gerdgrupe - Institut 13: Ethnomusikologie

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gerdgrupe - Institut 13: Ethnomusikologie
Gerd Grupe
Die Kunst des mbira-Spiels
The Art of Mbira Playing
Harmonische Struktur und Patternbildung in der
Lamellophonmusik der Shona in Zimbabwe
***
Musikethnologische
Sammelbände
Band 19
herausgegeben von Wolfgang Suppan
Institut für Musikethnologie an der
Universität für Musik und darstellende Kunst Graz
HANS SCHNEIDER – TUTZING
2004
ISBN 3 7952 1148 4
Foto: Gerd Grupe
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
xi
Karte von Zimbabwe
Verzeichnis der Notenbeispiele
xviii
xix
Einleitung
1
Zur Stellung der mbira in der Shona-Kultur 1
Morphologie und Nomenklatur 4
Methodischer Ansatz und Quellenkritik 8
Kapitel 1
Kaleidophonie und Bichord-Sequenzen:
Literatur zur harmonischen Struktur der mbira-Musik
Überblick 13
Kritische Würdigung
13
22
Kapitel 2
Obertöne und elastische Skalen:
Zur Interpretation des Tonsystems im Licht der mbira-Stimmungen
29
Zur Frage der Äquidistanz 30
Exkurs zur Tonhöhenwahrnehmung bei Idiophonen 32
Rückungen als Transpositionen oder als Modalverschiebungen? – Messergebnisse und
klangästhetische Gesichtspunkte 36
Kapitel 3
Akkordzyklen und tonale Ambiguität:
Das System der harmonischen Progressionen
Beat und Puls 56
Die Standardakkordsequenz und ihre ‚Transpositionen’
Subjektive Bezugstöne und Segmentierung der Periode
55
57
63
Kapitel 4
Tabulatur und Notation:
Zur graphischen Repräsentation der Musik
Tabulatur versus Notation 75
In der Literatur vorgeschlagene Lösungen 76
Von einheimischen Musikern entwickelte bzw. angewandte Systeme
Die eigene Darstellungsweise 80
Kapitel 5
Bewegung und Klang:
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Die Dimension der Bewegung
75
78
95
95
mbira-Patterns
Motiorhythmische Patterns 98
Den Beat stützende Patterns 102
Den Beat verschleiernde Patterns 112
Inhärente Patterns 118
97
Die einzelnen Parts im Ensemble
kushaura 124
kutsinhira 126
Die Echoverzahnung 127
Eigenständiger kutsinhira 131
Besonderheiten der Gestaltung 133
hosho und Timing – und: Wo ist der Beat?
Zur Frage des Timings 135
Wo ist der Beat 139
Varianten 142
124
134
Mehrstimmigkeit
143
Mehrstimmigkeit innerhalb eines mbira-Parts 143
Mehrstimmigkeit im Ensemble und die Kombination von Parts
144
Kapitel 6
Fleisch und Blut, Löwen, behelfsmäßige Unterkünfte:
Eine Analyse ausgewählter Stücke
147
Zur Auswahl der ausgewerteten Stücke 148
Zum Vergleich von Stücken und Versionen 151
Stücke, die auf der Standardsequenz und ihren ‚Transpositionen’ basieren
Stücke, die auf anderen Progressionen basieren 206
Kapitel 7
Kulturspezifische und vergleichende Musikforschung:
Zum Verhältnis von Komposition und Improvisation
karawitan / Indische Kunstmusik / Jazz 239
Das Modell als Hintergrund und Mittler 243
Komposition und Improvisation in der mbira-Musik 248
Beispiele für improvisatorische Gestaltungsmöglichkeiten
154
231
251
Zusammenfassung
259
Summary: The Art of Mbira Playing
265
Glossar
277
Quellenverzeichnis
281
Literatur 281
Tonträger 299
Videos 300
Anhang: Die einzelnen Versionen
301
Index
609
DIE ORIGINAL-PAGINIERUNG DER DRUCKFASSUNG IST
IM LAUFENDEN TEXT IN BLAUER SCHRIFT ANGEGEBEN.
[xi] Vorwort
Vor allem durch die Veröffentlichungen Andrew Traceys und Paul Berliners ist uns die Lamellophonmusik der Shona in Zimbabwe schon vor geraumer Zeit bekannt geworden. Besonders Berliners 1978 erschienene Monographie The Soul of Mbira (²1981) steht zum Teil bis heute in dem Ruf,
sie stelle die mbira-Musik und ihren Kontext so umfassend dar, dass man sich als Musikethnologe
getrost mit anderen Themen beschäftigen könne. Ein Vergleich seiner musikalischen Analysen mit
denen A. Traceys zeigt allerdings, dass er dessen Hinweisen zur Struktur dieser Musik nicht hinreichend nachgegangen ist. Andererseits fehlt bis heute eine umfassende Darstellung dieses Gegenstands aus der Sicht Traceys. Auf Grund dieses Umstands sahen sich Anfang der 1990er Jahre unabhängig voneinander sowohl Klaus-Peter Brenner von der Universität Göttingen als auch ich dazu veranlasst, den Gestaltungsprinzipien des mbira-Spiels noch einmal genauer nachzugehen.
Als sich mir Anfang 1991 die Gelegenheit bot, Kontakt zu Virginia Mukwesha, einer in Berlin
lebenden mbira-Spielerin aus Zimbabwe, zu knüpfen, nutzte ich diese Möglichkeit, um bei ihr – die
übrigens mit Gwanzura Gwenzi verwandt ist, auf den sich A. Tracey in seinem Leitfaden How to play
the mbira (dza vadzimu) (1970 b) stützt – Unterricht zu nehmen. Dabei konnte ich nicht nur eine
Reihe von typischen Stücken aus dem traditionellen mbira-Repertoire erlernen, sondern auch im Zusammenhang mit Grundzügen der Landessprache chiShona die einheimische Musikterminologie sowie den kulturellen Background studieren. Diese, was die Unterrichtssituation betrifft, eigentlich
hauptsächlich aus anderen Gründen gewählte Vorgehensweise (s. dazu die Einleitung und Kapitel 3)
erwies sich bei den beiden darauf folgenden Forschungsreisen nach Zimbabwe in den Jahren 1991
und 1992 aber auch insofern als äußerst nützlich, da ich so nicht nur auf bestimmte offene Fragen
aufmerksam gemacht wurde, sondern sich vor Ort auch leicht ein Kontakt zu Musikern herstellen
ließ, die ein praktisches Interesse an ihrer Kunst unmittelbar nachvollziehen konnten. Typisch für die
erste Kontaktaufnahme mit einem Musiker war dessen Wunsch, ihm zunächst einige oder gar alle
Stücke vorzuspielen, die ich bereits anderweitig gelernt hatte. Durch die [xii] intensive, mehrmonatige Vorbereitung in Berlin war es zudem möglich, in relativ kurzer Zeit in Zimbabwe umfangreiches
Material zu sammeln.
Von mehreren Lehrern zu lernen entspricht dabei nicht unbedingt dem im Land üblichen Weg,
sich das Repertoire anzueignen, wo man entweder in einer Musikerfamilie aufwächst oder zumindest
anfangs hauptsächlich nur einen Lehrer hat. So kritisierte z. B. Stella Chiweshe, die Mutter V. Mukweshas und selbst die außerhalb des Landes wohl bekannteste mbira-Spielerin Zimbabwes, diese
Herangehensweise mit dem Hinweis, man solle nicht von verschiedenen Lehrern und dementsprechend verschiedene Versionen lernen, während mir Chris Mhlanga, ein renommierter mbira-Bauer
und -Spieler, der mir viel von seiner Kunst in beiden Bereichen gezeigt hat, in Anbetracht meines Interesses, die Musik möglichst gut verstehen zu wollen, gerade dazu riet, so viele verschiedene Stücke
und Versionen wie möglich zu sammeln.
Samuel Mujuru, neben V. Mukwesha und Ch. Mhlanga mein dritter Hauptinformant, dessen Informationen noch von einigen Verwandten ergänzt wurden, stammt aus einer Familie, deren Mitglieder bereits zu den Gewährsleuten von Berliner zählten. Er ist insofern ebenso wie die anderen
beiden Genannten, die vor mir bereits andere ‚weiße’ Schüler hatten, damit vertraut, Kulturfremden
mbira-Unterricht zu erteilen, als er zum Zeitpunkt meiner Feldforschung bereits seit einiger Zeit als
mbira-Lehrer im Rahmen des ‚Ethnomusicology Programme’ tätig war, einer damals relativ neuen
Institution in Harare, der Hauptstadt Zimbabwes, die Studierende primär aus dem südlichen Afrika in
die Lage versetzen sollte, afrikanische Musik zu dokumentieren, zu analysieren und zu präsentieren.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Vorwort
Neben den praktisch vermittelten Versionen wurden von allen genannten Musikern natürlich
auch Tonaufnahmen gemacht und anschließend transkribiert. Die dabei verwendete Aufnahmetechnik wird in der Einleitung näher erläutert.
Der Anspruch, Musik als ein kontextgebundenes, soziales Phänomen zu begreifen und zu erforschen, geht mitunter mit einer bemerkenswerten Zurückhaltung einher, die Musik selbst, ihre Struktur und Spielpraxis, überhaupt im Einzelnen zu untersuchen. Eine solchermaßen verengende Fokussierung auf den ‚Kontext’ [xiii] an Stelle des ‚Textes’ birgt nicht nur die Gefahr, die künstlerische Praxis einer Musiktradition unterzubewerten, sondern kann auch leicht den voreiligen Eindruck vermitteln, die musikalische Gestaltung und die Ermittlung der einer Performance zugrunde liegenden Prinzipien hätten für ein tiefer gehendes Verständnis der betreffenden Kultur nichts zu bieten.
Ohne den kulturellen Kontext etwa ausklammern zu wollen, sollte in der Musikforschung hinter
ethnologischen, soziologischen, linguistischen, akustischen, etc. Fragestellungen die Musik selbst
nicht zu kurz kommen. Ein Musikologe ist nun einmal prädestiniert, musikologischen Fragen nachzugehen. Simha Arom hat in diesem Zusammenhang eine striktere Unterscheidung zwischen Musikethnologie und Ethnomusikologie angeregt (1991 a:xx, 655) – eine Differenzierung, die im praktischen
Sprachgebrauch zwar nicht auf Resonanz gestoßen ist, aber die unterschiedliche Schwerpunktsetzung sehr schön deutlich machen könnte. Wie wir sehen werden, hat nun gerade die mbira-Musik
musikologisch einiges zu bieten.
Anliegen der vorliegenden Studie ist es also, ausgehend von den Vorarbeiten vor allem Traceys
und Berliners die Struktur der mbira-Musik genauer zu analysieren. Dabei wird sich zeigen, dass es
um zwei Dimensionen geht, die unsere Beachtung verdienen, nämlich sowohl das Klanggeschehen
wie auch die Bewegungsabläufe, welche dieses produzieren. Die Vorgehensweise versucht, so weit
wie möglich die Perspektive der Musiker in die Interpretation einzubeziehen, und zwar sowohl hinsichtlich verbaler Äußerungen wie auch ihrer beobachtbaren Praxis. Anstatt ausschließlich auf deklaratives Wissen zu setzen, kann die musikalische Performance das prozedurale Wissen der Musiker in
ihrer Rolle als Spezialisten für Shona-Musik zu Tage fördern.
Im Einzelnen geht es also darum, das System der harmonischen Progressionen darzulegen, das
hinter den zyklischen Akkordsequenzen steht, auf denen die Stücke in tonaler Hinsicht basieren. Das
Schwergewicht liegt hier auf der rezenten Praxis, während bezüglich der diachronen Perspektive einer Rekonstruktion der Evolution dieses Systems sowie seiner (ethno-)mathematischen Implikationen auf die bemerkenswerte Monographie Klaus-Peter Brenners zu diesem Thema (1997) verwiesen
sei. Wichtig ist mir vor allem auch die [xiv] Herausarbeitung der Oberflächenstruktur, also der konkreten Realisierung der Akkorde im Hinblick auf ihre tatsächliche Erscheinungsform und dabei auftretende spezielle Phänomene, welche die Grundform der Sequenzen überlagern und modifizieren.
Wie bereits erwähnt stellt die Dimension der Bewegung ein weiteres zentrales Element dieser
Musik dar. Es geht um „patterned movement“ (John Baily), also strukturierte Bewegungsabläufe, die
bei musikologischen Untersuchungen häufig zu wenig Berücksichtigung finden. Gerade beim mbiraSpiel stellen diese ‚Fingersätze’ aus der Perspektive des Musikers einen zum resultierenden Klang
komplementären Aspekt der künstlerischen Performance dar, der allerdings auch nur für ihn selbst
unmittelbar erlebbar ist.
Im Sinne eines zeitgemäßen Verständnisses von Vergleichender Musikwissenschaft halte ich es
für wichtig, spezialisierte Regionalforschung mit einer interkulturell-vergleichenden Perspektive zu
verbinden, um so – notabene auf der Basis fundierter Feldforschung, und nicht bloß vom Schreibtisch
aus – die jeweiligen Gemeinsamkeiten und Besonderheiten schärfer herausarbeiten zu können (vgl.
dazu Grupe 1998 b). Zu diesem Zweck sollen zwei Kategorien exemplarisch abgehandelt und auf ihre
Brauchbarkeit geprüft werden, die in der Literatur zu afrikanischer Musik zwar häufig, aber meist
unhinterfragt Verwendung finden: Komposition und Improvisation.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Vorwort
***
Die Einleitung gibt einen kurzen Überblick über den kulturellen Hintergrund und die historische
Dimension der untersuchten Musik, der sich auf einige wesentliche Punkte beschränken kann, da
dies auch von anderen Autoren bereits behandelt worden ist und für die Fragestellung der Arbeit
nicht zentral ist. Es folgen Informationen zum Instrument sowie zu methodischen Fragen und zur Art
der Materialsammlung. Ausgangspunkt für die Behandlung des eigentlichen Themas ist zunächst ein
Abriss der Literaturlage bezüglich der harmonischen Grundlagen der mbira-Musik (Kapitel 1), wo der
Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Durchführung meiner Feldforschung referiert sowie auf die vorhandenen Lücken und Probleme aufmerksam gemacht wird. [xv]
Voraussetzung für die Darstellung des der mbira-Musik zugrunde liegenden Systems harmonischer Progressionen in Form der sog. ‚Standardakkordsequenz’ und ihrer verschiedenen Erscheinungsformen in Kapitel 3, wo auch die Frage der Segmentierung der Zyklen behandelt wird, ist die
Erörterung des vorliegenden Tonsystems (Kapitel 2), so wie es sich in konkreten Instrumentalstimmungen manifestiert. Hier werden auch Ergebnisse akustischer Messungen von Lamellen herangezogen. Bevor konkrete Musikbeispiele diskutiert werden können, ist wiederum zunächst zu klären, in
welcher Weise diese geeignet zu notieren sind (Kapitel 4).
Darauf aufbauend kann dann in Kapitel 5 dargelegt werden, welche Eigenschaften der tatsächlich klingenden Musik für alle Stücke gültig sind, also die Art der Patternbildung, Charakteristika der
Parts im Ensemble, spezielle Oberflächenphänomene usw., bevor im sechsten Kapitel einzelne Stücke
und Versionen analysiert werden. Das letzte Kapitel versucht die Kategorien Komposition und Improvisation zunächst durch Einbeziehung von Literatur, die sie bezüglich anderer Musikkulturen diskutiert, hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Möglichkeiten auszuloten, um so durch eine kulturübergreifende Perspektive genauer festmachen zu können, welche spezifische Ausprägung sie in der mbiraMusik erfahren.
Im Anhang finden sich sämtliche ausgewerteten Versionen. Musikalisch relevante chiShonaTermini, die im Text behandelt werden, sind in einem Glossar zusammengestellt.
***
Den Musikern aus Zimbabwe, die geduldig meine Fragen beantworteten, mich ihre Musik dokumentieren ließen und mich in ihrer Kunst unterrichteten, vor allem Virginia Mukwesha, Chris
Mhlanga und Samuel Mujuru, aber auch Fungai und Frederick Mujuru gilt mein besonderer Dank;
darüber hinaus allen, die mir in verschiedener Weise durch Informationen oder sonstige Unterstützung vor Ort geholfen haben: Dr. Dumisani Maraire†, Tobias Chawatama, Tracy Gavi sowie last not
least Stella Chiweshe. [xvi]
Danken möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Wolfgang Auhagen, der mir ermöglichte, eine
Reihe von Messungen an mbira-Lamellen vorzunehmen, und außerdem nützliche Ratschläge zu akustischen Fragen beisteuerte. Herr Dr. Klaus-Peter Brenner hat mir zum Zeitpunkt der Abfassung der
ursprünglichen Version dieser Untersuchung, die 1996 als Habilitationsschrift am damaligen Fachbereich Altertumswissenschaften der Freien Universität Berlin eingereicht worden ist, Einblick in sein
damals noch unveröffentlichtes Manuskript mit dem Titel Chipendani und Mbira gewährt, das dann
1997 erschienen ist (Brenner 1997). Für die fruchtbaren Gespräche mit ihm sowie seine konstruktive
Kritik an meinem Text möchte ich ihm herzlich danken. Darüber hinaus stellte er mir einige schwer
zugängliche Aufsätze zur Verfügung. Teile meines Manuskripts hat auch die damalige Privatdozentin
an der FU Berlin, Frau Univ.-Prof. Dr. Regine Allgayer-Kaufmann, kritisch kommentiert, wofür ich ihr
ebenfalls herzlich danken möchte. Der so überraschend verstorbene Prof. Dr. Dr. h. c. Josef Kuckertz†
hat mich immer wieder ermuntert, neben meinen Aufgaben als wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Vorwort
Seminar für Vergleichende Musikwissenschaft der FU Berlin diese Arbeit zu schreiben. Leider hat er
den erfolgreichen Abschluss meines Habilitationsverfahrens nicht mehr erlebt.
Meinem geschätzten Vorgänger auf der Professur für Musikethnologie an der Universität für
Musik und Darstellende Kunst Graz, Herrn em. o. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Suppan, bin ich sehr verbunden für die Aufnahme der vorliegenden Schrift in die von ihm herausgegebene Reihe Musikethnologische Sammelbände. Frau Doris Schweinzer hat dankenswerterweise die Druckvorlage erstellt.
Wenn im Folgenden in der Regel nur von ‚Musikern’ oder ‚Informanten’ die Rede ist, also ausschließlich die maskuline Form gebraucht wird, so hat dies darin seine Berechtigung, dass mbiraSpielen bei den Shona weitestgehend eine Domäne der Männer ist und es sich dementsprechend bis
auf die zwei oben genannten Ausnahmen bei meinen Gewährsleuten um Musiker, nicht Musikerinnen, handelt.
Soweit nicht ausdrücklich erwähnt sind Hervorhebungen in Zitaten aus dem Original übernommen. [xvii] Titel von Stücken und sonstige Bezeichnungen aus dem chiShona sind kursiv gesetzt.
Dabei wird der chiZezuru-Dialekt zugrunde gelegt, der in der Region Zimbabwes gesprochen wird, auf
die sich die Untersuchung bezieht, nämlich die weitere Umgebung von Harare (s. Karte S. xvi). Fachausdrücke aus anderen Sprachen erscheinen ebenfalls in kursiver Schrift, sofern sie nicht bereits
eingedeutscht sind (z. B. Beat).
Bezüglich der Orthographie von Shona-Namen habe ich darauf verzichtet, die – soweit überhaupt vorhanden – nur in wenigen Fällen gebräuchlichen Eindeutschungen zu verwenden (Schona für
Shona, Simbabwe für Zimbabwe), stattdessen wird die in Zimbabwe gebräuchliche Form benutzt.
Soweit möglich richtet sie sich nach Hannans Standard Shona Dictionary (1984). Für einheimische
Termini, deren Plural nicht durch ein Klassenpräfix (s. dazu Jungraithmayr/Möhlig 1983) ersichtlich
ist, wurde die englische Pluralbildung (/-s/) übernommen: z. B. mbiras. Das grammatische Geschlecht
richtet sich außer bei dem Lamellophon mbira, wo sich die feminine Form bereits eingebürgert hat,
nach dem – nicht ständig gebrauchten – zweiten Teil eines angenommenen Kompositums (z. B. der
kushaura (-Part), die hosho (-Rassel).
Die Schreibweise von Bantu-Bezeichnungen für ethnische Gruppen und Sprachen orientiert sich
an Welmers 1971 (kleingeschriebenes Klassenpräfix vor großgeschriebenem Stamm, z. B. chiShona).
Oktavlagen werden durch die international übliche Bezifferung ausgedrückt, also entspricht die
große Oktave C2 - H2, die kleine C3 - H3, die eingestrichene C4 - H4 und die zweigestrichene C5 - H5.
[xviii]
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Vorwort
Zimbabwe und die Verbreitung des chiShona mit seinen Hauptdialekten nach Dale 1972 (angegeben sind ferner
einige ethnische Untergruppen). Die Untersuchung bezieht sich auf Zentral-Zimbabwe, d. h. die Zezuru-Region,
in deren Zentrum die Hauptstadt Harare liegt. [xix]
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Vorwort
Verzeichnis der Notenbeispiele
Beispiel 1 a und 1 b Der Stimmplan einer mbira
Beispiel 2 a
Dande: Impaktnotation im Fünfliniensystem
Beispiel 2 b
Dande: Impaktnotation im Siebenliniensystem
Beispiel 3
Dande: Darstellung der motionalen Dimension
Beispiel 4
Dande: Tabulatur
Beispiel 5
Dande: Kombination von Notation und Tabulatur
Beispiel 6
Ausschnitte aus Nhemamusasa
Beispiel 7
Ausschnitte aus Karigamombe
Beispiel 8
Ausschnitte aus Mahororo
Beispiel 9
Ausschnitte aus Chipindura
89
90
91
92
93
94
119
120
120
122
Blatt 1 - 4
Blatt 5
Blatt 6
Blatt 7 - 8
Blatt 9 - 10
Blatt 11
Blatt 12
Blatt 13
Blatt 14
Blatt 15 - 16
Blatt 17
Blatt 18 - 22
Blatt 23
Blatt 24 - 26
Blatt 27 - 28
Blatt 29 - 30
Blatt 31
Blatt 32
Blatt 33
Blatt 34
Blatt 35 - 36
Blatt 37
Blatt 38
156 - 159
162
164
166 - 167
169 - 170
172
174
176
178
181 - 182
183
186 - 190
191 [xx]
193 - 195
198 - 199
202 - 203
205
212
215
218
220 - 221
224
Blatt 39
Blatt 40
Blatt 41
Blatt 42
Blatt 43
Nyamaropa
Nyamaropa yevaMbire, Nyamaropa yeDambatsoko
Nyamaropa Chipembere, Chipembere chikuru, Chipembere chidiki
Mahororo
Karigamombe
Masangano, Marenje
Muhondo/Chinhembeza, Hondo
Bayawabaya
Chakwi
Taireva
Taireva, Karimugomba
Nhemamusasa
Nhemamusasa, Chakwi yeManyika
Bukatiende
Dande
Bangiza, Dande guru
Chaona
Shumba
Nyamamusango, Nyonganyonga
Mutamba, Taireva Gorekore
Kuzanga
Chipindura
Shumba („old“), Shumba yaMukwashi,
Chigamba, Chigamba/Muzoriwa
Bukatiende
Nyamaropa yeDambatsoko
Mahororo
Chipembere chikuru, Chipembere chidiki
Nyamaropa, Nyamaropa Chipembere
228
254
255
256
257
258
[1] Einleitung
Zur Stellung der mbira in der Shona-Kultur
Bei den maShona 1 in Zimbabwe stellen Lamellophone in der traditionellen Musik neben Trommeln, Flöten und Musikbögen wohl die wichtigste Instrumentenkategorie dar. Unter den verschiedenen, auch regional unterschiedlich verbreiteten Typen 2 nimmt die meist mbira dzavadzimu 3 genannte Ausprägung eine besondere Position ein, gilt sie doch zumindest heute gewissermaßen als
Emblem für traditionelle Shona-Kultur schlechthin. Der Grund hierfür ist wohl vor allem darin zu suchen, dass sie wie kein anderes Instrument ihren festen Platz in der traditionellen religiösen Praxis,
also in Ahnenverehrungs- (bira) und ähnlichen Zeremonien, hat. 4
Damit einher geht eine besondere Achtung und Wertschätzung des Instruments, die sich im Umgang mit ihm äußert 5 und teilweise an Tabus grenzt. Typisch sind von verschiedenen Informanten
zum Ausdruck gebrachte Restriktionen im Zusammenhang mit Sexualität: Eine mbira, die bei Zeremonien Ahnengeister herbeirufen soll, darf nicht im gleichen Raum aufbewahrt werden, in dem Geschlechtsverkehr stattfindet (V. Mukwesha), bzw. nicht auf ein Bett gelegt werden (S. Mujuru). Außerdem sollte man die eigene mbira nicht von anderen Personen anfassen oder gar spielen lassen.
Deshalb ist es zweckmäßig ein Paar zu besitzen (die zweite ist zum Ausleihen gedacht), so dass man
mit anderen Musikern – auf gleich gestimmten Instrumenten – zusammenspielen kann (St.
Chiweshe). [2]
Gerade am letzten Punkt zeigt sich allerdings, dass es zumindest heute eine beträchtliche Bandbreite im Verhalten der Musiker gibt, das von „Traditionalismus“ (Berliner) bis zu pragmatischem
Umgang mit der mbira als einem Gebrauchsgegenstand reicht. Nur in äußerst seltenen Fällen wurde
mir nicht gestattet, ein fremdes Instrument anzufassen oder auf ihm zu spielen. Dies korrespondiert
mit der Tatsache, dass das Musizieren auf der mbira keineswegs allein an rituelle Anlässe gebunden
ist. Die gleichen Stücke können von den Musikern auch zum eigenen Vergnügen gespielt werden,
wobei das Repertoire dann um solche erweitert sein kann, die man bei Zeremonien nicht verwendet.
Bei Zeremonien soll die mbira-Musik die Geister von Ahnen (vadzimu) oder prominenten historischen
Persönlichkeiten herbeirufen, die von bestimmten Anwesenden, die man im Englischen spirit mediums nennt 6, Besitz ergreifen und durch sie sprechen. Auf diese Weise wird nicht nur eine
generationenübergreifende, die Identität bekräftigende Kontinuität in der sozialen Gruppe hergestellt, sondern auch die Erfahrung und Weisheit der Älteren – selbst nach deren Tod – in der Gegenwart nutzbar gemacht, indem man sie um Rat fragt oder ihren Beistand erbittet. 7 Das Charakteristische eines solchen Verhältnisses zu den Ahnen besteht u. a. darin, dass diese keineswegs göttliche
Züge annehmen, sondern eher als Teil der Gemeinschaft der Lebenden begriffen werden, so wie sie
es im Fall von Vorfahren einer bestimmten Familie oder eines Clans ja tatsächlich einmal waren. Oft
1 Zur Bezeichnung von Menschengruppen und Ethnien wird im chiShona eigentlich die Pluralklasse 2 mit dem Präfix va-
verwendet. Bei meinen Gewährsleuten war es jedoch üblich, den Plural zu muZezuru, muShona, etc. mit der Klasse 6 (Präfix
ma-) zu bilden, die ebenfalls eine große Anzahl oder Ansammlung von Sachen oder Personen ausdrücken kann. Es könnte
sich um eine dialektale oder umgangssprachliche Variante handeln.
2 Vgl. dazu H. Tracey 1969, A. Tracey 1972, Berliner 1981:28 ff.
3 Zur Morphologie und Nomenklatur s. u.
4 Vgl. Berliner 1981:33-34, 186 ff. und ders. 1975/76.
5 Vgl. Berliner 1981:235 ff.
6 Die allgemeine chiShona-Bezeichnung für ein spirit medium lautet svikiro (Kl. 5). Direkt ange-sprochen wird er oder sie
laut V. Mukwesha als homwe yemweya: < homwe (kl. 9) = „small bag, pocket“, mweya (Kl. 9) = „spirit“, ye- = Possessivpräfix
(vgl. Hannan 1984).
7 Durch Sklavenhandel und Migration sind solche Vorstellungen auch in die Karibik gelangt (vgl. Grupe 1990).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Einleitung
haben die Geister jeweils ein bestimmtes ‚Lieblingsstück’: Erst wenn dieses erklingt, fällt das Medium
innerhalb kürzester Zeit in Trance. 8
Archäologische Funde sowie frühe Berichte europäischer Reisender belegen, dass Lamellophone
mit Metallzungen im Gebiet des heutigen Zimbabwe bereits seit mehreren hundert Jahren in Gebrauch sind. 9 Eine intensivere Beschäftigung begann aber erst im 20. Jahrhundert mit Hugh Traceys
Bestandsaufnahme The [3) Mbira Class of African Instruments in Rhodesia von 1932 (H. Tracey 1969).
Dort erfahren wir, dass die mbira dzavadzimu zu dieser Zeit offenbar von einer Verdrängung durch
konkurrierende Lamellophone bedroht war. Zudem gab es aus zwei Richtungen Versuche, die Verwendung der mbira sogar aktiv zu unterdrücken. Diese wurden zum einen von christlichen Missionaren unternommen, die die ‚heidnischen’ Ahnenkulte zurückdrängen wollten. Mbira zu spielen verkörperte das Festhalten an traditionellen religiösen Vorstellungen und wurde dementsprechend in
den Missionsschulen abgelehnt und untersagt. Diese waren damals weitgehend die einzigen zur
Verfügung stehenden Institutionen, die Zugang zu (westlicher) Bildung ermöglichten. 10 Selbst heute
tragen viele – auch traditionell orientierte – maShona christliche Taufnamen, zum Teil anstatt oder
neben den ‚eigentlichen’ Vornamen. 11 Erst später änderte sich diese Haltung von christlicher Seite
zugunsten des Versuchs einer Vereinnahmung traditioneller musikalischer Praktiken. 12
Die zweite Richtung, aus der Druck auf mbira-Musiker ausgeübt wurde, war politischer Natur.
Während des zweiten chimurenga, dem Streben der schwarzen Bevölkerung im damaligen Rhodesien nach Unabhängigkeit und Befreiung von dem weißen Minderheitsregime unter Ian Smith 13, der
schließlich zur Gründung des heutigen Zimbabwe am 18. April 1980 führte, waren die Verhältnisse
speziell in den ländlichen Gebieten, wo die Ahnenverehrung hauptsächlich praktiziert wurde, für die
Weißen wohl generell undurchschaubar und damit suspekt. Meist unfähig die Landessprache(n) der
schwarzen Bevölkerung zu verstehen, was teilweise durch eine metaphorische Ausdrucksweise etwa
in Liedtexten noch zusätzlich erschwert wurde 14, rückte für sie die gesamte Sphäre der traditionellen
Kultur mit ihren spirit mediums und unkontrollierten Zusammen[4]künften bei mabira 15 und
ähnlichen Zeremonien tendenziell in die Richtung einer verdeckten oder mindestens indirekten
Unterstützung der Guerilla. 16
Die Entwicklung eines schwarzen Selbstbewusstseins vollzog sich parallel zu der allmählich erstarkenden Befreiungsbewegung nicht nur im politischen Bereich im Hinblick auf nationale Unabhängigkeit, sondern auch auf kulturellem Gebiet im Sinne der Schaffung einer Identität, die sich auf die
eigene Tradition stützt und nicht auf importierte und zudem noch aufgezwungene ‚westliche’,
‚weiße’ Wertvorstellungen und Anschauungen. 17 In diesem Kontext erlangte die mbira im Zuge einer
Gegenbewegung zu den genannten sie zurückdrängenden Tendenzen bald den besagten Status eines
Emblems traditioneller Shona-Kultur. Mit der zunehmenden Bedeutung des urbanen Milieus, speziell
in der Hauptstadt Harare, die zudem im Siedlungsgebiet der maZezuru und damit dem Verbreitungsgebiet der mbira dzavadzimu liegt, wurde auch die sich entwickelnde Popularmusik Zimbabwes
durch das Aufgreifen dieses Instruments und seines Repertoires geprägt. Als typische Vertreter einer
8 So auch Berliner 1981:199. Vgl. zu diesem Themenkreis auch Grupe 1994.
9 Vgl. Kubik 1971, Berliner 1981:28-29, 41 ff.
10 Vgl. Berliner 1981:207 ff.
11 Z. B. Virginia/Muchaneta Mukwesha, Samuel/Tonderai Mujuru, etc.
12 Vgl. Berliner 1981:243.
13 Zu diesem und dem ersten chimurenga von 1896/97 s. Mazikana/Johnstone 1984. Zur Landeskunde und Geschichte s.
auch Kammerer-Grothaus 1990:194 ff.
14 Vgl. dazu die Äußerungen von Thomas Mapfumo in Zindi 1985.
15 Der Plural von bira (Ahnenverehrungszeremonie) kann mabira oder mapira sein.
16 Vgl. die Rolle der spirit mediums und heutigen Nationalhelden Nehanda und Kaguvi während des ersten chimurenga
(Mazikana/Johnstone 1984).
17 Vgl. Kaemmer 1989.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Einleitung
solchen Richtung können u. a. Thomas Mapfumo, Stella Chiweshe sowie Gruppen wie die ‚Black-ITes’ gelten, bei denen der Einfluss der traditionellen mbira-Musik deutlich zu hören ist. 18
Morphologie und Nomenklatur
Das Lamellophon 19, um das es hier geht, ist in der Literatur vor allem unter der chiZezuru-Bezeichnung mbira dzavadzimu bekannt geworden: die mbira der [5] Ahnen bzw. Ahnengeister. 20 Dabei wird ‚mbira’ als Plural (Klasse 10, mit Nullpräfix) aufgefasst, also wörtlich: „die Zungen“. Eine dialektale Variante davon speziell im chiKaranga ist mbira dzemidzimu, beides abgeleitet von mudzimu,
„Ahn, Vorfahr“ bzw. dessen Geist. 21 Damit wird in erster Linie auf die Funktion des Instruments im
Rahmen der Ahnenverehrungszeremonien abgehoben, vergleichbar mit der Bildung mbira dzamhondoro als alternativer Name für die madebe/madhebhe 22 in der Gegend von Mutoko. Dumisani
Maraire ging davon aus 23, dass der Ausdruck mbira dzavadzimu von Hugh Tracey eingeführt worden
sei; seiner Meinung nach sollte man dieses Lamellophon als mbira huru 24, also „große“ mbira, oder
nhare bezeichnen, letzteres übersetzt Berliner als „iron“ (1981:239). Alle diese Namen sind in der Tat
– zumindest heute – gebräuchlich, wobei typischerweise meine Gewährsleute, die alle aus ZentralZimbabwe, also der maZezuru-Region, stammen, meist nur von ‚mbira’ ohne weiteren Zusatz sprechen, da dies bereits hinreicht, um sie von anderen dort gängigen Lamellophontypen abzugrenzen (z.
B. der karimba). Bei der Mujuru-Familie drücken Hinzufügungen Spezifika der Stimmung aus, z. B.
Dambatsoko mbira oder mbira dzamagandanga. Dort hieß es auch, nhare sei der Ausdruck der Geister für das, was die Menschen mbira nennen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird deshalb in der
Regel nur kurz von mbira gesprochen. [6]
Es handelt sich um ein massives, brettförmiges Stück Holz (gwariva), bevorzugt wird mubvamaropa (bot. Pterocarpus angolensis) oder auch muriranyenje (bot. Albizia), mit den ungefähren Maßen (Breite x Länge x Dicke): 18 x 22 x 2,5 cm. Von oben gesehen ist es tablettähnlich vertieft, so dass
sich etwas hoch stehende Ränder bilden. In der rechten vorderen Ecke befindet sich ein Loch (buri),
durch das beim Spielen der kleine Finger der rechten Hand gesteckt wird, um das Instrument in der
typischen vertikalen Spielhaltung zu stabilisieren. Die Lamellen, die ebenfalls mbira (Singular = Plural 25) heißen und dem Instrument den Namen gegeben haben, sind in drei ‚Manualen’ (Berliner)
angeordnet, die in etwa mit den drei Oktaven des Instruments korrespondieren (s. dazu den Stimmplan auf S. 89). Je nach Musiker haben sie unterschiedliche Namen, z. B. bei V. [7] Mukwesha mabhesi (< Engl. bass = tiefes Register), dzepamusoro („die oberen“, d. h. die obere Reihe der linken
Hand = mittleres Register) und matena (< Engl. tenor = hohes Register) oder bei S. Mujuru mabvumira („tiefe Stimmen“), nheuri (< kushaura: „führen“) und vasikana („Mädchen“). 26
18 S. dazu das Tonträgerverzeichnis.
19 Die Verwendung des Terminus ‚sanza’ oder ‚sansa’ (z. B. bei Arom 1991 a) als generische Bezeichnung für Lamellophone
wird von vielen Autoren mit gutem Grund abgelehnt (vgl. H. Tracey 1961, Kubik 1964). Zu dem vor allem in populären Darstellungen immer noch gelegentlich anzutreffenden unsäglichen ‚Daumenklavier’ erübrigt sich wohl jeglicher Kommentar.
20 Z. B. A. Tracey 1963, Berliner 1981.
21 Der Plural wird entweder mit der Klasse 2 (Präfix va-) oder 4 (mi-) gebildet, das Possessivpräfix der Klasse 10 unterliegt
den im chiShona üblichen Regeln der Vokalharmonie, so dass es einmal als dza-, einmal als dze- erscheint.
22 Vgl. A. Tracey 1970 a und 1989.
23 Persönliche Mitteilung 22. August 1991.
24 Vgl. Berliner 1981:33, A. Tracey 1989.
25 Die Klassen 9 und 10 haben beide ein Nullpräfix und sind nur aus dem Kontext zu erkennen:
z. B. mbira iyi, „eine Lamelle“, mbira idzi, „alle Lamellen“.
26 Bei Berliner finden sich noch andere Bezeichnungen (1981:56).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Einleitung
Abbildung: links eine mbira mit Kronkorken als Rasselkörper, zum Vergleich daneben eine ohne; rechts ein
Paar hosho-Rasseln. [6]
Berliner hat sie entsprechend der innerhalb eines Manuals jeweils von der Mitte nach außen hin
aufsteigenden Anordnung der Zungen – dieses Prinzip ist nur in einem Fall durchbrochen (s. Stimmplan S. 89) – durchnummeriert und die Manuale dabei als B(ass), L(eft) und R(ight) abgekürzt, so dass
die mit dem linken Daumen gezupften Manuale unten von B1 bis B7 und oben von L1 bis L6 reichen.
Mit dem rechten Daumen werden die Lamellen R1 bis R3 gespielt, der rechte Zeigefinger zupft R4 bis
R9 von unten nach oben. Manche Instrumentenbauer fügen zu diesen 22 noch weitere hinzu, speziell
L7 und R10 27, welche die jeweiligen Manuale nach außen erweitern.
Diese Bezifferung entspricht nicht nur der emischen Konzeptualisierung 28 des mbira-Layouts,
wie es sich etwa beim Bau eines Instruments zeigt, wo in der Regel von der Mitte nach außen Lamellen sukzessive hinzugefügt werden. Darüber hinaus ist dieses System auch genau an den Stellen
offen für Erweiterungen, wo sie – wie wir gesehen haben – tatsächlich gelegentlich auftreten. Zur
Verständigung über einzelne Lamellen oder Manuale wird deshalb im Folgenden Berliners Nomenklatur verwendet.
Zum Teil haben die einzelnen Zungen individuelle Namen, wie bei der Terminologie im Zusammenhang mit den drei Manualen gibt es aber keinen bei allen Musikern einheitlichen Sprachgebrauch: Ch. Mhlanga z. B. hat nur für L1 eine besondere Bezeichnung (nhauri, < kushaura, d. h. diese
Lamelle „führt“ das Instrument; s. dazu auch Kapitel 2), bei Berliner finden sich andere (1981:57). [8]
Die Lamellen sind leicht nach oben gebogen und werden von einer Metallstange (mutanda), die
mittels Draht oder neuerdings Maschinenschrauben am Korpus befestigt und gespannt wird, auf einen ebenfalls metallenen, in das Klangbrett eingelassenen Steg gepresst, für den ich überraschen27 Mir sind auch mbiras mit Lamellen bis R12 begegnet.
28 Eine solche muss sich nicht unbedingt in Form von Begriffsbildung äußern, sondern kann als implizite, gerade nicht
verbalisierte Konzeption vorliegen. Zu ‚emisch’ vgl. Kubik 1996.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Einleitung
derweise keinen chiShona-Terminus ermitteln konnte: Die Instrumentenbauer benutzten alle das
englische Wort bridge. Bei der Bearbeitung und Stimmung der Zungen wird darauf geachtet, dass ihre Vorderkanten in jedem der drei Manuale in der Weise in einer Linie verlaufen, dass die Lamellen
nach außen hin immer kürzer werden (von maximal ca. 18 cm in der Mitte bis ca. 10 cm außen). Am
Klangbrett (gwariva) ist entweder eine dünne Stange, auf die Metallhülsen als Rasselkörper aufgefädelt sind, oder ein schmales Blech (chirata) befestigt, an dem früher Muschelschalen heute dagegen
durchweg Kronkorken (chivharo) angebracht sind. Rasselkörper werden allgemein auch als majaka
bezeichnet. Die mbira kann mittels eines oder mehrerer Stöckchen (Sg. mutsigo), am liebsten aus
tsanga (Rohr, bot. Phragmites mauritianus) oder auch Bambus, in einer großen Kalebasse (deze oder
demhe) eingeklemmt werden, die als Resonator dient und an der gleichfalls Kronkorken – früher Muscheln – als Rasselkörper befestigt sind.
Methodischer Ansatz und Quellenkritik
Die einheimische Terminologie ist nun nicht nur im Zusammenhang mit den Lamellen uneinheitlich, dieses Phänomen wird uns im Verlauf der Arbeit noch an anderen Stellen begegnen. 29 Darüber
hinaus gibt es einerseits den Fall, dass mehrere Synonyme für den gleichen Gegenstand existieren,
die je nach individuellem oder eventuell dialektalem Sprachgebrauch verwendet werden. Dies gilt z.
B. für deze versus demhe (Resonator) ebenso wie für chimbo, rumbo, rwumbo, rwiyo: laut St.
Chiweshe alles Ausdrücke für ein ‚Musikstück’. Andererseits hat sich durch den Kontakt mit Außenstehenden, speziell Europäern und US-Amerikanern, ein Bedarf an zusätzlichen Termini ergeben, für
die im chiShona keine Pendants existieren, da sie mit einer analytischen Sichtweise verknüpft sind,
die im traditionellen Kontext nicht üblich und offensichtlich auch nicht erforderlich ist, da sonst einheimische Begriffe vorhanden wären. Man bedient sich in diesen [9] Fällen des Englischen. Dazu gehören nicht nur das erwähnte bridge für den Steg, sondern auch die Begriffe steps (z. B. V. Mukwesha
und S. Mujuru) oder stages (Ch. Mhlanga) für die von mir als ‚Formteile’ bezeichneten vier gleichlangen Abschnitte einer Periode (s. dazu Kap. 1 und 3) und die Übernahme von Kategorien wie Beat und
Puls (s. dazu Kapitel 3).
Selbst wenn sich aber die einheimische Nomenklatur als teilweise uneinheitlich oder – nach unserem Verständnis – an einigen Punkten lückenhaft erweist, ist damit noch nicht gesagt, dass entsprechende emische Konzepte nicht dennoch implizit vorhanden sind. Während etwa A. Tracey
meint, die Existenz eines der mbira-Musik immanenten Systems harmonischer Progressionen (s. dazu
Kapitel 1 und 3) sei den Shona-Musikern nicht bewusst (A. Tracey 1989:43, 51), sollte es meines Erachtens gerade unser Anliegen sein, die Intentionen der Musiker – auch wenn sie nicht verbalisiert
werden – so wie sie sich in den Stücken manifestieren zu eruieren. In einem Beitrag zur westafrikanischen Mandinka-Musik mit dem programmatischen Untertitel „A study in extracting theory from
practice“ (Knight 1984) schreibt Roderic Knight:
„What factors govern melody formation, rhythmic style, and ‚harmony?’ How shall we define terms such as
a phrase, accent, consonance and dissonance? What is the concept of mode? of meter? What is the best
notation for all these? In probing these questions, we will be aided in some instances by Mandinka
terminology or critical commentary, but in most cases the answers will be extracted more from what the
musicians do than from what they say. For some questions, we shall have to supply our own answers.”
(Knight 1984:6)
29 S. dazu auch Berliner 1981:94 und das Glossar in A. Tracey 1970 b.
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Einleitung
Gerhard Kubik hat ebenfalls für ein solches Vorgehen plädiert (1991:32). Zudem geht es auch darum, „to find ways to have an informant externalize cognitive concepts“ (Wegner 1994:462). Darin
lag der Hauptgrund für meine Entscheidung, zumindest einen Teil des Materials im Rahmen von
mbira-Unterricht 30 zu sammeln und dieses durch Tonaufnahmen zu ergänzen. Wie sich zeigte, erlaubt ein solches Vorgehen signifikante Rückschlüsse auf intrakulturelle Konzeptualisierungen gerade
im Zusammenhang mit zyklisch organisierter Musik (s. dazu Kapitel 3 und 5) und man [10] wird zugleich auf spieltechnische Besonderheiten aufmerksam gemacht. Artur Simon unterscheidet hier zwischen sog. „interner“ und „externer Analyse“ (1978:31-33) und bereits 1909 plädierten Otto Abraham und Erich M. von Hornbostel für ein solch zweigleisiges Arbeiten:
„Am besten [falls kein Phonograph zur Verfügung steht, G. G.] ist es, wenn der Forscher selbst die Gesänge
oder Instrumentalstücke so erlernt, dass er sie zur Zufriedenheit der Eingeborenen wiedergeben kann. [...]
Die Erlernungsmethode kann auch neben der phonographischen Methode sehr instruktiv sein, namentlich
bei komplizierter Instrumentaltechnik [...], deren Eigentümlichkeiten und Beziehungen zur Konstruktion des
Instruments und zur Melodik nur so zu ermitteln sind.“ (1909:134-135)
Die einzelnen Versionen wurden jeweils an Ort und Stelle unmittelbar in Form einer an Berliners
Bezifferungssystem orientierten Tabulatur festgehalten (s. dazu Kapitel 4), deren Korrektheit durch
nochmaliges Vorspielen sogleich verifizierbar war. Die Beat-Relation (s. dazu Kapitel 3) wurde entweder sofort durch Klatschen oder spätere Tonaufnahmen ermittelt. Auf Grund der Tatsache, dass im
Klangbild eines typischen Ensembles aus zwei mbiras und einem hosho-Gefäßrasselpaar letzteres
akustisch deutlich dominiert (s. dazu Kapitel 5) und daher eine übliche Stereoaufzeichnung kein
transkribierbares Resultat ergibt, habe ich zu diesem Zweck ausschließlich mit analytischen Aufnahmen gearbeitet. Dabei wurden entweder zwei mbiras mit Kontaktmikrophonen auf zwei getrennten
Kanälen eines DAT-Recorders 31 aufgezeichnet oder ein Kontaktmikrophon für eine mbira mit einem
normalen Mikrophon für die zweite Spur kombiniert, auf der Händeklatschen, hosho oder gesprochene Kommentare aufgenommen wurden. Die an den mbiras befindlichen Rasselkörper wurden
dazu grundsätzlich abgeklebt, wozu alle Musiker, mit denen ich gearbeitet habe, ohne weiteres bereit waren, und die Instrumente ohne zusätzliche Resonatoren (deze, demhe) gespielt. Dies hatte den
Vorteil, dass ich die Musiker bei den Zeremonien, bei denen ich anwesend war, nicht mit technischer
Ausrüstung behelligen musste. Dieses Verfahren ist methodisch insofern unbedenklich, als sich erstens musikalisch eine solche gestellte Aufnahme nicht vom Spielen zum eigenen Vergnügen der Musiker unterscheidet, bei dem z. B. auch keine Resonatoren oder ein bestimmtes ‚Publikum’ notwendig sind, und zweitens bei solchen informellen [11] Gelegenheiten strukturell nicht anders musiziert
wird als bei Zeremonien. Die Tonaufzeichnungen sollten vor allem Aufschluss über das Verhältnis
zweier gleichzeitig gespielter Parts (kushaura und kutsinhira) liefern sowie deren Variantenbildung im
Verlauf eines Stücks dokumentieren.
Auf diese Weise ließ sich das strukturell Wesentliche der Musik – also die Gestalten einzelner
Parts, deren Kombination sowie ihre Veränderung über die Zeit – in analysierbarer Form erfassen. Im
Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit konnten solche Aspekte ausgeklammert bleiben, die nur
akzessorischen oder optionalen Charakter haben. Dazu gehören sowohl die detaillierte Untersuchung
des Zusammenspiels einer größeren Zahl von mbiras als auch diejenige zusätzlicher Klatsch- oder
Gesangsparts, die im Ensemble hinzutreten können, sowie eine Darstellung des Verhältnisses zwischen Musik und Tanzbewegungen. Letzteres spielt natürlich bei Zeremonien als Gesamtereignis eine
bedeutende Rolle und wäre in diesem Rahmen zu untersuchen. Auf die möglichen Vokalstile wird
weiter unten kurz eingegangen (s. u. S. 121), die Darstellung beschränkt sich jedoch im Wesentlichen
30 Vgl. zu diesem Ansatz Baily 1995.
31 DAT = Digital Audio Tape.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Einleitung
auf die typische Realisierung der Stücke, bei der sie von zwei mbiras dargeboten werden, die jeweils
eine von zwei möglichen Rollen (kushaura, kutsinhira) übernehmen (s. u. S. 124 ff.). Diese Parts weisen eine feststehende Relation zu einem gedachten oder durch hosho-Rasseln materialisierten, in
sich strukturierten Pulsraster auf (s. u. S. 56 und S. 134 ff.). [12]
[13] Kapitel 1
Kaleidophonie und Bichord-Sequenzen:
Literatur zur harmonischen Struktur der mbira-Musik
Hier soll zunächst chronologisch die vorhandene Literatur im Hinblick darauf referiert und anschließend kritisch kommentiert werden, was darin zur Frage der harmonischen Grundstruktur der
mbira-Musik ausgeführt wird. 1
Überblick
In seinem Aufsatz über Mbira Music of Jege A. Tapera (A. Tracey 1961), in dem Andrew Tracey die
Musik eines Shona-Musikers beschreibt, der ein 13-züngiges Lamellophon spielt, das er als „chisansi“
bzw. „kalimba“ bezeichnet, behandelt er auch die musikalische Struktur dieser Musik. Als ihren
zentralen Faktor nennt er
„the harmonic progression [...] of three main ‘chords’ and a passing ‘chord’. [...] By a ‘chord’ here is not
meant a triad, but a chord of two notes only. [... W]hen two keys are played in unison, the two always represent, with few exceptions, one of these chords, or their inversions in different octaves. However, when
we consider the notes that regularly precede or follow each of these chords, [...] we can add extra notes to
three of the chords, which will make them into 'understood' triads. It must be remembered that at no time
is a full triad played on the instrument [...]”. (A. Tracey 1961:50)
In einer darauf folgenden Publikation stellt er Three Tunes for ‘Mbira dza vadzimu’ (A. Tracey 1963)
vor und liefert als Erster Vorschläge zu einer Analyse dieser Musik, über deren Struktur er ausführt:
[14]
„Like Tapera’s karimba music, this music is based on a chord sequence, but the sequence is twice the length
of his. The first part corresponds exactly, the chord sequence being:
TONIC,
mediant,
DOMINANT;
TONIC,
mediant,
SUBMEDIANT.
Then the second part adds the other remaining diatonic chords:
TONIC,
SUBDOMINANT,
submediant;
SUPERTONIC
—
submediant.
The main structural chords are printed in capitals; the others are what I call ‘passing chords’, that are not
usually emphasised.” Er bekräftigt nochmals seine Ansicht, „that a chord sequence is one of the most important regulative features of Shona mbira music.” (A. Tracey 1963:25)
In seinem Aufsatz The Matepe Mbira Music of Rhodesia (A. Tracey 1970 a) geht er erneut auf diese
„chord sequences“ ein, jedoch nicht im Zusammenhang mit der mbira dzavadzimu, sondern einem
Lamellophontyp aus dem Nordosten Zimbabwes namens „matepe“ bzw. „madebe“. 2 Möglicherweise
in Anlehnung an die von A. M. Jones geprägte Bezeichnung „standard pattern“ (Jones 1959:53) für
1 A. Tracey 1961, 1963, 1970 a, 1970 b; Kauffman 1970; Kaemmer 1975; Berliner 1981; Garfias 1987; Kubik 1988; A. Tracey
1989, 1991; Brenner 1997. Maraire (1990) geht darauf nicht ein, er führt noch nicht einmal A. Tracey in seiner Bibliographie
an. „[T]he reader should be warned that the purpose of this dissertation is not to discuss pasichigare [i. e. traditional, G. G.]
music.” (Maraire 1990:280)
2 Oder nach der neuen Orthographie „madhebhe“, vgl. A. Tracey 1989:43.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Literatur zur harmonischen Struktur
eine speziell in Westafrika weitverbreitete 12er-timeline-Formel spricht Tracey von einer „’standard’
Shona chord sequence“, die u. a. auch für die mbira dzavadzimu der Zezuru zutreffe (A. Tracey 1970
a:38). Es handelt sich um die bereits oben zitierte Folge, die er nun mit arabischen Ziffern bezeichnet,
welche sich auf das zugrunde liegende heptatonische Tonsystem der Shona und seine Stufenfolge
beziehen:
„1 3 5, 1 3 6, 1 4 6, 2 4 6, where 1, for instance, means the chord containing the note 1 and the note 5.“
Diese Akkorde bilden die Basis für „harmonic segments”, die sich dadurch auszeichnen, dass „[d]uring the
playing of any one segment only a limited number of notes are used. They are primarily a pair of notes, a
fifth apart (or any of the inversions or octave transpositions), and a less prominent subsidiary note which is
the third between this pair. [...] Where a third is sounded on the mbira one often finds it due to the structural or motor requirements [...]. Because of the importance of the motor pattern, something must be
played at that point [wo z. B. manche mbira-[15]Typen mit geringer Lamellenzahl keine entsprechende
Zunge aufweisen, G. G.], so the next best alternative is chosen, namely to sound a third.” (A. Tracey 1970
a:39) 3 „Variations [der ‚Standard’-Sequenz, G. G.], where present, are in the form of intercalary ‘passing
chords’ which do not affect the position or the order of the main structural chords of the sequence.” (ebd.)
Die 1961 noch als „Durchgangsakkorde“ definierten (s. o.) sind jetzt zu festen Bestandteilen der
Standardsequenz aufgewertet. Hier meint er darüber hinausgehende, zusätzlich eingeschobene
Akkorde. Als weitere Möglichkeiten führt er an: 1) Akkorde können in manchen Stücken offenbar
durch andere ersetzt werden, so dass sich eine modifizierte Form der Standardfolge ergibt. 2) Die
Standardfolge kann auf eine andere „Tonika“, d. h. eine andere Stufe der heptatonischen Skala, bezogen auftreten. Er nennt als mögliche Bezugsstufen zunächst nur die erste (bei ihm G), vierte (C) und
sechste (E), erklärt dann jedoch:
„[I]t is possible to play nearly identical sequences in several different keys.” Und: „[I]n the whole matepe
area I have heard the ‘standard’ sequence in no less than all seven keys.” (ebd.:39, 43) Zur Verwendung des
Begriffs „Tonika” bemerkt er einschränkend: „I do not mean to say that the Shona have a western concept
of a key-note or tonic, or I should expect them to have a word for it.” (ebd.:42)
3) Innerhalb der Standardfolge können seinem (!) Höreindruck nach unterschiedliche Akkorde als
tonale Zentren4 und Startpunkte des Zyklus wirken, woraus sich insgesamt drei Ausprägungen der
Standardsequenz ergeben, die er – anders als bei den konkreten Beispielen, die von G als tiefster
Stufe ausgehen – auf C bezieht und entsprechend C-Standard, A-Standard 5 und F-Standard nennt
[16] (ebd.:42). Die Bezeichnungen ergeben sich aus den Akkorden der auf C konstruierten Standardfolge, die er als „tonic“ wahrnimmt:
C- Standard
A-Standard
F-Standard
CEG CEA CFA DFA
Beginn auf dem zwölften Akkord 6 der C-Standardfolge (=
A), dann Transposition um eine Sexte nach unten (nach
C), so dass sich die Folge C E G H E G C E A C F A ergibt.
Beginn auf dem achten Akkord der C-Standardfolge (= F),
dann Transposition um eine Quarte nach unten (auf C),
so dass sich die Folge C E A C E G H D G H E G ergibt.
3 Bei der mbira dzavadzimu fehlt nur eine Stufe in der tiefsten Oktave. S. den Stimmplan auf S. 89.
4 Er spricht wiederum von „tonic“.
5 Dies ist aus dem Text zu schließen; er nennt in dem Zusammenhang nur den Titel des Stücks, das er als Beispiel für diese
Konstellation anführt.
6 Später ordnet er den Zyklus so an, dass er an der sechsten Position beginnt (vgl. A. Tracey 1989:52).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Literatur zur harmonischen Struktur
Da er andere tonale Zentren (D, E, G) nicht diskutiert, kommen sie offenbar seiner Meinung nach
nicht in Betracht bzw. es liegen keine Beispiele dafür vor. Er betont bezüglich dieser „three ways of
looking at the same sequence”:
„[T]his music has no start nor end” und verweist auf Rycrofts Zirkularnotation (Rycroft 1967): „[I]t is only
the demands of paper writing that make it necessary to choose one starting point.” (ebd.:42) 7
Zur formalen Struktur der Zyklen in der Lamellophonmusik Zimbabwes bemerkt er:
„Virtually all songs are the same number of pulses long – 48, and consist of a motor pattern of 12 pulses repeated four times.” (ebd.:49)
Da der Fokus der Wahrnehmung sich auf unterschiedliche (tonale) Bezugspunkte und Patterns
richten kann, spricht er von „kaleidophonischer“ 8 Musik (ebd.:50). [17] Dies greift er in einem Leitfaden zum Erlernen der mbira dzavadzimu auf, in dem er bezüglich der Identität der einzelnen Stücke
und ihrer Unterscheidbarkeit in Anbetracht sehr unterschiedlicher Versionen schreibt:
“[H]ow is it that the two or three versions of each song as given here can be considered the same songs,
seeing they are so different? The answer is mainly in the fact that they share the same chord sequence.
‘Nyamaropa’, for instance, always has the sequence GBD, GBE, GCE, ACE. ‘Nhemamusasa’ always has this:
CEG, CEA, CFA, DFA (which you may notice is the same as ‘Nyamaropa’ but in a different key, a fourth
higher). ‘Mudande’ always has CEA, CFA, CEG, BEG (also the same as the above two, starting on their sixth
chord and transposed to C).” (A. Tracey 1970 b:12)
In dieser Publikation stellt er an zahlreichen Beispielen auch die Bedeutung der Bewegungsmuster
innerhalb einer und zwischen zwei Händen dar und stellt in einem Glossar wichtige chiShona-Termini
zusammen, die das Instrument und die musikalische Praxis betreffen.
In seiner Dissertation über Multi-part Relationships in the Shona Music of Rhodesia (1970) geht
Robert Kauffman nur am Rande auf die Struktur der mbira dzavadzimu-Musik ein und stützt sich
dabei auf Tracey (1961). 9 Er spricht von „harmonic foundation sequences” und schreibt über deren
Erscheinungsbild:
„Quite a bit of variety is possible in forming patterns from these chords.” (ebd.:89) „[O]n the mbira dzaVadzimu the basic pattern is usually played with the left-hand thumb, while the right-hand thumb (plucking
downward) and the right-hand forefinger (plucking upward) decorate and improvise on the pattern.”
(ebd.:94)
John E. Kaemmer stellt in seiner Dissertation The Dynamics of a Changing Music System in Rural
Rhodesia (1975) die Grundstruktur der mbira-Musik folgendermaßen dar 10: [18]
„[I]f the term [harmony, G. G.] is used to refer to the progression from one restricted set of notes to another restricted set of notes, then it describes the harmony of Shona mbira music [...]. Ritual [im Gegensatz
zu “non-ritual”, G. G.] mbira songs consist of a constant repetition, with variation, of a harmonic sequence,
which usually is formed of forty eight rhythmic pulses, divided into four harmonic segments of twelve
7 Vgl. zur Frage der Notation Kapitel 4.
8 Kubik hatte bereits 1962 die Wirkung inhärenter Rhythmen mit der eines Kaleidoskops verglichen (1962:42) und noch vor
ihm schrieb A. M. Jones über ein Trommelensemble der Lala im damaligen Nordrhodesien: „The whole performance is
quite kaleidoscopic.“ (Jones/Kombe 1952:29)
9 Vgl. Kauffman 1970:87-88.
10 Er behandelt zwar nicht vorrangig die Zezuru-Region und die mbira dzavadzimu, seine Ausführungen sollen jedoch auch
für diese gelten (ebd.:88).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Literatur zur harmonischen Struktur
pulses each. Each segment is divided, in turn, into three blocks of harmonic time, but the division is not always made in the same way. In each block of time the number of available notes in the heptatonic scale is
restricted to three, including a root note, and the third and the fifth note above it. [... T]he root and the fifth
are most important while the third is secondary, and, indeed, is often omitted. In the second and third
blocks of time in a segment, the root is a third or fourth higher than the previous root. [... E]ach segment
differs from the preceding segment in the harmony of at least one of the blocks of harmonic time. [...] The
division of the three blocks of harmonic time within the twelve pulses of a harmonic segment can be made
in different ways. Sometimes each harmonic block encompasses four pulses [...]. At other times two of the
harmonic blocks are of three pulses each, and another is of six [...]. Any harmonic note within the general
harmonic scheme may occur at any octave, involving the principle which Blacking has called ‘harmonic
equivalence’ 11 [...]. One of the principal ways of distinguishing one mbira song from another is through
differences in the harmonic progressions. However, many songs use the same harmonic progression, and
are distinguished by rhythm or idiosyncratic melodic features. A few songs use eight or nine pulses in a
harmonic segment [...].” (Kaemmer 1975:88-89, 91)
Die einzige Monographie zur mbira-Musik war lange Zeit Paul F. Berliners The Soul of Mbira von
1978, die 1981 um einen Anhang zum Bau einer karimba erweitert worden ist. Neben einer Fülle
ethnographischer und kontextueller Informationen sind auch die musikalischen Charakteristika
Thema seiner Arbeit. Zur harmonischen Struktur führt er aus:
„Most mbira pieces consist of a forty-eight beat 12 pattern divided into four major phrases of twelve beats
each, repeated in a continuous cycle throughout the perform[19]ance of the piece. [...] Typically, a basic
motive is altered slightly in each phrase of the composition. [...] In addition to the thematic transformation
from one phrase to the next, the sections of the piece can be distinguished on the basis of their harmonic/melodic content.” Er fährt fort, die Stücke seien „characterized by the presence of a restricted set of
two or sometimes three pitches played either simultaneously or consecutively, as melodic fragments. [...
T]he distinct harmonic feeling 13 within the sections of Shona mbira music is commonly created by intervals
of approximately an octave, a fifth, or a third, or by their inversions.” (Berliner 1981:75)
Hier bezieht er sich auf A. Tracey (1970 a). Er verwendet
„the term harmonic progression to refer to the changing groups of pitches which characterize the various
segments of an mbira piece” und „the term harmonic rhythm to refer to the rate at which harmonic
changes occur”. Letzteres unterscheide beispielsweise verwandte Stücke voneinander (ebd.:75, 77).
Weiterhin weist er als Erster auf die Existenz eines „main beat of each piece established by the accompanying gourd rattle pattern“ hin (ebd.:77).
Als ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen verschiedenen Stücken nennt er ihre tonalen
Zentren:
„The two most common tonal centers among pieces for the mbira dzavadzimu are the lowest pitch on the
instrument [...] and the pitch a fourth above this”. (ebd.:78)
Blackings Prinzip der harmonischen Äquivalenz, dessen Gültigkeit für die mbira-Musik zuerst
Kaemmer postuliert hatte (1975:91), findet sich auch bei Berliner.
11 Vgl. Blacking 1967:168, der diesen Begriff speziell im Zusammenhang mit Gesangslinien bei den Venda verwendet. Falls
es die Stimmlage oder die Sprachmelodie erfordern, können dort Terzen, Quarten, Quinten und Oktaven auf der Basis des
vorhandenen Tonvorrats, d. h. ohne strengen Parallelismus, als Ersatz-, also äquivalente Töne verwendet werden. Dies geht
also über Kaemmers Deutung dieses Begriffs hinaus.
12 Man sollte hier besser von ‚Pulsen’ sprechen. Auf diesen Unterschied weist zu Recht auch Kaemmer hin (1998:747). S.
dazu unten Kapitel 3.
13 Vgl. Traceys ‚Gefühl’, z. B. in A. Tracey 1970 a:42.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Literatur zur harmonischen Struktur
„Within a melodic sequence individual pitches can be replaced by their harmonic counterparts an interval
of a third, fourth, fifth, or octave away." (Berliner 1981:98) 14
Robert Garfias stützt sich in seinem Aufsatz zur mbira dzavadzimu-Musik (1987) in erster Linie auf
Tracey (1970 b) und Berliner (1981). Obwohl er Aus[20]künfte zweier eigener Informanten hinzuzieht, ergeben sich hier keine neuen Erkenntnisse. 15
Seine zuerst in einem anderen Zusammenhang (Kubik 1987) vorgetragene These von einer Verbindung zwischen der harmonischen Grundlage der San-Musik, die er am Beispiel von !Kung’-Musikbogenstimmungen aus den Partialtonreihen über je zwei Grundtönen im Abstand von etwa 200, 300
bzw. 400 Cents ableitet, und den u. a. für die Shona charakteristischen Zusammenklängen, hat
Gerhard Kubik in einem Artikel über Nsenga/Shona Harmonic Patterns and the San Heritage (Kubik
1988) detailliert entwickelt. 16 Er führt hier die einzelnen Zweiklänge der von Tracey dokumentierten
Shona-Akkordsequenz auf implizite Grundtöne zurück, so dass die in der Praxis vorkommenden
„Bichorde“, ein Terminus, den Kubik hier zum ersten Mal verwendet, als Partialtöne über vier selbst
nicht gespielten Grundtönen zu interpretieren wären. Das unten wiedergegebene Notenbeispiel folgt
Kubiks Abbildung 19 (1988:67) 17, ist jedoch nach C transponiert, um den Vergleich mit dem folgenden zu erleichtern.
Entsprechend greift er Traceys Vorschlag auf (Tracey 1970 a:41), die sog. Standardsequenz als in zwei
in sich hexatonische Hälften geteilt zu betrachten, von denen die zweite (nach einigen notwendigen
Umstellungen bzw. Spiegelungen) als Quarttransposition der ersten anzusehen sei (Kubik 1988:69). 18
[21]
Die damit verbundene Herleitung der rezenten Heptatonik aus einer vorhergehenden Hexatonik hat
neuerdings Klaus-Peter Brenner in folgendem Modell auf eine Weise gelöst, welche die oben
erwähnten zunächst unerklärlichen ‚Umstellungen’ in der zweiten Hälfte der Sequenz berücksichtigt
und durch eine evolutionäre Deutung einen auch diachronen Zusammenhang der rezenten Phänomene herstellt (Brenner 1997:58-64). In Anlehnung an Kubiks „faction story“ über die hexatonische
Erweiterung der San-Harmonik (Kubik 1987:165; wiederholt in Kubik 1988:58-59), geht er von zwei
14 Kaemmer hatte den Begriff jedoch enger als Blacking selbst verwendet und darunter nur beliebige Oktavtranspositionen
eines Tones verstanden (s. o.).
15 Darüber hinaus leidet dieser Aufsatz leider unter diversen sprachlichen Ungereimtheiten, Fehlern in Notenbeispielen u.
Ä.
16 Einen entsprechenden Hinweis enthält bereits Kubik 1984.
17 Vgl. dazu auch Kubik 1987:168.
18 Vgl. Tracey 1989:49.
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Literatur zur harmonischen Struktur
auf zvipendani 19-Mundbögen gespielten, im Quartabstand klingenden Folgen von sechs Bichorden
aus – und zwar der ersten Hälfte der Standardsequenz, die von A. Tracey zuerst 1961 als typisch für
das karimba-Repertoire beschrieben worden ist 20 –, die gegeneinander so verschoben werden, dass
die beiden gemeinsamen Bichorde zur Deckung kommen. Wenn nun beide alternierend erklingen,
ergibt sich die Tracey’sche Standardprogression, die dann auf die mbira übertragen werden konnte.
1.
CEG CEA
FAC FAD
2.
CEG CEA CEG CEA ...
CFA DFA CFA DFA C ...
3.
CEG CEA C
A CFA DFA
[22]
1989 hat Andrew Tracey seine Sicht des harmonischen „system of the mbira“ nochmals zusammengefasst und stellt die Akkordfolge – Kubiks Ausdruck Bichord übernimmt er nicht – kreisförmig
dar (A. Tracey 1989:52), wobei er die bereits 1970 erwähnten möglichen Startpunkte markiert.
„By 'starting' I mean the listener's perception of a starting point, which may be influenced by the duration
allotted to various chords, by rhythmic alignment with other parts, by the point at which the player actually
starts to play, or by the entry point of other parts [...]” (ebd.:51).
Dieser Zyklus ist auf alle restlichen sechs Stufen transponierbar, so dass sich 3 x 7 = 21 mögliche
Sequenzen ergeben (ebd.:54). In seinem Aufsatz über Xylophonmusik der aSena in Malawi spricht er
zum ersten Mal von einem weiteren, dem sog. „E-type“ (A. Tracey 1991:93), so dass sich nunmehr
vier mögliche ‚Startpunkte’ des Zyklus, d. h. tonale Zentren, ergeben.
Kritische Würdigung
Wenn man die zwischen 1961 und 1991 entstandene Literatur so Revue passieren lässt – ein
Zeitraum von immerhin 30 Jahren –, fällt zunächst auf, dass die auf A. Tracey folgenden Autoren bis
zu Berliner über seinen Kenntnisstand bezüglich der harmonischen Progressionen kaum hinausgelangt sind. Ja man muss sogar konstatieren, dass sie – möglicherweise wegen Traceys vor allem anfänglich etwas unübersichtlicher Darstellungsweise, bei der wichtige Aspekte seiner Analyse teilweise
erst aus dem Text rekonstruiert bzw. gewissermaßen zwischen den Zeilen gelesen werden müssen –
einige seiner Hinweise gar nicht aufgegriffen haben.
In Kauffmans Notenbeispiel (1970:95-96), das seine oben zitierten, ohnehin nur knappen Ausführungen illustrieren soll, ist die mbira-Musik praktisch nicht [23] wieder zu erkennen. So ist weder
die typische 48 Pulse umfassende Periode noch deren Bezug auf 48/3 = 16 Beats ersichtlich. 21
Kaemmer stellt Traceys ‚Standardsequenz’ zwar in ihrer Grundanlage präzise dar, erklärt jedoch
nicht, woraus die Unterschiede zwischen den harmonischen Progressionen bestehen können, an
denen sich mbira-Stücke voneinander unterscheiden lassen. Er erwähnt weder mögliche
19 Pluralform von chipendani.
20 Vgl. A. Tracey 1972.
21 Zu dieser Terminologie s. Kapitel 3.
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Literatur zur harmonischen Struktur
Rückungen 22 der Sequenz auf andere Stufen noch die Orientierung auf verschiedene tonale Zentren.
Die Akkordfolgen zweier Beispiele, darunter das Stück Dande (1975:180), erläutert er nicht.
Auf den ersten Blick überraschend mag erscheinen, dass selbst Berliners ansonsten hoch gelobte
Monographie 23, die zunächst den Eindruck erweckt, die mbira-Musik umfassend auch hinsichtlich
ihrer musikalischen Charakteristika darzustellen, bei genauerer Prüfung in der Frage der harmonischen Struktur keinen Fortschritt bedeutet. Die Darstellung der wichtigsten Punkte ähnelt der bei
Kaemmer, sie beruht im Wesentlichen auf Tracey (1970 a).
Berliner postuliert zwar das Vorhandensein hauptsächlich zweier möglicher tonaler Zentren –
andere nennt er nicht –, er erklärt aber weder, nach welchen Kriterien diese zu bestimmen sind,
noch berücksichtigt er A. Traceys Hinweis auf ein mögliches kaleidophonisches Umhören auch in
tonaler Beziehung. Vielmehr geht seine gesamte harmonische Analyse der einzelnen Stücke vom
Vorhandensein jeweils eines eindeutigen tonalen Zentrums aus, indem er die Töne der von ihm notierten Version eines Stückes durch Bezifferung auf diesen Zentralton bezieht. Er versucht dagegen
nicht, das jeweilige Stück etwa zu Traceys Standardprogression in Beziehung zu setzen. Da er nicht
zwischen der Erscheinungsform der harmonischen Progression und möglichen Bezugstönen differenziert – wie auch bei Kaemmer fällt nämlich bei Berliner Traceys Hin[24]weis unter den Tisch, dass die
Standardprogression auf sämtlichen Stufen vorkommen kann –, steht und fällt also sein Vorgehen
mit der Plausibilität dieses bzw. der Annahme eines tonalen Zentrums überhaupt. So bleibt seine
‚Analyse’ des Stückes Nyamamusango letztlich bei der Zuordnung eines tonalen Zentrums stehen,
ohne dass die zugrunde liegende Progression im Einzelnen gedeutet würde.24 Zu Dangurangu bemerkt er:
„[T]he harmonic progression of such a piece [...] is more ambiguous and complex than the regular, relatively
predictable movement of the previously discussed mbira pieces [Nhemamusasa, Nyamaropa, u. a.; G. G.]”.
(ebd.:86)
Er macht jedoch keinen Versuch, die harmonische Struktur dieses Stückes näher zu erläutern.
Andere von ihm erwähnte Stücke wie Dande oder Taireva, bei denen das Prinzip der Rückung der
Standardsequenz eindeutig gezeigt werden könnte, ordnet er keinem Zentralton zu. Die Bezifferung
der vorhandenen Töne erweist sich quasi als Doppelung, die eigentlich keine wesentlich neue Erkenntnis der harmonischen Zusammenhänge liefert.
Kubiks Ausführungen über mögliche Zusammenklänge in der Shona-Musik, die er im Rahmen
der oben zitierten Überlegungen zu möglichen Ursprüngen der Akkordfolgen macht, können sich
allenfalls auf ein evolutionär orientiertes Modell beziehen, nicht jedoch auf die rezente Praxis, wenn
er schreibt:
„These simultaneous sounds [in the harmonic progression, i.e. fourths and fifths; G. G.] may appear in inversions which are strictly determined by what harmonics of one of the four roots they represent“.
(1988:68)
Hier wird nämlich nicht das Prinzip der harmonischen Äquivalenz (Blacking) berücksichtigt: Eine
Quinte – interpretiert als Partialtöne 2 und 3 eines nicht erklingenden Grundtons – kann nicht nur
durch Umkehrung zur Quart, ihrem Komplementärintervall, werden, sondern auch durch andere
äquivalente Töne ersetzt werden, so dass die tatsächlich verwendeten Umkehrungen nicht als streng
determiniert angesehen werden können. Entsprechend ist auch Kubiks Diktum „[T]here can be no
22 Ob es sich dabei um Transpositionen handelt oder um modale Verschiebungen wird im folgenden Kapitel diskutiert.
23 „a landmark in ethnomusicological literature” (Gourlay 1980:128).
24 Vgl. zu diesem Stück auch Brenner 1997:203-204.
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Literatur zur harmonischen Struktur
thirds“. (ebd.:67) zu relativieren. In der Praxis han[25]delt es sich ja, wie bereits Tracey – als Praktiker
sozusagen 25 – früh erkannte, nicht im eigentlichen Sinne um Bichorde, weshalb er den Terminus
selbst wohl auch nicht benutzt. Diese mögen der Progression wohl zugrunde liegen, werden jedoch
um Terzen und sogar „non-harmonic notes“ (Berliner 1981:103; s. dazu unten Kapitel 6) erweitert.
Insofern ist wichtig, zwischen einem Modell der harmonischen Grundlagen und konkreten Zusammenklängen, so wie sie in Stücken vorkommen, zu unterscheiden. Wie wir sehen werden, erklingen
dabei tatsächlich häufig nur zwei Töne zu einem Zeitpunkt: Dies können aber Oktaven, Quinten bzw.
Quarten, Terzen bzw. Sexten und sogar Sekunden oder Nonen bzw. Septimen sein.
Abgesehen davon, dass vor allem die frühen Beiträge Traceys stark von einem Vokabular geprägt
sind, das ohne ernsthaft hinterfragt zu werden aus der abendländischen Harmonielehre entlehnt ist
(‚tonic’, ‚key’, etc.) 26, so stammen von ihm dennoch entscheidende Hinweise, denen im Detail
nachzugehen ist. Hervorstechende Merkmale der mbira-Musik wären demnach:
1. zyklische Standardprogression von Akkorden
2. Transposition27 dieser Progression in alle ‚Tonarten’
3. Verschiebung des Anfangspunkts der Standardprogression und tonaler Bezug auf diesen
neuen ersten Akkord
4. Transposition der daraus folgenden ‚Typen’ wiederum in alle ‚Tonarten’
5. Modifikationen der Standardsequenz
Diese Vorgehensweise, bei der die Orientierung der Akkordsequenz auf ein tonales Zentrum hin
hervorgehoben wird, steht im Widerspruch zu der Tatsache, auf die Tracey selbst hinweist 28, dass
nämlich ein Stück und damit eine spezifi[26]sche harmonische Progression durchaus – im Sinne des
‚kaleidophonischen’ Charakters der Musik – auf verschiedene tonale Zentren hin gehört werden
kann 29:
„What is indisputable is the numerical cycle [die Akkordsequenz, G. G.]. What is not indisputable is the
'starting points' I have chosen in this cycle.” (A. Tracey 1989:52; meine Hervorhebung)
Dabei geht er also immer von seiner Wahrnehmung aus, die er für weitgehend universell hält:
„[T]hese three starting points [seine ‚Typen’, G. G.] represent typical, if not universal, ways of hearing the
sequences.“ (ebd.)
Untersuchungen über die Auffassung durch die Musiker selbst legt er nicht zugrunde. Zur Charakterisierung seiner 21 (1989) bzw. 28 (1991) möglichen Sequenzen bedient sich Tracey also eines
variablen Elements. Sein Verfahren sei hier an einem Beispiel kurz verdeutlicht:
CEG CEA CFA DFA
135 136 146 246
=
C-Typ in C
25 Vgl. seine in einem anderen Kontext gemachte Bemerkung „[I]f I had not learned to play many of the mbiras described
here [...]” (1972:85).
26 Vgl. allerdings seine Bemerkung zur Verwendung des Begriffs ‚tonic’ (A. Tracey 1970 a:42).
27 Da A. Tracey von einem äquidistanten Tonsystem ausgeht, handelt es sich bei Rückungen um Transpositionen. S. dazu
das folgende Kapitel.
28 Vgl. z. B. A. Tracey 1989:52.
29 Vgl. A. Tracey 1970 b:12 über verschiedene Arten, Nyamaropa zu hören.
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Literatur zur harmonischen Struktur
‚A-Typ’ = Start auf dem sechsten Akkord, also:
ACF ADF ACE GCE
=
A-Typ in A
136 146 135 735
transponiert auf z. B. C:
CEA CFA CEG HEG
136 146 135 735
=
A-Typ in C
Hört man letztere Sequenz dagegen z. B. bezogen auf E ergibt sich für die gleiche Progression die Bezeichnung C-Typ in E (vgl. A. Tracey 1991:93): [27]
EGH EGC EAC FAC
135 136 146 246
=
C-Typ in E
Für das gleiche Stück ergeben sich also völlig verschiedene mögliche Zuordnungen: Dande wäre
z. B. entweder ein ‚A-Typ in C’ oder ‚C-Typ in E’, Nyamaropa entweder ‚C-Typ in G’ oder ‚F-Typ in C’. 30
Damit wird der Sachverhalt aber gewissermaßen ‚von hinten aufgezäumt’. Statt etwa von ‚A-Typ in C’
zu sprechen, ist analytisch gesehen gegenüber der Tracey’schen ‚Typisierung’ vorrangig, welche
Akkorde die Sequenz überhaupt enthält, d. h. auf welche Stufe die Standardsequenz gegebenenfalls
verschoben ist, da dies die variablen Hörweisen sozusagen mit umfasst, ohne zunächst darüber eine
Aussage erforderlich zu machen. Um dieses terminologische – und analytische – Wirrwarr zu vermeiden, wird in Kapitel 3 ein Modell vorgeschlagen, das die verschiedenen Aspekte in eine analytische
Hierarchie bringt.
In seiner bereits oben erwähnten Abhandlung Chipendani und Mbira. Musikinstrumente, nichtbegriffliche Mathematik und die Evolution der harmonischen Progressionen in der Musik der Shona in
Zimbabwe stellt Klaus-Peter Brenner unter besonderer Berücksichtigung (ethno-)mathematischer
Aspekte umfassend die Symmetrien und die Zahlenhaftigkeit der Standardprogression dar. Dabei
kommen sowohl ihre Verschiebung auf alle Stufen, die er als „modal-shift-Verfahren“ bezeichnet, als
auch die möglichen zeitlichen Permutationsformen zur [28] Sprache (Brenner 1997). Auf eine Diskussion der mathematischen Implikationen des harmonischen Systems der Shona-Musik kann daher im
Folgenden weitgehend verzichtet werden. 31
30 Die Tonbezeichnungen richten sich hier nach A. Traceys Nomenklatur mit G als tiefstem mbira-Ton.
31 In einem kürzlich erschienenen Aufsatz hat sich auch Martin Scherzinger mit der Struktur der mbira-Musik befasst
(2001). Ohne dass er Brenners Arbeit als Quelle nennt, ergeben sich doch erstaunliche Parallelen in den mathematischen
Analysen sowie ihrer graphischen Darstellung (vgl. z. B. Brenner S. 113 ff. mit Scherzinger S. 60-62). Erstaunlich ist ferner die
Übereinstimmung im Wortlaut zwischen folgender, aus Brenners englischer Zusammenfassung stammender Passage und
Scherzingers Text. Brenner: „[...] this approach shows the extent to which African music is not only a context-bound carrier
of function and meaning [...]” (1997:374). Scherzinger: „[...] it is worth remembering that music is not only a context-bound
carrier of meaning and function [...]“ (2001:45). Eine Stellungnahme Scherzingers ist für Heft 41 (1) der Zeitschrift
Perspectives of New Music vorgesehen.
[29] Kapitel 2
Obertöne und elastische Skalen:
Zur Interpretation des Tonsystems im Licht der mbira-Stimmungen
Bevor wir uns näher mit der Darstellung der harmonischen Struktur der mbira-Stücke beschäftigen können, ist eine Klärung der Frage erforderlich, welchen Charakter die Stimmung der Instrumente aufweist und welche Schlussfolgerungen auf das zugrunde liegende Tonsystem sich daraus
ergeben. Ist das in den konkreten mbira-Stimmungen sich manifestierende Tonsystem als ein äquidistantes anzusprechen oder nicht? Wenn die von Tracey als Standardsequenz bezeichnete Akkordfolge
tatsächlich der Heptatonik der maShona entsprechend in sieben Erscheinungsformen auftreten kann,
was in der Tat der Fall ist, dann fragt sich natürlich, ob es sich bei diesen Verschiebungen um Transpositionen handelt oder ob sie modalen Charakter haben. Während bei einer Transposition die Intervallverhältnisse ja unverändert bleiben, was im vorliegenden Fall also eine prinzipielle Äquidistanz
der Schritte voraussetzen würde, sind Modi in der Regel 1 durch eine jeweils spezifische Abfolge
unterschiedlich großer Intervalle charakterisiert, verbunden mit einer hierarchischen Gewichtung des
Tonvorrats, der für jeden Modus auf einen anderen Grundton bezogen wird.
In seiner Diskussion von ‚mode’ verweist Harold S. Powers neben dieser eher klassifikatorisch
orientierten Konnotation des Begriffs auch auf eine andere häufig mit ihm verbundene Perspektive,
nämlich die auf Phänomene wie rāga, maqām, dastgāh, pathet, etc., welche die Melodiebildung
steuern und bei denen das Verhältnis von Komposition und Improvisation ins Spiel kommt (Powers
1980). 2
Ein rāga in der karnatischen Musik Südindiens ist nicht nur an der Tonreihe mit ihrer spezifischen
Intervallstruktur, die er möglicherweise mit anderen teilt, sondern darüber hinaus u. a. an typischen
Melodiefiguren und Ornamenten [30] (gamaka) erkennbar (vgl. Kuckertz 1970). Hier liegt im Übrigen
insofern ein Sonderfall vor, als die verschiedenen Skalen mit ihren jeweiligen Tonvarietäten den einheimischen Vorstellungen gemäß über dem gleichen Grundton gebildet werden. Ein pathet im javanischen sléndro zeichnet sich u. a. durch jeweils spezifische melodische Formeln aus, Mantle Hood
nennt sie „cadential formulas“ (Hood 1988:40), und bleibt deshalb selbst dann identifizierbar, wenn
man sléndro eine deutlich stärker ausgeprägte Tendenz zur Äquidistanz zuschreibt als pélog-Stimmungen (Sorrell 1990:56), so dass die Differenzierung der Intervallstruktur hier eventuell nicht ins
Gewicht fällt. 3
Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht um solche melodischen Charakteristika einzelner Modi,
sondern um die Rückung einer harmonischen Progression. Ein potentiell modaler Charakter ließe sich
hier also wenn überhaupt nur an einer Differenzierung der Intervallgrößen und einer spezifischen
Anordnung dieser Schritte festmachen. Simha Arom spricht im Anschluss an Trân Van Khê von ‚Modalskalen’, wenn zwar Umkehrungen einer Tonleiter mit je spezifischer Anordnung der Intervalle in
der Oktave vorliegen, jedoch nicht alle Bedingungen für die Annahme eines Modalsystems wie
Vorhandensein eines individuellen Grundtons, hierarchische Organisation des Tonvorrats, usw. erfüllt
sind (Arom 1991 a:219).
1 S. u. zum javanischen sléndro.
2 Vgl. dazu auch Simon et al. 1997 und Powers et al. 2001.
3 Vgl. zur pathet-Bestimmung auch Schumacher in Simon et al. 1997 sowie Powers et al. 2001.
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Zur Interpretation des Tonsystems
Zur Frage der Äquidistanz
Bereits 1961 hatte A. Tracey von seinem Vater Hugh Tracey errechnete Durchschnittswerte für
mbira-Stimmungen der Shona publiziert (A. Tracey 1961:48), die er später wieder aufgriff und als
Basis einer Skala heranzog, die er als äquidistant bezeichnet, obwohl ihre konkreten Intervallgrößen
durchaus von dem rechnerischen Wert von 1200/7 = ca. 171 Cents abweichen:
„Zezuru mbira makers and players use a distinctive, well-defined scale, with only slight variations in different parts of the country. [...] It can be described as a seven-note scale, with all the intervals equal." (A. Tracey 1970 b:10)
[31]
Kauffman, der sich auch mit diesem Problem beschäftigt hat, zog dies in Zweifel und konstatierte
nach dem Vergleich mehrerer mbira-Stimmungen 4: „There is clearly a great range of pitch tolerance
in these instruments.“ (Kauffman 1970:86). Diese Ansicht bekräftigt Berliner:
„In comparing the mbira of five well-known musicians with whom I worked in Zimbabwe, considerable variation was found in the size of corresponding intervals from one mbira dzavadzimu to another”. (Berliner
1981:63) Weiter stellt er fest: „While the basic relationships among the melodic/rhythmic phrases of the
pieces remain approximately the same, the compositions take on a different character.” (ebd.:70)
Er demonstriert dies an Hand der Bandbreite möglicher Klangrealisationen des gleichen Abschnitts von Nyamaropa. Zudem weist er auf unterschiedliche Lagen der Instrumente hinsichtlich
ihrer absoluten Tonhöhen hin. 5
In einer neueren Publikation ist auch A. Tracey etwas von seiner These einer eindeutig äquidistanten Heptatonik abgerückt, wenn er schreibt: „Shona tuning is not really equispaced, although it
has some tendencies that way“. (A. Tracey 1989:51)
Aus seiner Hypothese eines tonal-harmonischen Khoisan-Erbes bei einer Reihe benachbarter
Musikkulturen (darunter die der Shona) folgert Kubik:
„Andere Theorien, besonders jene, dass die genannten Bantu-sprachigen Populationen [-Shona, -Nsenga, Lala, u. a.; G. G.] primär ein äquiheptatonisches System besitzen, wie durch Stroboconn-Messungen von
mbira-Stimmungen suggeriert wird [...], werden dadurch obsolet. Die charakteristische Shona-Akkordsequenz entsteht nicht aus äquiheptatonischen Vorstellungen.“ (Kubik 1987:169)
Hier erhebt sich zunächst die grundsätzliche Frage, auf welche Weise diese Werte ermittelt wurden bzw. wie sie überhaupt zu ermitteln sind. Während Kauffman von Schwierigkeiten bei stroboskopischen Messungen berichtet 6, sah Klaus Wachsmann offenbar keine Probleme darin, die Tonhöhen von Lamel[32]lophonen aus Uganda mit diesem Verfahren zu bestimmen. 7 Tracey und Berliner haben die Lamellen mit einem Satz Stimmgabeln verglichen bzw. vergleichen lassen, letzterer benutzte in einigen Fällen ein Oszilloskop. 8 Dass in Anbetracht der akustischen Eigenschaften
schwingender Metallzungen diese Verfahren zu verwertbaren Resultaten führen, ist von ihnen nicht
grundsätzlich angezweifelt worden.
4 Es handelte sich jedoch nicht um mbira dzavadzimu-Typen.
5 Für die tiefste Zunge gibt er einen Bereich von G bis C an (ebd.:62).
2
3
6 Kauffman 1970:83.
7 Vgl. Wachsmann 1967.
8 A. Tracey 1961:49; Berliner 1981:63-64.
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Zur Interpretation des Tonsystems
Exkurs zur Tonhöhenwahrnehmung bei Idiophonen
Vor allem Albrecht Schneider und Andreas Beurmann haben sich mit der methodischen Basis des Vorgehens bei Klängen mit nicht-harmonischen Teiltonspektren beschäftigt und dabei nicht nur Bedenken gegen die
Messung von Idiophonen mit Hilfe des Stroboconn angemeldet 9, sondern sich auch mehrfach zum Problemkreis Stimmung – Tonsystem – Messverfahren geäußert. 10
Um ihre Überlegungen adäquat diskutieren zu können, ist jedoch notwendig, kurz neuere Modelle zum
Verhältnis von Frequenz und Tonhöhe, also messtechnisch ermittelbaren Pegeln und der dadurch evozierten
gehörsmäßigen Wahrnehmung als psychoakustischem Vorgang, bei komplexen Spektren zu skizzieren.
Im Rahmen einer Untersuchung über die sog. ‚Schlagtonhöhe’ von Kirchenglocken und Methoden zu ihrer
auditiven und objektiven Bestimmung haben Ernst Terhardt und Martin Seewann auf neue Erkenntnisse der
Psychoakustik bezüglich der Tonhöhenwahrnehmung bei komplexen Klängen hingewiesen (Terhardt/Seewann
1984), die auch auf die hier diskutierten Lamellen mit ihren nicht-harmonischen, d. h. nicht auf ganzzahligen
Verhältnissen der Komponenten basierenden, Teiltonspektren anzuwenden sind. Folgende Punkte sind hier
von Bedeutung: [33]
1. Die Tonhöhenwahrnehmung kann an einen bestimmten Teilton geknüpft sein, der durch einen sog. ‚Pegelüberschuss’ 11 eine Spektraltonhöhe hervorruft. Dies wird als sog. ‚primäre’ Tonhöhenwahrnehmung
bezeichnet. Zusätzlich zu dem vom Pegelüberschuss abhängigen Grad der Hörbarkeit spielt allerdings auch die
absolute Teiltonfrequenz eine Rolle, da das Gehör Spektraltonhöhen im sog. ‚dominanten Frequenzbereich’, d.
h. etwa zwischen 500 bis 1500 Hz, bevorzugt. Darüber hinaus ist für die Beurteilung der Feinintonation von
Spektraltonhöhen das Phänomen der ‚Tonhöhenverschiebung’ zu berücksichtigen:
„Es besteht darin, dass die Spektraltonhöhe eines Teiltones fester Frequenz in gewissem Maße von dessen
Schallstärke und besonders von der Stärke benachbarter weiterer Teiltöne abhängt. Dieser Sachverhalt
kann auch so ausgedrückt werden, dass die tonhöhenäquivalente Frequenz nicht in allen Fällen identisch ist
mit der Teiltonfrequenz. [...] Die Tonhöhenverschiebungen zeigen bei allen Personen mit normalem Gehör
dieselben Grundtendenzen, können sich jedoch in ihrem Betrag von Person zu Person deutlich unterscheiden. Daraus ergibt sich, dass Intonationsmessungen, die durch Tonhöhenvergleich mit einem Bezugston
(beispielsweise einer Stimmgabel) vorgenommen werden, systematisch verschiedene Ergebnisse liefern
können, [...] ohne dass man sagen kann, dass ein Messergebnis ‚richtiger’ wäre als das andere.“ (ebd.:133)
2. Die Tonhöhenwahrnehmung kann darauf beruhen, dass einem komplexen Teiltonspektrum ein ‚Ton’, d.
h. eine einheitliche Tonhöhenwahrnehmung, zugeordnet wird, ohne dass sie auf einen entsprechenden vorherrschenden Teilton zurückgeführt werden könnte. Zur Bestimmung dieser sog. ‚virtuellen Tonhöhe’
„wird nach derjenigen Grundtonhöhe gesucht, welche dem ersten Teilton eines (hypothetischen) aus wahren Harmonischen aufgebauten Teiltonspektrums entspricht, derart, dass die tatsächlich vorhandenen
Teiltonhöhen als eine zufällige Auswahl dieser Harmonischen angegeben werden könnten.“ (ebd.:134)
Für die Feinintonation einer virtuellen Tonhöhe gilt ebenfalls das Prinzip der Tonhöhenverschiebung. In
der Praxis ist auch mit einer Kombination beider Phänomene zu rechnen. So führen die beiden Autoren bezüglich der von ihnen untersuchten Glockenklänge aus: [34]
„Die [...] tonalen Hörempfindungen setzen sich aus [...] Spektraltonhöhen einerseits und Virtuellen 12
Tonhöhen andererseits zusammen.“ (ebd.:134)
Zur auditiven Bestimmung der Schlagtonhöhe stellen sie fest,
9 Schneider/Beurmann 1991:196.
10 U. a. Schneider/Beurmann 1990, 1991, 1994.
11 Definiert als: „Differenz zwischen dem Schallpegel des betreffenden Teiltones und demjenigen Schallpegel, welcher der
maskierenden Wirkung aller übrigen Teiltöne bzw. Geräuschanteile entspricht“. (ebd.:132-133)
12 Im Original großgeschrieben.
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Zur Interpretation des Tonsystems
„dass es illusorisch ist, zuverlässige und repräsentative Angaben über die Schlagtonhöhe mit einer Genauigkeit von wenigen Cent machen zu wollen. Die Kennzeichnung der musikalischen Tonkategorie (das heißt,
der ‚Grobintonation’ mit Halbtongenauigkeit) und der Tendenz möglicher Abweichungen von der Normalstimmung (das heißt, der ‚Feinintonation’) erscheinen als das optimal Erreichbare. Dies schließt nicht aus,
dass ein einzelner geübter Beobachter [Hörer!, G. G.] eine höhere Genauigkeit reproduzierbarer Tonhöhenbestimmungen erreichen kann.“ (ebd.:139)
Gerade in früheren Beiträgen (1990, 1991) haben Schneider und Beurmann die oben erwähnte Wahrnehmung einer einheitlichen Tonhöhe bei komplexen Klängen angezweifelt. So lehnen sie für Instrumente mit
solchen Spektren (Sie nennen speziell Xylophone und Metallophone.) das Verfahren des auditiven Vergleichs
der vom Instrument produzierten Tonhöhenwahrnehmung mit einem Referenzton ohne komplexe Wellenform
(z. B. Stimmpfeife, Stimmgabel, Sinuston) als „Vergleichen inkommensurabler Größen“ ab. 13 Diese Methode
hat jedoch schon darin ihre Berechtigung 14, dass es ja gerade darum geht festzustellen, welche (einheitliche)
Tonhöhenwahrnehmung sich aus einem solchen komplexen Spektrum ergibt: Eine Mehrdeutigkeit hinsichtlich
der tonalen Zuordnung eines solchen Klanges zur Stufe eines Tonsystems kann wohl auch in den Musikkulturen, die diese Instrumente verwenden, nicht generell als erwünscht oder auch nur tolerabel betrachtet werden.
So werden in Madagaskar bei tatsächlicher Ambiguität des Klangresultats entsprechende Xylophonplatten als
unvollkommen angesehen. 15 Andererseits berichtet Kubik von genau diesem mehrdeutigen Klangeindruck bei
einem Xylophon aus Uganda, der in diesem Fall offenbar intrakulturell zumindest als akzeptabel – wenn nicht
gar erwünscht – bewertet wurde. 16 Der umgekehrte Vorgang, nämlich das Stimmen eines solchen Xylophons
nach Flötentönen, ist übrigens in dem Bericht von [35] Schneider und Beurmann über dessen Bau beschrieben 17, was wiederum für die einheitliche Tonhöhenwahrnehmung auch bei diesen Xylophonen spricht. 18
Die von den beiden Genannten als Einwände gegen stroboskopische Messungen an Metallophonen und
Xylophonen postulierten Klangcharakteristika solcher Instrumente können außerdem nicht für Idiophone
generell geltend gemacht werden. Lamellophone beispielsweise tendieren nicht grundsätzlich zu
„sehr kurzen und wenig harmonischen Klängen [, so dass sie] weder einfach zu stimmen noch [...] zuverlässig in ihrer ‚Frequenz’ [...] zu messen sind“. 19
Während Schneider und Beurmann davon ausgehen, dass
„hier die tatsächlich gemessenen Spektren durchweg inharmonisch bzw. unter günstigen Umständen teilharmonisch ausfallen [was nicht zu bestreiten ist, G. G.] und der Tonhöheneindruck resp. die ‚Tonhöhe’ solcher Stimuli weder durch eine wie auch immer geartete ‚Grundfrequenz’ bestimmt noch überhaupt eindeutig im Sinne etwa eines Sinustons oder dergl.“
seien 20, wird hier weder die mögliche Existenz einer Spektraltonhöhe berücksichtigt, noch kann man die
Mehrdeutigkeit der Tonhöhenwahrnehmung verallgemeinern. Dabei weisen sie an anderer Stelle selbst auf die
Möglichkeit hin,
„dass der afrikanische Instrumentenbauer/Musiker solche Klänge als ‚einheitlich’ empfinden und bewerten
mag“. 21
13 Vgl. Schneider/Beurmann 1991:191.
14 Darauf hat bereits August Schmidhofer zu Recht hingewiesen (1994:330-331).
15 Ebd.
16 Vgl. z. B. Kubik 1983 b:369-370.
17 Schneider/Beurmann 1990:509.
18 Vgl. das weiter unten angesprochene Stimmen einer mbira-Lamelle mit Hilfe einer europäischen Stimmpfeife.
19 Schneider/Beurmann 1991:207.
20 Schneider/Beurmann 1991:197; ähnlich 1990:495.
21 Schneider/Beurmann 1991:208; ebenso 1990:495, 520. Vgl. auch das oben erwähnte Stimmen eines Xylophons an Hand
einer Flöte, wo genau diese Abstraktion von der konkreten Klangfarbe erforderlich ist. Ähnlich argumentiert Schmidhofer
(1994).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur Interpretation des Tonsystems
Obwohl sie selber für die Einbeziehung solcher emischer Intentionen plädieren (z. B. 1991:194), wurde
dieser Gesichtspunkt von ihnen zunächst nicht weiter verfolgt. Erst die Einbeziehung der Ergebnisse Terhardts
und Seewanns (s. o.), die es erforderlich machten, die einheitliche Tonhöhenwahrnehmung bei Idiophonen neu
zu überdenken, ergab schließlich, dass zwischen der emischen Beurteilung dieser Klänge und ihrer akustischen
Analyse kein Widerspruch bestehen muss. So schreiben Schneider und Beurmann in einem neueren Beitrag:
[36] „[D]as Gehörsorgan [muss] in der Lage sein, aus der spektralen Information auch bei inharmonischen
Klängen den pitch (bei sehr mehrdeutigen Klängen evtl. mehrere mögliche Tonhöhen) zu bestimmen.“
(Schneider/Beurmann 1994:54)
Wenn also eine einheitliche Tonhöhenwahrnehmung bei Idiophonen grundsätzlich möglich zu sein scheint,
bleibt die Frage, welche Folgen die Nichtharmonizität des Spektrums auf das Hören hat.
***
Rückungen als Transpositionen oder als Modalverschiebungen? – Messergebnisse und klangästhetische Gesichtspunkte
August Schmidhofers Messungen an madegassischen Xylophonen haben ergeben, dass dort der
tiefste Teilton im Spektrum tonhöhenbestimmend ist, wobei jedoch seine Versuche zeigen, dass die
Nichtharmonizität des Spektrums die Tonhöhenwahrnehmung hier insgesamt verunsichert und zu
Abweichungen zwischen der Frequenz des entsprechenden Teiltons und der tonhöhenäquivalenten
Frequenz führen kann (Schmidhofer 1994). Die dort angesprochene Frage, inwieweit intrakulturell
eine Tonhöhenambiguität der einzelnen Klangerzeuger erwünscht ist – was er für sein Material ja
verneint – ist auch für die mbira-Lamellen relevant. Wir werden unten darauf zurückkommen.
Ausgehend von seinen eigenen praktischen Erfahrungen mit Lamellophonen hat sich A. Tracey
bereits früh zu den Klangeigenschaften der Zungen geäußert. So führt er über tief gestimmte Lamellophone aus:
„[T]he fundamentals of the deeper notes can often hardly be heard at all, and [...] in many cases the maker
has tuned them so that the prominent overtone, rather than the fundamental, gives the note desired. [...
E]ven in cases where the fundamental is correctly tuned, the overtone is often wildly discordant, commonly, but not always, being about two octaves and a third above the fundamental.” (A. Tracey 1969:99) 22
[37] Die verschiedenen Lamellophone in Zimbabwe und den angrenzenden Ländern lassen sich jedoch nach Tracey hinsichtlich der Beschaffenheit ihrer Lamellen grob in zwei Gruppen einteilen:
„Whereas the mbira dza vadzimu, mbila deza and njari of the highlands are made with broad, heavy reeds,
the mbiras of the valley, including the karimba, hera, nyonganyonga, lowland njari and mana embudzi have
thin, narrow, tapering reeds whose overtones sound much louder in relation to the fundamental.” (A. Tracey 1972:97)
Bei der mbira dzavadzimu ist also seiner Erfahrung nach mit deutlich ausgeprägten tiefsten Teiltönen zu rechnen. Um genauere Aussagen über Stimmung und Klang verschiedener mbira dzavadzimu-Instrumente – so wie sie rezent gebaut und gespielt werden – machen zu können, wurden fünf
einer spektralen Analyse unterzogen. Dabei handelt es sich um zwei mbiras, die von Ch. Mhlanga
gebaut wurden, eine davon für V. Mukwesha, drei wurden von Fr. Mujuru angefertigt. Davon kopiert
eine die Stimmung der mbiras von Mhlanga, eine liefert ein Beispiel für die von ihm und seiner Familie meistens verwendete Stimmung (Dambatsoko-Stimmung) und die dritte weist die sog. gandanga22 Vgl. Berliner 1981:69, der für die Lamelle B1 ebenfalls über das Vorhandensein eines auf die Quinte oder Terz gestimmten Teiltons zwei Oktaven über dem tonhöhenbestimmenden Teilton berichtet.
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Zur Interpretation des Tonsystems
Stimmung auf (s. dazu unten). Es sollte geprüft werden, inwieweit sich Tonhöhenwahrnehmungen
bestimmten Teiltönen als Spektral- oder virtuelle Tonhöhen zuordnen lassen und mit welchen
Stimmtoleranzen zu rechnen ist. Bezüglich der konkreten Stimmungen einzelner Musiker (-familien)
bzw. Instrumentenbauer ließen sich darüber hinaus umfangreiche Untersuchungen anstellen, die
Aussagen über darin sich manifestierende emische Vorstellungen zur individuellen Klangästhetik 23
erlauben könnten. 24 Dies muss einem zukünftigen Forschungsprojekt vorbehalten bleiben.
Im ersten Schritt wurden von drei Versuchspersonen mittels eines auditiven Vergleichs zwischen
der auf DAT 25 aufgenommenen jeweiligen Lamelle und [38] dem Sinus- oder Rechtecksignal 26 eines
Tongenerators die tonhöhenäquivalenten Frequenzen bestimmt. Die DAT-Aufnahmen wurden dann
auf die Festplatte eines Computers übertragen und mit Hilfe des Programms SoundScope/16 (Version
1.27 für Apple Macintosh) ausgewertet. 27 Für die Messungen wurden die Instrumente ohne Resonator und mit abgeklebten Rasselkörpern gespielt und per Kontaktmikrophon aufgezeichnet, um zusätzliche Geräuschkomponenten auszuschließen.
Bezüglich der Relation zwischen Tonhöhenwahrnehmung und Spektrum lassen sich die Ergebnisse folgendermaßen zusammenfassen:
1. Im Bereich der tonhöhenäquivalenten Frequenz der auditiv bestimmten Tonhöhe findet sich in der
Regel ein deutlich ausgeprägter Teilton, der jedoch nicht immer den höchsten Pegel im Spektrum
aufweist.
2. Es handelt sich meistens um den tiefsten Teilton im Spektrum, wenn nicht, sind die tieferen deutlich schwächer ausgeprägt (Abstand meist > 20 dB), so dass man eine Maskierung annehmen kann.
3. Es liegen hier also in der Regel Spektraltonhöhen vor mit einer Differenz zwischen der Frequenz
des relevanten Teiltons und der auditiv ermittelten tonhöhenäquivalenten Frequenz, die nur in
seltenen Fällen bis zu 20 Cents beträgt, normalerweise deutlich weniger. 28
4. In Ausnahmefällen kommt es vor, dass mehrere Spitzen etwa gleichen Pegels vorhanden sind oder
dass höhere Teiltöne eine virtuelle Tonhöhe in der Nähe einer Spektraltonhöhe ergeben, so dass
Spektral- und virtuelle Tonhöhe in der Tonhöhenwahrnehmung miteinander konkurrieren, was sich
in – teilweise deutlichen – Tonhöhenverschiebungen äußert. Dieses Phänomen führt speziell im BManual in einigen Fällen zu Differenzen von 30 Cents und mehr. [39]
5. Wie die Messungen zeigen, verweist Tracey zu Recht auf einen charakteristischen Klangeffekt im
Zusammenhang mit höheren Teiltönen:
„As the first overtone of an mbira reed is approximately two octaves up from the fundamental, this causes
the sound of the 'deep' 29 notes to intermingle at the same pitch with other, higher ranks on the instrument,
an effect apparently much desired by musicians in this part of Africa.” (A. Tracey 1972:97)
Die Existenz eines im Bereich von etwas mehr als zwei Oktaven über dem tonhöhenbestimmenden liegenden weiteren Teiltons, der auf Grund seines Pegelüberschusses deutlich hervortritt, lässt
23 Zum Thema Musikästhetik in der Ethnomusikologie vgl. Allgayer-Kaufmann 1996.
24 Auch bezüglich der unterschiedlichen Stimmpraxis einzelner mbira-Bauer sind Messungen nützlich. So zeigt sich
beispielsweise, dass Fr. Mujuru die Prim L7 – R3 bei allen drei Exemplaren ‚exakt’ gestimmt hat, nicht dagegen die Prim L6 –
R2.
25 Digital Audio Tape.
26 Beides wurde verwendet.
27 Die 1994 durchgeführte FFT lieferte Werte im Abstand von rund 2,7 Hz. Vgl. dazu Deutsch 1994.
28 Auf Grund dieses Ergebnisses wurde darauf verzichtet, mit einer größeren Zahl von Versuchspersonen eine auditive
Bestimmung der Tonhöhen durchzuführen.
29 Hier bei Tracey in Anführungszeichen, da man in den betreffenden Sprachen meist das Konzept ‚groß’ im Gegensatz zu
‚klein’ = ‚hoch’ findet (vgl. Kubik 1985).
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Zur Interpretation des Tonsystems
sich an zahlreichen Beispielen belegen, jedoch keinesfalls bei allen Zungen. Die Auswertung der
vorliegenden Spektrogramme zeigt, dass es sich dabei aber nicht unbedingt um den zweiten Teilton
im Spektrum handeln muss, wie Tracey behauptet. Der dominante Frequenzbereich und natürlich
das Phänomen der Maskierung von Komponenten mit relativ niedrigeren Pegeln sind entscheidend
dafür, welcher zusätzliche höhere Teilton auditiv hervortritt. Es wurden u. a. folgende Intervalle in
Bezug zum tonhöhenbestimmenden Teilton festgestellt: zwei Oktaven (– ca. 20 Cents), zwei Oktaven
+ Ganzton (ca. 220 Cents), zwei Oktaven + kleine Terz (ca. 270 Cents), zwei Oktaven + große Terz (ca.
420 Cents), zwei Oktaven + Quarte (ca. 530 Cents), zwei Oktaven + Quinte (ca. 738 Cents).
6. Teilweise schwingen benachbarte Lamellen auf Grund der akustischen Kopplung mit, die dann jedoch pegelmäßig deutlich schwächer ausgeprägt sind.
In Anbetracht dieser Ergebnisse kann also im Regelfall der tiefste nicht-maskierte (d. h. mit ausreichendem Pegel enthaltene) Teilton als der für die Tonhöhenempfindung und damit die Stimmung
des Instruments relevante gelten, wenn auch eine Tonhöhenverschiebung speziell bei den tieferen
Lamellen einzukalkulieren ist, da hier offensichtlich öfter andere Komponenten die Wahrnehmung
beeinflussen. Das Problem der Verunsicherung der Tonhöhenwahrnehmung auf Grund nahe beieinander liegender Spitzen oder höherer Spektralanteile gilt dementsprechend bei der mbira wohl in
erster Linie für die tiefen Lamellen, für höhere nur, wenn sie – nach einheimischen Kriterien – [40]
‚schlecht’ angefertigt sind. Die von mir befragten Instrumentenbauer (Mhlanga und Mujuru) sprachen selber ausdrücklich von einem „clear sound“, den sie beim Bearbeiten der Lamellen anstreben.
Es wurde darauf verzichtet, die – ohnehin intersubjektiv unterschiedliche (s. o. Terhardt/Seewann) –
Größe der Tonhöhenverschiebung experimentell mit einer größeren Zahl von Versuchspersonen zu
ermitteln, da dieses Phänomen im Wesentlichen auf einen abgrenzbaren Bereich des Instruments
beschränkt und selbst hier nicht die Regel ist. Bei der Interpretation der Daten wurde dem dadurch
Rechnung getragen, dass diese sich in erster Linie auf die beiden höheren Oktaven stützt.
Der mbira-Bauer und Musiker Ch. Mhlanga bestätigte, dass die tiefe Lage unklare Klänge produzieren kann, indem er darauf hinwies, er empfehle Anfängern zum Erlernen ein besonders hoch gestimmtes Instrument, weil es noch mehr als die üblichen den besagten „clear sound“ produziere, so
dass man alles genau höre (vgl. dazu die Angaben zur absoluten Tonhöhe weiter unten). Er selber
orientiert sich beim Stimmen eines neuen Instruments wie auch bei anderen mbira-Herstellern üblich
an einem bereits vorliegenden, dessen Stimmung als Modell dient, wobei er für das B-Manual, also
die tiefen Zungen, oft die eine Oktave höheren im L-Manual des Modells als Referenz benutzt. Für
den Vergleich der Lage verschiedener Instrumente (absolute Tonhöhen) spielte er regelmäßig die
Zunge L1, sozusagen der Stimmton der Instrumente unabhängig von den sonstigen internen Intervallgrößen. Um für Musiker, die in zimbabwischen Popularmusikensembles mit westlichem Instrumentarium zusammenspielen, oder für ausländische (z. B. US-amerikanische) Kunden die ‚Tonart’ („key“)
festzulegen, bediente er sich einer europäischen Stimmpfeife, deren Ton er mit dem von L1 verglich.
Die emische Bedeutung dieser Lamelle wird auch durch Berliners Beobachtungen bestätigt (1981:58).
Interessant ist hier jedenfalls, dass der Instrumentenbauer nicht etwa die tiefste Lamelle zur
Orientierung verwendet, sondern die gleiche Stufe eine Oktave höher. In ihrer Funktion entspricht sie
dem als hombe bezeichneten Zentral- oder Stimmton der timbila-Xylophone bei den Chopi in Mozambique (vgl. H. Tracey 1970). Aus den Abstimmvorgängen beim Instrumentenbau ergibt sich jedenfalls eindeutig, dass die einzelnen Lamellen emisch gesehen je eine der sieben Stufen einer heptatonischen Skala repräsentieren. Die konkrete Intonation einzelner Lamellen [41] je nach Oktavlage
tangiert nicht ihre funktionale Identität (s. dazu den Stimmplan S. 89).
Wir können nun die eingangs gestellte Frage nach der Äquidistanz weiterverfolgen. Dabei sollten
Messergebnisse nicht losgelöst von emischen Konzepten betrachtet werden, die einerseits verbalen
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Informationen der Musiker zu entnehmen, andererseits aus der musikalischen Struktur zu rekonstruieren sind. Kubik betont in diesem Zusammenhang:
„Es kann dadurch [durch sehr genaue Messergebnisse, G. G.] leicht der Fall eintreten, dass der Forscher
bestimmten Schwankungen in den Centswerten eine Bedeutung einräumt, die sie nicht besitzen, weil sie
innerhalb der akzeptierten Toleranzspanne des betreffenden Musikers oder des betreffenden Musiksystems fallen.“ (Kubik 1987:148)
A. M. Jones plädierte im Rahmen seiner Diskussion äquidistanter Skalen für einen pauschalen Betrag von ± 20 Cents (Jones 1964:30). Diese intrakulturelle Toleranzspanne ist hier nur an Hand eines
sehr kleinen Samples von fünf mbiras untersucht und mit Berliners Daten sowie Traceys Durchschnittswerten verglichen worden. Nach den obigen Ausführungen zum Verhältnis von Teiltonfrequenzen, Tonhöhenwahrnehmung und Messmethoden dürften die von ihnen angewandten Verfahren (auditiver Vergleich per Stimmgabel bzw. Frequenzmessung per Oszilloskop und Frequenzzähler)
– selbst wenn man in Einzelfällen gewisse Ungenauigkeiten auf Grund von Tonhöhenverschiebungen
annimmt – zumindest für die mittlere und hohe Oktave durchaus zu verwertbaren Angaben geführt
haben. Dabei gehe ich davon aus, dass auch bei den von Berliner und H. bzw. A. Tracey ausgewerteten Instrumenten beim Anfertigen der Zungen das gleiche Klangideal realisiert worden ist, das in der
oben zitierten Aussage der Instrumentenbauer zum Ausdruck kommt und sich bei den fünf hier untersuchten Exemplaren manifestiert hat, nämlich: tonal eindeutig einer bestimmten heptatonischen
Stufe zuzuordnende Klänge.
Die Messergebnisse lassen eine klare Differenzierung der Größe von Stufenschritten in zwei Kategorien (groß und klein) nicht zu. Es besteht die Tendenz zu [42] einem kleineren Intervall zwischen
der dritten und vierten Stufe (bezogen auf L1 bzw. R2 und L6 als erste Stufe), da kumulativ die dritte
Stufe im Bereich einer neutralen Terz liegt, ergibt sich jedoch kein Halbtonschritt. Zudem divergieren
die verschiedenen Instrumente. Eine Polarisierung oder Fokussierung auf zwei Schwerpunkte in der
Verteilung liegt jedenfalls nicht vor, die überwiegende Mehrzahl der Sekundschritte bewegt sich im
Bereich von etwa 170 ± 30 bis 40 Cents, also tatsächlich um eine idealtypische äquidistante Sekunde
herum.
Vergleicht man, wie innerhalb eines Instruments eine Stufe in den verschiedenen Oktaven realisiert wird, ergibt sich vor allem für die zweite und dritte Stufe eine Toleranzspanne bis zur Größenordnung eines Halbtons. Bei der sechsten und anderen sind ebenfalls Abweichungen – wenn auch in
geringerem Maße – festzustellen. Für die einzelnen Stufen ergibt sich im Vergleich mit Intervallgrößen auf der Basis von 100-Cents-Schritten kumulativ folgendes Bild 30:
zweite Stufe:
dritte Stufe:
vierte Stufe:
fünfte Stufe:
sechste Stufe:
siebte Stufe:
zwischen zu großem Halbton und zu großem Ganzton
zwischen kleiner und großer Terz
zwischen zu kleiner und übermäßiger Quarte
pendelt um die Quinte
zwischen kleiner und großer Sexte
zwischen jeweils zu kleiner kleiner und großer Septim
Als Europäer hört man sich eine solche Reihe gewöhnlich als C- oder – häufiger – als G-Modus
mit labiler dritter und siebter Stufe zurecht. Systematische Ausgleichsvorgänge dergestalt, dass relativ stabile Rahmenintervalle durch Schritte so geteilt werden, dass die Verkleinerung eines oder
mehrerer Binnenintervalle durch Vergrößerung anderer kompensiert wird und so die Größe des
30 Die Beschreibung der Intervalle als „zu groß“ oder „zu klein“ dient hier nur der leichteren Verständigung und impliziert
kein ‚Defizit’ der Stimmung.
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Rahmenintervalls erhalten bleibt 31, finden offenbar nicht statt. Dies ist [43] nicht einmal bei allen
Oktaven der Fall, die zwar in ihrer Mehrzahl um 1200 Cents liegen, jedoch nach oben und unten
streuen.32 Auch Primen ergeben kein einheitliches Bild: Sie sind wie Oktaven allenfalls geeignet, einen Eindruck von der Stimmungs-‚Konsistenz’ einer mbira zu liefern und damit das Klangideal des
Herstellers bzw. Musikers zu charakterisieren.
Insgesamt gesehen sind sowohl innerhalb der Stimmung einer mbira als auch im Vergleich mehrerer Instrumente Toleranzen üblich, die unterschiedlich große Intervallschritte und Stufenrealisationen zur Folge haben, ohne dass dies zu einer erkennbaren Differenzierung im Sinne verschiedener
diatonischer Skalen führen würde. Im Vergleich der Stimmungen verschiedener Hersteller fällt als
erstes die unterschiedliche absolute Tonhöhe der Instrumente bei ähnlichen oder gleichen internen
Intervallrelationen auf (s. o. Berliner). Bei Mhlanga waren während des Zeitraums meiner Feldforschungen zwei in Gebrauch: eine mit L1 bei 226 Hz (etwa A3) und eine höhere mit L1 bei 269 Hz (etwa
C3), die er speziell für Anfänger empfiehlt (s. o.). Im Falle der letzteren sind wegen der kürzeren Zungen die Instrumente auch kleiner und leichter transportabel. Bei der Mujuru-Familie lag eine Stimmung etwas mehr als eine kleine Terz unter Mhlangas Standardstimmung (L1 bei 185 Hz), und die
sog. Dambatsoko-Stimmung gilt mit L1 bei 161 Hz, also noch etwa einem Ganzton darunter, als besonders tief.
Über die sog. gandanga-Stimmung 33, die sich verglichen mit den im untersuchten Material
verwendeten Stimmungen durch eine tendenziell niedrigere zweite und dritte Stufe auszeichnet und
damit für einen Europäer den Eindruck eines E-Modus erweckt, heißt es, einige Stücke klängen auf
einer so gestimmten mbira nicht so gut, teilweise gebe es sogar extra modifizierte Versionen mancher [44] Stücke. Andererseits werden zahlreiche gängige Stücke als ohne weiteres (d. h. ohne Änderung) auf einer gandanga mbira spielbar bezeichnet, manche Musiker sagten sogar, man könne
sämtliche Stücke darauf unverändert spielen. Soweit festzustellen war, handelt es sich nicht um eine
Stimmung mit einem deutlich abgrenzbaren eigenen Repertoire, sondern eher um eine der vielen
möglichen Ausprägungen, deren spezieller Klangcharakter genauso einer ästhetischen Wertung von
Seiten des Musikers unterliegt wie irgendeine andere. Es gab in der Frage der Bewertung und Verwendbarkeit dieser Stimmung keinen Konsens unter den von mir befragten Musikern.
Wie ein Vergleich mit den bei Berliner aufgelisteten Stimmungen zeigt, gibt es abgesehen von
der angesprochenen Tendenz keine klare Abgrenzung zwischen der gandanga- und anderen Stimmungen. Die Aussage, bestimmte Stücke klängen gut bzw. schlecht, ist letztlich auf alle vorliegenden
Stimmungen anzuwenden, da sie von den persönlichen Klangvorstellungen der Musiker abhängen,
die sich für oder gegen eine bestimmte Stimmung entscheiden (s. dazu unten). Nach meiner Erfahrung werden die von anderen Herstellern angefertigten mbiras ohnehin häufig wegen bestimmter
‚Unzulänglichkeiten’ kritisiert, sei es wegen ihrer Stimmung insgesamt, sei es in Bezug auf den Klang
einzelner Lamellen. Sicherlich ist dies auch ein Hinweis auf die eigene Kunstfertigkeit im mbira-Bau.
Dieser subjektive Aspekt der Beurteilung des Gesamtklangs einer mbira geht dabei einher mit der
Beibehaltung der Bewegungsabläufe eines Stückes, die entsprechend unterschiedliche Klangrealisationen zur Folge haben. 34
31 Vgl. z. B. Kubik 1980, Schneider/Beurmann 1990.
32 Vgl. dazu Berliner 1981:68.
33 Sonst bezeichnen Namen für Stimmungen, so überhaupt vorhanden, den Instrumentenbauer, mit dem sie identifiziert
werden (Mhlanga), oder die regionale Herkunft (Dambatsoko). Den Ausdruck gandanga – teilweise auch im Plural, also
magandanga, verwendet – übersetzte Fr. Mujuru mit dem englischen „rebel“ (Hannan gibt als Bedeutung u. a. „wild, savage person“ an.). Er sprach von gandanga tuning, gandanga mbira oder auch mbira dzamagandanga. Diese Stimmung soll
ihm zufolge erst ungefähr seit den 1970er Jahren bekannt sein.
34 Vgl. das oben angeführte Beispiel Nyamaropa bei Berliner.
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Zur Interpretation des Tonsystems
Der Vergleich der Daten mit Traceys Durchschnittswerten 35 erbringt keine signifikanten Ergebnisse. Als nahe liegende Folgerung nicht nur aus der Kubik’schen These von der Ableitung des Tonsystems aus kombinierten Teiltonschichtungen, sondern vor allem aus Brenners Darlegungen zur Evolution der harmonischen Progressionen wäre zu erwarten, dass die Intervalle von der Größe her zu
denen der entsprechenden Teiltonabstände über angenommenen Grundtönen tendieren sollten. Am
vorliegenden Material ist diese Hypothese jedoch nicht zu belegen. Unabhängig von diachronen, evolutionären Deutungen muss [45] man für die rezente Praxis von Toleranzen bis zu etwa 100 Cents als
Bandbreite einer Stufe ausgehen.
Wie sieht es diesbezüglich in anderen subsaharischen Musikkulturen aus? Kubik berichtet über
likembe- (Lamellophon-) Stimmungen in Angola:
„He [der Musiker Kufuna Kandonga, G. G.] always tuned his instrument to the same hexatonic scale, though
with certain objectively measurable fluctuations in the intervals. These fluctuations, however, occurred
within a clearly delimited margin of tolerance that was intra-culturally acceptable to him.” (Kubik 1980:80)
Die dort ferner beschriebene Tendenz, einen Kompromiss zwischen einem nicht-modalen,
äquiheptatonischen System und der Intonation von Zusammenklängen in Richtung auf Intervalle aus
der Naturtonreihe zu finden (ebd.:85-87), käme auch für die mbira-Musik in Betracht. Allerdings weisen nicht nur verschiedene Instrumente im Vergleich, sondern bereits die drei Oktaven einer mbira
teilweise beträchtliche Toleranzen hinsichtlich der Intervallgrößen auf.
Wim van Zanten hat sich mit der Frage äquidistanter Heptatonik versus Modalsystem im Zusammenhang mit der Musik der aSena in Malawi beschäftigt:
„It seems that bangwe [Brettzither, G. G.] players and valimba [Xylophon, G. G.] players always start a particular song on the same note. They say, however, that one may start a song on any string or key, as long as
the song is playable on the instrument. If this is so, and if the interval between the consecutive notes of the
scale would not be the same throughout the octave [emisch gesehen, G. G.], this would mean that a song
could be played in different 'modes', depending on where it starts. The concept of 'mode', however, seems
not to occur in the Sena music. Therefore the statement that a song may begin on any note gives us a
strong indication that the scale Sena musicians use is equidistant. I shall assume that indeed the tuning
model is such as to achieve the same intervals between the seven notes within one octave. If so, how much
deviation from this model is there in the actual tuning [...]?” (van Zanten 1980:111-112) 36
Die hier beschriebene Rückung eines gesamten Stücks findet man auch in der mbira-Musik der
maShona. Die stufenweise Verschiebung der harmonischen Progression ist dabei nicht nur eine per
Analyse ermittelte Tatsache, sondern [46] auch emisch verankert. In Kapitel 6 werden wir an Beispielen sehen, wie ein Stück in verschiedenen Erscheinungsformen auftreten kann, die durch
Rückung entstehen. Dies wird meist durch Zusätze zum Titel des Stücks zum Ausdruck gebracht, die
sich auf die Lage der jeweiligen Fassung beziehen. So kann das Stück (Nyamaropa) Chipembere u. a.
als Chipembere chikuru (d. h. „groß“, also in tiefer Lage) oder Chipembere chidiki (d. h. „klein“, also in
höherer Lage) gespielt werden. Alternative Bezeichnungen dieses Sachverhalts sind die Ortsangaben
„unten“ (Chipembere chipasi) und „oben“ (Chipembere chipamu-soro). 37 Solche Namenszusätze belegen das Konzept der Rückung, die allerdings – anders als bei Xylophonen mit stufenweise angeordneten Klangplatten – wegen des speziellen Stimmplans der mbira (s. S. 89) nicht durch eine einfache
Verschiebung des Bewegungsablaufs (‚Fingersatzes’) zu bewerk-stelligen ist. Insofern beziehen sich
die Spezifizierungen im Titel auf die jeweilige Rückungsstufe einschließlich der zugehörigen Bewe35 A. Tracey 1961:48.
36 Das gleiche Argument findet sich bei Kubik (1991:60, 65) bezüglich der amadinda-Musik.
37 Im Fall von Dande repasi und Dande repamusoro liegt dagegen keine unterschiedliche Stufe vor (s. Kapitel 6). Die
Verwendung dieser Bezeichnungen ist wohl nicht immer stringent ausschließlich auf die Progression zu beziehen.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur Interpretation des Tonsystems
gungsmuster, und zwar – abgesehen von der mit der Rückung verbundenen Tonhöhenänderung –
unabhängig vom Klangresultat, das je nach individueller Stimmung des Instruments variiert.
Diese Nomenklatur, die bei weitem nicht alle sieben theoretisch denkbaren Möglichkeiten abdeckt 38, spiegelt den Umstand wider, der interessanterweise auch für die oben angesprochene Musik
der aSena und das miko-System der kiGanda-Musik gilt, dass nämlich in der Praxis längst nicht alle
diese Optionen tatsächlich gebräuchlich sind.
„It seems that bangwe players and valimba players always [meine Hervorhebung, G. G.] start a particular
song on the same note“ (van Zanten 1980:111; gemeint ist hier Stufe des Tonsystems, s. das ausführliche Zitat oben).
Ebenso schreibt Kubik:
„In der Praxis werden amadinda- [Holmxylophon, G. G.] Stücke von den Musikern kaum in mehr als zwei
[von fünf theoretisch vorhandenen, G. G.] verschiedenen miko gespielt. [...] So wichtig das miko-System als
theoretische Grundlage der Komposition ist, so sehr sind ihm bei der Aufführungspraxis Grenzen gesetzt.
[...] Die meisten [47] amadinda-Kompositionen wurden nur in einem bestimmten muko aufgeführt.“ (Kubik
1991:60, 65)
Dies deckt sich mit meinen Erfahrungen in Bezug auf die mbira-Musik. Obwohl manche Stücke
und damit ihre Akkordsequenzen auch auf anderen als den üblichen Stufen erscheinen können 39, ist
dies keineswegs generelle, für das gesamte Repertoire übliche Praxis. Normalerweise scheint bei den
Musikern eine als die typische Erscheinungsform eines Stücks zu gelten, vor allem wenn keine Namenszusätze hier auf eine Besonderheit hinweisen.
In manchen Fällen bezeichnen die Musiker bestimmte Töne bzw. Lamellen als charakteristisch
für ein Stück (Fr. Mujuru nannte z. B. B3 für Nhemamusasa, L1 für Chipembere chikuru und B7 für
Chipembere chidiki). Dies könnte man als Hinweis auf ein tonales Zentrum (Berliner) interpretieren,
von dem ja auch Traceys ‚Typen’ ausgehen. Auf welchen Ton hin die Progressionen emisch gehört
werden, ist jedoch nicht für alle Stücke zu ermitteln. Dem kaleidophonischen Charakter der Musik
entsprechend gibt es oft keine eindeutigen Aussagen zu diesem Punkt. Für die Annahme eines Modalsystems wäre aber zudem die oben bereits angesprochene Differenzierung der Intervallstruktur
der einzelnen Modi eine notwendige Voraussetzung.
Während die Verschiebung der Akkordsequenz, wie wir gesehen haben, intrakulturell belegt ist,
fehlen emische Hinweise auf eine modale Ausprägung. Was die Interpretation der Messergebnisse
betrifft, ergeben sich zwar bei den von Mhlanga und Mujuru verwendeten Stimmungen gewisse Unterschiede in der Intervallstruktur, die aber keine klar differenzierbaren Modalskalen ergeben. Vergleicht man die Stimmungen Mhlangas und Mujurus mit den bei Berliner aufgelisteten, liegen die
Toleranzen zwischen den Stimmungen verschiedener Instrumente in einer Größenordnung, die
derjenigen beim Vergleich der Umkehrungen der Skala eines Instruments entspricht. Unter diesen
Umständen erscheint es fraglich, ob von einem Modalsystem die Rede sein kann oder ob man es
nicht eher mit ‚Färbungen’ zu tun hat – vor allem solange keine intrakulturelle Bestätigung dafür
vorliegt, dass die unstrittigen Rückungen nicht als Transpositionen, [48] sondern als Modalverschiebungen aufzufassen sind. Brenner plädiert allerdings auf Grund seiner Untersuchungen für die Annahme eines ‚modal-shift’-Verfahrens (Brenner 1997:139 ff.). Seine durchaus plausible Herleitung der
harmonischen Progressionen der mbira-Musik aus dem chipendani-Mundbogenspiel legt in der Tat
nahe, die rezenten mbira-Stimmungen als Kompromisslösungen zu betrachten, die eine stärkere intervallische Differenzierung und die Möglichkeit der beliebigen Rückung der Akkordsequenzen je38 In einigen Fällen wird noch eine dritte Erscheinungsform benannt.
39 Vgl. dazu Brenner 1997, wo sich eine Reihe einschlägiger Beispiele findet.
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weils individuell auszugleichen trachten. Hierin läge eine Erklärung für die Diskrepanz zwischen dem
diachronen und dem synchronen Befund: Das ursprünglich aus der Obertonreihe abgeleitete Tonsystem mit seinen reinen Quinten wäre demnach unter dem ‚Druck’ der musikalischen Praxis des mbiraSpiels mit dessen Möglichkeiten der Rückung von Akkordsequenzen gewissermaßen intonationsmäßig ‚aufgeweicht’ worden, ohne dass sich dabei aber eine einzige verbindliche Stimmung etabliert
hätte.
Die Frage bleibt allerdings bestehen, wie dies im Hinblick auf eine modale Struktur zu interpretieren ist. Zu unterscheiden wäre auf jeden Fall zwischen Toleranzen in der Intonation von Stufen, die
emisch ignoriert werden, und solchen, die als intrakulturell – dabei je nach Musiker unterschiedlich –
akzeptabel gelten, jedoch deutlich als verschieden wahrgenommen werden. Brenner spricht hier von
einem „kontinuierliche[n ...] Feld gleichermaßen akzeptabler Möglichkeiten“ (1997:140), bei dem
eine Äquiheptatonik einerseits und die sieben diatonischen Skalen andererseits als extreme Erscheinungsformen anzusehen wären.
Wenn beim Spiel desselben Stücks auf unterschiedlich gestimmten mbiras das konstante Bewegungsmuster, also das Zupfen der gleichen Lamellen entsprechend dem Layout des Instruments
unabhängig von der konkreten Stimmung, als entscheidend gilt, die divergierenden Klangresultate
von einem emischen Standpunkt aus offenbar aber nicht die musikalische Essenz des Stücks und
damit seine Identität, sondern ‚nur’ klangästhetische Wertungen betreffen, die etwa so formuliert
werden: [49]
•
•
•
„Das Stück xy gefällt mir auf dieser mbira – d. h. mit dieser konkreten Stimmung 40 – (besonders) gut/schlecht.“
Oder: „Das Stück ist zwar (motorisch) richtig gespielt, aber es klingt nicht richtig bzw. fremd.“
Oder: „Das klingt sehr schön, ich möchte auch eine mbira mit dieser Stimmung.“
dann gibt es meines Erachtens keinen Anlass, die Existenz eines Modalsystems anzunehmen. Auch
Berliner berichtete bereits, eine ‚neue’, dem Musiker fremde Stimmung könne diesen soweit verunsichern, dass er seiner eigentlich internalisierten Motorik anfänglich nicht traue, auf die es aber letztlich ankommt! 41
Wir sind hier also mit der zunächst vielleicht paradox erscheinenden Situation konfrontiert, dass
die Intervallgrößen in diesen „elastischen Skalen“ (Kubik 1983 b:364) zwar so variabel sind, dass man
nicht von Äquidistanz sprechen kann, die Umkehrungen der Skala und damit die Rückung von Akkordsequenzen aber keinen erkennbar modalen Charakter aufweisen, so dass erstere nicht als „Modalskalen“ (Arom) einzustufen sind. Die Schritte werden als prinzipiell gleich große behandelt, sie
sind es aber nicht und sollen es offenbar auch nicht sein. 42 Wie zahlreiche Werte mit äußerst ‚exakten’ 43 Größen etwa von Primen und Oktaven deutlich machen, sind die Instrumentenbauer trotz des
bei Metallzungen schwierigen Stimmvorgangs zu einer solchen ‚Genauigkeit’ durchaus in der Lage, so
dass eine zumindest tendenzielle Angleichung der Intervallgrößen möglich wäre, auch wenn man
sicherlich keine mathematisch exakte von 171,4 Cents pro Schritt erwarten dürfte. Während aber z.
B. viele Oktaven innerhalb von ± 10 Cents um den Idealwert von 1200 Cents liegen, weisen andere
eine höhere Abweichung auf, als sich aus den beschriebenen akustischen Gegebenheiten (Verunsi-
40 Hier kann unter Umständen auch die Klangqualität der Lamellen eine Rolle spielen.
41 Vgl. Berliner 1981:70-71.
42 Vgl. Kubik 1991:46.
43 Nach unseren Maßstäben von ‚Exaktheit’.
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cherung der Tonhöhenwahrnehmung, Tonhöhenverschiebung) [50] begründen ließe. Man kann meines Erachtens daraus nur schließen, dass eine Äquidistanz offensichtlich nicht angestrebt wird. 44
Im Zusammenhang mit der Diskussion der Pentatonik in der kiGanda-Musik werfen Schneider
und Beurmann zu Recht die Frage auf, ob die dort auftretenden „Abweichungen beabsichtigt und
nach einer Regel oder bloß zufällig eingetreten sind“. (1990:505) Sie wäre für die mbira-Musik so zu
beantworten, dass es sich hier nicht um ein grundsätzlich emisch bedeutungsloses, da nicht-intentionales Phänomen handelt, sondern – abgesehen von messtechnisch feststellbaren, aber
intrakulturell tatsächlich nicht weiter beachteten Toleranzen – um absichtliche Differenzierungen aus
klangästhetischen Gründen, mit denen eine individuelle Färbung angestrebt und realisiert wird.
Diese Konstellation ist nun keineswegs ungewöhnlich für Musikkulturen dieser Region. Van
Zanten, der für die aSena in Malawi wegen fehlender Hinweise auf ein Modalsystem dort eigentlich
von einem äquidistanten Tonsystem ausgeht, sieht zwei Möglichkeiten zur Erklärung der relativ großen Abweichungen:
„[T]o many players a broad range of tuning possibilities is acceptable. […] The other possibility is […] that
most players do not really tune their instruments according to the model of equidistancy. Their model may
be a different one”. (1980:116)
Wachsmann hat für die von ihm in ugandischen Stimmungen konstatierte „tendency towards
equidistance“, die jedoch keine vollkommene Äquidistanz erreichen, die Bezeichnung „penequidistance“ geprägt (Wachsmann 1967:589) – ein Terminus, der sich in der Literatur allerdings
nicht durchgesetzt hat.
Kubik schreibt über das miko-System in der amadinda-Musik Ugandas, die Transposition von Intervallen ändere in der Vorstellung der Musiker nicht deren Identität, was notwendig die Auffassung
des kiGanda-Tonsystems als gleichschwebend temperierte Pentatonik voraussetze (Kubik 1991:53,
61). Andererseits führt er bezüglich der Stimmung einer selbstgebauten amadinda bzw. akadinda
aus: [51]
„Wichtig ist, die Skala darf nicht ‚ideal’ äquipentatonisch sein, sondern soll +/– 10 bis 15 Cents Abweichungen vo[m] äquidistanten Mittel (240 Cents) haben. Diese Werte sind zufällig zu streuen, wodurch auch die
Oktaven geringfügig ‚unrein’ werden.“ (ebd.:46)
Der Zufall muss hier gewissermaßen notgedrungen die intrakulturelle Entscheidung auf der Basis
von musikästhetischen Urteilen ersetzen. Auch in westafrikanischen Xylophontraditionen hat man
dieses Phänomen entdeckt. Eric Charry schreibt über die Stimmung des bala-Xylophons aus der
Mande-Region:
„What is perplexing about bala tuning is that it is uncommon to find two instruments tuned by different
people that are closely in tune with each other. […] If tuners were working with a strict interpretation of an
equiheptaphonic [sic] tuning, there should be little variation. Balas, however, appear to reflect tuning preferences of the regions they come from, even though they also appear to roughly conform to a conception of
an equal seven-tone scale. And the fact remains that any piece can be transposed up or down the instrument any number of slats without any acknowledgment of a change (e.g., of scale, key, or mode) other than
pitch height.” (2000:167)
Über die Xylophonstimmungen der Sisaala in Nordwest-Ghana berichtet Mary Seavoy:
44 Kubik hat in diesem Zusammenhang auf das Vorhandensein sog. ‚Reibungsoktaven’ hingewiesen, die die Verschmelzung
der Oktaven herabsetzen und so die Hörbarkeit von Stimmen oder inhärenten Patterns (s. u. S. 118 ff.) erhöhen sollen
(1991:40).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur Interpretation des Tonsystems
„[E]ach jengsi [-Xylophon, G. G.] pitch, in the context of the whole system, is regarded as but one point
along or within a range of equally acceptable points on the acoustic spectrum. Keys at equivalent positions
on keyboards define functionally equivalent intervals, regardless of their measured size. Each interval, so
defined by the variable pitch points, is likewise but one of a number of variable units of acoustic space that
are treated and perceived as functionally equivalent.” (Seavoy 1982:348)
Auf der anderen Seite werden die tatsächlichen Stimmungsunterschiede dort intrakulturell keineswegs überhört:
„Although functionally equivalent, jengsi tunings compared with each other are obviously not perceived as
quantitatively identical.” (ebd.: 349)
Wie lassen sich diese Befunde auf das Shona-Tonsystem anwenden? Die heutige Praxis mit ihrem vielschichtigen klanglichen Erscheinungsbild müsste sich historisch im Prozess der Übertragung
des Tonsystems vom Mundbogen chipendani auf das Lamellophon mbira entwickelt haben, wobei in
den rezenten Lamel[52]lophonstimmungen das ursprüngliche Modell aus der Obertonreihe abgeleiteter Intervallschritte nicht mehr eindeutig nachweisbar wäre. Die je spezifische Stimmung eines Instruments stünde dann für eine unter vielen möglichen Kompromisslösungen zwischen ganzzahligen
Schwingungsverhältnissen und dem Wunsch nach beliebiger Rückbarkeit einer Akkordsequenz, gerade ohne dass sich dabei durch die Verschiebung jeweils distinktive Intervallverhältnisse ergeben.
Wollten die Shona-Musiker den sieben Erscheinungsformen der Standardsequenz einen modalen
Charakter zuweisen, bräuchten sie sich nur am Vorbild des aus der chipendani-Praxis gewonnenen
Tonvorrats zu orientieren. Dessen Transfer auf eine mbira ergäbe bei Kombination zweier im Abstand
einer Quarte zueinander stehender hexatonischer Skalen einen C-Modus 45:
CDE_GAH
+
FGA_CDE
=
CDEFGAH
Im Prozess der Übertragung der Stimmung vom chipendani über das achtzungige Lamellophon
karimba auf die mbira46 hätte es demnach wohl historisch einmal einen C-Modus auf der mbira
gegeben, der dann aber zunehmend ‚abgeschliffen’ worden sein muss. Tatsächlich tendieren noch
heute wie bereits erwähnt viele mbira-Stimmungen in die Richtung eines C- oder G-Modus. Die
einzige mir bekannt gewordene Stimmung, die sich in der Stufenorganisation mehr oder weniger
deutlich von anderen abhebt, ist die gandanga-Stimmung mit ihrer Tendenz zum E-Modus. Wie oben
ausgeführt wurde, ist aber selbst hier eine klare Abgrenzung nicht immer möglich, da auch anders
gestimmte mbiras eine so große Bandbreite der Intonation einzelner Stufen je nach Oktavlage aufweisen, dass man letztlich zu keinem signifikanten Ergebnis kommt. Brenner hat darüber hinaus noch
weitere Ausprägungen dokumentiert, die u. a. einen D-Modus oder eine äquidistante Skala nahe
legen. Im Übrigen bestätigt auch er eine unterschiedliche Intonation je nach Register sowie in
manchen Fällen einen generell „diffusen“ Eindruck, den die Stimmung einiger Instrumente in tonaler
Hinsicht erzeuge (Brenner 1997, Appendix II). Interessant wäre hier in Erfahrung zu bringen, ob für
die Shona-Musiker diese verschiedenen Exemplare jeweils distinkten Stimmungs-‚Typen’ zuzuordnen
sind – unabhängig davon, ob [53] sie für sämtliche Varianten auch einheimische Namen haben – oder
ob die einzelnen Stimmungen letztlich alle nur mehr oder weniger ‚idiolektale’ Varianten eines
Stimmungsmodells sind. Brenner betont in dieser Frage den Umstand, dass im Hinblick auf die
unstrittige emische Differenzierung von mbira-Stimmungen neben einer streng äquidistanten als
Spezialfall alle anderen Stimmungen offensichtlich emisch bedeutsame Größendifferenzen aufweisen
müssten, deren Permutation mit ihren jeweils spezifischen intervallischen Erscheinungsformen
45 Vgl. Brenner 1997:61.
46 Vgl. Brenner 1997:159 ff.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur Interpretation des Tonsystems
zwangsläufig zu einem „modal-shift-System“ führe (Brenner 1997:149). Aus meiner Sicht
problematisch bleibt hier aber das mannigfaltige Erscheinungsbild beim Vergleich der Oktavlagen
eines Instruments sowie beim Vergleich mehrerer Instrumente. Brenner bemerkt dazu:
„Freilich könnte man, da das modal-shift-Prinzip in der mbira-Musik nicht nur mit einer einzigen Stimmung,
sondern mit einem ganzen Kontinuum möglicher Stimmungen kombiniert wird, von einem ‚multiplen’, genauer: von einem ‚kontinuierlich-multiplen modal-shift-System’ sprechen.“ (persönliche Mitteilung, 3. April
1996)
Die Rückung der Akkordsequenzen führt damit zu intervallischen Ergebnissen, über deren emische Konzeptualisierung hinsichtlich einer jeweils eigenen Identität als ‚Modus’ wir noch keine gesicherten Erkenntnisse besitzen. Während hier offenbar weder intentional noch praktisch eine Äquidistanz der Intervallteilung innerhalb der Oktaven vorliegt, haben wir es dennoch mit einer funktionalen Äquivalenz, einer ‚funktionalen Äquiheptatonik’ in dem Sinne zu tun, dass die Skalenschritte in
ihrer Größe variieren, ohne dabei aber spezifische, identifizierbare Modi zu erzeugen. Es ergibt sich
vielmehr ein „‚analoges’ Feld“ (Brenner 1997:140) klanglicher Möglichkeiten, von deren konkreter
Ausprägung je nach Instrument ich abstrahiere, indem ich die stufenweise Verschiebung einer Akkordsequenz vorläufig als deren ‚Transposition’ bezeichne und darunter alle möglichen Erscheinungsformen subsumiere. In gewisser Weise handelt es sich dabei um eine Erweiterung des pitch
class-Konzepts 47: Unabhängig von der jeweiligen Erscheinungsform, d. h. hier der konkreten
Intervallgröße, die zudem noch je nach Oktavlage differieren kann, kommt es strukturell vorrangig
[54] auf die jeweilige Stufe der heptatonischen Leiter an, die durch den jeweils erklingenden Ton
repräsentiert wird. Trotz der funktionalen Gleichheit aller Schritte ist die Klangfarbe einer mbira
insgesamt, die sich aus der konkreten Intonation und dem Timbre der einzelnen Lamellen ergibt, ein
individuell variabler und dabei emisch unbezweifelbar äußerst wichtiger Faktor. Für die
‚Transpositionen’ der Standardprogression folgen daraus jedoch nur ‚Färbungen’, die je nach
konkreter Stimmung eines Instruments variieren, ohne dabei echte Modi zu etablieren. Die tonale
Färbung des Instruments insgesamt, d. h. über seinen ganzen Ambitus, mit unterschiedlicher Größe
der Intervalle auch je nach Oktavlage, darf jedoch keineswegs unterbewertet werden: Ein tatsächlich
äquidistantes System wäre für das ästhetische Empfinden der Shona-Musiker wegen der mangelnden
Möglichkeit zur individuellen Gestaltung klanglich offenbar nicht interessant genug. Andererseits gibt
es keine allgemein verbindliche Standardisierung dahingehend, an welchen Stellen die Intervalle wie
groß zu sein haben.
Als aufschlussreich könnte sich erweisen, den Transfer der Akkordsequenzen auf ‚westlich’ gestimmte Instrumente einmal systematisch zu untersuchen. In der chimurenga-Popularmusik Zimbabwes, etwa im Ensemble von Thomas Mapfumo 48, werden sowohl mbiras in eine ‚westliche’
Popmusik-Besetzung integriert, als auch entsprechende Melodielinien der mbira auf E-Bass und EGitarren übertragen, wie Brenner dies exemplarisch an Hand von Transkriptionen der einschlägigen
Parts aus Mapfumos Version des traditionellen Stücks Shumba gezeigt hat (Brenner 1997:353 ff.). 49
47 Vgl. Berliner 1981:75.
48 S. dazu das Tonträgerverzeichnis.
49 Vgl. auch seine weiteren Hinweise zu Bezügen zwischen traditionellen Stücken und ihren popularmusikalischen Versio-
nen in seinem Appendix II (1997).
[55] Kapitel 3
Akkordzyklen und tonale Ambiguität:
Das System der harmonischen Progressionen
Wie wir in Kapitel 1 gesehen haben, kann man mit A. Tracey und anderen davon ausgehen, dass
harmonische Progressionen, die aus dem zyklischen Durchlaufen einer Sequenz von Akkorden bestehen, die Basis der mbira-Stücke ausmachen. Diese Akkorde setzen sich im Wesentlichen aus nur zwei
Tönen im Abstand einer Quinte 1 zusammen, die nach dem Prinzip der Oktaväquivalenz (pitch class)
bzw. harmonischen Äquivalenz in beliebigen – nur vom Ambitus des Instruments abhängigen – Umkehrungen und Oktavlagen auftreten können, so dass eine Quinte C – G auch als Quarte G – C erscheinen kann. Quinte und Quarte sind Komplementärintervalle und bilden eine Intervallklasse. 2
Kubik spricht in einem vergleichbaren Fall von „Intervallstrukturen“ mit je zwei Erscheinungsformen
(„Phänotypen“; Kubik 1991:62). Diese grundlegenden (Quint-)Bichorde können durch eine dazwischen fallende Terz erweitert werden, wobei Erweiterung nicht unbedingt additiv, sondern auch
substitutiv zu verstehen ist. Dies wird bei der Diskussion konkreter Beispiele in Kapitel 6 näher betrachtet. Es ist insofern nur auf einer bestimmten Ebene der Analyse, nämlich im Rahmen einer allgemeinen, von konkreten Stücken abstrahierenden Formulierung des Prinzips der Akkordsequenzen,
angemessen, von Bichorden zu sprechen. Auch für diese Terz gilt natürlich das Prinzip der Oktaväquivalenz, ihr Komplementärintervall ist die Sexte.
Während hier also von der konkret in einem Stück vorgefundenen Anordnung zweier Töne abstrahiert wird zugunsten der Darstellung sämtlicher Akkorde in ihrer Quintform, bezieht sich John
Blackings Terminus „root-progression“, den er in einem Aufsatz über die Okarina-Musik der Venda
(1959) zur Charakterisie[56]rung ihrer harmonischen Struktur verwendet, gerade auf die praktische
Realisierung. Aus seinen notierten Beispielen ergibt sich, dass er abweichend vom üblichen Sprachgebrauch den jeweils tiefsten Ton eines vorgefundenen Zusammenklangs als „root“ (Grundton) bezeichnet, während dieser Begriff ja sonst dem tiefsten Ton einer Terzenschichtung vorbehalten ist.
Dies macht gegebenenfalls erforderlich, einen konkreten Akkord als Umkehrung zu deuten, bei der
der Grundton nicht der tiefste Ton ist. Für das vorliegende Material wird im Folgenden derjenige Ton
als Grundton eines Akkords bezeichnet, der in dessen Quintform der tiefste ist.
Diese Grundtöne sind es auch, die bei der Darstellung der harmonischen Progressionen die kompletten Akkorde repräsentieren. Dabei ist zu beachten, dass die Akkordtöne nicht nur simultan, sondern auch sukzessiv, d. h. gewissermaßen als gebrochene Akkorde, erklingen können. In jedem Fall
nimmt ein Akkord jeweils einen bestimmten zeitlichen Raum innerhalb der Sequenz ein. 3 Wir wollen
hier zunächst die Gegebenheiten im Falle der sog. Standardsequenz (A. Tracey) von zwölf Akkorden
mit einer idealtypischen symmetrischen Binnengliederung betrachten. Sie bildet gewissermaßen ein
aus dem empirisch gewonnenen Material abstrahiertes Substrat oder Kondensat. In der Praxis tritt
diese Akkordfolge wie wir sehen werden in vielfältigen Erscheinungsformen und Modifikationen auf.
1 Hier und im Folgenden implizieren die Intervallbezeichnungen das in Kapitel 2 dargelegte Konzept elastischer Skalen und
damit variabler Erscheinungsformen, d. h. Größen, der Intervalle. Diese werden daher nicht näher qualifiziert (z. B. als
‚große’ Terz, ‚kleine’ Septim, etc.).
2 Zum Begriff ‚interval class’ vgl. auch Pressing 1982. Je zwei komplementäre Intervalle ergänzen sich zur Oktave. Das eine
Intervall ist gewissermaßen die Umkehrung des anderen.
3 Vgl. Berliners „harmonic rhythm” (1981:77).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Das System der harmonischen Progressionen
Beat und Puls
Auch wenn bis heute die ethnomusikologische Literatur zur Musik des subsaharischen Afrika leider noch immer nicht zu einer Vereinheitlichung der einschlägigen Terminologie gelangt ist, sind
doch zumindest einige grundlegende Konzepte inzwischen unter Fachleuten weitgehend unumstritten. Dies betrifft im Besonderen die Differenzierung zwischen einer Ebene kleinster Zeiteinheiten, die
abgesehen von spieltechnischen Ornamenten oder besonderen Vokalphrasierungen für ein gegebenes Stück oder ganzes Repertoire nicht mehr weiter sinnvoll unterteilbar sind, und einer übergeordneten, eine jeweils charakteristische, [57] feste Anzahl dieser kleinsten Einheiten zu Gruppen zusammenfassenden ‚höheren’ Ebene.
Erstere ist durch Feststellen des kleinsten Notenwertes in einem Musikstück gewissermaßen
‚objektiv’, d. h. auch durch einen Außenstehenden, Kulturfremden, ermittelbar 4, während man für
die letztere häufig auf intrakulturelle Angaben angewiesen ist – besonders dann, wenn ausschließlich
Tonaufzeichnungen vorliegen und so die motionale Seite z. B. in Form von Tanzbewegungen nicht
herangezogen werden kann. Ansonsten bietet sich etwa in einer Feldforschungssituation an, Musiker
zu dem betreffenden Stück in der Weise klatschen zu lassen, dass das Klatschpattern nur aus einer
fortlaufenden, in sich nicht weiter strukturierten – also isochronen – Folge von Schlägen besteht.
Diese sollten dann mit Hauptpunkten der Tanzschritte korrespondieren.
Leider haben wie gesagt verschiedene Autoren immer wieder verschiedene Begriffe für diesen
Sachverhalt geprägt 5 und so nicht unwesentlich zu diversen Missverständnissen beigetragen. Die
kleinsten Einheiten werden in der vorliegenden Arbeit als ‚Pulse’ 6 bezeichnet, die übergeordnete
Ebene fasst mehrere Pulse zusammen – in der mbira-Musik fast immer jeweils drei. Auf den ersten
davon fällt der ‚Beat’. 7
Die Standardakkordsequenz und ihre ‚Transpositionen’
Bei einer Zykluslänge von 48 Pulsen, unterteilt in vier gleichlange Formteile von zwölf Pulsen,
ergibt sich für jeden Akkord eine Länge von vier Pulsen. Der implizite oder durch hosho-Gefäßrasseln
realisierte Beat, der ternär, d. h. in drei Pulse, gegliedert ist, konstituiert eine zusätzliche Ebene. Ein
Formteil hat dem[58]nach eine Länge von vier Beats (4 x 3 = 12 Pulse), der gesamte Zyklus umfasst
16 Beats (16 x 3 = 48 Pulse). Wie ist nun dieser Zyklus von Akkorden zweckmäßig zu Papier zu bringen? Das Problem der graphischen Repräsentation von Stücken wird dann im nächsten Kapitel
behandelt.
Anstelle der sonst in der Literatur üblichen linearen Anordnung stellt A. Tracey die Akkordsequenz in Anlehnung an Rycrofts Zirkularnotation (s. Kapitel 4) neuerdings kreisförmig dar (A. Tracey
1989:52), was zweifellos ihrem zyklischen Charakter am ehesten gerecht wird. In diesem Zusammenhang sei auch auf Brenners torusförmige Darstellung hingewiesen, die das gesamte System in einem
dreidimensionalen Modell zusammenfasst (Brenner 1997:119-120). Um jedoch für die weiteren
Analysen eine vergleichende Übersicht verschiedener Ausprägungen der Sequenz und ihrer ‚Transpositionen’ zu ermöglichen, bietet sich doch eine lineare Darstellungsweise an, bei der die korrespon-
4 Vgl. Merriam 1982:457.
5 Vgl. dazu z. B. Kubik 1984, wo einige davon aufgeführt sind.
6 Andere Bezeichnungen sind z. B. „Elementarpuls“ bzw. „Elementarpulsation“ (Kubik), „Nennwerte“ (Dauer), „fastest
pulse“ (Koetting), „density referent“ (Kauffman) und „minimal operational value“ (Arom 1991 a).
7 Andere Bezeichnungen sind z. B. „gross pulse“ (Koetting) und „pulsation“ (Arom 1991 a). Letztere kann leicht zu
Verwechslungen mit der Ebene der kleinsten Einheiten (Pulse) führen.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Das System der harmonischen Progressionen
dierenden Abschnitte synoptisch untereinander angeordnet werden und so leichter vergleichbar
sind.
Eine solche lineare Präsentation des Zyklus macht die Wahl eines Anfangsakkords erforderlich,
dessen Grundton auch gleichzeitig als Bezugston für die Bestimmung der sequenzimmanenten Akkordrelationen und für die Identifizierung der jeweiligen Transpositionsstufe der gesamten Sequenz
dienen kann. Es ist hier wichtig, den Unterschied zu Traceys Vorgehensweise deutlich herauszustellen, der ja im Rahmen seiner oben behandelten ‚Typen’ auch vom Bezug auf einen Grundton ausgeht
– er spricht meist von „key“, d. h. Tonart, Tonalität –, den er rein kognitiv begründet, indem er ihn
von einem „typical, if not universal, way of hearing“ (A. Tracey 1989:52) ableitet, ohne jedoch zur
Untermauerung seiner eigenen Hörweise emische Daten vorlegen zu können. Berliner spricht zwar
von tonalen Zentren, bietet aber keine Erklärung, nach welchen Kriterien er sie gefunden hat.
Um nicht Mutmaßungen über subjektive Grundtonwahrnehmungen zur Basis des Systems zu
machen, die weder in allen Fällen eindeutig ermittelbar wären noch dem kaleidophonischen Charakter der Musik entsprechen würden, soll die Festlegung eines Bezugstons unter Hintanstellung kognitiver Aspekte ausschließlich auf der Grundlage struktureller Merkmale erfolgen. Dies impliziert zunächst [59] keinerlei Aussagen darüber, wie eine Sequenz bzw. ein Stück ‚richtig’ zu hören ist.
•
•
Da man nicht von einer hierarchischen Ordnung der Akkorde ausgehen kann, sollte der Akkord, dessen Grundton als Bezugston gelten soll, häufiger im Zyklus vorkommen als andere.
Für die Gliederung in vier Formteile wird der Anordnung der Vorzug gegeben, bei der sich
das Fortschreiten von einem Teil zum nächsten durch eine möglichst einfache Regel ausdrücken lässt.
Bezieht man diese Bedingungen auf diejenige harmonische Progression, auf der die überwiegende Zahl der Stücke basiert (s. dazu Kapitel 6), und bezeichnet die Stufe der heptatonischen Skala,
die u. a. durch die tiefste Lamelle der mbira als auch deren ‚Stimmton’ (Lamelle L1) repräsentiert
wird, als C 8, gelangt man zu folgender Akkordsequenz, die Traceys ‚C-standard’ entspricht (angegeben sind nur die Akkordgrundtöne):
C E G C E A C F A D F A (C E G)
C und A sind beide gleich oft und jeweils häufiger als andere Akkorde vertreten. Bei dem hier
gewählten Startpunkt auf dem C des Dreierblocks C E G, der so den ersten Formteil bildet, ändert
sich von einem Formteil zum nächsten jeweils ein Akkord innerhalb dieser Dreierblöcke (durch Unterstreichen markiert). Am Ende der Periode entsteht der größte Kontrast, indem ein kompletter
Austausch durch Rückung aller drei Akkorde um jeweils eine Stufe nach unten erfolgt (s. Figur 1).
Diese Stringenz – man könnte auch von ‚Eleganz’ sprechen – ergibt sich nicht bei Bezug auf einen
der anderen Akkorde. D, E und F treten seltener auf als C und A, A führt nicht zu einer vergleichbar
einfachen Regelhaftigkeit: [60]
A C F A D F A C E G C E (A C F)
Unabhängig von der konkreten Stufe der heptatonischen Skala, auf die man die
Standardsequenz beziehen will, hat sie also die allgemeine Form (ausgedrückt nur durch die Grundtöne der Akkorde):
8 Diese letztlich willkürliche Zuordnung wird in Kapitel 4 begründet. Grundsätzlich ist die Vorgehensweise derjenigen bei der
Darstellung von rāga-Tonreihen vergleichbar: Unabhängig von der konkreten absoluten Tonhöhe der Instrumente wird ein
gemeinsamer Bezugston festgesetzt, um das zugrunde liegende System anschaulich darstellen zu können.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Das System der harmonischen Progressionen
135
7
6
5
4
3
2
1
136
●
●
●
●
1
146
●
3
5
●
●
●
●
1
246
3
●
●
●
1
6
●
●
4
6
2
4
●
1
6
3
5
Figur 1: Kontinuitäten zwischen benachbarten Dreierblöcken (Um alle Übergänge sichtbar zu machen, sind fünf
Formteile aufgeführt.) 9
Unter Einbeziehung der anderen Akkordtöne ergibt sich für die Standardsequenz auf C in tonaler
und temporaler Hinsicht folgendes Bild (Angegeben sind jeweils die Bichorde, die sekundäre Terz ist
in Klammern notiert.) 10: [61]
G
H
D
G
H
E
G
C
E
A
C
E
(E) (G) (H) (E) (G)
(C) (E) (A) (C) (F) (A) (C)
C
A
E
4
G
Pulse
4
12
Beats
4
C
4
E
4
4
12
C
4
F
4
A
4
12
D
4
F
4
A
4
12
4
48
4
4
4
16
Aus dieser Grundform der Standardsequenz lassen sich nun deren ‚Transpositionen’ ableiten, indem man sie sukzessive um jeweils eine Stufe nach oben verschiebt. Um eine einfache und gleichzeitig präzise Verständigung über verschiedene Aspekte dieses Systems zu ermöglichen, das in Figur 2
paradigmatisch dargestellt ist, werden dort und im Weiteren die beiden entscheidenden Parameter,
nämlich Transpositionsstufe der Sequenz und temporale Position eines Akkords innerhalb der Sequenz bezogen auf den ersten in der obigen idealtypischen Anordnung, mit römischen bzw. arabischen Ziffern bezeichnet, so dass man beispielsweise den konkreten Startpunkt der Version eines
Stückes, das auf der siebten Transpositionsstufe der Standardsequenz basiert und hier mit dem
sechsten Akkord beginnt, kurz als VII6 ausdrücken kann.
9 Regeln zur Generierung der drei Akkorde (x,y,z) aufeinander folgender Formteile:
x
x
x
x=x+1
x=x–1
y = x +2
y
y=y+1
y
y=y-1
z=y+2
z=z+1
z
z
z=z–1
10 Die Tonnamen C, D, E, F, G, A und H dienen hier und im Folgenden primär der einfacheren Verständigung und stehen für
die sieben Stufen der Skala, ohne damit unbedingt die Stimmung eines C-Modus zu implizieren (s. dazu oben Kapitel 2).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Transpositionsstufe
VII
VI
V
IV
III
II
I
7
6
5
4
3
2
1
1
2
1
7
6
5
4
3
2
Das System der harmonischen Progressionen
4
3
2
1
7
6
5
3
7
6
5
4
3
2
1
4
2
1
7
6
5
4
3
5
5
4
3
2
1
7
6
6
7
6
5
4
3
2
1
7
3
2
1
7
6
5
4
8
5
4
3
2
1
7
6
9
1 3 5
7 2 4
6 1 3
5 7 2
4 6 1
3 5 7
2 4 6
10 11 12 temporale
Position
Figur 2: Die Standardprogression und ihre ‚Transpositionen’ (Angegeben sind immer nur die Grundtöne der
Akkorde.)
[62]
Vertikal, d. h. positionsweise betrachtet, ergibt sich durch die Rückung, dass sich die Werte von
unten nach oben gemäß der Regel n = n + 1 (modulo 7) erhöhen. Horizontal ändert sich wie bereits
oben erläutert von links nach rechts immer nur eine Stelle innerhalb eines Formteils (Dreierblocks).
Figur 3 zeigt das System unter Verwendung von Tonnamen.
Transpositionsstufe
VII
VI
V
IV
III
II
I
H
A
G
F
E
D
C
1
D
C
H
A
G
F
E
2
F
E
D
C
H
A
G
3
H
A
G
F
E
D
C
4
D
C
H
A
G
F
E
5
G
F
E
D
C
H
A
6
H
A
G
F
E
D
C
7
E
D
C
H
A
G
F
8
G
F
E
D
C
H
A
9
C E G
H D F
A C E
G H D
F A C
E G H
D F A
10 11 12 temporale
Position
Figur 3: Die in Figur 2 dargestellte Standardprogression und ihre ‚Transpositionen’
Aus Figur 2 bzw. 3 ergeben sich theoretisch 7 x 12 = 84 Erscheinungsformen der Standardsequenz. Die mit römischen Ziffern bezeichneten Transpositionsstufen sind das von kognitiven Aspekten (Stichwort Kaleidophonie) zunächst unabhängige, strukturell entscheidende Merkmal, die arabischen Ziffern verweisen z. B. auf konkrete Startpunkte bestimmter Versionen oder auf die Akkorde,
auf deren Grundton hin man die gesamte Sequenz im jeweiligen Fall im Sinne eines subjektiven, d. h.
auf dem Höreindruck beruhenden, tonalen Zentrums beziehen kann. Bei letzterem ist die Möglichkeit
einzukalkulieren, dass beim gleichen Stück mehrere in Frage kommen. So kann man sagen, das Stück
Nyamaropa beruht auf der Transpositionsstufe I der Standardsequenz, nach Tracey kann es als I1
oder I8, d. h. auf den ersten oder den achten Akkord hin, gehört werden. 11 Das Stück Nhemamusasa
beruht auf Stufe IV, Taireva auf III usw.
[63]
11 Tracey 1970 b:12.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Das System der harmonischen Progressionen
Subjektive Bezugstöne und Segmentierung der Periode
Problematisch bleibt die Frage, wie der kaleidophonische Charakter der Musik adäquat zu fassen
ist. Die Annahme jeweils eines (Berliner) oder evtl. mehrerer (Tracey) tonaler Zentren stützt sich, wie
wir oben gesehen haben, nicht auf intrakulturell abgesicherte Erkenntnisse. 12 Dabei ist
unbestreitbar, dass sich bei vielen Stücken dem Ohr eines ‚westlich’ geprägten Hörers bestimmte
Töne als Bezugspunkte der gesamten Sequenz aufdrängen. Einige erwecken einen ambivalenten
Eindruck, der dazu führen kann, dass zwar eine Gliederung in vier Formteile erkennbar ist, deren
Segmentierung sich jedoch in Abhängigkeit von dem als dominant empfundenen Bezugston
unterscheidet, wie dies auch von Tracey bei der Diskussion seiner ‚Typen’ beschrieben worden ist.
Wie dies auf die einheimischen Hörer wirkt, ist jedoch nach wie vor ungeklärt. Für zukünftige
Forschungsprojekte auf diesem Gebiet wird ein kognitiver Ansatz, der mittels geeigneter Methoden
Erkenntnisse in dieser Hinsicht liefern kann, entscheidende Bedeutung haben. Wie z. B. Simha Aroms
(1991 b), James Kippens (1992) und Ulrich Wegners (1993) Arbeiten zeigen, eröffnet die
technologische Entwicklung inzwischen einige Möglichkeiten in dieser Richtung (s. dazu auch S. 230).
Vergleichbar mit der Methode, einheimische Musiker selbst die Tonhöhen von Instrumentenstimmungen per Vergleich mit Stimmgabeln durchführen zu lassen, wurde bei der Sammlung des
Materials Wert darauf gelegt, Erkenntnisse über die Auffassung der Akkordsequenzen der einzelnen
Stücke zu gewinnen. Ausgangspunkt war dabei die Überlegung, eine Segmentierung der Periode
durch die einheimischen Musiker werde Anhaltspunkte für deren Konzeptualisierung auch in tonaler
Hinsicht liefern. Anders als beim tatsächlichen Musizieren, wo sich Musiker manchmal erst allmählich
in das jeweilige Pattern (s. dazu Kapitel 5) einfädeln, so dass ein genauer Anfangspunkt gar nicht
festzulegen wäre, erfordert eine – zugegebenermaßen traditionell unübliche – Unterrichtssituation,
bei der ein Musiker einem nicht der Shona-Kultur angehörigen Außenstehenden ein Stück beibringt,
eine entsprechende Segmentierung von Seiten des Lehrers. An den auf diese Weise gesammelten
Versionen, die unmittelbar vor Ort per Tabulatur festgehalten und sogleich auf korrektes Notieren
überprüft wurden, [64] ndem ich sie dem Musiker anschließend nochmals auf der mbira vorspielte,
zeigen sich folgende Punkte:
•
•
•
Die Akkorde, die im Verlauf der Periode ja einen bestimmten Raum einnehmen (idealtypisch
je vier Pulse), werden von den Musikern nicht durch eine Zäsur so geteilt, dass der betreffende Anfangsakkord bereits einige Pulse vorher – also bei dieser Segmentierung am Ende
der Periode – beginnen würde.
Die Bewegungsabläufe ordnen sich der tonalen Ebene unter, d. h. längere Patterns (s. Kapitel 5) werden bei Bedarf anders segmentiert. Die Zäsur richtet sich also nach tonalen Gesichtspunkten, nicht nach motorischen.
Die Einsatzpunkte der Periode sind nicht an die Startpunkte langer, deszendenter Linien der
rechten Hand gebunden. Wo solche auftreten, koinzidieren sie nicht grundsätzlich mit der
Segmentierung, was aber der Fall sein kann (z. B. in Mujurus kushaura III von Bukatiende;
dagegen nicht in seinem kushaura III von Bangiza: Hier beginnt die Linie schon einige Pulse
früher).
Die von den Musikern beim Unterrichten gewählte Segmentierung erscheint damit alles andere
als beliebig, zudem ergeben sich bei einigen Stücken bemerkenswerte Übereinstimmungen im
Vergleich der Startpunkte verschiedener Musiker, so dass sie einen Anhaltspunkt für die Konzeptualisierung der jeweiligen Sequenzen liefert. Vorläufig kann man davon ausgehen, dass die so
12 Vgl. dazu Kubik 1983 a.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Das System der harmonischen Progressionen
ermittelten Akkorde – also jeweils der erste Akkord in jedem der vier Formteile – prominent sind. Die
Beispiele zeigen dabei, dass die Segmentierung eines Stücks im Vergleich zwischen verschiedenen
Musikern oder sogar zwischen verschiedenen Versionen eines Musikers keineswegs immer gleich ist.
Meiner Meinung nach wird dadurch die von Tracey postulierte Mehrdeutigkeit der Sequenzen untermauert.
Um dieser kognitiven Dimension Rechnung zu tragen, kann man im Sinne eines analytischen
Schichtenmodells also zusätzlich zur primären der Standardprogression in ihrer Grundform und der
sekundären in Form der ‚Transpositionen’ noch eine weitere Ebene betrachten, nämlich die der
gehörsmäßigen (Um-)Deutung der Sequenz durch Inbeziehungsetzen zu einem subjektiven tonalen
Zentrum. Setzt man diese Bezugstöne, also die Grundtöne der als tonal dominant [65] empfundenen
Akkorde, im Sinne subjektiver Grundtöne der gesamten Sequenz als die neue Bezugsgröße 1 einer
Stufennummerierung, ergeben sich aus der Permutation einer Zeile aus Figur 3 insgesamt sechs
Möglichkeiten, die restlichen sechs sind redundant. In Figur 4 ist dies durchgespielt, Figur 5 zeigt das
Ergebnis in komprimierter Form sowie die Beziehung zu Traceys ‚Typen’-Nomenklatur (Tracey
1991:93), der diesbezüglich richtig feststellt:
„All these sequences [C-, E-, F, A-type; G. G.] are different expressions of one and the same sequence.“
(ebd.:103).
Es werden hier zunächst sämtliche sechs theoretisch möglichen Ausprägungen in Betracht gezogen, so dass zwei Bezeichnungen ergänzt sind, die bei Tracey nicht auftauchen.
Position
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
135
136
146
136
146
136
146
136
146
135
135
135
136
146
247
...
247
146
...
135
135
724
725
735
146
247
257
246
246
246
= Standard
= Standard
246
135
136
735
= Standard
725
735
725
735
136
735
136
735
136
146
Figur 4
Da von den zwölf Möglichkeiten – korrespondierend zu den je sechs verschiedenen Akkorden
pro Progression – nur sechs zu neuen Reihen führen, während die anderen nur andere Ausschnitte
der jeweiligen Zyklen darstellen, ergeben sich folgende Redundanzen: [66]
1=4=7
2=5
3
6 = 9 = 12
8 = 11
10
Zusammengefasst und in Relation zu Traceys ‚Typen’ ergibt sich folgendes Bild:
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
1 (= 4 = 7)
2 (= 5)
3
6 (= 9 = 12)
8 (= 11)
10
Das System der harmonischen Progressionen
1
1
1
1
1
1
3
3
4
3
3
3
5
6
6
6
6
5
1
1
2
1
1
7
3
4
4
4
3
2
6
6
7
6
5
4
1
2
2
1
7
7
4
4
5
3
2
2
6
7
7
5
5
5
1
2
3
4
5
6
7
8
9
Traceys
‚Typen’:
2
4
6 ‚C-Typ’
2
4
6 ‚E-Typ’
2
4
6 (G-Typ)
7
3
5 ‚A-Typ’
7
3
5 ‚F-Typ’
7
3
5 (D-Typ)
10 11 12 Position
Figur 5: Progressionen der tertiären Ebene (subjektive tonale Zentren), in der linken Spalte die Position des
Akkords der Standardsequenz, der = 1 gesetzt wird
Charakteristisch und abweichend von der Standardprogression und ihren Rückungen ist bei den
so aufgefassten Sequenzen der stärkere Kontrast zwischen benachbarten Formteilen: Hier ändert
sich oft mehr als eine Position, wie die Figuren 6.1–5 in graphischer Form zeigen. Um die Kontinuitäten zwischen den Dreierblöcken für alle Übergänge sichtbar zu machen, sind wiederum jeweils fünf
Formteile aufgeführt. [67]
7
6
5
4
3
2
1
●
●
●
●
1
3
●
●
6
●
1
●
6
2
●
●
4
●
●
●
4
●
7
2
4
6
●
1
3
6
Figur 6.1: E-Typ
7
6
5
4
3
2
1
●
●
●
●
1
●
6
2
7
2
●
●
5
●
●
●
4
●
●
●
4
●
7
2
4
6
●
1
4
6
Figur 6.2: G-Typ
6
5
4
3
2
1
7
●
●
6
1
●
●
4
6
1
3
●
●
●
●
3
●
●
●
1
Figur 6.3: A-Typ
●
5
●
7
●
●
3
5
1
3
6
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
6
5
4
3
2
1
7
Das System der harmonischen Progressionen
●
●
●
●
●
1
6
1
3
5
●
7
2
●
●
●
●
●
3
●
5
●
7
●
●
3
5
1
3
6
Figur 6.4: F-Typ
6
5
4
3
2
1
7
●
●
●
●
●
1
3
●
5
●
7
2
●
●
●
4
●
7
2
●
5
●
7
●
●
3
5
1
3
5
Figur 6.5: D-Typ
Diese neu gewonnenen, abgeleiteten Progressionen, die sich von der Standardprogression oberflächlich unterscheiden, wenn sie auch in ihr ‚versteckt’ enthalten sind, können wiederum auf allen
sieben Stufen realisiert werden, woraus sich unter der Voraussetzung, dass alle Akkorde bzw. deren
Grundtöne als Bezugstöne einer Progression gehört werden können (s. o. bezüglich emischer Informationen zu dieser Frage), theoretisch 7 x 6 = 42 Möglichkeiten ergeben.
Während Tracey z. B. Mudande und Taireva beide als ‚A-Typ’, d. h.
136
146
135
735
[69]
klassifiziert, jedoch in verschiedenen „keys“, wären sie nach der hier vorgeschlagenen Systematik als
VI bzw. III einzuordnen, bei denen die Position 6 als (ein mögliches) subjektives tonales Zentrum in
Betracht kommt. Der Vorteil dieses Vorgehens besteht wie gesagt darin, dass die Frage, wie eine
Progression bzw. ein Stück gehört wird oder werden kann, nicht eindeutig beantwortet werden muss
und demnach nicht zur Einordnung herangezogen wird.
Betrachtet man die vorliegenden Versionen im Überblick, wobei natürlich nur die in der oben
beschriebenen Weise durch Unterricht gewonnenen zugrunde gelegt werden können, so fällt Folgendes auf:
•
•
Die Positionen 3 13, 10, 11 und 12 der Standardsequenz entfallen 14 auf allen Stufen als Startpunkte.
Damit kommen die theoretisch denkbaren, von Tracey aber nicht genannten G- und D-‚Typen’ auch im vorliegenden Material nicht vor.
13 Bei einem kutsinhira-Part von Chaona liegt zwar dieser Startpunkt vor, als Alternative wurde aber der folgende Akkord
(also Position 4) genannt, der kushaura dieses Stücks beginnt auf Position 6.
14 Dies ist allerdings nicht etwa so zu verstehen, dass sie ‚unzulässig’ wären, sie sind nur unüblich. Vgl. weiter unten das
Beispiel eines alternativen Startpunktes einer Bangiza-Version.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
•
•
Das System der harmonischen Progressionen
Die Transpositionsstufe V der Standardsequenz scheint äußerst selten zu sein. 15 Keins der
gängigen, beliebten Stücke basiert darauf. Im vorliegenden Material ist sie nur in modifizierter Form vertreten (Nyamamusango; vgl. dazu Kapitel 6).
Es gibt offensichtlich bezüglich der Segmentierung eine Abhängigkeit von der Transpositionsstufe der Standardsequenz, die sich in einer charakteristischen Verteilung äußert (s. Figur 7).
[70]
Transpositionsstufe
VII
VI
V
IV
III
II
I
H
A
G
F
E
D
C
1
D
C
H
A
G
F
E
2
H
A
G
F
E
D
C
4
F
E
D
C
H
A
G
3
D
C
H
A
G
F
E
5
G
F
E
D
C
H
A
6
H
A
G
F
E
D
C
7
E
D
C
H
A
G
F
8
G
F
E
D
C
H
A
9
C E G
H D F
A C E
G H D
F A C
E G H
D F A
10 11 12 temporale
Position
Figur 7: Die in Figur 3 dargestellte Standardprogression und ihre ‚Transpositionen’ mit hervorgehobenen
Startpunkten der Periode
Als potentielle tonale Zentren der Standardsequenz und ihrer ‚Transpositionen’ kommen also
folgende Akkordgrundtöne in Betracht: meist C und F, seltener G und H, ganz selten D (Bukatiende)
und A (Nyamaropa yeDambatsoko und eine Nhemamusasa-Version), nie E. Die resultierenden Segmentierungen bilden entsprechend ihrer jeweils übereinstimmenden Zäsuren folgende ‚Familien’:
1
4
2
7
5
(3)
(10)
8
6
= Typ 1
(11)
9
= Typ 2
(12)
= Typ 3
Zwischen den Transpositionsstufen der Standardsequenz und diesen Typen ergibt sich folgende
Relation:
Typ 1: nur bei I, IV und VII
Typ 2: nur bei II, III, IV und VI
Typ3:
nur bei II, III, VI und VII
[71]
I: nie Typ 2 oder 3 (eine Ausnahme)
II:
nie Typ 1
III:
nie Typ 1
IV:
nie Typ 3
VI:
nie Typ 1
VII:
nie Typ 2
15 Beispiele finden sich aber bei Brenner (1997).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Das System der harmonischen Progressionen
Die von Tracey wegen ihrer unterschiedlichen Grundtöne differenzierten Positionen 2 bzw. 5 (=
E-Typ) und 8 (= F-Typ) sind hinsichtlich ihrer Segmentierung als komplementär zu betrachten. Auf die
Segmentierung in vier Formteile und die damit verbundenen Zäsuren wird hier mehr Gewicht gelegt
als auf die Frage, welcher der beiden bei Typ 2 ja differierenden Grundtöne relevant sein könnte, da
bei gleicher Segmentierung unterschiedliche Startpunkte vorkommen (Nhemamusasa, Bukatiende).
Beim Hinweis auf alternative Startpunkte einer Version (z. B. Bukatiende VI2 statt VI8 bei Mhlangas
kushaura I, Mahororo I7 statt I4 bei Mujurus kushaura, auch Bangiza VII10 [!] statt VII4 bei Mukweshas
kushaura II) gaben die Musiker stets solche an, die die Segmentierung unverändert ließen. Die bei
Stücken, die auf der Standardsequenz oder ihren ‚Transpositionen’ beruhen, sehr häufigen Akkordsegmente
CEA CFA xxx xxx
und
FAD FHD xxx xxx
kommen auch oft bei Stücken vor, die auf anderen harmonischen Progressionen, z. B. modifizierten
Formen der Standardsequenz, beruhen (s. dazu Kapitel 6).
Oben haben wir bereits die Kontinuitäten hinsichtlich der Akkorde in aufeinander folgenden
Formteilen untersucht. Betrachtet man die Affinitäten zwischen zwei benachbarten Akkorden, stellt
sich heraus, dass sie jeweils ein oder zwei [72] Akkordtöne gemeinsam haben (s. das Beispiel der
Standardsequenz oben S. 61). Man könnte dies entsprechend für ihre Transpositionsstufen
durchspielen. Die Kehrseite dieses Sachverhalts lässt sich in einer ‚Ausschlussregel’ formulieren: Pro
Dreierblock in der Standardsequenz, unabhängig von ihrer Transpositionsstufe, sind jeweils zwei
Stufen ausgeschlossen, egal wo man die vier Formteile ansetzt. Dies sei für die Standardsequenz in
ihrer Erscheinungsform I1 demonstriert:
1. Formteil:
2. Formteil:
3. Formteil:
4. Formteil:
C/E/G E/G/H G/H/D
C/E/G E/G/H A/C/E
C/E/G F/A/C A/C/E
D/F/A F/A/C A/C/E
nicht F und A (allgemein: 4 und 6)
nicht D und F (allgemein: 2 und 4)
nicht D und H (allgemein: 2 und 7)
nicht G und H (allgemein: 5 und 7)
Diese ‚Ausschlussregel’ ist mitunter auch hilfreich, um die durch das Prinzip der harmonischen
Äquivalenz oft verschleierte jeweilige Akkordprogression zu ermitteln. In der gesamten Progression
sind nur die Stufen 1 und 3 (im obigen Beispiel C und E) immer möglich.
Darüber hinaus erweisen sich diese Affinitäten im Zusammenhang mit dem von Berliner als
„harmonic rhythm“ (1981:77) bezeichneten Charakteristikum von Stücken als problematisch. Die
konkrete temporale Ausdehnung der einzelnen Akkorde innerhalb des Zyklus soll ja ein Spezifikum
des jeweiligen Stückes und damit ein Unterscheidungsmerkmal darstellen. Das Prinzip der harmonischen Ambiguität von Akkordtönen, d. h. die Tatsache, dass sie auf verschiedene benachbarte Akkorde bezogen werden können, da sie in beiden enthalten sind, stellt einen strukturellen Aspekt der
Kaleidophonie der mbira-Musik dar. Das Konzept eines ‚harmonischen Rhythmus’ wird dadurch stark
relativiert, seine Festlegung in vielen Fällen fraglich.
Akkorde haben demzufolge meist den Charakter ‚tonaler Gravitationszentren’: Der Einflussbereich eines Akkords wird zu den Rändern hin oft dadurch unscharf, dass die verwendeten Töne in
Bezug auf zwei benachbarte Akkorde mehrdeutig sind und sowohl auf den ersten wie den zweiten
bezogen werden [73] können. Die Grenze ist nur dann deutlich zu ziehen, wenn ein Ton gespielt wird,
der für einen der beiden akkordfremd ist. Dieses Konzept kommt vor allem im Versionenvergleich der
Stücke zum Tragen. [74]
[75] Kapitel 4
Tabulatur und Notation:
Zur graphischen Repräsentation der Musik
Jegliche Verschriftlichung von Musik beinhaltet explizite und implizite Konzeptualisierungen des
betreffenden Stücks bzw. Stils. Bei einer – wie im vorliegenden Fall – oralen Musiktradition handelt
es sich dabei in erster Linie um eine ‚Nachschrift’ im Unterschied zu einer ‚Vorschrift’ etwa in der
Form einer europäischen Orchesterpartitur; erstere hat demnach deskriptiven, letztere präskriptiven
Charakter. 1 Andererseits hat das zunehmende Interesse an traditioneller Musik auch im Hinblick auf
deren praktische Ausübung seinen Niederschlag in einführenden Texten mit notierten Musikbeispielen gefunden, an Hand derer z. B. auch erste Schritte auf dem Wege des Erlernens des
Lamellophonspielens ermöglicht werden sollen. 2 In jedem Fall ist sowohl von Interesse, welche
musikalischen Parameter als auch wie sie schriftlich fixiert werden.
Tabulatur versus Notation
Grundsätzlich sind bei der Verschriftlichung zwei verschiedene Strategien der graphischen Repräsentation von Musik zu unterscheiden. Eine Tabulatur berücksichtigt die instrumentenspezifischen Gegebenheiten, indem sie konkrete Angaben darüber macht, wie ein bestimmter Ton bzw.
Klang zu erzeugen ist. Sie begegnet uns in der Form von Grifftabellen und Ähnlichem, die meist als
Spielanweisung (Vorschrift) gedacht sind, jedoch ebenso als Nachschrift dienen können, wenn genügend Informationen über die spezielle Spielpraxis eines Instruments zur Verfügung stehen oder das
Gehörte durch visuelles Material (z. B. Videoaufzeichnungen o. Ä.) im Hinblick auf seine Produktion
zweifelsfrei rekonstruierbar ist. Eine Tabulatur ist somit immer instrumentenspezifisch und gibt nur
indirekt Auskunft über das Klangresultat. Eine Notation im engeren [76] Sinne 3 ist dagegen instrumentenunabhängig und stellt mittels geeigneter Symbole die erzeugten (Nachschrift) oder die zu
erzeugenden (Vorschrift) Töne respektive Klänge dar, ohne dabei praktische Informationen über die
dazu notwendigen Aktionen des Musikers (wie z. B. Griffschemata, Fingersätze, u. Ä.) zu geben.
Letzteres Beispiel weist bereits darauf hin, dass in der Praxis natürlich durchaus Kombinationen
beider Systeme möglich sind, indem man eines um Elemente des anderen ergänzt, wie beispielsweise
bei Noten in einem Fünfliniensystem mit Fingersätzen für ein bestimmtes Instrument. Wir werden
diese Überlegungen weiter unten nochmals aufgreifen, wenn die in der vorliegenden Arbeit gewählte
Darstellungsweise diskutiert wird. Zunächst wollen wir aber einen Blick darauf werfen, wie die mbiraMusik in der Literatur notiert wird und welche Ansätze von den Musikern in Zimbabwe selbst
entwickelt oder aufgegriffen worden sind.
In der Literatur vorgeschlagene Lösungen
Von den bereits in Kapitel 1 behandelten Autoren haben nur drei Wesentliches zu diesem Thema
beigetragen, indem sie eigenständige Lösungen entwickelt haben, um dem Material gerecht zu
werden. Ihre Vorschläge werden im Folgenden kurz skizziert.
1 Vgl. dazu Seeger 1958, Suppan 1971 und Kuckertz 1993.
2 Z. B. African Musical Instruments (o. J.), A. Tracey 1970 b, Berliner im Anhang III in der Ausgabe von 1981, Maraire 1991,
Nembire 1993.
3 Vgl. dazu Grupe 1998 c.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
In seinem ersten einschlägigen Beitrag verwendet A. Tracey zur Notation der mbira-Musik eine
Akkolade aus zwei Fünfliniensystemen mit Violinschlüsseln, das obere, oktavierte für die rechte, das
untere für die linke Hand. Die tiefste Lamelle notiert er als G, das für G-Dur geforderte Vorzeichen (#)
klammert er ein und verweist auf die von seinem Vater ermittelten Durchschnittswerte für die mbiraStimmung (A. Tracey 1963:25). Der damals noch üblichen Praxis entsprechend gliedert er die Stücke
in Takte, teilweise mit unterschiedlichen Taktarten für beide Hände (3/4 bzw. 6/8). Die Periode von
48 kleinsten Zeiteinheiten (Pulsen), die er als Achtel ansetzt, ist gleichwohl klar erkennbar. Mit der
Begründung, die Stimmung der mbira weiche von unserem Tonsystem in Richtung auf eine
Äquidistanz ab, verzichtet er ab 1970 auf die Angabe eines Vorzei[77]chens, bleibt aber bei G als
tiefstem Ton. Allerdings wird das System für die linke Hand jetzt nach unten oktaviert; die Noten des
oberen (rechte Hand) haben grundsätzlich nach unten, die des unteren nach oben gerichtete Hälse,
die alle an einen durchgehenden, zentralen Balken angebunden sind, der die Zeitachse repräsentiert.
Die Notenköpfe sind in Bezug auf die Hälse zentriert, um die äquidistante Pulsfolge zu verdeutlichen.
(A. Tracey 1970 b:5, 11; 1970 a:51) Die Notenhälse hat er später zu durchgehenden Pulslinien
erweitert, die zentrale Zeitachse ist weggefallen (z. B. A. Tracey 1989). Ansonsten hat er die oben
skizzierte Form der Notation beibehalten.
In vergleichbarer Weise hat bereits 1978 Berliner die Beispiele in seiner Monographie notiert mit
dem Unterschied, dass er die drei Oktaven in einem Violinschlüsselsystem zusammenfasst (Berliner
1981:76). Nur den Stimmplan in Relation zu seiner Notation mit G als tiefstem Ton wie bei Tracey
notiert er in einer Akkolade aus einem Violin- und einem Bassschlüsselsystem (ebd.:55). Die Beschränkung auf ein System hat zur Folge, dass für die hohe Oktave des Instruments bis zu vier Hilfslinien über dem System notwendig sind (ebd.:96) und entgegen seiner Aussage nicht zu erkennen ist,
ob das G über dem System von der linken oder der rechten Hand gespielt wird. Durch drei verschiedene Notenkopfformen weist er auf Patternbildungen in drei Lagen hin, die im Wesentlichen deckungsgleich mit den drei Oktaven der mbira sind. Für die tiefste Lamelle der rechten Hand verwendet er ein zusätzliches Symbol um kenntlich zu machen, dass sie von der rechten Hand gespielt wird,
obwohl sie in die mittlere Oktave fällt, die ansonsten von der linken Hand erzeugt wird.
Als nützlich und der emischen Konzeptualisierung adäquat erweist sich – wie wir bereits in der
Einleitung gesehen haben – seine Lamellennomenklatur. Er benennt die Lamellen in Abhängigkeit
vom Manual, zu dem sie gehören, mit den Buchstaben B(ass), L(eft) und R(ight) und nummeriert
innerhalb der drei Bereiche fortlaufend von innen nach außen ohne Rücksicht auf den Skalenton, den
die jeweilige Zunge erzeugt (vgl. den Stimmplan der mbira am Ende dieses Kapitels).
Brenner verwendet in seiner Studie (1997) ein modifiziertes Liniensystem, bei dem jeder Stufe
der Skala eine Linie zugeordnet ist, die Zwischenräume werden [78] nicht genutzt. Dieses Verfahren
ist zuerst von Tracey für die Darstellung der Stimmpläne von Lamellophonen angewandt worden (A.
Tracey 1972), der es jedoch nicht für die Notation von Stücken benutzt. Auch Kubik verwendet gelegentlich Siebenliniensysteme, allerdings mit anderer Intention als Brenner, nämlich um den nichtmodalen Charakter äquiheptatonischer Leitern deutlich zu machen (z. B. Kubik 1983 b:392-394).
Während Tracey in seiner mbira-Schule (A. Tracey 1970 b) die oben skizzierte Notation anwendet, hat er für eine Anleitung zum karimba-Spiel ein System entwickelt, bei dem Ziffern in Kästchen
eingetragen werden (African Musical Instruments o. J.). Vergleicht man es mit dem rein optisch sehr
ähnlichen von Berliner, das dieser zum selben Zweck in seiner Monographie anwendet 4, so liegt der
entscheidende Unterschied darin, dass Berliner die Lamellen entsprechend ihrem Layout durchnummeriert, während Tracey die Stufen des Tonsystems, die sie repräsentieren, einschließlich der Oktavlage beziffert. Im ersten Fall handelt es sich also um eine Zifferntabulatur, im zweiten um eine Ziffernnotation, bei der der Schüler bereits wissen muss, welche Lamelle er zu zupfen hat, um das ge4 Im Anhang III in der Ausgabe von 1981. Dieser ist in der Ausgabe von 1978 noch nicht enthalten.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
wünschte (und notierte) Klangresultat zu erzielen. Ansonsten werden bei beiden Verfahren die Spielbereiche in Form nebeneinander stehender vertikaler Kolumnen kenntlich gemacht (bei Berliner eine
Spalte pro Hand, von oben nach unten zu lesen; bei Tracey eine pro Finger, also drei, von unten nach
oben zu lesen), die Zeilen stehen für die Pulsfolge.
Von einheimischen Musikern entwickelte bzw. angewandte Systeme
Es ist natürlich von besonderem Interesse zu beobachten, wie Musiker einer traditionell schriftlosen Kultur wie die der Shona auf Verschriftlichungen ihrer Musik reagieren, die von Außenstehenden entwickelt worden sind.
Berliners von oben nach unten zu lesende karimba-Tabulatur kombiniert mit seiner Lamellennomenklatur ist wohl auch das Vorbild für die Art und Weise, in der sowohl Chris Mhlanga als auch
Virginia Mukwesha gelegentlich Stücke [79] bzw. einzelne Versionen aufschreiben, allerdings erweitert auf drei Spalten, so dass für jedes Manual der mbira eine zur Verfügung steht:
L
B
R
etc.
In die Kästchen trägt man jeweils die Nummer der betreffenden Lamelle ein. Der hosho-Beat
wird zusätzlich markiert. Diese Anordnung ist nach Auskunft Mhlangas um 1987 von ihm in Zusammenarbeit mit dem Musiker und Musikdozenten Chris Hamblin entstanden.
Samuel Mujuru hat ein zweispaltiges, ebenfalls von oben nach unten zu lesendes System der
Niederschrift entworfen, das Ansätze in Richtung Notation zeigt. Im R-Manual wird nämlich die
tiefste Zunge (R1) als „m(iddle)“ bezeichnet, um dort die restlichen Lamellen stufenweise durchnummerieren zu können. Die Bezifferung für die linke Hand erfolgt dagegen sukzessive von innen
nach außen wie bei Berliner, wobei er die Lamellen des B-Manuals durch ein „d(own)“ nach der Ziffer
von denen des L-Manuals unterscheidet. Da zeilenweise von links nach rechts gelesen wird, ist hier
die Pulsfolge nicht deutlich sichtbar. „=“ bedeutet gleichzeitig, „–“ eine Pause von einem Puls.
L
2
1
6
4
5d
4
1
R
=
=
=
=
1
1
m=3
–
m=3
1
etc.
[80]
Frederick Mujuru nummeriert die Lamellen grundsätzlich nach Stufen und schreibt ein Stück horizontal, um z. B. einen kushaura- und einen kutsinhira-Part pulsweise synchron untereinander
anordnen zu können. Sowohl Samuel als auch Frederick Mujuru beschriften zum Unterrichten von
Ausländern manchmal die Lamellen entsprechend ihrer jeweiligen Bezifferungsmethoden.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
Alle von einheimischen Musikern verwendeten Aufzeichnungen von Stücken sind im Übrigen aus
diesem Kontext entstanden und berücksichtigen die Tatsache, dass ‚westliche’ Schüler an Schriftliches speziell als Merkhilfe gewöhnt sind und auf eine solche wegen der anfänglichen Fremdheit des
Repertoires vielleicht sogar angewiesen sind. Einheimische lernen dagegen rein gehörsmäßig, indem
sie einen ständig wiederholten Zyklus nachzuspielen versuchen. Ist einmal eine selten gespielte
Version nicht mehr präsent und auch durch mehrfaches Ausprobieren nicht mehr rekonstruierbar,
gibt es in der Regel immer einen anderen erfahrenen Musiker, bei dem man sich in so einem Fall Rat
holen kann. 5
Die eigene Darstellungsweise
Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen, die Gründe für die getroffene Wahl der Darstellungsweise liefern sollen, ist die Frage, welche Aspekte des musikalischen Geschehens überhaupt
festgehalten werden sollen, da sie als relevant betrachtet werden, und welche Form der Repräsentation dazu adäquat ist. Dabei ist auch die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass unterschiedliche
Parameter eventuell auch unterschiedliche Darstellungsweisen erforderlich oder zumindest empfehlenswert machen können.
Wie schon bei der Diskussion der Akkordsequenzen (s. o. Kapitel 3) stellt sich auch hier wieder
die Frage, inwieweit der zyklische Charakter der Stücke eine ebensolche Darstellung erfordert oder
ob gewichtige Gründe für eine lineare Anordnung sprechen. [81]
Bereits in einem relativ frühen Stadium der Erforschung afrikanischer Musikkulturen hat David
Rycroft solche Zyklen nicht nur durch spiralenförmige Diagramme veranschaulicht (Rycroft 1954),
sondern sie später auch in einem kreisförmigen Fünfliniensystem notiert (Rycroft 1967), das jedoch
nur selten von anderen Autoren aufgegriffen worden ist (z. B. Hansen 1981). Interessanterweise hat
etwa Kubik, der diese Zirkularnotation durchaus nicht ablehnt (Kubik 1984:74), sie selber nicht angewandt und zwar selbst da nicht, wo – wie im Fall der Xylophonmusik buGandas, mit der er sich ja
intensiv beschäftigt hat – die einzelnen Parts quasi unverändert zyklisch wiederholt werden, was sie
für eine Zirkularnotation prädestinieren würde. Bekanntlich bevorzugt er hier eine Ziffernnotation in
linearer Anordnung (Kubik 1991).
Im Wesentlichen sind es zwei Argumente, die dazu geführt haben, für die mbira-Stücke keine
Zirkularnotation oder -tabulatur zu verwenden:
1.
2.
Das für analytische Zwecke nötige Vergleichen, z. B. verschiedener Stücke oder verschiedener Versionen eines Stückes, sowie die Synchronisierung von kushaura- und kutsinhira-Part
werden durch untereinander angeordnete, lineare Systeme erleichtert.
Anders als bei im Prinzip unverändert repetierten Zyklen wie etwa der Xylophon-Musik
buGandas gibt es in den mbira-Stücken durchaus eine deutlich lineare Komponente in Form
von Variantenbildung über die Zeit, so dass auch hierin eine lineare Darstellung ihre Berechtigung findet.
Das aus der Erforschung afrikanischer Musikkulturen wohlbekannte Prinzip der Differenzierung
zwischen Produktion und Rezeption trifft in besonderem Maße auch für die mbira-Musik zu. 6 Es gilt,
5 Vgl. zur Frage der Tradierung und traditioneller Lehr- und Lernmethoden Berliner 1981 und Grupe 1994.
6 Vgl. auch die Unterscheidung zwischen „Spielbild“ und „Hörbild“ (z. B. A. Tracey 1961:63, Kubik 1983 b:340). In Kapitel 5
werden wir noch genauer darauf eingehen. Jean-Jacques Nattiez reflektiert dies aus semiotischer Sicht im Anschluss an Jean
Molino als „process of creation (the poietic process)“ bzw. „process of reception (the esthesic process)”, d. h. als Aspekte
oder Dimensionen der „semiological tripartition” (Nattiez 1990).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
sowohl die Bewegungsabläufe beim mbira-Spielen als auch deren Klangresultat zu untersuchen, um
so ein umfassendes Bild aus der Sicht des Musikers wie auch des Hörers zu gewinnen. [82]
Hier stellt sich die Frage, ob es möglich und sinnvoll ist, beide Dimensionen in einer Darstellungsweise integriert zusammenzufassen, oder ob eine Trennung angebrachter ist. 7 Probleme bereitet hier vor allem der Umstand, dass die Lamellen nicht ihrer Stufe entsprechend fortlaufend angeordnet sind.
Betrachten wir zunächst den motionalen Aspekt. Hier ist nicht nur die Interaktion von linker und
rechter Hand als Hauptkriterium von Interesse, sondern auch die jeweils unterschiedliche weitere
Spezifizierung: Für die linke Hand besteht sie in der Differenzierung der beiden Manuale, nämlich des
oberen (L) und des unteren (B), die beide mit dem Daumen gespielt werden, für die rechte Hand in
derjenigen zwischen Daumen und Zeigefinger und deren jeweiligen Spielbereichen. Es ist also eine
Interaktion von vier Elementen zu visualisieren, die zwei übergeordneten Kategorien zugeordnet
sind:
Will man zusätzlich zu dieser groben Rasterung der zur Klangerzeugung eingesetzten Motorik
den Aspekt der räumlichen Distanz festhalten, d. h. der Wege, welche die Finger von einer Lamelle
zur nächsten beim Spielen jeweils zurücklegen, bietet sich eine fortlaufende Durchnummerierung der
Zungen je nach Manual an, so wie es Berliner vorgeschlagen hat: Besonders der vom linken Daumen
zu überbrückende Abstand wird so unmittelbar aus der Differenz der Ziffern ersichtlich. Für das RManual spielt die Distanz eine untergeordnete Rolle, da typischerweise entweder Daumen und Zeigefinger alternieren oder mit letzterem stufenweise absteigende Linien gespielt werden. [83]
Will man nun die klangliche Seite der Musik im Hinblick auf harmonische und melodische Charakteristika untersuchen wie z. B. die konkreten Ausprägungen der harmonischen Sequenzen, die
Variantenbildung, die Relation von kushaura und kutsinhira, etc., bedarf es einer Notation, die das
Klangresultat der in einer Tabulatur fixierten spieltechnischen, motionalen Daten visualisiert.
Als Erstes ist hier auf die Alternative Notenschrift versus Ziffernnotation einzugehen. Kubik, der
ja wie bereits oben erwähnt z. B. für die Xylophonmusik buGandas eine Niederschrift mittels Ziffern
präferiert, hat deren Vor- und Nachteile u. a. wie folgt beschrieben:
„Wie jedes System hat auch die Ziffernnotation Vor- und Nachteile. Vorteile sind unter anderem:
1. Das System suggeriert von sich aus nicht die europäischen Intervalle. Es ist daher besonders geeignet
für temperierte Tonskalen [...].
2. Es handelt sich um eine Impaktnotation, in der die primären Zeichen [...] keinerlei Tondauer [...]
implizieren. [...]
3. Ziffernnotationen kann man auf einer [...] Schreibmaschine schreiben. Sie sind daher ökonomisch [...].
4. Strukturelle Identitäten innerhalb der Kiganda-Musik, besonders die Identität der melodisch verschieden gestalteten Strukturen in den einzelnen miko-Transpositionen [...] werden durch Ziffernnotation
überhaupt erst sichtbar.
Nachteile der Ziffernnotation sind:
1. Melodische Bewegungen sind nicht durch Raumdarstellung visualisiert [...].
2. Zusatzzeichen [...] können zur Überladung des Notationsbildes führen.“ (Kubik 1991:51)
7 Vgl. dazu Grupe 1998 c.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
Welche Relevanz haben die einzelnen Punkte für das vorliegende Material? Auch Notationen wie
die von Tracey und Berliner sind non-durational und angesichts der zumindest für ‚westliche’ Wissenschaftler heute allgemein zugänglichen Computer nebst einschlägiger Notensatz-Software auch
problemlos druckfähig.
Zur Darstellung struktureller Charakteristika bieten Ziffern dagegen zweifellos Vorteile, weshalb
sie auch bei Bedarf (z. B. oben Kapitel 3) Anwendung finden. Dass eine nicht durch europäische
Intervallvorstellungen geprägte Notations[84]weise auch mittels eines Liniensystems möglich ist, hat
Kubik selbst an Hand eines Siebenliniensystem vorgeführt (z. B. Kubik 1983 b:392-394).
Es bleibt also im Wesentlichen das Problem einer tonräumlichen Darstellung, die wohl durch ein
Liniensystem, nicht jedoch durch eine Ziffernnotation geleistet wird. In Anbetracht eines Ambitus von
immerhin drei Oktaven (und teilweise mehr) scheint mir eine visuell unmittelbar anschauliche, d. h.
nicht erst aus Ziffern mittels zusätzlicher Denkarbeit zu rekonstruierende, Darstellung dieser Räumlichkeit geboten zu sein. Phänomene wie (inhärente) Patternbildung in verschiedenen Lagen, Verzicht
auf Verwendung bestimmter Spielbereiche bei manchen Versionen, u. Ä. können so sichtbar gemacht
werden.
Diese preoccupation mit der ‚Räumlichkeit’ bei der Repräsentation von Musik ist natürlich eindeutig eurozentrisch geprägt und zudem von den jeweiligen Erfahrungen des potentiellen Lesers mit
unserer Notenschrift abhängig. So plädiert Tracey zwar wie erwähnt für eine Teilung in zwei Systeme,
so dass die Parts der rechten und linken Hand getrennt notiert werden können, jedoch deckt er den
Ambitus von drei Oktaven dadurch ab, dass er eins der beiden Violinschlüsselsysteme oktaviert. Im
Hinblick auf die oben geforderte unmittelbare Sichtbarmachung ohne zusätzliche Denkarbeit bietet
sich natürlich eher eine Kombination aus Bass- und Violinschlüsselsystem an, was allerdings entsprechende Kenntnisse beim Leser erfordert.
Grundsätzlich entsprechen ohnehin Kategorien wie ‚hoch’ und ‚tief’, die auf Raum- bzw. Distanzauffassungen verweisen, unserem Konzept eines tonalen Beziehungssystems, das ja bekanntlich
nicht einfach auf afrikanische Musikkulturen übertragbar ist (vgl. z. B. Kubik 1983 b). Wie auch in
einer Reihe von anderen afrikanischen Sprachen ist beispielsweise im chiShona ein tiefer Ton ‚groß’,
ein hoher ‚klein’ (izwi guru bzw. izwi diki; vgl. A. Tracey 1970 b:25 und Hannan 1984). Noch zu klären
wäre die Frage, inwieweit wir selber eigentlich tatsächlich in dreidimensionalen Räumen oder nicht
vielmehr in zweidimensionalen Distanzen zu denken gewohnt sind. Unser Sprachgebrauch scheint
hier [85] nicht präzise zu sein. Wenn man die Zeitachse außer Acht lässt, ergibt sich u. U. sogar ein
eindimensionales Modell. 8
Nach diesen Überlegungen lassen sich an die Darstellung des Klangbildes also folgende Forderungen richten. Sie soll
den Tonraum visualisieren,
keine Festlegung der Tondauern und keine Gruppierung der Noten z. B. durch Balken implizieren (Impaktnotation),
• das Pulsraster und die Relation aller Töne zum Beat klar erkennbar machen.
•
•
Zwei Optionen kommen zur Realisierung dieser essentials in Betracht.
1.
2.
Ein auf den Umfang von drei Oktaven plus eine Sekunde erweitertes Siebenliniensystem,
also (3 x 7 =) 21 + 2 = 23 Linien.
Eine Akkolade aus zwei konventionellen Fünfliniensystemen, davon eins mit Bass-, eins mit
Violinschlüssel, mit einer geeigneten Zuordnung der tiefsten Lamelle zu einem Ton.
8 Vgl. Schneider/Beurmann 1990 und 1991.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
Die erstgenannte Lösung ist zweifellos räumlich sehr anschaulich, durch die Verwendung verschieden gestalteter Notenköpfe ist auch die motionale Dimension darstellbar. Um den Vorteil dieses
hinsichtlich europäischer Vorstellungen von Tonsystem und Intervallgrößen optisch unbelasteten
Systems nicht terminologisch wieder zunichte zu machen, sollte man dann auf Tonnamen (C, D, etc.)
verzichten und ausschließlich neutrale Ziffern für die Benennung der Töne verwenden. Dies wäre
ohne Zweifel möglich, wenn auch die rein numerische Ausdrucksweise bei der Diskussion melodischer und harmonischer Fragen etwas gewöhnungsbedürftig ist. 9
Das entscheidende Manko eines 23-Linien-Systems scheint mir darin zu liegen, dass es wegen
der Nichtnutzung der Zwischenräume im Platzbedarf unökonomisch und dabei gleichzeitig wegen der
vielen Linien sehr schwer überschaubar [86] ist. Man ist ständig geneigt, sicherheitshalber von der
nächstliegenden dicken Oktavlinie aus abzuzählen, ob man eine Note richtig gelesen, d. h. der zutreffenden Linie zugeordnet hat (vgl. die Notenbeispiele 1 b und 2 b weiter unten). Bei einem pentatonischen System wäre dieser Effekt sicherlich weniger gravierend. Die Entscheidung für eine bestimmte Form der Visualisierung eines musikalischen Korpus sollte immer die Tatsache berücksichtigen, dass die Wahl einer Darstellungsweise dem jeweiligen Zweck der Notation so gut wie möglich
dienlich sein sollte. So besteht für Wolfgang Suppan ihre Aufgabe darin, eine „sinnvoll lesbare, das
meint: die jeweils gefragten Aspekte herausstellende und damit für wissenschaftliche Arbeit brauchbare Niederschrift von Erklingendem“ zu liefern (1971:537). Eine einzige, universell anwendbare
Lösung etwa im Sinne von Mantle Hoods „Laban solution“ (Hood 1971 a) ist jedoch leider nicht in
Sicht. Es wird vielmehr immer wieder abzuwägen sein zwischen dem Bestreben, den Zugang zu den
eigenen Forschungsergebnissen nicht durch kryptische Notenbeispiele zu behindern, und der Notwendigkeit, die jeweiligen Merkmale einer Musik auf möglichst adäquate und anschauliche Weise zu
visualisieren. 10
Es spricht also einiges für die oben genannte zweite Lösung: eine Akkolade aus zwei Fünfliniensystemen. Berliner hat auf diese Weise den Stimmplan der mbira notiert und dabei (wie vor ihm
schon Tracey) die tiefste Lamelle mit G angesetzt. Dies hat den Vorteil, dass der gesamte Tonumfang
des Instruments ohne Hilfslinien untergebracht werden kann. Leider ist damit verbunden, dass die
intrakulturell relevante Verteilung der Noten auf die beiden Hände so nicht sonderlich anschaulich
ist. Notiert man dagegen den tiefsten Ton als C, so korrespondiert der Übergang zwischen Bass- und
Violinschlüsselsystem genau mit demjenigen von der mittleren zur oberen Oktave der mbira. Vor
allem die in diesem Bereich gedoppelten Töne, die einmal der linken, einmal der rechten Hand
zugeordnet sind (L6 und falls vorhanden L7 gegenüber R2 und ggf. R3), lassen sich so deutlich unterscheiden. Problematisch ist und bleibt jedoch auch hier die Zunge R1, die sich durch ihre tonale
Verschränkung mit der mittleren Oktave, deren dritte Stufe sie erzeugt, gegen eine solche Aufteilung
sträubt. Wie [87] man sieht, ist die von Kubik geäußerte Skepsis hinsichtlich einer optimalen Notationsweise (s. o. S. 83) zweifellos berechtigt.
In Notenbeispiel 1 a ist die Relation zwischen dem Stimmplan und der hier erörterten Notation
ersichtlich. Auf die Verwendung von Vorzeichen habe ich verzichtet, da die konkrete Intonation
ohnehin variabel ist. Immerhin spricht einiges dafür, dass historisch gesehen die ursprüngliche mbiraStimmung einem C-Modus entsprochen haben dürfte (Brenner 1997:159 ff.). Die bei meinen Gewährsleuten vorrangig verwendeten Stimmungen kommen einem C-Modus ebenfalls recht nahe (s.
dazu Kapitel 2). Beispiel 2 a zeigt die Anwendung auf ein Stück. Die isochrone Pulsfolge ist hier durch
vertikale Striche markiert, der Beat durch einen etwas längeren Pulsstrich. Zum Vergleich ist jeweils
9 Vgl. z. B. Kubik 1991.
10 Vgl. Aroms Plädoyer für die Verwendung der europäischen Notenschrift zur Darstellung seines Materials aus Zentral-
afrika (1991 a:172-173) sowie Knights Überlegungen bezüglich der kora-Musik (1973:186).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
auch eine Übertragung in ein 23-Linien-System hinzugefügt. Die in Beispiel 1 b verwendeten vier
unterschiedlichen Notenköpfe ließen sich natürlich auch in den Akkoladen einsetzen, so dass man die
motionalen Aspekte simultan mit den tonalen darstellen kann. Um jedoch das Notenbild nicht zu
überladen, kann man für die Diskussion melodischer und harmonischer Fragen darauf verzichten.
Andererseits ist eine auf die Unterscheidung der vier Spielbereiche (also: Links Unten, Links Oben,
Rechter Daumen, Rechter Zeigefinger) kondensierte Fassung eines Stücks für die Erörterung von
Bewegungsmustern günstiger, da man nicht durch zusätzliche (tonale) Informationen abgelenkt wird.
Eine solche Darstellung der motionalen Dimension zeigt Beispiel 3.
Möchte man aus praktischen Erwägungen, z. B. als Mittel der deskriptiven Transkription oder
auch als unmittelbare Spielanweisung für einen mbira-Schüler, die Vorteile einer Tabulatur nutzen,
so bietet sich eine nur leicht modifizierte Version der von Mhlanga und Mukwesha verwendeten an.
Um die Darstellungsweisen von Klangbild und Motorik mit der Tabulatur visuell zu korrelieren, sollte
man letztere ebenfalls horizontal anordnen, was im Übrigen auch unseren (!) Lesegewohnheiten
entspricht. Es ist nahe liegend, dabei die tonräumliche Tendenz der drei Manuale in der vertikalen
Anordnung der Zeilen (B, L, R) zu berücksichtigen. Beispiel 4 zeigt eine solche Tabulatur. Erweitert
man die Darstellung des R-Manuals auf zwei Zeilen wie in Beispiel 3, so lassen sich auch sämtliche
Spielbereiche unmittelbar ablesen. Der motionale Aspekt kann damit komplett wiedergegeben
werden und auf diese Weise lässt sich auch eine An[88]regung aufgreifen, die Roderic Knight schon
1971 vorgetragen hat, nämlich die Kombination der von ihm ursprünglich für die westafrikanische
Kerbstegharfe kora entwickelten Tabulatur mit einer Akkolade aus Bass- und Violinschlüsselsystem
auf andere Instrumente mit vergleichbaren Eigenschaften (Aufteilung von Spielbereichen nach
Händen und Fingern) zu übertragen. Er nannte selbst bereits u. a. mbira-Instrumente als ‚Kandidaten’
(Knight 1971:34). 11 Beispiel 5 zeigt eine solche Kombination von Notation und Tabulatur. 12
11 Vgl. dazu auch Knight 1972. Es handelt sich allerdings streng genommen nicht um eine ‚echte’ Tabulatur, da nicht die
Saiten oder Lamellen durchnummeriert werden, sondern die Stufen notiert sind (vgl. Knight 1973:182).
12 Ein weiteres Beispiel für die Vorzüge einer Kombination von Tabulatur und Notation findet sich in Schmidhofers Arbeit
über madegassische Xylophonmusik (1995).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
[89]
Beispiel 1 a und b: Der Stimmplan einer mbira (zum Vergleich einmal im Fünf-, einmal in einem Siebenliniensystem notiert)
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
[90]
Beispiel 2 a: Notation eines Stücks (Impaktnotation mit Pulsen und Beats)
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
[91]
Beispiel 2 b:
Das Stück aus Beispiel 2 a zum Vergleich hier in einem Sieben-liniensystem notiert
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
[92]
Dande, kushaura von S. Mujuru
RZ
x
x
x
RD
LO
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
LU
x
RZ
x
x
RD
LO
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
LU
x
x
RZ
x
x
x
x
x
x
x
x
RD
LO
x
x
LU
x
RZ
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
RD
LO
LU
x
x
x
x
x
x
Beispiel 3: Darstellung der motionalen Dimension
x
x
x
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
[93]
Dande, kushaura von S. Mujuru
Beat
x
R
5
5
3
4
L
4
x
x
2
1
4
x
5
5
3
4
B
7
Beat
x
R
5
5
3
4
L
4
x
x
2
1
1+4
4
B
Beat
x
R
8
L
3
5
x
8
8
5
x
1+4
2
1
5
1
x
x
7
4
7
6
1
B
6
6
5
1
Beat
x
x
x
x
R
5
L
B
3
5
5
3
3
4
4
3
4
3
4
5
7
Beispiel 4: Tabulatur (horizontale Anordnung der ursprünglich vertikalen Tabulatur von Mukwesha, Mhlanga,
u. a.)
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur graphischen Repräsentation der Musik
[94]
Dande, kushaura von S. Mujuru
RZ
RD
LO
LU
RZ
RD
LO
LU
RZ
RD
LO
LU
RZ
RD
LO
LU
4
5
5
3
4
2
1
4
5
5
3
4
3
7
4
5
5
3
4
4
1
2
1
4
4
1
1
5
8
5
6
5
3
8
5
8
4
6
5
5
3
3
7
5
4
4
3
Beispiel 5: Kombination von Notation und Tabulatur
2
1
7
1
6
1
4
3
4
5
7
[95] Kapitel 5
Bewegung und Klang:
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Bevor wir uns einzelnen Stücken zuwenden, soll zunächst dargestellt werden, welche Charakteristika grundsätzlich in der musikalischen Performance eine Rolle spielen und das Klangbild prägen.
Zum einen betrifft dies die Rollenverteilung im Ensemble, also die Aufteilung in bestimmte mbiraParts, zum anderen Oberflächenphänomene, welche die harmonischen Progressionen überlagern
können. Außerdem werden das hosho-Spiel sowie die Frage der Mehrstimmigkeit zu erörtern sein.
Darüber hinaus ist auch die Patternbildung im Sinne konkreter Bewegungsabläufe, die beim mbiraSpiel häufig prägnante Muster bilden, von Bedeutung, und zwar sowohl für das (hörbare) Klangresultat wie auch für die Wahrnehmung der musikalischen Performance aus der Perspektive des Musikers.
Solche motionalen Patterns sind zwar nur für ihn direkt wahrnehmbar, dürfen aber im Hinblick auf
ein umfassendes Bild nicht außer Acht gelassen werden.
Die Dimension der Bewegung
Bereits Erich M. von Hornbostel hat in seinem Beitrag African Negro Music (1928) die besondere
Bedeutung der Dimension der Bewegung für afrikanische Musik hervorgehoben. Dabei geht es nicht
nur um das Verhältnis von Musik und Tanz, sondern auch um die Musikproduktion selbst und die
damit in Zusammenhang stehenden Bewegungsabläufe beim Musizieren. Trotz aller berechtigter
Kritik an Hornbostels dort vorgetragenen Thesen über afrikanische Rhythmik 1 bleibt es doch sein
Verdienst, auf dieses zentrale Element der musikalischen Darbietung frühzeitig aufmerksam gemacht
zu haben. Anders als Hornbostel konnten spätere Forscher, die sich mit diesem Zusammenhang von
auditiver und motionaler Ebene in afrikanischer Musik befasst haben, darunter John Blacking (1955,
1961) und Gerhard Kubik (z. B. 1979), auf eigene Anschauung und Er[96]fahrung vor Ort zurückgreifen. Nach Kubik haben Bewegungsmuster in afrikanischer Musik sowohl eine „sonic“ wie auch
eine „nonsonic dimension“ (1979:227). Letztere könne sogar in gewisser Weise als eigenständig
(„self-sufficient“) betrachtet werden, denn „in African music patterns of movement are in themselves
a source of pleasure“ (ebd.:228). Wie wir sehen werden, trifft dies für das mbira-Spiel tatsächlich zu.
Außerhalb dieses geographischen Kontextes hat sich vor allem John Baily in mehreren Beiträgen
um eine systematische Fortentwicklung des häufig vernachlässigten Studiums strukturierter Bewegungsmuster im Instrumentalspiel verdient gemacht (Baily 1977, 1985). Dabei zeigt sich in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, wie fruchtbar die Einbeziehung instrumentaltechnischer Gegebenheiten für das Verständnis eines Musikstils und die Erklärung der tatsächlich klingenden Musik
sein kann, so in Wolfgang Suppans Beitrag zum ägyptischen nay-Flötenspiel (1994), in Regine
Allgayer-Kaufmanns Studie zur Musik der bandas de pífanos 2 in Nordostbrasilien (1996) oder auch in
Klaus-Peter Brenners Untersuchungen der erstaunlichen akustischen und spieltechnischen Möglichkeiten des Mundbogens chipendani, deren Konsequenzen im Hinblick auf die Rekonstruktion der
Evolution der Akkordsequenzen in der Shona-Musik er ausführlich dargelegt hat (Brenner 1997). 3
[97]
1 Vgl. dazu Grupe 1998 b mit weiteren Literaturhinweisen.
2 Es handelt sich um Ensembles aus Flöten und Trommeln.
3 Vgl. auch seine Untersuchung von Daumen-Bewegungsmustern im Lamellophonspiel (1997:157-159).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
mbira-Patterns
Bezüglich der Lamellophonmusik der Shona verdanken wir erste Hinweise auf eine Differenz zwischen Spiel- und Hörbild Andrew Tracey, der darauf in einem Beitrag zur karimba-Musik (1961) aufmerksam gemacht hat. Er führt diesen Effekt auf die Tatsache zurück, dass ein Hörer diejenigen Töne
als zusammengehörig empfinde, die tonhöhenmäßig benachbart seien. Der Spieler dagegen verteile
diese auf beide Hände, so dass sich „a different player- and listener-image“ ergebe (1961:63). Ohne
zunächst von solchen Ergebnissen musikethnologischer Forschung Kenntnis zu haben, ist man von
musikpsychologischer Seite ebenfalls auf dieses Phänomen gestoßen. 4 Wir werden im Abschnitt über
‚Inhärente Patterns’ (S. 118) darauf zurück kommen.
Neben A. Tracey hat auch Robert Kauffman die ‚subjektive’ Seite des mbira-Spiels interessiert
und ihn dazu veranlasst, dessen ‚taktilem’ Element nachzugehen (Kauffman 1979). Zur Diskrepanz
zwischen der Komplexität des Spiels und dem tatsächlichen Höreindruck bemerkt er sicherlich zutreffend, die Spielfiguren auf der mbira seien zwar „extremely intricate and involved“, jedoch auf
Grund der Überlagerung des Lamellenklangs durch einen hohen Geräuschanteil oft kaum zu hören
(vgl. dazu unten S. 144). Als Erklärung nimmt er an,
„at least a large proportion of the enjoyment of playing the mbira must come from its tactility rather than
from its sound-producing characteristics, in other words, the vibration complex of the mbira keys can be
enjoyed as a pleasant sensation.“ (Kauffman 1979:252)
Anders als bei der chinesischen Wölbbrett- oder Langzither qin, wo z. B. mit dem Gleiten über
die Seite zweifellos eine charakteristische, über den Tastsinn vermittelte Wahrnehmung verbunden
ist (Liang 1985:208-211), scheint mir dies für die mbira in dieser Weise nur begrenzt zu gelten. Aus
eigener Erfahrung kann ich sagen, dass durch das Anzupfen der Zungen wegen der akustischen
Kopplung zwar das gesamte Instrument zu vibrieren beginnt und dies vom Spieler auch wahrgenommen wird. Dagegen ist ein Kontakt zwischen Finger[98]kuppe und Lamelle auf Grund der Anregungsart auf einen kurzen Moment beschränkt. Zudem wird durch das Herunterdrücken der Lamelle deren
Schwingung deutlich gedämpft. Hier gibt es sicherlich einen sensorischen Eindruck, den ich keineswegs in Abrede stellen will.
Viel entscheidender für den Bewegungsaspekt sowie die Würdigung des Zusammenwirkens von
auditiver und motionaler Dimension beim mbira-Spiel sind jedoch die strukturierten Bewegungsabläufe beim Zupfen der Lamellen. A. Tracey hat dies als „the importance of the motor pattern“ (1970
a:39) zu Recht hervorgehoben. Dieser aus der Perspektive des Musikers eminent wichtige Aspekt der
Performance entzieht sich auf Grund seines introspektiv-selbstreferentiellen Charakters 5 der
Wahrnehmung durch den Hörer und normalerweise sogar der eines Zuschauers: Selbst wenn dieser
die Bewegungsabläufe visuell verfolgen könnte, was die halbkugelförmigen Kalebassenresonatoren
meist verhindern, wäre die Regelmäßigkeit der Abfolge in den Fingersätzen verteilt auf bis zu vier
Spielbereiche in Echtzeit kaum nachzuvollziehen.
Motiorhythmische Patterns
Als Erstes lässt sich ein systematischer Einsatz von Spielbereichen 6 beispielsweise in Form einer
regelmäßigen Abfolge oder eines Verzichts auf einen Bereich konstatieren. Einschlägige chiShona4 Man spricht dort von ‚auditory stream segregation’ oder ‚parsing’. Vgl. dazu Wegner 1993 und Bregman 1990.
5 Vgl. dazu Grupe 2004 a.
6 LU = links unten (= B-Manual), LO = links oben (= L-Manual), RD = rechter Daumen, RZ = rechter Zeigefinger.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Termini scheinen in diesem Zusammenhang zwar nicht zu existieren, die Musiker haben jedoch ein
klares Konzept der Spielbereiche und damit auch der einzelnen Bestandteile des resultierenden Patterns. Beim Vergleich zweier Versionen eines Stücks wird von den Musikern auf die Verwendung bzw.
die Aufeinanderfolge der Manuale der linken Hand ausdrücklich hingewiesen: So ergaben sich in der
Diskussion mit den Informanten immer wieder Aussagen wie: „Man kann das Stück auch ohne die
tiefen Zungen spielen.“ oder „Statt oben – unten [erst L-Manual, dann B-Manual] kann man auch
umgekehrt spielen.“ Diese Möglichkeiten sind den Musikern also be[99]wusst, sie werden gezielt etwa zur Variantenbildung eingesetzt. Die intrakulturelle Konzeptualisierung der Spielbereiche zeigt
sich demnach
•
•
•
•
•
an expliziten Hinweisen wie z. B. dem, eine bestimmte Version werde ohne die tiefen Lamellen, d. h. das B-Manual (LU), gespielt;
am gezielten Vertauschen der beiden Manuale der linken Hand von der Abfolge LO → LU zu
LU → LO bzw. umgekehrt als Mittel der Variantenbildung (Dies gilt auch für längere Folgen
wie LU – LO – LU oder umgekehrt LO – LU – LO etc.);
an der Fähigkeit, die linke und rechte Hand einer Version separat zu unterrichten (z. B. S.
Mujuru);
an der damit im Zusammenhang stehenden Tendenz, zur Variantenbildung oder Erzeugung
neuer Versionen eines Stücks zunächst nur den Part einer Hand zu verändern;
an der Differenzierung innerhalb der rechten Hand, die sich z. B. im Alternieren von Zeigefinger und Daumen oder in einer kontinuierlichen Folge von Tönen des RZ-Bereichs auf jedem
zweiten Puls mit eingestreuten RD-Tönen äußert.
Diese emische Relevanz der Differenzierung der vier Spielbereiche sei an folgenden Beispielen illustriert 7:
1. LO → LU
•
•
•
Nyamaropa, kushaura I bei Tracey
Mahororo, kutsinhira von Mhlanga
Nhemamusasa, kushaura III von Mujuru
2. LU → LO
•
Nyamaropa, kushaura II bei Tracey [100]
3. Kombination aus 1 und 2
•
Nhemamusasa, kushaura I und II von Mujuru, kutsinhira von Mhlanga
4. nur LO
•
•
Bangiza, kushaura II von Mujuru
Nhemamusasa, kushaura III bei Berliner
7 Ausgewertet wurden neben den selbst gesammelten Versionen auch die aus der älteren Literatur (Tracey, Berliner,
Garfias). In der Zusammenstellung der einzelnen Versionen im Anhang sind die jeweiligen Quellen angeführt.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
5. nur LU
Diese Beschränkung kommt in ‚reiner’ Form nicht vor, da die Lamelle L1 bei den Versionen, die
ansonsten weitgehend auf das L-Manual (= LO) verzichten, immer mitbenutzt wird.
•
•
•
Nyamaropa, kutsinhiras von Mhlanga und Mujuru
Nhemamusasa, kutsinhira von Mhlanga
Karigamombe, kutsinhiras von Mhlanga und Mujuru
Die regelmäßige Differenzierung innerhalb des R-Manuals (RZ – RD) ist zwar nicht so häufig wie die
zwischen den beiden Manualen der linken Hand, da hier eher der Wechsel zwischen Pendelmelodik
und deszendenten Linien entscheidend ist (s. dazu unten S. 125). Dennoch gibt es eine Reihe entsprechender Beispiele.
6. RD – RZ alternierend
Nhemamusasa, kushaura I und II von Mujuru, kushaura I von Mhlanga, kushaura I und III bei
Berliner
• Chakwi, kushaura von Mukwesha
• Nyamaropa, kushaura VI bei Tracey (auf konsekutiven Pulsen alternierend)
•
7. RZ auf jedem zweiten Puls mit (gelegentlich) dazwischen fallendem RD
•
•
Nyamaropa, kushaura II von Mukwesha [101]
Nhemamusasa, kushaura III von Mukwesha, kushaura II von Mhlanga, kutsinhira II bei Tracey
8. nur RD
•
Nhemamusasa, kushaura und kutsinhira bei Garfias
Nun wird aber nicht nur in regelmäßiger Weise von den Spielbereichen Gebrauch gemacht, als
hörbares Resultat ergeben sich zudem bestimmte rhythmische Formeln, die durch eine jeweils spezifische Verschränkung der rhythmischen mit der motionalen Dimension gekennzeichnet sind. 8 Parallel
zu Wortschöpfungen wie ‚melorhythmisch’ oder ‚metrorhythmisch’ bietet sich an, hier von ‚motiorhythmischen’ Patterns zu sprechen. 9 Meist prägt ein solches Pattern die gesamte Periode einer
Version, verschiedene Versionen eines Stücks unterscheiden sich mitunter gerade in diesem Punkt
voneinander und gewinnen durch ein anderes motiorhythmisches Pattern einen eigenen Charakter.
Aus dem Material lassen sich die unten aufgeführten Typen extrahieren, die zur leichteren Verständigung bei der Diskussion einzelner Stücke und Versionen von mir mit Kurzbezeichnungen versehen
wurden. Einheimische Namen existieren dafür offenbar nicht. Da ja die Bewegungsabläufe eine Rolle
spielen, wird jeweils nur ein mbira-Part betrachtet. Dabei sind sowohl die einzelnen Komponenten, d.
h. die Muster einzelner Finger bzw. Spielbereiche, als auch die Resultierende zu berücksichtigen. Die
Länge der einzelnen Bestandteile eines Patterns ist meist kürzer als die der Resultierenden.
8 Vgl. dazu auch A. Tracey 1970 b und Berliner 1981:77-78, 92.
9 Um den Eindruck zu vermeiden, es handle sich um rein mechanische, ‚motorische’ Spielfiguren, bevorzuge ich das englische Lehnwort ‚motional’.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Wie auch in den Notenbeispielen markiert der längere Pulsstrich den Beat. 10 Die darunter
gesetzten Klammern zeigen die Patternlänge der Resultierenden. In den angegebenen Beispielen
wird das jeweilige Pattern entweder ausschließlich ver[102]wendet oder ist doch zumindest für den
überwiegenden Teil der Periode zutreffend. Es wird sich zeigen, dass ein Wechselverhältnis zwischen
Bewegungsabläufen und dem Klangresultat dergestalt existiert, dass in den einzelnen Versionen mal
der eine, mal der andere Aspekt dominiert, da auf Grund des Stimmplans der mbira sich vielfach nur
einer der beiden Aspekte durchsetzten kann: Entweder das Pattern bleibt konstant oder die Richtung
der Intervallsprünge. Andererseits ist festzustellen, dass ein rein ‚mechanisches’ Festhalten an einem
motiorhythmischen Muster – selbst da wo es nach harmonisch-tonalen Gesichtspunkten möglich
wäre – offenbar nicht immer gewünscht wird. Ein charakteristisches Abweichen vom ansonsten
dominierenden Pattern verleiht dem Ganzen oftmals einen zusätzlichen – in motionaler Hinsicht
allerdings nur dem ausführenden Musiker zugänglichen – Reiz, der stereotype Abläufe vermeiden
hilft.
Die motiorhythmischen Patterns lassen sich grob dahingehend einteilen, ob sie den Beat klanglich stützen oder ihn eher verschleiern. Einige seltene, spezielle Varianten sind in den Kurzdarstellungen der Versionen im Anhang erläutert.
Den Beat stützende Patterns
Das ‚3-1’-Pattern
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
.
etc.
Dieses Pattern könnte auch als ‚1 . 3’-Pattern dargestellt werden. Die von den Musikern beim Unterrichten gewählte Segmentierung spricht jedoch eindeutig für eine ‚3-1’-Konzeptualisierung der
Formel. Auf eine Notierung der Bewegungsabläufe wurde hier verzichtet, da sie – bei konstantem
Rhythmus und Beatbezug – recht variabel sein können. Kubik diskutiert im Zusammenhang mit der
akadinda-Musik aus buGanda die Relation einer solchen Schlagfolge zum Beat und postuliert für viele
„Perkussionstraditionen von Uganda und Tanzania bis nach Zimbabwe“ (1991:112) die folgende
Auffassung: [103]
|
x
'
x
'
.
|
x
'
x
'
.
|
x
'
x
'
.
etc.
Für die hier untersuchte mbira-Musik trifft diese Relation jedoch normalerweise nicht zu, sie kann
allerdings in Patterns enthalten sein (vgl. die linke Hand des ‚3er’- und das Ende des ‚12er’-Patterns
weiter unten). Außerdem können solche Konfigurationen durch die Kombination von kushaura- und
kutsinhira-Part entstehen.
Beispiele:
• Taireva, kushauras von Mujuru, Mukwesha und Mhlanga
10 Was die Relation eines Patterns zum Beat betrifft, muss darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen Puls nach
hinten verschieben kann, wenn ein entsprechend gestalteter Part als kutsinhira eingesetzt wird (s. dazu unten S. 126 ff.).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
•
•
•
•
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Taireva Gorekore, kushaura von Mhlanga
Masangano, kushaura I von Mujuru (streckenweise)
Shumba yaMukwashi, kushaura von Mhlanga (streckenweise)
Bukatiende, kushaura II von Mujuru (in Zeile 2 + 4), kutsinhira von Mhlanga (in Zeile 3, um
einen Puls verschoben)
Das ‚3er’-Pattern
'
x
.
.
R
LO
LU
|
x
x
.
'
.
.
x
'
x
.
.
|
x
x
.
'
.
.
x
'
x
.
.
|
x
x
.
'
.
.
x
etc.
Dieses Muster besteht aus einer drei Pulse umfassenden Figur, die in den beiden Händen um einen
Puls gegeneinander verschoben ist. 11 Die obige Darstellung orientiert sich wiederum an der
Segmentierung der Musiker (Ausnahme: Chakwi, kushaura I von Mujuru sowie Traceys Anordnung).
Typisch sind klanglich gesehen Abwärtssprünge der linken Hand, die fast immer durch den oben
gezeigten Wechsel LO → LU realisiert werden. In Mukweshas kutsinhira [104] II von Nhemamusasa
kommen manchmal auch Aufwärtssprünge vor. In ihrem kutsinhira zu Karigamombe ist das Pattern
um einen Puls gegenüber dem Beat verschoben. In Mujurus kutsinhira zu Chakwi wechselt das ‚3er’mit dem ‚LR’-Pattern (s. u.) ab.
Beispiele:
• Chakwi, kushaura I von Mujuru, kushaura bei Tracey, kushaura von Mukwesha, kutsinhira
von Mujuru
• Chakwi yeManyika, kutsinhira von Mujuru
• Dande, kutsinhira I (a) von Mujuru
• Karigamombe, kutsinhira von Mukwesha (mit Varianten)
• Nhemamusasa, kutsinhira II von Mukwesha
• Nyamaropa yeDambatsoko, kutsinhira I von Mujuru
• Shumba, kutsinhira von Mujuru, kutsinhira von Mukwesha (Variante u. a. mit anderer BeatRelation)
Das ‚6er’-Pattern
'
x
|
x
'
x
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
x
|
x
'
.
etc.
Dieses Pattern, dessen Resultierende hier zunächst nur notiert ist, kommt in den mbira-Stücken sehr
häufig vor. 12 Es beruht in der Regel auf unterschiedlichen Kombinationen einer Zweierpulsation der
einen Hand mit einer Dreier- oder Sechsergruppierung der anderen, die die oben dargestellte Resultierende von fünf realisierten Pulsen gefolgt von einem Leerpuls ergeben. Folgende Varianten lassen
sich unterscheiden: [105]
11 Vgl. A. Tracey 1970 b:23.
12 Vgl. A. Tracey 1970 b:7.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Variante 1:
R
L
'
x
.
|
.
x
'
x
.
'
.
x
|
x
x
'
.
.
'
x
.
|
.
x
'
x
.
'
.
x
|
x
x
'
.
.
|
x
x
'
.
.
etc.
Beispiele:
• Nhemamusasa, kutsinhira I bei Berliner
• Bangiza, kutsinhira von Mhlanga
Variante 2:
R
L
'
x
x
|
.
x
'
x
.
'
.
x
|
x
x
'
.
.
'
x
x
|
.
x
'
x
.
'
.
x
etc.
Beispiele:
• Nyamaropa, kushaura bei Berliner, kushaura I von Mhlanga, kushaura und kutsinhira von
Mujuru
• Nhemamusasa, kutsinhira II von Mujuru, kutsinhira von Mhlanga, kutsinhira II und III bei
Berliner
• Nyamamusango, kushauras von Mukwesha und Mhlanga sowie bei Berliner
• Dande, kutsinhira I (b) und (c) (mit gelegentlichen Varianten) von Mujuru
• Taireva, kutsinhira von Mhlanga
• Chipembere chikuru, kutsinhira von Mujuru (linke Hand pausiert auf dem 5. Puls des Patterns)
[106]
Variante 3:
R
L
'
x
x
|
x
.
'
.
x
'
x
.
|
x
x
'
.
.
'
x
x
|
x
.
'
.
x
'
x
.
|
x
x
'
.
.
|
x
x
'
.
.
etc.
Beispiel:
• Nyamaropa, kushaura IV bei Tracey
Variante 4:
R
L
'
x
x
|
.
x
'
x
.
'
x
x
|
x
x
'
.
.
'
x
x
|
.
x
'
x
.
'
x
x
etc.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Beispiele:
• Bangiza, kushaura III und kushaura/kutsinhira von Mujuru (In letzterer Version besteht die
Tendenz, mit dem rechten Zeigefinger auf den Pulsen 1, 3 und 5 eine eigene Linie zu erzeugen. Links werden LO und LU häufig alternierend gespielt.)
Die Segmentierung unterscheidet sich jedoch manchmal von der oben gezeigten in Abhängigkeit von
der Relation des Patterns zur Akkordsequenz. Dadurch kommen auch folgende Gruppierungen zustande:
a)
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
x
'
x
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
[107]
b)
c)
Beispiele:
• Nhemamusasa, kushaura II (a) von Mujuru
• Chakwi yeManyika, kushaura (b) von Mujuru
• Chakwi, kushaura II (c) von Mujuru
• Dande, kushauras von Mukwesha, Mhlanga und Mujuru
• Hondo, kushaura von Mhlanga, Variante in Muhondo, kushaura von Mujuru
• Shumba, kushauras von Mhlanga, Mukwesha und Mujuru
Außerdem kann der Leerpuls von einer der beiden Hände gefüllt werden:
a)
'
x
x
|
.
x
'
x
.
'
(x)
x
|
x
x
'
R
L
R
L
'
x
x
|
.
x
'
x
.
'
.
x
|
x
.
'
x
.
x
b)
Beispiele:
• Bangiza, kushaura I von Mukwesha, Variante in Muhondo, kushaura (a) von Mujuru
• Chigamba, kushaura (b) von Mhlanga
[108]
Weitere Differenzierungen innerhalb der linken und/oder rechten Hand sind ebenfalls anzutreffen:
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
a)
RZ
RD
L
'
x
.
x
|
.
x
.
'
.
.
x
'
x
.
.
|
.
x
x
'
.
.
.
R
LO
LU
'
x
x
.
|
.
.
x
'
x
.
.
'
.
x
.
|
x
.
x
'
.
.
.
RZ
RD
LO
LU
'
x
.
x
.
|
.
.
.
x
'
x
.
.
.
'
.
.
x
.
|
.
x
.
x
'
.
.
.
.
RZ
RD
LO
LU
'
.
x
x
.
|
x
.
.
x
'
.
x
.
.
'
x
.
x
.
|
.
x
.
x
'
x
.
.
.
b)
c)
d)
Beispiele:
• Nhemamusasa, kushaura II (a) von Mujuru
• Nhemamusasa, kutsinhira bei Garfias, kushaura III (b) von Mujuru
• Taireva, kutsinhira bei Tracey
• Nyamaropa, kushaura I bei Tracey; mit LO und LU vertauscht: kushaura II bei Tracey,
kushaura II von Mukwesha [109]
• Nhemamusasa, kutsinhira I (c) von Mujuru
• Nyamaropa, kushaura VI (d) bei Tracey
Darüber hinaus variiert in einigen Fällen, speziell bei kutsinhira-Parts, die übliche Relation des Patterns zum Beat.
a)
'
x
'
x
|
x
'
x
'
x
|
.
|
x
'
x
'
x
|
x
'
x
'
.
b)
Beispiele:
• Nhemamusasa, kutsinhira (a) bei Garfias
• Nyamaropa, kutsinhira I und kushaura IV bei Tracey
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
•
•
•
•
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Bukatiende, kutsinhira (b) von Mhlanga
Karigamombe, kutsinhira von Mhlanga, kutsinhira II von Mujuru
Chipembere chidiki, kutsinhira von Mujuru
Nyamaropa, kutsinhira von Mhlanga
In einigen Fällen wechselt innerhalb der Periode das Pattern, z. B.:
•
•
•
Bukatiende, kutsinhira von Mhlanga:
‚6er’-Pattern / ‚3-1’-Pattern
Shumba yaMukwashi:
‚6er’-Pattern / ‚3-1’-Pattern
Chipembere chidiki, kutsinhira von Mujuru:
‚6er’-Pattern / ‚3er’-Pattern
Durch die Differenzierung nach Spielbereichen können sogar 12-Puls-Patterns aus dem ‚6er’-Pattern
entstehen, z. B. in Mukweshas kutsinhira I von Nhemamusasa (Zeilen 1 bis 3): [110]
RZ
RD
LO
LU
'
.
.
.
x
|
.
x
.
.
'
.
.
x
.
'
.
x
.
.
|
.
.
x
.
'
x
.
.
x
'
.
.
.
x
|
x
.
.
.
'
.
.
x
.
'
x
.
.
.
|
.
.
x
.
'
.
x
.
x
Das ‚12er’-Pattern
Neben dieser 12er-Variante eines ‚6er’-Patterns und im Unterschied zu Patterns mit einer Länge
von vier Pulsen, deren Relation zum Beat sich nach 12 Pulsen wiederholt (s. u.), gibt es in einigen
Fällen Patterns, die sich selbst bereits über einen ganzen Formteil, also 12 Pulse, erstrecken. Längere
wurden nicht gefunden, was die emische Relevanz der Teilung der Periode in vier Formteile mit
dieser Länge unterstreicht.
Variante 1 (abgeleitet vom ‚3er’-Pattern):
R
L
|
x
x
'
.
x
'
x
.
|
x
x
'
.
x
'
x
.
|
x
x
'
.
x
'
x
.
|
.
x
'
.
.
'
.
.
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
.
Beispiel:
• Bukatiende, kushaura I von Mujuru
Variante 2 (abgeleitet vom ‚3-1’-Pattern):
|
x
'
.
'
x
|
x
'
.
Beispiele:
• Bukatiende, kushaura IV von Mujuru, kushaura I von Mhlanga
[111]
Diese Variante tritt auch in anderen Segmentierungen auf:
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
a)
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
.
|
x
'
.
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
.
|
x
'
.
b)
Beispiele:
• zu a): Bukatiende, kutsinhira II von Mujuru; kushaura II wechselt zeilenweise mit einem ‚31’-Pattern; im kutsinhira I von Mujuru mit Varianten
• zu b): Marenje, kutsinhira von Mujuru (dort letzte Zeile ‚3-1’-Pattern)
Variante 3 (mit integriertem ‚6er’-Pattern):
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
.
Beispiel:
• Bukatiende, kushaura I von Mukwesha
Eine weitere Variante, die ebenfalls teilweise zu einem integrierten ‚6er’-Pattern verdichtet wird,
findet sich in Traceys kushaura von Taireva. Die Anordnung der realisierten Pulse unterscheidet sich
hier von den obigen Varianten.
'
x
|
x
'
.
'
x
|
x
'
x
'
.
|
x
'
x
'
.
|
x
'
.
Eine eigene Gestalt mit sehr differenzierter Verwendung der Spielbereiche stellt Traceys
kushaura/kutsinhira von Dande dar. RZ und LU haben jeweils eine [112] Patternlänge von drei Pulsen
(um einen gegeneinander versetzt), LO hat eine von sechs und RD eine von zwölf Pulsen:
RZ
RD
LO
LU
|
.
x
x
.
'
.
.
.
x
'
x
.
.
.
|
.
x
.
.
'
.
.
.
x
'
x
.
.
.
|
.
.
x
.
'
.
.
.
x
'
x
.
.
.
|
.
x
.
.
'
.
.
.
x
'
x
.
.
.
Den Beat verschleiernde Patterns
Selbst bei den obigen Patterns muss man wissen bzw. lernen, wo intrakulturell der Beat liegt.
Sobald dies einmal bekannt ist, ergeben sich aber keine weiteren Probleme, da die Relation klar
(wieder) erkennbar ist. Anders ist dies bei den folgenden Patterns. Hier liegen die Gruppierungen des
mbira-Parts beständig in kreuzrhythmischem Kontrast zum metrischen Raster der Beats mit ihrer
ternären Gliederung. Mit Mieczyslaw Kolinski könnte man auch von einer kontrametrischen – im
Gegensatz zu einer kommetrischen – Gestaltung sprechen (Kolinski 1973).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Von Bimetrie möchte ich hier nicht sprechen, da die Beats offenbar auch dann die metrische
Orientierung liefern, wenn sie nur in Form eines mentalen Rasters gedacht werden, ohne von hoshoRasseln klanglich realisiert zu werden (s. dazu unten S. 134 ff.). Inwieweit die Musiker sich temporär
von diesem Metrum lösen, ist aber bisher nicht genau bekannt. Beim Unterrichten eines Stücks spielt
zwar der Beat-Bezug zunächst keine Rolle. Man wird vielmehr dazu angehalten, ohne weitere Akzentuierung alle Töne gleichmäßig zu spielen. Dabei besteht bei den Musikern allerdings bezüglich der
Relation eines mbira-Parts zu dem der hosho keinerlei Unsicherheit (s. dazu unten S. 139f.). Es bleibt
also die Frage offen, ob dieses Bezugssystem manchmal absichtlich verlassen wird. [113]
Das ‚LR’-Pattern’
R
L
'
.
x
|
x
.
'
.
x
'
x
.
|
.
x
'
x
.
'
.
x
|
x
.
etc.
Charakteristisch ist das beständige Alternieren der beiden Hände 13 in einer ununterbrochenen, d. h.
jeden Puls realisierenden Folge von Tönen. Man könnte es zwar auch ‚RL’-Pattern nennen, die Musiker beginnen jedoch Versionen, die dieses Pattern aufweisen, durchweg mit der linken Hand. Auf
Grund seines binären Charakters ändert sich ständig die Relation der Hände zum Beat, sie sind nämlich abwechselnd auf dem Beat. Der oben gewählte Anfangspunkt im Verhältnis zum Beat (Start auf
dem 3. Puls) ist typisch, jedoch nicht ausschließlich so anzutreffen.
Beispiele:
• Bangiza, kushaura I und II von Mujuru
• Taireva, kutsinhira I (a) von Mujuru
• Nhemamusasa, kushaura II bei Berliner
• Mutamba, kushaura und kutsinhira von Mujuru
• Mahororo, kushaura von Mukwesha und Mhlanga sowie bei Tracey und Berliner
• Karigamombe, kushaura II von Mujuru
• Dande, kutsinhira von Mukwesha
• Muhondo, kutsinhira von Mujuru
Eine häufige Variante dieser Grundgestalt besteht in einer regelmäßigen Differenzierung der Spielbereiche der linken Hand, die innerhalb des Links-Rechts-Wechsels wiederum alternieren, was zu einer
Patternlänge von vier Pulsen führt. In diesem Fall wiederholt sich die Relation zum Beat nach 3 x 4 =
12 Pulsen, also einem Formteil. [114]
R
LO
LU
'
.
x
.
|
x
.
.
'
.
.
x
'
x
.
.
|
.
x
.
'
x
.
.
'
.
.
x
|
x
.
.
etc.
Beispiele:
• Bukatiende, kushaura II von Mukwesha (2. Hälfte)
• Nhemamusasa, kushaura I von Mukwesha
13 Vgl. A. Tracey 1970 b:15, 19.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
•
•
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Nyamaropa, kushaura III bei Tracey
Taireva, kutsinhira I (c) von Mujuru, kutsinhira von Mukwesha
Seltenere Varianten differenzieren zusätzlich oder ausschließlich hinsichtlich der beiden Finger der
rechten Hand:
RZ
RD
LO
LU
'
.
.
x
.
|
.
x
.
.
'
.
.
.
x
'
x
.
.
.
|
.
.
x
.
'
.
x
.
.
'
.
.
.
x
|
x
.
.
.
etc.
Beispiele:
• Nhemamusasa, kushaura I von Mhlanga, kushaura I bei Berliner und Tracey
RZ
RD
L
'
.
.
x
|
.
x
.
'
.
.
x
'
x
.
.
|
.
.
x
'
.
x
.
'
.
.
x
|
x
.
.
etc.
oder (nur mit anderem Startpunkt) [115]
RZ
RD
L
'
.
.
x
|
x
.
.
'
.
.
x
'
.
x
.
|
.
.
x
'
x
.
.
'
.
.
x
|
.
x
.
etc.
Beispiele:
• Nhemamusasa, kushaura I von Mujuru, kushaura III bei Berliner
In einigen Versionen ergeben sich längere wiederkehrende Muster durch eine andere regelmäßige
Verwendung von LO und LU, die jedoch nicht immer die ganze Periode durchgehalten werden, z. B.
LO
LU
x
.
.
.
.
x
.
.
x
.
.
.
etc.
Beispiele:
• Mahororo, kushaura von Mukwesha, Mhlanga und Mujuru sowie bei Tracey
Durch regelmäßiges Freilassen eines Pulses (jeder vierte bei Garfias’ kushaura von Nhemamusasa;
jeder sechste bei Traceys kushaura von Mahororo) kommen ebenfalls größere Gruppierungen auf der
Basis des Links-Rechts-Wechsels zustande.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Das ‚4er’-Pattern
R
L
.
x
x
x
.
x
x
.
.
x
x
x
.
x
x
.
etc.
[116]
Die kreuzrhythmische Überlagerung dieses Vierermusters über die zugrunde liegenden Dreipulsgruppen der hosho, die dazu führt, dass sich die Relation des Patterns zum Beat ständig verschiebt und
sich erst nach 3 x 4 = 12 Pulsen, d. h. einem Formteil, wiederholt, verleiht dieser Formel ihren spezifischen Reiz. In der obigen Form spielt die rechte Hand jeden zweiten Puls, die linke realisiert drei
gefolgt von einem Leerpuls.
Beispiele:
• Bangiza, kushaura II von Mukwesha
• Dande guru, kushaura von Mujuru
Eine andere Segmentierung finden wir bei Bukatiende, kushaura III von Mujuru und kushaura II von
Mhlanga:
R
L
x
x
.
x
x
.
.
x
x
x
.
x
x
.
.
x
etc.
In einer Variante der ersten Konfiguration wird von der rechten Hand ein weiterer Puls gespielt, so
dass sich die Resultierende als Kombination zweier identischer Muster darstellt, die um einen Puls
gegeneinander verschoben sind:
R
L
x
x
x
x
.
x
x
.
x
x
x
x
.
x
x
.
etc.
Beispiele:
• Bangiza, kushaura von Mhlanga (wechselt zwischen beiden Varianten)
• Nhemamusasa, kushaura II von Mhlanga
Auch hier gibt es wieder weitere Differenzierungen hinsichtlich der Spielbereiche: [117]
RZ
.
RD
x
LO (x)
LU
.
x
.
.
x
.
.
x
.
x
.
.
.
.
x
(x)
.
x
.
.
x
.
.
x
.
x
.
.
.
etc.
Beispiele:
• Nhemamusasa, kushaura III von Mukwesha; Traceys kutsinhira (ohne den eingeklammerten
Puls, mit Varianten und anderer Segmentierung)
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Eine ‚LR’-Variante des ‚4er’-Patterns, das durch Freilassen jedes vierten Pulses entsteht, findet man in
Garfias’ kushaura von Nhemamusasa:
RD
LO
LU
.
x
.
x
.
.
.
.
x
.
.
.
.
x
.
x
.
.
.
.
x
.
.
.
etc.
Das ‚2er’-Pattern
R
L
x
x
.
.
x
x
.
.
x
x
.
.
x
x
.
.
etc.
Der Effekt dieses nur selten vorkommenden Patterns ähnelt dem des ‚4er’-Patterns, es handelt sich
hier allerdings um ein Verhältnis von 2 : 3, so dass sich die Relation zum Beat bereits nach 2 x 3 = 6
Pulsen wiederholt. Darin gleicht es dem ‚LR’-Pattern.
Beispiele:
• Nyonganyonga (nicht die gesamte Periode)
• Karigamombe, kushaura von Mhlanga, kushaura I von Mujuru sowie kushaura bei Berliner
[118]
Inhärente Patterns
Das von Gerhard Kubik in die Musikforschung eingeführte Konzept der sog. ‚inhärenten Patterns’ 14 ist von A. Tracey bereits früh für die Beschreibung der mbira-Musik aufgegriffen worden
(Tracey 1963:24). 15 Er geht dort von „at least three different registers“ aus, in denen sich diese Patterns bewegen. Berliner demonstriert dies am Beispiel eines kushaura-Parts des Stücks Nhemamusasa 16, wo er ebenfalls drei melodische Linien konstatiert, die sich jeweils innerhalb einer der drei
Oktaven der mbira bewegen (Berliner 1981:88-90).
An diesem Stück lässt sich weiterhin zeigen, dass es sich bei den Oktaven allerdings keineswegs
um feste Grenzen handelt (ebenso Berliner 1981:90), sondern durch tonräumliche Nachbarschaft
eine „Kohäsion“ (Kubik) zu neuen Gestalten führen kann. Mukweshas kushaura I weist ebenfalls drei
„Frequenzbänder“ (Kubik) 17 auf, deren tiefstes jedoch bis zum D der mittleren Oktave reicht (s. dazu
Beispiel 6). Durch Umstellung einer Gruppe von je drei Tönen der linken Hand (A2 – A3 – D3) mit nach
oben gewölbtem Melodieverlauf – die aber in Version I normalerweise 18 so nicht gehört werden, da
sie auf zwei ‚Bänder’, d. h. zwei inhärente Patterns verteilt sind – zu einer nach unten gewölbten
Dreitonfigur (F3 – D3 – A3) ergibt sich im kushaura II für die linke Hand ein völlig neues Hörbild: Die
14 Einen guten Überblick über dieses Konzept findet man z. B. in Kubik 1984:94-97.
15 Im Übrigen hat A. Tracey bereits 1961 auf den Unterschied zwischen Spiel- und Hörbild in der karimba-Musik Zimbabwes
hingewiesen (1961:63). S. dazu oben S. 97.
16 Unter der Bezeichnung ‚Berliner kushaura I’ findet sich diese Fassung als Notenbeispiel in Kapitel 6.
17 Man sollte lieber von ‚Tonhöhenbändern’ sprechen, da es hier nicht um die physikalische Größe, sondern um die psycho-
akustische geht. Im Folgenden wird kurz von ‚Bändern’ gesprochen.
18 Man beachte aber auch hier den kaleidophonischen Charakter: Man kann es theoretisch auch anders hören, wenngleich
sich die oben beschriebene Hörweise gewissermaßen ‚aufdrängt’.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
tiefe Stimme ist praktisch auf vier Töne (einen pro Formteil) reduziert und hat nur noch gliedernde
Funktion, während das D der mittleren Oktave nun in das mittlere Band einbezogen wird, so dass
hier eine Melodielinie aus fünftönigen Figuren entsteht.
[119]
Beispiel 6: Ausschnitte aus Nhemamusasa (kushaura I und II von V. Mukwesha) 19
Am Beispiel Nhemamusasa zeigt sich auch ein markanter Unterschied zu dem von Kubik und anderen herangezogenen Material aus Uganda. Während in der dortigen Xylophonmusik ein Band aus
zwei bis drei benachbarten Stufen gebildet wird, umfasst in der oben diskutierten NhemamusasaVersion I von V. Mukwesha die tiefe Stimme immerhin eine Sexte. Der große Ambitus der mbira ermöglicht offensichtlich dieses Aufspalten (‚parsing’ 20) in drei Lagen, in denen die Linien hier jeweils
einen charakteristischen, sich dem Gehör aufdrängenden Duktus aufweisen: im tiefen Register eine
großräumig aufsteigende jeweils dreitönige, im mittleren eine engräumige – meist nach oben gewölbte – ebenfalls aus je drei Tönen bestehende Melodiefigur, beide – auch rhythmisch – kontrastiert mit deszendenten Linien in der oberen Oktave. Diese Konfiguration ist am deutlichsten wahrnehmbar, wenn dieser kushaura-Part (zunächst) solo gespielt wird, d. h. bevor ein kutsinhira hinzutritt. Hierin manifestiert sich auch eine weitere Besonderheit der mbira-Stücke in Bezug auf inhärente Patterns: Diese entstehen nicht erst im Zusammenspiel mindestens zweier Instrumente, sondern können bereits in einem Part enthalten sein. Durch die Kombination zweier Parts entstehen
dann weitere inhärente Patterns, die die anderen ersetzen oder überlagern, da sich nun auch innerhalb schmalerer Bänder Töne aus beiden Parts zu neuen Gestalten gruppieren. 21 Auf diese Weise
ergeben sich z. B. Tonrepetitio[120]nen im Bass oder neue Melodien in der hohen Oktave durch
Verzahnung der beiden Stimmen des R-Manuals:
19 Vollständige Versionen s. Kapitel 6. Eingerahmt ist jeweils die Mittelstimme.
20 Vgl. dazu Wegner 1993.
21 So auch Berliner 1981:92.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Beispiel 7: Ausschnitte aus Karigamombe (kushaura von S. Mujuru, kutsinhira von V. Mukwesha) 22
Beispiel 8: Ausschnitte aus Mahororo von Ch. Mhlanga
[121]
In jüngster Zeit hat vor allem Ulrich Wegner die emische Relevanz inhärenter Patterns erneut zur
Diskussion gestellt (Wegner 1993). 23 Von ihm mit baGanda-Musikern durchgeführte Tests ergaben
zwar, dass diese die in der amadinda 24-Instrumentalfassung eines Stücks enthaltene Vokalmelodie
ohne Schwierigkeiten heraushören konnten, weitere inhärente Patterns jedoch nicht. Diese Differenzierung zwischen textgebundenen Melodien, die die Grundgestalt eines Stückes bilden, einerseits
und aus den Charakteristika menschlichen Hörens allgemein, also kulturübergreifend, resultierenden
Hörbildern andererseits spielt für die mbira-Musik insofern keine Rolle, als sie primär instrumental
konzipiert ist. 25 Ein Vokalpart kann zwar optional hinzutreten, ist jedoch keineswegs obligatorisch
oder gar Basis eines mbira-Stücks. Es handelt sich hier nicht um die instrumentale Darbietung eigent22 ‚sha’: kushaura, ‚tsi’: kutsinhira. Das untere System (sha/tsi) zeigt das Resultat der Kombination der beiden oberen Systeme.
23 Vgl. dazu Cooke 1994.
24 Ein pentatonisch gestimmtes Holmxylophon mit zwölf Klangplatten.
25 So auch Berliner 1981:72.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
lich oder ursprünglich vokaler Melodien, weshalb eine nähere Analyse dieser Vokalparts in der vorliegenden Studie auch ausgeklammert bleiben kann. Die drei Vokalstile, die im Zusammenhang mit
mbira-Musik eine Rolle spielen (mahon'era, huro, kudeketera 26) lassen sich kurz folgendermaßen
charakterisieren: Die beiden ersteren, mit sinnfreien Silben gesungenen Stile greifen Linien des tiefen
(mahon'era) bzw. des hohen (huro) Registers der mbira auf. Dagegen handelt es sich bei kudeketera
um textierte, in der Regel deszendente Melodien. 27
Die beiden erstgenannten Stile sind gewissermaßen als intrakulturelle, zur musikalischen Praxis
gehörende Ausprägungen dessen zu verstehen, was Wegner in seinem Experiment als analytisches
Hilfsmittel eingesetzt hat, um Probleme der Verbalisierung von Wahrnehmung bei den Versuchspersonen zu umgehen:
„The informants were [...] asked to shadow-sing what they heard (in order to deliver a vocal copy of the
perceived patterns) while the composition was played [...]“. (Wegner 1993:219)
[122]
Rückschlüsse auf die intrakulturelle Konzeptualisierung etwa eines kushaura-Parts wie z. B.
Mukweshas kushaura I von Nhemamusasa sind jedoch auch ohne diesen Rekurs auf die Gesangspraxis an Hand von Äußerungen und praktischen Demonstrationen der Musiker möglich. Einhellig wird
von ihnen betont, die rechte Hand erzeuge eine eigene Linie, so dass hier in der Regel die motionale
mit einer tonräumlichen Trennung korrespondiert. Dies gilt jedoch bezüglich der Lamelle R1 dann
nicht, wenn sie tonaler Bestandteil einer Linie der linken Hand ist (s. Beispiel 9, Pulse 3 und 9).
Beispiel 9: Ausschnitt aus Chipindura von V. Mukwesha
Fragt man nach dem charakteristischen Erkennungsmerkmal eines Stücks, wird z. B. bei
Nhemamusasa vor allem die Basslinie vorgespielt. Dass die einzelnen Stimmen eine gewisse Autonomie für sich beanspruchen können und dementsprechend von den Musikern separat abgewandelt
werden, ohne die anderen Stimmen zu verändern, zeigte sich bereits an den zwei oben besprochenen Versionen dieses Stückes von V. Mukwesha: Durch gezielte Umstellung bzw. Ersetzung von drei
Tönen der linken Hand pro Formteil wird eine neue Stimme in der mittleren Oktav erzeugt, während
die beiden Versionen ansonsten (z. B. bezüglich der rechten Hand) identisch sind, so dass sich die
emische Differenzierung zwischen den beiden Manualen der linken Hand hier bestätigt.
Man kann somit festhalten, dass die Stratifikation des gesamten Tonraums, also die Aufspaltung
in Tonhöhenbänder, gekoppelt mit der Aufteilung der Tonproduktion auf die beiden Hände und die
jeweiligen Spielbereiche (hier vorrangig die Unterscheidung der beiden Manuale der linken Hand)
keine von außen an das Material herangetragene (ethnomusikologische) Interpretation, sondern eine
intrakulturelle Konzeptualisierung darstellt, die in diesem Fall sogar verbalisiert [123] wird, d. h. nicht
nur aus dem musikalischen Verhalten der Informanten abzuleiten ist.
***
26 Hannan (1984) macht zu diesen Audrücken u. a. folgende Angaben, die sich auf die jeweils spezifische Singweise bezie-
hen: 1. „humming”, 2. „throat”, 3. „sing in monotone for others to answer”.
27 Vgl. dazu Berliner 1976 und 1981:115-125 sowie Brenner 1997:7-9.
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Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Was die Kombination von kushaura und kutsinhira betrifft, gibt es von Seiten der Musiker zwar
präzise Aussagen zur Koordination der beiden Parts im Falle des von manchen Informanten als
‚kupesanisa’ bezeichneten Verfahrens (s. dazu unten), auch die bereits oben angesprochene Verzahnung der Linien der rechten Hand im ‚Reißverschluß’-Verfahren (z. B. bei Mujurus kushaura I +
kutsinhira I oder II von Nhemamusasa) wird eindeutig so zum Ausdruck gebracht, dass die beiden
Musiker jeweils abwechselnd einen Ton der fortlaufenden Tonfolge erzeugen. Dies gilt auch für die
linke Hand, wo sich durch die Verzahnung häufig Tonrepetitionen ergeben (s. o. Notenbeispiele 7 und
8). Ein gezieltes Erzeugen bestimmter Tonfolgen innerhalb eines mehrtönigen Bandes als feststehendes Resultat des Zusammenwirkens beider Parts (analog etwa zu Xylophonkompositionen der
baGanda) wird jedoch von ihnen nicht verbal bestätigt. Die Tatsache, dass solche Melodiefiguren aus
der Gesamttextur hervortreten (können), entspricht zweifellos dem hier schon öfter angesprochenen
kaleidophonischen Charakter der mbira-Musik, jedoch muss man bei ihr davon ausgehen, dass im
Verlauf der Darbietung eines Stücks das ‚Auftauchen’ immer wieder anderer, neuer inhärenter Patterns angestrebt wird, nicht die Etablierung einer, mit dem Stück fest assoziierten, immer wieder
repetierten Klanggestalt. Im Einzelnen geschieht dies durch unterschiedliches Timbre 28 der einzelnen
Lamellen u. a. auf Grund jeweils unterschiedlich starker Anregung der Rasselkörper sowie durch Variantenbildung in Form von Akzentuierung und/oder Veränderung einzelner Töne oder ganzer Stimmen. [124]
Die einzelnen Parts im Ensemble
Was die Ensemblebildung betrifft, ist zunächst hinsichtlich der Funktion des Musizierens zu differenzieren. Ist der Anlass etwa eine Ahnenverehrungs- (bira) oder Regenzeremonie (rukoto oder
chipwa), so ist eine Mindestbesetzung von drei Musikern (zwei mbira- und ein hosho-Spieler) zu erwarten, doch können auch weitere hinzutreten. Auf die optionalen Gesangsparts wurde bereits oben
hingewiesen, außerdem können Anwesende zusätzlich Klatschpatterns hinzufügen. 29 Das gleiche
Repertoire kann aber auch außerhalb eines solchen formellen Kontextes zum Vergnügen eines einzelnen 30 oder mehrerer Musiker und eventuell anwesender Zuhörer gespielt werden (s. Einleitung).
Wird ein Stück dabei von einem mbira-Spieler allein realisiert, so bilden in der Regel eine oder mehrere kushaura-Versionen die Basis der Darbietung, die nach Belieben und spieltechnischen Möglichkeiten – und eventuell Fertigkeiten des Musikers – um Elemente aus kutsinhira-Parts erweitert werden können. Die oben genannte Trio-Besetzung aus zwei mbiras und hosho kann jedoch auch hier als
die typischste gelten, selbst wenn sie keineswegs als obligatorisch zu betrachten ist.
Bei der weiteren Betrachtung wollen wir uns daher auf diese Ausprägung des Ensembles konzentrieren. Hier sollen nun zunächst diejenigen Charakteristika dieser drei Parts dargestellt werden,
die als gemeinsame, vom konkreten Stück unabhängige Basis der später im Einzelnen diskutierten
Versionen der untersuchten Stücke gelten können. Nicht alle diese Merkmale sind in jeder Version
realisiert, jedoch grundsätzlich als Option vorhanden.
kushaura
Dieser mbira-Part, der durch das chiZezuru-Verb kushaura 31 bezeichnet wird, das Hannan mit
„sing solo part; lead a song“ übersetzt (Hannan 1984), gilt bei [125] den Musikern (und in der Lite28 Vgl. dazu z. B. Kubik 1984:86.
29 Vgl. Berliner 1981:112 ff.
30 Hugh Tracey pflegte dies in den Anmerkungen zu seinen zahlreichen Tonaufnahmen (The Sound of Africa Series) als „self-
delectative songs“ zu bezeichnen.
31 ku-: Präfix der Infinitiv-Klasse (Kl. 15).
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Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
ratur) generell als derjenige, der ein Stück anstimmt und sein Fundament liefert, was dadurch bestätigt wird, dass kushaura-Parts die Basis beim Solospiel bilden (s. o.). 32 Gleichzeitig wird er jedoch als
der einfachere der beiden mbira-Parts betrachtet, weshalb bei Musikern mit unterschiedlichem
Niveau oder Ansehen der weniger erfahrene diesen Part übernimmt. 33
Beim Unterrichten wird der Schüler, nachdem er eine gewisse Sicherheit und Geläufigkeit im
Spiel eines neuen Stücks oder einer neuen Version erlangt hat, von seinem Lehrer oft dadurch auf die
Probe gestellt, dass letzterer beginnt, einen zweiten Part (kutsinhira) dazu zu spielen. Dabei zeigt
sich, ob der Schüler sich durch den neuen Gesamtklang irritieren lässt und falsch spielt oder abbricht.
Bei einem erfahrenen Musiker sind die Bewegungsabläufe dagegen so automatisiert, dass er sie nicht
bewusst steuern muss. Jeff Pressing beschreibt dieses Stadium mit den Worten: „In a sense, the
performer is played by the music“ (1988:139). Dies deckt sich mit Äußerungen von mbira-Musikern.
Generell ist der kushaura-Part Hauptträger der spezifischen Merkmale eines Stücks, also vor allem der jeweiligen Akkordsequenz in der für das Stück charakteristischen Ausprägung. So kann die
Akkordfolge entweder durch eine klare, (hauptsächlich) aus Grundtönen bestehende Basslinie deutlich gemacht oder durch mehr oder weniger häufigen Einsatz harmonisch äquivalenter anderer
Akkordtöne (Quint, Terz) verschleiert werden. Die Informanten wiesen dabei immer wieder auf die
Bedeutung der linken Hand hin, in der gewissermaßen die Essenz steckt, während die rechte Hand
variabler sei. Diese lässt die harmonische Struktur eines Stücks trotz der Tatsache, dass akkordfremde Töne eher seltene Ausnahmen darstellen, meist nicht so deutlich werden. Typisch sind Wechsel zwischen einer Art Pendelmelodik, bei der innerhalb eines relativ kleinen Tonraums (meist weniger als eine Quinte) die jeweils passenden Akkordtöne ausgewählt werden (z. B. Mukweshas
kushaura zu Mahororo), und langen deszendenten Linien (z. B. Mukweshas kushaura II zu Bangiza).
[126] Auffallend ist die meist sehr stark ausgeprägte Regelmäßigkeit und innere Stringenz der
kushaura-Parts: Typischerweise wird nicht nur eine strenge Gliederung in die vier Formteile sichtund hörbar, sondern häufig lässt sich die von Tracey als „the general southern African tendency of
harmonic movement to alternate up and down by one step or tone“ (Tracey 1970 a:41) beschriebene
Eigenschaft der Standardakkordsequenz bis auf die Pulsebene einer konkreten Version ausdehnen.
Dies wird besonders gut in den Notationen der einzelnen Stücke im Anhang sichtbar, wo die vier
Formteile untereinander angeordnet sind. Verfolgt man dort in vertikalen Kolumnen vier Töne untereinander, so bestätigt sich vielfach diese Regelhaftigkeit.
kutsinhira
Es handelt sich bei dieser Bezeichnung ebenfalls um ein Verb, für das Hannan neben der Übersetzung als „exchange parts of song; sing refrain of song“ u. a. die außermusikalische Bedeutung „add
second hoeful, or second furrow“ angibt (Hannan 1984). Dementsprechend ist damit das Hinzufügen
eines zweiten Parts zu einem kushaura bzw. dieser zusätzliche Part selbst gemeint. Laut Tracey bleibt
der kushaura-Part beim Spiel eines Stücks relativ konstant, während der kutsinhira-Part vielfältig
abwandelbar sei (1970 b:9-10). Diese größere Flexibilität des kutsinhira bestätigt auch Berliner
(1981:101). Er unterscheidet
„two basic types of kutsinhira part, the type being determined by the nature of the piece. [... S]uch pieces as
‘Kuzanga,’ ‘Shumba,’ ‘Dande,’ and ‘Nyamamusango’ use a kutsinhira part either identical or very similar to
the kushaura part. The kutsinhira part falls one beat [gemeint ist hier ‚Puls’, G. G.] behind the kushaura
part; the parts interlock so that the second player in effect echoes the first musician’s pitches. [... I]t is
common in pieces of this nature for the bass melody of the kushaura part to coincide with the main hosho
32 Vgl. Berliner 1981:73.
33 Vgl. A. Tracey 1970 b:9-10.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
beat. 34 [...] A second type of kutsinhira part is more appropriate for such pieces as ‘Nyamaropa’ and
‘Nhemamusasa.’ The kutsinhira parts of these compositions differ in character from their respective kushaura parts; they may emphasize a different part of the mbira’s range, support high-tone melodies of a
different nature, or emphasize different rhythmic groupings.” (Berliner 1981:90-92) [127]
Es geht nun darum darzulegen, wie und bei welchen Stücken diese zweifellos richtig beschriebenen Typen in die Praxis umgesetzt werden. Ch. Mhlanga beispielsweise unterscheidet ausdrücklich
zwei Kategorien: eine Art von kutsinhira, die einen Puls hinter dem kushaura spielt, und eine andere,
bei der man den Part unabhängig vom kushaura vorspielen kann (z. B. zu Demonstrationszwecken
oder beim Unterrichten). Es wird sich zeigen, dass bei der zweiten Kategorie noch weiter differenziert
werden kann.
Die Echoverzahnung
Laut Auskünften meiner Informanten handelt es sich bei der ersten Möglichkeit in gewisser Hinsicht um eine ‚Notlösung’: Ist zu einem bestimmten Stück, d. h. seiner kushaura-Fassung, kein ‚richtiger’ – d. h. eigenständiger – zweiter Part (kutsinhira) vorhanden, was bei einigen Stücken der Fall ist
(s. die Liste S. 130), oder eventuell einem zweiten Musiker vielleicht gerade nicht geläufig, so wird in
der oben von Berliner beschriebenen Weise der kutsinhira-Part dadurch gebildet, dass der vorhandene kushaura – mehr oder weniger vollständig identisch – um einen Puls verzögert mit dem
kushaura kombiniert wird. Dadurch greifen dann beispielsweise die für die rechte Hand so typischen
x . x . etc. -Linien ineinander. Dieses Verfahren der ‚Echoverzahnung’, dessen Höreindruck in der
Tat einen fortwährenden Echoeffekt suggeriert, wird von manchen (z. B. Mukwesha und Chiweshe) –
jedoch nicht allen – Musikern mit dem Verb kupesanisa bezeichnet. Es leitet sich vom Verb kupesana
= „differ; disagree“ (Hannan 1984) ab, das durch die Extension -is- erweitert ist, die als Kausativ oder
Intensiv interpretierbar ist 35, also etwa mit „sich (deutlich) unterscheiden(d)“ zu übersetzen wäre.
Andere Informanten (z. B. Mhlanga) benutzen dagegen ‚kupesana’, um die richtige oder falsche Relation der Parts auszudrücken: z. B. „Tiri kupesana.“, d. h. „Wir spielen nicht richtig zusammen.“ im
Gegensatz zu „Tiri kuwirirana.“, d. h. „Wir spielen richtig zusammen.“ 36 ‚kupesana’ kann auch zur
[128] Charakterisierung verschieden gestimmter mbiras verwendet werden (ebenfalls Mhlanga).
Bei dieser Art der interlocking-Technik 37 drängt sich natürlich die in der Literatur kontrovers
diskutierte Frage nach der individuellen Auffassung sich dergestalt verzahnender Parts auf. Während
Kubik u. a. unter Berufung auf A. M. Jones in bestimmten Fällen eindringlich für „das Vorhandensein
eines individuellen Beat“ jedes Musikers plädiert (1984:75 ff.), lehnt beispielsweise Arom diese
Konzeption vehement ab (1991 a:84, 85, 210).
Zunächst ist hier zweierlei festzuhalten. Zum einen sind verbale Äußerungen zu dieser Frage von
einheimischen Musikern normalerweise nicht zu erwarten, da eine solch analytische Herangehensweise im Grunde einen vergleichenden, d. h. interkulturellen, regional übergreifenden Blick erfordert. Mit anderen Worten: Sie entspricht dem der (‚westlichen’) Wissenschaft. Eine einheimische
Terminologie betrifft in der Regel diejenigen Aspekte, die innerhalb der betreffenden Kultur unterschieden und deshalb benannt werden. Zur Gewinnung nonverbaler Äußerungen bedarf es eines
sehr sorgfältig zu planenden settings, das verschiedenste Probleme kultureller, sprachlicher und
psychologischer Art in Betracht zu ziehen hat. Wie gerade einige der jüngsten Versuche in dieser
34 Im vorliegenden Material gilt dies z. B. nicht für das Stück Mutamba. (G. G.)
35 Vgl. Hannan 1984 und Carter/Kahari 1979 Bd. 2:23-24.
36 Zu kuwirirana vgl. auch A. Tracey 1970 a:48. Bei der Konstruktion Hilfsverb + Infinitiv handelt es sich um den einfachen
Progressiv, Brauner (1993) spricht von „aktuellem Präsens“.
37 Es handelt sich hier allerdings nicht um interlocking bzw. Verzahnung im strengen Sinn, wonach keine Simultanklänge der
beteiligten Parts zulässig wären (vgl. Kubik 1984:77).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Richtung zeigen (etwa Arom und Wegner, s. u. S. 230), ist dies ein sinnvoller und notwendiger Ansatz,
der in der Zukunft gerade wegen des wachsenden Interesses an der kognitiven Dimension sicherlich
zunehmend an Bedeutung gewinnen wird. Zum anderen geht es – gemäß der Vorstellung von afrikanischen Musiken – keinesfalls darum, eine panafrikanische Lösung der Frage nach der Beat-Auffassung zu suchen.
Im vorliegenden Fall ist nochmals an die Tatsache zu erinnern, dass die Aktionen der beiden Musiker nicht in der Weise ineinander greifen, dass eine neue, doppelt so schnelle Pulsfolge daraus
resultieren würde. Die Pulsebene ist vielmehr für beide Parts gleich, sie spielen nur das gleiche Pattern um einen Puls versetzt: [129]
nicht:
sondern:
Spieler 1
Spieler 2
1 . 2 . 3 . 4 .
. 1 . 2 . 3 . 4
Spieler 1
Spieler 2
1
2
1
3
2
4
3
etc.
etc.
Gleichzeitig gibt es für den kushaura-Part eine unveränderbar feststehende Relation zum Beat,
der durch die hosho materialisiert werden kann oder sonst den Musikern mental präsent ist. Diese
Beats können beim Spielen beispielsweise durch leichtes Kopfnicken von den Musikern angedeutet
werden38, etwa beim Solospiel ohne hosho-Begleitung. Interessanterweise existiert diese Ebene auch
in der Xylophonmusik von buGanda (Kubik 1991:49), eine Tatsache die oft übersehen und bei der
Diskussion des ‚individuellen Beat’ in dieser Musik nicht weiter berücksichtigt worden ist.
Selbst in einem von Dave Dargie auf Video dokumentierten Tanz mit Gesang und Trommelbegleitung südafrikanischer Thembu-Xhosa-Frauen 39, die um einen Puls versetzte Schritte ausführen, bleibt
dennoch die gemeinsame Referenz in Form des Klatschens. Das auf einer zweifelligen Trommel gespielte Muster steht dazu in folgender Relation (TR = Trommel rechts, TL = Trommel links, Kl = Klatschen):
TR
TL
Kl
|
x
.
x
'
.
.
.
'
.
x
.
|
x
.
x
'
.
.
.
'
.
x
.
Eine Tänzerin setzt den Fuß auf den ersten, die andere auf den dritten Puls, d. h. die eine synchronisiert ihre Bewegungen mit dem einen Trommelfell, die andere mit dem anderen. [130]
Im Fall der mbira-Musik sollte der Begriff ‚Beat’ jedenfalls – um eine unnötige terminologische
Konfusion zu vermeiden – auf die allen Beteiligten (mbira- und hosho-Spieler, Tänzer/innen) gemeinsame Referenzebene beschränkt werden, die hier unstreitig existiert. Wie bereits erwähnt wurde,
gibt es für diese Sachverhalte keine einheimischen Termini. Sehr deutlich ist jedoch die Rückwirkung
‚unserer’ Forschung zu beobachten. So erklärte mir einer der Musiker (Fr. Mujuru) in englischer Sprache – und nicht etwa auf Suggestivfragen –, es gebe zwar keine einschlägigen chiShona-Ausdrücke,
die Musik sei aber so organisiert, dass es drei Pulse pro Beat gebe, der mit der Abwärtsbewegung der
einen hosho-Rassel zusammenfalle. Er bestätigte auch ausdrücklich, diese Bezeichnungen (pulse,
beat) seien nur für Leute gedacht und nötig, die die Musik nicht in der traditionellen Weise, d. h.
38 So auch Berliner 1981:113.
39 Dave Dargie: Xhosa Music, aufgenommen 1985, publiziert in München 1993, daraus: „Diviners' songs and dances“,
ausgeführt von Nowayilethi Mbizweni & Group.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
durch Hineinwachsen in die Kultur und Nachahmen, gelernt hätten. Auch Ch. Mhlanga benutzte den
Ausdruck „pulse“, um das von mir als Echoverzahnung bezeichnete Verfahren zu erklären (s. o.): „The
kutsinhira is one pulse behind the kushaura.“
Ein solcher nach dem Prinzip der Echoverzahnung gestalteter kutsinhira-Part lässt sich nach Auskunft der Musiker – anders als einer vom zweiten Typ (s. u.) – nicht allein, d. h. ohne kushaura-Part,
demonstrieren: Es gibt kein Echo ohne eine dieses auslösende Aktion. Im vorliegenden Material
wurde u. a. bei folgenden Stücken ein kutsinhira-Part dieses Typs gespielt:
•
•
•
•
•
•
•
Chigamba/Muzoriwa
Karimugomba
Kuzanga
Mutamba
Nyamamusango
Shumba 40
Shumba yaMukwashi
[131]
Bei allen anderen Stücken ist diese Art des kutsinhira zwar möglich, aber nicht immer gebräuchlich. Berliner ordnet z. B. Dande dieser Kategorie zu, in meiner Sammlung sind aber eigenständige
kutsinhira-Parts dieses Stücks enthalten. Auch bei Karigamombe und Shumba zeigt sich, dass keine
scharfe Trennung in dem Sinn existiert, dass ein Stück ausschließlich zur einen oder anderen Kategorie gehört: Während Mhlanga in Echoverzahnung spielt, gibt es von anderen Musikern eigenständige
kutsinhira-Parts.
Eigenständiger kutsinhira
Der zweite kutsinhira-Typ, für den es offenbar nicht zuletzt deswegen keine weitere oder speziellere Bezeichnung gibt, weil er von den Musikern als der Normalfall betrachtet wird, hat eine eigene,
sich vom motiorhythmischen Pattern des kushaura-Parts unterscheidende Gestalt. In weit stärkerem
Maße als bei letzterem kann sie jedoch permanent verändert werden, im Extremfall soweit, dass
keine zwei aufeinander folgenden Periodendurchläufe identisch sind. 41 Andererseits gibt es durchaus
quasi feststehende Versionen für kutsinhira-Parts eines Stückes, die dann gewissermaßen den Ausgangspunkt für die kreativen ‚Ausflüge’ des Musikers darstellen. Als Basis für die Untersuchung wurden daher sowohl fixierte, per Unterricht gewonnene Standardversionen herangezogen als auch
transkribierte Ausschnitte aus Tonaufzeichnungen.
Bemerkenswert ist hier nun die Tatsache, dass es hinsichtlich der Einstufung einer Version mit
ihrem spezifischen motiorhythmischen Pattern als kushaura oder kutsinhira keineswegs immer eine
feste Funktionszuweisung gibt. Dies scheint auch Tracey klar gewesen zu sein, der die verschiedenen
Versionen eines Stücks durchnummeriert hat, ohne den Typ immer anzugeben (z. B. A. Tracey 1970
b). Wie etwa das Beispiel Taireva zeigt, kann ein kutsinhira in die Rolle eines kushaura schlüpfen, zu
dem dann der ‚kutsinhira des kutsinhira’, also quasi ein sekundärer kutsinhira, gespielt wird. Dies
kann wie bereits oben er[132]wähnt auch dann eintreten, wenn drei mbiras zusammen spielen:
kushaura + kutsinhira 1 + kutsinhira 2. 42
40 Vgl. jedoch Mujurus kutsinhira, der ein eigenes motiorhythmisches Pattern aufweist.
41 S. dazu unten über Variantenbildung Kapitel 7.
42 Auch A. Tracey weist darauf hin, dass alle drei von ihm präsentierten Versionen von Nhemamusasa zusammen gespielt
werden können (1970 b:19).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
In manchen Fällen ist nicht unbedingt festgelegt, welche Gestalt eines Stückes als kushaura angestimmt und dann mit einem anderen motiorhythmischen Pattern als kutsinhira-Part kombiniert
wird. Bei Bangiza z. B. kann die Version mit dem ‚4er’-Pattern sowohl als kushaura als auch als
kutsinhira gespielt werden. In den Notenbeispielen finden sich weitere Stücke, bei denen einzelne
Versionen von den Informanten als „kushaura oder kutsinhira“ bezeichnet wurden. Bei den Transkriptionen wurden die Versionen entsprechend der jeweils dort vorgefundenen Funktion als
kushaura oder kutsinhira bezeichnet. Eine Version, die in der einen oder anderen Weise ausgewiesen
ist, kann also in anderem Kontext in anderer Funktion auftreten.
Charakteristisch für kutsinhira-Versionen, die nicht als kushaura in Frage kommen, sind oft
•
•
die Verschleierung der zugrunde liegenden Akkordsequenz durch Konstanten (s. u.),
eine weniger gleichförmige Gestalt schon innerhalb einer Periode z. B. durch Wechsel des
motiorhythmischen Patterns, unregelmäßige Anordnung von Tönen in einem Register
(speziell der tiefen Oktave) u. Ä. (s. z. B. Mhlangas kutsinhira zu Bangiza)
Außerdem kann einer sowohl als kushaura wie auch als kutsinhira geeigneten Version dadurch
gewissermaßen eindeutig eine kutsinhira-Funktion zugewiesen sein, dass sie – vergleichbar, aber
nicht identisch mit dem Echoverzahnungsprinzip, da der kushaura hier eine völlig andere Gestalt
haben kann – um einen Puls gegenüber der üblichen Relation ihres motiorhythmischen Patterns zum
Beat verschoben ist. Dies gilt besonders für das ‚6er’-Pattern (s. die einschlägigen Beispiele oben S.
109). [133]
Der Einsatzpunkt des kutsinhira-Parts ist nicht festgelegt, sondern hängt davon ab, wie schnell
sich der Musiker in Bezug auf den kushaura orientieren kann. Die Relation zwischen den beiden Parts
bzw. ihr gemeinsamer Beat-Bezug sind jedoch nicht variabel: Ein Verschieben etwa um einen oder
mehrere Pulse ist nicht akzeptabel und wird als falsch betrachtet.
Besonderheiten der Gestaltung
Hier ist vor allem auf eine Eigentümlichkeit hinzuweisen, die aus dem Stimmplan der mbira resultiert. Dort fehlt ja bekanntlich in der tiefen Oktave die zweite Stufe (hier als D notiert, vgl. Kapitel
4). Ergibt sich nun in einem Stück aus der Kombination der betreffenden harmonischen Progression
mit einem bestimmten motiorhythmischen Pattern, dass dieses tiefe D erklingen müsste, gibt es zwei
Alternativen: Entweder wird die Lamelle B1 (= C) als Ersatz gespielt 43 oder der Ton in die mittlere
Oktave versetzt (Lamelle B7) bzw. durch einen anderen Akkordton ersetzt. Die vor allem in
kutsinhira-Parts relativ häufige erstgenannte Möglichkeit der D-Substitution vermeidet eine Abweichung vom motionalen Pattern um den ‚Preis’ der Einfügung eines harmonisch an der betreffenden
Stelle eigentlich nicht zulässigen Tons. Dies wird intrakulturell offenbar nicht zuletzt deswegen als
akzeptabel betrachtet, weil die tiefste Lamelle in ihrer Stimmung ohnehin häufig beträchtlich von
einem 1200-Cents-Oktavabstand zu L1 abweicht und die Tonhöhenwahrnehmung hier verunsichert
ist (s. o. Kapitel 2), so dass wohl ausreichend ist, einen möglichst tiefen Ton zu spielen. Berliner geht
zwar auch auf die besondere Rolle der Lamelle B1 ein 44, erwähnt jedoch nicht, dass sie speziell an die
Stelle des zwischen B1 und B2 fehlenden Tons treten kann.
Eine weitere Eigenheit mancher Parts – und dies gilt in besonderem Maße, wenn sie in der Funktion eines kutsinhira auftreten – liegt darin, dass manchmal bestimmte Zungen an regelmäßigen
43 So auch Brenner 1997:178-181.
44 Berliner 1981:108. Vgl. dazu auch A. Tracey 1961:51.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Positionen der Periode in der Art einer ‚Kon[134]stante’ immer wieder erklingen und so teilweise die
zugrunde liegende Akkordsequenz überlagern bzw. verschleiern können. Berliner 45 bezieht dies nur
auf die tiefste Lamelle, doch ist das Prinzip keineswegs auf sie beschränkt, wie z. B. Mukweshas
kushaura von Chakwi zeigt, wo es sich um die Lamelle B7 handelt. Noch deutlicher wird dies an einer
Variante dieses Phänomens. Teilweise wird nämlich eine Zeitlang immer wieder auf einen Ton rekurriert, jedoch nicht während der gesamten Periode, so dass der betreffende Ton an bestimmten
Stellen der Sequenz akkordfremd ist. Dies wird im Folgenden als ‚temporäre Konstante’ bezeichnet
und betrifft auch andere Töne als das tiefe C.
Ist das Phänomen der Konstanten oder temporären Konstanten auf einen Part beschränkt, dann
in der Regel auf den kutsinhira, so dass die jeweilige Akkordsequenz durch den kushaura erkennbar
bleibt. In den Fällen, wo es jedoch beide betrifft (etwa bei Stücken mit einem kutsinhira nach dem
Echoverzahnungsprinzip), kann sich eine harmonische Progression ergeben, die nicht eindeutig auf
eine hypothetisch zugrunde liegende, aber durch die Konstanten überlagerte Akkordfolge zurückführbar ist (s. dazu Kapitel 6).
hosho und Timing – und: Wo ist der Beat?
Das Gefäßrasselpaar hosho 46, zwei mit Samenkörnern 47 gefüllte Stielkale-bassen 48, markiert mittels eines festen Patterns den Beat, an dem sich auch die Tanzbewegungen orientieren. Die rechte
Hand 49 führt eine unten, die linke eine oben und unten akzentuierte vertikale Bewegung vor dem
Körper des Spielers aus, der Beat liegt am Ende der Abwärtsbewegung der rechten Hand: [135]
|
R
↓
'
L
↑
'
L
↓
|
R
↓
'
L
↑
'
L
↓
etc.
Dabei weichen Phrasierung bzw. Timing dieser Figur deutlich von einer äquidistanten Pulsation
ab. Berliner hat ihren Rhythmus als annähernd
wiedergegeben, wobei die Sechzehntel und die Achtel etwas vorgezogen gespielt würden (Berliner
1981:113). Dort weist er auch zurecht darauf hin, dass je nach Personalstil des Ausführenden leichte
rhythmische Verschiebungen und unterschiedlich ausgeprägte Akzentuierungen das Pattern in seiner
Realisierung prägen, dessen Grundgestalt jedoch gleich bleibt. Brenner sieht in der hosho-Phrasierung eine Tendenz, sich zwischen binärer und ternärer Gliederung zu bewegen (1997:198).
Zur Frage des Timings
Was das Timing in afrikanischen Musikkulturen betrifft, geht man im Allgemeinen von einem
gleichmäßigen Raster mit konstantem Pulsabstand aus, auf das die Schläge oder Einsatzpunkte von
45 Ebenso A. Tracey 1961.
46 Es handelt sich wie bei ‚mbira’ um ein Substantiv, das sowohl im Singular (Kl. 9) wie im Plural (Kl. 10) ein Nullpräfix auf-
weist, so dass die Anzahl aus dem Kontext ersichtlich werden muss. Gelegentlich wird statt zweier Rasseln nur eine verwendet. S. dazu weiter unten.
47 Bevorzugt werden hota, das sind die der Blumenrohrstaude (bot. Canna, vgl. Hannan 1984).
48 S. Abbildung oben S. 6.
49 Die folgenden Angaben beziehen sich auf Rechtshänder.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Klängen mit mehr oder weniger metronomischer Exaktheit fallen. Ansonsten fanden sich lange Zeit
nur vereinzelte Hinweise auf „irrationale“ Verschiebungen (Kubik 1984:72), die aus einer Retardierung oder Antizipation musikalischer Aktionen resultieren könnten. In Detailstudien zu einzelnen subsaharischen Musiktraditionen gibt es allerdings gelegentlich Hinweise auf ein nicht-metronomisches
Timing, etwa bezüglich des Xylophonspiels im Nordwesten Ghanas. Mary Seavoy führt dies im Fall
der Spielweise des jengsi-Xylophons der Sisaala teilweise auf eine Orientierung am Sprachrhythmus
zurück (Seavoy 1982:430-431). Ein solches ‚Sprechspielen’ ist uns ja aus vielen afrikanischen Kulturen
mit Tonsprachen geläufig. Ein weiteres [136] Beispiel findet sich etwa in der benachbarten Côte
d’Ivoire (Elfenbeinküste), nämlich in der kpoye-Xylophonmusik der Senufo, wo der Leiter des Ensembles in manchen Fällen nicht metronomisch exakt, sondern in einem „quasi-sprachlichen Stil“
spielt (Ciompi 1989:113).
Seavoy hat aber bei den Sisaala in Ghana auch Beispiele dafür gefunden, dass man ein Pattern
rhythmisch entweder auf eine binäre oder eine ternäre Gliederung beziehen kann oder nicht-ganzzahlige Verhältnisse vorliegen, die sich aus einer ‚Beugung’ oder Verschiebung der Anschläge weg
vom isochronen Pulsraster ergeben (Seavoy 1982:431-432). Larry Godsey hat in seiner Studie zur
kogyil-Xylophonmusik der ghanaischen Birifor (Godsey 1980) versucht, solche Besonderheiten des
Mikrotimings mit Hilfe des sog. NUTs-Systems genauer zu bestimmen. 50 Godsey kommt zu dem
Ergebnis, nicht nur je nach Zugehörigkeit eines Stücks zu einer bestimmten Gattung ließen sich charakteristische Werte für die Abweichung von isochronen Abständen feststellen, sondern auch für den
Personalstil einzelner Musiker (Godsey 1980:130ff.).
Gerade aus dem Bereich der Mande-Kulturen sind inzwischen verschiedene Möglichkeiten bekannt geworden, wie der individuelle Gestaltungsspielraum der Musiker hinsichtlich des Mikrotimings aussehen kann (Charry 2000:xxvii, 87). Ein stufenloses Wechseln zwischen einer binären und
ternären Beatteilung hat z. B. Roderic Knight in den Klopfpatterns (konkondiro) gefunden, die während des Spiels auf der kora-Stegharfe von einer zweiten Person auf dem Kalebassenresonator der
kora ausgeführt werden können (1973:196-197). Nach Johannes Beer (1991:12-13) gibt es in der
Phrasierung von Trommelfiguren auf der Bechertrommel jembe (oder jenbe) bei den ebenfalls zur
Mande-Gruppe zählenden Malinke (oder Maninka) neben einem konstanten Abstand der Pulse auch
Verschiebungen nach vorn (Antizipation) oder hinten (Retardierung). Am Beispiel der jembe-Musik
aus Mali hat Rainer Polak das Prinzip des [137] systematischen Verschiebens von Schlägen genauer
untersucht und die verschiedenen Erscheinungsformen nach Typen geordnet (Polak 1997, 1998). Er
interpretiert die Spielweise der jembe im Sinne verschiedener Modelle, welche die Beziehung
zwischen einer Ausgangs- und einer (angestrebten, jedoch nicht unbedingt erreichten) Zielpulsation
aufzeigen sowie einen emisch relevanten Toleranzbereich deutlich machen, in den die tatsächlichen
Anschläge der Trommel fallen können. Als generelle Strategie konstatiert er:
„The [...] pulsations [also die Ausgangs- und die Zielpulsation, G. G.] set the limiting values for the
microrhythmic tolerance in placing the impulses of a rhythm pattern.“ (Polak 1998:29)
Einen jeweils spezifischen Umgang mit dem Mikrotiming findet man darüber hinaus nicht nur in
verschiedenen Formen afroamerikanischer Musik 51, auch in der mbira-Musik spielt dieses Phänomen
offensichtlich eine Rolle. Um das Maß der mikrotemporalen Verschiebung näher zu bestimmen, wurden zwei Aufnahmen des typischen Patterns des hosho-Gefäßrasselpaares von verschiedenen Spie50 Dieses ist von Nazir Jairazbhoy in Anlehnung an Ellis’ Cents-Rechnung für die genaue Bestimmung von Intervallgrößen als
Maß für Dauern und zeitliche Distanzen entwickelt worden und teilt die ermittelte Dauer eines Referenzwertes (z. B. für
eine Achtelnote) in 100 kleinste Zeiteinheiten (nominal units of time = NUTs). Die tatsächlichen Abstände zwischen
Impakten lassen sich dann mit +/– Angaben (ausgedrückt in NUTs) präzisieren und geben so Auskunft über die mikrotemporale Gestaltung.
51 Vgl. dazu Grupe 2004 b mit weiteren Literaturhinweisen.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
lern auf einem Apple Macintosh mit Hilfe des Programms SoundScope/16 (Version 1.27) hinsichtlich
des Zeitverhaltens untersucht. Die Messungen ergaben wie zu erwarten eine deutliche Tendenz zu
nicht-isochroner Phrasierung. Angegeben sind auf ein Tempo von 1 Beat pro 600 ms umgerechnete
Durchschnittswerte, so dass ein idealtypischer Pulsabstand 200 ms betragen würde:
Puls
Abstand der Pulse in ms
1
2
3
1
|
'
'
| etc.
264 96 240
Einschränkend sei für die hosho-Messungen allerdings auf zwei Punkte hingewiesen, welche die
Werte relativieren: [138]
1. Die konkrete Spielweise und damit Phrasierung der hosho unterliegt der erwähnten individuellen
Spezifik, deren intrakulturelle Toleranzbreite hier hinsichtlich des Timings nicht näher untersucht
worden ist. Von den Informanten wurden allerdings einhellig folgende Kriterien für die Qualität eines
hosho-Spielers genannt:
•
•
konstantes Tempo auch über einen längeren Zeitraum (Viele Spieler tendieren nach einiger
Zeit zu einer Retardierung.);
präziser, scharfer Klang des Patterns (d. h. kein ‚verwaschenes’ Rasseln ohne klaren Rhythmus).
2. Trotz der letztgenannten Forderung ist der genaue Einsatzpunkt besonders des dritten ‚Schlages’
in der Computeranalyse nur schwer auf Millisekunden genau zu bestimmen, so dass hier eine gewisse Unschärfe der obigen Messergebnisse einkalkuliert werden muss. Die Tendenz weg von einer
isochronen Phrasierung bleibt dadurch jedoch unberührt, die genannten Probleme wären allerdings
für eine Untersuchung des Personalstils von hosho-Spielern relevant. 52
Auch bezüglich des mbira-Spiels stellt man fest, dass die Pulse keineswegs immer genau äquidistant realisiert werden, wenn dies auch für die Mehrzahl der Fälle gelten mag. Es gibt gelegentlich auf
der Ebene des Personalstils durchaus Beispiele dafür, dass sich ein Musiker spontan zur Variation der
‚üblichen’, gleichmäßig-isochronen Spielweise hin zu einer deutlich hörbaren ‚Rhythmisierung’
entschließt. Um hier Missverständnissen sogleich vorzubeugen, sei jedoch betont, dass damit keineswegs etwa die Grundkonzeption der mbira-Musik hinsichtlich ihrer temporalen Organisation in
Frage gestellt wird. Diese ist vielmehr dergestalt zu ergänzen, dass die in analytischer Sicht isochron
konzipierten Pulse innerhalb gewisser Grenzen je nach Gusto eines Musikers ‚rhythmisiert’, d. h. mit
ungleichen Abständen realisiert, in Erscheinung treten können: Es handelt sich also um ein Oberflächenphänomen im Gegensatz zur konzeptionell unver[139]änderten Relation zwischen Pulsen als
kleinsten Einheiten und Beat. Um dies zu illustrieren und auch die mögliche Bandbreite aufzuzeigen,
wurde gehörsmäßig ein Beispiel ausgewählt, bei dem sich dieses insgesamt eher seltene Phänomen
besonders deutlich zeigt. Es handelt sich um die Soloaufnahme eines kutsinhira-Parts von Taireva gespielt von S. Mujuru, bei dem linke und rechte Hand alternierend agieren und jeder Puls realisiert
wird. Wiederum mit Hilfe des Programms SoundScope/16 (Version 1.27) wurde auf einem Apple
Macintosh das Zeitverhalten untersucht. Dabei ergaben sich folgende Resultate:
52 Es wäre sicherlich auch lohnend, in einer systematischen Untersuchung der Phrasierung einer größeren Zahl von hoshoSpielern Brenners oben angeführter Hypothese nachzugehen.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Bei einem durchschnittlichen Abstand der Beats in der betreffenden Aufnahme von 600 ms beträgt die idealtypische Distanz der Pulse 200 ms. Die Abweichung von diesem Wert steht in einem
regelmäßigen Verhältnis zum Beat, der bei der Aufnahme nicht klanglich realisiert, sondern vom
Musiker nur mitgedacht wurde. Als Durchschnittswerte wurden ermittelt (Rundungsfehler 1 ms):
Puls
Abstand der Pulse in ms
1
2
3
1
|
'
'
| etc.
226 155 218
Das Timing ahmt hier offensichtlich die hosho-Phrasierung nach, erreicht jedoch nicht deren
Ausmaß an Abweichung von äquidistanten Werten. Den Regelfall stellen ohnehin isochron platzierte
Töne der mbira dar, die parallel zur nicht-isochron gespielten hosho-Figur laufen. Beide Parts treffen
sich genau genommen nur auf den Beats.
Wo ist der Beat?
Der Einsatz des hosho-Spielers erfolgt grundsätzlich erst, nachdem zumindest der kushaura-Part
bereits erklingt, meistens sogar erst, nachdem der kutsinhira-Part bereits hinzugekommen ist. Das
hat zur Folge, dass der Rasselpart, der ja den Beat markiert, von einem Musiker übernommen werden muss, der die vielfältigen Gestalten der Stücke gerade auch im Hinblick auf die Beat-Relation der
diversen motiorhythmischen Patterns genau kennt. Das ‚Einfädeln’ der hosho-Figur, also die pulsmäßig korrekte Synchronisierung mit den mbira-Parts, [140] kann vor allem in den Fällen Probleme bereiten, wo letztere in Zweier- oder Vierergruppen, also den Beat verschleiernd, spielen. Dies gilt für
das ‚LR’-, das ‚2er’- und das ‚4er’-Pattern. Es war interessant zu beobachten, dass die richtige Zuordnung gerade im Fall des ‚4er’-Patterns auch für einheimische musikalische Laien nicht ohne weiteres
möglich ist, wie sich bei einer Aufnahmesitzung mit Ch. Mhlanga zeigte, bei der u. a. eine entsprechende Version von Bangiza gespielt wurde: Einem zufällig anwesenden Freund des Informanten, der den hosho-Part übernehmen wollte, mussten die Musiker die richtige Relation erst durch
Kopfnicken zeigen, nachdem er zunächst falsch eingesetzt hatte. Andere Versionen konnte er dagegen auf Anhieb richtig begleiten.
Es mag überraschend erscheinen, dass nach Auskunft der befragten Musiker dennoch keine speziellen chiShona-Termini existieren, die sich auf den Beat und die korrekte Relation der hosho-Figur
zu den mbira-Parts beziehen. Wie bereits oben erwähnt wurde, kann durchaus allgemein ausgedrückt werden, ob das Zusammenspiel richtig oder falsch ist, jedoch wird hier immer auf die Gesamtgestalt eines Parts rekurriert, nicht auf die Pulsebene: Die Frage, welche Zunge(n) in einem Part mit
der Abwärtsbewegung der rechten Rassel (= Beat) zusammenfallen, führte nicht immer auf Anhieb zu
korrekten Ergebnissen, was sich durch Tonaufnahmen mit hosho oder Klatschen leicht überprüfen
ließ. Diese für uns so nahe liegende analytische Herangehensweise entspricht offensichtlich nicht der
intrakulturellen Konzeptualisierung: Man weiß einfach, wie die Parts als Ganzes richtig zusammen
klingen, ohne über einzelne Lamellen etc. nachzudenken. Wurden die gleichen Musiker nämlich gebeten, zu dem fraglichen mbira-Part hosho zu spielen oder zu klatschen, setzten sie ohne zu zögern in
der korrekten Relation ein.
Eine Musikerin (V. Mukwesha) wies in diesem Zusammenhang auf die Existenz einer Lamelle hin,
die jeweils für ein Stück charakteristisch sei und dort auf den Beat falle. Dies könne grundsätzlich nur
eine der linken Hand sein, da die Linien der rechten zu variabel seien, als dass sie hier zur Orientierung dienen könnten. Sie demonstrierte dies am Beispiel eines kushaura des Stückes Mahororo, wo
die Lamelle L4 diese Rolle spiele. Hier drängt sich natürlich ein Vergleich mit Kubiks „Markierungs-
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
ton“ auf (Kubik 1991:113 ff.), einem in vielen akadinda-[141]Stücken 53 regelmäßig wiederkehrenden
Ton, der oft – wenn auch nicht ständig – auf den Beat fällt. Dies ist auch in der genannten MahororoVersion bezüglich der Lamelle L4 keineswegs immer der Fall (Ausnahme: Puls 43 = 7. Puls im 4. Formteil; s. S. 449 im Anhang), andererseits ergibt sich aus der zugrunde liegenden Akkordprogression,
dass auch andere Zungen an den Stellen auftreten, wo sonst L4 gespielt wird: Dies betrifft die Pulse 5
und 11 in den vier Formteilen. In Übereinstimmung mit der oben diskutierten Regelmäßigkeit auf der
Pulsebene ließe sich dieses Phänomen an zahlreichen weiteren Beispielen belegen.
Dieses beständige Zurückkehren zu einer bestimmten Lamelle, die auch noch auf dem Beat erklingen soll, findet also seine Grenzen in dem durch die Akkordsequenz jeweils determinierten
Tonvorrat und in dem jeweiligen motiorhythmischen Pattern, das die Akkordtöne ‚quer’ zum Beat (z.
B. 3 : 4) positionieren kann. Eine Parallelität ergibt sich allerdings im Oberflächenphänomen der Konstanten, welche die harmonische Progression ja überlagern können, jedoch nicht immer auf den Beat
fallen. 54 In kutsinhira-Parts tun dies die Basstöne zwar recht häufig, jedoch ist dies keineswegs zwingend, sondern nicht zuletzt vom jeweiligen motiorhythmischen Pattern abhängig, wie ein Blick in die
Notenbeispiele zeigt (vgl. u. a. die kutsinhira-Versionen I zu Nhemamusasa bei Tracey und Berliner),
so dass sie nicht verlässlich als Orientierung dienen können. Bei kushaura-Parts von Stücken, die
normalerweise einen kutsinhira nach dem Echoverzahnungsprinzip aufweisen, fällt der tiefste Ton
meist – aber nicht immer (s. o., z. B. Mutamba) – auf den Beat.
Jedenfalls zeigt der Hinweis von Mukwesha, dass den mbira-Spielern die Relation ihres Parts zum
Beat durchaus bewusst ist, sie können sie ja schließlich durch Kopfnicken verdeutlichen. Problematisch ist offensichtlich nur ein analytisches Zerlegen mit Fragen wie: „Welche Lamelle zupfst Du in
dem Augenblick, wo die rechte Rassel unten ankommt?“ [142]
Varianten
Ausnahmen vom Standard-hosho-Pattern ergeben sich gelegentlich bei souveränen, anerkannten Spielern, die manchmal zur Abwechslung mit Varianten aus dem ständigen Repetieren dieser
Formel ausbrechen (z. B. durch kurzzeitiges kontinuierliches Rasseln ohne rhythmische Gliederung),
um nach wenigen Beats jedoch wieder zur üblichen Figur zurückzukehren. Das Stück Bayawabaya,
dessen Formzahl 32 schon darauf hinweist, dass hier ein anderes Pattern zur Anwendung kommen
muss, wird mit einem 8-Puls-Muster begleitet:
(8)
x x . x . x x . etc.
Die Bewegungsrichtung ist bei den Dreipulsgruppen ( x x . ) horizontal, bei der Zweiergruppe
( x . ) abwärts. Für langsamere, ruhigere Versionen von Stücken mit der üblichen Formzahl (48)
wird manchmal folgendes Pattern verwendet, das nur mit einer hosho-Rassel ausgeführt wird, die
man horizontal schüttelt (vom Spieler aus gesehen nach links = L, nach rechts = R):
| ' ' | ' ' | ' ' | ' '
(12) x . x . x x . x . x x .
L
L
L R
L
L R
etc.
Dieses Muster, das sich phänomenologisch in westafrikanischen timeline-Formeln wieder findet,
hier jedoch nicht diese Funktion hat, kann alternativ auch von einer chikwitso-Rassel, einer Gefäßras53 Es handelt sich um ein Holmxylophon aus der kiGanda-Tradition.
54 Z. B. Chipindura, kushaura von Mukwesha, Bukatiende, kushaura IV von Mujuru (Puls 9); und – häufiger – in kutsinhiras
auf B1, z. B. Bukatiende, kutsinhira von Mhlanga, kutsinhira II von Mujuru.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
sel aus mehreren floßförmig aneinander gebundenen, mit Rasselkörpern gefüllten Bambusröhren 55,
gespielt werden. Es wird jedoch sehr selten verwendet: Im vorliegenden Material wurde kein einziges
Mal ein Stück so begleitet. [143]
Mehrstimmigkeit
Neben der Frage nach simultanen Zusammenklängen kommt hier auch ein Phänomen zum Tragen, das im Kontext der Xylophonmusik von buGanda als „Sukzessivharmonik“ (Schneider/Beurmann
1990:512) bzw. „konsekutive Konsonanz“ (Kubik 1991:65, 76, 80) bezeichnet worden ist, nämlich die
Tatsache, dass bei hohem Tempo die Töne aufeinander folgender Pulse ineinander klingen und daher
diese durch Überlappung entstehenden Zusammenklänge ebenfalls zu berücksichtigen sind. Dieser
Effekt ist bei schwingenden Metall-Lamellen trotz des meist geringeren Tempos 56 bei der mbira
natürlich noch ausgeprägter als bei den relativ schnell abklingenden Xylophonplatten.
Mehrstimmigkeit innerhalb eines mbira-Parts
In der einschlägigen Literatur werden Oktaven, Quinten und Terzen sowie deren Umkehrungen
als gängige Intervalle genannt, die simultan oder sukzessiv erklingen (z. B. Berliner 1981:75). Tracey
bemerkt, die Terz des jeweiligen Akkords innerhalb der Sequenz werde nur selten verwendet (A.
Tracey 1970 b:12), so dass also hauptsächlich Oktaven, Quinten und Quarten einschließlich Doppeloktaven, Duodezimen und Undezimen als Zusammenklänge zu erwarten wären. Ein Blick in die Notenbeispiele zeigt allerdings, dass Terzen (bzw. Dezimen) und Sexten doch recht häufig vorkommen.
Es bleiben somit nur Sekunden (bzw. Nonen) und Septimen, die in der Tat simultan relativ selten
sind, in sukzessiver Folge dagegen durchaus öfters auftreten.
Beispiele, die simultane Sekunden/Nonen/Septimen – oft als Folge deszendenter Linien der rechten
Hand – enthalten, sind:
•
•
•
•
•
Chakwi, kushaura II von Mujuru
Chipembere chidiki, kushaura I (a) von Mujuru
Nyamaropa, kushaura II und kutsinhira von Mhlanga
Nyamaropa yevaMbire, kushaura von Mujuru
Nhemamusasa, kutsinhira von Mhlanga
[144]
Beispiele für sukzessive Sekunden finden sich in:
•
•
•
•
•
•
Chakwi, kushaura I und kutsinhira von Mujuru
Nhemamusasa, kushaura II und kutsinhira von Mhlanga, kushaura I von Mukwesha
Chaona, kushaura und kutsinhira von Mujuru
Bangiza
Nyamaropa, kushaura II von Mukwesha
Nyamaropa yeDambatsoko, kushaura von Mujuru
55 Das Instrument ist in dem Stück Chapfudzapasi auf Stella Chiweshes CD Ambuya?/ Ndizvozvo zu hören. Dort wird die
Rassel als chiwitsa bezeichnet.
56 Ca. 300 – 400 Pulse pro Minute gegenüber bis zu 600 bei der amadinda.
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Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
Mehrstimmigkeit im Ensemble und die Kombination von Parts
Zuallererst muss man hier nochmals an einen Umstand erinnern, der bei allen Diskussionen
harmonischer und melodischer Details leicht vergessen werden könnte. Es geht um den immensen
Geräuschanteil am Gesamtklang des Ensembles. 57 Nicht nur an jeder einzelnen mbira sind ja
Rasselkörper angebracht (heute zumeist Kronkorken oder an einer Stange aufgereihte Metallhülsen),
auch am Rand der Kalebassenresonatoren (deze, demhe), in denen die Lamellophone zumindest bei
Zeremonien gespielt werden, sind weitere Kronkorken (früher Muscheln) befestigt. Der so entstehende kontinuierliche Geräuschteppich wird noch beträchtlich verstärkt durch die im Verhältnis sehr
lauten hosho-Rasseln, die das Klangbild insgesamt stark prägen, mitunter sogar dominieren. Ein versierter hosho-Spieler kann diesen Rasseln so scharfe, schneidende Klänge entlocken (Informanten
verglichen das Klangideal mit Peitschenknallen oder dem Eindruck eines elektrischen Schlages!), dass
die mbiras trotz der Resonatoren teilweise übertönt werden. Das hat wiederum zur Folge, dass man
bei Zeremonien von mbira-Spielern neben Repertoirekenntnissen nicht nur rhythmische Präzision,
Schnelligkeit und zeitliche Ausdauer erwartet, sondern auch möglichst lautes Spielen. Dadurch heben
sich dann immer wieder einzelne Melodiefiguren über den Geräuschteppich hinaus. Zupft man dagegen nicht kräftig genug, so klingt die mbira „like an ill person“ (V. Mukwesha). Das Klangideal äußert
sich dagegen in dem Verb kubanda (Hannan 1984: „crush; crunch“), das im Musikerjargon neben
kukwenya („scratch lightly“) statt des üblichen kuridza („cause [145] to sound; play“) verwendet
wird, um das Spielen auf der mbira auszudrücken (also kuridza mbira, kukwenya mbira oder eben
kubanda mbira). Es beschreibt im normalen, außermusikalischen Sprachgebrauch u. a. das Geräusch,
das etwa Löwen beim Fressen erzeugen, wenn sie die Knochen des Opfers knacken ...
Insofern sind Tonaufnahmen des Ensembleklangs für die Analyse einzelner Stimmen nicht zu gebrauchen, die folgenden Feststellungen sind nur möglich auf der Basis der Kenntnis einzelner mbiraParts. Am deutlichsten hört man sie, wenn zwei Musiker zum eigenen Vergnügen (und dem eventueller Zuhörer) ohne Resonatoren und ohne hosho-Begleitung in relativ ‚gemütlichem’ Tempo spielen.
Je nachdem in welcher räumlichen Relation man sich zu den Spielern aufhält, kann man dann sogar
wie bei einer guten Stereoaufnahme mit relativer Sicherheit die gehörten Töne den Parts zuordnen.
Normalerweise ist dies auditiv sonst nicht möglich, da die Musiker ja Instrumente gleicher Klangfarbe
und Lage spielen und außerdem meist unmittelbar nebeneinander sitzen.
Kombination von Parts
Was das Zusammenfügen zweier (oder mehrerer) mbira-Parts angeht 58, wird von den Informanten zwar erklärt, die verschiedenen kushaura- und kutsinhira-Parts eines Stücks seien grundsätzlich
beliebig kombinierbar, gleichzeitig betonen sie jedoch, es sei von Vorteil, wenn sich die Spieler musikalisch gut kennen und aufeinander eingespielt sind. In der Praxis ist dies fast immer der Fall, da die
Ensembles in der Regel aus Personen zusammengesetzt sind, die sich auf Grund familiärer Bindungen
oder persönlicher Bekanntschaft lange kennen. Innerhalb solcher Musikerfamilien sind dann häufig
bestimmte Versionen eines Stücks geläufig, die anderen gegenüber bevorzugt werden und typisch für
die betreffenden mbira-Spieler sind (vgl. die verschiedenen kushaura-Versionen des Stücks
Bukatiende von S. Mujuru). Dies zeigt sich manchmal sogar in den Namenszusätzen der Titel: z. B.
Nyamaropa yeDambatsoko (= „aus [dem Ort] Dambatsoko“). 59 Dagegen werden ‚fremde’ Versionen
eines Stücks nicht immer ohne [146] weiteres akzeptiert, was die „beliebige Kombinierbarkeit“
57 Vgl. Kauffman 1979.
58 Vgl. dazu auch Berliner 1981:103.
59 Vgl. dazu Grupe 1994.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zur motionalen und tonalen Realisierung der Stücke
wieder relativiert. Die persönliche Spielweise eines Musikers wird von manchen Informanten als
‚ruoko’, wörtlich „Hand“, bezeichnet.
Simultane und sukzessive Klänge bei zwei kombinierten mbira-Parts
In der Regel wird hier eine Verzahnung der beiden Linien angestrebt, die jeweils von der rechten
Hand produziert werden (z. B. Bangiza). Es gibt jedoch auch Fälle, wo sie synchron spielen, sich dafür
aber Tonrepetitionen in der linken Hand, beispielsweise in der Basslinie, ergeben (z. B. Mujurus
Nyamaropa). Da die Parts für sich genommen durchaus einer eigenen ‚Logik’ folgen und insoweit als
autonom anzusehen sind, kommt es immer wieder auch zu Sekundzusammenklängen. Zum einen
können sie sich daraus ergeben, dass sich die Positionen, an denen Akkordwechsel stattfinden, in den
beteiligten Parts um einen Puls unterscheiden. Ein Beispiel dafür ist Mujurus Taireva: Wo der
kushaura schon mit dem C-Akkord beginnt, klingt im kutsinhira noch D, d. h. die Quint des G-Akkords.
Ansonsten können sie auch einfach durch die eigenständige melodische Gestaltung der Parts entstehen, speziell wenn im kutsinhira-Part die Akkordsequenz eher verschleiert wird.
Beispiele 60:
• Taireva von Mujuru
• Chaona von Mujuru (in der rechten Hand)
• Mahororo von Mujuru
[147]
60 Notationen der hier genannten Versionen finden sich in Kapitel 6 bzw. im Anhang.
[147] Kapitel 6
Fleisch und Blut, Löwen, behelfsmäßige Unterkünfte:
Eine Analyse ausgewählter Stücke
Wir können jetzt an Hand konkreter Stücke das Zusammenwirken der beiden bis hierhin weitgehend getrennt voneinander behandelten Aspekte betrachten, welche die mbira-Musik prägen, nämlich Akkordsequenzen und motiorhythmische Patterns. Dabei wird auch auf Oberflächenphänomene
eingegangen, die die harmonische Struktur überlagern und die Akkordfolgen tonal modifizieren. Dazu
gehören
•
•
•
der Einsatz der Lamelle B1 als Substitution für die zweite Stufe (D) in der tiefen Oktave, die
bekanntlich fehlt;
die Verwendung von Konstanten – d. h. Tönen bzw. Lamellen, die auf regelmäßig während
der gesamten Periode wiederkehrenden Pulsen gespielt werden und so die harmonische
Progression verschleiern – und von temporären Konstanten;
die Benutzung akkordfremder Töne, also solcher, die nicht Grundton, Quint oder Terz (inklusive deren Oktavtranspositionen) des am jeweiligen Punkt des Zyklus ‚gültigen’ Akkords sind.
Bezüglich des letzten Punkts spricht Berliner von „non-harmonic tones“ (1981:103). Dieser Ausdruck scheint mir unglücklich gewählt zu sein, da er ein Defizit dieser Töne suggeriert, das erst noch
nachzuweisen wäre. Sie erweitern vielmehr die tonalen Möglichkeiten, wie er selbst richtig bemerkt.
Akkordfremde Töne treten häufig als Durchgangsnoten zwischen Akkordtönen auf, so dass eine
kontinuierliche, meist in Sekunden fortschreitende Linie möglich wird (häufig in der rechten, gelegentlich aber auch in der linken Hand speziell in kutsinhira-Parts). Außerdem kann das Rekurrieren
auf Konstanten zu akkordfremden Tönen führen. [148]
Zur Auswahl der ausgewerteten Stücke
Das Repertoire der Musiker wurde nicht komplett berücksichtigt, d. h. ihnen sind über die hier
vorgelegten Stücke hinaus weitere bekannt. Einige sind für eine Gruppe spezifisch, d. h. diese sind bei
anderen nicht beliebt oder gänzlich unbekannt. Bei der Auswahl habe ich vorrangig die gemeinsamen
berücksichtigt, um möglichst umfangreiches Vergleichsmaterial zu haben, einige der seltenen Stücke
wurden jedoch mit Absicht herangezogen um zu zeigen, wie spezifisch das Repertoire einer Gruppe
im Einzelfall sein kann und dass es sich keineswegs nur aus den allseits bekannten Standardstücken
zusammensetzt. In erster Linie sind hier die Stücke berücksichtigt, die die jeweiligen Musiker selbst
vorgeschlagen hatten, da sie in ihrem eigenen Repertoire eine wichtige Rolle spielen. Wie man an der
Zusammenstellung auf S. 150 sehen kann, ergibt sich eine gemeinsame Schnittmenge: Zehn wichtige
Stücke, die in allen drei Repertoires vertreten und auch sonst beliebt sind, wurden dort fett markiert.
Es kann hier aber nur eine Tendenz angegeben werden. Die Beliebtheit einzelner Stücke schwankt
von Gruppe zu Gruppe. Einige sind unter verschiedenen Namen bekannt. Speziell im Fall von Veröffentlichungen auf Tonträgern (LP, MC, CD) ist es üblich, den traditionellen Titel aus urheberrechtlichen Gründen durch einen anderen zu ersetzten. Letztere sind hier nicht berücksichtigt.
Die veröffentlichten Transkriptionen von Tracey und Berliner wurden ergänzend herangezogen.
Garfias ist in der Liste nicht extra aufgeführt, da von ihm nur zu einem Stück (Nhemamusasa) je ein
kushaura- und ein kutsinhira-Part vorliegen (Garfias 1987).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Grundsätzlich sind alle Stücke in der Form berücksichtigt, die derjenigen Transpositionsstufe ihrer Akkordsequenz entspricht, die von den Musikern als die übliche oder typische angesehen wurde.
Es gab hier im Repertoirevergleich keine Divergenzen, es sei denn, die Stücke tragen einen spezifizierenden Zusatz im Titel. Am Beispiel Chipembere (= Nyamaropa Chipembere) zeigt sich dieser Sprachgebrauch recht deutlich: War nur von Chipembere die Rede, so entsprach dies immer der Transpositionsstufe I der Standardsequenz. Der Zusatz „chikuru“ war nur nötig, um diese übliche Version z. B.
von der auf die zweite Stufe transponierten („chidiki“) zu unterscheiden. Das gleiche gilt für Chakwi:
Ohne wei[149]tere Spezifizierung war die Transpositionsstufe II der Standardsequenz gemeint. Nur
um Chakwi von Chakwi yeManyika (Stufe IV) abzugrenzen, bezeichnete Fungai Mujuru die erstere
Version als Chakwi yeChitungwiza (ein Ort, der mit dem historisch-mythischen Held und hoch verehrten Ahnengeist Chaminuka in Verbindung gebracht wird).
Etwas komplizierter wird die Lage, wenn es um die Abgrenzung zwischen Bangiza, Bukatiende
und Dande geht. Über Dande guru hieß es von einigen Musikern (u. a. Alexio und Fungai Mujuru), das
Stück sei identisch mit Bangiza und werde manchmal auch Dande raMutota (nach dem Namen eines
Herrschers aus der Shona-Geschichte) genannt, was sich an deren identischer Transpositionsstufe
der Standardsequenz (VII) und gleichem motiorhythmischen Pattern nachvollziehen lässt. Das ‚übliche’ Dande, also ohne weitere Spezifizierung, wird dann als Dande repamusoro bezeichnet (Fu.
Mujuru), wenn man es etwa von Dande repasi abgrenzen will, das bei gleicher Stufe andere motiorhythmische Patterns (u. a. ein ‚4er’-Pattern) aufweist. Dagegen heißt es über Dande guru repasi,
dies sei ein anderer Name für Bukatiende (ebenfalls Fu. Mujuru). Die Standardversionen von Dande
und Bukatiende werden von manchen Musikern laut S. Mujuru als das gleiche Stück betrachtet, was
vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass beide auf der gleichen Transpositionsstufe der Standardsequenz basieren.
Die folgende Aufstellung umfasst alle Stücke, die für die Untersuchung ausgewählt wurden. Soweit sie auf der Standardakkordsequenz basieren, zeigen die Angaben zur harmonischen Progression
deren für das betreffende Stück typische Transpositionsstufe. Sonderfälle sind als solche markiert (S).
Die Formzahl beträgt – wenn nicht ausdrücklich anders angegeben – 48 Pulse pro Periode.
Abkürzungen der Quellen in der folgenden Tabelle:
Mh(langa)
M(u)j(uru)
M(u)k(wesha)
Tr(acey)
Be(rliner)
[150]
* = Chiweshe
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Liste der ausgewerteten Stücke
Titel (und Varianten)
Bangiza / Dande guru
Bayawabaya / Hondo / Mukazondidana (32)
Bukatiende / Dande guru repasi
Chakwi / Ch. yeChitungwiza
Chakwi yeManyika
Chaona
Chigamba
Chigamba / Muzoriwa
Chipembere chidiki
Chipembere chikuru: s. Nyamaropa
Chipembere
Chipindura
Dande / Mutande
Hondo /Muhondo / Chinhembeza (72)
Karigamombe
Karimugomba
Kuzanga / Baradzanwa (36)
Mahororo
Marenje
Masangano
Mutamba
Nhemamusasa
Nyamamusango
Nyamaropa
Nyamaropa (pa)Chipembere / Chipembere
chikuru
Nyamaropa yevaMbire
Nyamaropa yeDambatsoko
Nyonganyonga (60)
Shumba
Shumba yaMukwashi
Shumba (“old”)
Taireva
Taireva Gorekore
VII
I
VI
II
IV
VII
S
S
II
S
VI
I
I
III
S
I
I
I
S
IV
S
I
I
I
I
S
S
S
S
III
S
Mh
x
x
Mj
x
x
x
x
x
x
x
Mk
x
*
x
x
Tr
Be
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
[151]
Zum Vergleich von Stücken und Versionen
Basis für den Vergleich verschiedener Versionen eines Stücks von verschiedenen Musikern sind
zunächst die identischen Titel. Auch wenn diese in einigen Fällen divergieren, sind doch zumindest
die anderen geläufigen Namen bekannt. Beispiele sind etwa Hondo/Muhondo/Chinhembeza und
Bayawabaya/Muka-zondidana: Die jeweils letztere Bezeichnung ist weniger gebräuchlich; die
Musiker, die sie verwenden, geben auf Nachfrage in solchen Fällen aber die sonst gängigen Titel an.
Gerade bei weniger bekannten Stücken ist allerdings mitunter schwierig zu entscheiden, wie eine
unterschiedliche Bezeichnung zu bewerten ist, wenn die betreffenden Musiker das Stück unter dem
anderen Namen nicht kennen, sich in der Analyse aber eine strukturelle Gleichheit oder zumindest
eine enge Verwandtschaft zeigt (vgl. z. B. unten Mujurus Chigamba versus Mhlangas Shumba
yaMukwashi oder Mhlangas Chipindura versus Mukweshas „altem“ Shumba).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Während die einzelnen Versionen im Anhang – sofern es sich um solche handelt, die per Tabulatur an Ort und Stelle erfasst wurden – entsprechend dem Startpunkt des Musikers notiert sind, ist für
deren Vergleich eine gemeinsame Anordnung notwendig. In den Fällen, wo im Vergleich der
kushaura-Versionen verschiedener Musiker eine gleiche Segmentierung vorliegt, wird diese aufgegriffen. Andere Versionen (Transkriptionen, Literatur) sind ihr entsprechend umgestellt. Bei einigen
Stücken ist die Anordnung vereinheitlicht worden, um den Vergleich von Stücken gleicher Transpositionsstufe oder – bei einigen Sonderfällen – ähnlicher harmonischer Progression zu erleichtern.
Erklärungen der Informanten zu den Titeln der Stücke sind oft vage. In der Regel geht es um Anspielungen auf Aspekte der traditionellen Shona-Kultur. Nicht näher ausgewiesene englische Übersetzungen stammen aus Hannan (1984). Die Schreibweise ist zwar nicht standardisiert, die einzelnen
Bestandteile werden aber häufig als Eigennamen aufgefasst und deshalb in einem Wort geschrieben.
Die wirkliche Bedeutung einzelner Stücke liegt in erster Linie darin, welchen Stellenwert sie in einer
bestimmten Gruppe bei Ahnenverehrungszeremonien besitzen. Ahnen(geister) haben oft bestimmte
Lieblingsstücke, die gespielt wer[152]den müssen, damit sie von den Medien Besitz ergreifen. 1 Daran
misst sich dementsprechend, welche Wertschätzung ein Stück genießt und als wie wichtig es angesehen wird. [153]
Erläuterungen zu den Notenbeispielen
Legende für Quelle und Typ einer Version:
• eigenes Material:
o Mh(langa)
o M(u)k(wesha)
o M(u)j(uru)
• Material aus publizierten Quellen:
o Tr(acey)
o Be(rliner)
o Ga(rfias)
• Typ:
o (ku)sha(ura)
o (ku)tsi(nhira)
Kleine Notenköpfe zeigen Varianten an: Einzelne optionale oder alternative Töne sind mit runden, zusammenhängende alternative Linien oder simultan zu spielende Oktaven (R1 + R4) mit rautenförmigen Köpfen dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass bei drei zupfenden Fingern kleine Noten
additive oder substitutive Varianten darstellen können. In Zweifelsfällen wird dies in den Einzeldarstellungen im Anhang erläutert. Dort finden sich weitere Informationen zu einzelnen Versionen.
Besteht eine Variante darin, dass die betreffenden Töne um einen Puls verschoben gespielt werden
können, wird dies durch Pfeile im System angegeben. Zur Bedeutung der Tonhöhen s. Kapitel 2. Die
Anordnung richtet sich nach der vorherrschenden Segmentierung der Musiker, so wie sie sich in den
vor Ort per Tabulatur festgehaltenen Versionen zeigt. Ein leer gelassenes System bedeutet einen
Part, der mit dem entsprechenden in der darüber stehenden Akkolade identisch ist. Gestrichelte
Linien markieren die außer in Sonderfällen gleichlangen Formteile. Auf Grund des Prinzips der harmonischen Ambiguität von Tönen ist eine eindeutige Teilung jedoch oft nicht möglich, die Linien
dienen hier vor allem der optischen Orientierung innerhalb der sonst schwer zu überblickenden Zeilen. [154]
1 Vgl. dazu Grupe 1994:21.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Stücke, die auf der Standardsequenz und ihren Transpositionsstufen basieren
Wie die obige Zusammenstellung der ausgewerteten Stücke zeigt, sind ca. 2/3 davon harmonisch mit
der Standardsequenz und ihren Transpositionsstufen erklärbar. Darunter ist die Stufe I mit Abstand
am häufigsten vertreten, weshalb sie in Kapitel 3 ja auch als Basis der Darstellung dient, von der die
anderen Erscheinungsformen der Standardsequenz als ‚Transpositionen’ abgeleitet sind. Beginnen
wir also die Betrachtung konkreter Stücke mit denen, die auf der Standardsequenz in ihrer Grundform (I) basieren. Die Segmentierung entspricht hier bis auf eine Ausnahme immer dem Typ 1. 2
Nyamaropa
Dieses Stück dürfte neben Nhemamusasa eins der wichtigsten und beliebtesten Stücke im mbiraRepertoire sein. Entsprechend viel Beachtung hat es auch in der Literatur gefunden. Der Titel bedeutet soviel wie „Fleisch (und) Blut“ (nyama: „flesh, meat“; ropa: „blood“). Ein Vergleich der kushauraParts von Mukwesha (I), Mujuru, Mhlanga (a) und Berliner zeigt, dass über die Grundgestalt von
Nyamaropa weitreichende Einigkeit herrscht. Die Akkordsequenz wird im kushaura meist durch eine
aus Grundtönen zusammengesetzte Basslinie deutlich dargestellt. Der zweite Akkord (E) wird häufig
durch die Terz G realisiert, sonst dominieren Grundtöne und Quinten. Der fünfte Akkord (E) ist teilweise auf drei Pulse zusammengedrängt (Mukweshas kushaura I und II), bei Traceys kushaura IV
setzt der folgende A-Akkord bereits noch einen Puls früher ein, ein typisches Kennzeichen von
Mahororo, das ja mit Nyamaropa verwandt ist (s. u.). In Traceys kushaura I nimmt in der Variante der
linken Hand im 4. Formteil der Sprung vom C zum F den folgenden F-Akkord vorweg. In Mhlangas
kushaura (b) ist der fünfte Akkord quasi ausgefallen, der vorangehende C-Akkord wird verlängert (zu
diesem Phänomen der Elision und Augmentation s. u. S. 209). Das dominierende und damit charakteristische motiorhythmische Pattern ist ein ‚6er’. Verglichen mit der Standardfassung des [155]
kushaura von Nyamaropa ist es bei Mukweshas kushaura II in Relation zur Akkordsequenz verschoben, wobei die linke Hand fast identisch mit der Version I ist. In Traceys kushaura IV und kutsinhira ist
die Relation zum Beat verschoben. Andere Patterns sind für Nyamaropa eher untypisch. Immerhin
gibt es ein Beispiel mit einem ‚LR’-Pattern: Traceys kushaura III würde von den meisten Musikern
wohl als kutsinhira-Part betrachtet und eingesetzt. Traceys kutsinhira entspricht in Relation zum
kushaura I dem Echoverzahnungsprinzip, hier ist jedoch der kutsinhira-Part dem kushaura einen Puls
voraus! Mujurus kutsinhira führt nicht zu einer Verzahnung der Linien der rechten Hand, sondern zu
einer Verdichtung in den tieferen Oktaven u. a. mit Tonwiederholungen (C – C, H – H) und Sextzusammenklängen (H – G, C – A). Das für viele kutsinhira-Parts zutreffende Merkmal, dass sie Akkordgrenzen im Vergleich zum kushaura verschieben, finden wir auch hier, z. B. zwischen dem A- des
zweiten und dem C-Akkord des dritten Formteils um einen Puls nach hinten.
[156]
2 Diesbezüglich werden hier wie auch bei den folgenden Stücken natürlich nur die an Ort und Stelle notierten Versionen
herangezogen.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Blatt 1[157]
Blatt 2[158]
Analyse ausgewählter Stücke
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 3[159]
Blatt 4[160]
Nyamaropa yevaMbire
Diese Version von Nyamaropa bezieht sich auf den Mbire-Clan und damit die Mount Darwin-Region. 3 Gegenüber der landläufigen Fassung von Nyamaropa zeichnet sie sich durch folgende
Besonderheiten aus: Im kushaura ist die linke Hand in den beiden mittleren Formteilen identisch, sie
zeigen damit Ansätze zur Konvergenz (s. dazu unten S. 209). Im dritten Formteil fällt dadurch der FAkkord aus, der dafür im kutsinhira stark betont wird, wo er den vorangehenden C-Akkord zusammendrängt. Charakteristisch für den kutsinhira sind im Übrigen die ständigen Tonwiederholungen in
der rechten Hand. Während die Stimmen der rechten Hand meist synchron sind (mit gelegentlichen
Sekundklängen), ergeben sich links Verzahnungen, die zu einer interessanten Basslinie und eher
3 Vgl. Hodza/Fortune 1979. Es gibt aber auch südlich von Harare in Zentral-Zimbabwe eine Gegend, die mit dieser Bezeich-
nung in Verbindung gebracht wird (vgl. Dale 1972).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
seltenen Zusammenklängen (wie z. B. None F – G) führen. Bei Einbeziehung des kutsinhira zeigt sich,
dass der C-Akkord außer im dritten Formteil (s. o.) mehr Raum einnimmt als die anderen. Das motiorhythmische Pattern des kushaura ist zwar als teilweise zu einer ‚3-1’-Gestalt ‚ausgedünnte’ Variante
des für Nyamaropa typischen ‚6er’-Patterns aufzufassen, seine Relation zur Akkordsequenz entspricht aber der unüblichen, die auch bei Mukweshas kushaura II vorliegt.
Nyamaropa yeDambatsoko
Der Name dieser Version von Nyamaropa bezieht sich auf den Ort in der Devedzo-Region, wo die
Mujuru-Familie zu Hause ist. Die Segmentierung korrespondiert hier mit dem Beginn der beiden
langen deszendenten Linien der rechten Hand und entspricht damit dem Typ 3, der sonst bei
Nyamaropa und seinen Varianten nicht auftritt. Der Startpunkt liegt auf dem einzigen deutlich um
einen Puls längeren Akkord (A, also I6). Die gleichmäßige Akkorddauer unterscheidet diese
Nyamaropa-Version von Nyamaropa yevaMbire. Das motiorhythmische Pattern umfasst hier zwölf
Pulse, seine Relation zur Akkordfolge ist vergleichbar mit der von Mukweshas kushaura II von
Nyamaropa. Der kutsinhira mit seinem [161] ‚3er’-Pattern führt in der Kombination der Parts zu einer
Reihe von Tonwiederholungen auch im tiefen Register. [162]
Blatt 5[163]
Nyamaropa (pa)Chipembere
Chipembere ist das chiShona-Wort für das schwarze Nashorn. Daher wird diese Nyamaropa-Fassung meist mit der Jagd assoziiert. Obwohl der Bezug zu Nyamaropa Konsens ist, sprechen manche
Musiker nur kurz von Chipembere. Um die übliche, auf Stufe I der Standardsequenz beruhende
Fassung von ihren ‚Transpositionen’ zu unterscheiden, wird sie als chikuru qualifiziert (s. o. Kapitel 2).
Gegenüber der Standardform von Nyamaropa macht man hier weniger von den tiefen Lamellen
Gebrauch (Speziell wird auf B1 verzichtet.), charakteristisch sind weiterhin zweifache Tonwiederho-
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
lungen auf C und D, die alternierend von linker und rechter Hand gespielt werden (bei Mhlanga deswegen nur mit der rechten, weil auf seinem Instrument die Lamelle L7 nicht vorhanden ist), und
meist eine Variante des ‚6er’-Patterns, die keinen Puls freilässt. Wo dies doch geschieht (Mhlanga),
entspricht die Relation des Patterns zur Akkordsequenz der bei Mukweshas kushaura II von
Nyamaropa. Dabei spielt die linke Hand hier dichter als in der Grundform von Nyamaropa. Der
kutsinhira von Mujuru nimmt im zweiten Formteil bereits auf dem dritten Beat den folgenden A-Akkord vorweg, so dass hier ein Sekundzusammenklang mit dem kushaura zustande kommt. Im dritten
Formteil von Mujurus kushaura spielt die rechte Hand über den F-Akkord den akkordfremden Ton E,
der kutsinhira dehnt an dieser Stelle den vorhergehenden C-Akkord. Grundsätzlich tendieren die
Mittelakkorde zur Betonung von Terz und Quint. Dies gilt besonders für F an der Position 8.
Chipembere chidiki ist die ‚Transposition’ um eine Stufe nach oben. Statt einer Tonwiederholung
auf jetzt E im vierten Formteil, die durch die rechte Hand auf konsekutiven Pulsen ausgeführt werden
müsste, wird zur Wahrung des motionalen Patterns in der linken Hand auf die Quinte H ausgewichen.
[164]
Blatt 6[165]
Mahororo
In der Beilage zu Stella Chiweshes CD Kumusha4 wird der Titel als Name eines kleinen Flusses gedeutet. Dieses Stück gilt allgemein als ein von Nyamaropa abgeleitetes (so auch Tracey 1970 b:19
und Berliner 1981:77), man kann beide gleichzeitig spielen (Berliner ebd.:156). V. Mukwesha spielt es
gern als Fortführung und damit Variante von Nyamaropa. Der kushaura weist durchweg ein ‚LR’Pattern auf, sozusagen ein Markenzeichen des Stücks. Die linke Hand aller vorliegenden kushauraVersionen ist quasi identisch. Wie bereits oben kurz erwähnt, ist harmonisch gesehen der im zweiten
Formteil deutlich früher einsetzende und dadurch verlängerte A-Akkord charakteristisch. Mujurus
kutsinhira liefert ein Beispiel dafür, wie an einer bestimmten Position im Zyklus wahlweise der vorige
4 Piranha pir 42-2.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
oder folgende Akkord realisiert werden kann (dritter Formteil F – A). Die Mittelakkorde sind im
kushaura teilweise zeitlich gestaucht. Häufig wird dort die Quinte verwendet, so dass keine durchgehende Basslinie entsteht, welche erst der kutsinhira liefert. [166]
Blatt 7 [167]
Blatt 8 [168]
Karigamombe
Der Titel bezieht sich auf das Schlachten (kuriga: „cause to fall down“) eines Stücks Vieh
(mombe: „head of cattle“). Es gilt als Anfängerstück, S. Mujuru z. B. unterrichtet es bei einem neuen
Schüler als erstes. Im kushaura wird zwar auf die tiefe Oktave verzichtet, es ergibt sich aber dennoch
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
eine deutliche Realisierung der Akkordsequenz durch das ‚2er’-Pattern, das für Karigamombe typisch
ist. Rechte und linke Hand spielen hier – was ganz ungewöhnlich ist – permanent synchron, so dass
die Akkorde streng gegliedert realisiert werden. Wie sehr das ‚2er’-Pattern mit Karigamombe identifiziert wird, zeigt sich auch daran, dass Ch. Mhlanga Mujurus kushaura II mit seinem ‚LR’-Pattern
nicht als kushaura-Part gelten lassen wollte, sondern als kutsinhira betrachtete. Für diesen kommt
neben einem ‚LR’-Pattern (Mujurus kutsinhira I) auch ein ‚6er’-Pattern mit verschobener Beat-Relation vor (Mhlanga, Mujuru II, auch Mukwesha). In Mujurus kutsinhira II wird im zweiten Formteil der
E-Akkord durch ein F im Bass verschleiert, das wegen der dort dominierenden Quinte H wie dessen
Quint wirkt. [169]
Blatt 9 [170]
Blatt 10 [171]
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Masangano
Charakteristisch für dieses weniger bekannte Stück ist die Dehnung des ersten Akkords in jedem
Formteil, im kushaura I verbunden mit dem ‚3-1’-Pattern, das streckenweise auch in Nyamaropa
yevaMbire vorkommt. In den ersten drei Formteilen umfasst der erste Akkord zwei Patternlängen,
die beiden anderen Akkorde je eine, zum Ende der Periode hin verdichtet sich das ‚3-1’-Pattern im
kushaura I zum ‚6er’. Im kushaura II mit seinem durchgängigen ‚6er’-Pattern umfasst der erste Akkord dementsprechend eine Patternlänge, die beiden anderen teilen sich eine. Der kutsinhira kontrastiert dazu durch ein ‚LR’-Muster.
Marenje
Dies soll laut Auskunft von Mitgliedern der Mujuru-Familie ein Stück über Viehdiebstahl sein.
Wie Masangano ist es nicht weit verbreitet. Sein hervorstechendes Merkmal sind die zahlreichen
Tonwiederholungen (fünfmal auf C, einmal auf D) auf jeweils vier konsekutiven Pulsen. Die tiefe
Oktave bleibt hier in beiden Parts ausgespart, was recht ungewöhnlich ist. Manche Gewährsleute
schreiben diese Praxis einem Regionalstil zu: Die Musiker aus der betreffenden Gegend seien „zu
faul“, das tiefe Manual mitzubenutzen. Der kutsinhira ist hier weitgehend als ausgedünnte Variante
des kushaura anzusehen. Die Dauer der beiden letzten Akkorde eines Formteils wird stark durch die
Tonwiederholungen beeinflusst: Der letzte im Zyklus wird so z. B. extrem komprimiert. [172]
Blatt 11 [173]
Nach diesen beiden selteneren Stücken sollen noch zwei weitere vorgestellt werden, die ebenfalls auf der Stufe I der Standardsequenz basieren. Beide heben sich deutlich durch ihre ungewöhnliche Formzahl von anderen Stücken ab.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Hondo / Muhondo / Chinhembeza
Ephat und Fungai Mujuru zufolge lautet der ursprüngliche Name dieses Stücks mit der seltenen
Formzahl 72, das sich auf Krieg (hondo) bezieht, Chinhembeza. Dieser ist jedoch heute nicht mehr
allen Musikern geläufig. S. Mujuru sprach von Muhondo, um es von Hondo (= Bayawabaya, 32 Pulse)
abzugrenzen, Ch. Mhlanga unterscheidet zwischen Hondo (72) und Bayawabaya (32). Die Periode ist
in 4 x 18 = 72 Pulse unterteilt, auf jeden Akkord entfallen hier also idealtypisch sechs Pulse und tatsächlich wird die Akkordsequenz quasi ‚lehrbuchhaft’ mit gleichlangen Akkorddauern und deutlicher
Basslinie aus jeweils mehrfach gespielten Grundtönen realisiert. Der kutsinhira mit seinem ‚LR’Pattern bewegt sich, was die linke Hand betrifft, mehr in der mittleren Oktave als der kushaura, die
Linien der rechten Hand beider Parts verzahnen sich. Da der kutsinhira die Akkorde einen Puls später
realisiert, ergibt sich z. B. auf dem siebten Puls ein Sekundzusammenklang H – C. [174]
Blatt 12 [175]
Bayawabaya / Hondo
Dieses im Allgemeinen unter dem erstgenannten Titel bekannte Stück, der in etwa als „das große
Gemetzel“ zu übersetzen wäre (kubaya: „stab, slaughter“, u. a.) 5 und das S. Mujuru auch Hondo
nannte, sticht nicht nur durch die sonst nicht vorkommende Formzahl 32 hervor, sondern auch durch
das damit verbundene andere hosho-Pattern. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es sich bei
Bayawabaya um ein Stück für Gesang und Trommel handelt, das für die mbira adaptiert wurde. 6 Die
Akkordsequenz ist aber in vier gleichlangen Formteilen von je acht Pulsen deutlich realisiert. Unverständlich ist allerdings der Hinweis Berliners, in diesem Stück werde die siebte Stufe nicht verwendet
(Berliner 1981:84). Dies trifft weder für sein eigenes Beispiel, noch für die anderen hier vorgelegten
Fassungen zu.
Die längeren Pulsstriche markieren hier das spezielle hosho-Pattern (s. S. 142). [176]
5 Durch die Reduplikation eines Verbstammes (R) wird zum Ausdruck gebracht, dass die betreffende Aktivität räumlich oder
zeitlich besonders ausgedehnt stattfindet (Carter/Kahari 1979, Bd. 2:12 a). Die Konstruktion R-wa-R als solche wird nicht
erklärt, findet sich aber bei Hannan (1984) z. B. für das Verb kudira („gießen“): kudirawadira übersetzt er als „continuous
pouring“.
6 Vgl. Berliner 1981:82.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 13 [177]
Chakwi
Tracey übersetzt den Titel als „mixing together“ (1970 b:23), in der Beilage zu Stella Chiweshes
CD Kumusha wird er als „surface water in a vlei“ gedeutet. Es handelt sich wohl um das bekannteste
Stück, das in seiner üblichen Form auf der Transpositionsstufe II der Standardsequenz beruht (vgl.
Chakwi yeManyika weiter unten). Die Segmentierung schwankt hier zwischen Typ 2 mit F als Startakkord und Typ 3 ab Position 6 (H).7 Typisches Kennzeichen dieses Stücks ist ein kushaura mit dem
‚3er’-Pattern, obwohl auch ein ‚6er’ möglich ist, wie Mujurus kushaura II zeigt. Dort ist die linke Hand
gegenüber dem üblichen kushaura um einen Puls vorgezogen, ansonsten identisch. Bei einer Typ 2Segmentierung liegt der tiefste Ton der Basslinie jeweils am Anfang eines Formteils, bei Typ 3 am
Ende. In harmonischer Hinsicht ist eine Zweitonkonstante F – D in der linken Hand jeweils auf den
Pulsen 8 und 9 jedes Formteils charakteristisch, die zu einer unterschiedlichen Länge der Mittelakkorde führt: in Teil 1 kürzer, in Teil 3 länger als die ‚normalen’ vier Pulse. Dort klingt der E-Akkord nur
kurz durch die Quinte H an. In Mujurus kutsinhira ersetzt auf Puls 22 statt B1 ausnahmsweise das
tiefe E (B2) das fehlende D. Auf Puls 36 ist das A ein Durchgangston, der eine Basslinie H – A – G erzeugt. [178]
7 Gezählt entsprechend der Anordnung der Akkorde in der Grundform (II1).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 14 [179]
Taireva
Der Titel bezieht sich laut S. Mujuru auf eine Redensart bzw. kleine Geschichte, die darauf hinausläuft, dass eine Mutter darauf hingewiesen wird (kureva: „speak“), ihr Sohn benehme sich nicht
normal 8. Taireva ist ein sehr beliebtes Stück und wohl das bekannteste, das auf der Transpositionsstufe III der Standardsequenz beruht. Wie bei Chakwi ist auch hier ein motiorhythmisches Pattern
typisch für die Grundgestalt des kushaura, in diesem Fall das ‚3-1’-Pattern. Die tiefe Oktave wird
nicht verwendet, die Segmentierung wechselt zwischen Typ 2 und 3. Im kushaura nehmen die Akkorde gleich viel Raum ein (vier Pulse), nur bei Mhlanga ist der erste um einen Puls verlängert. In einigen Versionen sind Akkorde allerdings durch akkordfremde Töne überlagert, die die Progression
verschleiern. Dies gilt besonders für den ersten und vierten Formteil. In Mukweshas kushaura II
erscheint an der zweiten Position statt E, das nur noch in der rechten Hand und durch die Quinte H in
der linken präsent ist, ein F im Bass, so dass sich für die Mittelakkorde die Folge F – F – E – E ergibt. In
den kutsinhira-Parts nehmen die einzelnen Akkorde nicht immer den gleichen Raum ein, der erste
eines Formteils ist häufig auf Kosten der Mittelakkorde verlängert (Mhlanga, Tracey). Zudem finden
wir hier noch weitergehende Modifikationen der Progression. Im vierten Formteil tendiert der auch
im kushaura nicht durch den Grundton realisierte H-Akkord zu C, teilweise durch die Quinte G realisiert (Mukwesha I, Tracey, Mhlanga; bei letzterem gibt es noch ein F als Durchgangston einer Basslinie). Besonders bei Traceys kutsinhira wirkt diese Passage wie eine Verlängerung des G-Akkords, auf
den C E G statt H E G folgt. In Mujurus kutsinhira mit seinem stark repetitiven Charakter auf Grund
von 4-Puls-Gruppen, die von Fassung a bis c den Tonraum sukzessive nach unten erweitern, werden
nicht nur dieser H-Akkord durch Verlängerung des vorangehenden G, sondern auch der E- und AAkkord im 1. Formteil durch C überspielt. Dadurch entstehen teilweise Sekundzusammenklänge (H –
C, F – G) zwischen kushaura und kutsinhira. [180]
8 „Mwana wenyu kutakura tsotso, sedonghi ratakura huswa, amai.“
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Karimugomba
Zum Vergleich hier wieder ein weniger bekanntes Stück, das nur in einer Version von Ch.
Mhlanga vorgelegt wird. Der Titel ist „just a name“ (Mhlanga). Hervorstechendes Merkmal ist die
asymmetrische Teilung der Periode in ungleich lange Formteile von 13, 14, 10 und 11 Pulsen. Durch
die Dehnung des zweiten ist der dritte auf drei Beats zusammengedrängt. Die Akkordsequenz ist aber
klar erkennbar. Die Segmentierung entspricht dem Typ 3. [181]
Blatt 15 [182]
Blatt 16 [183]
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 17 [184]
Nhemamusasa
Der Titel wird meist als „behelfsmäßige Unterkunft“ z. B. auf einem Kriegszug, während der Jagd
oder als provisorische Behausung am Dorfrand bei schwerer, evtl. ansteckender Krankheit gedeutet
(nhema: „false statement, untruth“; musasa: „shelter, temporary camp“). Neben Nyamaropa ist dies
wohl das bekannteste und verbreitetste Stück im mbira-Repertoire und hat wie dieses entsprechend
viel Beachtung in der Literatur gefunden. Berliner entwickelt seine Untersuchung der Struktur der
mbira-Musik hauptsächlich an diesem Stück. Nhemamusasa beruht auf der Transpositionsstufe IV
der Standardsequenz, es dominiert eine Segmentierung nach Typ 1, bei Mujuru kommt auch Typ 2
vor. Die kushaura-Parts zeigen eine symmetrische Binnengliederung der Periode mit je vier Pulsen
pro Akkord, die Progression wird meist durch eine klare Basslinie aus Grundtönen verdeutlicht.
Typisch für den kushaura ist ein ‚LR’-Pattern (Mukwesha I, II, Mujuru I, Tracey I, Mhlanga I, Berliner I
– III). Die linke Hand ist hier bei Mhlanga, Mukwesha I, Tracey und Berliner I ganz oder überwiegend
gleich, bei Tracey und Mhlanga sogar die rechte Hand. Charakteristisch ist aber, dass bei diesem
Stück nicht nur ein oder maximal zwei – wie bei anderen –, sondern mehrere verschiedene motiorhythmische Patterns als kushaura gespielt werden, also auch:
•
•
‚6er’ (Mujurus kushaura II, III; auch als kutsinhira bei Mujuru I, II, Tracey I, Mhlanga, Garfias,
Berliner I - III)
‚4er’ (Mhlangas kushaura II, Mukwesha III; als kutsinhira in Tracey II)
Eine Überlagerung durch Konstanten prägt Mukweshas kutsinhira II (B1 auf Puls 12 jedes Formteils, davon dreimal als D-Substitution). In Mujurus kutsinhira I, der übrigens sehr eng an seine
kushaura-Version III angelehnt ist, gibt es eine temporäre Konstante auf F, die die Sequenz verschleiert, da F teilweise akkordfremd ist. In der mittleren Oktave finden wir das Gleiche bei Berliners
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Analyse ausgewählter Stücke
kutsinhira III. Einen vergleichbaren Effekt erzeugt in Mukweshas kutsinhira I eine sechs Pulse umfassende viertönige Figur in der linken Hand (F – F – F – A), die mehrfach wiederholt – einmal auf G verschoben – die gesamte Periode prägt. Auf dem vorletzten Puls in Mukweshas kushaura II führt die
Melodielinie in der mittleren Oktav über den C-Akkord den akkordfremden Ton A ein. Traceys
kutsinhira I dehnt den ersten Akkord jedes Formteils um einen [185] Puls. Mujurus kushauras I und II
zeigen, wie durch Veränderung des Parts einer Hand (hier der rechten) eine völlig andere Gestalt in
Form eines neuen motiorhythmischen Patterns gebildet werden kann.
Chakwi yeManyika
Diese Version von Chakwi ist wiederum ein Beispiel für weniger verbreitete Stücke. Der Titel bezieht sich auf die Leute, die den chiShona-Dialekt chiManyika sprechen und im Osten des Landes leben. Es liegt nur in einer Version der Mujuru-Familie vor. Die Segmentierung vom Typ 2 korrespondiert hier mit den höchsten Punkten von absteigenden Dreitonfiguren der rechten Hand. Das Stück
ist dennoch als Typ 1 angeordnet, um den Vergleich mit Nhema-musasa zu erleichtern. Die Akkorde
sind auch hier gleich lang, deren Relation zum ‚6er’-Pattern unterscheidet sich aber von derjenigen
der Nhemamusasa-Versionen mit diesem motiorhythmischen Pattern (Mujurus kushauras II und III).
Der kutsinhira-Part weist das für den kushaura von Chakwi typische ‚3er’-Pattern auf. Die Musiker
demonstrierten, dass in diesem Fall die teilweise umstrittene 9 Praxis der Kombination verschiedener
Stücke (vgl. oben Nyamaropa und Mahororo) möglich ist, indem sie zu dritt je einen kushaura von
Chakwi yeManyika und Nhemamusasa plus einen kutsinhira-Part spielten. [186]
Blatt 18 [187]
9 S. dazu Berliner 1981:157.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Blatt 19 [188]
Blatt 20 [189]
Analyse ausgewählter Stücke
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Blatt 21 [190]
Blatt 22 [191]
Analyse ausgewählter Stücke
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 23 [192]
Bukatiende
V. Mukwesha leitet den Titel von buka = „beast“ und kuenda = „to go“ ab (tiende ist der Subjunktiv in der 1. Person Plural). Die Variante „Mukatiende“ (Berliner 1981:72) ist mir nicht begegnet.
Dieses und das anschließend besprochene Dande sind weit verbreitet und die bekanntesten Stücke,
die auf der Transpositionsstufe VI der Standardsequenz beruhen. Neben diesem harmonischen
Merkmal ist ein bestimmtes motiorhythmisches Pattern, und zwar das ‚12er’, typisch für den
kushaura von Bukatiende in seiner Grundgestalt (Mhlanga I, Mujuru IV; Variante bei Mukwesha I). Es
korrespondiert mit der Segmentierung vom Typ 2. Ebenfalls gängig ist ein kushaura auf der Basis des
‚4er’-Patterns (Mukwesha II, Mujuru III), von Mukwesha gibt es ferner eine Version mit ‚LR’-Pattern,
die auch als kutsinhira dienen kann. Mujurus kushauras I und II sind spezielle Versionen seiner Familie, die in motiorhythmischer Hinsicht Varianten der Standardfassung bringen, kushaura II hat zudem
eine Segmentierung vom Typ 3 und zeigt eine Verschiebung der Pattern-Akkord-Relation. Der AAkkord des letzten Formteils wird in der synoptischen Darstellung wegen der Typ 2-Anordnung aufgesplittet, er ragt harmonisch in den Bereich hinein, der bei den üblichen Versionen bereits vom CAkkord eingenommen wird (erster Puls der Periode). In Mhlangas kutsinhira ist B1 durch eine Konstante auf dem zweiten und achten Puls jedes Formteils sehr dominant, in den beiden letzten dient
B1 als D-Substitution, im ersten wird der C-Akkord so gedehnt, dass E ausfällt. Dieser Akkord wird
auch in den kushaura-Versionen von Mukwesha und in Mujurus kushaura IV überspielt, in Mujurus
kutsinhiras wird er dagegen hervorgehoben. Dort gibt es eine B1-Konstante auf Puls 12 in kutsinhira
II, kutsinhira I führt einige akkordfremde Töne ein (H im ersten Formteil über A; Durchgangston G in
der Basslinie im vierten Formteil). [193]
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Blatt 24 [194]
Blatt 25 [195]
Analyse ausgewählter Stücke
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Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 26 [196]
Dande
Der Name dieses wie Bukatiende auf der Transpositionsstufe VI der Standardsequenz basierenden und gleichfalls sehr beliebten Stücks bezieht sich auf eine Region im Norden Zimbabwes. Der
Startpunkt des Zyklus ist zwar bei allen per Tabulatur an Ort und Stelle dokumentierten Versionen
gleich und unterscheidet sich durch seine Typ 3-Segmentierung von Bukatiende. Die Binnengliederung der Periode hinsichtlich der Akkordverteilung erweist sich hier allerdings im Versionenvergleich
als recht variabel. Während Mujurus kushaura I ebenso wie Mhlangas Version eine symmetrische
Teilung in vier gleichlange Formteile aufweist, wird das Bild komplizierter, wenn man die anderen mit
einbezieht. Bei Mukwesha und in Mujurus kushaura II ist der C-Akkord im zweiten Formteil bis auf
den neunten Beat ausgedehnt, wo sonst bereits der folgende E-Akkord einsetzt, und dieser verschiebt wiederum die folgenden Akkorde, so dass erst die letzten neun Pulse harmonisch wieder in
allen Versionen übereinstimmen. Auf dem 13. Beat findet man entweder F (Mhlanga, Mujuru I), G
(Mukwesha) oder C (Mujuru II, Tracey) im Bass. Gerade das C lässt sich auf Grund seiner harmonischen Ambiguität an dieser Position entweder als Grundton des vorangehenden oder als Quinte des
folgenden Akkords auffassen. Letzteres gilt für Traceys Version, wie ein Blick auf seinen kutsinhira an
dieser Stelle zeigt, während bei Mujuru der C-Akkord als auf diesen einen Puls komprimiert erscheint.
Dabei ist diese Passage, d. h. die letzten elf Pulse der Periode, bei beiden Versionen gleich, jedoch im
Kontext unterschiedlich zu deuten und zu hören! Was diese Stelle betrifft, korrespondiert Mujurus
kutsinhira (a) mit Traceys kushaura/ kutsinhira und passt damit auch, was den neunten Beat betrifft,
zu Mujurus kushaura I. Dagegen klingt hier im kutsinhira (b) wie bei Mukweshas kushaura noch ein C
im Bass. Mujurus kutsinhira (b) und (c) bestärken die Verschiebung des C-Akkords auf den 13. Beat
und korrespondieren dadurch mit Mujurus kushaura II. Bei solch einer Konstellation kommt es besonders darauf an, dass die beteiligten Musiker gut aufeinander eingespielt sind und den Wechsel in
einem Part durch die entsprechende Anpassung ihres eigenen nachvollziehen. In Mujurus kutsinhira
(c) gibt es außerdem noch eine B1-Konstante im Abstand von zwölf Pulsen. In Mujurus kushaura II
und Mukweshas kutsinhira setzt der H-Akkord im ersten Formteil bereits einen Puls früher ein als bei
den anderen Versionen, bei Mukwesha ergibt sich dadurch ein Sekundzusammenklang A – H [197]
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Analyse ausgewählter Stücke
zwischen den beiden Parts, bei denen die Linien der rechten Hand übrigens nicht verzahnt sind. In
Mukweshas kushaura ist der H-Akkord einen Puls länger ausgedehnt als bei den Mujuru-Fassungen,
wo auf dem zehnten Puls bereits der folgende D-Akkord beginnt. Mujurus kutsinhira (b) weist auf
dem fünften Beat im Bass einen Durchgangston G auf. Insgesamt ist ein ‚6er’-Pattern typisch für
Dande, als kutsinhira kommen auch das ‚LR’- (Mukwesha) und das ‚3er’-Pattern (Mujuru (a), Tracey)
vor. Speziell der erste F-Akkord im Zyklus ist anders als bei Bukatiende deutlich länger als die anderen
Akkorde. [198]
Blatt 27 [199]
Blatt 28 [200]
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Analyse ausgewählter Stücke
Bangiza / Dande guru
Bei Bangiza 10 dürfte es sich um das beliebteste Stück handeln, das auf der Transpositionsstufe
VII der Standardsequenz beruht. Die Segmentierung entspricht außer bei Mhlanga dem Typ 1, wobei
der Startpunkt durchweg so gewählt ist (Position 4), dass der Zyklus mit den zwei Formteilen beginnt,
bei denen die linke Hand in zwei Versionen identisch ist (Mukweshas kushaura I, Mujurus kushaura/kutsinhira). Dieses Phänomen wird uns unter dem Stichwort ‚Konvergenz’ weiter unten bei einigen Stücken nochmals begegnen, deren harmonische Progression sich dementsprechend von der
Standardsequenz unterscheidet. Bei Bangiza betrifft dies jedoch nicht alle Versionen, der Bezug zur
Standardsequenz bleibt klar erkennbar. Bei Mukweshas kushaura I überlagert im ersten Formteil das
vorangehende H den D-Akkord; in Mujurus kushaura/kutsinhira findet sich an dieser Stelle ein akkordfremdes G im Bass, das Teil einer temporären G-Konstante auf Beat 2 und 4 der ersten drei
Formteile ist. Insgesamt tendiert der erste Akkord eines Formteils zur Verlängerung auf Kosten des
folgenden Mittelakkords, wegen der harmonischen Ambiguität der verwendeten Töne gibt es jedoch
meist keine eindeutige Grenze. Motiorhythmisch vorherrschend sind verschiedene Ausprägungen
des ‚6er’-Patterns, es kommen aber auch ‚LR’ (Mujurus kushauras I und II) und ‚4er’ (Mukweshas
kushaura/kutsinhira, Mhlangas kushaura) vor. Diese Vielfalt ist ein Hinweis auf die wichtige Rolle, die
Bangiza im mbira-Repertoire spielt. Ein ‚4er’-Pattern findet sich auch in S. Mujurus kushaura von
Dande guru. Fu. Mujuru bezeichnete diese Fassung als „Bangiza“. Eine strukturelle Verwandtschaft
mit dem eigentlichen Dande ist nicht ersichtlich, wohl aber die Übereinstimmung mit den ‚4er’-Versionen von Bangiza. Die Akkordgrenzen sind bei ihnen gegenüber denen mit ‚6er’-Pattern etwas verschoben. Auf C und D gibt es markante Tonwiederholungen, die jedoch nicht in allen Versionen und
nicht einmal immer an der gleichen Stelle vorkommen. Mukweshas Fassungen zeichnen sich durch
ein sonst ungewöhnliches Pausieren der rechten Hand auf Beat 6 bzw. 6 und 10 aus, wodurch eine
großräumige Basslinie der linken Hand hervorgehoben wird. In Mhlangas kutsinhira wird im ersten
Formteil der Mittelakkord D durch ein [201] vorgezogenes G überspielt, das so auch in den beiden
folgenden Formteilen wiederkehrt. Im letzten überlagert eine temporäre F-Konstante die drei
Akkorde, wobei F für alle Akkordton ist. Das akkordfremde G in der mittleren Oktave bildet dort eine
Linie A – G – F mit den benachbarten Tönen des kushaura. [202]
10 A. Tracey erwähnt ein Stück namens Bangidza raMutota (1989:45). Diese Bezeichnung wurde von meinen Informanten
nicht verwendet.
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Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 29 [203]
Blatt 30 [204]
Chaona
Auch hier soll als Kontrast wieder ein weniger bekanntes Stück mit der gleichen harmonischen
Progression hinzugezogen werden. Es ist laut S. Mujuru nach einem Ahnen benannt. Wie bei
Mhlangas Bangiza-Fassung entspricht die Segmentierung hier dem Typ 3. Das für Chaona charakteristische motiorhythmische Pattern im kushaura ist eine teilweise ausgedünnte ‚6er’-Variante, im
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Analyse ausgewählter Stücke
kutsinhira umfasst es zwölf Pulse. Der kushaura verzichtet auf die tiefe Oktave wie Mujurus kushaura
I von Bangiza, neben dem unterschiedlichen motiorhythmischen Pattern wird anders als dort der EAkkord nach H bzw. C bereits einen Puls früher durch die Terz G eingeführt. Im kutsinhira ist die linke
Hand in den beiden letzten Formteilen identisch, ein Anklang an Bangiza, jedoch hier an einer anderen Stelle der Progression. [205]
Blatt 31 [206]
Stücke, die auf anderen Progressionen basieren
Während sich der überwiegende Teil des mbira-Repertoires harmonisch mit der Standardakkordsequenz und ihren ‚Transpositionen’ erklären lässt, gibt es doch eine ganze Reihe von Stücken
(ca. ein Drittel der hier vorgestellten), bei denen dies nicht ohne weiteres möglich ist. Innerhalb dieser Gruppe sind verschiedene Phänomene, die uns in einzelnen Versionen teilweise oben schon
begegnet sind, dafür verantwortlich, dass sich ihre harmonische Progression von der Standardsequenz unterscheidet. Die Grenze wurde da gezogen, wo zu einem Stück keine einzige Version vorliegt, die eine nicht modifizierte Standardsequenz aufweist. Wir wollen diese Kategorie von Stücken
an Hand konkreter Beispiele im Einzelnen betrachten. Dabei wird auch die Relation der jeweiligen
Progression zur Standardsequenz diskutiert, wobei eine direkte Ableitung von einer bestimmten
Transpositionsstufe manchmal nicht eindeutig möglich ist, wenn durch Ausfall oder Verschleierung
eines Akkordes evtl. mehrere Ausgangssequenzen in Betracht kommen. Hier aber zuerst ein Überblick über die anzutreffenden harmonischen Phänomene:
Rückung
Während in der Standardprogression bezüglich der Akkordgrundtöne ausschließlich Terz- oder
Quartfortschreitungen vorkommen, enthält die Sequenz von Shumba, einem sehr populären Stück,
einen Sekundschritt D – E. Klaus-Peter Brenner (1997) analysiert solche Progressionen als „Derivate“
der Standardsequenz, deren erster und letzter Akkord um eine Stufe nach oben gerückt sind. Demnach würde es sich bei Shumba um eine modifizierte Standardprogression der Transpositionsstufe I
handeln:
DEG CEA CFA DFH
abgeleitet von
CEG CEA CFA DFA
Eine andere mögliche, dazu komplementäre Ableitung beruht auch auf der Annahme, die Standardsequenz sei an ihrem Anfang und Ende gewissermaßen [207] instabil und dort eher modifizierbar als an anderen Stellen, wobei die Frage offen bleibt, warum dies gerade hier der Fall ist. Erniedrigt man die beiden betreffenden Akkorde (Position 1 und 12) um eine Stufe, ergibt sich ebenfalls
die Shumba-Progression, wenn man von der Transpositionsstufe VI der Standardsequenz ausgeht.
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Analyse ausgewählter Stücke
Das Resultat ist in beiden Fällen das gleiche, nur die Anordnung, d. h. der Startpunkt, unterscheidet
sich:
GCE ACF ADF HDE
abgeleitet von
ACE ACF ADF HDF
Spielt man dies für alle Transpositionsstufen durch, zeigt sich folgende Relation zwischen Sequenzen
mit an den Positionen 1 und 12 erhöhten bzw. erniedrigten Akkorden:
Erhöhung der Positionen 1 und 12 auf
Stufe
I
entspricht
deren Erniedrigung
auf Stufe
VI
II
VII
III
I
IV
II
V
III
VI
IV
VII
V
Hier wird wieder die Zahlenhaftigkeit (Brenner) des Materials deutlich. Berliner erwähnt, dass
nach Auskunft seiner Informanten das Stück Chipindura mit Nyamaropa verwandt sei (1981:77). Es
beruht auf der Progression
H E G C E A C F A D F G,
[208]
die durch Erniedrigung der fraglichen Akkorde aus der Transpositionsstufe I der Standardsequenz, auf
der ja auch Nyamaropa basiert, gewonnen werden kann, was eher für das Konzept einer Ableitung
per Erniedrigung statt Erhöhung spricht.
Da man strukturell gesehen offenbar auf verschiedenen Wegen zum vorgefundenen Resultat
gelangen kann, wollen wir untersuchen, ob vielleicht die von den Musikern vorgenommene Segmentierung der Progression in den drei vorliegenden kushaura-Fassungen hier weiterhelfen kann und
Hinweise zur Konzeptualisierung der Progression liefert. Dabei stellt sich heraus, dass sich die Segmentierung hinsichtlich der Formteile deckt und sich nur in deren Reihenfolge unterscheidet. Bei
entsprechender Anordnung dieser Formteile zeigt sich, dass eine Rückung der Akkordfolge nach der
Hälfte des Zyklus zugrunde liegt: Die zweite Hälfte wird gebildet, indem die beiden ersten Sequenzsegmente um eine Stufe verschoben werden. 11
FAD FHD EGC EAC
Bezogen auf den ersten Akkord einer Hälfte ergibt sich allgemein ausgedrückt in beiden Fällen
die Akkordfolge 1 3 6 1 4 6. Ob man hier eine Rückung nach oben oder unten annehmen möchte, ist
strukturell letztlich willkürlich. Welcher Akkordgrundton als tonales Zentrum gehört wird oder werden kann, bleibt offen. Die Wichtigkeit des Tons E für dieses Stück, die durch die oben gezeigte Segmentierung der Musiker unterstrichen wird, findet übrigens ihre indirekte Bestätigung in einem
11 Vgl. auch Brenners Diskussion der inneren Symmetrien der von ihm als „Derivate“ bezeichneten Sonderformen (1997:81
ff.).
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Analyse ausgewählter Stücke
Hinweis Berliners, der berichtet, einer seiner Informanten habe die Lamelle B2 (= E in meiner Notation) als „shumba“ bezeichnet (1981:58). Er interpretiert diese Auskunft allerdings nur als Anspielung
auf die mhondoro-Löwengeister. Leider analysiert er das Stück Shumba nicht, obwohl er es als eines
der wichtigsten und vermutlich ältesten im mbira-Repertoire ansieht (ebd.:74). Die Annahme erscheint nahe liegend, dass gerade die Lamelle B2 bei dem betreffenden Musiker diesen symbolischen
Namen trägt, weil sie auch in dem gleichnamigen Stück eine prominente Rolle in der Realisierung der
spezi[209]fischen Akkordfolge spielt. Die innere Logik der Sequenz besteht aus der Sicht der Musiker
also offenbar in der Rückung einer Sequenz von sechs Akkorden mit dem internen Verhältnis 1 3 6
1 4 6 um eine Stufe. Die strukturelle Nähe zur Standardsequenz wird dadurch nicht in Frage gestellt.
Elision und Augmentation
Das Phänomen des Ausfalls eines Akkordes (Elision), dessen Platz dann von einem anderen durch
Augmentation eingenommen wird, ist bereits bei einigen Versionen oben diskutierter Stücke zur
Sprache gekommen. Es prägt dort vor allem manche kutsinhira-Parts, wo man sich diese ‚Freiheit’ im
Umgang mit der Standardsequenz leisten kann, da der zugehörige kushaura die Akkorde verdeutlicht.
Hier geht es nun um Stücke, bei denen einer oder mehrere Akkorde komplett entfallen, z. B. Kuzanga
und Mutamba. Je nachdem welchen Akkord man jeweils für weggefallen hält, ergeben sich verschiedene Möglichkeiten, die vorgefundene Progression mit einer Erscheinungsform der Standardsequenz
in Zusammenhang zu bringen. Auch hier sind wieder Auskünfte der Musiker hilfreich, um die diesbezügliche intrakulturelle Auffassung zu ermitteln. So betonte V. Mukwesha, Kuzanga sei mit Nhemamusasa verwandt, so dass man ersteres auf die Transpositionsstufe IV der Standardsequenz beziehen
kann.
Konvergenz
Ein Spezialfall der Elision besteht darin, dass sie zur Konvergenz zweier Formteile führt. Auf die
linke Hand beschränkt ist uns dieses Phänomen bereits bei zwei Versionen von Bangiza und im
kushaura von Nyamaropa yevaMbire begegnet. Es kann aber auch eine vollständige Identität zweier
Formteile vorliegen, die dann dem Startpunkt der Musiker entsprechend immer die ersten beiden im
Zyklus sind: z. B. Mukweshas Chipindura und Nyamamusango von Mukwesha und bei Berliner. [210]
Durchgangsakkorde, frei einsetzende Akkorde
Einige Stücke besitzen sehr eigentümliche Progressionen, die zwar einzelne Elemente, wie z. B.
eine Folge von drei Akkorden, mit der Standardsequenz gemeinsam haben, jedoch durch Einfügen
von Durchgangsakkorden – A. Tracey spricht von „intercalary ’passing chords’“ (1970 a:39) – oder
freies Einsetzen von Akkorden, die an die Stelle möglicher Standardakkorde treten, eine Zuordnung
zu einer bestimmten Erscheinungsform der Standardsequenz nicht mit Sicherheit erlauben. Gleichzeitig sind diese Stücke durch überlagernde temporäre Konstanten geprägt. Da es sich um eher selten gespielte bzw. solche handelt, von denen kaum Varianten bekannt sind, ist auch über einen
Versionenvergleich keine weitere Klärung der harmonischen Struktur an den Punkten möglich, die
auf Grund harmonischer Ambiguität von Tönen nicht eindeutig zu interpretieren sind. Zu dieser Kategorie gehören Mujurus Chigamba und Mhlangas Chigamba/Muzoriwa sowie Shumba yaMukwashi.
Wir wollen nun diese harmonischen Sonderfälle im Einzelnen betrachten. [211]
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Shumba
Der Titel („lion“) kann sich sowohl auf die bereits erwähnten mhondoro-Löwengeister als auch
auf den Löwen bzw. Leoparden als Totemtier beziehen (vgl. Hodza/Fortune 1979). Die harmonische
Progression dieses Stücks beruht wie oben erläutert auf der Sekundrückung eines Periodensegments
von sechs Akkorden, d. h. zwei Formteilen, mit der Folge 1 3 6 1 4 6. Der erste Akkord in jedem
Formteil ist jeweils länger als die anderen, die Progression wird durch eine vorwiegend aus Grundtönen gebildete Basslinie klar ersichtlich. Im zweiten Formteil legt die linke Hand über die beiden Akkorde H und D eine für Shumba charakteristische Linie H – H – A – F, die in allen Versionen vorkommt, die Oktavlagen der Töne sind allerdings variabel. Bei Mukwesha wird diese Linie durch Pausieren der rechten Hand (vgl. oben ihre Bangiza-Fassung) noch hervorgehoben. In ihrem kushaura
fällt der G-Akkord im dritten Formteil durch Verlängerung des vorangehenden E aus. Shumba gehört
zu den Stücken ohne eigenständigen kutsinhira. In der betreffenden Version von Mujuru sieht man,
wie das Echoverzahnungsverfahren in der Praxis allerdings keineswegs den kushaura bloß mechanisch kopiert, sondern ihn dabei auch variiert. Mukweshas kutsinhira führt in erster Linie zu einer
Verdichtung mittels des Ausfüllens von Leerpulsen durch die rechte Hand. In beiden kutsinhiras
kommt im ersten Formteil einmal B1 als D-Substitution zum Einsatz. [212]
Blatt 32 [213]
Nyamamusango
Der Titel bedeutet „meat in the bush“ (V. Mukwesha), von nyama: „meat, flesh“ und sango:
„woodland“. Die harmonische Progression dieses Stücks verweist einerseits auf die Transpositionsstufe V der Standardsequenz mit einer Segmentierung vom Typ 1, andererseits sind in zwei Versionen (Mukwesha und Berliner) die beiden ersten Formteile durch Ausfall des jeweils dritten Akkords
identisch (Konvergenz), und bei allen finden sich eingeschobene Durchgangsakkorde in den letzten
beiden Formteilen – im vierten an so prominenter Stelle, nämlich am Anfang des Formteils ein F, dass
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
die Standardsequenz stark modifiziert erscheint. Vielleicht sieht Berliner deshalb bei Nyamamusango
ein tonales Zentrum F (nach meiner Notation), das er nicht näher begründet (1981:81). In den beiden
ersten Teilen ist die Standardsequenz nur in Mhlangas Version zu erkennen, wobei auch hier ein A als
akkordfremder Ton auf Puls 10 des zweiten Formteils zur Verschleierung beiträgt. Im dritten Formteil
ist zwischen den G- und den C-Akkord ein weiterer eingefügt, der bei Mukwesha und Berliner als A
(mit Quinte E bei Berliner), bei Mhlanga eher als E mit Quinte H interpretierbar ist. Bei Berliner wird
der A-Akkord im vierten Formteil auf Puls 4 durch ein akkordfremdes H verschleiert, das wie eine
Quinte zum folgenden E wirkt. In Mukweshas Fassung sind nicht nur die beiden ersten Segmente
identisch, auch die beiden letzten unterscheiden sich ausschließlich durch die beiden ersten Pulse in
der linken Hand. Ein kutsinhira wird bei Nyamamusango nach dem Echoverzahnungsprinzip gebildet.
Blatt 33 a
Nyonganyonga
Der Titel bedeutet so viel wie „Durcheinander“ („disorderliness, commotion“, u. a.), das Stück ist
laut S. Mujuru „a mixture of songs“ und bezieht sich auf sog. madzangaradzimu-Geister, d. h. Schatten, von denen man die dazugehörigen Körper nicht sehen kann. Hier ist nicht nyunganyunga als die
Bezeichnung für einen anderen Lamellophontyp in Zimbabwe (vgl. dazu Kauffman 1970 und Maraire
1990) gemeint. Der Hinweis darauf, hier läge eine Mischung verschiedener Stücke vor, spiegelt sich in
der Form sowie in der harmonischen Progression von Nyonganyonga: Statt vier wie üblich gibt es
hier fünf Formteile à zwölf Pulse, also eine Formzahl von 60. Segmentierung und Startpunkt passen
zu dem oben dargestellten Modell der Sekundrückung einer 1 3 6 1 4 6 - Sequenz, in diesem Fall
nach oben. Zusätzlich ist hier nun ein weiterer Formteil angehängt, der im Zusammenhang mit den
beiden vorhergehenden und dem folgenden (d. h. dem ersten in der vorliegenden Anordnung) wie
eine modifizierte Standardsequenz der fünften oder siebten Transpositionsstufe mit eingeschobenem D und an den Positionen 1 und 12 erniedrigten (= V) bzw. erhöhten (= VII) Standardakkorden
erscheint. Im kushaura gibt es auch motiorhythmisch eine Mischung, und zwar aus ‚2er’- und ‚6er’Pattern. Der kutsinhira doppelt teilweise den kushaura, füllt aber auch einige Leerstellen, zum Teil als
Echo. Durch divergierende Akkorddauern ergeben sich an einigen Stellen Sekundzusammenklänge
zwischen den beiden Parts: F – G im zweiten Formteil, H – C im dritten.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
Blatt 33 b [216]
Mutamba
Der Titel ist das chiShona-Wort für einen Früchte tragenden Baum aus der Gruppe der Loganiengewächse (bot. Strychnos). A. Tracey übersetzt ihn als „orange tree“ und schreibt dem Stück ein
hohes Alter zu (1989:45). Seine harmonische Progression ist im Vergleich mit der Standardsequenz
dadurch gekennzeichnet, dass im dritten Formteil ein Akkord ausgefallen ist, wodurch verschiedene
Interpretationen möglich werden. Entsprechend dem Rückungsmodell könnte man hier ein H
erwarten, so dass sich folgende Progression ergäbe, bei der nach der Hälfte der Periode die
Sekundrückung einer 1 3 6 1 4 6 - Sequenz erfolgt:
C E A C F A (H) D G H E G
Die Anfangsakkorde jedes Formteils sind deutlich verlängert, wobei die Grenze zwischen zweitem und drittem im kushaura durch die Quinte E des vorangehenden A-Akkords um einen Puls nach
hinten geschoben ist. Auf dem ersten Puls spielt dort der kutsinhira, der weitgehend als Echoverzahnung konzipiert ist, B1 als D-Substitution. Alternativ könnte man hier auch eine weitere Prolongation
des A-Akkords annehmen und das tiefe C als dessen Terz betrachten. Abgesehen von dieser ambivalenten Stelle werden die Akkorde durch eine Basslinie aus Grundtönen verdeutlicht. Auf Grund der
Echoverzahnung ergibt sich im vierten Formteil ein Sekundzusammenklang D – E auf dem zweiten
Beat. Als alternatives Erklärungsmodell könnte man die Progression auch als Ableitung von der Transpositionsstufe I der Standardsequenz mit einer Segmentierung vom Typ 1 auffassen, bei der die Positionen 1 und 12 (entsprechend der idealtypischen Anordnung gezählt) erniedrigt sind und die Position 11 ausgefallen ist (hier dargestellt mit Beginn ab Position 4):
C E A C F A D (F) G H E G
abgeleitet von I
4
CEA CFA DFA CEG
Blatt 34 a
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Analyse ausgewählter Stücke
Taireva Gorekore
Dies ist die nach den chiKorekore-Sprechern, einem Dialekt des chiShona, benannte Version von
Taireva, dessen typisches ‚3-1’-Pattern uns hier wieder begegnet. Auch der Verzicht auf die tiefe
Oktave ist beiden gemeinsam. Auffällig an der harmonischen Progression ist die Tatsache, dass erster
und dritter sowie zweiter und vierter Formteil jeweils übereinstimmen, allerdings um eine Stufe
versetzt. Es liegt also nahe, hier wieder das Rückungsmodell anzuwenden. Am Ende der Teile 2 und 4
ist offensichtlich ein Akkord eingeschoben, so dass sich folgendes Bild ergibt:
H D G H E G (C) A C F A D F (H)
Dabei ist der letzte Akkord (H) nicht durch seinen Grundton realisiert, was die Sequenz ebenso
verschleiert wie überhaupt das beständige Rekurrieren auf C und D auf dem dritten und vierten Beat
der Formteile, so dass sich für die Formteile 2 und 3 bzw. 4 und 1 gleiche Schlusstöne jeweils auf Beat
4 ergeben. Im Unterschied zu Taireva (Stufe III der Standardsequenz) steckt hinter Taireva Gorekore
deren durch Erniedrigung der Positionen 1 und 12 modifizierte Stufe II6.
Blatt 34 b [219]
Kuzanga
Im chiZezuru gibt es ein gleich lautendes Verb mit der Bedeutung „act in relaxed manner
because supervision or danger is suspended; live happily and free from fear“. Dieses Stück ist laut V.
Mukwesha ein „farewell song“ und auch unter dem Titel „Baradzanwa“, was soviel wie „Trennung“
bedeutet, bekannt. In erster Linie hebt es sich durch seine ungewöhnliche Formzahl vom sonstigen
Repertoire ab: Die Formteile sind um je einen Beat, also drei Pulse, kürzer, was eine Periodenlänge
von 4 x 9 = 36 Pulsen ergibt. Das Stück wird dennoch recht gern gespielt, laut V. Mukwesha ist es mit
Nhemamusasa verwandt. Diese Information erweist sich bei der Interpretation der harmonischen
Progression als hilfreich. Die – nach der bei allen Musikern gleichen Segmentierung – letzten vier
Akkorde sind nämlich äußerst ungewöhnlich, da sie aus der Folge C – C – A – C bestehen. Legt man
wie bei Nhemamusasa eine Standardsequenz der Transpositionsstufe IV zugrunde, die hier jedoch
modifiziert ist, bietet sich folgende Interpretation an:
FAD FHD GHC CAC
4
abgeleitet von IV
FAD FHD GHD FAC
Dahinter verbirgt sich offenbar die Erniedrigung der Position 12 der Standardsequenz, die Position 1 (F) ist ausgefallen und durch den vorigen (C) ersetzt (Elision und Augmentation). Bei diesem
Stück stützt die vorgefundene Segmentierung, anders als etwa bei Shumba, nicht die Halbierung in
zwei 1 3 6 1 4 6 - Abschnitte. Im Versionenvergleich zeigen sich kaum Unterschiede, das motiorhythmische Pattern lässt sich als – der Formzahl entsprechend – auf neun Pulse verlängerte ‚6er’Variante auffassen. Die Grundtöne der Akkorde bilden eine deutliche Basslinie. Einen eigenständigen
kutsinhira-Part gibt es bei Kuzanga nicht. Mujurus kutsinhira deckt sich mit Mhlangas kushaura II, d.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
h. man kann die üblichen Abwärtssprünge in der linken Hand umkehren, was aber eher eine
kushaura-Variante ergibt. Typischerweise folgt der kutsinhira-Part hier dem Echoverzahnungsprinzip.
Ein transkribiertes Beispiel, aus dem sich auch das Ausmaß der üblichen Variation der Vorgabe ablesen lässt, findet sich in Mhlangas kutsinhira. [220]
Blatt 35 [221]
Blatt 36 [222]
Chipindura
Laut Ch. Mhlanga wird es mit „change“ assoziiert, z. B. was die Änderung des Wetters oder den
Stimmungswechsel von Personen betrifft. Das chiShona-Verb kupindura, von dem sich der Titel herleitet, bedeutet neben „wechseln“ auch „antworten“. Im letzteren Sinn wird er in der Beilage zu
Stella Chiweshes CD Ndizvozvo Ambuya? 12 gedeutet. Wie bereits erwähnt, soll es von Nyamaropa
12 Piranha pir 7.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
abgeleitet sein, so dass man eine modifizierte Standardsequenz der Transpositionsstufe I erwarten
darf. Auffallend ist, wie sehr sich diese Modifikationen je nach Version unterscheiden.
Mhlangas Fassung deutet auf eine Standardsequenz mit Erniedrigung der Positionen 1 und 12
hin, also
CEA CFA DFG HEG
abgeleitet von I4
C E A C F A D F A C E G,
wobei ab der zweiten Hälfte des dritten Formteils in der vorliegenden Anordnung die linke Hand
ausschließlich zwischen H und G wechselt und so eine eindeutige Interpretation erschwert.
Mukweshas Version ist geprägt durch eine B1-Konstante auf jedem zweiten Beat. Die Mittelakkorde fallen dadurch in den beiden ersten Formteilen aus, was zu deren Konvergenz führt. An den
Stellen, wo am Schluss bei Mhlanga H gespielt wird, steht hier das konstante C, so dass auch diese
Version harmonisch verschleiert ist.
In Mujurus Fassung gibt es keine symmetrische Binnengliederung der Periode hinsichtlich der
Verteilung der Akkorde auf vier Formteile. Durch ein C auf dem vierten Beat der ersten beiden Formteile setzt der vierte Akkord (C) bereits entsprechend früher ein, der A-Akkord im zweiten Teil ist
kaum erkennbar (Terz C). Statt der Oktaven G – G und H – H spielt die linke Hand dreimal G – H. Der
[223] E-Akkord im letzten Formteil wird teilweise durch den Grundton klar etabliert, kann aber auch
durch B1 verschleiert werden. Die Segmentierung ergibt hier keine Sekundrückung einer 1 3 6 1 4 6 Sequenz nach der Hälfte der Periode. [224]
Blatt 37 [225]
Shumba („old“)
Bei diesem Stück handelt es sich laut V. Mukwesha um ein „anderes“ als das übliche Shumba, es
ist das „alte Shumba“. Außer ihr war es keinem meiner Informanten bekannt. In Mukweshas Segmentierung (Bei diesem und den folgenden Stücken ist der Startpunkt der Musiker durch ein *
markiert.) beginnt es mit einer Passage, bei der die ersten sechs Pulse identisch wiederholt werden
(hier ab Puls 34). Sie erinnert stark an den Schluss von Mhlangas Chipindura. Bei entsprechender Anordnung beider Fassungen ergeben sich auch darüber hinaus weitere Parallelen in ihrer harmonischen Progression. Dies gilt auch für einige weitere Stücke, die noch vorgestellt werden sollen
(Mhlangas Shumba yaMukwashi, Mujurus Chigamba und Mhlangas Chigamba/Muzoriwa). Sie sind
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
daher diesmal ohne Rücksichtnahme auf die Segmentierung der Musiker synoptisch so angeordnet,
dass diese harmonischen Parallelen sichtbar werden.
Wie bei Chipindura liegt beim „alten“ Shumba ein ‚6er’-Pattern vor, jedoch, wie die Synopse
zeigt, mit anderer Relation zur Akkordfolge. Diese gewinnt dadurch ihren eigentümlichen Charakter,
dass in dem Teil der Periode, den bei Chipindura die Sequenz C E A C F A D F einnimmt, hier die
Progression scheinbar durch die Verdopplung von Akkorden geprägt ist:
CCAA CCFF AA
Auf diese Weise fallen einige Akkorde der Chipindura-Sequenz aus oder werden extrem komprimiert:
C (E) A C F
Erst die folgende Passage – also hier der dritte Formteil – bringt den A-Akkord sowie auf engstem Raum D (durch die Quint A) und F (durch dessen Terz A). Folgt man dieser Analyse, ergibt sich
der ungewöhnliche Fall, dass der Startpunkt nach Mukweshas Segmentierung (Puls 34 der hier
gewählten Anordnung) nicht mit dem Beginn des dort klingenden G-Akkords korrespondiert, der bereits zwei Pulse vorher in Form seiner Quinte D einsetzt. Die Erklärung dafür dürfte im motiorhythmischen Pattern liegen, das hier offensichtlich nicht in der Gestalt [226] x . x x x x aufgefasst
wird. Davon abgesehen entspricht die Segmentierung aber dem Modell einer Sekundrückung zweier
1 3 6 1 4 6 - Abschnitte:
G H E G C E A C F A D F,
wegen der synoptischen Übersicht hier jedoch als
CEA CFA DFG HEG
angeordnet. Diese Gliederung in Formteile wird von den angesprochenen Akkorddopplungen überlagert und verschleiert.
Shumba yaMukwashi
Diese Shumba-Fassung, das „Jäger-Shumba“ (mukwashi: „hunter“), ist eine Spezialität im Repertoire von Ch. Mhlanga, sie war meinen anderen Gewährsleuten nicht bekannt. Der Anfang der Periode gemäß Mhlangas Segmentierung (s. *) – übrigens identisch mit der von Mukweshas „altem“
Shumba – korrespondiert auffallend mit Fu. Mujurus Chipindura-Version, der Rest lässt sich wie bei
Chipindura als
CEA CFA DF
deuten. Anders als dort endet diese Folge hier auf einem tiefen E (elfter Beat entsprechend der vorliegenden Anordnung), vor allem aber unterscheiden sich die beiden Stücke hinsichtlich der Akkorddauern. Bei Shumba yaMukwashi sind die ersten drei (C E A) auf drei Beats zusammengedrängt, dafür
erstreckt sich allein der folgende C-Akkord über drei Beats, gefolgt von einer charakteristischen
Passage, die aus den jeweils auf einen Beat fallenden Tönen F – C – D – C gebildet wird, welche an
dieser Stelle auch in Chigamba vorkommt. Überlagert wird die harmonische Progression durch zwei
temporäre Konstanten auf jedem zweiten Beat: beginnend bei Mhlangas Startpunkt (hier Puls 34)
zuerst viermal H3, dann viermal C3. Motiorhythmisch betrachtet verdichtet sich die Periode von diesem Anfang zum Schluss hin soweit, dass schließlich alle Pulse [227] ausgefüllt werden. Charakteris-
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
tisch sind klanglich auch die teilweise mit der C-Konstante korrespondierenden Tonwiederholungen
auf C.
Chigamba
Der Titel bedeutet wörtlich „Flicken“ („patch“). In der Version von Mujuru korrespondiert der
Startpunkt, der aus Vergleichsgründen hier wieder nicht als Kriterium für die Periodenanordnung
benutzt wurde, wie bei Mhlangas Shumba yaMukwashi mit einem Punkt, wo zwischen den auch hier
vorhandenen temporären Konstanten H 13 und C gewechselt wird. Während Mhlanga vor dem ersten
H beginnt, fängt Mujuru vor dem ersten C an. Wie die Synopse zeigt, decken sich beide Stücke fast
vollständig.
Chigamba / Muzoriwa
Laut Ch. Mhlanga bezieht sich Chigamba auf das Sprichwort „Chigamba chinoda akura.”, das
besagt: „If you want to be a polygamist you should be old enough to handle it.” Muzoriwa, der alternative Titel, lässt sich von dem Verb kuzora („anoint“) + Passivextension (kuzor-iw-a) ableiten, also:
„der Gesalbte“. Diese Fassung von Chigamba zeigt Bezüge sowohl zu Mujurus Chigamba und damit
zu Shumba yaMukwashi als auch zu Mukweshas „altem“ Shumba. Mit ersteren hat es ein Segment
von 20 Pulsen gemeinsam, das sich vom vierten bis zum zehnten Beat (nach der vorliegenden Anordnung) erstreckt. In dieser Passage liegt offenbar ein Erkennungsmerkmal für Chigamba. Gleichzeitig
deckt sich eine andere (von Puls 40 bis Puls 12) mit dem „alten“ Shumba (von Puls 31 bis Puls 3).
[228]
Blatt 38 [229]
13 Auf dem entsprechend der vorliegenden Anordnung vorletzten Puls der Periode ist H durch die Terz D ersetzt.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
An diesen zuletzt vorgestellten Beispielen lässt sich ablesen, wie im Fall weniger verbreiteter
Stücke mit zudem ungewöhnlichen harmonischen Progressionen einerseits strukturell nahe verwandte Fassungen bei verschiedenen Musikern offenbar unter divergierenden Namen kursieren (z.
B. Mhlangas Shumba yaMukwashi und Mujurus Chigamba), nicht etwa als verschiedene Versionen
eines Stücks mit gleichem Titel (vgl. etwa die zahlreichen Nyamaropa-Fassungen). Andererseits
können unter einem Namen Ausprägungen eines Stücks geläufig sein, die sich zum Teil beträchtlich
voneinander unterscheiden, dabei aber eine – eventuell partielle – gemeinsame Basis durchaus erkennen lassen (z. B. Chipindura; Mujurus und Mhlangas Chigamba).
Innerhalb einer Musikerfamilie oder -gruppe sind immer konkrete Versionen mit einem Titel
verbunden. Welche Reaktionen andere, fremde – z. B. mit einem differierenden motiorhythmischen
Pattern oder anderen Besonderheiten – hervorrufen, wäre im Hinblick auf zwei Fragestellungen
weiter zu verfolgen:
1. Welche Differenzen werden als akzeptabel betrachtet? So hieß es beispielsweise von Mitgliedern
der Mujuru-Familie, als sie Mukweshas kushaura I von Nhemamusasa hörten, dies sei eine
„Zezuru“-Version, sie bevorzugten meist eine andere (Mujurus kushaura II), gewissermaßen eine
„Mbire“-Version von Nhemamusasa. Dabei spielen sie, wie ihr kushaura I zeigt, selber durchaus
auch eine Fassung, die der von Mukwesha sehr ähnlich ist. Ch. Mhlanga sagte über Mukweshas
kushaura I, dies sei gewissermaßen ein Chiweshe-Stil (vgl. seinen eigenen kushaura I). Lassen sich
differierende Versionen also nicht nur einzelnen Gruppen, sondern regional zuordnen? Auch die
Frage, welche Fassungen als kushaura oder kutsinhira in Betracht kommen, spielt hier eine Rolle,
da im Einzelfall darüber keineswegs Konsens herrscht.
2. Inwieweit werden fremde Fassungen identifiziert, d. h. als ein dem betreffenden Musiker in einer
anderen Version geläufiges Stück erkannt, a) wenn die Versionen bei gleichem Titel deutliche Unterschiede aufweisen, b) wenn sie unter verschiedenen Titeln bekannt sind? Damit verbunden ist
dann natürlich ein Urteil darüber, ob die betreffende Fassung auch eine akzeptable Realisierung
des jeweiligen Stücks darstellt. Wie etwa die verschiedenen [230] Nyamaropa-Versionen zeigen,
geht es dabei um eine Bandbreite von kleinen Unterschieden eventuell auf Variantenebene bis zu
deutlich hervortretenden strukturellen Differenzen.
Um hier zu verlässlichen Ergebnissen zu gelangen, bedarf es der Möglichkeit, die Reaktionen der
Gewährsleute auf fremde Stücke oder Versionen in einer Weise zu erfassen, welche die Relevanz
auch einzelner Parameter (z. B. Ersetzen von prominenten Tönen, Verschiebung auf benachbarte
Pulse, Modifikationen des Patterns, etc.) erkennbar werden lässt, also über die Evaluierung kompletter Versionen – wie sie bei der Materialsammlung für die vorliegende Arbeit in der Diskussion mit
Musikern zur Sprache kam – deutlich hinausgeht, die ja bereits mittels bloßen Vorspielens einer
fremden Fassung (live oder von einer Tonaufzeichnung) leicht zu bewerkstelligen ist. Denkbar wäre
eine Versuchsanordnung mit digital gespeicherten Originalklängen (Sampling), die interaktiv sowohl
von den Informanten wie vom Forscher hinsichtlich der verwendeten Töne und Patterns manipulierbar sein müssten.14 Die technologische Entwicklung ist hier mittlerweile soweit fortgeschritten, dass
die nötige Hard- und Software zur Verfügung steht, um – auch an Ort und Stelle – entsprechend arbeiten zu können. Vergleichbare Ansätze finden sich ja bereits bei Arom (1991 b), Peter Cooke
(1992), Kippen (1992), Wegner (1993) und Fernando-Marandola (2002). Dabei ist dem Einsatz von
Samplern wie bei Cooke und Wegner in jedem Fall der Vorzug gegenüber dem von Synthesizern wie
14 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Bemerkungen in Kapitel 2 bezüglich der weiter-gehenden Untersuchung der
Stimmung der Instrumente.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Analyse ausgewählter Stücke
bei Arom zu geben, da man so mit Instrumentalklängen aus der jeweiligen Kultur arbeiten kann, die
den Musikern also vertraut sind. Erste eigene Versuche mit digitalen Samples von mbira-Lamellen,
die über ein Sequencer-Programm gesteuert werden können, haben sich als überaus viel versprechend erwiesen. Eine solche primär kognitiv orientierte Untersuchung würde allerdings den Rahmen
der vorliegenden Studie bei weitem sprengen und muss einer zukünftigen vorbehalten bleiben.
Erstere stellt dabei die notwendige Voraussetzung für letztere dar, weil zunächst einmal zu klären ist,
was denn überhaupt an Hand der Reaktionen der Musiker näher untersucht werden soll. [231]
[231] Kapitel 7
Kulturspezifische und vergleichende Musikforschung:
Zum Verhältnis von Komposition und Improvisation
Die Begriffe ‚Komposition’ und ‚Improvisation’ sind bisher in dieser Studie mit Absicht nicht verwendet worden. Zuerst sollte die Struktur der mbira-Musik soweit geklärt werden, dass nun auf einer
soliden Basis geprüft werden kann, inwiefern diese Kategorien hier sinnvoll eingesetzt werden können und zu einem Erkenntnisgewinn führen. In der Literatur über traditionelle Musik werden sie
teilweise als inadäquat abgelehnt; wenn sie doch gebraucht werden, geschieht dies häufig unreflektiert – so als verstünden sie sich von selbst. Bezüglich der mbira-Musik werden sie in der Literatur
nicht thematisiert. A. Tracey spricht von „songs“ und „variations“ und vermeidet ‚Komposition’ und
‚Improvisation’ (1970 b). Berliner (1981) verwendet den Begriff „compositions“ synonym mit
„pieces“, ohne genauer zu definieren, was er darunter versteht 1, und verweist im Index bezüglich
Improvisation auf „variations on mbira pieces“.
Bevor wir uns mit einigen ausgewählten Beispielen 2 befassen, wo diese Termini im Zusammenhang mit traditioneller Musik erörtert worden sind, seien die mit den Begriffen verbundenen Konzepte kurz skizziert. Obwohl ‚Komposition’ streng genommen nur auf etwas „Zusammengesetztes“
(lat. componere: „zusammensetzen“) verweist, hat man als ihre Voraussetzung vor allem in der
Literatur zur abendländischen Kunstmusik nicht nur eine eindeutige, sondern darüber hinaus eine
schriftliche Fixierung des betreffenden Musikstücks gefordert. 3 Diese Betonung der Schriftlichkeit
lässt jedoch außer Acht, dass in oral tradierenden Kulturen Stücke durchaus auch so weitgehend
festgelegt sein und von Mal zu Mal ohne nennenswerte Veränderung vorgetra[232]gen werden
können, dass das Resultat dem Spielen einer ausnotierten Vorlage entspricht. 4 Zu nennen wären hier
beispielsweise Xylophon-Kompositionen der kiGanda-Tradition (Kubik 1991). Die später eingeführte
Ziffernnotation dient dort nicht als unmittelbare Spielanweisung, sondern hat eher „archivarische“
(Nettl 1983:29) Funktion.
‚Improvisation’ (von lat. improviso: „unversehens, unvermutet“) wird meist als „das gleichzeitige
Erfinden und Ausführen von Musik“ 5 charakterisiert. Wenn in diesem Zusammenhang immer wieder
gern auf ein „Moment des Unvorbereiteten, Spontanen“ hingewiesen wird, eine „offenkundige
unmittelbare Vorbereitung“ also nicht ersichtlich sei (Ferand), so ist doch folgendes zu bedenken:
„To some extent every performance involves elements of improvisation, although its degree varies according to period and place; and to some extent every improvisation rests upon a series of conventions or
implicit rules.” (Sadie 2001:94)
Ein ‚völlig freies’ Improvisieren ist demnach nicht zu erwarten, es vollzieht sich vielmehr immer
auf dem Hintergrund kultureller bzw. spezifisch stilistischer Vorgaben, von denen wir einige weiter
unten etwas genauer betrachten wollen. Ekkehard Jost beginnt seine Abhandlung über Free Jazz
1 „An mbira piece [...] is a composition of certain characteristic cyclical patterns that provide a framework for elaboration
and variation”. (1981:52)
2 Weitere finden sich u. a. in Simon 1984, Lortat-Jacob 1987 a, Kubik 1991 und Band 19 des Yearbook for Traditional Music
(1987) sowie in Nettl/Russell 1998. Vgl. auch die umfangreiche Bibliographie in Pressing 1988.
3 Vgl. Ferand 1958, Lindley 1980.
4 Nettl 1974, Kuckertz 1980, Simon 1984, Kaden 1993.
5 Ferand 1957; ähnlich Sadie 2001 (entspricht in der Formulierung der vorigen Auflage von 1980), Nettl 1986, Nattiez
1990:88.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
(1975) – ein Stil, dem man gemeinhin die größtmögliche Freiheit attestiert – mit einer bezeichnenden
Anekdote (nach Ian Carr) über einen Saxophonisten, der sich zum Missfallen seiner Kollegen bei einer
Free Jazz-Session die ‚Freiheit’ erlaubte, die ganze Zeit ein und dieselbe schlagerartige Melodie zu
spielen: Die vermeintliche Freiheit war hier dadurch eingeschränkt, dass er (harmonisch und melodisch) ‚frei’, d. h. dem Free Jazz-Idiom gemäß, hätte spielen sollen. Immerhin kann wohl als typisch
angesehen werden, dass beim Improvisieren ein gewisses Risiko eingegangen wird, da sich die Darbietung für den Musiker in unvorhergesehener Weise entwickeln könnte, sofern er nicht nur bekanntes Material abspult (Nettl 2001:95; s. dazu unten über Extemporieren).
Da sich Improvisation nach seiner Erfahrung mit südostasiatischen Orchestern in vielfältigen,
auch hinsichtlich des Ausmaßes an Gestaltungsmöglichkeiten des [233] ausführenden Musikers zu
differenzierenden Ausprägungen zeigt, sprach Mantle Hood bereits 1971 von einem „continuum of
improvisation“ (Hood 1971 b). Diese Auffassung findet sich auch bei Nettl, der jedoch andererseits in
Erwägung gezogen hat, nach einem neuen Terminus zu suchen, der die Vielgestaltigkeit reflektiert, in
der uns ‚Improvisation’ in verschiedenen Kulturen begegnet, und der nicht suggeriert, es handle sich
um relativ beliebige („improvident“) oder gar Zufallsprodukte irgendwelcher Musiker (Nettl 1991).
Eine solche Konnotation des Begriffs ist allerdings aus improviso nicht herzuleiten, sondern spiegelt
eher die – sicher immer noch existierenden – Vorbehalte gegenüber Improvisiertem aus der Sicht der
europäischen Kunstmusiktradition. 6 Meiner Meinung nach sollte der Terminus jedoch nicht vorschnell aufgegeben werden.
Nach M. Hood gilt in javanischen gamelan-Orchestern für die meisten Instrumente, dass „relatively stereotypical melodic lines are realized within a fairly restricted range of choice” (1988:199). Es
gibt aber Parts mit relativ größerer Freiheit im Ensemble:
„Excellent gendèran [i. e. der Part des gendèr barung-Metallophons, G. G.; ...] is the creation of original
melodies, which also sustain the pathet and reflect the spirit and mood of the FM [fixed melody, G. G.].”
Und weiter: „The difference [gegenüber anderen Instrumenten, G. G.] is the degree to which an instrumental or vocal part is restricted to stereotypical idioms.” (ebd.:246-247)
Hood hat bereits früher „nine levels of improvisation“ unterschieden (Hood 1971 b), von Stimmung bzw. Tonsystem bis zum Personalstil des individuellen Musikers, die er ausdrücklich als kulturübergreifend anwendbar betrachtet (1988:154).
Andere Autoren, die sich ebenfalls mit karawitan, der zentraljavanischen gamelan-Musik, beschäftigt haben, lehnen dagegen die Verwendung des Terminus ‚Improvisation’ ausdrücklich ab und
sprechen lieber von „ornamentation“ und „elaboration“ (McDermott/Sumarsam 1975:234). [234]
Von entscheidender Bedeutung ist in dieser Hinsicht natürlich die Einbeziehung emischer Konzepte, vor allem wenn sie sich in einheimischer Terminologie niederschlagen. Es bleibt dann immer
noch die Frage, wie sie gedeutet und übersetzt werden, es sei denn, man wäre der Ansicht, dies sei
ohnehin nicht adäquat möglich (vgl. Kubik 1984). 7 Bezüglich der gamelan-Praxis diskutiert Richard
Anderson Sutton den javanischen Begriff ‚garapan’ (bzw. garap, s. u.), der die Art und Weise bezeichnet, wie die einzelnen Parts sich aus der Kernmelodie (balungan 8, bei Hood als „fixed melody“
bezeichnet) ableiten und diese ausfüllen und ausgestalten:
6 Schmidhofers Auffassung, Improvisation werde dort ab dem 19. Jahrhundert „als eine der hervorragendsten Erscheinun-
gen des Schöpferischen betrachtet und dem Komponieren an die Seite gestellt“ (1995:93), scheint mir nicht haltbar zu sein
(vgl. Ferand 1957, Nettl 1974).
7 Zur Position eines grundsätzlichen 'Nicht-Verstehen-Könnens' fremder Musik vgl. Brandl 1985:20.
8 Dabei ist zu beachten, dass wegen der Beschränkung typischer balungan-Instrumente auf eine Oktave die Wiedergabe der
Kernmelodie in ihrer eigentlichen Gestalt, die der javanische Musiker und Musikforscher Sumarsam als „inner melody“
bezeichnet, auf den betreffenden Instrumenten vielfach nicht möglich ist, sondern Instrumente mit größerem Ambitus bzw.
einen Gesangspart erfordert (vgl. Sorrell 1990:64 und Sutton 1998 a:74).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
„The Javanese refer to such working out or treatment as garapan, and distinguish different degrees of garapan by the nature of independence from the balungan.” (1982:143)
Diese garapan-Parts 9 sind also teilweise durch das System determiniert, teilweise durch den einzelnen Ausführenden variierbar (ebd.:144). Die Möglichkeit zu variieren verleiht einer karawitanAufführung ein „element of unpredictability“. Dabei denkt man sogleich an die obigen Ausführungen
zu improviso, doch Sutton schränkt ein:
„[T]he surprises in gamelan are mostly little ones.” Und: „Bold displays of originality are to be avoided.”
(ebd.:245)
Gerade letzteres ist für ihn ein entscheidendes Merkmal von Improvisation, so dass er zu dem
Schluss kommt:
„One may talk of improvisation, as have Hood and Susilo, but the nature of what occurs is such a marked
contrast to what one finds in improvisatory traditions such as jazz or Indian classical music that the term
seems best avoided in discussing Javanese music. The Javanese musician makes choices as he performs
but much is predetermined by systemic constraints [...]. I do not mean to imply that jazz or Indian classical
music operate without constraints, but clearly the performer in either of these traditions is expected – at
least in some contexts – to be musically [235] bold and daring, striving for originality. In making choices
the Javanese musician need not avoid using patterns he has heard others use or even that he has used
earlier in the same performance. [...] Indeed, it is not their intent to explore beyond a very controlled
search for a measure of individuality [...]. A little difference is sufficient.” (1982:265)
Gerade das Rekurrieren auf einen Vorrat gängiger Formeln, auf das er sich hier bezieht, findet
man aber ebenso in den beiden von ihm angesprochenen Idiomen Jazz und rāga-Musik, und wie
‚kühn’ ein indischer Musiker sein darf, um noch als traditioneller akzeptiert zu werden, ist sicher eine
nicht leicht zu beantwortende Frage. Da sowohl Jazz als auch indische Kunstmusik häufig als in
besonderem Maße improvisatorisch geprägt angesehen werden, wollen wir weiter unten noch einmal auf sie zurückkommen. In einem neueren Beitrag zu diesem Thema hat Sutton seine Position
bekräftigt und in der Formulierung zusammengefasst, javanische Musiker „improvisierten“ zwar in
dem Sinne, dass sie die entsprechenden Parts ausgestalten (garapan), sie agierten dabei jedoch
kaum spontan oder ohne vorherige Planung, so dass die Musik nicht „improvisatorisch geprägt“
(improvisatory) sei (Sutton 1998 a:87).
Im Gegensatz zu Suttons sehr enger Auffassung von Improvisation, die ihn veranlasst, bezüglich
der gamelan-Musik eher von Variantenbildung („variation“ 10) zu sprechen (zu dieser Unterscheidung
s. u.), plädiert Neil Sorrell, der „garap“ ebenfalls erörtert, für eine Verwendung des Begriffs Improvisation, sofern sie wohlüberlegt und mit Präzisierungen versehen erfolge. Für ihn besteht Improvisation im gamelan-Orchester dabei bis in einzelne Formulierungen hinein letztlich nicht aus etwas
anderem als dem, was auch Sutton dort für wesentlich hält, nämlich der Wahl von Patterns in Abhängigkeit von der Kernmelodie und ihrer Variierung. Es zeigt sich aber in der Sichtweise des Phänomens und seiner Gewichtung der Gegensatz zwischen einer relativistischen Grundhaltung, die den
Begriff – ähnlich wie die Reduktion von ‚Komposition’ auf notierte Werke – auf wenige spezielle Fälle
beschränken möchte, und einer kulturübergreifenden Perspektive, wenn Sorrell schreibt:
„To state that gamelan music is improvised is likely to convey the impression of a freedom, even looseness, which it does not have; but to try and close the matter [236] there would do the greater disservice of
denying it that element of choice and interpretative spontaneity that is crucial to any great musical tradi9 Vgl. dazu auch Powers et al. 2001.
10 So auch im Titel seiner hier zitierten Dissertation von 1982.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
tion.” Er fährt fort: „[G]arap is the art of finding the solution that fits best but does not necessarily preclude others – nor, indeed, the desirability of variations.” (1990:75-76)
Dieses „So-und-auch-anders“ charakterisiert auch nach Christian Kadens Auffassung improvisierte Musik. Auf seine Überlegungen zum „Geist der Improvisation“ (1993) werden wir gleich zurückkommen.
Interessant ist festzustellen, dass zur Abgrenzung bei Sutton, übrigens ebenso bei McDermott
und Sumarsam (1975:235), gleichermaßen sowohl Jazz als auch indische Kunstmusik als improvisierte
Musiken par excellence angeführt werden. Dass diese sich hinsichtlich ihrer improvisatorischen
Gestaltungsmöglichkeiten ja nun doch deutlich unterscheidenden Traditionen hier über einen Kamm
geschoren werden, überrascht vor allem deswegen, weil dies von Vertretern eines restriktiven Improvisationsbegriffs vorgetragen wird. Zum einen sind beide Idiome im Hinblick auf Improvisation
schon in sich keineswegs homogen, sondern umfassen wiederum ein Spektrum von Ausprägungen im
Sinne eines improvisatorischen Kontinuums (Hood), zum anderen gelten die oben von Sutton gewählten Formulierungen, z. B. bezüglich systembedingter Vorgaben und Einschränkungen oder auch
des Nachspielens von Figuren, grundsätzlich durchaus auch für Jazz und rāga-Musik. Es geht letztlich
nur um das jeweilige Ausmaß an Wahlmöglichkeiten bzw. deren Häufigkeit, es gibt also keinen klaren
Schnitt zwischen den genannten Arten von Musik.
Kaden sieht „Entscheidungen von geringer Wahl-Breite, aber hoher Folge-Dichte“ (1993:56) 11 als
charakteristisches Merkmal des Improvisierens. Die damit verbundene Freiheit ist wohl in den ‚moderneren’ Stilen des Jazz, d. h. beginnend etwa gegen Ende der 1940er Jahre mit dem Bebop, relativ
am größten, obwohl natürlich auch hier stilistische Vorgaben existieren. In der Melodiegestaltung
gibt es dort aber in der Tat eine größere Wahlfreiheit als irgendwo sonst, wenn auch nicht im Jazz
schlechthin (Man denke etwa an komplett ausnotierte Big Band-Arrangements. S. dazu unten). Dem
bekannten Jazzmusiker Miles Davis wird in diesem Zusammenhang das Diktum zugeschrieben: [237]
„Nothing's wrong until you play the next note.“ Dies geht zweifellos über die Vorgaben eines auf der
Basis eines rāga improvisierenden Musikers beträchtlich hinaus.
Betrachtet man die karnatische Musik Südindiens unter diesem Gesichtspunkt, fällt sogleich auf,
dass die dortige Musiktheorie zwei Kategorien unterscheidet, die deutliche Parallelen zu unseren
Begriffen Komposition und Improvisation aufweisen: kalpita-saṃgīta und manodharma- saṃgīta.
Nach Josef Kuckertz ist aber
„eine indische Komposition nicht ein in allen Einzelheiten beständiges Gebilde [...]. Vielmehr ist nur das
Grundgerüst der Komposition festgelegt [...]. In ihren Einzelheiten ist die Ausführung einer Komposition
vom musikalischen Geschmack, dem Gestaltungsvermögen und dem technischen Können des Ausführenden abhängig.“ (1970:140) Andererseits „liegen der Improvisation im indischen Sinne stets bestimmte den
Raga charakterisierende Kleinfiguren [...] zugrunde. Diese fallen beim Vortrag oft recht verschieden aus.
Aufgabe des improvisierenden Musikers ist, die Kleinfiguren nach mehr oder weniger festen, den einzelnen musikalischen Formen verpflichteten Regeln zu kombinieren und hierbei aufgrund der vorgegebenen
Kleinfiguren auch neue Tonfiguren zu erfinden“. (ebd.:100)
Dieser Aspekt des kreativen Neu-Schaffens hat also durchaus sowohl in der karnatischen Tradition wie auch im Jazz, aber eben auch in der karawitan-Musik (s. o. Hood über den gendèr-Part) seinen Platz, und zwar vorrangig – nicht ausschließlich – gebunden an bestimmte Formteile in der rāgaMusik (z. B. ālāpana), an bestimmte Abschnitte in der Aufführung der Stücke im Jazz (‚Chorusse’), an
bestimmte Parts in der gamelan-Musik (z. B. gendèran).
11 Vgl. auch Nettls „density“ (1974).
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
Angesichts vielfältiger Erscheinungsformen und Übergänge zwischen Fixiertem und Variablem
hat Bruno Nettl vorgeschlagen – damit Hoods Konzept erweiternd 12, – Komposition und Improvisation als Pole eines Kontinuums zu betrachten (z. B. 1974). Dieses Konzept lässt sich in zweifacher
Hinsicht deuten, es hat sozusagen einen ‚inneren’ und einen ‚äußeren’ Aspekt:
•
•
Innerhalb einer musikalischen Tradition oder eines Stils kann es einen kontinuierlichen Übergang
vom einen zum anderen geben. Dabei gilt es [238] festzustellen, welche konkreten Erscheinungsformen Komposition und Improvisation dort im Einzelnen annehmen und welchen Anteil
sie jeweils in einem Genre ausmachen.
Daraus ergibt sich die weitergehende Möglichkeit, Traditionen oder Stile interkulturell unter
eben diesem Gesichtspunkt zu vergleichen, um so in den Worten Erich M. von Hornbostels einerseits unterscheidende Eigentümlichkeiten hervorzuheben, andererseits Ähnlichkeiten zu erfassen (1905:40), denn für uns als Wissenschaftler – d. h. zunächst Außenstehende – gilt:
„Es kann keine Kultur [..] isoliert nur aus sich allein heraus verstanden werden. Wir müssen sie fremden
gegenüberstellen, um das ihr eigene Wesen schärfer erfassen, das Besondere vom Allgemeinen sondern
zu können.“ (Brandl 1985:23)
Da so ihre verschiedenen möglichen Erscheinungsformen überhaupt erst ins Blickfeld kommen,
können die beiden komplementären Kategorien auf diese Weise eine analytische Tiefe entfalten, die
sie bei einer nur auf eine Musikkultur beschränkten Anwendung nicht erreichen könnten. Wir wollen
also kurz rekapitulieren, wie sich Kompositorisches und Improvisatorisches in den bereits angesprochenen, von verschiedenen Autoren in diesem Zusammenhang immer wieder angeführten Musiktraditionen manifestieren. Dabei beschränken wir uns auf solche, für die beide Aspekte in ihrem Verhältnis zueinander besonders thematisiert worden sind 13, natürlich ohne hier etwa den Anspruch zu
erheben, sie umfassend auszuloten. Außerdem wird es ausschließlich um die Melodiebildung gehen,
andere Bereiche wie das Trommelspiel in Java und Indien oder der Umgang mit harmonischen Progressionen im Jazz (die sog. changes und voicings), die für dieses Thema ebenfalls von Interesse wären, bleiben ebenso ausgeklammert wie eine detaillierte Auseinandersetzung mit verschiedenen
Kompositionsformen in den betreffenden Traditionen (z. B. gendhing, gat, kŗti, usw.). Es reicht vorläufig aus, durch den Blick auf andere Musiken den Blick für die Möglichkeiten zu schärfen, wobei
speziell die diversen improvisatorischen Strategien im Vordergrund stehen werden. Auf eine umfassende Darstellung des Gegenstands, wie sie Nettl einmal angeregt hat (1974:3), werden wir wohl
noch etwas [239] warten müssen, obwohl gerade er immer wieder bemüht ist, dieses Thema in kulturübergreifender Weise anzugehen und die Diskussion voranzutreiben. 14
karawitan
In der zentraljavanischen gamelan-Musik kann neben der jeweiligen Kompositionsform die balungan-Kernmelodie – ggf. erweitert um Angaben zur Oktavlage der Töne – als die kompositorische
Basis eines Stücks gelten, aus der die Musiker ‚elaborierender’ Instrumente ihre Parts zumindest
teilweise ableiten können. Daher wird in der Regel auch nur sie in Form von Ziffernnotation als Gedächtnisstütze festgehalten. 15 Eine solche Komposition hat einen spezifischen Titel und, außer bei
12 Vgl. allerdings dessen Bemerkung, eine Grenze zwischen Komposition und Improvisation sei nicht immer leicht und in
manchen Fällen vielleicht gar nicht zu ziehen (Hood 1975:26).
13 Zu weiterer Literatur, die sich auf jeweils einen dieser Pole konzentriert, s. o. Fußnote 2.
14 Vgl. Nettl 2001 sowie Nettl/Russell 1998. Interessanterweise ist in diesem Sammelband Musik aus dem subsaharischen
Afrika nicht vertreten.
15 Vgl. Sorrell 1990:62.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
einigen älteren Stücken, wo er manchmal schwer rekonstruierbar ist, auch einen namentlich bekannten Komponisten. Die abzuleitenden Parts reichen in ihrer Variabilität von festen, praktisch gar nicht
variierten Patterns bis zu solchen, in denen Individualität und Originalität des Ausführenden durchaus
zum Tragen kommen. Dazwischen liegen Variantenbildungen unterschiedlichen Ausmaßes, z. B.
Ausweichen auf Wechselnoten, Änderung von Patterns durch Weglassen von Tönen, u. Ä.16 Darüber
hinaus wird auch instrumental dargebotenen pathetan-Passagen, die den jeweiligen pathet etablieren bzw. bekräftigen sollen, ein beträchtlicher improvisatorischer Spielraum nachge-sagt. 17 In einem
gamelan-Ensemble findet man also eine ganze Palette von Möglichkeiten versammelt, die von komplett fixierten (balungan sowie die sog. interpunktierenden Instrumente) über nur wenig ausschmückende Parts bis hin zu relativ stark ornamentierenden und in ihrer konkreten Gestalt nicht vollständig vorhersagbaren Stimmen etwa der Flöte suling, der Spießgeige rebab oder des Metallophons
gendèr reichen. 18 [240]
Indische Kunstmusik
Als höchstentwickelte Kompositionsform der karnatischen Musik Südindiens wird die kŗti betrachtet (Kuckertz 1970:125), ein Konzertstück, das wie oben dargelegt jedoch nicht in allen Details
fixiert ist. Es enthält zudem Formteile (z. B. niraval, kalpana-svara 19), die gerade durch improvisatorische Gestaltung geprägt sind. Als Musterbeispiel für letztere gilt gemeinhin der ālāpana, die nichtmetrisierte Exposition eines rāga. Sie kommt besonders in der als rāgam-tānam-pallavi bezeichneten
Form zur Geltung, wo nur am Beginn des pallavi eine komponierte Melodieperiode erklingt, ansonsten beruhen alle drei Teile auf Improvisation, die dadurch gesteuert wird, dass der Musiker die charakteristischen Merkmale, die Essenz des gewählten rāga (rāga-bhāva) durch angemessenen Einsatz
passender Kleinfiguren, wesentlicher Ornamente (gamaka) und anderer Vorgaben zum Ausdruck zu
bringen sucht. 20 Tanjore Viswanathan und Jody Cormack haben diesbezüglich gezeigt, dass die konkrete Umsetzung sich je nach Formteil (z. B. ālāpana oder svara kalpana) zum Teil deutlich unterscheiden kann. Während das rāga-Konzept als solches sich aus älteren Vorformen entwickelt hat 21,
stammen die wichtigsten Kompositionen in der heutigen südindischen Praxis von drei Komponisten,
die zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewirkt haben (Kuckertz 1970:3).
Die musikalischen Mittel, die man in der Hindustani-Musik Nordindiens einsetzt, um den jeweils
besonderen Charakter eines rāga 22 zur Geltung zu bringen, sind gut dokumentiert (z. B. Jairazbhoy
1971). Aus der Fülle melodischer Vorgaben – wie Tonvorrat (jāti) im Auf- und Abstieg (āroha,
avaroha), Gebrauch, Gewichtung und Hierarchie der einzelnen Stufen (vādi, samvādi, nyāsa, vivādi,
varjita, usw.), obligatorischen Bewegungsfiguren der Melodie (z. B. vakra), Ornamenten (gamaka,
mīnd, āndolan, usw.) und typischen melodischen ‚Markenzeichen’ (pakaŗ) eines rāga – ergibt sich
zwar eine relativ deutliche Identität des betreffenden rāga, dem Musiker bleibt aber dennoch Spielraum für [241] die individuelle Gestaltung und die Entwicklung eines Personalstils. Speziell in bestimmten Formteilen einer Aufführung, namentlich den nicht-metrisierten Abschnitten ālāp, joŗ und
jhālā, soll der jeweilige rāga in seinen spezifischen melodischen Facetten dargestellt werden, ohne
16 Vgl. Sorrell 1990:88 ff. bezüglich des bonangan-Parts. Dabei handelt es sich um mehroktavige Kesselgongspiele.
17 Vgl. Sorrell 1990:59.
18 Vgl. Schumacher 1996. Sutton (1998) weist allerdings auf den vergleichsweise geringen Überraschungseffekt in der
Ausgestaltung der variablen Parts hin. Individuelle Originalität gilt offensichtlich nicht als sonderlich wünschenswerte Eigenschaft in dieser Tradition.
19 Manchmal auch als svara kalpana bezeichnet.
20 Vgl. dazu Kassebaum 2000.
21 S. dazu Kuckertz 1970:84 ff.
22 Das finale –a der Sanskrit-Termini entfällt im heutigen Sprachgebrauch Nordindiens: z. B. rāg, nyās, vakr, gamak, usw.
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Komposition und Improvisation
dass dabei jede Note vorhersagbar wäre. Daneben existieren mehr oder weniger stark fixierte, primär mündlich überlieferte Kompositionen wie etwa in der Instrumentalmusik die sog. gat für bestimmte Saiteninstrumente wie die Langhalslaute sitār und die Kurzhalslaute sarod. 23
Jazz
Aus der jahrzehntelangen Entwicklung dieses Idioms sind so vielfältige Stile hervorgegangen,
dass sich uns ein ganzes Spektrum von Möglichkeiten präsentiert 24:
Zum kompositorischen Pol tendieren:
•
•
•
quasi vollkommen fixierte (und ausnotierte) Stücke (speziell im Fall von Big Band-Arrangements), in denen nur wenig Raum für kurze Solo-Improvisationen vorgesehen ist, welche
mitunter sogar von Mal zu Mal gleich klingen können;
die getreue Wiedergabe von Themen, die von Jazzmusikern komponiert wurden (‚originals’);
mehr oder weniger stark variiert dargebotene sonstige Themen sog. ‚standards’, die oft aus
Musicals oder ähnlichen Quellen stammen.
Zum improvisatorischen Pol tendieren:
•
•
•
eine das jeweilige Thema paraphrasierende oder ausschmückende Improvisation; [242]
eine formelhafte Improvisation auf der Basis eingeübter Melodiefiguren (‚licks’);
eine motivische Improvisation auf der Basis hervortretender ‚Motive’, die für einen bestimmten Zeitraum die musikalische Gestaltung prägen.
Wie fließend die Übergänge in der Praxis tatsächlich sind, zeigt sich schon an den oben angeführten sog. standards. Bei der Darbietung ihrer komponierten Melodien wendet man nämlich in der
Regel die genannte Technik der paraphrasierenden Improvisation an, da das thematische Material
den Musikern in der Originalfassung hinsichtlich Rhythmisierung und Melodiegestalt meist nicht
‚jazzmäßig’ genug ist. In harmonischer Hinsicht relevant sind das Ausmaß und die Gewichtung von
akkord- und skalenfremden Tönen: Werden sie nur als Durchgangs- oder Umspielungstöne eingesetzt
oder stellen sie im Sinne des sog. ‚inside-outside’-Spielens 25 die harmonische Grundlage temporär in
Frage? Während sich diese Möglichkeiten auf der Basis harmonischer Progressionen (changes) oder
von Modalskalen bewegen, bleibt als die am wenigsten durch Vorgaben eingeschränkte Improvisationsweise das ‚freie’ Spielen im Free Jazz. 26
***
Gerade im Vergleich scheint mir deutlich zu werden, dass eine stil- und kulturübergreifende Perspektive den Blick für die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Tat schärft (Hornbostel), die
Untersuchung einer Musiktradition im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Komposition und Improvisation
in dieser Perspektive also überaus erhellend ist, da man nun die Begriffe weder als im Einzelfall unbrauchbar ablehnen muss noch sie durch pauschalisierenden und damit oberflächlichen Gebrauch
entwertet. Nettl sieht in Improvisation „one of the few universals of music” (1974:4). Aus dem bisher
23 Vgl. Slawek 2000.
24 Vgl. Kernfeld 1988, Berliner 1994.
25 Vgl. dazu Levine 1995.
26 Vgl. Jost 1975.
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Komposition und Improvisation
Gesagten folgt, dass dies natür[243]lich ebenso für Komposition gilt. In allen Musikkulturen sind
Anteile von beiden enthalten, es geht nun darum, die Nuancen herauszuarbeiten, vor den Begriffen
also weder zurückzuschrecken noch sie oberflächlich zu verwenden.
Das Modell als Hintergrund und Mittler
Mehrfach ist bereits zur Sprache gekommen, dass es in jedem musikalischen Idiom einen jeweils
spezifischen Hintergrund gibt, der sowohl für Komposition wie Improvisation den Rahmen absteckt.
Man bewegt sich also innerhalb des jeweiligen (Regel-)Systems, was gezielte Grenzüberschreitungen,
die einen Stil weiterentwickeln oder transzendieren, natürlich keineswegs ausschließt. Auch sog.
‚freies’ Improvisieren im Free Jazz ist nicht voraussetzungslos, wenn auch zweifellos weniger Restriktionen bestehen als im Kontext anderer Idiome.
Als übergeordnete Kategorien für all das, was wir sonst unter Begriffen wie Komposition, Improvisation, Aufführungspraxis, usw. subsumieren, könnte man auch ‚Modell und Ausführung’ betrachten. 27 So schreibt Kuckertz über die vorderorientalische Kunstmusikpraxis:
„Das Melodiemodell, in der Vorstellung des Musikers stets gegenwärtig, ist Hintergrund der Melodiebildung. Die vorgetragene Melodie ist als seine Realisation – oder als Reihung mehrerer seiner Realisationen
(‚Varianten’) – aufzufassen.“ (1970:52)
Rudolf M. Brandl sieht im skopos-Prinzip der karpathischen Musik dieses Konzept ebenfalls am
Werk (Brandl/Reinsch 1992:56).
Nettl fasst den Modell-Begriff im Rahmen seines vergleichenden Ansatzes wesentlich weiter, indem er darüber hinaus auch Kompositionen (kŗti, Jazz-Kompositionen), Formen mit spezifischen
Vorgaben für die Aufführungspraxis (ālāpana, niraval, taqsīm, Bluesakkordschema) und auch theoretisch verankerte Grundkonzepte einiger Musikkulturen wie rāga, maqām, pathet, etc. darunter subsumiert. Diese Modelle sind Nettl zufolge durch ihre Hörbarkeit und die Dichte der Referenzpunkte,
an denen sich der Ausführende zu orientieren hat, [244] gekennzeichnet (Nettl 1974). Generell stellen für ihn die je nach Kultur und Genre unterschiedlichen „obligatory features“ das jeweilige ‚Modell’ dar (Nettl 2001:96). Nattiez (1990:88) folgt der Auffassung Lortat-Jacobs (1987 b), jeglicher Improvisation liege ein Modell zugrunde; beide fassen den Terminus wie Nettl entsprechend weit.
Lortat-Jacob gibt in seinem genannten Beitrag außerdem einen Überblick über weitere Aspekte und
Sichtweisen des Modell-Begriffs.
Inwieweit ein zugrunde liegendes Modell in der tatsächlichen Aufführung hör- und erkennbar
wird, steht auch im Vordergrund des Interesses Simha Aroms, der im Rahmen seiner Studie über
zentralafrikanische Mehrstimmigkeitspraktiken u. a. die Relation zwischen einem Modell und seiner
Realisation erörtert und dabei zwischen sich unmittelbar manifestierenden, nur gelegentlich aufscheinenden und impliziten, durch ständige Variation ihrer Realisationen verschleierten Modellen
differenziert (1991 a:226, vgl. auch 175). Für den Solopart in der Trommelmusik der Banda beispielsweise hält er den Terminus ‚Improvisation’ durchaus für angebracht (ebd.:257-258). Zusammenfassend stellt er bezüglich zentralafrikanischer Polyrhythmik fest:
„The degree of variation in a polyrhythmic formula is evidently dependent on the amount of variation in
its constituent parts, which may range from absolute invariability [...] to free improvisation beyond the
constraints of periodicity” (ebd.:298).
27 So z. B. Oskár Elschek, persönliche Mitteilung 2. Mai 2001.
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Komposition und Improvisation
Arom fasst den Begriff ‚Modell’ insofern schärfer als Nettl, als er eine konkret fassbare Gestalt
verlangt, die durch die Reduktion eines musikalischen Objekts auf seine differentia specifica
(„distinctive features“) als dessen Minimalrealisation gelten kann (ebd.:225). Übertragen etwa auf
einen bestimmten rāga wäre nicht dieser selbst das Modell, sondern seine komprimierte, auf die
wesentlichen Züge beschränkte Kurzfassung (saṃcāra 28 in der karnatischen Musik bzw. calan 29 in
der Hindustani-Musik).
Ein ‚Modell’ kann demnach eine Melodiegestalt sein, die im Zuge der Performance noch weiterer
Bearbeitung unterworfen wird. Im Fall der balungan-[245]Kernmelodie, die selbst ein „materialisiertes“ (Arom), d. h. von den gleichnamigen Instrumenten tatsächlich auch gespieltes Modell darstellt,
wird diese durch das garap-Verfahren der elaborierenden Instrumente im Zuge der Performance verschiedenen Graden von Ausarbeitung unterzogen. Saṃcāra bzw. calan stellen insofern einen anderen Fall dar, als es sich hierbei zunächst nur um Kurzfassungen handelt, die primär zu didaktischen
oder Demonstrationszwecken dienen. Bei einer konzertanten Darbietung eines rāga würde dessen
melodische Identität wesentlich ausgedehnter ausgelotet als in diesen komprimierten Formen. Eng
verbunden mit diesem Konzept eines Modells als einer tatsächlichen melodischen Gestalt ist die
Existenz von Regeln, die im Verlauf der Performance anzuwenden sind und das idiomatisch ‚richtige’
Ergebnis hervorbringen sollen: die Realisierung des Modells. In der Hindustani-Musik stützt man sich
auf die oben bereits genannten Elemente wie Gewichtung von Tönen, typische Melodiefiguren, etc.,
um den rāga zu realisieren; im gamelan-Ensemble ist es das garap-Prinzip ergänzt um pathet-spezifische Wendungen (cèngkok bzw. wiletan) 30, die zusammen genommen die nicht komplett auskomponierten Parts generieren; im ‚modernen’ Jazz steuert u. a. die Akkord-Skalen-Theorie 31 das (Er-)Finden idiomatischer Melodielinien.
Entstehen bei einem solchen Prozess nun verschiedene Varianten bzw. ab wann ist es sinnvoll
von verschiedenen Versionen zu sprechen? Veit Erlmann behandelt die Frage des Verhältnisses von
Komposition, Improvisation und Variantenbildung in Preisgesängen der Ful’be entlang deren emischer Kategorien taakiyaare, fijirde, und sanja, die annähernde Parallelen in unseren Begriffen Modell, Aufführung („performance“) und Variantenbildung („variation“) haben (1985:95), wobei er die
Frage aufwirft, inwiefern Improvisation und Variantenbildung als analytisch distinkte Kategorien
aufzufassen seien (ebd.:90).
Beschränkt man sich auf die Betrachtung einer Tradition, mag eine solche Unterscheidung als
wenig aussagekräftig erscheinen. Im interkulturellen Vergleich zeigt sich jedoch, dass Variantenbildung streng genommen nur eine mögliche Ausprägung improvisatorischer Praxis darstellt. Letztere
beginnt bereits bei der [246] Interpretation einer festen Vorlage (z. B. eines komponierten Themas
im Jazz), wenn diese etwa mit akzessorischen Verzierungen dargeboten wird, hierher gehören auch
die mehr oder weniger extensive Modifikation einer Vorlage durch Hinzufügen, Weglassen oder
Tausch einzelner Töne (z. B. in einem ansonsten festen Pattern eines umspielenden gamelan-Instruments) oder auch eine rhythmische Variierung sowie die sog. paraphrasierende Improvisation im
Jazz. Dagegen erfasst der Begriff zum Teil nur unzureichend die verschiedenen Verfahren der Realisierung von Vorgaben:
•
Das Musizieren auf der Basis eines Melodiemodells in der vorderorientalischen Kunstmusik
verklanglicht dieses und führt erst in der Wiederholung zu Varianten (Kuckertz).
28 Vgl. dazu Kuckertz 1970:100.
29 Vgl. dazu Moutal 1991 und Ruckert/Widdess 2000.
30 Vgl. dazu Sutton 1998 b.
31 Vgl. dazu Levine 1995.
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•
•
•
Komposition und Improvisation
Arom unterscheidet in zentralafrikanischer Musik hinsichtlich des Ausmaßes an eigener Gestaltungsmöglichkeit des Ausführenden zwischen Variantenbildung und Improvisation, erstere ist
damit eine eingeschränkte Form der letzteren.
Eine Komposition kann in der Weise zum Klingen gebracht werden (Beispiel karawitan), dass zu
dem seinerseits auch selbst klingenden Modell weitere Parts hinzutreten, die durch Anwendung
von Regeln über die Ableitung dieser Parts aus dem Modell (Patternbildung) im Augenblick der
Aufführung gebildet werden können. 32 Innerhalb dieser Patterns ist wiederum Variantenbildung
möglich, im gamelan-Ensemble je nach Part in unterschiedlichem Ausmaß.
Wird eine nur in Form von Regeln 33 und eingeübtem melodischem bzw. melorhythmischem
Ausgangsmaterial existierende Vorlage realisiert, sind mit Nettl zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: „performing a version of something“, z. B. bei einer rāga-Darbietung in entsprechenden Formteilen (ālāpana, tāna, niraval, etc.), und „improvising upon something“ (1974:9), [247]
z. B. im Fall der formelhaften oder motivischen Improvisationsweise im Jazz. Diese Unterscheidung markiert sowohl eine je spezifische Intention und Verfahrensweise – Improvisation über
eine Akkordprogression versus Herausarbeiten der besonderen Merkmale eines rāga – wie auch
ein unterschiedliches Maß 34 an Freiheit in den ad hoc zu treffenden Entscheidungen, deren
„Wahl-Breite und Dichte“ (Kaden).
In dieser Freiheit zu wählen sieht Kaden ein Kriterium, die sonst häufig als Synonyma angesehenen Begriffe ‚Improvisieren’ und ‚Extemporieren’ (z. B. Sadie 2001, Nettl 1986) zu differenzieren: In
Stegreifpraktiken werden demnach nicht aus dem Augenblick heraus Entscheidungen getroffen,
sondern weitgehend Alternativloses wird abgespult (Kaden 1993:50), so „dass ein Musizieren ex
tempore nicht zwangsläufig Resultate ex improviso zeitigt“ (ebd.:49), da das Ergebnis vorhersagbar
ist. 35
Solange ein ornamentierender Part im gamelan-Ensemble ein festes Pattern ausführt, das nicht
variiert wird, hat man es wohl mit Extemporieren zu tun, dessen Ergebnis in der Tat Ton für Ton
vorhersagbar ist, während ein origineller gendèr-Part unvorhergesehene (improviso-)Passagen enthalten, jedoch nicht von Mal zu Mal „völlig anders“ (Kaden) gestaltet sein wird.
Dagegen wird man für die rāga-Musik kaum von Extemporieren sprechen können, da es nicht
um ein bloßes Aneinanderreihen von Kleinfiguren, sondern eine ständig neue Darbietung des –
grundsätzlich gleichen – Materials geht. Natürlich muss man je nach Statur des Musikers mit einer
Verfestigung zu abrufbaren Floskeln rechnen, wie man sie gerade in der sog. formelhaften Improvisation im Jazz findet, wo im Abspulen eingeübter licks zweifellos Anklänge an ex tempore-Spielen
vorliegen: Der Eingeweihte kann hier den nächsten Ton vorausse[248]hen. Der ‚inspirierte’ Improvisator wird dagegen selbst solche einstudierten Melodiefiguren beständig variieren bzw. durch ‚überraschenden’ Einsatz an ‚unvorhergesehenen’ Stellen (z. B. über unterschiedliche Akkordfolgen mit
32 Bezüglich des ‚Modells’ beachte man den möglichen Unterschied zwischen balungan und ‚inner melody’ hinsichtlich des
Ambitus und damit der melodischen Gestalt.
33 Der rāga-Musiker selbst wendet allerdings normalerweise keine verbal formulierten Vorschriften an, die sich aus der
einheimischen Theorie ergeben, er ahmt vielmehr seinen Lehrer nach, so dass sich ihm daraus mit der Zeit das Modell erschließt (vgl. Kassebaum 1987:47-48). Im Jazz hat sich eine Entwicklung von der theorielosen Nachahmung hin zu – im
‚westlichen’ Sinne – ‚professioneller’ Ausbildung vollzogen.
34 Eine quantifizierende Einordnung verschiedener Stile à la Hoods sog. „hardness scales“ (Hood 1971 a) dürfte allerdings
mehr Probleme aufwerfen, als zu einer Klärung beizutragen. Eine vergleichende Sicht liefert aber doch ein deutlicheres Bild
der jeweiligen Möglichkeiten innerhalb eines Idioms.
35 Als Beispiel für eine Stegreifpraxis nennt er das von Kubik beschriebene ‚Überspringverfahren’ im
Stimmbewegungsparallelismus. Der Begriff ‚Stegreifspiel’ wird jedoch uneinheitlich gebraucht. Vgl. z. B. Simon 1996.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
entsprechender Reinterpretation der harmonischen Bedeutung der Melodietöne) noch kreativ nutzen können.36
Komposition und Improvisation in der mbira-Musik
Wie wir gesehen haben, sind die mbira-Stücke alle namentlich benannt, wenn auch manche Titel
uneinheitlich gebraucht werden. Individuelle Komponisten sind den Musikern für das in Zeremonien
relevante Repertoire, dem generell ein hohes Alter zugeschrieben wird, indes nicht bekannt. Neue
Stücke können zwar gewonnen werden, indem man Vorlagen aus anderen Repertoires, z. B. Gesangsmelodien, auf die mbira überträgt. Eine Erweiterung des traditionellen Repertoires findet
dagegen ausschließlich durch das (Er-)Finden neuer Versionen bereits vorhandener alter Stücke
statt. 37 Träume werden häufig als Quelle für neue Fassungen angeführt, die der Musiker ‚findet’,
indem er im Schlaf ‚sieht’, welche Lamellen er zu zupfen hat. Außerdem kann durch Experimentieren
oder mitunter sogar durch unabsichtliches Falschspielen ein neues Klangresultat entstehen, das dem
Musiker gefällt, so dass er es in Zukunft als seine Version des betreffenden Stücks spielen kann. In
solchen Fällen wird die Urheberschaft oft durch einen Titelzusatz zum Ausdruck gebracht (z. B.
Nhemamusasa yaNhambudziko = Nhemamusasa in der Fassung eines Musikers namens Nhambudziko).
Die emische Sicht der Stücke als fixierte Entitäten, die mit Namen versehen sind und deren Identität sich in Zeremonien daran erweist, ob sie die Kraft haben, einen bestimmten Ahnen zu rufen,
wird analytisch betrachtet durch strukturelle [249] Merkmale gestützt, die die Stücke voneinander
unterscheidbar machen und ihren jeweiligen kompositorischen Kern bilden. Dazu gehören ein oder
zwei für das betreffende Stück typische motiorhythmische Patterns und die individuelle harmonische
Progression mit einer spezifischen Dauer der Akkorde, wobei allerdings, wie wir im Versionenvergleich gesehen haben, die Einsatzpunkte um einen Puls differieren können.
Dem Pol Komposition neigen sie dabei jedoch nicht so weitgehend zu wie etwa amadinda-Kompositionen, die nur in seltenen Fällen und dann auch nur geringfügig variiert werden (Kubik 1991:79).
Wohl kann man – und dies gilt besonders für kushaura-Parts – eine Standardversion unverändert für
eine gewisse Zeit repetieren, dies würde jedoch in dieser Ausschließlichkeit nur ein Anfänger tun. In
solchen geronnenen Erscheinungsformen könnte man mit Kaden „Kodifizierungen von Improvisationsergebnissen“ (1993:51) sehen, hier steht der kompositorische Aspekt im Sinne eines ‚fest Zusammengestellten’ klar im Vordergrund. Eine solche Spielweise ist auch intrakulturell durchaus akzeptabel, einem versierten Musiker stehen aber darüber hinaus im Maß ihrer Modifizierung des
Ausgangsmaterials unterschiedlich weit reichende Möglichkeiten zur Verfügung, die uns wieder auf
das Konzept eines Kontinuums sowohl innerhalb von improvisatorischen Praktiken als auch in deren
Verhältnis zum Komponiert-Fixierten verweisen.
Die geringste Ausstrahlung auf die Gesamtgestalt haben Veränderungen auf Pulsebene, wo Töne
hinzugefügt oder weggelassen und nach dem Prinzip harmonischer Äquivalenz Akkordtöne gegeneinander ausgetauscht werden können. In den Notenbeispielen ist dies durch kleinere Köpfe dargestellt. Quasi nahtlose Übergänge zu größeren Veränderungen ergeben sich, wenn zwei im Ablauf aufeinander bezogene Töne variiert werden (auf konsekutiven Pulsen oder je nach motiorhythmischem
Pattern mit Leerpuls dazwischen, z. B. Oktavsprünge in der linken Hand). Dies ist durch rautenför36 Vgl. die Studie von Thomas Owens über Charlie Parker (1974), zitiert bei Kernfeld 1988.
37 Vgl. Kaemmer 1975:125-126, Berliner 1981:86. Dagegen resultiert aus der vergleichbaren Haltung im Falle eines
traditionellen javanischen Komponisten nach Sutton eine neue Komposition: „His new composition must be familiar – a
variation of what already exists.“ (Sutton 1987:67) Für einen Shona-Musiker ist im Gegensatz dazu die prinzipielle Identität
der neuen Version mit der Vorlage wichtig.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
mige Notenköpfe kenntlich gemacht, die auch für längere alternative Passagen verwendet werden. In
der rechten Hand kann streckenweise die Pendelmelodik durch deszendente Linien ersetzt werden,
ohne dass deren Part sich während der gesamten Periode unterscheidet. Dies ist nämlich der
nächste, weitergehende Schritt: die Änderung des Musters einer [250] Hand 38, und zwar entweder
teilweise (linke Hand) oder komplett, wobei die andere gleich bleibt. Damit ist unter Umständen auch
eine Veränderung des motiorhythmischen Patterns verbunden und neue inhärente Melodien können
hervortreten.
Die größte Zäsur ergibt sich in jedem Fall durch den Wechsel zu einer anderen Gestalt des Parts
mit einem ganz neuen motiorhythmischen Pattern. Vor allem was eigenständige kutsinhira-Parts
betrifft, stehen nicht nur die oben in Kapitel 5 diskutierten Optionen wie Einfügen akkordfremder
Töne und Konstantenbildung zur Verfügung. Es gibt auch – einen Schritt weiter sozusagen – ein beständiges Variieren unter Ausnutzung aller dieser Möglichkeiten, was sich darin äußern kann, dass
keine zwei aufeinander folgenden Perioden identisch gespielt werden. Die Linienführung gerade in
der linken Hand kann hier – extrem ‚irregulär’ und sprunghaft, eventuell mit starken Akzenten versehen – einen Charakter annehmen, der an Hoods Worte von „the creation of original melodies“ denken lässt, dabei das harmonische Grundgerüst unter Ausnutzung des Prinzips harmonischer Ambiguität aber nicht grundsätzlich, höchstens temporär, in Frage stellt. Auch in der rechten Hand – darauf
weisen die Musiker selber immer wieder hin – gibt es eine Freiheit der Gestaltung, die z. B. auch
sonst seltene Zweiklänge (meist im Quartabstand) einschließt und nicht durch die Periodendauer
begrenzt wird.
Wie schon oben in anderem Zusammenhang erörtert, ist auch hier festzustellen, dass die verschiedenen Fassungen von den Musikern zwar als solche betrachtet werden, d. h. eine Komposition
in verschiedenen Erscheinungsformen auftreten kann, die einheimische Terminologie jedoch wiederum nicht einheitlich ist, was darauf schließen lässt, dass im traditionellen Kontext eine Verständigung darüber nicht nötig und üblich ist. Für verschiedene Versionen und Varianten gibt Berliner von
jedem Informanten eine andere Bezeichnung an, darunter den aus dem Englischen als Lehnwort
übernommenen Ausdruck „ma-styles“ 39 (1981:94), was deutlich zeigt, dass hier eine Reaktion auf
äußere Einflüsse vorliegt, nämlich die Nachfragen von Feldforschern. Meine Gewährsleute sprachen
meist von „variations“. [251]
Beispiele für improvisatorische Gestaltungsmöglichkeiten
Von den im Folgenden angesprochenen sind hieran anschließend nur diejenigen Notenbeispiele
zusammengestellt, die nicht bereits im vorigen Kapitel erscheinen.
1. Variantenbildung auf Pulsebene
Beispiel:
• Drei aufeinander folgende Zyklen eines kutsinhira von S. Mujuru zu Bukatiende mit sehr
geringer Variierung (Austausch von harmonisch äquivalenten Tönen, ein akkordfremdes H).
2. Minimale Veränderung des motiorhythmischen Patterns gegenüber der Standardfassung einer
Komposition, was zu einer individuellen Version des betreffenden Stücks führt
Beispiele:
38 Vgl. Berliner 1981:101.
39 ma- = Plural-Präfix.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
•
Komposition und Improvisation
In Mukweshas kushaura-Parts zu Kuzanga und dem ‚alten’ Shumba bleibt der letzte Puls in
jedem Formteil eigentlich leer.
3. Verwendung eines unüblichen motiorhythmischen Patterns: Ein Pattern, das sonst für das betreffende Stück nicht typisch ist oder nur als kutsinhira auftaucht, wird als kushaura gespielt. Dies ist
dann die individuelle Version eines Musikers von dieser Komposition.
Beispiele:
• Mujurus kushaura I von Bangiza; sein kushaura zu Karigamombe, der für Mhlanga ein
kutsinhira-Part ist.
Dabei können sich gleichzeitig die Akkordgrenzen verschieben und Akkorde anders realisiert werden.
Beispiele:
• Bei Bukatiende Mujurus ‚eigene’ Fassungen kushaura I und II (in Version II [252] z. B. ein F
über dem A-Akkord im zweiten Formteil) und Mukweshas kushaura II (‚LR’-Pattern, E-Akkord
im ersten Formteil wird überspielt).
Hier liegen wohl ‚geronnene’ Improvisationsergebnisse vor: zu festen Versionen erstarrte Abweichungen vom Standard.
4. Veränderung nur in einer Hand
a) linke Hand variiert, rechte Hand konstant
Beispiele:
• Mujurus kutsinhira zu Nyamaropa yeDambatsoko (Über drei Perioden gibt es teilweise
identische Töne, also keinen kompletten Wechsel des Parts der linken Hand. Der Duktus –
hier Abwärtssprünge – bleibt erhalten.)
• Mukweshas kushaura I und II zu Nhemamusasa (II beruht auf I, führt aber eine neue Mittelstimme ein.)
• Mujurus kushaura I und II zu Karigamombe (In II spielt die linke Hand einen Puls früher als in
I, ist ansonsten aber identisch. Es ergibt sich so ein Wechsel von einem ‚2er’- zu einem ‚LR’Pattern.)
b) linke Hand konstant, rechte Hand variiert
Beispiele:
• Mukweshas kushaura zu Mahororo. Allerdings ist die linke Hand in den Perioden (a) und (b)
nur fast, bei (b) und (c) aber komplett identisch – und ist deswegen bei (c) nicht nochmals
notiert. In (a) herrscht die typische Pendelmelodik vor, in (b) extreme Tonrepetitionen mit
Ausnutzung harmonischer Ambiguität und wenigen akkordfremden Tönen, in (c) gibt es eine
absteigende Dreitonfigur, die nicht immer vollständig an die harmonischen Erfordernisse
angepasst wird, so dass man ein akkordfremdes G über A im dritten und vierten Formteil
findet. (a), (b) und (c) sind jeweils zyklisch oder sukzessiv spielbar.
• Mujurus kushaura zu Chipembere chikuru und chidiki mit Wechsel von (a) nach (b) zwischen
Pendelmelodik und Deszendenzmelos. [253]
Die Variierung kann auch zu einem neuen motiorhythmischen Pattern führen.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Komposition und Improvisation
Beispiele:
• Traceys kushaura I (a) und (b) von Nyamaropa zeigen ‚nur’ verschiedene Varianten eines
‚6er’-Patterns. In Mujurus kushaura I und II von Nhemamusasa ergibt sich ein ganz neues
(‚LR’ → ‚6er’).
5. Gezielte Nutzung des Tonraums bei der Variierung des Parts einer Hand
•
•
in der rechten Hand engräumige Pendelmelodik versus deszendente Linien von großem Ambitus:
siehe oben z. B. Mukweshas kushaura zu Mahororo, Mujurus kushaura (b) zu Chipembere
chikuru und chidiki;
in der linken Hand Verzicht entweder auf die tiefe Oktave oder die Mittellage (Beispiel: Mujurus
kutsinhira zu Taireva).
6. Übergang zu einer anderen Version mit differierendem motiorhythmischen Pattern
Beispiel:
• Mujurus kutsinhira zu Dande mit Wechsel von (a) nach (b) von ‚3er’- zu ‚6er’-Pattern; in (c)
entspricht die rechte Hand derjenigen in (b) außer der fehlenden deszendenten Linie; die
linke Hand wechselt in (a) bis (c) von Abwärtssprüngen über bogenförmige Linien zu
Aufwärtssprüngen.
7. Kein festes motiorhythmisches Pattern während einer gesamten Periode (speziell im kutsinhira)
Beispiele:
• Mhlangas kutsinhira zu Bukatiende
• Mujurus kutsinhira zu Chipembere chidiki
Aber auch im kushaura kann ein temporärer
z. B. bei Mhlangas Nyamaropa Chipembere (a, b). [254]
Wechsel
des
Patterns
stattfinden,
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Blatt 39
Blatt 40
Blatt 41
Komposition und Improvisation
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Blatt 42
Blatt 43 [259]
Komposition und Improvisation
[259] Zusammenfassung
Fragt man Musiker in Anbetracht der zahlreichen Versionen mancher Kompositionen wie
Nhemamusasa oder Bangiza nach deren Essenz, nach dem Gemeinsamen aller Fassungen, wird meist
die linke Hand eines als Standard angesehenen kushaura-Parts gespielt, aus der die charakteristische
Akkordprogression hervorgeht. Dies entspricht Aroms sog. ‚immanentem’ oder ‚konkretem’ Modell
(1991 a:226). Allerdings ist ein solches nicht von allen Musikern und für alle Stücke zu ermitteln:
Stattdessen wird manchmal auch der komplette Anfang einer kushaura-Periode gespielt, um ein
Stück zu verdeutlichen, ein Hinweis darauf, dass die betreffende Komposition nicht zuletzt mit einem
spezifischen motiorhythmischen Pattern oder sogar einer konkreten Gesamtgestalt in Form eines
Standard-kushaura verknüpft ist, so dass dann von verschiedenen Informanten weitgehend
identische kushaura-Parts vorliegen. Würde ein solcher kushaura tatsächlich bis zum Ende der
Darbietung unverändert gespielt – was möglich, aber unüblich ist –, läge ein ‚materialisiertes’ (Arom)
Modell vor. In der Praxis wird ein Musiker jedoch häufig im Laufe des Spielens davon abweichen und
mindestens durch Variantenbildung auf Pulsebene oder auch durch andere, stärker die
Anfangsgestalt des Parts verändernde improvisatorische Techniken (s. die Liste in Kapitel 7) dieses
Modell verschleiern, man könnte auch sagen, unterschiedlich realisieren (Arom ebd.:175).
Folgende Bausteine – Nettl spricht von „building blocks“ (z. B. Nettl 1974) – stehen in der mbiraMusik zur Verfügung:
•
•
•
•
•
•
Akkorde aus Grundton, Quinte und Terz als kleinste Einheiten oberhalb der Ebene des
heptatonischen Tonsystems und des konkreten Ambitus der Instrumente;
aus solchen Akkorden zusammengesetzte zyklische Sequenzen, darunter in erster Linie die sog.
Standardsequenz und ihre ‚Transpositionen’ als harmonische Basis der Mehrzahl der Stücke;
harmonische Sonderfälle mit spezifischen Unterschieden zur Standardsequenz, die dabei den in
Kapitel 5 dargestellten Prinzipien wie Konvergenz, Elision, Rückung, etc. folgen; [260]
eine klare temporale Struktur mit – fast ausschließlich – drei Pulsen pro Beat und fester
Periodenlänge von meist 48 Pulsen;
ein Vorrat motiorhythmischer Patterns, die für den Ausführenden selbst einen systematischen
Einsatz der Spielbereiche zeigen und gleichzeitig eine jeweils charakteristische auditive Resultierende bilden; 1
eine typische Ensemblebildung von zwei sich ergänzenden und kontrastierenden mbira-Parts mit
hosho-Begleitung und optionalen weiteren Stimmen (Klatschen, Gesang).
Als komponiert kann bei einem namentlich benannten Stück die Kombination einer spezifischen
harmonischen Progression mit einem – manchmal zwei – motiorhythmischen Patterns gelten. Von
modellhaften Fassungen eines kushaura-Parts abweichende Versionen, die andere Akkordtöne
hervorheben – was andere Melodielinien zur Folge hat – und andere motiorhythmische Patterns
aufweisen können, bewegen sich emisch gesehen an der Grenze zwischen individueller, aber von
anderen Musikern noch als die betreffende Komposition akzeptierter Version und einer
Verselbständigung hin zu neuen Stücken, wobei eine vollkommen neu geschaffene, nicht zum
tradierten Repertoire gehörige Komposition intrakulturell kein hohes Ansehen genießt. Wohl werden
aber neue Versionen alter Stücke akzeptiert, wenn der Bezug noch erkennbar ist und sie daher das
tradierte Material nicht in Frage stellen, sondern in anderem Gewande zeigen.
1 Zu neurologischen Aspekten und Modellen motorischer Kontrolle und trainierter Handlungsabläufe im Zusammenhang
mit Improvisation s. Pressing 1988.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zusammenfassung
In improvisatorischer Hinsicht steht den Musikern eine Palette zwischen zyklischer Repetition
und beständigem Variieren über Zyklus‚grenzen’ hinweg zur Verfügung. 2 An Bausteinen sind hier zu
nennen:
•
•
•
•
das Prinzip harmonischer Äquivalenz von Akkordtönen,
das Hinzufügen akkordfremder Töne, [261]
das Prinzip harmonischer Ambiguität,
das Rekurrieren auf Konstanten.
Diese Vorgaben werden intrakulturell nicht verbalisiert, sondern sind aus der vergleichenden
Analyse verschiedener Versionen abzuleiten. Sie bilden damit in gewisser Weise ein im Hintergrund
wirkendes, ‚theoretisches’ (Arom) Modell. Es wird durch deren Anwendung aber nicht ein emisch
gesehen letztlich immer gleiches Gebilde improvisatorisch ausgeformt wie beim ālāpana eines bestimmten rāga und seinen melodischen Charakteristika, sondern es sind hier Stilmerkmale und
Optionen, die bei der Darbietung von Kompositionen – und zwar grundsätzlich bei allen – zum Tragen
kommen können und deren letztendliche Gestalt bestimmen.
Desgleichen handelt es sich – außer bei den deszendenten Linien der rechten Hand und
manchen Basslinien in kutsinhira-Parts – auch nicht um ein Impro-visieren über eine Akkordfolge wie
im Jazz, die harmonische Progression wird vielmehr in einer konkreten Weise realisiert, so als würde
etwa im Jazz ein vorgegebenes Akkordschema ad hoc in konkrete voicings umgesetzt. Ob es sich
dabei um ein Extemporieren handelt, lässt sich am besten aus der Perspektive eines Eingeweihten
ermitteln, an den die Frage zu stellen wäre, inwieweit der jeweils nächste Ton für ihn vorhersagbar
ist. Dies wäre in der mbira-Musik z. B. bei einem kutsinhira nach dem Echoverzahnungsverfahren der
Fall, sofern dieser Part streng durchgehalten und nicht variiert würde – was in der Praxis aber nicht
typisch ist – oder bei einem bloßen Aneinanderreihen verschiedener, ansonsten aber unverändert
gespielter Fassungen eines Parts. Auch hier gilt aber, dass ein solcher abrupter Wechsel etwa von
einer Version mit ‚LR’- zu einer mit ‚6er’-Pattern oder Ähnliches zwar möglich, aber nicht gerade
üblich ist. Ein echtes Extemporieren ist also für die mbira-Musik nicht charakteristisch.
Ein versierter Musiker wird vielmehr immer bemüht sein, innerhalb des vorgegebenen Rahmens
für Abwechslung zu sorgen. So wie man dem Vernehmen nach einen südindischen Trommler nicht
zuletzt an seinen ‚mathematischen’ Fähigkeiten misst, seine Formeln geschickt in die tāla-Periode
einzubauen 3, so könnte man die Kunst eines mbira-Spielers u. a. darin sehen, wie geschickt er [262]
den Rahmen des harmonischen Gerüsts auszufüllen vermag und dabei unter Ausnutzung der Mehrdeutigkeit von Tönen etc. neue Farben und Zusammenklänge erzeugt, ohne die Komposition in Frage
zu stellen.
Anders als im javanischen garap(an)-Verfahren, wo im balungan-Part die melodische Essenz der
Komposition steckt, die gleichzeitig selbst erklingt und die Vorgabe für andere Parts darstellt, liegen
einem mbira-Stück Akkorde zugrunde, die selber bereits unterschiedlich realisiert werden können
(wie voicings im Jazz). Es gibt zwar standardisierte, geronnene Fassungen der Kompositionen; sie
müssen aber nicht bei allen Musikern gleich sein: Typisch sind auch hier schon Unterschiede, vergleichbar etwa mit der unterschiedlichen Darbietung eines rāga je nachdem, welcher ‚Schule’ der
betreffende Musiker entstammt.
2 Letzteres bezeichnet Arom als „free improvisation“ (1991 a:298), eine vielleicht etwas missverständliche Formulierung,
solange man nicht klarmacht, in welcher Hinsicht der Improvisierende ‚frei’ ist. Bei Arom ist das besagte Fehlen einer
Bindung an Periodenlängen gemeint. Im Übrigen gibt es ‚vollkommene’ Freiheit nicht einmal im Free Jazz.
3 Persönliche Mitteilung von J. Kuckertz.
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Zusammenfassung
Für eine frühe Beeinflussung der traditionellen Shona-Musik durch europäische Vorbilder, die
zur Herausbildung von Akkordsequenzen als harmonischer Basis der mbira-Stücke beigetragen haben
könnten, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Heute ist jedoch der Trend zu beobachten, dass
zimbabwische Musiker aus dem urbanen Milieu traditionelle mbira-Kompositionen im neuen
Gewande einer Instrumentierung darbieten, die neben den üblichen Lamellophonen aus elektrischen
Gitarren und Bässen, Synthesizern, Schlagzeug, usw. besteht – kurz: aus Instrumenten, die der
‚westlichen’ Popularmusik entlehnt sind. Typischerweise übernehmen die Saiteninstrumente hier
entsprechend ihrer Lage die mbira-Linien der tiefen, mittleren oder hohen Oktave, das Schlagzeug
ergänzt bzw. doppelt die hosho-Rasseln und markiert Pulse und Beat. Die mbiras sind meist nur zu
Anfang der Stücke deutlich hörbar, sie werden bald durch die dann hinzutretenden anderen
Instrumente überdeckt. Das Repertoire solcher Ensembles 4 umfasst dabei nicht nur auf mbiraKompositionen beruhende Stücke, sondern zum Teil auch solche, deren Vorbild die Popularmusik
benachbarter Länder ist (vor allem aus Südafrika und Kongo). Im heutigen Zimbabwe koexistiert die
traditionelle Art und Weise des Musizierens auf der mbira mit der urbanen Form, bei der sie im
Kontext elektrisch verstärkter Instrumente eingesetzt wird. Es ist – zumindest derzeit – nicht ersichtlich, dass das ältere Idiom durch das neuere ersetzt würde. Der Grund hierfür ist sicherlich darin zu
sehen, dass die [263] traditionelle Musik nach wie vor in enger Verbindung mit der religiösen Praxis
(bira etc.) steht und zudem im Zusammenhang mit dem Streben nach nationaler Unabhängigkeit
(chimurenga) zu einem Emblem traditioneller Shona-Kultur insgesamt geworden ist, während die
Popularmusik zwar auch auf dem Land gehört wird, aber schon aus praktischen Gründen (Stromversorgung, teure Importinstrumente, etc.) vorerst an das städtische Musikleben gebunden bleibt.
Der Umgang mit harmonischen Progressionen in Form von zyklischen Akkordsequenzen, der
systematische Einsatz von Bewegungsmustern, die zu hörbaren rhythmischen Patterns führen, die
kreative Nutzung dieser Mittel im Zuge der Performance und der dabei erfolgenden variierenden
Ausgestaltung der überlieferten Stücke: Die Gestaltungsprinzipien der mbira-Musik bieten der
Musikforschung ein faszinierendes Terrain und wie an mehreren Stellen im Text deutlich wurde,
bleiben nach wie vor eine Reihe von Fragen offen, denen noch nachzugehen sich lohnen wird. Wie
sich gezeigt hat, spielt der Performance-Aspekt schon deshalb eine wichtige Rolle, weil es beim
Musizieren nicht allein um die Produktion des auditiv erfassbaren Klangresultats geht. Die
Patternbildung mit ihren strukturierten motionalen Abläufen macht es erforderlich, diese Musik nicht
als ein bloßes Klangphänomen zu untersuchen. Insgesamt gesehen besteht das A und O der Kunst
des mbira-Spiels darin, eine Balance zwischen Ambiguität und Ordnung zu schaffen, überlieferte
Kompositionen auf immer wieder neue Weise darzubieten und so die Tradition lebendig zu halten.
[264]
4 Beispiele hierfür sind etwa die Ensembles von Stella Chiweshe und Thomas Mapfumo sowie die Gruppe Black-I-Tes.
[265] Summary: The Art of Mbira Playing
Despite Paul Berliner’s comprehensive book on Shona mbira music (Berliner 1981) and several
publications by Andrew Tracey (among others 1970 a, b, 1989) this musical idiom still deserves further investigation. Klaus-Peter Brenner’s recent monograph (Brenner 1997) has shown how a closer
look at the acoustical properties and the playing technique of the Shona mouth bow called chipendani may allow for a reconstruction of the evolution of the harmonic progressions which are the
hallmark of Shona and, thus, also mbira music. While Brenner also explores its (ethno-)mathematical
properties, the present study primarily aims at explicating the surface structure of mbira pieces as
well as the systematic use of “patterned movement” (John Baily) so typical of the art of mbira playing.
In order to elicit the principles governing musical practice, the musicians’ perspective is of central importance not only in the form of their verbal statements but also their musical performances.
Thus, both declarative as well as procedural knowledge can be elucidated. Adopting the role of mbira
student put me in a clearly defined position while at the same time yielding valuable information
pertaining to cognitive concepts of my teachers. It also gave me firsthand experience of the non-auditive aspects of mbira playing, namely the way in which motional patterns form an integral part of
this art.
The lamellophone mbira dzavadzimu, as it is sometimes called, is traditionally associated with
spirit possession rituals (bira) where spirits of ancestors (vadzimu) may speak through particular mediums who fall into trance (cf. Berliner 1981, Kaemmer 1998). Often, the favorite song of a particular
mudzimu is required to make him or her appear. Mbira pieces are, therefore, held in high esteem in
traditional Shona society but may also be played for private entertainment without changing their
musical structure.
The first one to shed light on this structure has been Andrew Tracey who developed the notion
of a “standard Shona chord sequence” (1970 a) forming the [266] harmonic basis of many pieces. 1
He claimed that these chords, consisting of a root, a fifth, and an optional third, may appear in any
inversion and octave position and are organized in cycles of 48 pulses which can be grouped into four
sections. According to Tracey the basic progression taking the form 1 3 5 1 3 6 1 4 6 2 4 6, where
each number represents the root of a fifth with 1 correspon-ding to the lowest note on the mbira,
may be transposed to all seven degrees of the Shona heptatonic scale. Particularly the harmonic ambiguity of the progressions as far as their relation to (hypothetical) tonal centers is concerned has
prompted Tracey to speak of the “kaleidophonic nature” (Tracey 1970 b) of mbira music. Surprisingly
little progress regarding the musical structure of mbira music has been achieved by later scholars like
Robert Kauffman (1970), John Kaemmer (1975), and even Paul Berliner (1978, ²1981) when comparing their findings to Tracey’s analyses. New impulses came from Gerhard Kubik tracing the Shona
chord sequence to upper partials played on a mouth bow (Kubik 1988). Recently, Klaus-Peter Brenner
has shown how a combination of chords played by two zvipendani mouth bows a fourth apart may
result in Tracey’s “standard sequence” (Brenner 1997). Contrary to Tracey’s and Berliner’s procedure
of claiming one or more tonal centers for each mbira piece, it seems advisable to disentangle the
structural and the cognitive or perceptual domain for the time being.
At this point, the issue of the nature of the Shona tonal system needs to be addressed. Does
shifting a chord sequence result in its transposition or does it imply a modal shift? Brenner has convincingly demonstrated how harmonic progressions originally played on the chipendani mouth bow
1 For a more extensive discussion of several aspects of mbira music in English cf. Grupe 1998 a.
Grupe: The Art of mbira-Playing
Summary
may have formed the basis for today’s mbira sequences. Deriving the mbira tuning from the harmonics of a vibrating string entails a scale more or less close to a c-mode. However, contemporary
mbiras show tunings which are characterized by ‘elastic scales’ (Kubik) in that their intervallic structure differs not only from one instrument to the next but also within one instrument when comparing its three octaves. A process of ‘tempering’ the original tuning derived from the mouth bow may
have resulted in the diverse tunings found today (cf. Brenner 1997). The musicians judge a specific
mbira not only on the grounds of its intervallic structure but also of its sound. When switching to
another instrument they [267] usually stick to the motional pattern of the particular piece although
the auditive result may be quite different. When shifting a piece to another degree, which is not the
one usually associated with it, sometimes qualifiers are added to its title. Although there is evidence
for an intracultural differentiation of the various ways how a piece may sound, there is no real proof
for a modal system. Rather, the seven scale degrees while not being truly equidistant seem to be
treated, nevertheless, as functionally equivalent, their specific intervallic distance being ‘only’ important in the sense that the tuning contributes to the particular sound of that instrument and its special
over-all ‘timbre’. Tunings are, thus, a matter of esthetic judgments on behalf of a musician which may
differ from one to another. Therefore, the various tonal manifestations resulting from shifting the
basic chord sequence to other degrees are subsumed under ‘transpositions’ in the present study
without assuming an equidistance.
The basic temporal organization of a piece may be described as a cycle of 16 beats with a ternary
subdivision resulting in 48 smallest time units or pulses per cycle. Corroborating Tracey’s findings, the
standard harmonic progression, indeed, consists of four sections of three chords each where a chord
is made up of a root and the fifth with an optional (secondary) third. Any inversion and octave position is possible. The basic line-up using Arabic numerals to notate these roots looks like this:
135 136 146 246
In order to facilitate the discussion of individual pieces especially when ‘transpositions’ of the
standard chord sequence come into play, both the shift position in relation to the lowest note on the
mbira representing degree 1 of the tonal system and the temporal position of a particular chord
within the cyclical sequence can be expressed as a combination of two numbers, one Latin, the other
one Arabic. Thus, VII6 designates a standard chord sequence transposed to the 7th degree starting
with the 6th chord in relation to the basic line-up shown above. Since an analysis of pieces or parts
requires a synoptic notation which should also visualize the tonal range, it seems appropriate to use
Western staff notation if the notion of ‘elastic scales’ is kept in mind. Therefore, instead of numerals
Western note names may be employed as well. [268]
shift
position
VII
VI
V
IV
III
II
I
B
A
G
F
E
D
C
D
C
B
A
G
F
E
F
E
D
C
B
A
G
B
A
G
F
E
D
C
D
C
B
A
G
F
E
G
F
E
D
C
B
A
B
A
G
F
E
D
C
E
D
C
B
A
G
F
G
F
E
D
C
B
A
C
B
A
G
F
E
D
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11 12 temporal
position
The standard progression and its ‘transpositions’
E
D
C
B
A
G
F
G
F
E
D
C
B
A
Grupe: The Art of mbira-Playing
Summary
Although there are no fixed starting points for these cycles, making musicians formally teach a
specific part (called kushaura for the basic or starting part and kutsinhira for the second or contrasting one) allowed for insights into how they conceive of these sequences. In many cases a certain
segmentation is shared by different musicians suggesting a prominence of the particular starting
chord. By no means does this apply to all parts, however, thus underscoring Tracey’s notion of ‘kaleidophonic’ ambiguity.
When comparing the tonal material of adjacent chords with respect to their three chord notes, it
becomes apparent that they share certain notes while always some notes are excluded at a certain
position in the sequence. Looking at the standard sequence demonstrates this trait which is of course
valid for all its ‘transpositions’. In each segment or section two notes are excluded no matter how the
segmentation is applied. To be sure, this ‘rule of exclusion’ should not be interpreted as completely
prohibiting the use of non-chord tones which will be discussed presently.
1/3/5 3/5/7 5/7/2
4 and 6 excluded
1st section:
nd
2 section:
1/3/5 3/5/7 6/1/3
2 and 4 excluded
1/3/5 4/6/1 6/1/3
2 and 7 excluded
3rd section:
4th section:
2/4/6 4/6/1 6/1/3
5 and 7 excluded
[269]
These affinities between adjacent chords render any notion of a strict ‘harmonic rhythm’ (Berliner) questionable. Rather, the principle of a harmonic ambiguity of chord tones is an essential structural feature of mbira music where each chord forms sort of a tonal ‘gravitational center’ which becomes fuzzy towards its ‘borders’ because a given tone may be interpreted as belonging to either of
two adjacent chords.
If Western staff notation is used in such a way that the lowest tone on a mbira is notated as C2
the combination of a treble and a bass staff allows for the mbira’s three octave range splitting up into
left and right hand parts. It is only one lamella plucked by the right thumb which produces a note
best notated in the bass staff. In the present study the pulsation is marked by small vertical lines
above the staff with longer ones for the beat position. In the musical notations small noteheads are
used for variations with round heads indicating individual alternatives and diamond shaped ones
indicating notes belonging together. Due to the potential harmonic ambiguity of tones, the dashed
barlines are mainly supposed to facilitate reading. As far as motional aspects are concerned, a tablature (cf. Knight 1973) is more suitable to appropriately visualize what is going on in playing a mbira.
Four playing areas need to be differentiated 2:
•
•
•
•
the bass manual plucked by the left thumb (labeled LU in the tablatures)
the upper left manual also plucked by the left thumb (labeled LO)
the right manual as far as it is plucked by the right thumb (labeled RD)
the right manual as far as it is plucked by the right index finger (labeled RZ)
The motional domain has long been an issue in scholarly writings on African music (cf. Hornbostel 1928, Blacking, 1955, 1961, Kubik 1979; cf. also Baily 1985). Regarding lamellophone music, A.
Tracey has referred to a possible difference between “player- and listener-image” (Tracey 1961) and
pointed out “the importance of the motor pattern” (Tracey 1970 a). In fact, the systematic use of the
four playing areas in the form of elaborate motional patterns appears to be a typical feature espe2 The following labels are based on German abbreviations.
Grupe: The Art of mbira-Playing
Summary
cially of most kushaura but also, at least temporarily, [270] of many kutsinhira parts. While eluding
observation by a listener, this aspect of mbira playing forms an integral part of the performance
when viewed from the musician’s perspective. In this respect, it is introspective and self-referential.
Patterns may be generated by alternating not only between the two hands but also within the part of
one hand, for instance between the left hand manuals, by omitting the lower left one, or more generally by employing the four areas in a specific order. Since these ‘fingerings’ also result in perceivable rhythms the motional and the rhythmic dimension combine in what can be called motionalrhythmic patterns.
There are basically two different types of these patterns. While some support the beat, others
tend to mask or veil it, especially when the tonal arrangement of notes is built on binary or quaternary figurations which contrast to the basic ternary subdivision of the beat, which may be materialized by a pair of hosho rattles, but may also be merely in the mind of the musician forming a mental
grid of reference.
The large range of the instruments is conducive to the development of what Kubik calls ‘inherent
patterns’ and has elsewhere been termed ‘parsing’ or ‘auditory streaming’ (cf. Wegner 1993, Bregman 1990). In a typical ensemble setting, where at least two mbiras play together, this effect will be
further enhanced because of their same register, sound, and interlocking melodic lines. While usually
the kutsinhira part is different from the kushaura, there are some pieces where the former mainly
consists of a duplication of the latter one pulse later. This practice can be described as ‘echo interlocking’ and is called kupesanisa by some musicians. In comparison to the harmonic progression of
the pieces, two specific surface phenomena must be addressed that tend to overlay and, thus, disguise the basic chord sequence, namely the substitution of the second scale tone which is missing in
the mbira’s lower octave and is usually replaced by either the lowest tone or its counterpart one octave higher, and secondly the use of one and the same lamella at fixed positions throughout the
complete cycle even where it results in a non-chord tone, thus producing a tonal constant. This applies particularly to kutsinhira parts which often do not adhere to the underlying chords as much as a
kushaura. Otherwise, non-chord tones are typically the result of descending melodic lines played by
the right hand. [271]
Apart from supplying the regular beats, the hosho rattles also contribute both an important
amount of the ensemble’s over-all non-harmonic sounds as well as a specific phrasing which contrasts to the more or less evenly spaced, i. e. isochronous, attacks of the mbira(s). The microtiming of
the hosho is, thus, characterized by a certain amount of inflection (cf. Polak 1998).
From an analysis of mbira pieces that are not obviously based on the standard progression in
one of its forms, the following special phenomena can be derived:
•
•
•
•
A harmonic segment, for instance 1 3 6 1 4 6, may be repeated after shifting it by one degree, for example Shumba: F A D F B D E G C E A C
Compared to the standard sequence chords may be dropped completely (elision) while others are stretched in time (augmentation).
A special case of elision is encountered if dropping a chord results in two identical sections of
a piece (convergence).
In some instances there are “intercalary passing chords” (Tracey 1970 a) or other chords
which defy any direct derivation from the standard sequence because only a limited sample
of pertinent pieces is available for comparison.
Considering the many different versions of compositions like Nhemamusasa or Bangiza, what
can be regarded as their essence? When musicians are questioned about what is common to all renditions of a particular piece, they usually play the left hand part of a kushaura which is considered to
Grupe: The Art of mbira-Playing
Summary
be a standard one, thus demonstrating its characteristic chord progression. This corresponds to what
Arom has termed an ‘immanent’ or ‘concrete’ model (1991 a:226). However, it cannot be obtained
from all musicians and for all pieces. Instead, in some cases the beginning of a complete kushaura
cycle is played in order to elucidate a piece indicating that the particular composition is connected
with a particular motional-rhythmic pattern. In some cases, a certain kushaura is associated with a
piece to such an extent that renderings by different musicians yield more or less identical versions. If
such a kushaura were to be repeated unchanged until the end of a performance – which would be
possible but uncustomary – one could speak of a ‘materialized’ (Arom) model. In general practice,
however, a musician will deviate from it during his or her performance by at least introducing [272]
variants in the form of tones which are harmonically equivalent or by other improvisatory means
which modify the kushaura’s original gestalt more strongly, thus veiling the model or realizing it in
different ways (Arom 1991:175).
The following “building blocks” (Nettl 1974) are at the musician’s disposal in mbira music:
•
•
•
•
•
•
chords consisting of root, fifth, and third form the basic units above the level of the heptatonic tonal system and the instruments’ actual gamut;
cyclical sequences of such chords with the so-called standard sequence and its ‘transpositions’ forming the harmonic basis of the majority of the repertoire;
harmonic progressions with specific differences from the standard sequence based on principles like convergence, elision, shift, and others;
a clear-cut temporal structure consisting of almost exclusively three pulses per beat and a
fixed cycle length of 48 pulses;
a stock of motional-rhythmic patterns based on the systematic use of the mbira’s four playing areas while at the same time yielding a characteristic rhythmic, i. e. auditive, resultant;
a typical ensemble comprising of two mbira parts complementing and contrasting each other
accompanied by hosho rattles and optional additional parts such as clapping and vocals.
Regarding a musical piece with a fixed name, the combination of a specific harmonic progression
with one or sometimes two motional-rhythmic patterns can be considered as composed. Other versions may differ from a model kushaura by emphasizing other chord tones resulting in alternative
melodic lines and by using other motional-rhythmic patterns. These renditions occupy a position
emically located on the border between individual versions of a composition, which are still acceptable to other musicians as valid ways of rendering a particular piece, and new independent ones.
Completely new compositions not belonging to the traditional repertoire are intraculturally not held
in high esteem, though. On the other hand, new versions of old pieces are accepted if their relation
can still be [273] perceived, thus not questioning traditional material but rather showing it in a different appearance.
As far as improvisation is concerned the musicians have a variety of options at their disposal
ranging from cyclic repetition to permanent variation across ‘limits’ of these cycles. The following
building blocks are at work in mbira music:
•
•
•
•
the principle of harmonic equivalence of chord tones,
the addition of non-chord tones,
the principle of harmonic ambiguity,
the employment of tonal constants.
Grupe: The Art of mbira-Playing
Summary
Although these concepts are not verbalized intraculturally, they can, nevertheless, be derived
from a comparative analysis of different versions. In a way, they form what Arom calls a ‘theoretical’
model operating in the background. Contrary to the ālāpana of a particular rāga with its characteristic melodic traits, where a musical entity is formed in the improvisational process which from an emic
perspective is basically the same during each performance in that it is supposed to bring out the essence of the rāga, in mbira music there are stylistic features and options which take effect in the
performance of virtually all compositions and determine their final shape.
Likewise, compared to jazz there is no improvising upon a chord progression in mbira music except for the descending melodic lines of the right hand and the bass lines of some kutsinhira parts,
but rather a certain way of realizing the harmonic progression as in the case of creating voicings out
of a given chord sequence (changes) in jazz. Whether this should be considered extemporization as
opposed to ‘true’ improvisation (cf. Kaden 1993) can best be determined by adopting an insider’s
perspective in establishing the degree to which notes are predictable. In the case of a kutsinhira
created by echoing the given kushaura (a technique termed ‘echo interlocking’ by the present author) the result is definitely predictable if the kutsinhira is strictly adhered to with no variations
added – which is rather untypical, though. Also simply lining up different renditions of a part which
employ various motional-rhythmic patterns but otherwise remain unaltered will produce predictable
results. However, such an [274] abrupt change say from a version with a ‘left-right’ pattern, i. e.
alternating hands, to a ‘six-pulse’ pattern would be possible but rather uncustomary. True extemporization is, therefore, not characteristic of mbira music.
An accomplished musician will always try to provide for variety within the given idiomatic frame.
Just like a South Indian drummer in Carnatic music is said to be judged not least by his ‘mathematical’
abilities in fitting his patterns into the given tāla cycle, so the art of a mbira player among other
things lies in skillfully filling the harmonic frame and taking advantage of the ambiguity of tones, thus
producing new sounds and sonorities without transgressing the composition.
Contrary to Javanese garap(an) techniques where the balungan part representing the composition’s melodic essence is played itself and at the same time serves as the guideline for the construction of other parts, the chords of mbira pieces may already be realized in different ways like voicings
in jazz. There are standardized fixed versions of compositions but they need not be the same with
different musicians. Usually there will be differences comparable to the various renderings of a rāga
depending on which ‘school’ an artist stems from.
There is no evidence for an early influence of European models on traditional Shona music which
might account for the development of chord sequences as the harmonic basis of mbira pieces. Today,
however, urban based Zimbabwean musicians tend to transfer traditional mbira compositions into
the new context of an instrumentation which apart from the traditional lamellophones depends primarily on instruments borrowed from Western popular music like electric guitars and bass, synthesizers, drum kit, etc. According to their registers guitars and bass usually take over the mbira’s melodic lines while the drum kit adds to, complements, or replaces the hosho rattles and marks pulses
and beats. In most instances, the mbiras can only be heard clearly at the beginning of the pieces
since they are drowned out more and more when the other instruments come in. The repertoire of
ensembles like those of Thomas Mapfumo and others comprises not only pieces based on mbira
compositions but also others from the popular musics of neighboring countries like South Africa and
the Kongo. In present day Zimbabwe, the traditional way of mbira playing coexists with the urban
form of employing it in the context of electrically amplified musical instruments. At the [275] moment, there is no evidence for a general replacement of the older idiom by the newer one, surely
because traditional Shona music is still closely connected with religious practices (bira, etc.) and has
developed into an emblem of traditional Shona culture during the struggle for national independence
(chimurenga). Popular music, while also circulating in the countryside, is still mainly linked to the
Grupe: The Art of mbira-Playing
Summary
urban music scene, not least due to practical reasons like the availability of a power supply for electric instruments, expensive equipment, etc.
The use of harmonic progressions in the form of cyclic chord sequences, the systematic application of motional patterns which result in audible rhythmic patterns, the creative employment of
these devices in the course of performance and its varying ways of rendering traditional pieces: The
principles governing the art of mbira music offer a fascinating field of study for musicological research and at several points in this book it has become apparent that a number of questions still remain which await further investigation. As has been pointed out, the structured motional patterns
require to explore this music not as a sound phenomenon alone, since the performance on the mbira
cannot be reduced to the sound it produces. All in all, the essence of the art of mbira playing lies in
creating a balance between ambiguity and order, in rendering traditional compositions in ever new
ways, thus keeping tradition alive. [276]
[277] Glossar
Nur solche Termini sind hier aufgeführt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Thema der
Arbeit stehen und von meinen Informanten selbst verwendet oder von ihnen auf Nachfrage bestätigt
wurden (vgl. auch Tracey 1970 b:25 und Berliner 1981). Die Schreibweise richtet sich – soweit möglich – nach Hannan (1984). Dort nicht enthaltene Stichwörter sind mit * markiert.
bira
bridge
buri
cheni*
chikwitso*
chimbo
chirata
chivharo
(Pl. mabira/mapira): Ahnenverehrungszeremonie
(Engl., kein chiShona-Begriff bekannt): Steg
Loch im Korpus, durch das der rechte kleine Finger gesteckt wird
(< Engl. chain): Kette, an der die mbira getragen oder auf-gehängt wird
Gefäßrassel aus floßförmig angeordneten Bambusröhren
Stück (im musikalischen Sinn)
Metallteil, an dem die Rasselkörper befestigt sind
das obere Teil von etwas, hier: Kronkorken (Engl. bottle tops), die als Rasselkörper
verwendet werden
demhe
Kalebassenresonator
deze
Kalebassenresonator
dzepamusoro
(< pa: Lokativ + musoro: die oberen) hier: die Zungen im L-Manual
gwariva
massiver Korpus einer mbira (Engl. sound board)
gwenyambira*
(< kukwenya: kratzen): mbira-Spieler(in)
hosho
Gefäßrassel, normalerweise paarweise gespielt
hota
Samen der Blumenrohrstaude (bot. Canna, bevorzugtes Füll-material für hosho)
kubanda
seltener für: (mbira) spielen (wörtlich: zermahlen, zermal-men)
kukwenya
seltener für: (mbira) spielen (wörtlich: kratzen)
kupesana
(über mbiras:) unterschiedlich gestimmt sein
(über Musiker bzw. Parts:) nicht korrekt zusammenspielen [278]
kupesanisa
(< kupesana: sich unterscheiden, nicht übereinstimmen + Kausativ- bzw. IntensivInfix -is-) hier: in Echoverzahnung spielen
kuridza
spielen
kushaura
die Hauptstimme singen oder spielen; hier: Basispart im Ensemblespiel
kutsinhira
einen zweiten Teil hinzufügen; hier: ergänzender zweiter Part im Ensemble
kuwirirana
richtig zusammenspielen (wörtlich: sich in Übereinstimmung befinden)
mabhesi*
(< Engl. bass): die Zungen im B-Manual (Mukwesha)
mabvumira
hier: die Zungen im B-Manual (Mujuru)
machekademe* (< kucheka: schneiden + demhe: Kalebasse) mbira-Spie-ler(in)
machekahosho* (< kucheka: schneiden + hosho: Rassel) hosho-Spieler(in) (Mukwesha)
(ma)gandanga
Bezeichnung für eine bestimmte mbira-Stimmung (wörtlich: Barbar, Wilder;
Rebell)
majaka
Resonator inkl. Rasselkörper
maridzambira*
(< kuridza: spielen): mbira-Spieler(in)
maShona
(Pl. Kl. 6 statt Kl. 2 va-) Shona (Personen, chiShona-Spre-cher)
matena*
(< Engl. tenor): die Zungen im R-Manual (Mukwesha)
maZezuru
(Pl. Kl. 6 statt Kl. 2 va-) Zezuru (Personen, chiZezuru-Sprecher)
mbira dzavadzimu (< Sg. mudzimu: Ahnengeist) „mbira der Ahnen“
mbira huru
„große mbira” andere Bezeichnung für die mbira dzavadzimu
mbira idzi
alle Lamellen
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
mbira iyi
mubvamaropa
mukwa
muriranyenje
muShona
mutanda
mutsigo
muZezuru
nhare*
nhauri*
nheuri*
nyanzvi
rumbo
ruoko
rwiyo
rwumbo
steps/stages
tsanga
vasikana
[280]
Glossar
eine Lamelle
bleeding tree (bot. Pterocarpus angolensis): bevorzugte Holz-sorte für Korpus
anderer Name für mubvamaropa, lt. Ch. Mhlanga kein chiShona, sondern ein
Lehnwort (mukwakwa ist im chiKaranga und chiKorekore der Name für einen
kleinen Baum, bot. Strychnos madagascariensis) [279]
Holzsorte (bot. Albizia antunesiana), Ersatz für mukwa/ mubvamaropa
ein(e) Shona
Druckstange (Engl. pressure bar)
Stock, der die mbira im Resonator fixiert
ein(e) Zezuru
hier: andere Bezeichnung für die mbira dzavadzimu (wört-lich: Eisen)
Name der Lamelle L1 laut Ch. Mhlanga
die Zungen im L-Manual + R1 (Mujuru)
jmd., der etwas gut macht, ein Experte (z. B. ein Musiker)
Stück (im musikalischen Sinn)
hier: die individuelle Spielweise eines Musikers (wörtlich: Hand)
Stück (im musikalischen Sinn)
Stück (im musikalischen Sinn)
(Engl., kein chiShona-Terminus vorhanden): Formteile
Rohr (bot. Phragmites mauritianus, bevorzugtes Material für mutsigo)
hier: die Zungen im R-Manual außer R1 (Mujuru; wörtlich: Mädchen)
[281]
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1985 Roots Rocking in Zimbabwe, Gweru
Grupe: Die Kunst des mbira-Spiels
Quellenverzeichnis
Tonträger
Tonträger, auf die im Text Bezug genommen wird:
Black-I-Tes
• MC Black-I-Tes: Mabweadziva (L4 RTLP 22, o. J.)
Chiweshe, Stella Rambisai
• CD Ambuya? / Ndizvozvo (Piranha pir 7, 1989)
• CD Chisi (Piranha pir 27 cd, o. J.)
• CD Kumusha (Piranha pir 42-2, 1990)
Mapfumo, Thomas
• CD The Chimurenga Singles 1976-1980 (Shanachie SH 43066, 1989) [300]
• CD Shumba (Earthworks/Virgin CDEWV 22, 1990)
• CD Ndangariro (Shanachie 44012, 1991)
• CD Chamunorwa (Mango 162 539 900-2, 1991)
• CD Vanhu Vatema (Zimbob TMBU 14, 1994)
Einige ausgewählte weitere Tonträger mit mbira-Musik:
• CD Zimbabwe. The Soul of Mbira (Nonesuch 7559-72054-2)
• CD Zimbabwe. Traditional Mbira Musicians & Kevin Volans Ensemble (Network 52.990)
• CD Mukwesha nema Gwenyambira: Matare (Shava CD004-2)
Videos
• Stella Chiweshe: Rambisayi. Music of the Ancestors (Mbira Production, 1990)
• Xhosa Music, aufgenommen von Dave Dargie 1985, publiziert im Selbstverlag, München 1993.
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