibe ich, klagend.
Immer denke ich: Ich will,
doch weiß nicht wie dem Gram entfliehen.
Ich leide, schmachte und sterbe
für einen herzlosen Mann.
Meine Jugend vergeht
ohne Trost.
Immer denke ich: Ich will, etc.
aus „L’Artemisia“, Akt I, Szene 12
TEXT | 21
KONZERTVORSCHAU
ABO-KONZERT 2 | NDR DAS ALTE WERK
NINFA BELLA
SCHÖNE NYMPHE
Dienstag, 29. Oktober 2013, 20 Uhr
Ninfa bella, che mormora
di marito il tuo genio?
S’il mio sembiante aggradati
in grembo, in braccio pigliami,
tutto, tutto mi t’offerò.
Schöne Nymphe, was murmelt da,
dein Sinn von einem Gatten?
Wenn dir meine Erscheinung zusagt,
nimm mich in deinen Schoß, deinen Arm!
Ganz, ganz biete ich mich dir dar!
LE POÈME HARMONIQUE
Molle come lanugine,
e non pungenti setole
son questi peli teneri,
che da membri mi spuntano:
neppur anco m’adombrano
il mento lane morbide,
ma sulle guance candide
i ligustri mi ridono,
e sopra lor s’innestano
rose vive, e germogliano.
Questa mia bocca gravida
di favi soavissimi,
ti porgerà del nettare.
Weich wie Wolle,
und keine spitzen Borsten
sind diese zarten Haare,
die meinen Gliedern entsprießen;
auch verdüstert mein Kinn
noch keinerlei weiche Wolle,
sondern es lächelt auf weißen
Wangen mir weißer Ligusterschimmer.
Und darauf sind gepfropft
frische Rosen, die sprießen.
Dieser mein Mund, beladen
mit süßen Honigwaben
soll dir Nektar reichen.
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
aus „La Calisto“, Akt I, Szene 13
22 | TEXT
Claire Lefilliâtre Sopran
Jan van Elsacker Tenor
Serge Goubioud Tenor
Arnaud Marzorati Bass
Vincent Dumestre Theorbe und Leitung
Benjamin Lazar Regie
„Venezia dalle strade ai Palazzi”
Werke von:
CLAUDIO MONTEVERDI
FRANCESCO MANELLI
BENEDETTO FERRARI
BIAGIO MARINI
19 Uhr: Einführungsveranstaltung mit Ilja Stephan
im Kleinen Saal der Laeiszhalle
Vincent Dumestre
Das Venedig-Projekt bei NDR Das Alte Werk geht
weiter. Auf eine Zeitreise in das Venedig des
Goldenen Barock begeben sich Vincent Dumestre
und sein Ensemble Le Poème Harmonique: Sie
führen uns durch einen Tag in den Straßen und
prunkvollen Palästen der „Serenissima“. Der Regisseur und Barockspezialist Benjamin Lazar hat
hierfür mit Ensemble und Solisten ein szenisches
Konzept samt Gestenrepertoire erarbeitet, das
ganz dem Vorbild historischer Aufführungen folgt.
Dazu gehört auch die Beleuchtung, die sich allein
auf den Schein der Kerzen beschränkt und die
magische Atmosphäre eines Zeitalters evoziert,
in dem die Freiheit der Musik noch nicht durch
drakonische Regelwerke beschränkt wurde.
KONZERTVORSCHAU | 23
NDR DAS ALTE WERK
PODIUM DER JUNGEN
NDR SINFONIEORCHESTER
NDR DAS NEUE WERK
ABONNEMENTKONZERT
ABONNEMENTKONZERTE
ABONNEMENTKONZERTE
Samstag, 12. Oktober 2013, 20 Uhr
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio
Abo-Konzert 3
Mittwoch, 27. November 2013, 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
Sonntag, 20. Oktober 2013, 18 Uhr!
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio
THOMAS ADÈS AND THE BAROQUE
VENICE BAROQUE ORCHESTRA
NDR Chor
Philipp Ahmann Leitung
Paulo Ferreira Fagott
Werke von:
CAMILLE SAINT SAËNS, PHILIPPE HERSANT,
JEAN ABSIL und PHILIPPE SCHOELLER
B2 | Donnerstag, 17. Oktober 2013, 20 Uhr
A2 | Sonntag, 20. Oktober 2013, 11 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
Yutaka Sado Dirigent
Roland Greutter Violine
Werke von:
LEONARD BERNSTEIN, IGOR STRAWINSKY und
SERGEJ PROKOFJEW
Maurice Steger Blockflöte
Werke von:
ANTONIO VIVALDI, DOMENICO SARRI,
TOMASO ALBINONI, LEONARDO LEO und
FRANCESCO GEMINIANI
LA VOIX DU BASSON
19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal der Laeiszhalle
Freitag, 22. November 2013, 20 Uhr
Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio
SONDERKONZERT
Mittwoch, 30. Oktober 2013, 20 Uhr
Bucerius Kunst Forum
„BACCHUS, APOLLON UND DIE GEBURT DER OPER
IN ITALIEN“
The Harp Consort
Marco Beasley Tenor
Steven Player Tanz Barockgitarre
Andrew Lawrence-King Barockharfe Leitung
Werke u. a. von:
CLAUDIO MONTEVERDI, FRANCESCO CAVALLI,
LORENZO I. DE’ MEDICI, BIAGIO MARINI,
EMILIO DE’ CAVALIERI, CARLO GESUALDO
BUTTONS & KEYS
NDR Bigband
Jörg Achim Keller Leitung
Christian Elsässer Piano
Alexander Hrustevich Bajan (Knopfakkordeon)
Werke von:
ANTONIO VIVALDI, SERGEI PROKOFJEW,
VYACHESLAV CHERNIKOV und „FLYING IN CIRCLES“
(NDR BIGBAND featuring CHRISTIAN ELSÄSSER)
17.10.2013 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung
20.10.2013 | 11 Uhr: Familienmusik parallel zum Konzert
C1 | Donnerstag, 24. Oktober 2013, 20 Uhr
D1 | Freitag, 25. Oktober 2013, 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
Thomas Hengelbrock Dirigent
Miah Persson Sopran
Detlef Roth Bariton
NDR Sinfonieorchester
NDR Chor
RIAS Kammerchor
Werke von:
DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH und
JOHANNES BRAHMS
Keller Quartett
Louis Lortie Klavier
Werke von:
THOMAS ADÈS, HENRY PURCELL und
FRANCOIS COUPERIN
19 Uhr: Einführungsveranstaltung
Freitag, 8. November 2013, 20 Uhr
Hamburg, Instituto Cervantes
Josep-Maria Balanyà Klavier
JOSEP-MARIA BALANYÀ
„Un peu à gauche, s.v.p.“
11-teiliger Zyklus für Klavier solo
19 Uhr: Klangradar 3000 mit Schülern der
Stormarnschule Ahrensburg
Einführungsveranstaltungen mit Thomas Hengelbrock
jeweils um 19 Uhr
In Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum
Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus,
Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de
24 | KONZERTVORSCHAU
KONZERTVORSCHAU | 25
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Foto: © [M] Stockbyte, Stefano Stefani | Photodisc, ccvision
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Der Text von Dr. Ilja Stephan
ist ein Originalbeitrag für den NDR.
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