Professionelles Management von Stiftungen

Transcription

Professionelles Management von Stiftungen
Professionelles Management von Stiftungen
GEMEINSCHAFTSDISSERTATION
der Universität St. Gallen
Hochschule für Wirtschafts-,
Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)
zur Erlangung der Würde eines
Doktors der Wirtschaftswissenschaften
vorgelegt von
Niklas Lang
aus Deutschland
und
Peppi Schnieper
von Sempach (Luzern)
Genehmigt auf Antrag der Herren
Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm
und
Prof. Dr. Peter Gomez
Dissertation Nr. 3168
Difo-Druck GmbH, Bamberg 2006
II
Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne
damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.
St. Gallen, den 17. Januar 2006
Der Rektor:
Prof. Ernst Mohr, PhD
Erklärung des Rektors
III
Erklärung des Rektors
An der Universität St. Gallen besteht für Kandidaten der Wirtschaftswissenschaften
unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, Gemeinschaftsdissertationen zu
verfassen. Geeigneten Kandidaten soll damit die Gelegenheit geboten werden, in
Teamarbeit grössere Forschungsprojekte durchzuführen, welche die Möglichkeiten eines
einzelnen Forschers übersteigen. Der Beitrag jedes beteiligten Kandidaten muss dabei
soweit möglich ersichtlich gemacht werden können und den Anforderungen einer
Einzeldissertation entsprechen.
Die Kommission für Dissertationen der Universität St. Gallen hat an ihrer Sitzung vom
17. Januar 2006 die vorliegende Arbeit von
Herrn Niklas Lang
und
Herrn Peppi Schnieper
als Gemeinschaftsdissertation gemäss Art. 14 der Promotionsordnung für das Doktorat
der Wirtschaftswissenschaften vom 16. Mai 1994 angenommen. Ich erkläre hiermit, dass
die obengenannten - Herr Niklas Lang und Herr Peppi Schnieper - damit die Anforderungen, welche die Universität St. Gallen bezüglich des Verfassens einer Dissertation
stellt, vollumfänglich erfüllt haben und den Doktoranden mit Einzeldissertation in jeder
Beziehung gleichgestellt sind. Nach erfolgter Promotion haben sie das Recht, den Titel
des Doktors Wirtschaftswissenschaften der Universität St. Gallen zu führen.
St. Gallen, 17. Januar 2006
UNIVERSITÄT ST. GALLEN
Der Rektor:
Prof. Ernst Mohr, PhD
IV
Erklärung des Rektors
Geleitwort der Referenten
V
Geleitwort der Referenten
Am 1.1.2006 sind in der Schweiz die neuen Bestimmungen zum revidierten
Stiftungsrecht in Kraft getreten. Der Gesetzgeber versucht dabei, die Gründung von
Stiftungen zu erleichtern, günstige Rahmenbedingungen für ein unternehmerisches
Verhalten von Stiftungen im Sinne von „Social Entrepreneurship“ zu schaffen, aber auch
Missbräuche zu unterbinden. Damit reflektiert diese Stiftungsrechtsrevision die
zunehmende gesellschaftliche Bedeutung von Stiftungen.
Im St. Galler Management-Ansatz bezieht sich Management traditionell nicht nur auf
Unternehmungen, sondern im Sinne von Hans Ulrich generell auf zweckorientierte
soziale Institutionen. Stiftungen sind solche zweckorientierten sozialen Institutionen,
wobei die Festlegung des Zwecks einer Stiftung im Vergleich zu einer Unternehmung
aus rechtlicher Sicht weit folgenreicher ist. Ein Blick in die Literatur zeigt allerdings,
dass bis jetzt nur wenige Arbeiten zum Stiftungsmanagement vorliegen. Dies überrascht,
da in einer Stiftung bisweilen sehr grosse Finanzvermögen zu bewirtschaften und für
gemeinnützige Anliegen nutzbar zu machen sind. Diese stiefmütterliche Behandlung
mag damit zusammenhängen, dass Stiftungen bis anhin noch weit mehr als
Unternehmungen als rein private „Wertschöpfungsveranstaltungen“ betrachtet worden
sind, obwohl die von der öffentlichen Hand zugestandene Steuerbegünstigung erheblich
ist.
Die wenigen vorliegenden Arbeiten zum Stiftungsmanagement greifen ausgewählte
Einzelaspekte des Stiftungsmanagements auf. Sie sind meistens konzeptioneller Natur
ohne systematischen empirischen Bezug und werden oft in Handbüchern und Kompendien publiziert, die höchstens ansatzweise eine integrierende Systematik aufweisen. Mit
anderen Worten: Bis heute finden sich kaum Arbeiten, die aus einer Managementperspektive die Tätigkeit von Stiftungen umfassend untersucht haben. Diese Lücke
bildet den Ausgangspunkt dieser Dissertation, die das Ziel verfolgt, einen hilfreichen
Bezugsrahmen für ein wirkungsvolles integriertes Management von Stiftungen zu
entwickeln.
Geleitwort der Referenten
VI
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Gemeinschaftsdissertation, die von
den beiden Autoren Niklas Lang und Peppi Schnieper verfasst worden ist. Die hohe Intransparenz des Stiftungssektors, die dementsprechend aufwendigen empirischen „Erschliessungsarbeiten“ zu diesem Sektor, der geringe theoretische Entwicklungsstand des
Forschungsfelds, das anspruchsvolle Forschungsziel der empirisch gestützten Erarbeitung eines systematischen Bezugsrahmens für ein wirkungsvolles Stiftungsmanagement
sowie die nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten bei einer sauberen Trennung und
Zuordenbarkeit der einzelnen Forschungsaktivitäten auf die einzelnen Autoren
rechtfertigen die Erstellung einer Gemeinschaftsdissertation. Die beiden Autoren Niklas
Lang und Peppi Schnieper haben während des gesamten Forschungsprozesses in
jeglicher Hinsicht (Systematik, Methodologie und empirische Arbeit, Literaturanalyse
usw.) intensiv zusammengearbeitet. Die abschliessende Verantwortung der Autoren für
die einzelnen Teile der Dissertation ist wie folgt aufgeteilt:
ƒ Kapitel 1, 7 und 13: beide Autoren
ƒ Kapitel 2 bis 6 und 8: Niklas Lang
ƒ Kapitel 9 bis 12: Peppi Schnieper
Es bleibt zu hoffen, dass die wertvollen Überlegungen der beiden Autoren vom
Stiftungssektor wohlwollend aufgenommen werden und so der Stiftungspraxis viele
nützliche Denkimpulse liefern können.
im Februar 2006,
Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm
Prof. Dr. Peter Gomez
Danke!
VII
Danke!
Im Laufe des Sommers 2002 wurden wir mit dem Thema "Stiftungsmanagement" konfrontiert. Wir, das sind Niklas Lang, der gerade sein erstes Doktorandensemester abschloss, und Peppi Schnieper, der damals mitten in den Prüfungsvorbereitungen für das
Lizentiat stand. "Stiftungsmanagement", für drei Jahre extern finanziert durch die Gebert
Rüf Stiftung, das waren die Eckdaten. Und nach gut drei Jahren, Ende 2005, konnten wir
die vorliegende Dissertation einreichen. Eine Gemeinschaftsdissertation, das ist, neben
dem Thema "Stiftungsmanagement", ebenfalls kein ausgesprochen "institutionalisiertes
Thema" an der HSG - die zweite Besonderheit dieses Dissertationsprojekts.
Beide Besonderheiten wären kaum zu bewältigen gewesen, ohne die Unterstützung zahlreicher Personen. An erster Stelle zu nennen sind unsere beiden Referenten, Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm und Prof. Dr. Peter Gomez. Johannes Rüegg-Stürm hat in vorausschauender Weise das innovative Potential des Themas bereits bei der ersten Anfrage der
Gebert Rüf Stiftung erkannt und die Gelegenheit "beim Schopf" gepackt. Während der
gesamten Projektlaufzeit konnten wir immer auf seine Denkanstösse, seine Erfahrung bei
empirischen Untersuchungen und seinen Rat in allen Forschungs- und manchen Lebenslagen zählen. Herzlichen Dank! Peter Gomez war für uns während der gesamten Zeit der
Arbeit im Forschungsprojekt und an der Dissertation eine wichtige Referenz. Seine prägnanten und zielführenden Fragen haben uns immer wieder zu vertieftem Nachdenken
und zur Reflexion angeregt. Er hat uns auch massgeblich unterstützt bei der Planung unseres Auslandaufenthaltes in den USA. Auch dafür ein herzliches Dankeschön. Sowohl
Johannes Rüegg-Stürm als auch Peter Gomez haben uns darüber hinaus die Möglichkeit
gegeben, als Assistenten am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen den
zweiten Teil unseres Lebensunterhalts zu verdienen - sie haben uns jedoch möglichst
viel Freiheit und "Freizeit" zum Forschen gelassen, was wir überaus geschätzt haben.
Und beide haben uns vorbehaltlos, aber dennoch kritisch-konstruktiv unterstützt bei
unserem nicht alltäglichen Vorhaben einer Gemeinschaftsdissertation.
Durch die Hilfe zahlreicher weiterer Personen wurde das Gelingen der vorliegenden Gemeinschaftsdissertation ebenfalls wirksam unterstützt. Dazu zählen insbesondere unsere
Interview- und Fallstudienpartner, ohne die wir den tiefen Einblick in die "black box"
Stiftung als Basis unserer Ausführungen zum Stiftungsmanagement und insbesondere
zur Entwicklung eines Foundation Excellence Cockpits nicht hätten erreichen können aber auch alle informellen Gespräche mit interessierten und interessanten Gesprächspartnern sind hier zu nennen. Eine weitere sehr fruchtbare Erfahrung konnten
VIII
Danke!
wir im Frühjahr/Frühsommer 2005 machen, als wir die Gelegenheit hatten, zwei der profiliertesten US-amerikanischen Wissenschaftler zum Thema „Stiftungen und ihr Management“ zu besuchen. Auch ihnen beiden, die unseren Anliegen sehr viel Zeit gewidmet
haben, gebührt unser aufrichtiger Dank: Prof. Helmut Anheier, PhD, vom Center for Civil Society der UCLA und Prof. Peter Frumkin, PhD, vom Hauser Center for Nonprofit
Organizations der John F. Kennedy School of Government der Harvard University. All
diese Aktivitäten wären nicht möglich gewesen ohne die bereits eingangs erwähnte
grosszügige finanzielle Unterstützung der Gebert Rüf Stiftung. Daneben konnten wir
auch auf die ideelle Unterstützung von Dr. Philipp Egger, Geschäftsführer der Gebert
Rüf Stiftung und dem Vorstand von SwissFoundations zählen. Vielen Dank!
Bedanken möchten wir uns auch bei allen Kolleginnen und Kollegen am IfB für
wichtige Impulse, kritisches Feedback aber auch für Sport und Spass neben dem
Forschen. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Forschungskolloquien unseres
Lehrstuhls, die immer wieder unser Reflexionsvermögen vor neue Herausforderungen
stellten. Einen besonderen Dank verdient hat unser Kollege Harald Tuckermann, der uns
diverse Berge rund um St. Gallen hoch- und runterhetzte - und uns darüber hinaus so
kritisches wie hilfreiches Feedback sowohl zur Vorstudie als auch zur Dissertation
gegeben hat.
Der grösste Dank gebührt jedoch unseren Eltern für ihre vielseitige Unterstützung und
dafür, dass Sie uns sowohl das Studium als auch die Promotion an der HSG ermöglicht
haben. Herzlich danken möchten wir in diesem Zusammenhang besonders Danielle
Deutsch und Angelika Lang, die sich intensiv - neben ihren beruflichen Tätigkeiten - der
(Tipp- und Grammatik-) Fehlerkorrektur gewidmet haben, und Prof. Dr. Norbert Lang,
der sowohl manche unserer Ideen aus sozialwissenschaftlicher Sicht kritisch hinterfragt
als auch umfassendes sprachlich-stilistisches Feedback gegeben hat. Ruth und Josef
Schnieper gebührt unser besonderer Dank dafür, dass sie uns für das Verfassen der Vorstudie und für das Schreiben der Dissertation ihr Ferienhaus im Tessin zur Verfügung
gestellt haben. Dieses "Rückzugsgebiet" bot uns eine so entspannte wie motivierende
Arbeitsatmosphäre. Vielen Dank Euch allen!
Verzichten auf so manche zweisame Stunde mussten während der Dissertationszeit Kamolmanee Sawing mit Niklas Lang und Danielle Deutsch mit Peppi Schnieper. Thank
you very much for your understanding and essential motivation!
im Februar 2006, Niklas Lang und Peppi Schnieper
Abstract
IX
Abstract
Stiftungen als gemeinnützige Institutionen sehen sich vielfältigen Herausforderungen ausgesetzt. Spezifische organisationsinterne wie -externe Besonderheiten von Stiftungen machen
das Management zu einer nicht-trivialen Aufgabe. In der vorliegenden Dissertation werden
die Herausforderungen des Stiftungsmanagements identifiziert, analysiert und die zentralen,
vernetzten Handlungsfelder strukturiert dargestellt und ausgestaltet.
Als Ausgangspunkt dient dabei eine Analyse des Stiftungskontextes auf der Makroperspektive ("Stiftungslandschaft"). Basierend auf dem zu Grunde liegenden sozial-konstruktivistisches Wissenschaftsparadigma wird anschliessend der Mikrokontext von Stiftungen systematisch aufgearbeitet, um die Voraussetzungen, Wechselwirkungen und Zusammenhänge
des Managements von Stiftungen zu erschliessen. Die umfassend angelegten qualitativen
empirischen Untersuchungen umfassen dabei drei Stufen: 32 leitfadengestützten Experteninterviews und zwei explorative Fallstudien. Ein Expertenworkshop zur Diskussion und Reflexion erster Resultate bildet den Abschluss der empirischen Arbeiten.
Die empirisch gewonnenen Erkenntnisse verdeutlichen, dass eine effektive und effiziente
Stiftungsarbeit eine sorgfältige Kenntnis des Managementkontextes voraussetzt. Erst nach
der Klärung der Beziehungen und Erwartungen aller Beteiligten ("Stakeholder") können entsprechende Schritte zur Professionalisierung des Managements unternommen werden, mit
der Zielsetzung, die Prozesse und Praktiken von Stiftungen zu systematisieren und zu strukturieren.
Das in dieser Arbeit entwickelte Foundation Excellence-Cockpit (FE-C) nimmt diesen Professionalisierungsgedanken auf und dient Stiftungsmanagern als Orientierungsrahmen für
ein integriertes Management von Stiftungen. Das FE-C berücksichtigt dabei die spezifischen
Charakteristika der Organisationsform "Stiftung" und wird damit den besonderen Managementherausforderungen von Stiftungen gerecht. In der weiteren Ausgestaltung des Cockpits
wird ein detailliertes und systematisch vernetztes Aufgabenportfolio mit zahlreichen Handlungsoptionen ("best practices") angeboten. Ein umfangreicher Fragekatalog zur Selbstreflexion rundet das FE-C ab.
Ziel des FE-C ist es, die Stiftungen dahingehend zu befähigen, vom zufälligen "Tue Gutes"
zum strukturierten "Tue Wirksames" zu gelangen. Im Zentrum stehen dabei die Unterstützung zur systematischen Reflexion bisheriger "practices" und die Befähigung zur Formulierung geeigneter und anschlussfähiger Impulse zur professionellen Weiterentwicklung des
Stiftungsmanagements.
Inhaltsübersicht
X
Inhaltsübersicht
Zur Reflexion I ........................................................................................................... 1
Teil A .......................................................................................................................... 2
1
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen ......................... 3
2
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren ...................................... 11
3
Professionelles Stiftungsmanagement praktische und theoretische Relevanz ........................................................... 67
4
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen ............................................. 109
5
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden .................... 123
Teil B ...................................................................................................................... 155
6
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen ......................................... 156
7
Management-Framework für Vergabestiftungen:
Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)................................................. 195
8
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären............................................... 209
9
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess....................................... 226
10 FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess ............................... 326
11 FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse ............................................ 382
12 FE-C Grundkategorie 5: Der Legitimierungsprozess .................................. 452
13 Fazit: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C) Ready for Take-off?........................................................................................ 472
Zur Reflexion II ...................................................................................................... 483
Inhaltsverzeichnis
XI
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis............................................................................................. XVI
Abkürzungsverzeichnis............................................................................................ XIX
Zur Reflexion I ...............................................................................................................1
Teil A ..............................................................................................................................2
1
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen .............................3
1.1
Forschungsziel und Positionierung der Dissertation ................................................................................4
1.2
Aufbau der Dissertation ..............................................................................................................................7
2
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren ..........................................11
2.1
2.2
2.3
3
Hintergründe und Akteure im Non-Profit-Sektor..................................................................................12
2.1.1
Definition von Non-Profit-Organisationen....................................................................................14
2.1.2
Zahlen, Daten, Fakten der Non-Profit-Sektoren ausgewählter Länder..........................................17
2.1.3
Geburtsstunde der Non-Profit-Forschung......................................................................................20
2.1.4
Erklärungsansätze zur Existenz von Non-Profit-Organisationen ..................................................23
2.1.5
Non-Profit-Organisationen als Stütze der Gesellschaft .................................................................26
2.1.6
Stiftungen als zentrale Akteure im Non-Profit-Sektor...................................................................28
Überblick zu klassischen Stiftungen.........................................................................................................30
2.2.1
Definition klassischer Stiftungen...................................................................................................31
2.2.2
Historischer Hintergrund klassischer Stiftungen ...........................................................................34
2.2.3
Typologie klassischer Stiftungen...................................................................................................35
2.2.4
Stiftungssektor Schweiz.................................................................................................................41
Funktionen und Legitimationen klassischer Stiftungen.........................................................................47
2.3.1
Kritische Würdigung bestehender Funktionseinteilungen klassischer Stiftungen.........................50
2.3.2
Pluralismus und Ergänzung
als Grundfunktionen und Legitimationsbasis klassischer Stiftungen ............................................54
2.3.3
Sozialer Wandel als Zielfunktion klassischer Stiftungen ..............................................................57
2.3.4
Innovation und Stabilisierung
als technisch-konzeptionelle Funktionen klassischer Stiftungen...................................................59
Professionelles Stiftungsmanagement praktische und theoretische Relevanz ...............................................................67
3.1
Grundsätzliche Relevanz des Managements - das Managementverständnis .......................................69
3.2
Relevanz des Managements für Stiftungen .............................................................................................72
3.3
Herausforderungen des Stiftungsmanagements - eine erste Annäherung............................................75
3.3.1
Transparenz und Legitimierung.....................................................................................................78
3.3.2
Mission und Strategie ....................................................................................................................80
3.3.3
Effektivität und Effizienz...............................................................................................................81
3.3.4
Evaluation ......................................................................................................................................83
3.3.5
Zuständigkeitsregelungen, Verantwortlichkeiten und Aufbauorganisation...................................84
Exkurs: Aktivitäten internationaler Forschungseinrichtungen........................................................................85
XII
Inhaltsverzeichnis
3.4
Ansatz 1: Durchgängigkeit durch eine General-Management-Perspektive .........................................88
3.5
Ansatz 2: Komplexitätsreduktion durch Managementmodelle.............................................................91
3.5.1
Ein Vergleich praxisorientierter Managementmodelle ..................................................................94
3.5.2
Das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM)................................96
3.5.3
Das Drucker Foundation Self-Assessment Tool............................................................................98
3.5.4
Das Quality Framework...............................................................................................................100
3.5.5
Der Grantmaking Tango ..............................................................................................................103
3.5.6
Das Philanthropic Prism ..............................................................................................................104
Leitfragen für die empirischen Untersuchungen ..................................................................................107
3.6
4
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen .................................................109
4.1
Ein anwendungsorientiertes Wissenschaftsverständnis .......................................................................110
4.2
Ontologische und Epistemologische Grundannahmen.........................................................................111
4.3
Implikationen auf die Forschungsmethodologie ...................................................................................113
4.4
Organisationsverständnis........................................................................................................................116
5
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden ........................123
5.1
Der beobachtungsleitende Bezugsrahmen von Foundation Excellence ..............................................124
5.2
Das Forschungsdesign Foundation Excellence ......................................................................................126
5.3
Experteninterviews ..................................................................................................................................129
5.3.1
Die Methode der Experteninterviews ..........................................................................................129
5.3.2
Anzahl und Auswahl der Interviewpartner..................................................................................130
5.3.3
Ablauf und Auswertung der Interviews.......................................................................................132
Explorative Fallstudien ...........................................................................................................................136
5.4.1
Die Methode der explorativen Fallstudien...................................................................................137
5.4.2
Anzahl und Auswahl der Fallstudien-Partner ..............................................................................138
5.4.3
Ablauf und Auswertung der Fallstudien......................................................................................142
Expertenworkshop...................................................................................................................................144
5.5.1
Die Methode beim Expertenworkshop ........................................................................................145
5.5.2
Anzahl und Auswahl der Experten für den Workshop ................................................................146
5.5.3
Ablauf und Auswertung des Expertenworkshops........................................................................147
Gütekriterien interpretativ-hermeneutischer Forschung ....................................................................148
5.4
5.5
5.6
Teil B ..........................................................................................................................155
6
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen .............................................156
6.1
6.2
6.3
Organisationsspezifische Besonderheiten klassischer Stiftungen........................................................157
6.1.1
Messbarkeitsdefizit klassischer Stiftungen ..................................................................................162
6.1.2
Kontrolldefizit klassischer Stiftungen .........................................................................................165
Managementkontext in 5 Paradoxien ....................................................................................................171
6.2.1
Orientierungsparadox: Stifterzentrierung vs. Zweckorientierung ...............................................172
6.2.2
Missionsparadox: Einzelaktivitäten vs. Vernetzung....................................................................174
6.2.3
Kooperationsparadox: Einzelgänger vs. Co-Produzent ...............................................................176
6.2.4
Transparenzparadox: Privatveranstaltung vs. quasi-öffentliche Institution.................................179
6.2.5
Gestaltungsparadox: passive Verwaltung vs. aktive Gestaltung .................................................182
Stiftungstypisierung im Paradoxienradar .............................................................................................185
6.3.1
Stiftungstypus 1: "SMI-Unternehmen"........................................................................................190
6.3.2
Stiftungstypus 2: "Familienunternehmen" ...................................................................................191
6.3.3
Stiftungstypus 3: "Verein" ...........................................................................................................193
Inhaltsverzeichnis
7
XIII
Management-Framework für Vergabestiftungen:
Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C).....................................................195
7.1
Die Funktionslogik einer Vergabestiftung
als Gerüst des Foundation Excellence-Cockpits (FE-C) ......................................................................200
7.2
Der Aufbau des Foundation Excellence-Cockpits (FE-C)....................................................................203
8
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären...................................................209
8.1
Politische Faktoren ..................................................................................................................................210
8.2
Ökonomische Faktoren ...........................................................................................................................212
8.3
Sozio-kulturelle Faktoren........................................................................................................................213
8.4
Technologische Faktoren ........................................................................................................................215
8.5
Stifter ........................................................................................................................................................216
Exkurs: Gründungsleitfaden .............................................................................................................................221
9
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess...........................................226
9.1
9.2
9.3
Stiftungspolitik .........................................................................................................................................228
9.1.1
Reflexion des Stifterwillens.........................................................................................................229
9.1.2
Entwicklung einer Mission ..........................................................................................................233
9.1.3
Spezifizierung der inhaltlichen Eckpfeiler...................................................................................239
9.1.4
Festlegungen zur Förder- und Anlagepolitik ...............................................................................247
9.1.5
Gestaltung der Aufbauorganisation .............................................................................................258
9.1.6
Festlegungen der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten .....................................................263
9.1.7
Formulierung von Arbeitsgrundsätzen und allgemeinen Werthaltungen ....................................276
9.1.8
Erarbeitung eines Code of Conducts und eines Leitbilds ............................................................285
Stiftungsstrategie .....................................................................................................................................288
9.2.1
Bestimmung zentraler Wirkungsfelder ........................................................................................290
9.2.2
Definition strategischer Gestaltungsalternativen .........................................................................299
9.2.3
Analyse notwendiger Fähigkeiten und Ressourcen .....................................................................305
9.2.4
Identifikation von Kooperationsfeldern und -partnern ................................................................310
9.2.5
Erstellung strategischer Projektportfolios und von Massnahmenplänen .....................................314
Eine illustrative Fallstudie zum Gestaltungsprozess ............................................................................319
9.3.1
Historischer Hintergrund .............................................................................................................319
9.3.2
Vorbereitungen und Ablauf des Gestaltungsprozesses................................................................320
9.3.3
Learnings .....................................................................................................................................325
10 FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess ...................................326
10.1
10.2
10.3
10.4
Projektakquisition ...................................................................................................................................330
10.1.1 Bestimmung der Akquisitionsform..............................................................................................331
10.1.2 Festlegung des Akquisitions- und Antragsbearbeitungsprozesses ..............................................335
Projektselektion .......................................................................................................................................341
10.2.1 Festlegung des Selektionsprozesses.............................................................................................342
10.2.2 Verfassung von Projektverträgen ................................................................................................352
Projektcoaching .......................................................................................................................................354
10.3.1 Bestimmung des Coachingansatzes .............................................................................................355
10.3.2 Bereitstellung benötigter Coachingressourcen ............................................................................359
Projektmonitoring ...................................................................................................................................360
10.4.1 Planung und Durchführung des finanziellen Projektmonitorings................................................363
10.4.2 Planung und Durchführung des inhaltlichen Projektmonitorings................................................365
Inhaltsverzeichnis
XIV
10.5
10.6
Sicherung und Dissemination von Projektergebnissen ........................................................................372
10.5.1 Dokumentation der Projektergebnisse .........................................................................................374
10.5.2 Veröffentlichung der Projektergebnisse ......................................................................................375
Weiterführung und Replikation von Projekten ....................................................................................378
10.6.1 Prüfung von Anschlussprojekten.................................................................................................378
10.6.2 Replikation von Projekten ...........................................................................................................380
11 FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse ................................................382
11.1
11.2
11.3
11.4
11.5
Finanzmanagement..................................................................................................................................384
11.1.1 Festlegung der Vermögensausstattung und Grundsätze der Vermögensausschüttung ................385
11.1.2 Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens....................................................................................390
11.1.3 Aufbau eines Rechnungswesens und Aufbereitung eines Jahresabschlusses..............................398
IT-Management .......................................................................................................................................409
11.2.1 Aufbau einer IT-Infrastruktur zur Unterstützung interner Abläufe .............................................409
11.2.2 Nutzung einer IT-Infrastruktur zur externen Information und Kommunikation .........................411
Kommunikationsmanagement................................................................................................................412
11.3.1 Erkennung der Bedeutung einer proaktiven Kommunikation .....................................................413
11.3.2 Konkretisierung der Anspruchs- und Zielgruppen der Kommunikation .....................................417
11.3.3 Festlegung relevanter Informationen und Identifikation geeigneter Kommunikationskanäle.....420
Kooperationsmanagement ......................................................................................................................427
11.4.1 Festlegung des Kooperationstypus ..............................................................................................428
11.4.2 Ausgestaltung der Kooperation und Sicherstellung des Funktionierens .....................................431
HR-Management......................................................................................................................................434
11.5.1 Festlegungen zur Personalgewinnung .........................................................................................435
11.5.2 Gestaltung der Personalbeurteilung .............................................................................................447
11.5.3 Festlegungen zur Personalhonorierung........................................................................................448
11.5.4 Weiterentwicklung der Stiftungsmitarbeiter................................................................................450
12 FE-C Grundkategorie 5: Der Legitimierungsprozess ......................................452
12.1
12.2
Evaluation.................................................................................................................................................455
12.1.1 Entwicklung eines Evaluationskonzepts (Stiftungsperformance)................................................457
12.1.2 Analyse der Evaluationsergebnisse (lernende Organisation).......................................................466
Accountability ..........................................................................................................................................469
13 Fazit: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C) Ready for Take-off?............................................................................................472
13.1
Stiftungsmanagement im Wandel - Wandel des Stiftungsmanagements............................................475
13.2
Zukünftige Forschungsfelder - erste Annäherung an eine systematische Forschungsagenda..........476
13.2.1 Analyselevel "Organisation"........................................................................................................477
13.2.2 Analyselevel "Sektor"..................................................................................................................480
13.2.3 Analyselevel "Volkswirtschaft"...................................................................................................481
Zur Reflexion II ..........................................................................................................483
Literaturverzeichnis..................................................................................................484
Inhaltsverzeichnis
XV
Anhang A: Interview-Anfrage...................................................................................502
Anhang B: Interview-Übersicht................................................................................504
Anhang C: Interview-Leitfaden ................................................................................506
Anhang D: Kategorienschema zur Auswertung der Interviews............................509
Anhang E: Fallstudien-Partner ................................................................................510
Anhang F: Workshop-Anfrage .................................................................................514
Anhang G: Workshop-Konzeption ..........................................................................516
Anhang H: Workshop-Programm ............................................................................517
Anhang I: Portraits Prof. Frumkin und Prof. Anheier ............................................518
Anhang J: Musterurkunde........................................................................................520
Anhang K: Form 990 PF ...........................................................................................523
Anhang L: Bilanz-Beispiele......................................................................................539
Lebensläufe ...............................................................................................................542
XVI
Abbildungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1-1: Die Foundation Excellence-Brücke: "Aus der Praxis - für die Praxis" ............................................6
Abbildung 1-2: Der Aufbau der Dissertation, Teil A.................................................................................................9
Abbildung 1-3: Der Aufbau der Dissertation, Teil B...............................................................................................10
Abbildung 2-1: Wachstum der Anzahl Organisationen zwischen 1987 und 1997 (Weitzman et al. 2002).............17
Abbildung 2-2: Typologie von Non-Profit-Sektoren (angelehnt an Anheier 2005, S. 136) ....................................18
Abbildung 2-3: Forschungsagenda des NPO-Sektors (Anheier 2005a, S. 116) ......................................................23
Abbildung 2-4: Der Dritte Sektor als "Stütze" einer Gesellschaft: zwischen privatwirtschaftlichem
und staatlichem Sektor....................................................................................................................27
Abbildung 2-5: Stiftungen als flankierende und treibende Kraft des Dritten Sektors .............................................30
Abbildung 2-6: Übersicht über klassische Stiftungstypen (in Anlehnung an Anheier 2001, S. 49 ff.) ...................36
Abbildung 2-7: Die Anzahl von Stiftungen in ausgewählten Ländern zum Ende der 1990er Jahre
(in Anlehnung an Anheier 2000, Adloff 2002) ..............................................................................42
Abbildung 2-8: Exponentiell wachsender Stiftungssektor in der Schweiz (Rüegg-Stürm et al. 2004a, S. 87) .......44
Abbildung 2-9: Länderspezifische Grösse des Stiftungssektors (angelehnt an Anheier 2005a, S. 315) .................45
Abbildung 2-10: Ein Vergleich von Stiftungen in der Schweiz (CH), in Deutschland (DE) und in den USA..........46
Abbildung 2-11: Schweizer Stiftungen und ihre Tätigkeitsschwerpunkte (Rüegg-Stürm et al. 2004a, S. 88) ..........47
Abbildung 2-12: Die Funktionen von Stiftungen.......................................................................................................58
Abbildung 2-13: Vergabestiftungen als Innovatoren und Stabilisatoren ...................................................................64
Abbildung 3-1: Suchfelder Legitimierung und Transparenz: Leitfragen für die Empirie .......................................80
Abbildung 3-2: Suchfelder Mission und Strategie: Leitfragen für die Empirie .......................................................81
Abbildung 3-3: Suchfelder Effektivität und Effizienz: Leitfragen für die Empirie .................................................83
Abbildung 3-4: Suchfeld Evaluation: Leitfragen für die Empirie............................................................................84
Abbildung 3-5: Suchfelder Zuständigkeitsregelungen/Verantwortlichkeiten und Aufbauorganisation:
Leitfragen für die Empirie ..............................................................................................................85
Abbildung 3-6: Aktivitäten internationaler Forschungseinrichtungen.....................................................................87
Abbildung 3-7: Bewertung des Freiburger Management Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM) ...............98
Abbildung 3-8: Bewertung des Drucker Foundation Self-Assessment Tools (SAT) ............................................100
Abbildung 3-9: Eigenschaften von change-making trusts und gift-giving trust
(vgl. Association of Charitable Foundations 2001, S. 11)............................................................101
Abbildung 3-10: Bewertung des Quality Frameworks (QF)....................................................................................102
Abbildungsverzeichnis
XVII
Abbildung 3-11: Bewertung des Grantmaking Tango (GT) ....................................................................................104
Abbildung 3-12: The Philanthropic Prism ...............................................................................................................106
Abbildung 3-13: Bewertung des Philantrhopic Prism (PP)......................................................................................106
Abbildung 3-14: Bewertung der Managementframeworks in der Übersicht ...........................................................107
Abbildung 5-1: Das Forschungsprojekt Foundation Excellence, 1. Phase ............................................................127
Abbildung 5-2: Das Forschungsprojekt Foundation Excellence, 2. Phase ............................................................128
Abbildung 5-3: Das Forschungsprojekt Foundation Excellence, 3. Phase ............................................................129
Abbildung 5-4: Auswahlkriterien für die Experteninterviews ...............................................................................131
Abbildung 5-5: Auswahlkriterien für die Fallstudien ............................................................................................141
Abbildung 5-6: Partnerstiftungen für die Fallstudien ............................................................................................142
Abbildung 5-7: Teilnehmer des Expertenworkshops.............................................................................................147
Abbildung 5-8: "Slicing up the organization" (nach Mintzberg 1979, S. 585)......................................................152
Abbildung 6-1: Unterscheidungsmerkmale von Stiftungen zu privat-, staatswirtschaftlichen und
Non-Profit-Organisationen (in Erweiterung von Bumbacher 2000, S. 457 ff.) ...........................158
Abbildung 6-2: Die legalen und legitimen Aufsicht-"Organe" von Stiftungen .....................................................167
Abbildung 6-3: Stiftungskapital als Eigenkapital der Gesellschaft........................................................................170
Abbildung 6-4: Paradoxien-Radar zur Diagnose von Stiftungen und Entwicklungen von Stiftungstypen
(Bewertung: höchste Ausprägung = 1, geringste Ausprägung = 6)..............................................188
Abbildung 6-5: Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Gesamtdarstellung .........................................189
Abbildung 6-6: Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Stiftungstyp "SMI-Unternehmen" .................191
Abbildung 6-7: Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Stiftungstyp "Familienunternehmen" ............192
Abbildung 6-8: Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Stiftungstyp "Verein" ....................................193
Abbildung 7-1: Stiftungsmanagement als Rekontextualisierung eines Management-Frameworks .......................198
Abbildung 7-2: Die generische Funktionslogik von Vergabestiftungen als Gerüst für das
Foundation Excellence-Cockpit (FE-C).......................................................................................201
Abbildung 7-3: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)................................................................................204
Abbildung 7-4: Gerüst und Grundkategorien des Foundation Excellence-Cockpits (FE-C) ................................204
Abbildung 8-1: Die Umweltsphären einer Stiftung ...............................................................................................210
Abbildung 9-1: Der Gestaltungsprozess einer Stiftung mit den zwei Teilprozessen .............................................227
Abbildung 9-2: Zeitplan des Strategieprozesses der Northwest Area Foundation.................................................322
Abbildung 10-1: Der Wertschöpfungsprozess einer Stiftung mit den sechs Teilprozessen ....................................330
Abbildung 10-2: 4 generische Stiftung-Projektpartner-Beziehungen (nach Frumkin 2005, S. 348 ff.) ..................356
XVIII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 11-1: Die Supportprozesse einer Stiftung mit den fünf Teilprozessen ..................................................383
Abbildung 11-2: Die Bilanz und Bilanzposten einer Stiftung (in Anlehnung an Thomsen 2002) ..........................402
Abbildung 11-3: Betriebsrechnung einer Stiftung (in Anlehnung an Koeckstadt 1998) .........................................404
Abbildung 11-4: Soll-Ist-Profil notwendiger Fähigkeiten bei der Personalbedarfsermittlung einer Stiftung..........436
Abbildung 12-1: Der Legitimierungsprozess einer Stiftung basierend auf Evaluation und Accountability............454
Abbildung 12-2: Perspektiven der Stiftungsperformance und ihre Indikatoren ......................................................464
Abbildung 13-1: Skizze einer Forschungsagenda des Stiftungssektors (angelehnt an Anheier 2005a, S. 116) ......476
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abs.
Absatz/Abschnitt
ACF
Association of Charitable Foundations
AG
Aktiengesellschaft
AME
Academy of Management Executive
AMJ
Academy of Management Journal
AMR
Academy of Management Review
AOM
Academy of Management
ARNOVA
Association for Research on Nonprofit and Voluntary Action
Art.
Artikel
ASQ
Administrative Science Quarterly
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGE
Bundesgerichtsentscheid
BSP
Bruttosozialprodukt
BVG
Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-und Invalidenvorsorge
(SR 831.40)
BWL
Betriebswirtschaftslehre
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CEO
Chief Executive Officer
CH
Confoederatio Helvetica
CHF
Schweizer Franken
CMS
Christoph Merian Stiftung
COF
Council on Foundations
CV
Curriculum Vitae
DAX
Deutscher Aktienindex
DE
Deutschland
DeGEval
Gesellschaft für Evaluation e. V.
d. h.
Das heisst
DBW
Die Betriebswirtschaft
DNS
Desoxyribonukleinsäure
Dr.
Doktor
EBITDA
Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization
XIX
Abkürzungsverzeichnis
XX
EDI
Eidgenössisches Departement des Innern
EDV
Elektronische Datenverarbeitung
EFC
European Foundation Center
e. V.
eingetragener Verein
et al.
et alii
etc.
et cetera
ETH
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich
EU
Europäische Union
EUR
Euro
f.
folgende
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
FE
Foundation Excellence
FE-C
Foundation Excellence-Cockpit
ff.
fortfolgende
FMM
Freiburger Management Modell
GB
Great Britain
GBP
Great Britain Pound
GF
Geschäftsführung
ggf.
gegebenenfalls
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GRS
Gebert Rüf Stiftung
GT
Grantmaking Tango
HBR
Harvard Business Review
HR
Human Resource
i. d. R.
in der Regel
i. G.
in Gründung
IKT
Informations- und Kommunikationstechnologien
i. S.
im Sinne
ISPN
International Strategic Philanthropy Network
ISTR
International Society for Third Sector Research
IT
Informationstechnologie
Jg.
Jahrgang
Kap.
Kapitel
NYRAG
New York Regional Association of Grantmakers
Mio.
Millionen
Abkürzungsverzeichnis
Mrd.
Milliarden
MS
Management Science
NGO
Non-Governmental Organisation
NPO
Non-Profit-Organisation(en)
Nr.
Nummer
NVSQ
Nonprofit and Voluntary Sector Quarterly
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
No.
Number
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
o. Ä.
oder Ähnlich
o. g.
oben genannte(n)
o. J.
ohne Jahr
OR
Obligationenrecht (SR 22)
OSc
Organisation Science
OSt
Organisation Studies
PF
Private Foundation
PP
Philanthropic Prism
PPP
Public Private Partnership
Prof.
Professor
QF
Quality Framework
RA
Rechtsanwalt
R&D
Research & Development
resp.
respektive
ROE
Return on Equity
ROI
Return on Investment
S.
Seite(n)
SAT
Self Assessment Tool
SMI
Swiss Market Index
SMJ
Strategic Management Journal
s. o.
Siehe oben
sog.
sogenannte(r)
SR
Stiftungsrat
s. u.
siehe unten
u. a.
unter anderem/ unter anderen
UCLA
University of California Los Angeles
XXI
Abkürzungsverzeichnis
XXII
UNICEF
United Nations International Children's Emergency Fund
US
United States
USA
United States of America
USD
United States Dollar
usw.
und so weiter
u. U.
unter Umständen
v. a.
vor allem
vgl.
vergleiche
Vol.
Volume
vs.
versus
VWL
Volkswirtschaftslehre
WHO
World Health Organization
z. B.
zum Beispiel
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)
zit.
zitiert
z. T.
zum Teil
Zur Reflexion I
1
Zur Reflexion I
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 28. November 2003, Nr. 277, S. 43
Der Fluch der guten Tat
Ein Danaergeschenk an die Dichtung?
köh. Vor genau einem Jahr über-
direktor Stephen Young, "und wir waren
raschte die 88-jährige Ruth Lilly die
darin immer gut. Jetzt ist plötzlich alles
amerikanische Öffentlichkeit mit der
kompliziert."
Absicht, der kleinen - und bis dahin
seines "Krisenmanagements" umfassen
nahezu unbekannten - Literaturzeit-
einen Katalog von Aktivitäten, zu denen
schrift "Poetry" eine Spende in Höhe
die Einstellung eines Chefredakteurs
von 100 Millionen Dollar angedeihen
(Jahresgehalt 65'000 Dollar), der Umzug
zu lassen. Ruth Lilly ist Erbin eines
vom Hinterzimmer einer Bibliothek in
stattlichen Vermögens aus der pharma-
eine moderne Büroetage und die Anhe-
zeutischen Industrie und selbst Verfasse-
bung des Zeilenhonorars von 2 Dollar
rin von Gedichten. Diese waren aller-
auf 6 Dollar gehört. Zudem wird an ei-
dings vor Zeiten vom leitenden Redak-
nem Programm gearbeitet, das der
teur des Magazins abgelehnt worden.
Dichtung in Büchereien, Schulen und
Das hinderte die alte Dame nicht, die
anderen öffentlichen Institutionen einen
Zeitschrift mit ihrem Millionensegen zu
festen Platz sichern soll. Indessen mel-
beglücken. Seitdem kämpft das vor 90
den sich täglich Heerscharen von Not
Jahren in Chicago gegründete Heft, in
leidenden Dichtern, um an dem Geldse-
dem so prominente Namen wie Ezra
gen zu partizipieren. So haben die Her-
Pound, Marianne Moore, T.S. Eliot oder
ausgeber wohl manche Stunde damit
John Ashberry vertreten waren, tapfer
verbracht, über das geflügelte Wort
gegen die Gefahr, in der Umarmung des
"vom Fluch der guten Tat" nachzuden-
Geldes zu ersticken. "90 Jahre lang wa-
ken.
ren wir Bettler", sagt der neue Stiftungs-
Die
Sofortmassnahmen
2
Teil A
Teil A
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
3
"Meine Motivation ist die Suche nach der Perfektion,
der Versuch, mich immer weiter zu verbessern, weiter zu lernen.
Vielleicht kann man die absolute Perfektion nie erreichen,
aber ihr so nahe wie möglich zu kommen, das ist das Ziel."
Ayrton Senna da Silva,
Formel-1-Rennfahrer (1960-1994)
1
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und
Vorgehen
Warum ist es überhaupt wichtig, mehr über Stiftungen zu wissen? Stiftungen - und Stifter - tun Gutes! Warum muss dann überhaupt hinterfragt werden, wie die gemeinnützige
Stiftungsarbeit vollzogen wird? Ist das Forschungsprojekt Foundation Excellence lediglich eine reaktive Massnahme auf die in jüngerer Vergangenheit aufgetretenen Pressemeldungen über mehr oder weniger fragwürdige Vorfälle im Stiftungswesen? Oder sind
die Motive für dieses Projekt eher in dem anerkennenswerten Anliegen zu suchen, den
Stiftungssektor durch wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Stiftungsmanagement
zur wirkungsvollen Umsetzung ihrer Funktionen in der Gesellschaft zu befähigen?
Die zugrunde liegende Idee der Gebert Rüf Stiftung als Initiatorin und Financier dieses
Forschungs- und Dissertationsprojekts sowie von SwissFoundations, dem Verein der
Vergabestiftungen in der Schweiz als ideellem Partner, nimmt beide Aspekte auf. Durch
die Thematisierung von Wirksamkeit und Professionalität der Stiftungsarbeit soll ein
Selbstregulierungs- und Entwicklungsprozess innerhalb des (Schweizer) Stiftungssektors
angestossen werden, um dadurch zu verhindern, dass der Gesetzgeber durch radikale
Eingriffe - um die wenigen schwarzen Schafe "einzufangen" - die Gestaltungsräume von
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
4
allen Stiftungen massiv beschränkt.1 Die Stiftungen sollen dazu befähigt und dabei unterstützt werden, die sich bietenden Räume professionell auszugestalten und das den
Stiftungen entgegengebrachte Vertrauen, z. B. über steuerliche Begünstigungen, anzuerkennen und sich verpflichtet fühlen, ihre gemeinnützige Mission auch wirklich zu erfüllen. "Das ist ein faires Geben und Nehmen zum Nutzen der Zivilgesellschaft" (Egger
2005, S. 9).
"Die Suche nach Perfektion", wie es Senna im einleitenden Zitat ausdrückt, darf dabei
nicht dahingehend missverstanden werden, die bisherige Stiftungsarbeit sei insgesamt
unprofessionell oder wirkungslos. Im Zentrum stehen vielmehr die Formulierung anschlussfähiger Impulse zur Weiterentwicklung von Stiftungen und ihres Managements
sowie die damit verbundene Unterstützung zur strukturierten Reflexion über bisherige
"practices" des Stiftungsmanagements. Es geht darum, vom zufälligen "Tue Gutes" zum
strukturierten "Tue Wirksames" zu gelangen.
Doch gerade die organisationalen Besonderheiten einer Stiftung machen ihr Management zu einer nicht-trivialen Sache: Ein manifestes Messbarkeitsdefizit der Stiftungstätigkeit (z. B. Wie lässt sich "gute" Kulturförderung eindeutig messen?) sowie ein Kontrolldefizit von Stiftungen (z. B. Wer kontrolliert Stiftungen?) weisen auf zentrale Herausforderungen des Stiftungsmanagements hin. Foundation Excellence identifiziert und
analysiert durch eine wissenschaftliche Vorgehensweise die Herausforderungen des
Stiftungsmanagements und versucht, die zentralen, miteinander vernetzten Handlungsfelder hinsichtlich eines Managements für mehr Wirkung aufzuzeigen.
1.1
Forschungsziel und Positionierung der Dissertation
Das Ziel des Forschungs- und Dissertationsprojekts Foundation Excellence ist die
Entwicklung eines integrierten Managementframeworks für Stiftungen, das die
spezifischen Charakteristika der Organisationsform "Stiftung" berücksichtigt und den
1
Dies wäre dem Stiftungsplatz Schweiz nicht zuträglich, denn die "Schweiz bietet Förderstiftungen ausgezeichnete
Rahmenbedingungen. Zum einen ist hier eine alte Stiftungstradition lebendig, zum anderen steht spezialisiertes Fachwissen
aus dem Finanzdienstleistungssektor zur Verfügung, zum dritten schliesslich erleichtert ein liberales Stiftungsrecht die
Gründung und den Betrieb von Stiftungen", so Egger (2005, S. 9). Eine gegenteilige Entwicklung liess sich in den USA im
Zuge des Tax Reform Acts von 1969 beobachten, als die Transparenzkriterien immens verschärft wurden, auf der anderen
Seite dies aber unbeabsichtigte Folgen nach sich zog, z. B. Risikoaversion gegenüber innovativen Projekten (vgl. Frumkin
1997 und 1998).
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
5
besonderen Managementherausforderungen von Stiftungen gerecht wird. In seiner
abschliessenden Aufbereitung entspricht das sog. Foundation Excellence-Cockpit (FEC) einem komplementären Teil des von SwissFoundations initiierten und soeben
erschienenen Swiss Foundation Code (Hofstetter/Sprecher 2005). Das Cockpit nimmt
die 22 Empfehlungen aus dem Code implizit auf und bietet ein detailliertes, systematisch
vernetztes Aufgabenportfolio mit zahlreichen Handlungsoptionen (best practices) und
einen umfangreichen Fragekatalog zur Selbstreflexion an.
Das Ziel der Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen lässt sich dabei
weiter spezifizieren in die sechs Teilziele:
1. Beschreibung und Analyse des Managementkontexts von Stifungen
2. Beschreibung und Analyse der Managementherausforderungen von Stiftungen
3. Entwicklung eines generischen Managementframeworks für Stiftungen
4. Zusammenstellung eines Aufgabenportfolios des Stiftungsmanagements
5. Zusammenstellung eines Fragenkatalogs zur Selbstreflexion
6. Aufbereitung der wissenschaftlichen Ergebnisse in praxisgerechter Form
Die drei erstgenannten Teilziele sind theoretischer Natur, während die Teilziele 4 - 6 in
hohem Masse praxisorientiert im Sinne angewandter Wissenschaft sind und den
Erwartungen der Gebert Rüf Stiftung als "Interessenvertreterin" der Praxis entsprechen.2
Als exploratives Forschungsprojekt mit stark anwendungsorientiertem Fokus liegt der
Ursprung dieser Dissertation in den Handlungsanforderungen der Praxis, wie auch die
Rückübertragung der Ergebnisse in die Praxis ein zentrales "Qualitätskriterium" der
Arbeit darstellt (s. o. Forschungsziele). Der für die angewandte Wissenschaft charakteristische Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis3 wird auch explizit als "Leitmotiv"
("Aus der Praxis - für die Praxis") dieses Forschungs- und Dissertationsprojekt festgelegt
(vgl. Abbildung 1-1). Es werden nach Ulrich (1984, S. 171 f.) also Probleme praktisch
2
Die Gebert Rüf Stiftung finanziert in dankenswerter Weise das Forschungsprojekt Foundation Excellence am Institut für
Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen unter der Leitung von Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm. Selbstverständlich
gewährt die Stiftung den Wissenschaftlern jegliche Form "wissenschaftlicher Freiheit und Unabhängigkeit" und formuliert
keinerlei Erwartungen inhaltlicher Art hinsichtlich der Forschungsergebnisse.
3
Oder wie Nicolai (2004) es bereits im Titel seines Beitrags formuliert: Der ‚trade-off’ zwischen ‚rigor’ und ‚relevance’ und
seine Konsequenzen für die Managementwissenschaften.
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
6
handelnder Menschen ausgewählt, für deren Lösung (bisher) kein befriedigendes Wissen
zur Verfügung steht.
Wissenschaft
... theoretisch
aufarbeiten ...
3
4
Entwicklung
Managementframework
Analyse
Managementansätze
Ausgestaltung
Framework
2
6
Praxis
Situationsanalyse
Fragenkatalog
1
7
Inventaranalyse
Praxis-Handbuch
... praxisorientiert
zurückspielen
Herausforderungen
erfassen ...
Praxis
Abbildung 1-1:
5
Wissenschaft
Praxis
Die Foundation Excellence-Brücke: "Aus der Praxis - für die Praxis"
Die Foundation Excellence-Brücke weist bereits auf die grobe "Taktung" des dreijährigen Forschungs- und Dissertationsprojektes hin (November 2002 bis November 2005),
die im Forschungsdesign (vgl. Kap. 5.2) differenziert dargestellt wird. Zu Beginn erfolgt
die Durchführung einer explorativen Studie zur Stiftungslandschaft Schweiz.4 Diese
Inventaranalyse (1) stellt die Grundlage (Vorbereitungsphase) für die weiteren Forschungsarbeiten zur Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen dar. In
der Situationsanalyse (2) und der Analyse von Managementansätzen (3) werden Themen
und Herausforderungen des Managements allgemein und der Stiftungsarbeit im
Besonderen identifiziert. Die Resultate aus den ersten drei Schritten fliessen in die Entwicklung eines generischen Managementframeworks für Stiftungen ein (4). Im Anschluss an die grundsätzliche Entwicklungsarbeit erfolgt die Ausgestaltung des Frameworks durch die Erstellung eines Aufgabenportfolios zum Stiftungsmanagement inklusive dem Aufzeigen von Handlungsoptionen je Aufgabenfeld (5), der Zusammenstellung
eines umfassenden Fragekatalogs zur Selbstreflexion (6) und Aufbereitung und
Rückführung der Ergebnisse in die Praxis als Foundation Excellence-Cockpit (7), wobei
4
Auszüge daraus wurden in einem Buchbeitrag verarbeitet und auf der SwissFoundations Herbsttagung 2003 vorgestellt (vgl.
Rüegg-Stürm et al. 2004a).
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
7
die Publikation dieser Arbeit in Form eines Praxis-Handbuchs als Anschlussprojekt an
dieses Dissertationsprojekt erfolgt.
Grundsätzlich ist das Forschungs- und Dissertationsprojekt im Bereich des General Managements positioniert. Dieses zeichnet sich u. a. durch seine Interdisziplinarität aus, d.
h. durch Einbezug weiterer Forschungsdisziplinen, die daraufhin geprüft werden, welche
Erkenntnisse sie zur Beantwortung aktueller und relevanter Fragen der jeweiligen Anwendungspraxis beitragen können. Da sich Stiftungen Herausforderungen stellen müssen, die in juristischen Rahmenbedingungen, im gesellschaftlichen Wertewandel, in demographischen und wirtschaftlichen Veränderungen begründet sind, meint das die Einbeziehung von Erkenntnissen z. B. aus der Ökonomie, der Rechtswissenschaft, der Soziologie oder der Psychologie.
Das stark explorative Forschungsprojekt Foundation Excellence stellt das erste umfassende Projekt in der Schweiz zum Thema "Management von Stiftungen" dar. Im Rahmen dieser Dissertation kann deshalb kaum auf bereits bestehendes, strukturiertes Wissen zurückgegriffen werden, insbesondere was z. B. den Stiftungssektor Schweiz, aber
auch was "Management" in Stiftungen allgemein betrifft (vgl. Kap. 3). Deshalb können
die in den vergangenen drei Jahren im Projektverlauf identifizierten Fragen nicht alle in
der notwendigen Tiefe analysiert und bearbeitet werden. Dies soll jedoch in Anschlussprojekten erfolgen (vgl. Kap. 13). Zudem weist bereits die o. g. Zielformulierung darauf
hin, dass ein generischer Orientierungsrahmen entwickelt wird, der für nachfolgende
Forschungsprojekte Ausgangs- wie Anknüpfungspunkt darstellen soll und zudem für etwaige
Lehr-
und
Weiterbildungsangebote
gleichermassen
dienlich
(Aus-
/Weiterbildungsmodule) sein kann, vergleichbar mit dem neuen St. Galler ManagementModell (Rüegg-Stürm 2003) und seiner Verwendung in der Lehre der Universität St.
Gallen (Dubs et al. 2004).
1.2
Aufbau der Dissertation
Die Dissertation weist zwei Teile auf: Teil A umfasst die vorbereitenden Arbeiten wie
die Analyse des Makrokontextes von Stiftungen (Sektorebene) sowie die Grundlagen für
die empirischen Untersuchungen. Teil B besteht aus der Aufarbeitung des Management-
8
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
kontexts von Stiftungen sowie dem auf Basis der konzeptionellen Vorarbeiten und der
empirischen Daten entwickelten Foundation Excllence-Cockpit (FE-C).
Teil A: Nachdem Kapitel 1 eine kurze Übersicht der Ziele und des Aufbaus dieser Dissertation, sowie der "rationales behind" des Forschungsprojekts Foundation Excellence
bietet, wird in Kapitel 2 der Makrokontext von Stiftungen analysiert und dargestellt.
Ausgehend von einer allgemeinen Diskussion und der Verortung des Dritten Sektors in
der Gesellschaft sowie der Diskussion über die spezifische Rolle von Stiftungen im
Dritten Sektor, erfolgt eine genauere Betrachtung des Stiftungssektors (Historie, Typen)
sowie der Funktionen und Legitimationen von Stiftungen. Diese Vorarbeiten sind notwendig, um das Management von Stiftungen - dem zentralen Fokus dieser Arbeit - besser verstehen zu können. Kapitel 3 thematisiert die Relevanz des Themas "Management"
und "Management in Stiftungen". Dabei werden erste Ansätze des konzeptionellen Orientierungsrahmens der Durchführung und Auswertung der empirischen Untersuchungen
vorgestellt und daraus abgeleitet Leitfragen für die nachfolgenden Felduntersuchungen
formuliert. Kapitel 4 und 5 beschreiben den empirischen Forschungsprozess: die methodologischen Grundprämissen basierend auf den entsprechenden ontologischen und epistemologischen Grundannahmen (4) sowie der dazu entsprechenden und eingesetzten empirischen Methoden (5).
Teil B: Kapitel 6 dient der Einführung in den Teil B der Dissertation dar. Nach dem Abschluss und der Auswertung der empirischen Daten bietet dieses Kapitel eine detaillierte
Kontextbeschreibung des Stiftungsmanagements. Hierbei geht es nicht mehr um den
Makrokontext, wie in Kapitel 2, sondern darum, detailliert und pointiert herauszuarbeiten, was beim Management von Stiftungen aufgrund organisationaler Besonderheiten
und "kultureller" Paradoxien beachtet werden muss. Dieser "Zugang" zum "Phänomen
Stiftungen" ist für die Reflexion und die Umsetzung der im weiteren Verlauf aufgearbeiteten Handlungsempfehlungen zur Professionalisierung des Stiftungsmanagements
notwendig. In Kapitel 7 wird das entwickelte Foundation Excellence-Cockpit (FE-C) als
Orientierungsrahmen (Gestaltungsmodell) zur Professionalisierung des Stiftungsmanagements vorgestellt und sein Aufbau erläutert. Entlang dieses Aufbaus sind die folgenden Kapitel 8 bis 12 strukturiert. Kapitel 8 beinhaltet die Betrachtung der Umweltsphären, derer sich das Stiftungsmanagement bewusst sein muss und auf die sich die zu treffenden Managemententscheidungen beziehen. In Kapitel 9 wird ausführlich der Gestal-
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
9
tungsprozess des Stiftungsmanagements dargelegt, nach Aufgaben gegliedert und mit
zahlreichen Handlungsoptionen ausgestaltet. Ähnlich die Kapitel 10 und 11, die den
Wertschöpfungsprozess (10) respektive die Supportprozesse (11) umfassen: Aufgabenbeschreibungen und Handlungsoptionen stehen im Mittelpunkt. Kapitel 12 thematisiert
den Legitimierungsprozess (auf der Ebene der einzelnen Stiftung) und stellt den letzten
Baustein des FE-C dar. Kapitel 13 schliesslich besteht aus einem kurzen Fazit zum FE-C
sowie einem Ausblick in die zukünftige Stiftungsforschung.
Die folgende Abbildung 1-2 (Teil A) und Abbildung 1-3 (Teil B) bieten einen grafisch
strukturierten Überblick über den Aufbau der Dissertation.
1
Einleitung: Das Forschungsvorhaben und seine Ziele
2
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
3
Professionelles Stiftungsmanagement –
praktische und theoretische Relevanz
4
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
5
Empirisches Design
und verwendete
Forschungsmethoden
Abbildung 1-2:
Der Aufbau der Dissertation, Teil A
Einleitung: Das Forschungsvorhaben - Ziele und Vorgehen
10
6
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
7
Management-Framework für Vergabestiftungen:
Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
8
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
9
FE-C Grundkategorie 2:
Der Gestaltungsprozess
10
FE-C Grundkategorie 3:
Der Wertschöpfungsprozess
11
FE-C Grundkategorie 4:
Die Supportprozesse
12
FE-C Grundkategorie 5:
Der Legitimierungsprozess
13
Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C): Ready for Take-off?
Abbildung 1-3:
Der Aufbau der Dissertation, Teil B
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
11
"Es genügt nicht, nur fleissig zu sein - das sind die Ameisen.
Die Frage ist vielmehr: Wofür sind wir fleissig?"
Henry David Thoreau,
amerik. Schriftsteller und Philosoph (1817-1882)
2
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
Wie das Treiben "fleissiger Ameisen" erscheinen dem interessierten Beobachter die Aktivitäten im Stiftungssektor beim Lesen von Artikeln in Tageszeitungen unter Titeln wie
"Deutsche Stiftungen als Stützen des Staates" (NZZ, Dienstag, 26. November 2002, Nr.
275, S. 5), "Das Aussergewöhnliche möglich machen" (FAZ, Samstag, 7. Dezember
2002, Nr. 285, S. 13) oder "Jeden Tag zwei neue Stiftungen" (FAZ, Montag, 20. Januar
2003, Nr. 13, S. 13). Die Fragen, die sich vielfach anschliessen, beziehen sich dann primär auf Themenbereiche der Funktion ("Was machen Stiftungen überhaupt?"), der Legitimation ("Wessen Geld ist das und wofür wird das Geld eingesetzt?"), der Rollen von
Stiftungen ("Ist nicht Bosch auch eine Stiftung? Und Bertelsmann? Und das örtliche Museum?") sowie ganz allgemein der Transparenz ("Was erfahre ich eigentlich über die Arbeit von Stiftungen?").
Häufig wird die Vielfalt gesellschaftlicher Einrichtungen, zu der auch Stiftungen zählen,
in drei Sektoren unterteilt, in einen 1.) privatwirtschaftlichen Sektor, einen 2.) staatlichen
Sektor sowie in 3.) den Sektor der zivilgesellschaftlichen Organisationen (vgl. Salamon/Anheier 1997a und b, 1999; Priller/Zimmer 2001, Sachsse 2001, sowie die dort
angegebene Literatur). Der sog. Dritte Sektor gewinnt dabei in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung - insbesondere durch eine immer grösser werdende "Lücke" zwi-
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
12
schen Staat und Privatwirtschaft. Diese Lücke wird hervorgerufen durch eine Konzentration der Privatwirtschaft auf Tätigkeitsbereiche mit hohen Gewinnerwartungen und den
im Rahmen des "New Public Managements" formulierten Anforderungen an staatliche
Organisationen. Zum bedeutender gewordenen Dritten Sektor gehören auch Stiftungen,
die dafür prädestiniert sind, staatsbürgerliche Eigeninitiative zu mobilisieren. Sie verbinden Kapital mit der Wahrnehmung sozialer Verantwortung, wie Anheier (2000, S. 10 f.)
betont. Er wertet das Stiften als Vertrauensbekundung in die Zukunft der Gesellschaft
und betont, dass Stiftungen eine Option darstellen, "wie in den letzten Jahrzehnten angesammelte Vermögen umverteilt und an die folgenden Generationen weitergegeben werden können". Dieses Verständnis von Stiftungen soll überprüft werden durch eine Betrachtung des Non-Profit-Sektors sowie von Stiftungen als besondere Akteure in diesem
Sektor.
Der Aufbau des 2. Kapitels orientiert sich am Prinzip einer trichterförmigen Eingrenzung
und Detaillierung des Stiftungssektors. Zuerst erfolgt eine Diskussion des Dritten Sektors im Allgemeinen und der Positionierung von Stiftungen innerhalb dieses Sektors im
Besonderen. Daran schliesst sich eine detaillierte Betrachtung von klassischen Stiftungen
an. Die verschiedenen Stiftungstypen zeigen die Diversität des Stiftungssektors auf. Der
Fokus richtet sich dann auf "klassische Vergabestiftungen mit eigener Kapitalbasis", entsprechend der Ausrichtung dieser Arbeit.5
2.1
Hintergründe und Akteure im Non-Profit-Sektor
Der Non-Profit-Sektor, bestehend aus privaten und freiwilligen Vereinigungen sowie
Non-Profit-Organisationen (NPO), tritt in Form von Aktivitäten und Organisationen neben dem privatwirtschaftlichen und dem öffentlichen Sektor in Erscheinung. Obwohl
man üblicherweise von drei Sektoren spricht, sind die sektoralen Abgrenzungen in praxi
nicht trennscharf, sondern gehen oft fliessend ineinander über. So können Organisationen vom einen in den anderen Sektor übertreten, z. B. Spitäler, die vom Profit- in den
5
Für die Diskussion von Positionierung, Typen, Tätigkeitsbereiche und Funktionen von Stiftungen wird verstärkt auch auf
eine internationale Literaturbasis Bezug genommen. Wo es angebracht erscheint bzw. die nationalen Besonderheiten stark
zum Tragen kommen, wird Literatur zum Schweizer Stiftungswesen einbezogen oder es werden Primärquellen verarbeitet.
So führte Foundation Excellence im Jahre 2003 eine Analyse der Stiftungslandschaft Schweiz durch. Auszüge daraus
wurden in einem Buchbeitrag verarbeitet und auf der SwissFoundations Herbsttagung 2003 vorgestellt (vgl. Rüegg-Stürm et
al. 2004a).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
13
Non-Profit-Sektor wechseln und umgekehrt. NPO umfassen neben Dienstleistungsanbietern
und
Stiftungen
z.
B.
auch
Gewerkschaften,
Berufsverbände,
Konsumentenorganisationen, ethno-kulturelle Organisationen, religiöse Gemeinschaften,
soziale Clubs oder Nachbarschaftsgruppen.6
Die Bedeutung des Sektors lässt sich auf lokaler, nationaler sowie internationaler Ebene
verfolgen. Auf lokaler Ebene treten Non-Profit-Organisationen verstärkt ins Zentrum des
öffentlichen Lebens, z. B. durch die Organisation oder Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Die zunehmende Skepsis gegenüber dem Staat bezüglich dessen Fähigkeiten
im Zusammenhang mit der allgemeinen Wohlfahrt, dem Gesundheitswesen, der Ausbildungsstruktur und der Bewältigung von Umweltproblemen haben dazu geführt, dass politische Meinungsführer Non-Profit-Organisationen - insbesondere auf nationaler Ebene
- zunehmend als strategische Kraft7 und Partner zur Beschreitung eines Mittelweges zwischen reiner Marktorientierung und zentraler Staatsherrschaft sehen (vgl. Anheier 2005a,
S. 38 ff.). Als weiterer Beleg für die Bedeutungszunahme des Dritten Sektors kann das
grosse Wachstum von internationalen Non-Profit-Organisationen8 dienen (vgl. für den
US-amerikanischen Sektor: Anheier 2005a, S.76, vergleichbare Entwicklung z. B. auch
in Deutschland, vgl. Priller/Zimmer 2001). All diese Entwicklungen zeigen, dass NonProfit-Organisationen aktiv teilnehmen an der Transformation der Industriellen zur PostIndustriellen Gesellschaft.
Non-Profit-Organisationen, als dritte institutionelle Kraft, vereinen somit einerseits Eigenschaften des öffentlichen Sektors, indem sie dem öffentlichen Nutzen dienen, und
andererseits Eigenschaften des privatwirtschaftlichen Sektors, indem sie auf privater und
freiwilliger Initiative basieren.
6
Eine ausführliche Übersicht über die grosse Varietät von Non-Profit-Entitäten bietet Anheier (2005).
7
In der Schweiz lässt sich in diesem Bereich z.B. die Stiftung Avenier Suisse (www.avenirsuisse.ch) aufführen.
8
International agierende Non-Profit-Organisationen sind auch unter der Bezeichnung Non-Governmental-Organisationen
(NGO) bekannt. Sie engagieren sich v.a. im Bereich der ökonomischen und sozialen Entwicklung, typischerweise auf "grassroot" level, d. h. "vor Ort", nahe bei den eigentlich Bedürftigen und dort wo die Probleme auftauchen bzw. sich äussern (vgl.
Anheier 2005, S. 39).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
14
2.1.1
Definition von Non-Profit-Organisationen
Die als "Non-Profit", "gemeinnützige", "wohltätige", "voluntary", "zivilgesellschaftliche", "philanthropische", "unabhängige" oder "Dritter Sektor" Organisationen bezeichnete Einheiten umfassen u. a. Einrichtungen wie Genossenschaften, Vereine, Verbände
und Stiftungen.9 Charakteristische Gemeinsamkeiten dieser Organisationsformen sind im
Sinne einer strukturell-operationalen Abgrenzung gemäss Salamon und Anheier (vgl.
1992, 1997a und b, 1999):
ƒ der institutionelle Aufbau mit organisationalen Grenzen und Auftreten in der
Öffentlichkeit
ƒ die institutionelle Trennung vom Staat
ƒ die Autonomie dieser Organisationen (Selbstverwaltung)
ƒ die nicht Gewinn orientierte Steuerungslogik (es werden keine Gewinne an
Eigentümer oder Manager ausbezahlt)10
ƒ die auf Freiwilligkeit beruhende Zusammenarbeit
In Verbindung mit dem Begriff "Non-Profit-Organisationen" werden häufig auch Begriffe wie "civil society" (Zivilgesellschaft) und "social capital" (Sozialkapital) verwendet.
Anheier et al. (2001) umschreiben civil society als die Summe von Ideen, Werten, Institutionen, Organisationen, Netzwerken und Individuen die zwischen der Familie, dem
Staat und dem Markt agieren und in dem Menschen sich freiwillig vereinen, um gemeinsame Interessen zu verfolgen. Der Begriff Zivilgesellschaft wird somit definiert in Bezug
auf die Rolle des Staates und des Marktes. Er bezeichnet die Selbstorganisation der Gesellschaft ausserhalb der staatlichen Einflussnahme und der Marktinteressen. Der NonProfit-Sektor stellt hierbei die organisationale Infrastruktur für die Zivilgesellschaft bereit. Das so geschaffene Sozialkapital ("social capital") und Vertrauen gelten als wichtige
Voraussetzung für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft.
9
Eine umfangreiche Abgrenzung des dritten Sektors mit den dazugehörigen Einrichtungen ist in Priller/Zimmer (2001) zu finden.
10
Non-Profit-Organisationen dürfen Überschüsse erwirtschaften, diese allerdings nicht an leitende Mitarbeiter oder allfällige
"Eigner" (Gründer) auszahlen. Die Überschüsse müssen innerhalb des Zwecks der Organisation weiterverwendet werden
(Reinvestitionen im Sinne des Satzungszwecks).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
15
Unter social capital versteht Anheier eine individuelle Charakteristik, die sich auf die
Summe von aktuellen und potentiellen Ressourcen bezieht, die mobilisiert werden können über die Mitgliedschaft in Organisationen und persönlichen Netzwerken. "Social
capital captures the norms of reciprocity and trust that are embodied in networks of civic
associations, many of them in the nonprofit field, and other form of socializing” (Anheier 2005a, S. 9). Nach Coleman (1990, S. 300 ff. - zit. in Anheier 2005a, S. 58) beruhen Wirtschaftswachstum und Demokratie auf dem Vorhandensein von Sozialkapital.
Bis heute hat sich keine einheitliche Definition von Non-Profit-Organisationen durchgesetzt. Je nachdem vor welchem Hintergrund eine entsprechende Abgrenzung vorgenommen wird, unterscheiden sich die Definitionen.
ƒ Die juristische (steuerrechtliche) Definition von Non-Profit-Organisationen umfasst in den USA all jene Institutionen, die unter die Tax Code Nummer 501
(c)(3)/(c)(4)11 fallen (Weitzman et al. 2002). Als Non-Profit-Organisationen in der
Schweiz im Sinne von SWISS GAAP FER 2112 gelten Organisationen ungeachtet
der Rechtsform, die gemeinnützige Leistungen unabhängig von einem Anspruch
für Aussenstehende und/oder einer Mitgliedschaft erbringen und sich öffentlich
an eine unbestimmte Zahl von Spendern wenden oder unentgeltliche Zuwendungen erhalten und/oder mit zweckbestimmten Geldern der öffentlichen Hand finanziert werden. Wichtiges Merkmal ist dabei, dass sich in aller Regel der Kreis der
Leistungsempfänger vom Kreis der Leistungserbringer unterscheidet.
ƒ Die funktionale Definition des Non-Profit-Sektors legt den Schwerpunkt auf den
Zweck, den eine Organisation einnimmt. Non-Profit-Organisationen verfolgen ein
öffentliches Interesse, das auf Gemeinwohl fokussiert ist (vgl. auch Sprecher/von
Salis-Lütolf 1999, S. 104 f.).
11
"To be tax-exempt as an organization described in IRC Section 501(c)(3) of the Code, an organization must be organized and
operated exclusively for one or more of the purposes set forth in IRC Section 501(c)(3) and none of the earnings of the organization may inure to any private shareholder or individual. In addition, it may not attempt to influence legislation as a
substantial part of its activities and it may not participate at all in campaign activity for or against political candidates.
The organizations described in IRC Section 501(c)(3) are commonly referred to under the general heading of "charitable organizations." Organizations described in IRC Section 501(c)(3), other than testing for public safety organizations, are eligible to receive tax-deductible contributions in accordance with IRC Section 170." (International Revenue Service (IRS),
www. http://www.irs.gov/charities/charitable/article/0,,id=96099,00.html (12.09.2005).
12
Seit 1. Januar 2003 bestehende Rechnungslegungsnorm der Schweizer Fachkommission für Empfehlungen zur Rechnungslegung für gemeinnützige, soziale Nonprofit-Organisationen. Zielsetzung der Norm ist die Erhöhung der Aussagekraft und
Vergleichbarkeit von Jahresrechung und Berichterstattung bei Nonprofit-Organisationen. Die Anwendung von SWISS
GAAP FER 21 erfolgt auf freiwilliger Basis.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
16
ƒ Für die ökonomische Definition von Non-Profit-Organisationen ist die
Verwendungsstruktur das charakterisierende Element. Wichtig ist dabei, dass die
Gewinne nicht an die Geldgeber ausgeschüttet werden dürfen. Basierend auf diesem Ansatz definieren die Vereinten Nationen folgendermassen: "Nonprofit institutions are legal or social entities created for the purpose of producing goods
and services whose status does not permit them to be a source of income, profit,
or other financial gain for the units that establish, control or finance them. In
practise their productive activities are bound to generate either surpluses or deficits but any surpluses they happen to make cannot be appropriated by other institutional units.” (United Nations 1993, Paragraph 4.54)
Die Vereinten Nationen (United Nations 2002, Paragraph 2.14) haben darauf aufbauend
eine strukturell-operationale Definition entwickelt, die Elemente der obigen ökonomischen Definition berücksichtigt und als Arbeitsdefinition im Folgenden benutzt werden
soll.
Der Non-Profit-Sektor besteht somit aus Institutionen, die sich folgendermassen charakterisieren lassen:
ƒ self-governing, i. S. von hoher Autonomie und Selbstkontrolle innerhalb eines
vorgegebenen Rahmens
ƒ not-for-profit und non-profit-distributing, i. S. eines Verbots der Ausschüttung
von Überschüssen
ƒ institutionally separate from government, i. S. einer strukturellen Unabhängigkeit
vom Staat
ƒ non-compulsory, i. S. einer Abwesenheit von z. B. Zwangsmitgliedschaften
ƒ mission driven, in Erweiterung der OECD-Definition und im Sinne einer Verfolgung öffentlichen Interesses und Erbringung einer gemeinnützigen Leistung
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
2.1.2
17
Zahlen, Daten, Fakten der Non-Profit-Sektoren ausgewählter Länder
Die Datenlage über den US-Non-Profit-Sektor war lange Zeit unsystematisch. Dieser
Zustand änderte sich erst durch die Filer Commission13 in den siebziger Jahren. In den
vergangenen Jahrzehnten hat der Non-Profit-Sektor ein signifikantes Wachstum bezüglich Anzahl, Beschäftigung und Umsatz erlebt (Weitzman et al. 2002). In der Zeitspanne
von 1987 bis 1997 wuchs der Non-Profit-Sektor in den USA um 23.4% (vgl. Abbildung
2-1).
Non-Profit sector
23.4
Business sector
26.4
Government sector
5.4
Total
26.2
0
5
10
15
20
25
30
sector growth in %
Abbildung 2-1:
Wachstum der Anzahl Organisationen zwischen 1987 und 1997
(Weitzman et al. 2002)
Gemäss Anheier (2005a, S. 64) waren 1998 von den 28 Millionen existierenden Einrichtungen 93.8% privatwirtschaftliche, 0.3% staatswirtschaftliche und knapp 6% - ca.
1.6 Millionen - Non-Profit-Organisationen. Diese 1.6 Millionen Organisationen im NonProfit-Sector gliedern sich in ca. 400'000 "member serving institutions”, 96'300 "social
and fraternal organizations”, 76'000 "business and professional associations”, 66'600 "labor unions”, 6'100 "political organizations”, 160'000 "mutuals and cooperatives” und
1'200'000 "public serving Institutionen” (davon 50'000 "foundations”, 352'000
"churches”, 655'000 "service providers”, 140'000 "political action agencies”) (Salamon
1999, S. 15 ff.).
Das wirtschaftliche Gewicht und die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung von NonProfit-Organisationen zeigt sich auch daran, dass dieser Sektor in den letzten Jahren eine
Wachstumsdynamik aufweist, z. B. haben NPO relativ mehr Arbeitsstellen geschaffen
als die Staats- und Privatwirtschaft. In den beim "The Johns Hopkins Comparative
13
Die Filer Commission war eine Kommission zur privaten Philanthropie und zu gesellschaftlichen Bedürfnissen in den USA
von 1973 bis 1975 und wurde nach dessen Vorsitzenden John H. Filer benannt. Die Kommission erarbeitete die bisher aussagekräftigsten und detailliertesten Reports über die amerikanische Philanthropie.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
18
Nonprofit Sector Project" untersuchten Ländern wuchs der NPO-Sektor in Bezug auf die
Arbeitsmarktentwicklung zwischen 1990 und 1995 fast viermal schneller als die
restliche Wirtschaft, wobei ein besonders starkes Wachstum in Westeuropa festzustellen
ist (vgl. Salamon/Anheier 1999, Salamon 1993).
Der Non-Profit-Sektor in den USA hat auch eine grosse arbeitsmarktpolitische Bedeutung: im Sektor sind rund 11 Mio. Arbeitnehmer beschäftigt - das entspricht 7.1% der
totalen Beschäftigung in den USA. Die sektoralen Ausgaben inklusive Lohnkosten und
operativen Ausgaben betragen Ende der 90-er Jahre gemäss Weitzman et al. (2002) annähernd USD 500 Mrd. Das entspricht 7% des gesamten nationalen Einkommens. Über
die Hälfte (54%) der Einkommen von Non-Profit-Organisationen stammen von Gebühren und Verkäufen. 36% der Einkommen stammen vom Staat und nur gerade 10% - und
somit der kleinste Teil - stammen von privaten Zuwendungen. Die 10% der privaten
Mittel teilen sich auf in 77% von Individuen, 10% von Stiftungen, 5% von Unternehmen
und 8% "bequests" (Salamon 1999, S. 15 ff.).
Generell haben Studien des Johns Hopkins Projektes ergeben, dass Industrienationen
tendenziell einen grösseren Non-Profit-Sektor vorweisen als Entwicklungs- und Transformationsländer (Anheier 2005a, S. 82). Gründe hierzu können folgende sein: tiefe Einkommen in den Entwicklungsländern, tiefe Ausgaben des Staates für Wohlfahrt, kleinere
Mittelschichten sowie unterschiedliche Rollen von Religionen (vgl. hierzu Rose-Ackerman 1996, Anheier 2005a). Salamon und Anheier (1997a und b) haben hierzu eine Typologie von Non-Profit-Sektoren (vgl. Abbildung 2-2) nach der Höhe der staatlichen
Sozialausgaben und relativen Grösse des Non-Profit-Sektors nach Beschäftigtenzahlen
vorgenommen.
Grösse des NonProfit-Sektors
Staatliche Sozialausgaben
Abbildung 2-2:
Klein
Gross
gering
hoch
Etatistisches Modell
Sozialdemokratisches Modell
u. a. Japan, Entwicklungsländer
u. a. Schweden, Norwegen,
Finnland, Italien
Liberales Modell
Korporatistisches Modell
u. a. USA, Grossbritannien
u. a. Deutschland, Frankreich
Typologie von Non-Profit-Sektoren (angelehnt an Anheier 2005a, S. 136)
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
19
Dabei stellt das Liberale Modell ein Zusammenwirken des Non-Profit-Sektors und des
Sozialstaates dar, in dem der Staat vergleichsweise geringe Wohlfahrtsangebote bereitstellt und dadurch die Sozialausgaben niedrig sind. Der Non-Profit-Sektor dagegen ist
breit gefächert und gross. Im Vergleich dazu stellt das Sozialdemokratische Modell das
Gegenteil dar: hohe staatliche Sozialausgaben und staatlich bereitgestelltes Angebot treffen auf einen gering ausgebildeten Non-Profit-Sektor. Die beiden übrigen Modelle stellen einen Mittelweg dar, wobei für das Etatistische Modell sowohl ein kleiner Non-Profit-Sektor als auch gering ausgebaute soziale Sicherungssysteme des Staates zu Buche
stehen, während das Korporatistische Modell einen gut ausgebauten Sozialstaat wie auch
einen umfassenden Non-Profit-Sektor aufweist.14
Die quantitative Erfassung des Dritten Sektors in Deutschland ist nach wie vor relativ
problematisch. Daten zu Non-Profit-Organisationen findet man nur partiell, d. h. zu einzelnen Bereichen und dazu noch verstreut in verschiedenen Statistiken und aus unterschiedlichen Quellen. Priller und Zimmer (2001) haben im Rahmen der deutschen Teilstudie des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Projects z. B. die Statistik der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit, der Berufsgenossenschaften, der Wohlfahrtsverbände, weitere spezielle Statistiken und eigene
Erhebungen verarbeitet. Die Ergebnisse sind eindeutig: der "Dritte Sektor ist in
Deutschland eine bedeutende Wirtschaftskraft" (Priller/Zimmer 2001, S. 15). Dies zeigt
sich insbesondere auch am Anteil des Sektors im Jahre 2000 am Brutto-Inlandprodukt
von 3.9% und am Beschäftigungsanteil in der Gesamtwirtschaft in Vollzeitäquivalenten
im Jahre 1995 von 4.9%.15 Daraus ergibt sich auch ein beachtlicher Anteil der Bereitstellung wohlfahrtsrelevanter Güter durch den Dritten Sektor, wie Priller und Zimmer weiter
ausführen und mit Zahlen belegen (2001, S. 19 f.): Insgesamt gab es im Jahre 1997 über
400´000 Organisationen im Dritten Sektor in denen gut 2.3 Mrd. Stunden (z. T. ehrenamtlich) geleistet wurden. Die Organisationen waren z. B. in den Bereichen "Kultur und
Erholung", "Bildung und Forschung", "Soziale Dienste", "Bürger- und Verbraucherinteressen" und "Wirtschafts- und Berufsverbände" tätig.
14
Für eine umfassende Beschreibung der Modelle sowie Erklärungsansätze für diese oder jene Ausprägung des Non-ProfitSektors oder des Sozial- und Wohlfahrtsstaates auf Grund sozial-historischer Besonderheiten siehe Anheier (2005a, S. 135
ff.).
15
Das entspricht 1.4 Mio. Vollzeitarbeitsplätzen und einer signifikanten Steigerung des Anteils von 1.2 Prozentpunkten seit
1990.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
20
Nach den Erhebungen im Rahmen des Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector
Projects entspricht der Dritte Sektor in seiner Grösse etwa dem internationalen Durchschnitt, ist jedoch kleiner als in den USA und in einer Reihe europäischer Länder16 (vgl.
Priller/Zimmer 2001, S. 20 f.). Für die Schweiz gibt es bisher keine umfassende Statistik
zum Non-Profit-Sektor, vergleichbar mit den USA oder - in Ansätzen - in Deutschland.
In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass der Non-Profit-Sektor der Schweiz mit
jenem von Deutschland Gemeinsamkeiten aufweist, auch wenn das Liberale Modell der
USA wohl in Grundzügen ebenfalls erkennbar ist. Dennoch bietet diese kurze, vergleichende Übersicht Non-Profit-Sektoren in den USA und in Deutschland einen interessanten Einblick und eine Basis, um im Folgenden die Rollen und Funktionen des Non-Profit-Sektors allgemein und der Stiftungen im Besonderen besser verstehen zu können.
2.1.3
Geburtsstunde der Non-Profit-Forschung
"The study of nonprofit or voluntary organizations is a fairly recent development in the
history of the social sciences. What has become one of the most dynamic interdisciplinary fields of the social sciences today began to gather momentum less than two decades
ago. At the same time, the field is rooted in different traditions and approaches that each
seeks to come to terms with the complexity and vast variety of nonprofit organizations
and related forms.” (Anheier 2005a, S. 3)
Obwohl die Forschungsagenda von Non-Profit-Organisationen in den letzten Jahren
grösseres Gewicht erlangt hat, ist das Verständnis über die Rollen und Funktionen dieser
Institutionen nach wie vor stark limitiert. Wurden NPO in der Vergangenheit als "terra
incognita of policymaking" (Anheier 2005a, S. 12) angesehen, rücken sie nun zusehends
in den Fokus zentraler politischer Initiativen. Die politischen Debatten lösen jedoch unterschiedlichste Erwartungen aus und werden unweigerlich Einfluss haben auf die Zukunft von privaten Institutionen, die öffentliche Interessen verfolgen. Ähnlich verhält es
sich mit dem Management von Non-Profit-Organisationen. Perrow (1986, S. 172 f.) beschreibt deren Management als irrelevant und deren organisationale Strukturen als trivial. Erst in letzter Zeit entwickelte sich ein gewisses Interesse daran, wie NPO geführt
16
Der Anteil der Beschäftigten des Non-Profit-Sektors an der Gesamtbeschäftigung (1995) war z. B. in den Niederlanden, Irland und Belgien mit jeweils deutlich über 10% höher als in Deutschland mit 4.9%.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
21
und organisiert werden (sollen). Dieses Interesse wiederspiegelt sich auch in einem steigenden Informationsbedürnis nach Governance, Accountability und Impact.
Die Forschungsagenda für den Non-Profit-Bereich wurde erst vor etwas mehr als zwei
Jahrzehnten aufgestellt, als der in Kapitel 2.1.2 aufgezeigte Boom dieses Organisationstyps noch nicht absehbar war. Bis zu diesem Zeitpunkt zollte die sozialwissenschaftliche
Forschung diesem Bereich keine grosse Beachtung. "Geburtsort" der systematischen
Non-Profit-Forschung war die University of Yale in den frühen 1980-er Jahren. Eine
Gruppe von Sozialwissenschaftlern begann die Rolle von NPO systematisch zu untersuchen. Ausgangspunkt dieser Forschungsbestrebungen war das Interesse an der aktuellen
und zukünftigen Rolle der Philanthropie in der US-amerikanischen Gesellschaft (vgl.
Anheier 2005a). Das Forschungsprogramm für Non-Profit-Organisationen in Yale war
stark auf interdisziplinäre Forschung ausgerichtet, um NPO und deren spezifischen
Kontext umfassend verstehen zu können.
Anheier (2005a, S. 10 ff.) zeigt, dass bereits früher die Wichtigkeit von NPO und deren
Erforschung von verschiedenen Autoren angedeutet wurde. So hat z. B. Alexis de Tocqueville (1985) die prominente Rolle der freiwilligen Vereinigungen bereits 1830 hervorgehoben, der Soziologe Max Weber (1924) die heute als NPO bezeichneten Institutionen als balancierende Kraft zwischen ideologischen Gedanken der religiösen und politischen Organisationen und den rationalen Ansätzen von privaten oder öffentlichen Einrichtungen erkannt oder Emile Durkheim (1933) die freiwilligen Vereinigungen als "social glue" der Gesellschaft hervorgehoben. Trotz dieser frühen Bemerkungen namhafter
Sozialwissenschaftler ergab sich keine eigentliche, abgrenzbare Non-Profit-Sektor-Forschung. Die Ökonomen konzentrierten sich auf den Markt mit den privatwirtschaftlichen
Akteuren, die Politikwissenschaftler auf den Staat und die öffentliche Verwaltung und
die Soziologen auf soziale und ethnische Ungleichheiten wie auch auf Geschlechterforschung. Die vergleichende Sektorforschung von privatwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisationen wurde erst ab 1980 durch die Erforschung von zivilgesellschaftlichen Organisationen erweitert. Auslöser hierbei waren die Krise des Wohlfahrtstaates,
das begrenzte Engagement des Staates für soziale Probleme, die politischen
Herausforderungen des Neo-Liberalismus sowie das Ende des kalten Krieges.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
22
Anheier (2005a, S. 12) konstatiert ein grösseres Interesse an Non-Profit-Organisationen
aufgrund folgender sechs Aspekte:
1. deren wachsender ökonomischer Bedeutung in den Bereichen der sozialen
Dienstleistungen, Gesundheitswesen, Ausbildung und Kultur
2. der grösseren überparteilichen und internationalen politischen Einflussnahme
3. der veränderten Rolle von NGOs als Teil der globalen Governance
4. der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien mit dem Effekt von
tieferen Kommunikationskosten
5. der äusserst vorteilhaften ökonomischen Umstände in den Industrieländern
6. eines Wertewandels bezüglich Verantwortung und einer Expansion der Demokratie
Bis heute haben sich die Forschungs- und Lehrprogramme stark ausgedehnt. Aktuell gibt
es gemäss Anheier (2005a, S. 15 ff.) über 200 Lehrangebote im Bereich der Non-ProfitOrganisationen in den USA. Das Forschungsumfeld hat sich interdisziplinär entwickelt,
obwohl die auslösenden Ansätze in den 80-er Jahren vorwiegend sozialwissenschaftlich
- v. a. ökonomisch - geprägt waren.
Die Forschung von Non-Profit-Organisationen wurde seit jeher sehr stark unter dem
Blickwinkel der Institutionentheorie betrachtet. Dies ist insofern nicht erstaunlich, als
dass Paul DiMaggio - einer der Vordenker der Institutionentheorie - eine treibende Kraft
war beim Aufbau eines NPO-Forschungsprogramms an der Yale University.17
DiMaggio und Anheier (1990) haben in der Annual Review of Sociology eine Forschungslandkarte für den Non-Profit-Sektor aufgestellt und dabei drei grundlegende Fragen formuliert:
1. Wieso existieren Non-Profit-Organisationen überhaupt?
2. Wie verhalten sich Non-Profit-Organisationen und wie funktionieren sie?
3. Welchen Impact erzeugen Non-Profit-Organisationen ("making a difference")?
17
Dies wurde von Prof. Anheier in einem privaten Gespräch anlässlich des Forschungsaufenthaltes an der UCLA am 18. Mai
2005 so dargestellt.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
23
Diese Fragen können sowohl auf organisationaler, industrieller (Branche) oder gesellschaftlicher Ebene gestellt werden (vgl. Abbildung 2-3).
Level of analysis and focus
Organisation
Why is this organization nonprofit rather than forprofit or
government?
Organizational choice
Field/Industry
Why do we find specific
compositions of nonprofit,
forprofit, government firms in
fields/industries?
Fieldspecific division of labor
Economy/Country
Why do we find variations in
the size and structure of the
nonprofit sector cross-nationally?
Sectoral division of labor
How?
How does this organization
operate? How does it compare to other equivalent organizations?
Organizational efficiency,
etc.; management issues
How do nonprofit organizations behave relative to other
forms in the same field or industry?
Comparative industry efficiency and related issues
How does the nonprofit
sector operate and what role
does it play relative to other
sectors?
Comparative sector roles
So what?
What is the contribution of
this organization relative to
other forms?
Distinct characteristics and
impact of focal organization
What is the relative contribution of nonprofit organizations in this field relative to
other forms?
Different contributions of
forms in specific industries
What does the nonprofit
sector contribute relative to
other sectors?
Sector-specific contributions
and impacts cross-nationally
Basic question
Why?
Abbildung 2-3:
Forschungsagenda des NPO-Sektors (Anheier 2005a, S. 116)
Durch das verstärkte Forschungsinteresse an NPO in den letzten Jahren konnten zahlreiche Antworten auf die "why"-Fragen gegeben werden (vgl. Kap. 2.1.4). Die aktuelle
Forschung konzentriert sich gemäss Anheier18 nun vor allem auf die "how" und "so
what" Fragen, z. B. im Bereich "organizational behavior" und "impact".
2.1.4
Erklärungsansätze zur Existenz von Non-Profit-Organisationen
Es wird versucht, die "why"-Fragen aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven zu
beantworten - allen voran die Frage, warum manche Organisationen in einer Marktwirtschaft die Option wählen, ihr Residualeinkommen nicht als Gewinn auszuschütten. Die
Grundfrage dabei ist, wieso es werthaltige Produkte gibt, die a) keinen Marktpreis haben
und b) nicht über den Marktmechanismus ausgetauscht werden. Titmus (1973) sieht
hierbei sechs zentrale Aspekte für dieses Marktversagen:
1. Informationsasymmetrie
2. fehlendes Vertrauen
18
Dies ist eine Einschätzung von Prof. Helmut Anheier anlässlich eines Forschungscolloquiums an der Universität St. Gallen
zum Thema "Non-Profit-Forschung: Historie, Gegenwart und Zukunft" am 16. Juni 2005.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
24
3. nicht internalisierbare Kosten
4. Transaktionskosten
5. limitierte Märkte
6. Limitationen von freiwilligen Systemen
Von der Güterart her betrachtet gibt es einerseits die vollkommen privaten Güter, für die
Eigentumsrechte angewendet werden können und andererseits vollkommen öffentliche
Güter, die nicht mit derartigen Rechten versehen werden können. Die vollkommen öffentlichen Güter sind nicht ausschliessbar, d. h. Konsumenten können ohne aufwändige
Massnahmen nicht vom Gebrauch ausgeschlossen werden (z. B. Zutritt zum öffentlichen
Stadtpark) und unterliegen nicht der Rivalität, d. h. der Gebrauch der Güter reduziert
nicht den Gebrauch dieses Gutes für einen anderen Nutzer (z. B. Flanieren im öffentlichen Stadtpark). Die reinen privaten Güter werden privatwirtschaftlich produziert und
über den Marktpreis finanziert. Die reinen öffentlichen Güter werden vom Staat
bereitgestellt und über Steuern und Abgaben finanziert. Quasi-öffentliche Güter, bei
denen eine Ausschliessbarkeit möglich ist und Externalitäten bestehen, werden von NonProfit-Organisationen bereitgestellt, können in Einzelfällen allerdings auch von
privatwirtschaftlichen oder staatlichen Organisationen produziert werden. Vor diesem
Hintergrund lautet somit die zentrale Frage, wie die spezifischen Angebots- und
Nachfragebedingungen sein müssen, damit die institutionelle Form einer Non-ProfitOrganisation gewählt wird.19
Die Public Good Theory mit dem Vordenker Burton Weisbrod (z. B. 1977, 1988) erklärt
die Existenz von Non-Profit-Organisationen durch Nachfrageheterogenität und dem Median-Wähler. Hierbei versagen der Markt und der Staat nicht aufgrund von Informationsasymmetrien, sondern aufgrund der Eigenschaft des Gutes. Öffentliche resp. quasiöffentliche Güter werden nicht über den Markt gehandelt, da keine Exklusivitätsrechte
einen möglichen Profit garantieren. Der Staat übernimmt nun die Erstellung solcher Güter und finanziert sie über Steuern. Bei Nachfrageheterogenität kann jedoch auch der
Staat die Nachfrage nicht vollständig befriedigen, weil er sich grundsätzlich am MedianWähler orientiert (Mehrheitsprinzip). Gemäss der Public Goods Theory versuchen nun
die Gewählten in einer Demokratie die Nachfrage der Median-Wähler nach öffentlichen
19
Für eine ausführliche Diskussion der verschiedenen Theorie-Ansätze zur Beantwortung der Existenz von Non-ProfitOrganisationen vgl. Anheier (2005a).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
25
und quasi-öffentlichen Gütern zu befriedigen, um die Wiederwahlchancen zu erhöhen.
Die unerfüllte Bedürfnisbefriedigung der Minderheiten kann deshalb nur durch Non-Profit-Organisationen erfolgen.
Die Trust-related Theory geht ebenfalls von einer Unterversorgung von öffentlichen und
quasi-öffentlichen Gütern durch den Staat für die Existenz von NPO aus. Diese Unterversorgung resultiert hier aber aus einer Informationsasymetrie. Der Staat verfügt entweder nicht über vollständige Informationen oder könnte sie nur über hohe Überwachungskosten gewinnen. For-Profit-Organisationen würden versuchen, aus einer Informationsasymmetrie einen Preisaufschlag durchzusetzen, weil sie über exklusive Informationen
verfügen. Da Non-Profit-Organisationen Überschüsse nicht ausschütten dürfen und daher
nicht
opportunistisch
handeln,
sind
sie
nicht
gezwungen,
die
Informationsasymmetrie auszunutzen und geniessen daher ein hohes Vertrauen. NPOs
sind somit bei asymmetrischen Informationen für die Nachfrager eine vertrauenswürdige
Alternative
zu
erwerbswirtschaftlichen
Unternehmen
(Hansmann
1987).
Das
Gewinnverteilungsverbot und der damit verbundene fehlende Leistungsanreiz kann
jedoch zur Folge haben, dass Manager weniger effektiv und effizient arbeiten und die
Wirkung daher geringer sein könnte.
Die Entrepreneurship Theory versucht die Existenz von Non-Profit-Organisationen nicht
über die Nachfrage sondern über das Angebot von Gütern zu erklären. Dahinter steht die
Frage, was ein Individuum dazu motiviert, Dienstleistungen für Dritte trotz fehlenden
Anreizes zur persönlichen Profitgenerierung - aufgrund des Gewinnverwendungsverbotes - anzubieten. Ein Entrepreneur - hier verstanden im Sinne von Schumpeter (1934)
und Dees et al. (2001) - ist ein opportunitätsorientiertes Individuum, das eine Wertschöpfung durch innovative Kombination von Ressourcen erzielen will. Nach Dees et al.
(2001) unterscheidet sich ein Social Entrepreneur von einem Entrepreneur durch das
Schaffen von sozialen Werten anstatt von monetären oder ökonomischen Werten. Da bei
einem Social Entrepreneur nicht das monetäre Wertschaffen im Vordergrund steht, sondern er eher missionsgetrieben ist, fördert er die Heterogenität (Pluralismus) und gilt somit als wichtiges Element in der modernen Gesellschaft.
Die Supply-Theory versucht die Entstehung der Non-Profit-Organisationen ebenfalls
über das Angebot von Gütern zu erklären. Hierbei werden Non-Profit-Organisationen
mit dem primären Ziel gegründet, Überzeugungen, religiöse Auffassungen oder generell
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
26
normative Einstellungen zu verbreiten durch religiös, ethisch oder altruistisch motivierte
Unternehmerpersönlichkeiten (Rose-Ackermann 1986, James 1990, Nährlich 1998). Der
Anreiz zur Gründung einer Non-Profit-Organisation besteht somit in der individuellen
Nutzenmaximierung des Initiators durch die Verbreitung seiner Ideologie, anstatt dem
Anreiz nach monetärem Profit.
Gegenwärtig zeichnet sich in der akademischen Diskussion kein "Favorit" ab, vielmehr
werden alle Theorien und Erklärungsansätze beigezogen, um die Existenz von Non-Profit-Organisationen zu begründen.
2.1.5
Non-Profit-Organisationen als Stütze der Gesellschaft
Die zentrale Rolle von Non-Profit-Organisationen lässt sich, zusätzlich zu ihrer mit
Zahlen belegten Bedeutung (vgl. Kap. 2.1.2), auch durch zwei Tendenzen als Vermengung und Folge der oben dargelegten theoretisch-analytischen Überlegungen erklären:
ƒ Rückzugstendenz der privatwirtschaftlichen Organisationen
ƒ Rückzugstendenz der staatswirtschaftlichen Organisationen
Bei den privatwirtschaftlichen Organisationen kann eine substantielle Veränderung der
(Geschäfts-) Umwelt während des letzten Jahrzehntes (vgl. Makhija et al. 1997; Thomas
1996) und eine zunehmend finanzmarktorientierte Betrachtungsweise und Führung von
Unternehmungen beobachtet werden. Unter der Bezeichnung "Shareholder Value" oder
"Value-based Management" ist die "Messlatte" für Erfolg von Unternehmungen massiv
nach oben angehoben worden. Es reicht heute nicht mehr aus, dass eine Unternehmung
Gewinne ("schwarze Zahlen") ausweisen kann, sondern sie gilt erst dann als erfolgreich,
wenn sie mindestens ihre gesamten Kapitalkosten verdient hat. Dies führt notwendigerweise dazu, dass Unternehmungen ihre Handlungsfelder sorgfältig(er) aussuchen müssen, und zwar auf Tätigkeitsbereiche mit hohen Gewinnerwartungen und der Möglichkeit, die gesamten Kapitalkosten zu erwirtschaften. Seitens der Unternehmungen ist also
eine gewisse Rückzugstendenz aus wenig(er) rentablen Bereichen zu beobachten
(Powell 2001) - oder sie treten erst gar nicht in diese ein.
Eine vom Ergebnis her vergleichbare Entwicklung ist auch im staatswirtschaftlichen
Sektor erkennbar. Hier haben Bestrebungen im Rahmen des New Public Management
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
27
dazu geführt, dass sich staatliche Organisationen über die Pflichten und Verantwortlichkeiten ihrer Tätigkeiten vermehrt Gedanken machen (vgl. Aucoin/Savoie 1998; Williamson et al. 2003; Saidel 1991). Die Schwierigkeiten der staatlichen Institutionen bei der
Erfüllung bisheriger (z. B. Primärbildung) und neuer Bedürfnisse (z. B. Altersvorsorge)
und bei der Ausgestaltung von Verantwortungsbereichen (z. B. öffentliche Sicherheit)
steigen auf Grund finanzieller wie auch organisatorischer Aspekte. Als Folge werden die
Grenzen staatlicher Leistungsfähigkeit neu bestimmt (vgl. Then/Timmer 2001; von König/von Loeffelholz 2001) und der Staat zieht sich verstärkt auf hoheitliche Aufgabenfelder zurück (vgl. Toepler 1996; Bertelsmann Stiftung 2001, Palmer 1998, Krull 2004).
Wichtige Bereiche des "Service Public", wie etwa Elektrizität, Post und Telekommunikation, werden privatisiert. Somit vollzieht auch der Staat eine Rückzugsbewegung aus
für ihn "unrentablen" Bereichen (vgl. Beauregard 1994; Guay 1997; Heeks 1999). Andere Bereiche, z. B. Integration von ausländischen Mitbürgern, werden auf Grund
mangelnder Gewinnerwartungen nicht von privatwirtschaftlichen Unternehmen übernommen (Public Good Theory). Damit rückt die Tatsache ins Bewusstsein, dass auch die
Privatwirtschaft nicht für alle gesellschaftlichen Probleme die richtige Antwort hat.
Privatwirtschaftliche
Organisationen
Staatswirtschaftliche
Organisationen
Æ Dominanz des
Gewinnstrebens
Æ Dominanz mehrheitsfähiger Entscheidungen
Dritte Sektor
Organisationen
Æ Dominanz des Sachziels
Abbildung 2-4:
20
Der Dritte Sektor als "Stütze" einer Gesellschaft:20 zwischen privatwirtschaftlichem
und staatlichem Sektor
Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen einem Alltagsverständnis von Gesellschaft (z.B. 'eine Menge von Personen', oder spezieller: "in guter Gesellschaft sein", "gesellschaftlichen Anschluss suchen", "das ist mir eine feine Gesellschaft") und der Verwendung des Begriffs in der Soziologie bzw. den Sozialwissenschaften überhaupt und im Privatrecht.
Sozialanthropologisch gesehen ist der Mensch 'von Natur aus' in Gesellschaft, in Aristoteles' Worten also ein zóon politikón,
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
28
Mit dem Rückzug des staatswirtschaftlichen und des privatwirtschaftlichen Sektors aus
wichtigen sozialen Aufgabenfeldern der Gesellschaft ergeben sich immer mehr gesellschaftliche "Knappheiten". Diese sind weder mehrheitsfähig - und somit nicht durch den
Staat aus Steuermitteln finanzierbar - noch privatwirtschaftlich rentabel (z. B. im Bildungs- oder Gesundheitssektor) und müssen vom "Dritten Sektor" bedient werden (vgl.
Abbildung 2-4). Hinzu kommen wachsende Zweifel an der Fähigkeit des Staates aufgrund zahlreicher Umsetzungsdefizite, die anstehenden gesellschaftlichen Probleme
meistern zu können. Zu erwähnen sind hierbei vor allem das Sozialwesen, die Wirtschaftsentwicklung und der Umweltbereich (Strachwitz 2001a). Kocka (2004, S. 4)
kommt zur Schlussfolgerung, "dass unser Sozial- und Interventionsstaat an seine Grenzen gestossen und dabei ist, sich zu übernehmen" (ähnlich auch Bertelsmann 2001, S.
16). Ein genereller Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Aktivitäten, die sichtbaren
Grenzen des Wohlfahrtsstaates und umfassende Erwartungsänderungen an staatliche
Aufgaben haben den Non-Profit-Sektor in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt
(vgl. Priller/Zimmer 2001). Finanzielle Zwänge und gesellschaftspolitische Erwägungen
bedingen daher eine Diskussion über eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat,
Wirtschaft und dem Dritten Sektor. Der Dritte Sektor - und damit auch die einzelnen
Organisationen wie z. B. Stiftungen - müssen sich darüber klar werden, woraus ihre
spezifischen Leistungsbeiträge zum Gemeinwohl bestehen sollen und wie stark sich
gemeinnützige Organisationen engagieren können, ohne zu "Lückenbüssern staatlicher
Finanzprobleme" zu werden (vgl. Then/Timmer 2001).21
2.1.6
Stiftungen als zentrale Akteure im Non-Profit-Sektor
Stiftungen spielen innerhalb des Non-Profit-Sektors auf Grund spezifischer Eigenschaften eine wichtige Funktion bei der Entwicklung der Gesellschaft. (vgl. hierzu ausführlich
ein auf 'Staaten- (Gemeinden-, Poleis-) Bildung angelegtes Wesen. Die Soziologie versteht allgemein unter Gesellschaft jede
Form des Zusammenlebens von Menschen. Oft wird darunter ein Kollektiv, z. B. ein Volk, ein strukturierter, räumlich
abgegrenztbarer Zusammenhang von Menschen (z. B. "die schwedische Gesellschaft", "die industrielle Gesellschaft") oder
ein sonst durch die Dichte und Multiplexität sozialer Interaktionen abgrenzbares Cluster im Netzwerk der Menschheit
verstanden.
21
Eine Studie der Johns Hopkins University (The Johns Hopkins Comparative Nonprofit Sector Project, Salamon/Anheier
1999) hat ergeben, dass der Non-Profit-Sektor eines Landes - innerhalb dessen Stiftungen eine wichtige Rolle einnehmen an Grösse und Bedeutung nur bedingt mit dem Ausmass staatlicher Sicherungssysteme (z. B. Altersvorsorge) korreliert.
Vielmehr hängt, wie Salamon und Anheier (1999, S. 15) aufzeigen, die Grösse des Non-Profit-Sektors vom Wohlstand eines
Landes sowie von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen ab.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
29
Kap. 2.3). Als Begründung für diese "Schrittmacherrolle" werden in der Fachliteratur
insbesondere folgende charakteristische Eigenschaften von Stiftungen genannt:
ƒ die erhöhte Flexibilität in Bezug auf schnelle Entscheidungsfindung und Umsetzung auf Grund der meist geringen "Binnenkomplexität", d. h. kleine Entscheidungsgremien und wenig Mitarbeitende (Toepler 1996, Burens 1987)
ƒ die grosse Unabhängigkeit und Freiheit von direkter externer Kontrolle (Anheier
2000, S. 13)
ƒ die Fähigkeit zur Mobilisierung von Privatinitiativen für öffentliche Zwecke im
Sinne von Freiwilligenarbeit oder Zustiftungen und Kooperationen (Salamon/Anheier 1999, S. 15 f. und 27)
Hinzu kommt, dass wegen unterschiedlichen Rationalitäten und Steuerungslogiken der
einzelnen Sektoren unterschiedliche Risikobereitschaften entstehen. Sowohl der staatliche als auch der privatwirtschaftliche Sektor meiden durch ihre oben beschriebenen
Rückzugsbewegungen bestimmte Tätigkeitsfelder und Risiken (z. B. Investitionsrisiken,
politische Risiken). Stiftungen können im Rahmen dieser Entwicklung auf Grund ihrer
besonderen "Risikobewirtschaftung" eine zentrale Rolle spielen, indem solche Themen
bearbeitet und Aktivitäten ausgeführt werden, die von den anderen Akteuren eben nicht
übernommen werden (können) (Abbildung 2-5). Zusammenfassend formuliert Frumkin
(1999, S. 69; ähnlich auch Toepler/Feldman 2003, S. 1 ff.): "Throwing on their tremendous resources and independence, foundations have over the years shown a willingness
to attempt projects that government and businesses are either unwilling or unable to
carry out for political or financial reasons. Foundations can perform a distinctive role in
society because they are free from the influence of organized constituencies and shareholders."
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
30
GAP
Abbildung 2-5:
Stiftungen
Dritter Sektor
Staatswirtschaftliche
Organisationen
Stiftungen
Privatwirtschaftliche
Organisationen
Stiftungen als flankierende und treibende Kraft des Dritten Sektors
Die Bedeutung und Attraktivität des Stiftungssektors kann auch an der Entwicklung in
verschiedenen Ländern wie den USA, Japan, Italien, Schweden, Türkei und Brasilien
(Anheier 2000) aber auch der Schweiz (vgl. Rüegg-Stürm et al. 2004a, S. 83 ff.) und
Deutschland (Dieckmann et al. 2000) beobachtet werden. In allen diesen Ländern erfährt
der Stiftungssektor eine Phase anhaltenden Wachstums hinsichtlich der Anzahl der Stiftungen und des verfügbaren Kapitals (vgl. hierzu ausführlich Kap. 2.2.4) Diese Entwicklung ist gepaart mit kontinuierlich steigenden gesellschaftlichen Erwartungen an den
Non-Profit-Sektor im Allgemeinen und Stiftungen im Besonderen (vgl. Then/Timmer
2001). Der Stiftungsgedanke wird im Rahmen des derzeitigen tiefgreifenden Wandels
staatlicher Funktionen und marktlicher Entwicklungen sowie der erwarteten "neuen" Eigenverantwortlichkeit der Bürger neu interpretiert. So nennt Anheier (2000, S. 12) die
jetzige Phase "spät- oder postmoderne Blütezeit des Stiftungswesens."22
2.2
Überblick zu klassischen Stiftungen
Nach der im vorangegangenen Kapitel 2.1 erfolgten Analyse der einzelnen Akteure der
drei Sektoren und einer detaillierteren Betrachtung des Non-Profit-Sektors mit dem für
diese Arbeit zentralen "Player" Stiftungen, geht es in diesem Kapitel darum, Stiftungen
22
Die spät- oder postmoderne Blütezeit schliesst sich an die erste grosse Wachstumsperiode im Mittelalter im Zuge der
Entwicklung von Handel und Finanzwesen und der zweiten Expansionszeit im späten 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit
der industriellen Revolution an.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
31
als solche genauer zu analysieren. Eine erste Annäherung im Hinblick auf das breitere
Verständnis von Stiftungen geschieht durch eine Diskussion verschiedener Definitionsversuche, die auf eine - in dieser Arbeit verwendete und zur Abgrenzung von anderen
Stiftungen dienende - Definition "klassischer Stiftungen" führt. Anschliessend erfolgt
eine kurze Auflistung der Motive zur Gründung von Stiftungen. Auf diesen Grundlagen
werden dann die verschiedenen in der Praxis auftretenden Typen von klassischen Stiftungen vorgestellt. Als Abschluss dieses Kapitels erfolgt eine Betrachtung des Stiftungssektors Schweiz, wobei die Schweizer Stiftungen z. B. nach Tätigkeitsgebieten kategorisiert werden23. Diese Daten basieren auf einer von der Universität St. Gallen im Rahmen
des Forschungsprojektes Foundation Excellence durchgeführten Studie "Stiftungslandschaft Schweiz" (Rüegg-Stürm et al. 2004a, S. 83 ff.).
2.2.1
Definition klassischer Stiftungen
Definitionsversuche des Stiftungsbegriffs sind nicht trivial24, denn "what is defined as a
foundation in one country may not qualify as such in another" (Anheier 2001, S. 39).
Gemäss Anheier (2005a) basiert eine Stiftung in ihrer Grundform auf dem Transfer von
Eigentum eines Geldgebers an eine unabhängige Institution mit der Auflage, dieses Vermögen und die daraus erwirtschafteten Erträge für einen spezifischen Zweck über einen
oftmals unbegrenzten Zeitraum zu verwenden. Abgesehen von den länderspezifischen
Ausgestaltungen des Rechts wird eine Stiftung aus juristischer Perspektive definiert als
ausgesondertes Vermögen für einen spezifischen Zweck mit gesellschaftlicher Ausrichtung.25 Im deutschsprachigen Raum muss eine Stiftung einen oder mehrere Zwecke haben, ein zweckentsprechendes Vermögen sowie eine organisationale Struktur aufweisen.
23
Kategorisierung hier verstanden als politisch-pragmatische Einteilung von Stiftungen, z. B. Soziales, Bildung, Umwelt, im
Gegensatz zu technisch-konzeptionellen Funktionen von Stiftungen und der darauf basierenden Legitimationsdiskussion in
Kapitel 2.3.
24
"Nicht trivial" wird in dieser Arbeit als Gegensatz zu "trivial" verstanden und bezieht sich auf nicht-lineare, stark vernetzte,
dynamische Wirkungszusammenhängen.
25
Nach Schweizer Recht wird unter einer Stiftung (ZGB 80 ff.) ein Vermögen verstanden, "das von einer Person zu einem von
ihr festgesetzten dauernden Zweck in der Weise festgelegt wird, dass das Vermögen aus dem Rechtskreis des Stifter ausgeschieden und mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet wird. Man spricht auch von einem ‚personifizierten Zweckvermögen’. Die Stiftung ist eine selbständige Rechtsperson, die mit eigenem Vermögen einen bestimmten Zweck verfolgt"
(Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 37).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
32
Das in New York ansässige Foundation Center26 versucht aus der Perspektive von
Vergabestiftungen (grant-making foundations) klassische Stiftungen zu definieren. Demnach können Stiftungen betrachtet werden als nicht-staatliche Non-Profit Organisationen
mit eigenen Mitteln (meist aus einer einzigen Quelle, entweder als individuelles Familien- oder Firmenvermögen) und Programmen. Sie werden von ihren eigenen Treuhändern verwaltet und dienen der allgemeinen Wohlfahrt primär durch die Förderung anderer Non-Profit Organisationen (vgl. Anheier/Toepler 1998; Renz et al. 1997) insbesondere in sozialen, Bildungs- und Wohlfahrtsbereichen. Nach einem Klassifizierungssystem von Anheier27 (2001, S. 41) steht hier sowohl die "activity" ("grant-making" oder
"operating") als auch die "revenue structure" ("single" oder "multiple funding sources")
im Zentrum.
Strachwitz (zit. in Adloff 2002, S. 23) unternimmt einen Definitionsversuch des Stiftungsbegriffs mit besonderer Betonung der zeitlichen Unbegrenztheit: "Eine Stiftung ist
das Ergebnis der Übertragung von Vermögenswerten an eine mit eigener Satzung ausgestatteten Organisation, die so gestaltet ist, dass diese Satzung die Verwalter der Organisation bezüglich der Erhaltung und Verwendung des Vermögens dauerhaft bindet."
Als Kernelemente einer Stiftung werden also die dauerhafte Bindung an den Erhalt und
die Verwendung des Vermögens, die Bindung an den Stifterwillen und das
eingeschränkte Verfügungsrecht der Organe über das Vermögen angesehen. Adloff
(2002) argumentiert in eine ähnliche Richtung, denn für ihn ist das entscheidende
Kriterium einer Stiftung die dauerhafte Verpflichtung zur Rückbesinnung an den
ursprünglichen Stifterwillen und der damit verknüpften Interaktion zwischen
Vergangenheit, Gegenwart und erwarteten Zukunftsperspektiven, die eine kreative
Weiterentwicklung des Willens bewirken.28
26
Das Foundation Center ist ein in New York ansässiges unabhängiges Forschungs- und Kompetenzzentrum in den USA, das
sich zum Ziel gesetzt hat, eine Welt "enriched by the effective allocation of philanthropic resources, informed public discourse about philanthropy, and broad understanding of the contributions of nonprofit activity to civil society" zu erreichen.
Dafür werden Informationen über das US-Stiftungswesen erhoben und aufbereitet, Forschungsprojekte zu spezifischen,
stiftungsrelevanten Themen durchgeführt und gefördert, sowie Schulungen für Stiftungsmitarbeitende angeboten (vgl. auch
www.fdcenter.org).
27
Anheier (2001, S. 41) verwendet folgende Kriterien (mit den jeweiligen Ausprägungen): type of founder (private or public);
purpose (charitable or other); activities (grant making or operating); revenue structure (single or multiple funding sources);
asset type (own endowment or regular allocations); degree of independence (from state or business interest).
28
Zur Gründung einer Stiftung bedarf es, basierend auf dem Schweizerischen ZGB, nur die drei Voraussetzungen: Stifterwillen
zur Gründung einer Stiftung; Stiftungskapital, das adäquat zum Stiftungszweck ausgestattet sein muss; Stiftungszweck (Riemer 1981). Vgl. auch Exkurs: Gründungsleitfaden.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
33
Die wohl am weitesten verbreitete Definition ist diejenige von Anheier (2001, S. 41f.),
die eine Erweiterung der Definition von Salamon und Anheier (1997a) darstellt. Hier
werden eher die Konstitution ("degree of independence from either the state or business
interest") und die Eignerverhältnisse ("private" oder "public") in den Vordergrund der
Abgrenzung gerückt. Anheier führt ebenfalls das "non membership based"-Kriterium
ein, wodurch Vereine und GmbHs ausgeschlossen werden. Die Stiftung hat also keine
Mitglieder oder Eigentümer im Sinne von Genossenschaftern oder Aktionären. Die Organe selbst haben in Bezug auf den Zweck eine dienende Funktion und es besteht eine
grundsätzliche Vermögens-Zweck-Bindung (personifiziertes Zweckvermögen).
Eine Stiftung im Sinne Anheiers (z. B. 2001, 2005a) lässt sich demnach aus eher strukturell-organisatorischer Sichtweise definieren als:
ƒ non-membership based organization: Stiftungen besitzen keine Mitglieder wie z.
B. Genossenschaften oder auch Aktiengesellschaften. Eine Stiftung besteht aus
einem "verselbständigten Vermögen" und ist grundsätzlich "auf Ewigkeit" angelegt.
ƒ private entity: Stiftungen sind strukturell völlig unabhängig vom Staat. Zwar können sie vom Staat gegründet worden sein bzw. staatliche Zuschüsse erhalten, sie
stellen jedoch kein Instrument des Staates dar im Sinne seiner "Exekutivgewalt".
ƒ self-governing structure: Stiftungen kontrollieren grundsätzlich sich selbst und
besitzen dadurch auch einen hohen Grad an Autonomie, die jedoch proaktiv gehandhabt werden sollte ("Legitimierung" und "Transparenz").
ƒ non profit-distributing entity: Stiftungen sind Non-Profit-Organisationen, die
nicht nach Gewinn streben und keine Ausschüttungen vornehmen dürfen.
ƒ serving a public purpose: Stiftungen sind private, "verselbständigte" Vermögen,
die gemeinnützig agieren.
Stiftungen, die diese Kriterien erfüllen, können als klassische Stiftungen bezeichnet werden - auf sie soll in dieser Arbeit Bezug genommen werden. Klassische Stiftungen zeichnen sich durch eine gemeinnützige Zweckverfolgung aus.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
34
Den Gemeinnützigkeitsbegriff definieren Sprecher und von Salis-Lütolf (1999, S. 104 f.)
folgendermassen:
ƒ Verfolgung von Allgemeininteresse - als objektives Kriterium.
Es wird angenommen, wenn der Kreis der Destinatäre grundsätzlich offen ist
(Familienstiftungen verfolgen z. B. kein Allgemeininteresse) und die Stiftung den
Zweck auch wirklich verfolgt (thesaurierende Stiftungen verfolgen z. B. kein Allgemeininteresse).
ƒ Uneigennützige Verfolgung des Stiftungszwecks - als subjektives Kriterium.
Dadurch wird ausgeschlossen, dass die Tätigkeit der Stiftung der Wahrnehmung
eigener Interessen dient (z. B. Vereinigung zur Verfolgung von Freizeitaktivitäten) oder einer Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Gewinnerzielung nachgeht.
2.2.2
Historischer Hintergrund klassischer Stiftungen
Klassische Stiftungen werden oftmals in Verbindung gebracht mit dem Aufkommen der
grossen "Grant-making"-Stiftungen (Vergabestiftungen) in den Industrieländern im 20.
Jahrhundert. Die Geschichte von Stiftungen allerdings reicht weit zurück bis in die Antike und besitzt in vielen Kulturen eine lange Tradition (Coing 1981, Whitaker 1974).
Historisch gesehen zählen Stiftungen somit zu den ältesten existierenden sozialen Institutionen überhaupt. Stiftungen waren und sind wichtige Einrichtungen im Christentum
wie im Islam. Im Mittelalter z. B. wurden Stiftungen als religiöse Institutionen verstanden und waren hauptsächlich im Gesundheitswesen und im Bildungsbereich (Schulen)
aktiv. Später wurden Stiftungen jedoch auch von der neu auftretenden Mittelklasse gegründet mit dem Zweck der Altersvorsorge von z. B. Handwerkern. Während den ersten
vier Jahrzehnten im 20. Jahrhundert litten europäische Stiftungen unter politischen und
ökonomischen Instabilitäten wie der Inflation, Kriegen und totalitären Regierungen.
Der amerikanische Stiftungssektor entwickelte sich dagegen anders (Anheier 2005a).
Während europäische Stiftungen sich hohen Unsicherheiten und Instabilitäten ausgesetzt
sahen, entwickelten sich in den USA Stiftungen als Hauptträger der organisierten Philanthropie. Obwohl Stiftungen seit jeher in verschiedenen Erscheinungsformen in der
US-amerikanischen Geschichte vorhanden waren, kann die Geburtsstunde der modernen
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
35
US-Stiftungsgeschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts verortet werden - mit der Entstehung der grossen philanthropischen Stiftungen wie der Carnegie oder Rockefeller Foundation. Diese Stiftungen verfolgten nicht mehr den traditionellen "Charity"-Ansatz29,
vielmehr bestand das Ziel darin, die tatsächlichen Ursachen eines Problems systematisch
zu ergründen und langfristige Lösungen zu entwickeln (Karl/Katz 1981, Bulmer 1999,
McCarthy 2003). Diese Neuausrichtung der Stiftungsarbeit sowie die grossen und neu
zugeflossenen finanziellen Ressourcen haben eine neue Ära der institutionellen Philanthropie ausgelöst- und dies nicht nur in den USA. Mit dieser neuen Philanthropie und der
damit verbundenen Suche nach den Wurzeln ("root causes") sozialer Probleme ging die
Professionalisierung der Mitarbeiter einher (z. B. Frumkin 1999).
2.2.3
Typologie klassischer Stiftungen
Als Grundlage für ein breites Wissen über den Stiftungssektor sind neben den Gründen
für die Errichtung einer Stiftung auch Kenntnisse über die verschiedenen in der Praxis
vorkommenden Stiftungstypen von Bedeutung. Eine Typologisierung ist jedoch nicht
einfach, wie Anheier (2001, S. 39) bestätigt: "Foundations in Europe reveal a great variety in form, purpose, and activity […] with a complex terminological layer of definitions, meanings, and uses, […]." Er versucht dennoch, die amorphe Masse der Stiftungen
in eine generische Typenmatrix einzuordnen (vgl. Abbildung 2-6). Hierbei wird das
Kriterium "type of activity" (Arbeitsweise der Stiftung) mit den Ausprägungen "grantmaking foundations" (Vergabe-/Förderstiftung), "operating foundations"30 (operative
Stiftung) und "mixed foundations" (Mischtyp mit Vergabungen und operativer Arbeit)
als erstes Segmentierungskriterium verwendet. Das zweite Kriterium stellt "Founder or
type of endowment" (Gründer der Stiftung und Ursprung des Stiftungskapitals) dar mit
den Unterarten "individual" (von Privatpersonen gegründet/alimentiert), "corporate
foundations" (von Unternehmen gegründet/alimentiert), "community foundations" (von
verschiedenen
gesellschaftlichen
Gruppierungen
gegründet/alimentiert)
und
29
Im Gegensatz dazu ist der Begriff "charity" eher i. S. eines humanitären Geschenkes zur Befriedigung dringlicher sozialer
Bedürfnisse zu verstehen. D. h. mehr Symptombekämpfung als systematische Ursachenforschung mit
Charaktereigenschaften einer gesellschaftlichen Investition (vgl. hierzu auch Frumkin 2005).
30
Toepler differenziert hier zwischen Förderstiftungen, welche Mittel an Dritte vergeben und Projektstiftungen, welche eigene
Projekte und Programme durchführen.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
36
"government-sponsored
or
government-crated
foundations"
(staatlich
gegründete/alimentierte Stiftungen).
Type of activity
Individual
Grant-making foundations
Operating foundations
Mixed foundations
Vergabestiftung, die externe
Projekte fördert und durch ein
Individuum oder eine
Gruppe/Familie aus dem Privatvermögen gegründet
wurde.
Stiftung, die ihre eigenen
Programme und Projekte
verfolgt und die durch ein Individuum oder eine
Gruppe/Familie durch Privatvermögen gegründet
wurde.
Stiftung, die sowohl Eigenprojekte durchführt, als auch
Fremdprojekte fördert. Das
Kapital stammt von Individuen oder einer
Gruppe/Familie durch die
Einlage von Privatvermögen.
Beispiel:
Inselspital
Beispiel:
Christoph Merian Stiftung
Vergabestiftung, die externe
Projekte fördert und eine
durch ein Unternehmen gegründete oder dauerhaft unterstützte Stiftung ist.
Stiftung, die ihre eigenen
Programme durchführt und
eine durch ein Unternehmen
gegründete oder dauerhaft
unterstützte Stiftung ist.
Beispiel:
UBS Optimus Foundation;
Ernst Göhner Stiftung
Beispiel:
Allbau Stiftung
Stiftung, die sowohl Eigenprojekte durchführt, als auch
Fremdprojekte fördert. Eine
enge Beziehung besteht zu
einer Unternehmung durch
Kapitaleinlagen oder dauerhafte Unterstützungen.
Vergabestiftung, die externe
Projekte fördert durch gepooltes Kapital unterschiedlichster Quellen zur Bereitstellung von spezifizierten lokalen Zwecken.
Stiftung, die ihre eigenen
Programme und Projekte im
Bereich von lokalen Zwecken verfolgt und durch gepooltes Kapital unterschiedlicher Quellen gegründet
wurde.
Beispiel:
Gebert Rüf Stiftung;
Sophie & Carl Binding Stiftung
Founder or type of endowment
Corporate
Foundations
Community
foundations
Beispiel:
SF Sammelstiftung (i. G.)
Governmentsponsored or
government
created
foundations
Staatlich gegründete oder
unterstützte Stiftung, die als
Vergabestiftung externe Projekte fördert.
Beispiel:
Schweizer Nationalfonds
Beispiel:
UBS Kulturstiftung
Beispiel:
Avenir Suisse
Stiftung, die ihre eigenen
Programme und Projekte
verfolgt und durch den Staat
gegründet oder zumindest
unterstützt wird.
Beispiel:
Stiftung Preussischer
Kulturbesitz
Stiftung, die sowohl Eigenprojekte durchführt, als auch
Fremdprojekte fördert. Das
für lokale Zwecke gepoolte
Vermögen stammt aus unterschiedlichen Quellen.
Beispiel:
Stadtstiftung Gütersloh
Stiftungen, die sowohl Eigenprojekte durchführen, als
auch Fremdprojekte fördern.
Eine enge Beziehung besteht zum Staat, der entweder als Gründer oder zumindest in unterstützender
Funktion auftritt.
Beispiel:
Stiftung Warentest
Abbildung 2-6:
Übersicht über klassische Stiftungstypen (in Anlehnung an Anheier 2001, S. 49 ff.)
31
Hinsichtlich der Arbeitsweise einer Stiftung kann generell zwischen operativen und fördernden Stiftungen unterschieden werden, wobei es zu beachten gilt, dass auch Mischformen existieren. Das in Deutschland geltende Gemeinnützigkeitsrecht z. B. unterschei-
31
Toepler (1996) wählt eine alternative Strukturierung von Stiftungen. Er unterscheidet drei Stiftungsformen: Stiftungen, deren
Kapital aus einer Institution besteht; Stiftungen mit einem Kapitalvermögen; und Stiftungen ohne eigenes Vermögen.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
37
det sehr exakt zwischen Körperschaften, die ihren Zweck selbst verwirklichen und anderen, die finanzielle Mittel an Dritte vergeben.
Die Definition für fördernde Stiftungen lautet gemäss Adloff (2002), dass sie ihre Mittel
auf Antrag nach aussen bzw. an Dritte - zweckgebunden (Anheier 2001) als sog. "grantmaking foundations" - vergeben. Die "Dritten" sind ihrerseits verpflichtet, selbst gemeinnützige Zwecke zu verfolgen und zu verwirklichen. Hierbei ist allerdings noch nichts
über die spezifische Förderpolitik einer einzelnen Stiftung gesagt, oder darüber, wie der
Kontakt und die Zusammenarbeit zwischen Stiftung und Destinatär erfolgt, denn "die
Tatsache, dass das [deutsche] Gemeinnützigkeitsrecht gewissermassen im gleichen
Atemzug das Wort ‚fördern’ in einem ganz anderen Sinn gebraucht, schafft diesbezüglich zusätzlich Unklarheit" (Strachwitz 1998a, S. 684). "Förderung" bezieht sich einerseits auf das Bereitstellen von Mitteln finanzieller oder materieller Art, andererseits wird
es auch zur Umschreibung des Anliegens verwendet (z. B. Förderung der rätoromanischen Sprache entweder in Form einer operativen Stiftung oder einer Vergabestiftung).
Gemäss Bundesverband Deutscher Stiftungen (2000) ist das Gros der deutschen Stiftungen fördernd (im Sinne der Bereitstellung von Ressourcen) tätig (60.9%), in den USA
sind von den knapp 62'000 Stiftungen gar 90% (ca. 56’000) sog. "grant-making foundations" (vgl. Anheier 2005a, S. 72).
Die operativen Stiftungen, die ihre Aufgaben durch Eigenprojekte selbst erfüllen und
ihre Erträge anderen nicht zur Verfügung stellen, werden mit einem Anteil von 21.8%
ausgewiesen (in Deutschland); Mischformen liegen dann bei 17.3%.32 Die Bertelsmann
Stiftung (1997) definiert operative Stiftungen als konzeptionell arbeitende Einrichtungen, die bei allen Projekten von der Idee bis zu deren Umsetzung gestalterisch und organisatorisch mitwirken. Die operative Stiftungsarbeit richtet sich dabei vorzugsweise auf
leistungsorientierte, reformerische Lösungsstrategien für gesellschaftliche Probleme. In
den USA sind operative Stiftungen, die ihr eigenes Programm betreiben, stark unterrepräsentiert (nur ca. 6%, Lenkowsky 2002). In neuerer Zeit kann jedoch in einem gewissen
Sinne eine Konvergenz beobachtet werden von ursprünglich reinen Vergabestiftungen
und reinen operativen Stiftungen, da eine zunehmend proaktive, unternehmerische (im
Sinne von "social entrepreneurship") Ausrichtung einiger Vergabestiftungen diese
32
Für die Schweiz – bezogen auf national und international tätige Stiftungen – lassen sich ähnliche Relationen erkennen, wie
Vorauswertungen der Studie "Stiftungslandschaft Schweiz" von Foundation Excellence ergeben.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
38
durchaus als eine "Sonderform" der operativen Stiftungen erscheinen lässt. Wenn Vergabestiftungen Themen gezielt lancieren und ihre Projektpartner aufwändig identifizieren,
sind die Unterschiede zu operativen Stiftungen, wie z. B. zu Avenir Suisse in der
Schweiz oder zur Bertelsmann Stiftung in Deutschland, eher legaler Natur und sie
betreffen vorzugsweise Anstellungsverträge, Abrechnungsmechanismen etc., was bei
Vergabestiftungen jeweils im Rahmen des Fördervertrags geregelt und dadurch in
gewisser Weise "ausgelagert" wird.
Als eine Sonderform der operativen Stiftungen werden oft die sog. Anstaltsträgerstiftungen bezeichnet. Zur Erfüllung ihres Zweckes als Bereitsteller von Gütern und Leistungen
führen diese Stiftungen Einrichtungen, die sie oftmals in Form von Vermögenswerten,
wie z. B. Gebäuden, bereits mit einbringen (z. B. Spitäler, Schulen). In diesem Falle geht
es weniger darum, als "Think-tank" aufzutreten, sondern einen bestehenden, oft kapitalintensiven Zweck langfristig zu erfüllen (z. B. Museum, Altenheim).
Als Gründer von Stiftungen und Quelle des Stiftungskapitals treten in der Schweiz überwiegend Privatpersonen auf. So werden annähernd 95% aller Stiftungen von Privatpersonen gegründet. Dieser Anteil ist im internationalern Vergleich relativ hoch: so werden
in den USA 89% (Renz et al. 1997) und in Deutschland 78% (Brummer 1996) der Stiftungen durch Privatpersonen gegründet (Anheier 2000)33. Neben den Privatpersonen treten auch Unternehmen, gesellschaftliche Gruppierungen sowie auch der Staat als Gründer von Stiftungen in Erscheinung. Bei den gemeinnützigen Unternehmensstiftungen typischerweise als "company-related" oder "company-sponsored" Stiftung gegründet
(Anheier 2001, S. 49) - unter Wahrung der Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Community Foundations fassen Vermögenswerte zusammen, die aus verschiedenen Quellen
stammen können: von Privatpersonen, Unternehmen und/oder staatlichen Institutionen.
Idee solcher Stiftungen ist die Bereitstellung von Stiftungsmitteln für spezifische, oftmals lokale Bedürfnisse. Vom Staat gegründete oder geförderte Stiftungen dienen hauptsächlich der Unterstützung öffentlicher (hoheitlicher) Anliegen. Z. T. werden dadurch
auch ehemals staatliche Aktivitäten im Zuge der Rückbesinnung des Staates auf seine
33
Für die Schweiz liegen leider nur bedingte statistische Erhebungen vor. Das Bundesamt für Statistik erfasst keine spezifischen Angaben zum Stiftungswesen.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
39
Grundaufgaben und hervorgerufen durch finanzielle Restriktionen auf diese Weise "ausgelagert".34
Für die Schweizer Stiftungslandschaft müssen allerdings noch vier Sonderformen von
Stiftungen beschrieben werden, um einerseits den Überblick über die Stiftungslandschaft
zu vervollständigen, und um andererseits auch eine notwendige Abgrenzung der verwendeten Begriffe und des Zahlenmaterials vorzunehmen. Die neben den klassischen Stiftungen im Schweizerischen Stiftungswesen auftretenden vier Sonderformen basieren aus
rechtlicher Sicht grundsätzlich auch auf der klassischen Stiftung nach Artikel 80 ff.
ZGB.
1. Familienstiftungen
Sie dienen dazu, die akkumulierten Erträge einer Familie (zusammen) zu erhalten.
Hier ist von Anfang an der Destinatärkreis abgegrenzt und bestimmt. Eine Familienstiftung erfüllt somit nicht das Kriterium der Gemeinnützigkeit (vgl. Kap.
2.2.1) und kommt deshalb auch nicht in den Genuss von steuerlichen Privilegien.
Das Schweizerische Gesetz beschränkt den Stiftungszweck einer Familienstiftung
gemäss Art. 355 ZGB auf "die Bestreitung der Kosten der Erziehung", "der Ausstattung oder Unterstützung von Familienangehörigen" oder "zu ähnlichen Zwecken". Diese Stiftungsform ist mangels beschränkten Rechtsverkehrs nach aussen
von der Pflicht zur Eintragung in das Handelsregister befreit und untersteht nicht
der staatlichen Aufsicht (Riemer 1981).
2. Unternehmensträgerstiftungen/Holdingstiftungen
Diese von Unternehmen gegründeten Stiftungen halten Anteile an einem nach
kaufmännischer Art geführten Unternehmen. Sie haben in letzter Zeit an Beliebtheit gewonnen (Anheier 2000). Stiftungsrechtlich wird diese Form von Stiftungen
als klassische Stiftung behandelt - sie ist eine faktisch entstandene Sonderform.
Der Anlass zur Gründung einer Unternehmensstiftung kann entweder rein strategischer Art sein, d. h. die Stiftung ist Teil einer umfassenden Unternehmensstrategie und dient der Reputationsbildung und der Profit-Maximierung, oder sie entstand aus normativ-ethischem Grundverständnis im Sinne einer "corporate social
responsibility". Ein weiteres Motiv der Gründung dieser Art von Stiftungen liegt
34
vgl. hierzu für Deutschland z. B. Strachwitz/Then 2004. Bisher staatliche Kultureinrichtungen werden in Stiftungsform überführt - meist aus haushaltsrechtlichen Überlegungen in Zeiten knapper öffentlicher Kassen.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
40
in der Wahrung des Besitzstandes eines Unternehmens durch die Elimination des
börslichen Handels der Aktien bzw. durch das Einbringen des Kapitals in eine
Stiftung. Unternehmensstiftungen kommen in zwei Ausprägungen vor (Schmid
1997): Stiftungen, die ein nach kaufmännischer Art geführtes Unternehmen leiten
(Unternehmensträgerstiftung) oder Stiftungen, die (nur) Unternehmensanteile
halten (Holdingstiftung). Als Stiftungszwecke bei einer Unternehmensstiftung
sind gemeinnützige, rein wirtschaftliche oder eine Kombination der Zwecke möglich (Riemer 1981). Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht beurteilt grundsätzlich
die Gründung einer Unternehmensstiftung als zulässig, wenn sie hauptsächlich
ideelle Ziele verfolgt (Schmid 1997).
3. Kirchliche Stiftungen
Sie sind nicht durch das ZGB geregelt und müssen als notwendige Voraussetzung
zu ihrer Errichtung einen kirchlichen Zweck verfolgen. Riemer (1981) umschreibt
ihre zulässigen Tätigkeiten folgendermassen: Unterhalt der Inhaber kirchlicher
Ämter und Funktionen; Bewahrung bzw. Fortbildung kirchlicher Lehre und des
religiösen Glaubens; sowie Träger der für Gottesdienst und Kult unmittelbar bestimmten Gegenstände, Güter und Einrichtungen. Zudem bedarf die kirchliche
Stiftung zur internen autonomen Aufsicht einer Verbindung mit einer Religionsgemeinschaft. Auch hier sind von Gesetzes wegen weder eine staatliche Aufsicht
noch eine Eintragungspflicht in das Handelsregister vorgesehen.
4. Personalvorsorgestiftungen
Sie sind von Arbeitgebern ausgegliederte Sondervermögen zugunsten der Arbeitnehmer und dienen als "Zweite Säule" der Personalvorsorge (Helbling 1989)35.
Der Destinatärkreis ist auch bei dieser Sonderform beschränkt, jedoch sind die
Personalvorsorgestiftungen registrierungspflichtig und unterstehen einer strengen
staatlichen Aufsicht.
In jüngerer Zeit sind neue Formen der Philanthropie in Erscheinung getreten (vgl. z. B.
Anheier 2005a), z. B. "donor-advised funds" (Alternative für Stifter, Gelder über einen
Fond zweckgerichtet einzusetzen, ohne selber eine Stiftung zu gründen), "donor-designated funds" (zur Unterstützung von spezifischen, partikulären Interessen) oder "ephilanthropy" (Zusammenbringen von Stifter und Antragssteller).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
2.2.4
41
Stiftungssektor Schweiz
Um das Bild des Stiftungssektors Schweiz auch mit Zahlen zu unterlegen, werden im
Folgenden Ergebnisse bestehender und eigener Erhebungen zu klassischen Stiftungen
(Vergabestiftungen und operative Stiftungen) präsentiert. Das Hauptaugenmerk liegt
hierbei auf der Schweizer Stiftungslandschaft. Zur Illustration und Verdeutlichung von
Relationen werden auch ausgewählte Vergleiche zu anderen Ländern, allen voran zu
Deutschland und den USA, gezogen.
Generell kann der Stiftungssektor Schweiz als sehr divers und relativ intransparent bezeichnet werden.36 Das vorherrschende Amtsgeheimnis von staatlichen Aufsichtsstellen37 wie der Stiftungsaufsicht oder der Steuerverwaltung sowie die mangelnde
Publikationspflicht von Stiftungen38 erschweren zuverlässige und exakte Aussagen zum
Stiftungssektor. Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass in anderen Ländern unterschiedliche rechtliche Ausgestaltungen des Stiftungsbegriffes vorliegen. So sind beispielsweise die im angelsächsischen Raum populären "Trusts" in der Schweiz
verboten39. Vergleichende Aussagen sind aufgrund der mangelnden und inkonsistenten
Datenbasis erschwert. Die nachfolgende Abbildung 2-7 zeigt überblicksartig eine grobe
Schätzung zur Anzahl klassischer Stiftungen in verschiedenen Ländern.
35
Helbling (1989) bietet einen guten Überblick über "Personalvorsorge und BVG".
36
Ähnliches gilt auch für Deutschland, wie Strachwitz (1998a) feststellt (vgl. auch Bundesverband Deutscher Stiftungen
(2000) und Adloff (2002).
37
Gegenwärtig beeinträchtigt auch die teilweise unzulängliche technische Infrastruktur der staatlichen Aufsichtsstellen die
Möglichkeit, einheitliche und exakte Zahlen zum Stiftungssektor bereitzustellen. Dies erschwert vergleichende und aussagekräftige Angaben zum Schweizer Stiftungssektor.
38
Dies steht im Gegensatz zu kotierten Unternehmen, die einen umfangreichen Jahresbericht erstellen müssen.
39
Bei Trusts handelt sich ebenfalls um verselbständigtes Kapital, jedoch mit Auflösungs- und Rückführungsmöglichkeit.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
42
USA
60’000
Schweden
25'000
Dänemark
14'000
Japan
13500
Deutschland
11'000
Schweiz
10'000
Spanien
7'000
Italien
3'000
Norwegen
2'990
Grossbritannien
2'500
Finland
2'500
Niederlande
1'000
Kanada
850
Österreich
800
Estland
800
Frankreich
500
Griechenland
500
Australien
400
Portugal
400
Belgien
310
Luxemburg
143
Irland
100
0
Abbildung 2-7:
5'000
10'000
15'000
20'000
25'000
30'000
35'000
40'000
45'000
Die Anzahl von Stiftungen in ausgewählten Ländern zum Ende der 1990er Jahre (in
Anlehnung an Anheier 2000, Adloff 2002)40
Die Übersicht verdeutlicht die ausgeprägte Stiftungskultur in den USA. Von den
1'600'000 Non-Profit-Organisationen in den USA sind 60'000 Stiftungen und diese nehmen eine bedeutende Rolle ein als unabhängige Finanzierungsquelle des Dritten Sektors.
Das europäische Stiftungszentrum schätzt, dass alle europäischen Länder zusammen
etwa 80'000 bis 100'000 gemeinnützige Stiftungen vereinen.41 Die Schwierigkeit,
quantitative Aussagen über den Stiftungssektor zu machen, zeigt sich exemplarisch in
Deutschland, für welches sowohl Anheier als auch Adloff den Stiftungssektor mit ca.
40
Die Zahlen stellen einen Näherungswert dar, da in jedem Land die Daten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und verschieden
häufig erhoben werden. Diese Tatsache stellt für internationale Vergleiche eine grosse Hürde dar.
41
Eine kurze, länderspezifische Analyse der einzelnen europäischen Stiftungssektoren ist übersichtsartig in Schlüter et al.
(2001) zu finden.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
43
11'000 Stiftungen beziffern, der deutsche Stifterverband jedoch nur mit 8’263 Stiftungen42 - jeweils ohne die etwa 100'000 kirchlichen Stiftungen mit einzubeziehen.
Bisher ist auch das Schweizer Stiftungswesen eine relativ "amorphe Masse", die bis anhin nur rudimentär analysiert wurde. Eine einheitliche Datenbasis als Diskussionsgrundlage fehlt. Sie wäre jedoch zur weiteren Gestaltung und - inhaltlichen - Entwicklung der
Stiftungslandschaft Schweiz hilfreich. Der Versuch einer statistischen Analyse der
Schweizer Stiftungslandschaft erfolgte erstmals im Rahmen des Forschungsprojekts
Foundation Excellence an der Universität St. Gallen. Ein Teil der Ergebnisse wurde in
Rüegg-Stürm et al. (2004a) publiziert. Sie dienen hier als Grundlage der Beschreibung
des Stiftungskontexts.
Das Wachstum des Stiftungssektors und seine zunehmende Bedeutung zeigt sich u. a.
auch an der Anzahl der Gründungen in den letzten Jahrzehnten: 4’400 Stiftungen
wurden nach 1980 und ein Drittel aller Stiftungen in den letzten 10 Jahren errichtet
(Strachwitz 1998a).43 Anheier (2000) geht sogar soweit zu behaupten, dass Stiftungen
ein Produkt der letzten 20 Jahre sind. Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich auch für
die Schweiz und die USA beobachten. In der Schweiz wurden über 50% der heute
aktiven national und international tätigen Stiftungen nach 1993 gegründet (Rüegg-Stürm
et al. 2004a) - in den USA hat die Anzahl Stiftungen seit 1981 um 24'000 - das sind
knapp 50% - zugenommen. Der aktuelle Stiftungsboom in der Schweizer
Stiftungslandschaft zeigt sich auch bei der Betrachtung der exponentiell ansteigenden
Stiftungsneugründungen (vgl. Abbildung 2-8). Allein bei den national und international
tätigen Stiftungen ergibt sich über den Zeitraum der letzten zehn Jahre eine jährliche
Neugründung von durchschnittlich 100 Stiftungen.
42
Die Intransparenz des Stiftungssektors zeigt sich in den stark divergierenden Zahlen, welche zur Anzahl der Stiftungen
erhältlich sind. So spricht Anheier (2001) in einer anderen Publikation von 8’000 Stiftungen in Deutschland. Strachwitz
(2001b) identifiziert für den deutschen Stiftungssektor basierend auf der Maecenata Datenbank 8’312 Stiftungen. Der
Bundesverband deutscher Stiftungen geht aufgrund einer Umfrage im Jahr 2000 von 10'000 Stiftungen aus (Bundesverband
Deutscher Stiftungen 2000).
43
Europa erlebte in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls einen wahren Stiftungsboom, die Mehrheit der geschätzten 100'000
Stiftungen wurden in den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gegründet.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
44
Stiftungsgründungen
180
100
20
1934
1957
Zahlen beziehen sich auf nationale
und internat. Stiftungen (n=2176)
Abbildung 2-8:
1980
Stiftungsneugründungen brutto
2002
Stiftungsneugründungen netto
Exponentiell wachsender Stiftungssektor in der Schweiz
(Rüegg-Stürm et al. 2004a, S. 87)
Das starke Stiftungswachstum in Deutschland und der Schweiz kann durch die grossen
Vermögen erklärt werden, die seit dem 2. Weltkrieg akkumuliert werden konnten sowie
der Pensionierung der Industriellengeneration (Anheier/Toepler 1999).
Obwohl neun von zehn Stiftungen ausschliesslich ehrenamtlich geführt werden, ist die
ökonomische Bedeutung des Stiftungssektors eindrücklich. So gehen Schätzungen
davon aus, dass im Jahre 1995 in Deutschland die Vergabestiftungen zwischen 3000 und
5000 Angestellte beschäftigten, die operativen Stiftungen sogar über 90'000 (Anheier
2005a). Gemäss dem Bundesamt für Statistik (2003) arbeiteten im Jahr 2002 rund
108'000 Personen in Schweizer Stiftungen, das entspricht über 2.5% aller Beschäftigten
der Schweiz (ein Zuwachs von 20% seit 1985) wobei die Wertschöpfung der
gemeinnützigen Stiftungen ca. 2% des Bruttoinlandprodukts beträgt (vgl. hierzu auch
Anheier/Daly 2004).
Wie in der untenstehenden Abbildung 2-9 ersichtlich, verfügen die klassischen Stiftungen in der Schweiz über ein Stiftungskapital von schätzungsweise gut CHF 30 Milliarden44, in Deutschland von ca. CHF 80 Milliarden (Bundesverband Deutscher Stiftungen
44
Diese Zahl wurde von Herrn Bruno Ferrari anlässlich eines persönlichen Gesprächs in Bern genannt. Herr Ferrari ist Leiter
der Eidg. Stiftungsaufsicht.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
45
2001) und in den USA von rund CHF 600 Milliarden (Renz/Lawrence 2002, Anheier
2005a). Das Stiftungsvermögen in der Schweiz beträgt pro Einwohner über CHF 1’500,
was fast dreimal mehr ist, als in Deutschland, wo das "Pro-Kopf-Vermögen" auf umgerechnet CHF 530 geschätzt wird (Purtschert 2004). Die Schweiz gehört damit zu denjenigen Ländern, mit einem vergleichsweise grossen Stiftungssektor.
Grösse des Stiftungssektors
Länder
klein
Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Luxemburg, Österreich,
Länder aus Zentral- und Osteuropa
klein-mittel
Portugal, Spanien, Türkei
mittel-gross
Dänemark, Deutschland, Finnland, Japan, Kanada, Niederlande, Norwegen, UK
gross
Italien, Liechtenstein, Schweden, Schweiz, USA
Abbildung 2-9:
Länderspezifische Grösse des Stiftungssektors (angelehnt an Anheier 2005a, S. 315)
Einen äusserst wichtigen Faktor für einen prosperierenden Stiftungssektor ist die einschlägige Gesetzgebung. So wurden in Ländern mit einer starken Zunahme von Stiftungen,
wie
Spanien,
Portugal
und
Italien,
in
jüngerer
Zeit
einschneidende
Stiftungsrechtsreformen durchgeführt zur Stimulierung der Gründung von Stiftungen. Im
Gegensatz dazu existieren in Ländern mit langsam wachsendem Stiftungssektor wie
Frankreich oder Belgien vergleichsweise komplizierte Rechtsbestimmungen mit wenig
Anreizen zur Gründung einer Stiftung.
Schweizer Stiftungen schütten pro Jahr über CHF 1 Milliarde aus (vgl. Rüegg-Stürm et
al. 2004a, S. 83 ff.)45, in Deutschland sind es CHF 3.7 Milliarden und in den USA CHF
38 Milliarden (Bertelsmann Stiftung 2001, Lenkowsky 2002, Anheier 2005a). Die
Schweiz kennt keine Ausschüttungsquote, wie sie beispielsweise in den USA mit der
Mindestausschüttungsquote von 5% des Stiftungskapitals gegeben ist, oder in Deutschland, wo mit der zeitnahen Mittelverwendung (d. h. der flexible Einsatz des Kapitalertrags) eine Ausschüttung von Stiftungsmitteln zumindest angeregt wird. Werden die
jährlichen Ausschüttungen ins Verhältnis zum Stiftungskapital gesetzt, ergibt sich für die
45
Zum Vergleich ist hier die jährliche Ausschüttung der weltweit grössten Stiftung (Bill & Melinda Gates Stiftung) von CHF
1.4 Milliarden heranzuziehen, was mehr ist, als der ganze Schweizer Stiftungssektor gemeinsam ausschüttet!
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
46
Schweiz eine Ausschüttungsquote von 3.3%; im Gegensatz zu Deutschland mit einer
Quote von 4.6% und den USA mit 6.3%.46 (vgl. Abbildung 2-10)
CH
DE
USA
Gesamt
national und
international tätig47
Gesamt
Gesamt
Anzahl Stiftungen
ca. 10‘000
2'176
ca. 12‘000
ca. 62’000
Kapital
im Stiftungssektor
ca. CHF
30 Mrd.
ca. CHF
13 Mrd.
ca. CHF
80 Mrd.
ca. CHF
600 Mrd.
Ausschüttungen
ca. CHF 1 Mrd.
ca. 3.7 Mrd. CHF
ca. 38 Mrd. CHF
Ausschüttungen
in % des Kapitals
3.3%
4.6%
6.3%
Abbildung 2-10: Ein Vergleich von Stiftungen in der Schweiz (CH), in Deutschland (DE)
und in den USA48
Zu diesen Zahlen ist anzumerken, dass es sich hierbei um bilanzierte Werte handelt, die
in der Schweiz im Rahmen der jährlichen Revision der Stiftungen durch die Eidgenössische Stiftungsaufsicht aufgenommen werden. Diese Kapitalangaben unterliegen den individuellen Bewertungen der Stiftungen (analog zu den Bilanzierungsregeln für Aktiengesellschaften) und können von den aktuellen Marktwerten z. T. beträchtlich abweichen
(stille Reserven).
Bei einer näheren Betrachtung der national und international tätigen Stiftungen in der
Schweiz hinsichtlich ihrer Tätigkeitsgebiete (vgl. absolute Zahlen in Abbildung 2-11)
agieren im Bereich "Soziales" 35.4% (Vergleichszahlen Deutschland (DE)49: 35.0%), im
Bereich "Gesundheit" 9.3% (DE: 3.7%), im Bereich "Religion" 3.1% (DE: 4.1%), im
Bereich "Ausbildung/Wissenschaft/Forschung" 16.7% (DE: 30.8%), im Bereich
"Sport/Kunst/Kultur" 19.6% (DE: 17.6%), im Bereich "Umwelt und Natur" 6.3% (DE:
46
Zu bedenken gilt es allerdings, dass starre Ausschüttungsquoten wie in den USA auch dazu verleiten können, nur noch die
"richtige" Summe auszuschütten, jedoch die Stiftungsqualität dadurch nicht unbedingt erhöht wird. Eine Problematik bei der
Ausschüttungsdiskussion sind allerdings die vor allem in den 90er Jahren massiv gestiegenen Stiftungsvermögen auf Grund
des Börsenbooms. Dadurch kann sich eine Stiftung gezwungen sehen, plötzlich deutlich mehr Ausschüttungen tätigen zu
müssen.
47
Die national und international tätigen Stiftungen unterstehen der Eidgenössischen Stiftungsaufsicht in Bern. Die kantonal
und kommunal tätigen Stiftungen werden von den jeweiligen Kantonen respektive Gemeinden beaufsichtigt. Gemäss der von
Foundation Excellence durchgeführten Erhebung zum Schweizer Stiftungswesen verfügen die unter Eidgenössischer Aufsicht stehenden Stiftungen über rund CHF 13.6 Mrd., die kantonalen und kommunalen Stiftungen über CHF 16.4 Mrd,
zusammen etwa CHF 30 Mrd.
48
Die Zahlen für Deutschland beruhen auf einer Zusammenstellung der Bertelsmann Stiftung (2001), diejenigen der Schweiz
auf das Jahr 2002 (Rüegg-Stürm et al. 2004a). Die US-Zahlen basieren auf Zahlen des Foundation Centers aus dem Jahre
2003, die auch Anheier (2005, S. 73) verarbeitet hat.
49
Zahlen des Bundesverbands Deutscher Stiftungen aus dem Jahr 2000.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
47
6.2%) und im Bereich "Internationale Kooperation/Entwicklungshilfe" 9.6% (DE:
2.6%). Betrachtet man die Kapitalverteilung nach diesen Tätigkeitsfeldern, so ergibt sich
ein analoges Bild: das meiste Kapital wird im Bereich "Soziales" eingesetzt. Die
grössten Vergabefelder bei US-Stiftungen sind Ausbildung, Gesundheit, soziale
Dienstleistungen und Kunst/Kultur mit 75% aller Vergabungen.
Kapital je Tätigkeitsschwerpunkt
6'000'000'000
5'000'000'000
4'000'000'000
3'000'000'000
1001
472
2'000'000'000
555
273
263
1'000'000'000
179
88
0
Soziales
Gesundheit
Verteilung bezieht sich auf nationale
und internat. Stiftungen (n=2129)
Religion
Ausbildung,
Wissenschaft
und
Forschung
Sport,Kunst
und Kultur
Um w elt und
Natur
Intern.
Kooperation
und
Entw icklungshilfe
Abbildung 2-11: Schweizer Stiftungen und ihre Tätigkeitsschwerpunkte
(Rüegg-Stürm et al. 2004a, S. 88)
Generell kann festgestellt werden, dass innerhalb der oben genannten Tätigkeitsgebiete
nahezu alle erdenklichen Bereiche von Stiftungen unterstützt werden.
2.3
Funktionen und Legitimationen klassischer Stiftungen
Vor dem Hintergrund des in Kapitel 2.1 und 2.2 beschriebenen Kontexts in inter- und
intrasektoraler, ökonomischer und historischer Hinsicht, gilt es in diesem Kapitel, die
grundsätzlichen Funktionen von Stiftungen (operative Stiftungen als "Think-tanks" und
Vergabestiftungen) dezidiert zu beleuchten. Die Überlegungen zu den Funktion(en) von
Stiftungen in einer demokratischen Gesellschaft sollen auch eine Grundlage bieten für
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
48
eine tiefer gehende Diskussion der Legitimation von Stiftungen in diesem Kapitel, denn
Nielsen z. B. schreibt über Stiftungen in den USA, dass sie "wie Giraffen eigentlich
nicht existieren können, es aber trotzdem tun." Für ihn sind sie "merkwürdige Kreaturen
im Dschungel der amerikanischen Demokratie" (Nielsen 1972, S. 3 - zit. in Anheier
1998, S. 25). Genau deshalb ist es aber von zentraler Bedeutung, im Folgenden
Stiftungen aus einer Funktionsperspektive zu betrachten, um darauf basierend die Fragen
einer kritischen Öffentlichkeit nach der Legitimation von Stiftungen im Allgemeinen, d.
h. des Stiftungssektors, beantworten zu können.50
Die Frage nach den Funktionen ist nicht einfach zu beantworten, wie Frumkin folgendermassen zusammenfasst: "It would be useful to begin by acknowledging that there is
no single answer to the question of what purpose philanthropy fulfils. Philanthropy is a
complex and sprawling concept that has many meanings and whose significance has
shifted against the broader political and social backdrop against which it has played itself
out. In reality, private giving represents an at times confusing assortment of purposes,
each with its own logic and rationale" (Frumkin 2005, S. 15). Dies gilt insbesondere
dann, wenn der oben vorgenommene "Giraffenvergleich" von Nielsen (1972, S. 3 - zit.
in Anheier 1998, S. 25) den Betrachtungskontext der Legitimation umschreibt: Stiftungen in einer Demokratie. Nielsen deutet mit seinem Vergleich an, dass Stiftungen in
Demokratien eigentlich nicht existenzfähig seien, dennoch aber gerade dort zunehmend
wichtige Funktionen wahrnehmen. Dies zieht auch die Frage nach sich, was hier unter
Demokratie verstanden wird.51
Der Demokratiebegriff kann in mindestens zwei Dimensionen unterteilt werden52:
Demokratie als Herrschaftsform (Staatsform) und Demokratie als Gesellschaftsform
(Lebensform). Es wird dort auf sie Rekurs genommen, wo dadurch eine Erkenntniser-
50
Die einzelne Stiftung muss ihre Legitimation über die Darstellung ihrer spezifischen Aktivitäten und der erzielten Wirkungen
immer wieder neu begründen (vgl. hierzu auch Kap. 7 ff.).
51
Im Rahmen dieser Arbeit kann keine umfangreiche, dem komplexen Thema gerecht werdende Analyse des Begriffs Demokratie erfolgen. Dennoch erscheint es den Autoren wichtig, zumindest skizzenhaft das hier zugrunde liegende Verständnis
transparent zu machen. Die zitierten Quellen eröffnen einen weiten Horizont für die vertiefte Auseinandersetzung mit den
entsprechenden Gesellschafts- und Politiktheorien.
52
von Alemann 1983, S. 75 ff. und die dort angegebene Literatur; Rammstedt/Klima 1994, S. 129 f.; Wasser 1976.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
49
weiterung eröffnet oder die Argumentationsbasis - gerade auch hinsichtlich der Legitimation von Stiftungen - erweitert wird.53
1. Demokratie als Staats- oder Herrschaftsform (vgl. Alemann 1983, S. 75 ff.):
-
Volkssouveränität
als Prinzip der Willensbildung von unten nach oben
-
allgemeine, freie, direkte und geheime Wahlen
als Grundvoraussetzung einer Demokratie
-
Mehrheitsprinzip
als Hilfsmittel der Entscheidungsfindung mit allerdings höchst vielfältigen
Entscheidungsregeln, auch zum Minderheitenschutz
-
Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Föderalismus
als mehr oder weniger notwendige Hilfsmittel, deren sich existierende Demokratien aber selektiv und abgestuft bedienen können
2. Demokratie als Gesellschafts- oder Lebensform (vgl. Alemann 1983, S. 78 f.):
-
offene Kanäle für die Bedürfnisse der Bevölkerung
-
das Streben nach Pluralismus54
als Grundwert einer Demokratie, abgeleitet aus dem Freiheits- und Gleichheitspostulat (Ausgleich von Startnachteilen).
Auf der Grundlage dieses kurz skizzierten Demokratieverständnisses soll im Folgenden
ein tragfähiges Fundament zur Legitimierung von Stiftungen entwickelt werden.
53
Wohl wissend, dass "[d]ie Frage der Vereinbarkeit von Demokratie als Staatsform und Demokratie als Politik […] eines der
Hauptprobleme der gegenwärtigen politischen Soziologie" ist (Rammstedt/Klima 1994, S. 130 – in Lexikon der Soziologie).
54
"Pluralismus (P) meint eine Vielfalt, Vielgestaltigkeit und findet seinen Gegensatz in den Begriffen Monismus, Singularismus, Totalitarismus. P im engeren Sinne bezieht sich nicht auf eine beliebige Vielfalt, sondern auf eine solche, deren
einzelne Elemente in einer kennzeichnenden Beziehung zueinander stehen; Die Elemente einer ‚Einheit in Vielheit’ sind
prinzipiell eigenständig (autonom), gleichberechtigt und voneinander unabhängig, sie sind nicht massgeblich der Kontrolle
und Lenkung anderer unterworfen; sie stehen miteinander durchaus im Verhältnis des Wettbewerbs und Konflikts und/oder
der Kooperation, nicht jedoch im Verhältnis hierarchischer Zu- und Unterordnung" (Steffani 1983, S. 344).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
50
2.3.1
Kritische Würdigung bestehender Funktionseinteilungen klassischer Stiftungen
Die Basis zur Legitimierung von Stiftungen in der Demokratie wird mit einer eingehenden Betrachtung der verschiedenen Stiftungsfunktionen gelegt. Bei der Funktionsbetrachtung wird insbesondere Bezug genommen auf die Funktionseinteilungen von Prewitt und Frumkin. Letzterer erachtet eine Unterteilung in fünf Stiftungsfunktionen als
sinnvoll: "With some simplification, it is possible to isolate at least five important purposes or functions that have emerged over time as philanthropy has sought to define a
distinctive place for itself in public life" (Frumkin 2005, S. 15). Er streicht als Funktionen von Stiftungen folgende fünf Punkte heraus (vgl. S. 15 ff.):
1. creating social and political change
2. locating and supporting important social innovations
3. achieving equity through redistribution
4. supporting the self-actualization of donors
5. affirmation of pluralism
Frumkin bezieht sich bei seiner Unterteilung stark auf einen Beitrag von Prewitt
(1999)55, der seinerseits von folgenden vier Kernfunktionen von Stiftungen ausgeht:
1. Redistribution
2. Efficiency
3. Social Change
4. Pluralism
Beide Autoren benennen die Pluralismusfunktion als eine zentrale Funktion, obwohl sie
sich inhaltlich weit weniger eindeutig formulieren lässt als z. B. die Innovations- oder
Redistributionsfunktion56. Sowohl bei Frumkin als auch bei Prewitt ist "Pluralismus"
eher eine "Sammelkategorie". Prewitt definiert die Pluralismusfunktion folgendermas55
"Here I am building on the fourfold framework advanced by Kenneth Prewitt […]" (Frumkin 2005, S. 601, Endnote 30).
56
Wobei insbesondere diese beiden Funktionen von Prewitt und anderen Autoren sehr kritisch gesehen werden. Hinsichtlich
der Innovationsfunktion stellt Prewitt fest: "[T]he changes are comparatively small-scale. Foundations cannot operate at a
scale that is transformative […]." Leat (1999, S. 125) formuliert in die selbe Richtung: "Foundations have cultivated the notion that they are pioneers in provision innovation even though there is little systematic evidence to support or refuse this
claim."; vgl. hierzu auch Mahoney/Estes 1987.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
51
sen: "Foundations are embedded in and help to fund the nonprofit sector. And within
that larger enterprise, there are special and even unique opportunities for foundations to
have a disproportional influence on features that expand the scope for a pluralism of
expression and practice” (Prewitt 1999, S. 28). Pluralismus als Stiftungsfunktion wird
auch von weiteren Autoren genannt (z. B. auch Anheier 2005a: Promotion of Pluralism;
Nonprofit Industry Trade Association: contributions to pluralism) und gilt trotz der
unscharfen Abgrenzung als offensichtlich die "unumstrittenste" Funktion: "Here, then, is
a justification for the foundation sector. […] an ongoing and lasting contribution to the
pluralism of practice and thought and via that contribution a deep commitment to the
principles of tolerance and openess that flow from pluralism" (Prewitt 1999, S. 29)57.
Auffallend ist jedoch, dass die Pluralismusfunktion von den zitierten Autoren nicht in
die Begriffsdefinition von Demokratie eingebettet wird. Doch Demokratie stellt - wenn
nicht explizit genannt, so doch implizit - den Rahmen für die Funktionsbetrachtung der
zitierten Autoren dar.58 Nur durch die Rückbeziehung auf die Begriffsdimension der
"Demokratie als Gesellschaftsform" (s. o.) entfaltet die Pluralismusfunktion von Stiftungen eine Erklärungs- und Legitimationsbasis, die auch im Rahmen des Legitimierungsprozesses wieder aufgegriffen werden wird.
Die Funktionen "Redistribution", "Change" und "Innovation" werden von beiden Autoren als weitere zentrale Funktionen bezeichnet - auch hier liegen Übereinstimmungen
mit weiteren Autoren vor.59 Jedoch ist zu bedenken, dass "change" auch als Zieldefinition klassifiziert werden kann, wie selbst Prewitt (1999) formuliert: ”It is clear that to try
to bring about desired social change is a defining characteristic of the foundation movement" (S. 24). In diesem Sinne führt die "Gleichstellung" von z. B. "Redistribution",
"Change" und "Innovation" als Funktionen nicht zu einem besseren, trennschärferen
Verständnis der Funktionen von Stiftungen, sondern vermischt eher technisch-konzeptionelle Funktionen wie "Innovation" mit einer Zieldefinition "Social Change", sowie politisch-programmatischen Funktion wie z. B. "Redistribution". Als Konklusion daraus
57
ähnlich auch Frumkin 2005, S. 23 f. und S. 601 - Endnote 47; Anheier 2005, S. 318; Toepler 1996, S. 75; Karpen 1980, S.
74.
58
Toepler (1996, S. 43) erwähnt immerhin einige Quellen (Flitner 1972, Schiller 1969), die Stiftungen auch in anderen als
demokratischen Gesellschafts- und Herrschaftsformen betrachten: "Es ist durchaus richtig, dass Stiftungen in totalitären
Herrschaftssystemen noch weniger als in demokratischen geduldet werden (siehe Flitner 1972)."
59
z. B. Anheier 2005: "Innovation", "Social and Policy Change", "Redistribution", "Preservations of traditions and cultures";
Leat 1999, S. 124 f.: "pump priming", "innovation", "unpopular causes", "emergency funding".
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
52
wird im Folgenden die Funktion Social Change als Zieldefinition in Prewitts Sinne verstanden ("defining characteristic of the foundation movement"), während die Funktion
Innovation eine der zentralen technisch-konzeptionellen Funktionen von Stiftungen darstellt.
Andere Autoren differenzieren insbesondere die "nicht"-innovativen Funktionen von
Stiftungen weiter aus als Prewitt und Frumkin, so z. B. Anheier (2005a, S. 318 f.), der
neben der Redistributionsfunktion noch die Funktion "Preservations of traditions and
cultures" aufnimmt, was sich durchaus nachvollziehen lässt, denkt man z. B. an Museen
und Musikvereine, die auch von Stiftungen unterstützt werden. Auch Leat (1999, S. 124)
teilt auf in "unpopular causes" im Sinne von Redistribution60 und "emergency funding",
wobei letztere Funktion eine Sonderstellung einnimmt, da sie nicht im eigentlichen
Sinne redistributiv ist, sondern z. B. die schnelle Hilfe (und nicht Umverteilung) bei
Naturkatastrophen
für
alle
Betroffenen
im
Vordergrund
steht.
Diese
Ausdifferenzierungen sollen in dieser Arbeit unter der Funktion Stabilisierung,
wiederum im Sinne einer technisch-konzeptionellen Funktion zusammengefasst werden.
Die oben genannten ausdifferenzierten Funktionen stellen in der vorliegenden Arbeit
eher politisch-programmatische Funktionen dar, auch im Sinne von Themen- oder
Arbeitsschwerpunkten, über deren Ausformulierungen lange Diskussionen geführt
werden könnten, ohne zu einer abschliessenden, einheitlichen Auffassung zu gelangen.
Dies belegen auch die zahlreichen Unterschiede zwischen den zitierten Autoren. Die
politisch-programmatischen Funktionen spiegeln sich daher insbesondere in der
Formulierung einer Stiftungsmission bzw. der Festlegung von inhaltlichen Eckpfeilern
wieder und dienen der inhaltlichen Legitimierung der einzelnen Stiftung (vgl. Kap. 12).
Die hier im Vordergrund stehenden technisch-konzeptionellen Funktionen hingegen
bieten die Grundlage für eine Legitimierung aller Stiftungen als "gesellschaftliche
Institutionen".
Einige Autoren, so auch Prewitt (1999) und Anheier (2005a), nehmen auch "Efficiency"
mit in die Liste möglicher Funktionen auf, was jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht
zu eine der oben aufgelisteten Unterteilungen "passt". Effizienz ist keine Funktion, sondern ein Charakteristikum ("Diese Organisation ist sehr effizient!") oder ein Ziel ("Wir
wollen die Effizienz erhöhen!"). Für diese (Nicht-) Klassifizierung des Effizienzbegriffs
60
Unpopular causes: "[…] simply groups or projects that do not currently have adequate or secure income" (S. 124).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
53
als Funktion spricht auch z. B. die Studie von Toepler und Feldman (2003), in der das
"state funding" und "foundation funding" von Forschungsprojekten untersucht wurden.
Hier haben dann Begriffe wie Flexibilität, Effizienz der Entscheidungsfindung etc. als
Eigenschaften bzw. Charakteristika dieser oder jener Organisation als Unterscheidungsmerkmale grosse Bedeutung.
Fasst man nun die obige Diskussion und Kritik an verschiedenen Klassifikationsrastern
für Funktionen von Stiftungen zusammen, bleibt als Ergebnis: Stiftungen besitzen zu allererst eine Pluralismusfunktion. Ausgehend von dieser Funktion, also der Erhaltung und
Unterstützung dieses demokratisch-gesellschaftlichen Wertes schlechthin, gibt es dann
technisch-konzeptionelle Funktionen: "Innovation", im Sinne von Streben nach Neuem,
Unbekanntem und Risikobehaftetem; "Stabilisation", im Sinne von Bewahren, Ausgleichen und auch von Umverteilen und Unterstützen. Die Ausgestaltung dieser Funktionen
im Sinne der Festlegung von bestimmten Themenbereichen, Arbeitsschwerpunkten und
schliesslich Massnahmenplänen ist dann immer eine normative, politisch-programmatische Entscheidung der einzelnen Stiftung.
Diese beiden Funktionen und die nachfolgenden Aktivitäten von Stiftungen erfolgen in
Ergänzung zu den Aktivitäten in anderen Sektoren in Bezug auf das gemeinsame Ziel
aller gesellschaftlichen Stakeholder, die Gesellschaft weiterzuentwickeln. Die Ergänzungsfunktion rekurriert in diesem Sinne auf die o. g. Pluralismusdefinition als einer
"Einheit in Vielheit", wobei die einzelnen Elemente einer Gesellschaft durchaus "im
Verhältnis des Wettbewerbs und Konflikts und/oder der Kooperation, nicht jedoch im
Verhältnis hierarchischer Zu- oder Unterordnung" (Steffani 1983, S. 344) stehen. Ergänzung in diesem Verständnis weist übrigens auf die Notwendigkeit der eigenen, reflektierten Positionierung hin, um sich selbst die Frage zu beantworten: "Wie kann ich meine
Ressourcen und Kompetenzen so einbringen, dass ein möglichst grosser Impact entsteht?".
Die Autoren der vorliegenden Arbeit sprechen sich klar gegen eine lineare Aufzählung
von Funktionen aus, wie sie von vielen anderen Autoren vorgeschlagen wird. Durch eine
reine Aufzählung wird nicht Bezug genommen auf die Begriffsdimensionen der Demokratie (Herrschaftsform und Gesellschaftsform). Dadurch werden die vorhandenen
Erklärungspotentiale der Daseinsberechtigung (Legitimation) und die Erläuterungen von
Funktionen von Stiftungen in einer Demokratie nicht ausgeschöpft. So können z. B. die
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
54
technisch-konzeptionellen Funktionen und die zustande kommenden Handlungsspielräume für Stiftungen nicht zurückgeführt werden auf "Demokratie als Herrschaftssystem" (der Staat kann oder darf nach dem Grundsatz des Mehrheitsbeschlusses in bestimmten Bereichen nicht tätig werden).
Zudem vermischen sich Grund- und Zielfunktionen (die sich ihrerseits in Bezug setzen
lassen mit "Demokratie als Gesellschaftsform") mit technisch-konzeptionellen Funktionen (die sich demgegenüber ableiten lassen von "Demokratie als Herrschaftsform") und
sogar mit politisch-programmatischen Kategorien (die eher im Bereich der Stiftungspolitik, vgl. Kap. 9.1, also im Management im engeren zu verorten sind). Der Bezug auf die
politisch-programmatische Dimension erweist sich als alleinige Legitimierungsbasis im
Einzelfall (Stiftung) immer angreifbar(er) als eine notwendige "erstinstanzliche" Rekursion auf die technisch-konzeptionellen Funktionen (Stiftungssektor).61
Mit dem Orientierungsraster der Stiftungsfunktionen im folgenden Kapitel wird ein Versuch unternommen, zum einen die generischen Stiftungsfunktionen herauszustellen, zum
anderen eine Argumentationsgrundlage zu schaffen, auf die im Legitimierungsprozess
zurückgegriffen werden kann.
2.3.2
Pluralismus und Ergänzung als Grundfunktionen und Legitimationsbasis
klassischer Stiftungen
Wie von vielen anderen Autoren auch, wird in dieser Arbeit die Pluralismusfunktion als
zentrale Funktion von Stiftungen angesehen. Im Unterschied zu den oben aufgeführten
Autoren Frumkin, Prewitt und Anheier, wird hier die Grundfunktion explizit auf "Demokratie als Gesellschaftsform" bezogen und Pluralismus als ein konstituierendes Element
einer demokratischen Gesellschaft verstanden. Da die Pluralismusfunktion von allen gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen als Legitimationsgrundlage verwendet werden kann, stellt sich weiter die Frage, warum gerade Stiftungen trotz "ihrer undemokratischen Struktur"62 (Neuhoff 1991) in einer Gesellschaft geduldet sein sollten, in der
61
Zur damit zusammenhängenden Herausforderung der Legitimierung im Sinne von "Transparenz schaffen", "Rechenschaft
ablegen" und "Kommunikation wahren" vgl. hierzu Anheier/Appel (2004), insbesondere S. 13 ff., Anheier (2003) und
Kapitel 12.
62
Stiftungen sind weitgehend frei von direkter externer Kontrolle und nicht unmittelbar verantwortlich gegenüber Wählern,
Mitgliedern, Konsumenten, Shareholdern oder Stakeholdern. Stiftungen und deren Organe sind rein juristisch betrachtet
alleine dem in der Stiftungsurkunde verfassten Stifterwillen sowie dem gesetzlichen und regulatorischen Rahmen
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
55
Demokratie "als politisches Grundprinzip ein allgemeines Strukturmerkmal" ist (Alemann 1983, S. 78). Das Pluralismus-Argument pro Stiftungen von Prewitt (1999) greift
etwas zu kurz, wenn er feststellt: "Because pluralism has a moral and evolutionary
weight, if foundations contribute to pluralism an explanation for the legitimacy of foundations begins to come in view." Eine interessante Fundierung bietet ein hier sinngemäss
wiedergegebenes Zitat von de Tocqueville, das eine Annäherung sowohl zur weiteren
Klärung der Stiftungsfunktion "Pluralismus" schafft als auch zu deren Legitimation beitragen kann: Als Gesellschaft der Gleichen übt die Demokratie einen Konformitätsdruck
"der Massenseele auf den Einzelgeist" aus, führt zu einer "Tyrannei der Mehrheit" und
zu einem "Triumph des Mittelmasses" (Tocqueville zit. in Spinnler 2005, S. 25).
Gerade Stiftungen können auf Grund ihrer Charakteristika (u. a. schnelle Entscheidungsfindung, Flexibilität, Risikoübernahme, vgl. auch Kap. 2.1.6) unbequeme Fragen
aufgreifen und neuartige Problemlösungen testen. Die Bertelsmann Stiftung (1997, S. 9)
leitet daraus die Anforderung an Stiftungen ab, sich nicht auf die Kritik an den
herrschenden Zuständen zu beschränken, sondern als "Modellbauer" aktiv zu sein jedoch nicht als staatliche Lückenbüsser63 - und in zentraler Rolle als Vorreiter
gesellschaftlicher Veränderungen zu agieren. Weidenfeld (1997) sieht Stiftungen
allgemein als einen "Grundbestandteil der civil society" und der ehemalige deutsche
Bundespräsident Roman Herzog (1997, S. 36; ähnlich Borgolte 2001) geht sogar noch
weiter und hält fest, dass Stiftungen "Pioniere auf dem Weg zur unmittelbaren,
spontanen, dezentralen, effizienten, vielfältigen Verbindung von unternehmerischer
Dynamik und dem Dienst am Gemeinwohl sind." Stiftungen werden in diesem Sinne
oftmals auch als "Seismographen der Gesellschaft" verstanden (Anheier 1998, S. 52), die
die aktuellen und zukünftigen Probleme aufgreifen und die Entwicklung von
Lösungsansätzen ermöglichen.
Die Pluralismusfunktion erbringen Stiftungen in Ergänzung zu den Aktivitäten der anderen Sektoren. Diese grundsätzliche Ergänzungsfunktion von Stiftungsaktivitäten lässt
verpflichtet. Diese einzigartige Freiheit ist gleichzeitig jedoch auch eine der grössten Herausforderungen für Stiftungen. So
impliziert das Fehlen der marktlichen und politischen Korrektive gleichzeitig, dass kein Stakeholder die Arbeit der Stiftungsorgane auf ihre technisch-konzeptionelle wie politisch-pragmatische Funktionserfüllung überwachen kann.
63
Diese Funktion können Stiftungen trotz steigender Vermögen (vgl. Kap. 2.2.4) auch gar nicht übernehmen, denn gemäss Anheier (2000) erhält der gemeinnützige Sektor in Deutschland seine gesamten Einnahmen zu weniger als 2 Prozent von
Stiftungen, aber zu über 65 Prozent durch staatliche Zuwendungen. Stiftungen können also die Lücken eines z. B. defizitären
Staatshaushaltes nicht substituieren (ähnlich auch Kocka 2004, S. 6).
56
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
sich auch mit einer Einschätzung von Flitner belegen (1972, S. 45 ff. - zit. in Toepler
1996, S. 51). Danach können Stiftungen "ihre ergänzende Hilfe einsetzen, Risiken zu
übernehmen und innovative Alternativen entwickeln, zu denen eine Gesellschaft sonst
nur schwer Zugang fände, die ihre Entscheidungen in der Form der quantitativen Mehrheitsdemokratie zu fällen pflegt. […] Zugleich helfen Stiftungen aber der Gesellschaft,
mit den Schwächen und Mängeln der Demokratie fertig zu werden, ohne sie selbst deswegen in Frage stellen zu müssen. Stiftungen sind dazu berufen, die Demokratie mit am
Leben zu erhalten, indem sie dort eintreten, wo sie versagt, weil die erforderlichen
Mehrheitsbeschlüsse nicht zustande kommen und die Entwicklung gelähmt wird […]."
In diesem Zitat wird insbesondere die "Demokratie als Herrschaftssystem" mit ihrem
Charakteristikum des Mehrheitsbeschlusses angesprochen. Dadurch wird die bisherige
Pluralismusfunktion, die sich auf "Demokratie als Gesellschaftsform" bezieht, erweitert.
Dieser Brückenschlag wird besonders dann interessant, wenn die technisch-konzeptionellen Funktionen von Stiftungen als Ausgestaltung der Pluralismusfunktion aufgefasst
werden und die Ergänzungsfunktion miteinbezogen wird. Eine ergänzende Stiftungsaktivität lässt sich insbesondere durch die in Kapitel 2.1.6 beschriebene Lücke zwischen
Staat und Markt erklären, und zwar einmal durch die Befriedigung einer bestehenden
Nachfrage (nachfrageinduzierte Stiftungstätigkeit), die jedoch auf einer Minderheit basiert und somit vom Staat nicht befriedigt werden kann (Mehrheitsdiktat), jedoch auch
für Privatunternehmen nicht lukrativ ist (geringe Menge; Charakteristika der Güter:
keine Ausschlussmöglichkeit und keine Rivalität), und zum anderen durch die Produktion von meritorischen Gütern (vgl. Musgrave 1959; Nichols et al. 1971; Sandmo 1983;
West/McKee 1983), d. h. von Gütern, denen ein immanenter Wert innewohnt, der jedoch
vom Markt nicht ausreichend honoriert wird (werden kann), da sich der Wert (bisher)
nicht in Präferenzen niederschlägt (angebotsinduzierte Stiftungstätigkeit). Auch hier
können weder der Staat (ein Marktversagen im strengen Sinn liegt nicht vor) noch Privatunternehmen (es ist keine Nachfrage vorhanden) tätig werden (vgl. Toepler 1996, S.
56). Sowohl eine Befriedigung der Bedürfnisse von Minderheiten in Gesellschaften heterogener Nachfrage als auch die Präferenzbildung im Hinblick auf potentiell meritorische
Güter (und damit zur Abwehr von de Tocqueville’s Sorge des "Triumphs des Mittelmasses") stehen als theoretische Konzepte hinter den beiden technisch-konzeptionellen
Funktionen von Stiftungen und schlagen die Brücke vom Wert des Pluralismus "an sich"
innerhalb einer demokratischen Gesellschaft hin zur Zielfunktion "sozialer Wandel".
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
2.3.3
57
Sozialer Wandel als Zielfunktion klassischer Stiftungen
Sozialer Wandel als Oberbegriff umfasst alle sozialen Prozesse der Veränderung gesellschaflticher Beziehungen und Verhältnisse in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Soziale Prozesse könne dabei "zugleich Auslöser oder Voraussetzung für einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel" sein (Klein 1995, S. 177). Im Sinne von Elias lassen sich
diese Prozesse als "dynamische Stabilität" konzipieren, gewissermassen als Dualität von
Stabilität und Wandel (vgl. Klein 1995, S. 177). Ähnlich äussert sich auch der Management-Kybernetiker Asby (vgl. Rüegg-Stürm 2002, S. 80) für den Bereich des Managements. Er illustriert den Wandel als Voraussetzung für Stabilität mit dem Beispiel des
Befahrens einer geraden Linie mit einem Fahrrad.64 Rüegg-Stürm formuliert darauf
aufbauend für eine Unternehmensentwicklung: "Eine erfolgreiche Unternehmensentwicklung muss daher gleichermassen durch Stabilität und Veränderung, durch Verunsicherung und erneute Vergewisserung, durch Wertschätzung der Tradition und durch unerschrockenes Beschreiten neuer Wege geprägt sein" (Rüegg-Stürm 2003, S. 80).
Die Rückübertragung auf die Entwicklung einer Gesellschaft lässt sich folgendermassen
formulieren: eine Gesellschaft hält nur bedingt dauerhafte Veränderung und
Unsicherheit aus. Neben der Suche nach Neuem, nach Innovationen65, nach
"schöpferischer Zerstörung" (Schumpeter 1934) ist immer auch Stabilisation,
Traditionen und die Besinnung auf Erreichtes nötig, als Orientierungen und
Stabilisatoren in einem sich wandelnden Umfeld. Stiftungen nehmen daher in einer
Demokratie über ihre beiden oben beschriebenen Funktionen der Innovation und
Stabilisierung eine zentrale Rolle ein (vgl. Abbildung 2-12). Sie können sich also zum
einen als Change Agents engagieren, somit "Labor für die Zukunft" sein (übersetzt aus
Frumkin 1999, S. 69). Sie können aber zum anderen auch eine wichtige
Stabilisierungsfunktion
einnehmen,
zur
Bewahrung
bewährter
Lösungen,
zur
Abfederung von Adaptionsproblemen in neuen Sozialstrukturen und zur Verstetigung
sozialer Innovationen im Sinne einer Rückführung in eine "Alltagsarena"66. Stabilität
64
"Denn würde man den Lenker eines Fahrrads fixieren, fiele man unausweichlich ziemlich rasch um, weil auf diese Weise
kleinere oder grössere Störungen in Form von Schwankungen nicht ausgeglichen werden können", so zitiert Rüegg-Stürm
(2003, S. 80) das Beispiel von Ashby.
65
Innovation ist "die Hervorbringung, Durchsetzung, Übernahme und Anwendung neuer Ideen und Techniken bisher unbekannter Produkte oder Rollen in einem sozialen System oder Subsystem" (Wittig 1994, S. 300).
66
Der aus dem unternehmerischen Wandel stammende Begriff bezeichnet allgemein den "Raum gelebten Verhaltens […] in
der ein oder mehrere Prozesse gewohnheitsmässig vollzogen werden" und auf die Bewältigung des geschäftlichen Alltags
ausgerichtet ist. Sie steht im Gegensatz zu einer Wandelarena, in der das Geschehen "im weitesten Sinne auf Veränderung
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
58
und Wandel beziehen sich aufeinander und stehen in einem komplementären Verhältnis,
d. h. in einer Dualität zueinander im Hinblick auf einen sozialen Wandel im Sinne von
Zielfunktion
technisch--konzeptionelle
technisch
Funktionen
Grundfunktionen
Evolution, Entwicklung und Fortschritt.67
Pluralismus
und Ergänzung
Innovationsfunktion
Stabilisierungsfunktion
Dynamische
Stabilität
Sozialer Wandel
Abbildung 2-12: Die Funktionen von Stiftungen
Mit dem oben vorgestellten Verständnis von Sozialem Wandel und der Dualität von Stabilität und Dynamik bekommen die beiden Stiftungsfunktionen Innovation und Stabilisation eine belastbare Legitimationsbasis. Stiftungen sind nicht als blosse Finanzintermediäre zu verstehen, weder im Bereich von Innovation (z. B. im Sinne einer umfassenden
Finanzierung von Grundlagenforschung) noch im Bereich von Stabilisation (z. B. im
Sinne einer umfassenden Finanzierung von Museen). Wäre dies der Fall, müssten Stiftungen zum einen doch erheblich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben, als es im
Moment der Fall ist, was auch die entsprechenden Vergleichszahlen eindrucksvoll bele-
und Erneuerung einer bestimmten Alltagsarena […] gerichtet ist" (Rüegg-Stürm 2002, S. 353 ff. – Begriffssammlung:
Alltagsarena; Arena; Wandelarena).
67
Diese Begriffe wurden hier alle unter Sozialem Wandel subsumiert, wohl wissend, dass die Begriffe durchaus jeweils eine
eigene Bedeutung haben und in der (aktuellen) Soziologie z. T deshalb auch unterschieden werden bzw. nicht immer einheitliche Definitionen vorliegen.
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
59
gen.68 Zum anderen würden sie dadurch zu "Erfüllungsgehilfen" des Staates und so geradezu das Fundament einer Demokratie beschädigen, denn Stiftungen bewegen sich, wie
oben beschrieben, ausserhalb der demokratischen Willensbildung und sind gemäss ihrer
Charakteristika gerade als nicht-demokratische Organisationen zu klassifizieren. Ursprüngliche Staatsaufgaben (wie auch immer diese in einer konkreten Situation abzugrenzen sind) können nicht der demokratischen Herrschaftsform entzogen und z. B. von
Stiftungen erbracht werden. Stiftungen können jedoch durch das oben dargelegte Demokratieverständnis, aber auch durch ihre Charakteristika ein im Sinne de Tocqueville’s
sinnvolles Korrektiv innerhalb einer Demokratie gegen einen "Triumph des Mittelmasses" sein. Als "Korrektiv des Korrektivs" wiederum lizenziert der Staat (per Mehrheitsentscheid) "eine Ergänzung, wo er selbst nicht handeln kann. Die Bereiche allerdings,
die einer Ergänzung offen stehen, sind mehr oder minder scharf umrissen (vgl. Schiller
1969, 25 ff.). Der Stifter ist zwar frei, seinen Zweck selbst zu bestimmen, aber nur in den
Bereichen, in denen der Staat es für richtig hält, zumindest solange er staatliche Unterstützung in Form von Steuerbefreiungen anstrebt" (Toepler 1996, S. 75 f.). Zwei generische Funktionsmodi stehen Stiftungen dabei zur Verfügung, die "lizenzierten" Bereiche
in Angriff zu nehmen (z. B. im Bereich Soziales, in der Kulturförderung, im Bereich Bildung und Forschung etc.): Innovation und Stabilisation.
2.3.4
Innovation und Stabilisierung als technisch-konzeptionelle Funktionen
klassischer Stiftungen
Die beiden technisch-konzeptionellen Funktionsmodi von Stiftungen, die Innovationsfunktion und die Stabilisierungsfunktion, stehen in einem Wechselverhältnis zueinander.
Sie bedingen sich gegenseitig - im Sinne einer Dualität, wie jene von Struktur und
Handlung (vgl. Giddens 1984/1995 und Kap. 4.3). Als analytische Kategorien - die
durchaus in Mischformen vorkommen oder beide sogar innerhalb einer Stiftung zu finden sein können - sollen die beiden Funktionen im Folgenden erläutert werden. Als weitere Unterteilung werden schlagwortartig drei "Stiftungstypen" oder "grant making
cultures" (Leat 1999, S. 126 ff.) eingeführt, die die beiden Funktionsmodi veranschaulichen.
68
In den USA betragen die Staatsausgaben pro Tag rund USD 6 Mrd. (bezogen auf 2004). Der gesamte US-Stiftungssektor
schüttet pro Jahr USD 30 Mrd. aus, d. h. die Ausschüttungen der Stiftungen würden gerade fünf Tage reichen, um die
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
60
Zur Bereitstellung philanthropischen Risikokapitals (Anheier 2000, S. 12 f.) in Bereichen, in denen sich Markt und Staat "schwer tun", eignen sich Stiftungen im
Besonderen, um Innovationen zu ermöglichen, Risiken zu tragen und kontroverse
Bereiche zu erkunden. Feddersen (2000, S. 17 ff.) plädiert für den Staat als Innovator
lediglich bei konkret vorhandenen und gesellschaftlich (an)erkannten Problemfeldern in Bereichen wie z. B, in Deutschland gegenwärtig das Thema "Elite-Universitäten".
Oftmals entstehen soziale Innovationen gerade nicht aus politischen Prozessen heraus,
sondern im privatwirtschaftlichen Bereich oder initiiert und teilweise auch umgesetzt
von "Think-tanks", die häufig in Stiftungsform auftreten. Diese "Incubators" (Sharp
2002)69 gesellschaftlicher Innovationen beeinflussen signifikant die Weiterentwicklung
und Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft.70 Ähnlich definiert auch Frumkin die Rolle von
Stiftungen (1999, S. 69): "Foundations can serve as laboratories for experimentation
where new and controversial ideas can be put to the test.”
Die hier angesprochene Bedeutung von Stiftungen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen
Innovationsfunktion kommt einer katalytischen Wirkung beim Sozialen Wandel in Gesellschaften gleich. Das Zustandekommen eines "social ventures" oder eines Experiments, wie Frumkin formuliert, hängt wesentlich von einer unternehmerischen Kultur
der Gesellschaft ab - analog dem klassischen Entrepreneurship. Dazu bedarf es einer entsprechenden Stifter- und Stiftungskultur, die die Innovations- und Transferprozesse fördert (vgl. Rüegg-Stürm et al. 2004a).
Aufgrund der im Vergleich zum staatlichen Gesamthaushalt oder auch zu privatwirtschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben grosser Konzerne oftmals geringen
finanziellen Ausstattung einer Stiftung muss sie auf das Prinzip der Hebelwirkung
bauen: sie muss die "philanthropische Nische" entdecken und darin katalytisch wirkende
Projekte initiieren und finanzieren. "While foundations have the capacity to play a critical role in providing venture capital for social experimentation" (Frumkin 1999, S. 69),
orientieren sich, wie oben beschrieben, Regierungen an dem was mehrheitsfähig, Unternehmen an dem was profitabel ist.
Staatsausgaben zu bestreiten.
69
Interessanterweise gibt es inzwischen sogar Initiativen, die sich als Incubatoren für Stiftungen bezeichnen, z. B. The Foundationincubator (www.foundationincubator.org).
70
z. B. Stiftung Avenir Suisse, die als "Think-tanks" von führenden Schweizer Unternehmen gegründet wurde: www.avenirsuisse.ch (23.08.2005).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
61
Bei der Innovationsfunktion der Stiftungen kommt insbesondere die bereits oben eingeführte Kategorie der meriotrischen Güter zur Geltung (angebotsinduzierte Stiftungstätigkeit). Die Klassifizierung eines Gutes als meritorisches basiert auf den Präferenzen einer
(auch kleinen) Gruppe und der Beurteilung von Experten, die "besser" über die möglichen (zukünftigen) Bedürfnisse informiert sind, als die eigentlichen konsumierenden Individuen. Der meritorische Charakter eines Gutes wird zudem von verschiedenen historischen, ökonomischen und sozialen Bedingungen beeinflusst (vgl. Toepler 1996). Visionäre versuchen in diesem Fall, die latente Bedürfnislücke sofort zu schliessen und in einer schöpferischen Art und Weise Lösungen bereit zu stellen. Oftmals sind die Erfolgschancen klein und schwer abschätzbar, so dass keine profitorientierte Organisation es
wagt, in die Erstellung solcher Güter zu investieren. Gerade dann kann ein Visionär oder
eine Gruppe von Visionären eine andere Einschätzung der Situation haben und Investitionen wagen im Sinne einer "opportunity creation through visionary thinkers" (ähnlich
auch Schumpeter 1934/1942; Shane/Venkataraman 2000).
Stiftungen können und sollen der Gesellschaft dabei aber auch nichts aufzwingen (vgl.
Schmidt 1998), denn eine Stiftung kann sich im Gegensatz zum Staat oder grossen Unternehmen (meist) nicht auf eine Machtgrundlage stützen und kann daher nur durch
Überzeugungskraft und Vorbildwirkung Veränderungen bewirken (vgl. Weidenfeld
1997). Auch Mohn (1997), Gründer der Bertelsmann Stiftung, ist überzeugt, dass Stiftungen aufgrund ihres Vorteils der Freiheit von Vorschriften verpflichtet sind, Kritik zu
üben, kreativ zu handeln und innovative Lösungen aufzuzeigen. Dazu bedarf es einer
Kultur der Fehlertoleranz in der Gesellschaft als entscheidende Voraussetzung für die
Bereitschaft zur Kreativität und Innovation - und eine entsprechende Risikobereitschaft
im Stiftungssektor.
Die Stiftung "Lilly Endowment" kommt dem Idealtypus einer Stiftung mit Innovationsfunktion sehr nahe. So verpflichtet sie sich selbst (wie im Jahresbericht 1990, S. 3, verdeutlicht) der Mission einer Stiftung, die "should strive to be a center for learning - a
place that uses its assets to test new ideas, to look at problems from a variety of angles,
and to take some risks” (zit. in Toepler 1996, S. 82). Ein innovatives Selbstverständnis
von Stiftungen lässt sich übrigens nicht erst in den letzten Jahren beobachten, sondern
wurde - wie das Beispiel der Carnegie Stiftung zeigt - auch bereits Anfang des letzten
Jahrhunderts formuliert. Die von Andrew Carnegie 1911 gegründete Stiftung wurde mit
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
62
dem allgemeinen Ziel der Förderung und Verbreitung von Wissen und Verständnis im
Volk der Vereinigten Staaten und der Britischen Dominions und Kolonien ins Leben gerufen. So förderte diese Stiftung im medizinischen Bereich u. a. die Entdeckung des Insulins, die Entwicklung des Impfstoffes gegen die Kinderlähmung und die Forschung
zur DNS (vgl. Borgolte 2001).
Als weiteres Beispiel für eine Stiftung, die die Innovationsfunktion als ihre Hauptfunktion definiert hat, kann die Gebert Rüf Stiftung genannt werden. "Die Gebert Rüf Stiftung beruht auf einer privaten Initiative. Mit ihrer spezifischen Projektförderung an Universitäten und Fachhochschulen will sie die Innovation, den Transfer und die Wirksamkeit von Wissenschaft unterstützen."71 Auch im Sozialbereich lassen sich viele Beispiele
zitieren, wie bereits vor Jahrhunderten innovative Wege bei der Bewältigung sozialer
Missstände beschritten wurden. Der Augsburger Händler Jakob Fugger hat z. B. Wohnraum für bedürftige (katholische) Mitbürger errichten lassen. Die Zwei-Zimmer-Wohnungen der historischen Fuggerei (Fuggersche Stiftung) gelten als die älteste (1521) Sozialsiedlung der Welt. Fugger hat in der damaligen Zeit ein Thema lanciert, das auch
Jahrhunderte später noch nichts an seiner Relevanz eingebüsst hat, jedoch damals ausgesprochen revolutionär war und innovativ umgesetzt wurde.
Neues kann aber nur ent- und bestehen, wenn auch Stabilität vorhanden ist. Stiftungen
können gerade diese wichtige Stabilisierungsfunktion einnehmen, indem sie diejenigen
fördern, die insbesondere unter den Bedingungen von Nachfrageheterogenität und
Knappheit an öffentlichen Mitteln leiden (Anheier 2000). Mit einem Wandel geht auch
immer ein Festhalten an den identitätsstiftenden, bewährten Routinen und Strukturen
einher, das auf Grund der oft ungewissen Zukunft durchaus nachvollziehbar erscheint.72
Die Unterstützung von z. B. Museen, Kunst- und Kulturschaffenden, Sport- und Freizeitvereinen scheint in ihrer Vielfältigkeit dazu geeignet, als vergangenheits- und zukunftsbezogene Aktivität die notwendige Grundlage für Innovationen zu schaffen. Innovationen als Alternative zu etwas Bestehendem brauchen ja gerade das "Alte" als Reso-
71
Profilbeschreibung der Gebert Rüf Stiftung auf deren Website: www.grstiftung.ch (23.08.2003).
72
vgl. Schumacher (2003, S. 23) für den Bereich des unternehmerischen Wandels, was aber auch auf gesellschaftlichen Wandel übertragen werden kann. "So wird beispielsweise der Gegensatz zwischen der Stabilität und dem Wandel der
existierenden Identität im Rahmen einer übersummativen Verbindung nicht mehr länger als Gegensatz gesehen (z. B.: Um
die Stabilität in einem geänderten Umfeld zu erhalten, braucht es Veränderung; um die Marktposition zu halten braucht es
einen Produktwechsel)" (S. 24).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
63
nanzboden für das "Neue". Als Beispiel können hierfür dienen: die Beyeler-Stiftung73
(einerseits Sammlung von Kunstgütern der klassischen Moderne, andererseits der Dialog
mit der Gegenwart, in dem das Museum nicht einfach einen wertvollen Schatz hüten
möchte, sondern sich auch als ein öffentlicher Ort der Innovation versteht); die Stiftung
Preussischer Kulturbesitz74 (die Stiftung zählt zu den größten Kultureinrichtungen weltweit mit 16 Museen, der Staatsbibliothek, dem Geheimen Staatsarchiv und einer Reihe
von Forschungseinrichtungen); die Deutsche Hygiene-Stiftung75 (als Trägerin des Deutschen Hygiene-Museums). Gerade die letzten beiden Beispiele, der Deutschen HygieneStiftung und von "Stiftungen gegen Drogen", weisen auf eine weitere Besonderheit hin.
Dort ist durchaus - wie bei vielen anderen Stiftungen der Stabilisationsfunktion - auch
ein unternehmerischer, innovativer Aspekt zu beobachten - ganz im Sinne von Drucker
(2002)76. Die Deutsche Hygiene-Stiftung führt z. B. Weiterbildungsmassnahmen durch,
die insbesondere Kindern und Jugendlichen das Thema Zahnhygiene näher bringen sollen. Es werden z. B. neue didaktische Wege gegangen und der Kontakt zur Zielgruppe
erfolgt anders als früher. Auch die Jacobs Foundation beschreitet mit einem ihrer Projekte neue Wege eines altbekannten Problems: Regionalplanung in der Schweiz in abgelegenen Alpentäler (Projekt "Moving Alps").
Hier wird auch die Grenze der analytischen Trennschärfe der Kategorien "Innovation"
und "Stabilisation" deutlich, denn das eigentliche Thema "Regionalplanung" ist ohne
Zweifel gerade für die Schweiz ein sehr wichtiges Thema der Stabilität. Der innovative
Ansatz der Jacobs Foundation geht doch über eine reine Prozessinnvoation hinaus, wie
sie die Deutsche Hygiene-Stiftung beim Thema "Zahnhygiene" (vgl. Kap. 10.5
Dissemination, resp. 10.6 Replikation) eingeführt hat. Dennoch wird den in dieser Arbeit
verwendeten und stark komplexitätsreduzierenden technisch-konzeptionellen Kategorien, "Innovationsfunktion" und "Stabilisierungsfunktion", eine tragfähige Erklärungsba73
www.beyeler.com/fondation/index_language.html (17.07.2005).
74
www.hv.spk-berlin.de (17.07.2005).
75
www.dhmd.de/neu/index.php?id=15 (17.07.2005).
76
Drucker stellte einmal fest – im Anschluss an die pointierte Aussage, dass "das Konzept der ‚Revolution’ eine Täuschung"
sei: "Doch wir wissen auch, dass Theorien und Werte, dass all die Schöpfungen des menschlichen Geistes sowie die von
Menschenhand geschaffenen Dinge früher oder später veralten, unbrauchbar werden und sich in eine ‚Plage’ verwandeln.
Daher ist die Gesellschaft ebenso wie die Wirtschaft auf Innovation und auf unternehmerisches Handeln angewiesen. Eben
weil Innovation und Unternehmertum nicht auf der radikalen Zerstörung, sondern auf dem schrittweisen Aufbau – ein Produkt hier, ein Verfahren dort – beruhen, […] weil sie mit anderen Worten nicht dogmatisch, sondern pragmatisch, nicht
grandios, sondern bescheiden sind, sind sie geeignet, die Flexibilität und die Regenerationsfähigkeit einer Gesellschaft, einer
Volkswirtschaft oder einer Industrie, eines öffentlichen Dienstes oder eines Unternehmens zu erhalten" (Drucker 2002, S.
371).
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
64
sis unterstellt - auch und gerade im Hinblick auf die sich in Zukunft wohl noch verstärkende Legitimationsdiksussion von Stiftungen als Bereitstellung "privater Mittel für öffentliche Zwecke" (Kocka 2004, S. 5; ähnlich auch Anheier 2003: "selbstlose Übergabe
von Privatvermögen für öffentliche Zwecke").
Die folgende Abbildung 2-13 stellt die beiden generischen, technisch-konzeptionellen
Stiftungsfunktionen in den Zusammenhang mit drei Stiftungstypen, die vornehmlich auf
Vergabestiftungen zutreffen und im Rahmen des in Kapitel 7 - 12 vorgestellten Frameworks für Vergabestiftungen wieder aufgegriffen werden. Auf der Y-Achse sind die beiden grundlegenden Konzepte jeglicher Stiftungsaktivitäten abgebildet, die wie oben dargelegt, auch als Erklärungsgrundlage für die Innovations- und Stabilisierungsfunktion
dienen. Die Ansätze der Stiftungsarbeit auf der X-Achse (responsive und proaktive Stiftungsarbeit), definieren hingegen die Stiftungstypen.
Pl
ur
al
ism
us
Gift
Givers
responsiv
W
an
de
l
Dynamische
Stabilität
In
no
va
to
re
n
St
ab
ili
sa
to
re
n
orientieren
sich an …
Social
Investors
l
zia
So
bestehender
Nachfrage
Dritter
Sektor
Social
EntreEntrepreneurs
r
le
zia
So
neuem
Angebot
Vergabestiftungen
proaktiv
arbeiten …
StaatsStaatswirtschaftlicher
Sektor
Freiheit – Gleichheit
abgestimmte
Ergänzung
an
de
l
W
abgestimmte
Ergänzung
abgestimmte
Ergänzung
er
Demokratische
Gesellschaft
PrivatPrivatwirtschaftlicher
Sektor
Abbildung 2-13: Vergabestiftungen als Innovatoren und Stabilisatoren
Gift Givers finden sich dabei überwiegend im Bereich der Stabilisatoren. Sie entsprechen
den Erfordernissen, die sich aus einer heterogenen Nachfrage in einer Demokratie erge-
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
65
ben und arbeiten daher meist sehr responsiv (reaktiv), d. h. sie erwarten Anträge, deren
Themengebiet sie mehr oder weniger vorgeben, und treffen auf der Grundlage der eingegangenen Anträge ihre Entscheidungen für oder gegen eine Finanzierung (nachfrageindizierte Stiftungstätigkeit).
Im Gegensatz dazu investieren Social Investors normalerweise sehr viel Zeit, um ihr Tätigkeitsgebiet zu spezifizieren und ihre Projektpartner auszuwählen. Je nach Riskiopräferenz suchen sie ein eher "sicheres, solides" Tätigkeitsfeld, "to produce steady, if unexiting, results" (Leat 1999, S. 128) oder ein "unbekanntes, neues" Tätigkeitsfeld "because
this is where the future lies" (Leat 1999, S. 128). Social Investors können nicht klar einer
Stiftungsfunktion zugeordnet werden, es kommt hier sehr stark auf die einzelne, spezifische Stiftungskultur an. So kann eine solche Stiftung z. B. zwar eher responsiv agieren,
in dem sie sich bei der Auswahl von Projekten ausschliesslich auf die eingegangenen
Anträge beschränkt, aber inhaltlich die Auswahl nach Innovationskriterien im jeweiligen
Themengebiet fällt. Sie reagiert somit in einem gewissen Sinn auf eine bestehende heterogene Nachfrage, kann aber durchaus inhaltlich den Innovatoren zugerechnet werden.
Die Social Entrepreneurs dagegen kreieren proaktiv eigene Themenfelder und lancieren
entsprechende Projekte. Immer häufiger werden dafür sogar die Projektpartner gezielt
ausgesucht. Diese Arbeitsweise folgt dem Konzept der meritorischen Güter. Gerade nach
de Tocqueville’s Argument besteht in einer demokratischen Gesellschaft ein Bedürfnis
nach Social Entrepreneurs, die meritorische Güter und deren Potentiale unter sich verändernden Grundbedingungen erkennen und in einem "weak signals environment" nach
Neuem suchen. Proaktives, unternehmerisches Stiftungsmanagement verstanden als "social entrepreneurship" (vgl. Dees 1998)77 setzt somit einen hohen Grad an Sachkenntnis
voraus, der wiederum einen höheren Personal- und Administrationsaufwand nach sich
zieht (vgl. Anheier 2005a, S. 317 f.; Leat 1999, S. 128 f.). "Social entrepreneurship"-Organisationen findet man aber nicht nur bei grossen Stiftungen, auch wenn z. B. Anheier
(2005a, S. 318) eher der Meinung ist, dass "the majority of foundations are limited in
their ability to adopt proactive strategies seeking out innovative, high-impact funding
77
Dees (1998, S.4) definiert "social entrepreneurs" als Personen, die "play the role of change agents in the social sector, by:
Adopting a mission to create and sustain social value (not just private value); Recognizing and relentlessly pursuing new opportunities to serve that mission; Engaging in a process of continuous innovation, adaptation, and learning; Acting boldly
without being limited by resources currently in hand; Exhibiting a heightened sense of accountability to the constituencies
served and for the outcomes created.” Social value seinerseits ist definiert "as an effort not primarly economical beneficial
but beneficial for the society in general and/or small parts of it. This highlights the relevance these goods still have for a specific consumer group, a human entity (Tool 1977, Platow 1993).
66
Stiftungen im Kontext gesellschaftlicher Sektoren
ventures. […] This implies that the "venture capital paradigm" might apply to only a
small number of well-endowed, professional foundations and cannot reasonably be generalized across the whole foundation field."78 Auch kleinere Stiftungen können durchaus
innovationsfördernde Anschubfinanzierungen leisten und dadurch den Ideen-Pluralismus
in der Gesellschaft erhöhen (ähnlich Letts et al. 1997).79
78
Petry (1999) sieht einen Weg aus dem Kompetenzdilemma bei kleineren Stiftungen z. B. im Eingehen von Kooperationen.
Dies führt z. T. auch zur Entstehung neuer Stiftungsformen, z. B. Sammelstiftungen.
79
Ein Spannungsfeld kann sich hier allerdings ergeben zwischen dem auf Ewigkeit festgelegten Stiftungszweck und den
entsprechend der gesellschaftlichen Dynamik sich verändernden Bedürfnisse oder gesellschaftlichen Knappheiten, die die
Stiftung im Sinne eines social entrepreneurs lösen möchte. Eine wohlüberlegte Formulierung des Stiftungszwecks scheint
somit angebracht. Bei allen Anstrengungen kann es jedoch Situationen geben, bei denen sich der Stifterwillen nicht gegen
den historischen Wandel immunisieren lässt. Ein Beleg hierfür ist die Hundefängerstiftung im 16. Jahrhunderts in Nürnberg,
die den Zweck verfolgte, die Anzahl streunender Hunde in der Stadt und den Kirchen einzudämmen. Aufgrund fehlender
streunender Hunde (materieller Wegfall des Stiftungszwecks) wurde das Stiftungskapital zugunsten eines Spitals
umgewidmet (vgl. Borgolte 2001).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
67
"The prize of greatness is responsibility."
Winston Churchill,
brit. Politiker und Nobelpreisträger (1874-1965)
3
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und
theoretische Relevanz
Im vorangehenden Kapitel steht der Non-Profit-Sektor (Kap. 2.1) und der
Stiftungssektor (Kap. 2.2) im Zentrum der Betrachtung, mit besonderem Fokus auf den
gegebenen und zukünftigen Gestaltungsspielräumen von Stiftungen (vgl. Kap. 2.1.6),
unter Einschluss der Diskussion ihrer Legitimation (vgl. 2.3). Dabei wird festgestellt,
dass durch die dort genannten Veränderungen im privatwirtschaftlichen wie auch im
staatlichen Sektor die Existenz eines vitalen und wachsenden Stiftungssektors nicht
länger als Luxus, sondern vielmehr als Notwendigkeit zur Weiterentwicklung der
Gesellschaft (sozialer Wandel) gesehen werden muss.
Gleichzeitig soll aber auch auf die Verantwortung von Stiftungen in dieser Situation hingewiesen werden - und damit das einführende Zitat von Churchill als grundlegender
Hinweis verstanden werden - sich dieser Gestaltungsspielräume professionell anzunehmen: "Foundations are private bodies acting for the common good and they should show
results to justify the public’s trust and their special tax status” (Berresford 1999).
Anheier und Toepler (1998) haben bereits im Jahre 1998 festgestellt, dass der aktuelle
Forschungs- und Wissensstand über Stiftungen auf Makro-Ebene (Sektor) äusserst be-
68
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
schränkt ist (vgl. Kap. 2.2). Anheier stellt selbst im Jahre 2001 noch fest, dass "comparative research on foundations remains rare and usually involves country-specific comparisons, or takes on specific issues such as governance and accountability. Even work that
explored the role of non-profit organizations more generally, most prominently the Johns
Hopkins Comparative Non-profit Sector Project, did not focus on foundations explicitly". Die Begründung hierzu ist gemäss Anheier, dass "rather, the sheer complexity and
richness of the phenomenon, historically, legally, politically as well as culturally, seems
to preclude any systematic attempt to compare foundations cross-nationally" (Anheier
2001, S. 35).
Der Wissensstand auf Mikro-Ebene, d. h. auf der Ebene des Managements von Stiftungen, ist jedoch noch weit geringer und insofern stellen Stiftungen eine "black box" dar:
"There is no systematic description, analysis or understanding of foundation behaviour
that would be parallel to the deep bodies of knowledge about the behaviour of government agencies or profit-corporations" (Diaz 1997, S. 1).
Daraus kann eine praktische und theoretische Relevanz des Themas "Stiftungsmanagement” abgeleitet werden. Praktiker erkennen zunehmend die Notwendigkeit, sich mit
dem Thema "Management" auseinanderzusetzen. Gleichzeitig besteht ein Defizit wissenschaftlich-reflektierter und theoretisch-konzeptionell begründeter stiftungsspezifischer Managementansätze und deren anwendungsorientierter Aufbereitung.
Im Folgenden wird mit der Vorstellung des hier vertretenen Managementverständnisses
zuerst die grundsätzliche Relevanz von "Management" aufgezeigt (Kap. 3.1), bevor auf
die Relevanz des Managements für Stiftungen eingegangen wird (Kap. 3.2). Eine
Zusammenstellung erster Themenfelder praktischer Herausforderungen des Stiftungsmanagements rundet die Begründung der Relevanz des hier bearbeiteten Themas ab (vgl.
Kap. 3.3) und dient gleichzeitig auch als Grundlage für die empirische Untersuchung
(vgl. Kap. 5). Die in Kapitel 3.4 und 3.5 skizzierten theoretischen Ansätze stellen
Entwicklungsgrundlagen zur Reduktion des Theoriedefizits für das Management von
Stiftungen dar. Eine General-Management-Persepktive bietet den konzeptionellen Rahmen eines Managements für Stiftungen (vgl. Kap. 3.4). Ein Managementframework auf
Grundlage dieser General-Management-Perspektive stellt darüber hinaus einen notwendigen Orientierungsrahmen dar, um varietätserzeugende oder -vermindernde Massnahmen ergreifen zu können (vgl. Kap. 3.5). Beide Bausteine unterstützen die Handhabung
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
69
der Komplexität - darin liegt eine zentrale Aufgabe des Stiftungsmanagements. Kapitel
3.6 schliesslich fasst die aufgezeigte Relevanz und die vorgestellten Ansätze für die Entwicklung eines integrierten Managementframeworks für Stiftungen zusammen. Darauf
aufbauend werden detaillierte Leitfragen (Forschungsfragen) für die empirischen Untersuchungen entwickelt.
3.1
Grundsätzliche Relevanz des Managements - das Managementverständnis
Management wird in dieser Arbeit als komplexe Funktion verstanden, d. h. als ein "System von Aufgaben" (Rüegg-Stürm 2003, S. 22), die sich unter den Begriffen "Gestaltung, Lenkung (Steuerung) und Entwicklung einer zweckorientierten, soziotechnischen
Organisation" subsumieren lassen (Ulrich 1984). Dabei ist das Management nicht nur
"die bewegende, sondern auch die einigende Kraft im Unternehmungsgeschehen", wie
Ulrich (2001, S. 13) für Unternehmen konstatiert. Der Begriff "Management" war im
Übrigen lange Zeit untrennbar mit Unternehmen verbunden, "denn grosse Unternehmen
rückten als erste unter den neuen Organisationen ins Blickfeld" (Drucker 2002, S. 360).
Doch Drucker, wie auch Ulrich mit seinem Organisationsbegriff, fassen den Begriff
weiter: Im "vergangenen halben Jahrhundert haben wir gelernt, dass das Management
das wesentliche Organ aller Organisationen ist. Unabhängig davon, ob sie den Begriff
verwenden oder nicht, sind sie alle auf Management angewiesen"80 (Drucker 2002, S.
360, ähnlich auch Ulrich 2001, S. 13 f.). "Management" ist aber keinesfalls gleichbedeutend mit "Person" oder "Macher". Deshalb gilt auch, dass ein "personaler Ansatz"
nicht geeignet ist, das Phänomen Management angemessen zu erfassen. Management bedeutet Führung zweckgerichteter sozialer Systeme, "und diese Aufgabe kann, selbst in
Bezug auf eine kleine, nur wenige Personen umfassende Institution, nicht von einem einzigen Manager erfüllt werden" (Ulrich/Probst 1988, S. 232).
Lenken, wie das Gestalten oder das Entwickeln, alle Teilfunktionen des Managements
bedürfen jedoch mehr als der Anwendung von Managementwerkzeugen, denn in "allen
Organisationen müssen die Manager sowohl mit dem Management als Arbeit und als
80
Davon geht auch Murray (1975, S. 364) aus, der von einer Konvergenz der Managementprozesse in öffentlichen, Non-Profit
und Profit-Organisationen spricht und ein "generic model of general management" sieht.
70
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
Disziplin als auch mit der Organisation, deren Vorhaben und Werten, deren Umwelt und
Märkten sowie deren Kernkompetenzen vertraut sein. Das Management unterscheidet
sich somit nicht primär in den Werkzeugen, die anzuwenden sind, wohl aber im Anwendungszusammenhang" (Drucker 2002, S. 360 f.). Daraus folgt, dass ein "gutes" Management, das den besonderen Kontext der jeweiligen Institution kennt und einschätzen
kann, zu einer "Qualifizierung" der Institution in ihrem spezifischen Milieu führt. Qualifizierung in diesem Sinne heisst: Aufbau einer Beurteilungs- und Problemlösungsfähigkeit hinsichtlich der spezifischen Herausforderungen einer Organisation und das Entwickeln möglicher Lösungen für einen langfristigen gesellschaftlichen Nutzenzuwachs.
So verstanden, wird das Management zu einer "freien Kunst" (Drucker 2002, S. 361).
Ebenso wie die "Harnanalyse" nicht das Wesen der Medizin ausmacht, stellen weder
Gruppendiskussionen noch die doppelte Buchführung den Kern des Managements dar.81
Vielmehr erweist es sich in den entsprechenden Entscheidungssituationen als ausgesprochen anspruchsvoll, "die richtigen Dinge richtig zu tun". Hier helfen weder abstrakte
Regeln noch anerkannte Werkzeuge weiter, denn die "Zusammenhänge in modernen Gesellschaften sind dermassen komplex geworden, dass es für praktisch alle gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Probleme keine richtigen oder falschen Lösungen
mehr gibt, sondern aus einer Mehrzahl möglicher Lösungen diejenige auszuwählen ist,
die am meisten Vorteile und am wenigsten Nachteile hat" (Dubs 2001, S. 45).
Gerade aus einer ungenügenden Beachtung der Komplexität einer Problemsituation resultieren oft "Insellösungen", die zwar auf der einen Seite ein Teilproblem des Managements entschärfen (z. B. Anlageentscheide hinsichtlich rein finanzieller Rendite-Krite81
"An den meisten Wirtschaftsuniversitäten wird das Management noch heute als Bündel von Techniken, wie beispielsweise
der Budgetierung, gelehrt. Selbstverständlich weist das Management, wie jede andere Tätigkeit, seine eigenen Werkzeuge
und Techniken auf. Doch so wie die Harnanalyse, trotz ihrer unzweifelhaften Bedeutung, nicht die wesentlichen Funktionen
der Medizin darstellt, machen die Techniken und die Verfahren nicht das Wesen des Managements aus. Die wesentliche
Funktion des Managements besteht darin, Wissen produktiv zu machen. Mit anderen Worten: Das Management ist eine
soziale Funktion. Und in seiner Praxis ist das Management tatsächlich eine ‚freie Kunst’." (Drucker 2002, S. 361)
Ähnlich auch Drucker (2001, S. 12 f.): "Thirty years ago the English scientist and novelist C. P. Snow talked of the two cultures of contemporary society. Management, however, fits neither Snow’s ‚humanist’ nor his ‚scientist’. It deals with action
and application; and its test is results. This makes it a technology. But management also deals with people, their values, their
growth and development – and this makes it a humanity. […] Management is thus what tradition used to call a liberal art –
"liberal" because it deals with the fundamentals of knowledge, self-knowledge, wisdom, and leadership; ‚art’ because it is
also concerned with practice and application. Managers draw on all the knowledges and insights of the humanities and the
social sciences – on psychology and philosophy, on economics and history, on ethics – as well as on the physical sciences.
But they have to focus this knowledge on effectiveness and results – on healing a sick patient, teaching a student, building a
bridge, designing and selling a ‚user-friendly’ software program. For these reasons, management will increasingly be the discipline and the practice through which the ‚humanities’ will again acquire recognition, impact, and relevance.”
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
71
rien = "gutes" Finanzmanagement, oder Sanierungsentscheidungen bei einem Baudenkmal nach finanziellen Kriterien der Investitionsrechung = "gutes" Investitionsmanagement), auf der anderen Seite jedoch neue Problemfelder schaffen (z. B. Nicht-Beachtung
eines Widerspruchs von Anlagepolitik und Stiftungszweck oder Nicht-Beachtung kunstgeschichtlicher Kriterien bei der Restaurierung eines Gebäudes und somit Vernachlässigung der normativen Zwecksetzung der Trägereinrichtung "Historisches Museum der
Stadt XY").
Jede Form von Management ("managen" i. S. von "entscheiden") muss also vielfältigen
Einflussfaktoren, widersprüchlichen Rationalitäten, Ambivalenzen und schwer definierbaren Wertmassstäben gerecht werden - und existiert schliesslich "for the sake of the institution’s results. It has to start with the intended results and has to organize the resources of the institution to attain these results. It is the organ to make the institution,
whether business, church, university, hospital, or a battered women’s shelter, capable of
producing results outside of itself” (Drucker 2001, S. 93).
Erst wenn sich das Management den spezifischen Kontext, in den die jeweilige Organisation eingebunden ist, bewusst gemacht und die sich daraus ergebenden Herausforderungen identifiziert und in ihrer Vernetztheit und Wechselwirkung verdeutlicht hat,
kommen Managementwerkzeuge optimal zum Einsatz.82 Diese Position vertreten auch
Ulrich und Probst: "Wichtig ist, dass Management nie etwas Isolierbares ist, sondern
immer bezogen ist auf eine Institution, welche das Objekt der Führung darstellt. ‚Managen an sich’ ohne ein solches Objekt wäre eine sinnlose Tätigkeit im luftleeren Raum. Es
ist deshalb zwingend notwendig, zunächst das Wesen oder die Charakteristik der zu führenden Institution zu verstehen, denn nur daraus kann man Anforderungen an ihre Führungskräfte ableiten, die Arbeitsteilung und Zusammenarbeit unter den Führungskräften
organisieren, Hilfsmittel für ihre Tätigkeiten entwerfen usw." (Ulrich/Probst 1988, S.
232). Das Ergebnis reicht dann weit über kurzfristig wirksame "Patentlösungen" hinaus
82
Fottler hat bereits 1981 einen Versuch unternommen, das Management von "private for-profit, private non-profit, private
quasi public, and public" Organisationen zu differenzieren. Fottler machte die Besonderheiten in der Funktion Management
an unterschiedlichen Abhängigkeiten dieser Organisationen fest, die wiederum unterschiedliche Werte hervorbringen: "The
most fundamental reason why the four organization prototypes differ in terms of their management functions is that they receive their support (economic and non-economic) from different sub sector(s) of the society and must be responsive to these
sub sectors. Because these sub sectors have different goals, responding to them creates different incentives and constraints
for management in each type of organization. […] My specific hypothesis is that the four organization prototypes are dependent on different individuals, and organizations in the external environment. This variability in the nature of environmental dependence creates different values, incentives, and constraints in terms of how environmental dependence and internal operations are managed” (Fottler 1981, S. 3).
72
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
(vgl. auch Salamon/Anheier 1999, die sich gegen eine "kritiklose Übernahme von Managementtechniken" aus der "Profit-Welt" in andere Kontexte aussprechen).
Um in den Kapiteln 7-12, im Rahmen des Foundation Excellence-Frameworks, die
Besonderheiten des Stiftungsmanagements systematisch aufbereiten, verorten und deren
Implikationen auf das Management aufzeigen zu können, ist es notwendig, die spezielle
Charakteristik der "zu managenden" Institution zu verstehen. Dies erfolgt in vier Schritten. Erstens im folgenden Kapitel (Kap. 3.2) über Aufarbeitung der praktischen Relevanz
auf Grund der Betrachtung allgemeiner Charakteristika des Stiftungsmanagements,
zweitens im Kapitel 3.3 mit einer ersten Annäherung an die Herausforderungen des Stiftungsmanagements, drittens im Rahmen der empirischen Untersuchungen zur Erfassung
der Herausforderungen und Aufgaben des Stiftungsmanagements (Kap. 5) und viertens
mit der Aufbereitung des Managementkontextes (Kap. 6) als Grundlage zur Entwicklung
des Management-Frameworks (Kap. 7-12)
3.2
Relevanz des Managements für Stiftungen
Die "Qualifizierung im spezifischen Milieu" oder die "Vergegenwärtigung des spezifischen Kontexts" weisen auf die praktische Relevanz des Managements von Stiftungen
hin. Stiftungen sind grundsätzlich anders als andere Organisationen. Diese These wird
zuerst mit Hilfe allgemeiner Kriterien untersucht, bevor dann in Kapitel 6, auch auf Basis der empirischen Resultate, organisationsspezifische Besonderheiten im Mittelpunkt
der Betrachtung stehen.
Die praktische Relevanz des Stiftungsmanagements lässt sich mit der folgenden Frage
verdeutlichen: "Wie kann man eine Stiftung als dynamisches, vernetztes und offenes
System erfolgreich auf die Erfüllung von Zwecken und die Erreichung von Zielen hin
gestalten, lenken und entwickeln?" Will man diese Frage beantworten, bedarf es zuerst
einer Betrachtung der "Vernetzung" und "Offenheit" von Stiftungen, die zu Unsicherheiten und daraus folgend zu einer herausfordernden Komplexität des Managements führen.
Stiftungen müssen hinsichtlich ihres Managements als komplex in die Gesellschaft eingebettete Organisationen anerkannt werden. Es gilt zu berücksichtigen, dass Stiftungen
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
73
keine reinen "Wertsteigerungsveranstaltungen" sind, sondern dass unterschiedliche "Rationalitäten" (Vielfalt von Wertevorstellungen) - z. B. ökonomische und gemeinnützigideelle - aufeinander treffen und durch ihre zirkuläre Vernetzung zahlreiche Wechselwirkungen entstehen. Die ökonomische Rationalität z. B. beruht strikt auf der Optimierung
von Kosten-Nutzen-Relationen mit dem Ziel der Wertsteigerung für einen Investor, welchem der geschaffene Mehrwert aus der unternehmerischen Tätigkeit primär zukommt.
Eine Stiftung hat, im Vergleich zu einer typischen Unternehmung, eine andere normative
Konstitution. Hier können ideelle, d. h. sozio-kulturelle und ästhetische Werte wie Ausgleich, Solidarität, Schönheit, Tradition usw., eine wichtige Rolle spielen.
Das Management von Stiftungen hängt deshalb in zentraler Weise von einem konstruktiven Umgang mit diesen verschiedenen, auch dynamischen "Referenzsystemen" ab. Die
Unterschiede der Rationalitäten in einer Kulturstiftung und somit auch die Auswirkungen auf eine wie auch immer definierte Effektivität im Sinne von "doing the right things"
werden besonders deutlich, wenn z. B. der Begriff "Kultur" im Zusammenhang mit dem
Erfordernis einer "Nutzenstiftung" näher betrachtet wird. Aus ökonomischer Perspektive
ist es selbstverständlich, eine überlegene Nutzenstiftung für die relevanten Anspruchsgruppen anzustreben (Effektivitätsziel) und diese Nutzenstiftung möglichst kostengünstig zu erbringen (Effizienzziel). Was hier aus Sicht der ökonomischen Rationalität unproblematisch mit "Nutzenstiftung" ausgedrückt wird, bedarf gerade im Bereich der
Kultur einer wesentlich differenzierteren Betrachtung: Was gilt hier überhaupt als "Kultur"? Wie äussert sich der Nutzen von Kulturbetrieben? Nutzen für wen? Wer darf "den"
Nutzen definieren - und wie wird eine Nutzen-Evaluation durchgeführt? Entscheidungen
müssen bewusst im Spannungsfeld von ökonomischen Kriterien, wie optimale Finanzanlage, Effizienz und Effektivitätskriterien, erfolgen, gleichzeitig jedoch subjektive,
nicht-quantifizierbare Eigenschaften, z. B. eine Priorisierung von Wissenschaft, Kunst
oder sozialen Anliegen ermöglichen.
Bei dieser Betrachtung der unterschiedlichen Rationalitäten ist bereits der Aspekt der Offenheit deutlich geworden. Stiftungen sind, da sie per definitionem in der Gesellschaft
wirken, auch "mindestens" quasi-öffentliche Organisationen. Diese Umweltoffenheit erhöht die durch die Wechselwirkungen entstehende Komplexität weiter, z. B. durch nicht
"stabile" Wertvorstellungen und Referenzsysteme der Gesellschaft. Um sich in der Umwelt sinnvoll einpassen zu können, muss von der betreffenden Stiftung selbst eine Ab-
74
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
grenzung und Analyse der für sie jeweils relevanten Umwelt vorgenommen werden (vgl.
Ulrich/Probst 1988, S. 239). Dies führt auf eine der Schlüsselherausforderungen für das
Management von Stiftungen hin - den Umgang mit Unsicherheiten nämlich.
Auf gesellschaftlicher Ebene müssen Stiftungen dabei, wie bereits angesprochen, auf
Veränderungen der Werthaltungen und weiteren Veränderungen ihrer relevanten
Umwelt achten (vgl. Kap. 8). Auf der anderen Seite stellen die Aktivitäten von
Stiftungen für die Gesellschaft eine "Dienstleistung" dar zur Handhabung der
gesellschaftlichen Unsicherheiten. Stabile gesellschaftliche Verhältnisse können nur
dann erreicht und bewahrt werden, wenn sich Stiftungen (zusammen mit anderen
Organisationen und Institutionen) innovationsfreudig zeigen. Innovationen werden nur
dann realisiert werden können, wenn sich die beteiligten Menschen auf bestimmte Inseln
der Stabilität verlassen können, weil sie nur begrenzt Unsicherheit ertragen können.
Diese zwei auf gesellschaftlicher Ebene notwendigen Funktionen "Innovation" und
"Stabilisation" können insbesondere Stiftungen übernehmen, wie in Kapitel 2.3
ausführlich dargelegt wird.
Auf organisationaler Ebene gilt es jedoch ebenso Unsicherheiten zu bewältigen. Spezifische Defizite der Organisationsform Stiftungen (vgl. Kap. 6.1) rufen Unsicherheiten hervor, die durch stabile Prozesse und Strukturen handhabbar werden und die Handlungsfähigkeit von Stiftungen sicherstellen. Aus der Forschung zu strategischen Veränderungsprozessen in Unternehmen ist bekannt, dass die zunehmende inhaltliche Offenheit
("Worin wird übermorgen unsere Geschäftstätigkeit überhaupt noch bestehen?") durch
organisatorische Stabilität aufgefangen werden kann und muss (Wimmer 1999). Der
Weg der Verfertigung einer neuen Vision, einer neuen Strategie, eines neuen Geschäftsmodells, neuer Arbeitsinhalte oder eines neuen Führungsselbstverständnisses in einem
Unternehmen muss durch Berechenbarkeit, Verlässlichkeit und Transparenz und auch
durch Wertschätzung der Tradition gekennzeichnet sein. Einfluss- und Feedbackmöglichkeiten, Informationsformen und Orientierungsforen, Spielregeln der Zusammenarbeit
und Führung sowie weitere Rahmenbedingungen der Verfertigung einer neuen Arbeitsrealität müssen mit hoher Sensibilität geklärt werden, bevor die eigentliche inhaltliche
"Verhandlung" der weiteren Handlungs- und Entscheidungsfelder ansteht.
Genau diesen Eckwerten muss sich ein Stiftungsmanagement bewusst sein, um der Verpflichtung zur verantwortungsvollen und professionellen Arbeit nachzukommen, denn
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
75
gerade "unübersichtliche" Vernetzungen und Wechselwirkungen von Einflussfaktoren,
Offenheit und Unsicherheiten kennzeichnen Stiftungen. Und genau hier, wo das Management nicht mehr (alles) quantifizieren kann (vgl. auch Kap. 6.1), ist Management
überhaupt erst nötig und wichtig (vgl. Malik 2005, S. 26).
3.3
Herausforderungen des Stiftungsmanagements - eine erste Annäherung
Vor der Diskussion der beiden theoretischen Ansätze zur Entwicklung eines integrierten
Managementframeworks für Stiftungen, werden in einer ersten Annäherung die PraxisHerausforderungen des Stiftungsmanagements vorgestellt. Diese stellen in diesem Stadium eine Bestätigung der theoretischen und praktischen Relevanz dar und zeigen die
vielfältigen Einflussfaktoren und deren Vernetzung des Stiftungsmanagements auf.
Diese aktuellen, stiftungsspezifischen Managementthemen wurden an Hand von Literatur- und Konferenzauswertungen83 sowie durch informelle Expertengespräche identifiziert. Sie stellen zugleich auch eine Grundlage für die empirischen Untersuchungen dar.
Mit der folgenden Zusammenstellung wird die Basis geschaffen zur Entwicklung eines
Interview- und Themenleitfadens für die jeweiligen empirischen Arbeiten. Dort werden
die identifizierten Themen auf ihre Relevanz für das heutige und zukünftige Stiftungsmanagement überprüft und ggf. neue Themen im Sinne von Handlungsfeldern aufgenommen.
Ein interessantes Detail der analysierten spezifischen Stiftungsliteratur ist, dass sich bisher nur ein geringer Anteil mit Managementthemen auseinandersetzt84 und diese Literatur meist nicht im "wissenschaftlichen" Kontext erstellt wurde - wissenschaftlich hier im
Sinne einer methodisch-systematischen Entwicklung von Konzepten zur Gewinnung von
Handlungssicherheit
bei
komplexen
Aufgabenstellungen,
für
die
auch
auf
83
ARNOVA 2003 Conference, European Foundation Center Annual General Assembly (AGA) and Conference 2003, The
Academy of Management Annual Meeting 2004.
84
Es überwiegt insgesamt juristische und steuerrechtliche Literatur. Eine Eingabe von Suchbegriffen in die Internetsuchmaschine GOOGLE.DE (www.google.de) ergibt für den – nicht sehr trennscharfen – Begriff "Stiftungsmanagement" 902
Treffer; die Eingabe des Suchbegriffs "Stiftungsrecht" erzeugt dagegen 45.000 Treffer. Anzumerken ist hier zweierlei: a) Der
Begriff "Management" wird oft auf die juristischen Notwendigkeiten reduziert, also z. B. den Gründungsprozess mit der
Eintragung der Stiftung und dem Aufsetzen eines Stiftungszwecks oder das Einsetzen der notwendigen Organe etc. b) bei
beiden Begriffen erscheinen sowohl Treffer auf Institutionen als auch auf Publikationen (Suchdatum: 23.04.2005).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
76
erfahrungswissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen wird.85 In vielen Beiträgen,
Artikeln und Büchern wird professionelles Praktikerwissen verarbeitet86, das - obwohl
durch die Praxis "plausibilisiert" - nur bedingt wissenschaftlichen Ansprüchen genügt,
denn teils fehlen entsprechende Kontextangaben, teils die wissenschaftliche Arbeiten
auszeichnende Reflexionsdistanz. Dennoch können und sollen auch aus solchen
praxisnahen Publikationen Anregungen und Bedürfnisse aufgegriffen und entsprechend
dem Leitgedanken von Foundation Excellence "Aus der Praxis für die Praxis" reflektiert
verarbeitet werden.87
Die Forschungsaktivitäten im Stiftungsbereich können als ein "Produkt" der letzten 20
Jahre bezeichnet werden (vgl. unten: Exkurs Forschungseinrichtungen) und sind stark
gesellschaftspolitisch und soziologisch geprägt.88 Daraus folgt, dass der vorherrschende
"body of literature" dominiert wird von theoretisch-konzeptionellen Schriften. Diese
können jedoch nicht allein als Management-Framework oder als Orientierungsraster für
Themen des Stiftungsmanagements dienen, da sie meist von Überlegungen zu den Funktionen von Stiftungen in der Gesellschaft ausgehen (z. B. Toepler 1996). Dennoch
stellen diese Werke notwendige Betrachtungen insbesondere zum Managementkontext
dar, beleuchten jedoch nicht oder nur rudimentär die Implikationen auf das
Stiftungsmanagement im engeren Sinne (z. B. Frumkin 1997). Die existierende Literatur
auf sektoraler Ebene (z. B. die länderspezifischen Abschnitte in der Studie "Roles and
Visions of Foundations in Europe" (Anheier/Daly 2004) ist im Vergleich dazu etwas
ausführlicher, wenn auch keineswegs umfassend (vgl. Kap. 2.2).
85
Ausnahmen sind z. B. Toepler (1996) mit seiner theoretischen Dissertation "Das gemeinnützige Stiftungswesen in der modernen demokratischen Gesellschaft" oder Frumkin (1997), ebenfalls in einer Dissertation, zu "Conflict and the construction
of an organizational field: the transformation of American philanthropic foundations". Beide Autoren sind heute Professoren
an amerikanischen Universitäten (Prof. Frumkin an der Harvard University, Prof. Toepler an der George Mason University)
und ihre Forschungsinteressen liegen nach wie vor überwiegend im Stiftungsbereich.
86
Dies wurde auch von Prof. Frumkin in einem persönlichen Gespräch im Rahmen des Forschungsaufenthalts der Autoren an
der Harvard University (John F. Kennedy School, Hauser Center) im April und Mai 2005 bestätigt. Als Beispiel wurde von
ihm auch seine Kollegin Dr. Letts genannt, die als "Lecture of Practice" an der Harvard University (John F. Kennedy School
of Government) lehrt und publiziert.
87
Vgl. hierzu auch das dieser Arbeit zu Grunde liegende anwendungsorientierte Wissenschaftsverständnis (vgl. Kap. 4.1)
88
So sind z. B. zwei der bekanntesten Stiftungsexperten, Prof. Frumkin an der Harvard University und Prof. Anheier an der
UCLA, Soziologen. Die Gruppe der Forscher, die in den 1970er Jahren in Yale die Forschungsagenda der Non-Profit-Forschung aufgestellt haben, waren mehrheitlich Volkswirtschaftler und Soziologen (z. B. DiMaggio).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
77
Die Auseinandersetzung mit Stiftungen - oder genauer mit dem Stiftungsmanagement basierend auf überwiegend quantitativ-empirisch89 erhobenen Daten nimmt erst in jüngerer Zeit zu, was sich durch entsprechende Publikationen in den für diesen Sektor zentralen Organen belegen lässt, wie z. B. Voluntas - International Journal of Voluntary and
Nonprofit Organizations (u. a. Leat 1995), NVSQ (u. a. Marx 1999) und Nonprofit Management and Leadership (Carman 2001). Beachtenswert ist, dass in den klassischen,
wissenschaftlich angesehenen Management-Journals, wie z. B. AMJ, AMR, AME, SMJ,
ASQ, MS, OSc, OSt, DBW, Die Unternehmung etc. nur ein Artikel von Bumbacher
(2000) zum Stiftungsmanagement publiziert wurde. In der praxisorientierten HBR wurden bislang zwei Artikel von Porter und Kramer (1999, 2002) veröffentlicht. Insgesamt
findet der Diskurs über Management-Themen von Stiftungen nur begrenzt in wissenschaftlichen Journalen statt. Die häufigsten Publikationsquellen sind Praxishandbücher
und Herausgeberbände (z. B. Bertelsmann Stiftung 1998, 2003; Strachwitz/Then 2004,
Strachwitz/Mercker 2005). Hierbei werden oftmals ideologisch geprägte Positionierungsartikel über die Funktion von Stiftungen in der Gesellschaft, über ihre Wichtigkeit
oder über einzelne Managementfunktionen (z. B. Öffentlichkeitsarbeit, Rechnungslegung, Personalmanagement) zusammengestellt und veröffentlicht. Als Beispiel einer
umfangreichen empirischen Arbeit hingegen ist vor kurzem bei der Bertelsmann Stiftung
die "StifterStudie" zu Motiven von Stiftern entstanden (Timmer 2005). Alle diese Publikationen oder Beiträge in Praxishandbüchern greifen jedoch meist nur einzelne, spezifische Managementthemen heraus, ohne diese angemessen zu vernetzen (Insellösungen).
Die aus der analysierten Literatur gewonnenen Herausforderungen und inhaltlichen
Schwerpunkte lassen sich grob in die folgenden fünf Themenbereiche einordnen - und
dienen als "Suchfelder" bzw. als Grundlage für den Interview-/Themenleitfaden bei den
empirischen Untersuchungen (vgl. Kap. 5):
1. Transparenz und Legitimierung
2. Mission und Strategie
89
Als theoretische Grundlage wird meist die Institutionentheorie (Intritutional Theory) verwendet (z. B. Frumkin 1997, Anheier 2005a).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
78
3. Effektivität und Effizienz
4. Evaluation
5. Zuständigkeitsregelungen/Verantwortlichkeiten und Aufbauorganisation
3.3.1
Transparenz und Legitimierung
Ein grosses Thema, das derzeit in der Stiftungswelt diskutiert wird, sind Fragen der
Transparenz und Legitimierung von Stiftungen. Die Pflicht zur Transparenz der stiftungseigenen Tätigkeit gegenüber einer interessierten Öffentlichkeit wird einerseits begründet mit dem Wachstum des Sektors und dem dadurch zunehmenden Bewusstsein in
der Öffentlichkeit über die Funktion der Stiftungen. Diese Herausforderung besteht
selbst in den USA, wo der Stiftungssektor seit seiner Gründung vor ungefähr 100 Jahren
einer intensiven und oft kritischen öffentlichen Debatte ausgesetzt ist (Anheier/Toepler
1998, Frumkin 1997). Andererseits wird immer wieder auf die Steuerprivilegien hingewiesen, die Stiftungen als gemeinnützige Organisationen erhalten und die eine Pflicht
zur Transparenz begründen, da sie durch diese eine "quasi-öffentliche Institution" darstellen (Ulrich 1977). Die Steuerprivilegien mögen zwar von Land zu Land unterschiedlich ausgestaltet sein, jedoch bestehen grundsätzlich in vielen Ländern, insbesondere in
den hier zum Vergleich herangezogenen Ländern Schweiz, Deutschland und USA, Steuerprivilegien für gemeinnützige Organisationen, und damit auch für klassische Stiftungen.
Diese "Pflicht zur Transparenz" wird jedoch meist nicht als Ruf nach einer starken staatlichen Beaufsichtigung formuliert, denn, so Strachwitz: "Staatliche Aufsicht ist auf ein
Minimum zu reduzieren, Prüfungen vor der Gründung sind auf die Einhaltung formaler
Voraussetzungen zu beschränken. Denn jede Kontrolle hemmt tendenziell die Kreativität" (Strachwitz 2001a, S. 3 f.; ähnlich auch Anheier 2003, S. 2). "Zum anderen müssen
allerdings die Informationspflichten der Stiftungen gegenüber der Öffentlichkeit wesentlich ausgedehnt werden. Dass zurzeit mehr als zwei Drittel aller Stiftungen über die finanziellen Verhältnisse schweigen und jede zehnte überhaupt keine Auskünfte erteilt,
kann nicht mehr hingenommen werden. Ebenso wenig genügt eine Informationsverpflichtung nur gegenüber Behörden" (Strachwitz 2001a, S. 3 f.).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
79
Eng gekoppelt an " Transparenz" ist die "Legitimierung". "Increased public attention on
the roles and responsibilities of philanthropy in our current turbulent context has led
many to ask: How can foundations be more agile in response to calls from the field to increase both accountability and the value of philanthropy?" (Orosz et al. 2003, S. 1). Legitimierung wird gemäss der Bertelsmann Stiftung durch einen "hausgemachten" Grund
zum Thema für Stiftungen, denn gelegentlich wird den Stiftungen von der Aussenwelt
vorgeworfen, "sie seien elitär, weil nicht klar ist, in wessen Auftrag sie sprechen. Vor
diesem Hintergrund wird mit dem Vorwurf die Legitimierung durch demokratische Entscheidung angesprochen, der Stiftungen im Gegensatz zu gewählten Regierungen nicht
unterstehen" (Bertelsmann Stiftung 1997, S. 115, vgl auch Kap. 2.3, Kap. 6.1). Diesem
Vorwurf versucht das Stiftungswesen gemeinsam zu begegnen. Das European Foundation Center (EFC 2001) verabschiedete in seiner "Prager Deklaration" 1993, dass EFCMitglieder eine Vorreiterrolle einnehmen "bei den Bemühungen von Stiftungen zur Förderung von Offenheit, Transparenz, Integrität und Verantwortlichkeit, guter Verwaltung
sowie optimaler Nutzung von Ressourcen und der Weiterentwicklung ihrer Arbeit."
Auch die EU-Kommission (Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU-Kommission 1998,
S. 99) empfiehlt Schritte in dieselbe Richtung: "Die Vereine und Stiftungen sollten offener und zugänglicher sein, damit die Bürger und die Behörden mehr über die Ziele und
Arbeitsmethoden erfahren können." Es geht also bei all diesen Bestrebungen darum,
Vertrauen aufzubauen, denn "Vertrauen bildet das Öl einer sittlichen Welt", wie das u. a.
in einem Zeitungsartikel der Neuen Zürcher Zeitung treffend formuliert worden ist.90
Dennoch scheinen noch nicht alle Stiftungen diesem Aufruf zu folgen, denn die "grosse
Mehrzahl der bestehenden Stiftungen entspricht den definierten Kriterien der Bürgergesellschaft zwischen Staat, Markt und Familie. Es sind selbständige Institutionen, die private Mittel für öffentliche Zwecke bereitstellen, die als gemeinnützig anerkannt und
meist sehr individuell sind, aber überindividuelle Absichten und Wirkungen verfolgen.
Allerdings - und das begrenzt ihren bürgergesellschaftlichen Charakter - agieren die
meisten nicht öffentlich, ihre Transparenz ist begrenzt, da ist man in den USA weiter"
(Kocka, 2004, S. 5 f.).
90
NZZ, Montag, 13. Oktober 1997, Nr. 237, S. 25: "Zeitzeichen: Das Öl der sittlichen Welt. Vertrauen - viel gepriesen, doch
philosophisch unterbelichtet." Der Titel greift auf Überlegungen von Prof. Henning Ottmann zurück (Lehrstuhl für Politische
Theorie und Philosophie, LMU München).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
80
Diese Aussage weist auch auf die Verbindung zu den Themenbereichen "Mission und
Strategie” sowie "Effizienz und Effektivität” hin. Durch "doing the right things” fällt es
Stiftungen leichter, sich gegenüber der Öffentlichkeit zu präsentieren und ihr, überspitzt
formuliert, "gesellschaftlich kostspieliges" Dasein zu legitimieren.
Suchfelder
Legitimierung
Transparenz
Leitfragen
Warum und wem gegenüber muss sich eine
Stiftung legitimieren?
Was muss eine Stiftung der Öffentlichkeit mitteilen?
Was sind die Ziele einer aktiven Legitimierung?
Wie erfolgt der "Nachweis" des Wertes der
Stiftungsarbeit?
Abbildung 3-1:
3.3.2
Suchfelder Legitimierung und Transparenz: Leitfragen für die Empirie
Mission und Strategie
Sowohl im beginnenden wissenschaftlichen Diskurs (Anheier/Leat 2005, Frumkin 2005)
als auch in der bisherigen Praxisdiskussion wird die Auffassung vertreten, dass die Stiftungsarbeit ohne Strategie nur schwer umzusetzen ist. Dabei wird meistens mit den
knappen Mitteln des Stiftungsbereichs im Vergleich zu den grösseren Budgets des Staates und der Privatwirtschaft argumentiert, was eine gezielte "Investition" der Stiftungsgelder verlangt (vgl. Kocka 2004, S. 5). In jüngerer Literatur wird dabei oftmals von
"strategic philanthropy" gesprochen, ein Begriff, der stark durch die wissenschaftlichen
Arbeiten von Frumkin (2005) und den durch die Bertelsmann Stiftung mitinitiierte internationale Praktikervereinigung ISPN91 geprägt wurde.
Um deutlich zu machen, wie eine Strategie nicht entwickelt werden kann, formuliert
Kramer: "A strategy cannot be ’reverse engineered‘ by investing heavily in after-the-fact
evaluation, just as a recipe cannot be derived from the chemical analysis of a meal”
(Kramer 2001, S. 42). Vor diesem Hintergrund kann sich nun dem, was eine Strategie
beinhaltet und wie sie entwickelt wird, angenähert werden. Kramer führt dabei weiter
aus und definiert, dass eine "fully developed strategy enables a foundation to determine
where it can make its greatest contribution by creating value above and beyond the purchasing power of its grant dollars. It means making a unique set of internally consistent
and mutually reinforcing choices that zeroes in on where and how each foundation can
91
www.ispn.org (17.07.2005).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
81
make its greatest impact. To be effective, such a strategy must accurately assess both the
foundation’s internal capabilities and the external opportunities for impact in the field.”
(Kramer 2001, S. 44). Es wird hier deutlich, dass sich Stiftungen notwendigerweise mit
dem beschäftigen müssen, was und wie sie es tun - und jegliches Weiterentwickeln einer
Strategie untrennbar mit der zuvor erfolgten Festlegung der Stiftungsziele und damit der
Fähigkeit zur Effektivität(smessung) verbunden ist. Anzumerken ist hier: das verwendete
und in der Stiftungslandschaft weit verankerte Verständnis von Strategie beschränkt sich
oftmals auf den Inhalt ("strategy content").
Suchfelder
Mission
Strategie
Leitfragen
Wie lautet die Mission der Stiftung?
Wie lautet die Strategie der Stiftung?
Welche Funktion erfüllt die Mission?
Wie hängen Mission und Strategie zusammen?
Wie wird die Mission entwickelt?
Wie wird die Strategie entwickelt?
Abbildung 3-2:
3.3.3
Suchfelder Mission und Strategie: Leitfragen für die Empirie
Effektivität und Effizienz
Die "Effektivität" der Stiftungsarbeit ist ebenso wie die "Evaluation" im Stiftungsbereich
ein sehr intensiv diskutiertes Thema in letzter Zeit. Nahezu auf jeder Konferenz werden
Workshops und Vorträge hierzu angeboten, so z. B. auf der ARNOVA 2003 Annual
Conference in Denver: "High Impact Capacity Building"; "Factors for Success in Foundations"; "Examining Effectiveness of International Programs". Oder auf der ARNOVA
2004 ("Issues on Nonprofit Operations and Effectiveness"). Dies bestätigt auch Bryan in
ihrer Rede auf dem Annual Meeting der NYRAG im Jahr 2000: "In preparing for today,
I have been observing philanthropy! And one very popular theme I have recently noted
being linked to philanthropy is "effectiveness”. It seems that just about every other conference title is about effectiveness" (Bryan 2000).
Auch Orosz et al. (2003, S. 3) bestätigen diese Beobachtung und erkennen einen hohen
Mitteleinsatz der Stiftungen, um in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen: "There is
tremendous interest in Foundation Effectiveness across the philanthropic sector. Leading
foundations are making Foundation Effectiveness a learning priority and are supporting
it with a significant funding stream.”
82
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
Die Bertelsmann Stiftung (1997, S. 114) sieht einen starken Zusammenhang zwischen
der Effektivität und der Legitimation. Gleichzeitig weist sie auf die Schwierigkeiten hin,
diese Begriffe zu "operationalisieren", denn sowohl "Effektivität als auch Legitimation
sind sehr komplexe Themenbereiche, die noch dazu in engem Zusammenhang miteinander stehen. Stiftungen müssen sich täglich damit auseinandersetzen. Eine Herausforderung besteht darin, dass Stiftungen gewöhnlich in einem Umfeld arbeiten, in dem einzelne Gruppen z. T. gegensätzliche Erwartungen an die Arbeit der Stiftungen richten",
was auf die oben beschriebenen unterschiedlichen Rationalitäten und die dadurch entstehende Komplexität zurückzuführen ist.
Die unterschiedlichen Rationalitäten z. B. in einer Kulturstiftung (vgl. Kap. 3.2) und somit auch die Auswirkungen auf eine wie auch immer definierte Effektivität im Sinne von
"doing the right things" werden besonders deutlich, wenn z. B. der Begriff "Kultur" im
Zusammenhang mit dem Erfordernis einer "Nutzenstiftung" oder in Bezug auf die Zielfunktion einer Stiftung, sozialer Wandel, näher betrachtet wird. Aus ökonomischer Perspektive ist es selbstverständlich, eine überlegene Nutzenstiftung für die relevanten Anspruchsgruppen anzustreben (Effektivitätsziel) und diese Nutzenstiftung möglichst kostengünstig zu erbringen (Effizienzziel). Was hier aus Sicht der ökonomischen Rationalität unproblematisch mit "Nutzenstiftung" ausgedrückt wird, bedarf gerade im Bereich
der Kultur einer wesentlich differenzierteren Betrachtung: Was ist überhaupt Kultur?
Wie äussert sich der Nutzen von Kulturbetrieben? Nutzen für wen? Wer darf "den" Nutzen definieren - und wie wird eine Nutzen-Evaluation durchgeführt? "Während Effizienz
vor allem an qualifiziertem Management von finanziellen und personellen Ressourcen zu
messen ist, also am Mitteleinsatz im Verhältnis zum erreichten Ergebnis, bezieht sich Effektivität auf dieses Ergebnis selbst, also auf die Frage, welche gesellschaftliche Wirkung die Stiftungsarbeit tatsächlich erzielt" (Bertelsmann Stiftung 1997, S. 118). Oder
eine Umschreibung von Sawhill/Williamson (2001, S. 101): "While efficiency improvements increase the dollars available for social investment, effectiveness improvements
increase the social benefit delivered for each dollar spent. But effectiveness is the hardest
gap to measure.”
Die Effizienzdiskussion in Stiftungen nimmt einen eher kleinen Raum ein, obwohl viele
Werkzeuge sich mit Effizienz befassen. Aber Drucker (zit. in Orosz et al. 2003, S. 5)
bemerkt treffend "that most tools focus on efficiency, while more compelling need is
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
83
usually identifying those areas in which significant results are feasible, i.e. being more
effective, and then following through with efficient execution.”
Dennoch lohnt es sich, die Definitionen von Effizienz genauer anzuschauen. Eigentlich
ist Effizienz "einfach" zu bestimmen, wie Porter und Kramer (1999, S. 125) darlegen:
"Input fewer dollars or create greater social impact for comparable costs”. Jedoch weist
eben diese Definition auch Schwächen im Bezug auf deren Operationalisierung auf,
denn allein der Vergleich mit "comparable cost" dürfte nur im Ausnahmefall
funktionieren. Woher kann eine Stiftung wissen, ob sie das mit einem bestimmten Betrag
unterstützte Projekt von einem anderen Projektnehmer hätte in gleicher Qualität
"günstiger beziehen" können?
Suchfelder
Effektivität
Effizienz
Leitfragen
Wie wird die Effektivität der Stiftungsarbeit definiert und operationalisiert?
Wie wird die Effizienz der Stiftungsarbeit definiert und operationalisiert?
Abbildung 3-3:
3.3.4
Suchfelder Effektivität und Effizienz: Leitfragen für die Empirie
Evaluation
Das Thema der Evaluation, im Sinne einer systematischen Reflexion und Bewertung der
Zweckerreichung (Mission) der Stiftungstätigkeit, gewinnt zunehmend an Wichtigkeit
für die Stiftungsarbeit. Noch sind es wenige Stiftungen, und wenn, dann vor allem über
ein grosses Fördervolumen verfügende Stiftungen, die Evaluation als ein hilfreiches und
notwendiges Management-Instrument ansehen. Doch auch kleinere und mittlere Stiftungen werden sich vor Evaluationsfragen nicht "verstecken" können, denn "nicht nur verzichten Stiftungen selbst durch diese Haltung [keine Durchführung von Evaluationen]
auf ein qualitativ herausragendes Instrument der Innensteuerung (z. B. über Vergleiche)
und des vielfach eben doch notwendigen Marketing, zumal für die Sache der Stiftungen.
Auch die Öffentlichkeit hat entgegen dem alten Grundsatz, über gute Taten solle man
nicht reden, einen Anspruch darauf zu erfahren, wie mit steuerlichen Privilegien ausgestattete Organisationen arbeiten" (Strachwitz 1998b, S. 37). Zahlreiche Autoren (z. B.
Saidel 1991, Plantz et al. 1997, Letts et al. 1999) sind sich einig, dass ein zunehmendes
Interesse einer kritischen Öffentlichkeit über die Zurechenbarkeit der Leistungen von
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
84
Stiftungen ein steigendes Bedürfnis nach Evaluation der eigenen Stiftungstätigkeit nach
sich ziehen wird (lernende Organisation).
Kramer (2001, S. 40) verdeutlicht die Vernetzung des Evaluationsgedankens: "At the
same time, foundation are becoming increasingly concerned about evaluation. Millions
of dollars and hundreds of consultants are devoted to the issue with an even greater sense
of urgency - but with very little sense that anything useful is being achieved. The evaluation problem seems intractable - and as presently formulated, it is. Not because of any inherent problem in the tools of evaluation, but because the very concept of evaluation is
nonsensical without realistic goals and a fully developed strategy.” Es wird hier also
deutlich, dass ein Evaluationskonzept nicht "verbindungslos” in einer Stiftung eingeführt
werden kann, sondern dieser Ansatz im Gesamtzusammenhang mit der Diskussion um
Effektivität und Effizienz, Mission und Strategie gesehen werden muss. Nur so kann
sinnvoll erfasst werden, was eine Stiftung leistet.
Suchfeld
Evaluation
Leitfragen
Wie wird die Stiftungsarbeit evaluiert?
Wie werden die Evaluationsergebnisse weiter verwendet?
Abbildung 3-4:
3.3.5
Suchfeld Evaluation: Leitfragen für die Empirie
Zuständigkeitsregelungen, Verantwortlichkeiten und Aufbauorganisation
Obwohl Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in Stiftungen bis jetzt in der Literatur
kaum thematisiert wurden, so wird dieser Themenbereich stark an Wichtigkeit zunehmen, wie in vielen informellen Gesprächen festgestellt wurde, wenn auch z. T. unter dem
erweiterten Aspekt der "Governance".
Allgemein kann festgestellt werden, dass insbesondere wachsende Stiftungen "einen immer umfangreicheren Informationsfluss bewältigen, so dass mit einer intensiveren Arbeitsteilung ein enormer Bedarf an Koordination entsteht. Unabhängig von den gewählten Projektschwerpunkten wird die Arbeit zunehmend davon abhängen, die kontinuierliche Kommunikation zwischen unterschiedlichen Projektabteilungen und - falls die Stiftung eine ausreichende Grösse erreicht hat - ihren Stabsabteilungen zu sichern. Damit
sind die zwei wichtigsten Aspekte der Koordination innerhalb einer Stiftungsorganisa-
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
85
tion angesprochen: die Koordination zwischen Stabs- und Projektabteilungen sowie die
Koordination der Projektabteilungen untereinander" (Kennedy et al. 1998, S. 457).
Kennedy et al. (1998, S. 435) sprechen indirekt eine klare Zuständigkeitsregelung an und
im Umkehrschluss das Zusammenstellen der personellen Ressourcen nach bestimmten,
von den Stiftungszielen und den damit verbundenen Anforderungen abgeleiteten Kriterien. Dies gilt sowohl für den Stiftungsrat (oder Vorstand), als auch für die gesamte
Stiftung als arbeitsteilige Organisation. Dennoch muss beachtet werden, "dass Stiftungsstrukturen sehr unterschiedliche Formen annehmen können. Dies sollte als Stärke betrachtet werden, da Stiftungen eine spezifische Rolle in der Gesellschaft einzunehmen
haben" (Bertelsmann Stiftung 1997, S. 100).
Allgemein und als zusammenfassenden Abschluss bringt es Wolfe (1999, S. 21) auf den
Punkt: "Because of the significant role managers play in achieving high performance in
organizations, non-profit scholars and practitioners need to develop a more comprehensive understanding of the roles, competencies, and skills of managers in non-profit organizations.” Dies insbesondere um der latenten "Gefahr" entgegen zu treten, dass durch
den Eingriff staatlicher Hoheit starre Richtlinien zur Foundation Governance definiert
werden, die z. T. auch unbeabsichtigte Wirkungen zeigen, wie Frumkin in seiner Analyse der Auswirkungen des Tax Reform Acts von 1969 und den damit verbundenen
Auflagen für Stiftungen in den USA darlegt (Frumkin 1997).
Suchfelder
Zuständigkeitsregelungen/Verantwortlichkeiten
Aufbauorganisation
Leitfragen
Wie sind die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten innerhalb der Stiftung geregelt?
Wie ist die Stiftung organisiert - auch in Abhängigkeit der Mission und der Stiftungsziele?
Welches Anforderungsprofil ergibt sich daraus
für die einzelne Stelle?
Abbildung 3-5:
Suchfelder Zuständigkeitsregelungen/Verantwortlichkeiten und Aufbauorganisation:
Leitfragen für die Empirie
Exkurs: Aktivitäten internationaler Forschungseinrichtungen
Um einen Überblick über die unterschiedlichen Forschungsaktivitäten im Non-Profitund Stiftungssektor zu erreichen, werden im Folgenden US-amerikanische, australische
86
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
und europäische Einrichtungen näher betrachtet.92 Die Auswahl der betrachteten
Institutionen erfolgt aufgrund der institutionellen Zugehörigkeit der Autoren von zentralen Büchern und Buchartikeln, Beiträgen an renommierten Konferenzen (z. B.
ARNOVA, AOM, ISTR) sowie basierend auf Gesprächen mit Forschern und Praktikern.
Die Forschungseinrichtungen werden wegen ihrer jeweiligen historischen Wurzeln und
den aktuellen Forschungsschwerpunkten in vier Cluster - gesellschaftspolitische/volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche, rechtliche und soziologische Fragestellungen - eingeteilt. Die Einordnung in das jeweilige Cluster dokumentiert die grundsätzlichen Arbeitsschwerpunkte der entsprechenden Institution. Der Abstand zu den jeweils anderen drei Clustern weist auf die Intensität der Bearbeitung jener Themenfelder
hin. Institutionen, die sich generell mit NPO befassen, werden mit einem Kreis markiert,
Einrichtungen die sich schwerpunktmässig mit Stiftungen auseinander setzen, werden
mit einem Stern gekennzeichnet. Dabei stehen blaue Signaturen für Europa, rote für die
USA und grüne für Australien (vgl. Abbildung 3-6).
92
Dieser skizzenhafte Überblick über die Forschungslandschaft im Bereich der Non-Profit- und Stiftungsforschung stellt eine
erste, qualitative Annäherung dar. Sie soll nicht als abgeschlossene Einteilung verstanden werden, sondern einen ersten Eindruck der Vielfalt bieten und die grundsätzliche Ausrichtung der einzelnen Institutionen aufzeigen – auch, um evtl. eigene
Bestrebungen hinsichtlich eines Forschungs- und Kompetenzzentrums "Stiftungsmanagement" besser einordnen zu können
(Profilbildung).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
g esells chaftspolitis che/volks wirts chaftliche F rag es tellung en
87
betriebs wirts chaftliche F rag es tellungen
Georg Mas on (US A)
Trinity Colle ge, Dublin (IR L)
U. Muens ter (D)
U. P aris 1 (F ) Maecenata Ins titut (D)
LS E (UK )
S tockholms U. (S )
Catholic U. of Milan (I)
Georgetown U. (US A)
US C (US A)
City U. of NY (US A)
Yale S c hool of Ma nag eme nt (UK )
Grand Valley S tate-U. (US A)
VMI (CH)
F oundation Mngt
S toc kholm S chool of E conomics (S
Ins) t. in S an Diego (US A)
B ertels mann S tiftung (D)
Urban Ins titute (US A)
Cas e Wes tern R es erve U. (US A)
F ounda ti on Ex ce l l e nce (CH)
F HTW B erlin (RW+Controlli ng ) (D)
J ohns Hopkins U. (US A)
Indi ana U. (US
A)tol B us ines s S chool (UK ) Ariz ona S tate U. (US A)
B ris
Harva rd (US A)
Duke (US A)
S tanford (US A)
Glas gow Cal edonian U. (IRL )
UCLA (US A)
Georg Was hington U. (US A)
WU Wien (A)
U. of B olgona (I)
Vrije U. (NL)
K ellogg (US A)
NYU (US A)
S winburne U. (AUS )
F riedrich-S chille r-U. J e na (D)
Quee ns land U. of Technology (AUS )
B os ton Colleg e (US A)
U. E s s en (D)
U. Os nabrück (D)
Humboldt U. (D)
Ins titut für S tiftungs recht e. V. (D)
U. B remen (D)
B ucerius La w S chool (D)
rechtliche F rages tellung en
Abbildung 3-6:
s oziolog ische/ps ycholog is che F rages tellungen
Aktivitäten internationaler Forschungseinrichtungen
Auffallend bei der Betrachtung der Aktivitäten internationaler Forschungseinrichtungen
ist, dass sich die englische Forschung im Gegensatz zur europäischen das Gebiet der
NPO und der Stiftungen eher aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive eröffnet. Es
bleibt hierbei zu erwähnen, dass einige amerikanische NPO-Forschungsinstitutionen aufgrund ihrer Grösse auch Arbeitsschwerpunkte mit Stiftungsforschung aufweisen. In Europa werden Stiftungen primär aus juristischer, seltener aus gesellschaftspolitischer oder
volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet. Stiftungsmanagement wird kaum nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erforscht, sieht man ab von einigen "Themeninseln", z.
B. Forschung zu Fundraising, wo auch spendensammelnde Stiftungen mitbetrachtet werden.
Das Thema "Stiftungsmanagement" ist in den USA am weitesten entwickelt. Sowohl die
Wissenschaft (z. B. Harvard University, UCLA, Stanford University, Johns Hopkins
University, Indiana University) als auch Praktikervereinigungen (NYRAG, Council on
Foundations) und auf Stiftungen spezialisierte Beratungsunternehmen (z. B. Rockefeller
Philanthropy Advisors) nehmen Fragen zum Stiftungsmanagement auf. In England be-
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
88
schäftigen sich hauptsächlich der englische Stiftungsverband und verschiedene Think
Tanks (z. B. The Future Foundation) sowie einige kleinere Beratungsunternehmen (z. B.
Actionplanning) mit der Thematik "Stiftungsmanagement".
In Deutschland existieren einige Organisationen (z. B. Maecenata Institut, BertelsmannStiftung) und Publikationsorgane (z. B. Stiftung und Sponsoring), die eine Weiterentwicklung des Stiftungssektors unterstützen. Daneben entstanden in letzter Zeit verschiedene Buchpublikationen und Artikel (z. B. Bertelsmann Stiftung 1998 und 2003; Schick
et al. 2001; Priller/Zimmer 2001, Schlüter et al. 2001, und die neuesten: Strachwitz/Mercker 2005, Richter/Wachter 2006). Weiterbildungsangebote für Mitarbeitende
von Stiftungen und kleine, auf Stiftungen spezialisierte Beratungsfirmen (z. B. Institut
für Stiftungsberatung - Dr. H.-D Weger & Partner GmbH; Maecenata Management) runden das Angebot ab.
Insgesamt kann konstatiert werden, dass im Gegensatz zur wachsenden Bedeutung von
Stiftungen der aktuelle Forschungs- und Wissensstand über Stiftungen weiterhin und vor
allem in Europa relativ gering ist - trotz des Vorhandenseins einiger Beratungs- und
Weiterbildungsangebote. All diesen Aktivitäten fehlt jedoch eine universitäre Rückbindung und daran anschliessend einen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Auseinandersetzung mit dem Thema "Stiftungsmanagement", wie sie für das Forschungsprojekt Foundation Excellence am Institut für Betriebswirtschaft der Universität St. Gallen
kennzeichnend ist.
3.4
Ansatz 1: Durchgängigkeit durch eine General-ManagementPerspektive
Jede Form von Management muss, wie bereits dargelegt, vielfältigen Einflussfaktoren,
widersprüchlichen Rationalitäten und schwer zu definierenden Wertmassstäben gerecht
werden. Der stiftungsspezifische Kontext (vgl. Kap. 6) wie auch die stiftungsspezifischen Handlungsfelder (vgl. Kap. 3.3 und Kap. 7 ff.) lösen hohe Anforderungen an das
Stiftungsmanagement aus. Statt einer Trivialisierung dieser Probleme durch (zu) einfache (Insel)-Lösungen ist das Streben nach einer integrierten Sichtweise gefordert, die der
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
89
hochkomplexen gesellschaftlichen Wirkungssphäre Rechnung trägt, denen sich eine
Stiftung ausgesetzt sieht.
Deshalb ist es sinnvoll, dass gerade das Management einer Stiftung auf der Grundlage
eines "General Management-Ansatzes" basiert, das den Entscheidungsträgern Orientierung hinsichtlich notwendiger - aber immer kontingenter93 - Entscheidungen bietet.
General Management nach Ulrich (1984) zeichnet sich durch eine konzeptionelle und
prozedurale Durchgängigkeit aus, unter Beachtung des Managementkontexts.
Eine konzeptionelle Durchgängigkeit ist dann gegeben, wenn auf den drei ManagementEbenen des normativen, strategischen und operativen Managements aufeinander abgestimmte, notwendige Festlegungen getroffen werden, die sich aus dem spezifischen
Kontext wie aus den charakteristischen Herausforderungen des Managements ergeben.
In der Privatwirtschaft werden grundsätzlich drei Managementebenen unterschieden, die
aufeinander abzustimmen sind:
1. Auf der normativen Ebene geht es um Fragen der normativen Positionierung
gegenüber den Anspruchsgruppen. Es wird untersucht, nach welchen Grundsätzen kontroverse Anliegen und Interessen der Anspruchsgruppen behandelt und
Konflikte mit Anspruchsgruppen ausgetragen werden sollen. Dies kann beispielsweise nach Massgabe der verfügbaren Macht zur Durchsetzung der eigenen
Interessen oder verständigungsorientiert, d. h. nach Prinzipien einer allparteilichen Fairness, erfolgen. Auf der normativen Ebene wird auch die grundsätzliche
Legitimation des Zwecks der unternehmerischen Tätigkeit erarbeitet. Ein Charakteristikum der Entscheidungen auf dieser Ebene ist der im Allgemeinen langfristige, sachliche und zeitliche Wirkungshorizont. Entscheidungen auf normativer Ebene werden nicht im kurz- oder mittelfristigen Tagesgeschäft laufend neu
getroffen, sondern dienen als "Leitplanke" und Bezugsrahmen für Entscheidungen auf den nachfolgenden Ebenen. Auch die Begründungsbasis der Entscheidungen ist unterschiedlich zu den Entscheidungen auf der strategischen oder operativen Ebene, die sich jeweils auf jene der normativen Ebene beziehen. Die normativen Entscheidungen stellen demgemäss originäre Entscheidungen dar, die
nicht aus "höherwertigen" Entscheidungen ableitbar sind. Gemäss Ulrich (1987,
93
"Mit Kontingenz ist die Möglichkeit des Andersseins von Vorfindlichem ausgedrückt. Kontingent ist etwas, was weder
notwendig noch unmöglich ist; was also so, wie es ist, sein kann, aber auch anders möglich ist" (Rüegg-Stürm 2001, S.359).
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
90
S. 18) handelt es sich um Entscheidungen "mit dem grösstmöglichen Freiheitsgrad, der im Rahmen der durch Umweltfaktoren aller Art eingeschränkten Unternehmungsautonomie überhaupt besteht." Diese besitzen deshalb oft einen geringen Konkretisierungsgrad und sind nicht direkt "operationell, d. h. nicht unmittelbar in ausführende Handlungen umsetzbar." (Ulrich 1987, S. 18) Vielmehr müssen sie konkretisiert werden in bestimmten Gestaltungs- und Handlungsfeldern
auf nachfolgender Ebene.
2. Die strategische Ebene befasst sich mit der Bewältigung der Ungewissheit
bezüglich der Marktbedingungen und vor allem mit dem Aufbau nachhaltiger
Wettbewerbsvorteile. Konkurrenzdenken spielt hier eine zentrale Rolle. Dabei
geht es um die Spezifikation von Zielmärkten, Marktleistungen, Fähigkeiten,
Technologien
und
generellen
Vorgehensweisen,
die
langfristig
Erfolg
versprechend sind.
3. Weniger die langfristige Zukunftssicherung als vielmehr die Gewährleistung effizienter Abläufe und Problemlösungsroutinen, d. h. die professionelle Abwicklung
des Alltagsgeschäfts steht auf der operativen Ebene im Mittelpunkt.
Professionelles Stiftungsmanagement im Sinne eines integrierten Managements bedeutet
nun, diese drei o. g. Ebenen analog für Stiftungen in einem konzeptionellen Sinne kohärent miteinander zu verknüpfen, d. h. zentrale Festlegungen auf allen drei Ebenen müssen nicht nur widerspruchsfrei sein, sondern sich wechselseitig stützen und verstärken.
Eine prozedurale Durchgängigkeit als komplementärer Teil eines General ManagementAnsatzes zeichnet sich durch die sequentielle und zeitliche Abstimmung der notwendigen Klärungsprozesse und Festlegungen auf den drei Management-Ebenen aus. Es geht
dabei nicht nur um Entscheidungen und Festlegungen, die konzeptionell zueinander passen müssen, sondern bereits die Entwicklungsprozesse jener müssen so angelegt sein,
dass ein kohärenter Rahmen für eine wirkungsvolle Stiftungstätigkeit geschaffen werden
kann. Im Vordergrund steht demzufolge eine Organisation der hierzu erforderlichen,
zeitlich aufeinander abgestimmten Klärungs- und Definitionsprozesse auf allen drei Management-Ebenen. Sämtliche Entwicklungsimpulse und Veränderungsinitiativen müssen
anschlussfähig sein. Anschlussfähigkeit bedeutet, dass Entwicklungsimpulse sinnhaft in
die bisherige Geschichte und Stiftungspraxis eingeordnet (verstanden) und von der gewachsenen Fähigkeitsbasis her auch tatsächlich umgesetzt werden können (vgl. Rüegg-
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
91
Stürm 2002). Simultan mit der Einführung von Neuerungen sind ein solides Grundverständnis (einschliesslich Legitimationsbasis) und die zukünftig geforderten Fähigkeiten
aufzubauen (z. B. bedarf die Einführung einer Finanzplanung eines "neuen" Grundverständnisses, was die Notwendigkeit und die Konzeption einer finanziellen Führung betrifft).
Durch die Wahrung der konzeptionellen und prozeduralen Durchgängigkeit vor dem
Hintergrund des spezifischen Organisationskontexts wird eine ganzheitliche Betrachtung
der Herausforderungen und der Auswirkungen von Entscheidungen unterstützt. Dadurch
wird genau dort angesetzt wo Mohn die Problematik des Stiftungsmanagements lokalisiert: "Es gibt, einfach ausgedrückt, viel zu viel zu tun, um mit den vorhandenen Kräften
und Ressourcen allen Wünschen und Notwendigkeiten der Menschen gerecht zu werden.
Dazu scheint es mir notwendig festzustellen, dass der Mangel an Kompetenz zur Aufgabenbewältigung wesentlich hinderlicher ist als das Fehlen ausreichender finanzieller
Mittel." (Mohn 1998, S. XIV) Und das gilt deshalb besonders im Stiftungswesen, bei
dem im Vergleich zum ersten und zweiten Sektor relativ geringe Geldmittel vorhanden
sind. Das erfordert zum einen die bewusste Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, mit denen eine Stiftung konfrontiert ist, und zum anderen ihre kompetente Handhabung, hinsichtlich der wirkungsvollen Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Funktion
(vgl. auch Strachwitz 1998b, Kocka 2004).
3.5
Ansatz 2: Komplexitätsreduktion durch Managementmodelle
Eine Stiftung wird dem dieser Arbeit zu Grunde liegenden Verständnis nach als komplexes System verstanden, das in einen spezifischen Kontext eingebettet ist (vgl. Kap. 3.2
und Kap. 6) und Herausforderungen aufweist, die für die Stiftungsarbeit charakteristisch
sind (vgl. Kap. 3.3 und Kap. 7 ff.). Wie oben beschrieben ist das System "Stiftung" deshalb komplex, weil zwischen den einzelnen Elementen des Systems zahlreiche Beziehungen, Wechselwirkungen und Zielkonflikte bestehen, die in ihrem dynamischen Zusammenwirken begrenzt vorhersehbare Entwicklungen hervorbringen und meist auch
nur in Ausschnitten betrachtet werden (können) je nach individueller, kontext- und
erfahrungsgeprägter Sichtweise (vgl. z. B. Gomez/Probst 1997; Ulrich/Probst 1988). Die
Auswirkungen des Managements, also von Entscheidungen hinsichtlich der Gestaltung,
92
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
Lenkung und Entwicklung einer Stiftung, sind daher nur eingeschränkt simulier- und
voraussagbar. Darauf weist auch die folgende Definition eines Systems von Ulrich und
Probst hin: "Ein System ist ein dynamisches Ganzes, das als solches bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen besitzt. Es besteht aus Teilen, die so miteinander verknüpft sind, dass kein Teil unabhängig ist von anderen Teilen und das Verhalten des
Ganzen beeinflusst wird vom Zusammenwirken aller Teile" (1988, S. 30).
Um diese Komplexität der Entscheidungssituation zu handhaben, bedarf es einer angemessenen "Reduktion der Wirklichkeit". So bedarf es im Sinne von Ashby (z. B. 1956)94
einer Balance zwischen der situativen Komplexität auf der einen Seite und der Generierung von Handlungsoptionen zur Erhöhung der Managementvarietät andererseits. Zur
Herstellung dieser Balance kann ein sinnvoll konstruiertes Modell oder Framework95 einen hilfreichen Beitrag leisten. Ähnlich auch Conant und Ashby (1970, S. 89): "Every
good regulator of a system must be a model of that system."
Modelle werden in dieser Arbeit verstanden als Gestaltungsmodelle (Leerstellengerüste),
bei denen die praktische Anwendbarkeit des Modells im Vordergrund steht und es "nicht
um die Wahrheit von allgemeinen Aussagen, sondern um Nutzen und Schaden von potentiellen realen Gestaltungen" geht (Ulrich 1984, S. 172). Im allgemeinen Sprachgebrauch werden Modelle als (vereinfachtes) Muster oder Abbild der "Wirklichkeit" gesehen. Für bestimmte Zwecke handhabbar gemacht werden Modelle durch ihre adäquate
Vereinfachung mittels Abstraktion, Reduktion oder Verallgemeinerung (Schwaninger
94
Das von Ross Ashby (1956) formulierte Ashby´s Law besagt verkürzt, dass auf Seiten des Management eine Varietätsgenerierung erfolgen muss, um (allzu) einfachen Lösungen entgegenzutreten. Andererseits bedarf es einer Varietätsreduktion auf
Seiten der Entscheidungssituation im Sinne einer zulässigen Vereinfachung. Ziel ist das Angleichen der Komplexitäten, um
die Situation "handhabbar" zu machen.
95
Modelle und Frameworks werden in der vorliegenden Arbeit als Synonym verwendet. Der Modell-Begriff ist in der
(Stiftungs-) Praxis häufig nicht anschlussfähig und kann missverstanden werden. Im englischen Kontext werden unter Modellen (lineare) wenn-dann-Kausalitäten verstanden, was dem vorliegenden Modell-Verständnis gerade diametral entgegengesetzt ist. Aus diesem Grund wird in der Ausgestaltung des Stiftungsmanagement-Ansatzes in Kap. 7 ff. der Begriff "Framework" verwendet.
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
93
2004).96 Ein Modell im o. g. Sinn (Gestaltungsmodell) bietet als "Landkarte" für das
Stiftungsmanagement eine hilfreiche Unterstützung beim Treffen von Entscheidungen,
da Wirkungszusammenhänge aufgezeigt und komplizierte Zusammenhänge veranschaulicht werden können. Als "sprachliche Konstruktion" und/oder graphische Darstellung
befähigt es Führungskräfte, schnell "Wichtiges von weniger Wichtigem" zu unterscheiden (vgl. Rüegg-Stürm 2003, S. 13 f.). Es zeigt weiterhin alle relevanten Dimensionen
und Wirkungszusammenhänge auf, die beim Management von Organisationen berücksichtigt werden müssen. Damit ist es eine begründete und hilfreiche Reduktion der Komplexität von Wirklichkeit. Ein Managementmodell kann diesem Verständnis nach nicht
als allgemeingültiges "Rezept-Buch" dienen. Es entfaltet seine Wirkung jedoch bei der
reflektierten, gezielten Ausgestaltung der einzelnen Dimensionen durch die Führungskräfte im Hinblick auf den situativen Kontext der Organisation. Die Festlegungen z. B.
auf normativer, strategischer und operativer Ebene müssen im Sinne einer "Routenwahl"
also selbst getroffen und verantwortet werden.
Die jeweiligen Dimensionen des Managementmodells für Stiftungen gilt es sowohl einzeln als auch in Interaktion mit den übrigen Dimensionen zu beachten und zu balancieren. Die Ausgestaltung und Konkretisierung eines Modells im situations-spezifischen
Kontext und unter Berücksichtigung verschiedener Rationalitäten ist eine permanente
Führungsaufgabe. Das Modell erlaubt im Idealfall eine Vollständigkeitskontrolle im
Hinblick auf die zentralen, kontingenten Festlegungen, die in einer Organisation getroffen werden müssen. Es dient somit dazu, die "richtigen" Fragen zu stellen, "richtige"
Handlungsoptionen zu entwickeln, Auswirkungen von kontingenten Entscheidungen zu
verstehen und so das Stiftungsmanagement dazu zu befähigen, "die richtigen Dinge richtig zu tun".
96
Als ein Beispiel einer möglichen – und in bestimmten Situationen zulässigen – Vereinfachung ("Komplexitätsreduktion") der
Wirklichkeit kann ein Flugzeugmodell dienen, das in einem kleineren Massstab gebaut wurde und keine Bordelektronik besitzt, um z. B. daran Strömungsmessungen durchzuführen. Es wäre mit immensen Kosten verbunden, einen genügend
grossen Windkanal zu bauen, und überflüssig, auch die Bordelektronik zu installieren, um am Originalobjekt aerodynamische Eigenschaften zu testen. Ebenso leisten Modelle wertvolle Hilfe beim Hausbau. Um sich den Hausbau vorstellen zu
können, z. B. das Zusammenspiel von Formen und Farben, werden oftmals Hausmodelle in vereinfachter und verkleinerter
Weise nachgebaut. Auch stellt eine Landkarte in einem gewissen Sinne ein Modell dar, denn sie modelliert z. B. die Fläche
der USA von 9.629.091 km² , das ist etwa doppelt so gross wie die EU, auf die Grösse eines Tisches. Dabei erfolgt eine Vereinfachung durch Verkleinerung und Reduktion auf zwei Dimensionen. Je nach Karte wird zudem ein grösserer oder
kleinerer Detaillierungsgrad mit unterschiedlichen Angaben und Signaturen gewählt.
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
94
Zusammengefasst dient ein Modell zum (angelehnt an Rüegg-Stürm 2003, S. 13 ff.):
ƒ Beschreiben:
relevante Handlungs- und Entscheidungsfelder der Organisation werden in ihrem
Gesamtzusammenhang thematisiert
ƒ Erklären:
die zentralen Fragen, Themen, Handlungsfelder werden in ihren Wirkungszusammenhängen aufgezeigt
ƒ Verstehen:
die
gemeinsame
Sprache
dient
einem
gemeinsamen
Verständnis
der
Management-Herausforderungen
ƒ Gestalten:
das Angebot hilfreicher Handlungsparameter fördert die Entwicklung möglicher
und sinnvoller Handlungsoptionen
ƒ Entscheiden:
die integrale Sichtweise befähigt Führungskräfte, Wichtiges von Unwichtigem zu
unterscheiden und die Implikationen ihrer Entscheidungen abzuschätzen
Ein Modell gilt dann als valide, wenn es das abbildet, was es abbilden soll, wobei es immer nur als Hilfskonstruktion angesehen werden darf. Zentral ist, dass ein Modell die essenziellen Grössen und deren Beziehungen beinhaltet. Gerade im Stiftungskontext darf
ein Modell nicht nur wirtschaftliche Dimensionen berücksichtigen, sondern muss im
Sinne eines interdisziplinären Bezugsrahmens auch ökonomische, technologische, soziale, kulturelle, politische, ökologische, psychologische, ethische und ästhetische Aspekte
zu einem Gesamtbild verknüpfen. Dieser Ansatz ist auch bei Managementmodellen für
Unternehmen zu beobachten, z. B. beim St. Galler Managementmodell (Ulrich/Krieg
1974) und der Weiterentwicklung von Rüegg-Stürm (2003).
3.5.1
Ein Vergleich praxisorientierter Managementmodelle
Ein Modell des Stiftungsmanagements muss vor dem Hintergrund des vorgestellten General-Management-Ansatzes und des dargelegten Modellverständnisses folgenden fünf
allgemeinen Anforderungen gerecht werden:
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
95
1. angemessene Komplexitätsreduktion des Systems "Stiftung" bei gleichzeitiger
"fehlerfreier" Darstellung deren Funktionsweise97
2. Berücksichtigung des stiftungsspezifischen Kontextes
3. Darstellung
der
zentralen
Herausforderungen
und
Aufgaben
des
Stiftungsmanagements
4. Aufzeigen der Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Entscheidungen, zur
Wahrung der konzeptionellen und prozeduralen Durchgängigkeit, analog des General Management-Ansatzes nach Ulrich (1984)
5. Wahrung der ästhetischen Qualität (Daft 1983, Weick 1989) und der
begrifflichen Anschlussfähigkeit
Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen, die auch dem entwickelten Foundation
Excellence-Cockpit zu Grunde liegen, werden die Folgenden ausgewählten, konzeptionellen Ansätze von Managementmodellen (oder noch allgemeiner: Vorstellungen von
Management) diskutiert:
1. das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM)
2. das Drucker Foundation Self-Assessment Tool (SAT)
3. das Quality Framework (QF)
4. der Grantmaking Tango (GT)
5. das Philanthropic Prism (PP)
Hierbei gilt es zu erwähnen, dass wissenschaftlich basierte und elaborierte Ansätze für
Stiftungsmanagement selten sind (vgl. theoretische Relevanz von Foundation Excellence). Auch werden diese Ansätze von den Autoren z. T. (noch) nicht als Modell oder
Framework bezeichnet. An dieser Stelle soll betont werden, dass die Kürze der hier vorgenommenen Würdigung der ausgewählten Ansätze nicht dem grossen und verdienstsvollen Aufwand der Autoren vollständig gerecht werden kann und nicht alle Facetten, z.
B. des Entstehungskontextes und ihrer Entwicklungslinien oder auch wertenden Positionen, detailliert beleuchtet werden können. Dennoch werden die Ansätze mit Hilfe der o.
g. Kriterien kurz analysiert und kritisch gewürdigt, um einen Referenzmassstab für die
Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen zu erhalten.
97
Wohl wissend, dass eine Stiftung keine "triviale Maschine" darstellt.
96
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
Für alle in den Vergleich einbezogenen Ansätze ist eine gewisse Vergleichbarkeit gegeben. Zwar lässt sich nicht an alle das Ideal der Ganzheitlichkeit anlegen, aber die fünf
Ansätze greifen doch weit mehr als nur einen Teilaspekt von (Stiftungs-) Management
auf (vergleichbares Erkenntnisobjekt). Trotzdem sind die verglichenen Ansätze durchaus
auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau angesiedelt und weisen einen unterschiedlichen Detaillierungsgrad auf.
Ein weiterer Aspekt, warum gerade diese fünf Ansätze ausgewählt wurden, liegt in der
relativen Bekanntheit dieser in der Fachcommunity. Diese Community wurde insofern
auf NPO-Managementmodelle ausgeweitet, als es einen "Mangel" an spezifischen Managementmodellen für Stiftungen gibt. Insbesondere im Falle des FMM wird jedoch von
den Autoren darauf hingewiesen, dass auch Stiftungen zur Anwendergruppe des Modells
zählen. Alle Ansätze weisen darüber hinaus eine sehr stark praxisorientierte Aufbereitung auf, die die "direkte" Anwendbarkeit durch die Praxiscommunity erleichtern soll,
die zum Grossteil von "Nicht-BWLern" geprägt ist.
Aus Gründen der Handhabbarkeit innerhalb dieser Arbeit muss sich auf eine kleine Anzahl an zu vergleichenden Ansätzen beschränkt werden, wohl wissend, dass dadurch
auch die "empirische" Aussagekraft der Vergleichsresultate abnimmt. Auf der anderen
Seite stellt dieser kurze, qualitative Vergleich trotzdem einen Zugang zu den relevanten
Managementansätzen dar, der im weiteren Entwicklungsverlauf des Foundation Excellence Managementframeworks wichtige Hinweise und Orientierungspunkte bietet.
3.5.2
Das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM)
Das Freiburger Management Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM) wurde am
Verbandsmanagement Institut der Universität Freiburg (Schweiz) entwickelt und seither
bis zur heutigen 4. Auflage stetig verbessert ("Unser Management-Modell bezeichnen
wir als ‚permanente Baustelle’." Schwarz et al. 2002, S. 7). Die dem Modell zugrunde
liegende Perspektive versteht NPO als zweck- und zielgerichtetes, umfeldabhängiges,
Leistungen produzierendes und soziales (Human-) System. Der Auftrag von NPO erfüllt
sich im Zweck der kollektiven Selbsthilfe für Mitglieder, der Unterstützung und Förderung an Dritte, der Interessenvertretung nach aussen und der Erfüllung übertragener
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
97
(para-staatlicher) Aufgaben. Somit sind auch namentlich Stiftungen miteinbezogen und
Adressat des Freiburger NPO-Modells (vgl. Schwarz et al 2002, S. 7 und S. 19).
Die Konzeption des Modells umfasst die drei Bereiche System-, Marketing- und Ressourcen-Management und versucht damit das Denken in spezifischen Teilgebieten des
Managements zu fördern ("Lehrgebäude" und "Leitfaden", Schwarz et al. 2002, S. 34).
Das System-Management dient dabei der Festlegung grundsätzlicher Verständnisse und
Wertvorstellungen.98 Hier werden die Management-Philosophie festgelegt, Strukturen
und Prozesse gestaltet sowie Führungsinstrumente entwickelt. Das Marketing-Management
umfasst
Aufgaben
der
Beschaffung,
im
"Innenbereich"
und
in
der
Leistungsabgabe. Im Ressourcen-Management schliesslich geht es um die für die
Leistungserbringung notwendigen Mittel (Mitglieder, Mitarbeitende, Finanz- und
Sachmittel). Diese Komponenten korrespondieren jeweils mit der Grundauffassung der
NPOs (vgl. Schwarz et al. 2002, S. 64).
Gerade hier wird jedoch auch deutlich, dass es sich beim Freiburger Management Modell um einen Ansatz für Non-Profit-Organisationen handelt, der aus der hier vertretenen, "kontextsensitiven" Sichtweise eben nicht spezifisch auf Stiftungen ausgerichtet ist.
So werden z. B. die grundlegenden Annahmen der Zweckerfüllung, wie "Selbsthilfe für
Mitglieder", den organisationsspezifischen Besonderheiten einer Stiftung und insbesondere einer Vergabestiftung, nicht gerecht (vgl. Schwarz et al. 2002, S. 43 und S. 65).
Prinzipiell ist das Freiburger Management Modell ein offenes Modell, indem es zwar
den Rahmen für die Beschreibung und Gestaltung einer Non-Profit-Organisation
vorgibt,
deren
kontextspezifische
inhaltliche
Ausgestaltung
jedoch
im
Verantwortungsbereich des Managements belässt (vgl. Schwarz et al. 2002, S. 42).
Das Modell ist als durchaus strukturierte Aufzählung und sinnvolle Aneinanderreihung
von NPO-relevanten Themen und Herausforderungen zu verstehen und stellt nicht die
Funktionsweise einer Stiftung dar. Zudem werden die zum Führen einer Organisation
zentralen Zusammenhänge und Wechselwirkungen von Entscheidungen im linear aufgebauten Modell nur rudimentär verdeutlicht, etwa durch die Aufbauschemata der Instrumente in den einzelnen Komponenten (z. B. Schwarz et al. 2002, S. 116: System-Management: Aufbauschema der Instrumente). Diese Zusammenhänge verbleiben aber auf der
98
Im Verständnis der St. Galler Managementlehre entsprechen diese Entscheidungen Festlegungen auf normativer und strategischer Ebene.
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
98
Ebene der strukturellen Zusammenhänge, inhaltliche Folgen einer Entscheidung auf andere Bereiche (Durchgängigkeit) werden nicht thematisiert. Vielmehr dient das FMM als
Check-Liste zum "Abarbeiten" aller in der Management-Lehre zentralen Aspekte des
Führens von NPOs.
Abschliessende Würdigung ("+" = "gut erfüllt"; "o" = "erfüllt"; "-" = "schlecht erfüllt"):
Kriterien
Modell
Angemessene Komplexitätsreduktion
FMM
o
Abbildung 3-7:
3.5.3
Stiftungsspezifischer
Kontext
-
Stiftungsspezifische
Herausforderungen
-
Zusammenhänge und
Wechselwirkungen
o
Ästhetische
Qualität
o
Begriffliche
Anschlussfähigkeit
o
Bewertung des Freiburger Management Modell für Nonprofit-Organisationen (FMM)
Das Drucker Foundation Self-Assessment Tool
Der renommierte Management-Forscher und -Vordenker Peter Drucker hat in seinem
Buch "The Drucker Foundation Self-Assessment Tool: Participant Workbook" (1999)
ein Selbstevaluationstool für Non-Profit Organisationen entwickelt. Ausgangspunkt ist
die Überzeugung, dass Dritte Sektor Organisationen in einer Welt turbulenten Wandels
und einschneidenden Transformationen umso mehr und dringender aufgrund der wachsenden Bedürfnisse im sozialen Sektor gebraucht werden. Um diesen Herausforderungen
gerecht zu werden, stellen sich neue Fragen an Non-Profit Organisationen, inkl. sog.
"Philanthropic Organisations", also Stiftungen. Diese kumulieren in der Überzeugung,
dass die wichtigste Management-Ressource eine Strukturierungsmethode ist. Diese hilft
zu reflektieren:
ƒ Was tun wir?
ƒ Warum tun wir dies?
ƒ Was müssen wir tun?
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
99
Vor diesem Hintergrund wurde das Self-Assessment Tool (SAT) entwickelt. Es werden
dabei fünf zentrale Fragen an eine Non-Profit Organisation gerichtet:
1. What is our mission?
Why you do what you do; the organization's reason for being, its purpose. Says
what, in the end, you want to be remembered for.
2. Who is our customer?
Those who must be satisfied in order for the organization to achieve results. The
primary customer is the person whose life is changed through the organization's
work. Supporting customers are volunteers, members, partners, funders, referral
sources, employees, and others who must be satisfied.
3. What does the customer value?
That which satisfies customers' needs (physical and psychological well-being),
wants (where, when, and how service is provided), and aspirations (desired longterm results).
4. What are our results?
The organization's bottom line. Defined in changed lives - people's behaviour, circumstances, health, hopes, competence, or capacity. Results are always outside
the organization.
5. What is our plan?
Defines the particular place you want to be and how you intend to get there. Encompasses mission, vision, goals, objectives, action steps, a budget, and appraisal.
Das zur Selbstevaluation entwickelte Framework dient vor allem als Reflexionshilfe für
die Führungsaufgaben einer Non-Profit Organisation. Die Fragen beziehen sich dabei
teilweise auf normativ-ethische Entscheidungen, v. a. jedoch stark auf strategische Herausforderungen des Managements. Operative Fragen und detaillierte Hilfestellungen zur
Wertschöpfung werden dabei nicht betrachtet. So werden z. B. detailliert die einzelnen
Schritte und Phasen zur Findung einer Mission beschrieben. Der ganze Entwicklungsprozess wird dabei durch zahlreiche Check- und Prinzipienlisten unterstützt. Hierbei fällt
auf, dass relativ viele Vorgehensweisen aus der traditionellen BWL übernommen wurden. Da das SAT von Drucker für Non-Profit Organisationen konzipiert wurde, berück-
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
100
sichtigt es ausserdem z. T. nicht die spezifischen Eigenschaften und den besonderen
Kontext von Stiftungen - auch die Beispiele nicht allgemein und nicht stiftungsspezifisch. Das Self-Assessment Tool ist weniger ein Framework, das die Funktionsweise einer Stiftung abbildet und dabei die Zusammenhänge zwischen den jeweiligen Entscheidungen aufzeigt und in ihrer Interaktion berücksichtigt, als vielmehr eine punktuelle Unterstützung bei einzelnen Managementaufgaben, z. B. bei der Erarbeitung einer Mission
- hier werden aber dann die Zusammenhänge herausgestrichen. Die begriffliche Anschlussfähigkeit ist sehr hoch - ein Merkmal, dass auch für die zweite US-amerikanische
Arbeit, den Philanthropic Prism, gilt.
Abschliessende Würdigung ("+" = "gut erfüllt"; "o" = "erfüllt"; "-" = "schlecht erfüllt"):
Kriterien
Modell
Angemessene Komplexitätsreduktion
SAT
o
Abbildung 3-8:
3.5.4
Stiftungsspezifischer
Kontext
-
Stiftungsspezifische
Herausforderungen
-
Zusammenhänge und
Wechselwirkungen
o
Ästhetische
Qualität
-
Begriffliche
Anschlussfähigkeit
+
Bewertung des Drucker Foundation Self-Assessment Tools (SAT)
Das Quality Framework
Die Association of Charitable Foundations (ACF) hat "Good grant-making practices” in
Form eines Quality Frameworks (QF) herausgegeben (2002). Die ACF ist mit über 300
Mitgliedern und einem Ausschüttungsvolumen von mehr als GBP 1 Mrd. die grösste
Vereinigung von Vergabestiftungen in Grossbritannien. Das Framework basiert auf der
Klassifizierung von Stiftungen zwischen zwei Polen mit unterschiedlichen Eigenschaften: auf der einen Seite die "change-making trusts”, auf der anderen Seite die "giftgiving trusts”. Abbildung 3-9 bietet eine Übersicht über die Eigenschaften beider Typen:
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
change-making trusts
Abbildung 3-9:
gift-givig trusts
ƒ
risk takers
ƒ
Low risk
ƒ
long-term commitment
ƒ
Short-term
ƒ
high administration costs
ƒ
low administration costs
ƒ
high levels of monitoring and
evaluation
ƒ
low levels of monitoring and
evaluation
ƒ
specialist staff and trustees
committed to the cause
ƒ
generalist staff and trustees
•
large or small grants
reactive
•
reactive
ƒ
large or small grants
ƒ
partnerships to achieve objectives
ƒ
fast turn around of applications
ƒ
rigorous application process
ƒ
proactive seekers of projects
ƒ
radical agenda
Eigenschaften von change-making trusts und gift-giving trust
(vgl. Association of Charitable Foundations 2001, S. 11)
Das Quality Framework strukturiert sich in die neun Sektionen
1. Governance
2. Strategy
3. Assessment
4. Monitoring
5. Communication
6. Administration
7. Personnel
8. Finance
9. Evaluation
101
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
102
Das Framework ist als Antwort auf die aufkommende Diskussion von Qualitätsstandards
im Stiftungsbereich als Self-Assessment Tool konzipiert. Die neun Themenblöcke werden auf drei Ebenen betrachtet:
1. Practices, die alle Stiftungen erfüllen sollten (Level 1)
2. Practices, die ein Grossteil der Stiftungen beachten sollten (Level 2)
3. Themen, die Stiftungen für ein fortgeschrittene Practice-Ebene berücksichtigen
sollten (Level 3)
Die neun Sektionen bestehen ausschliesslich aus Fragen zur Selbstbeurteilung gemäss
den drei Ebenen. Die nach Checklisten konzipierte Selbstbeurteilung ist ein eher statisches Framework im Sinne eines Orientierungsrahmens, das sehr gut zentrale Handlungsfelder von Stiftungen aufzeigt, jedoch nur indirekt - durch die blosse Nennung der
Herausforderungen - die Funktionsweise einer Stiftung beschreibt. Der Grundgedanke
des Frameworks ist nicht das Aufzeigen von dynamischen Zusammenhängen im Hinblick auf ein integriertes Management, sondern das sequentielle Aufgreifen relevanter
Themen, über die sich ein Stiftungsmanager Gedanken machen sollte. Hierbei erfolgt allerdings weder eine Beschreibung der unterschiedlichen Herausforderungen einer Stiftung noch eine Illustration von verschiedenen Handlungsoptionen, wie z. B. beim
Grantmaking Tango (s. u.). Ein entscheidender Nachteil des Quality Frameworks ist sicherlich die fehlende Verknüpfung der einzelnen Themen. Das Bewusstwerden der
Durchgängigkeit von getroffenen Entscheidungen wird nicht unterstützt und die Zusammenhänge der Einflussfaktoren nicht aufgezeigt. Die begriffliche Anschlussfähigkeit ist
sehr hoch, was auch auf die Urheberschaft zurückzuführen ist: dem Verband der britischen Vergabestiftungen.
Abschliessende Würdigung ("+" = "gut erfüllt"; "o" = "erfüllt"; "-" = "schlecht erfüllt"):
Kriterien
Modell
QF
Angemessene Komplexitätsreduktion
o
Stiftungsspezifischer
Kontext
+
Stiftungsspezifische
Herausforderungen
+
Abbildung 3-10: Bewertung des Quality Frameworks (QF)
Zusammenhänge und
Wechselwirkungen
-
Ästhetische
Qualität
-
Begriffliche
Anschlussfähigkeit
+
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
3.5.5
103
Der Grantmaking Tango
Julia Unwin, eine ausgewiesene und erfahrene Expertin im Dritten Sektor, hat
zusammen mit der Baring Foundation, dem Bridge House Trust, der Joseph Rowntree
Foundation sowie den Lloyds TSB Foundations die Publikation "The Grantmaking
Tango: Issues for Funders" (Unwin 2004) herausgegeben. Der Grantmaking Tango (GT)
richtet sich nicht ausschliesslich an Stiftungen, sondern auch an Trustees und
Führungskräfte von Dritte-Sektor Organisationen, die Vergabungen tätigen (im
weitesten Sinne also als "materielle" Vergabestiftungen" bezeichnet werden können).
Das Framework über gutes "grant-making" eignet sich sowohl als Einführung in die
Thematik als auch zum Überdenken der bisherig verfolgten Praktiken zur Mittelvergabe.
Es betrachtet als Ausgangspunkt die unterschiedlichen Arten des "grant-makings" und
des "fundings" und analysiert verschiedenen Ansätze und die dadurch entstehenden
Auswirkungen.
Die Ausführungen basieren auf drei grundlegenden Annahmen:
1. Eine starke Zivilgesellschaft fördert das Wachstum und die Entwicklung von
unabhängigen Organisationen durch ihre jeweiligen Fördersysteme.
2. Die grant-making Organisationen vollziehen ihre Vergabungen möglichst effektiv.
3. Die Beziehung zwischen Förderer und Gefördertem hat eine Auswirkung auf die
Effektivität beider Organisationen.
Der GT konzentriert sich auf die Input-Output-Betrachtung der Vergabeorganisation.
Unwin unterscheidet beim Output zwischen drei geplanten Wirkungen oder gesellschaftlichen Funktionen, die die Vergabeorganisationen verfolgen können, z. B. die "Erhaltung
von Dienstleistungen und Aktivitäten" (vgl. hierzu auch Kap. 2.3 "Stabilisierungsfunktion"). Um die Durchgängigkeit zwischen Input und Output bei diesen Funktionen zu
verdeutlichen, wird dabei folgenden Fragen nachgegangen:
ƒ Was bedeutet dieser Ansatz?
ƒ Was sind die Vorteile und Rückwirkungen?
ƒ Welche Förderart passt am besten zur gewählten Wirkung?
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
104
Weitere Ansätze, die entsprechend abgehandelt werden sind "Aufbau von Organisationen" und "Veränderung des Systems" (vgl. hierzu Kap. 2.3 "Innovationsfunktion").
Der geplanten Wirkung steht im GT die Förderart (Input) gegenüber, die es auf die Wirkung abzustimmen gilt. Hierbei wird unterschieden zwischen "Giving", "Shopping" und
"Investing". Die Autorin versucht mit ihrem Orientierungsrahmen komplexe Verknüpfungen der Vergabeorganisationen aufzuzeigen und bezieht dabei auch verwandte Themenbereiche wie Ethik von Vergabungen, unterschiedliche Erfahrungen und Hintergründe des Stifters und der Geförderten sowie die Veränderungen des Förderumfeldes
mit ein. Die unterschiedlichen Ausprägungen der einzelnen Dimensionen werden gut
aufbereitet in kleinen Fallstudien illustriert. Der GT ist im Gegensatz zum Quality Framework (s. o.) weniger ein Selbstassessmenttool mit Fragen zur Reflexion, sondern eher
eine Beschreibung unterschiedlicher Themen und Situationen, denen eine Grant-makingOrganisation ausgesetzt ist. Diese zentralen Herausforderungen werden z. T. allerdings
stark auf einzelne Themen reduziert, was "Insellösungen" provozieren kann - eine übergeordnete Verortung aller Handlungsfelder erfolgt nicht. Teilweise wird auf die Folgen
von Entscheidungen und die dadurch eingeschränkten Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten in nachfolgenden Bereichen hingewiesen. Dies verdeutlicht dann die notwendige Durchgängigkeit der Entscheidungen. Wie beim Quality Framework ist die begriffliche Anschlussfähigkeit gegeben.
Abschliessende Würdigung ("+" = "gut erfüllt"; "o" = "erfüllt"; "-" = "schlecht erfüllt"):
Kriterien
Modell
GT
Angemessene Komplexitätsreduktion
o
Stiftungsspezifischer
Kontext
+
Stiftungsspezifische
Herausforderungen
o
Zusammenhänge und
Wechselwirkungen
o
Ästhetische
Qualität
-
Begriffliche
Anschlussfähigkeit
+
Abbildung 3-11: Bewertung des Grantmaking Tango (GT)
3.5.6
Das Philanthropic Prism
Peter Frumkin (2000/2005) entwickelte das "Philanthropic Prism" vor dem Hintergrund
einer zentralen Lücke in der Philanthropie: Mission und Strategie. Im Gegensatz zur
Unternehmenswelt, in der zahlreiche Literatur zu "Strategie" vorhanden ist, existieren
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
105
für Stiftungen nur wenige wissenschaftliche Publikationen, die sich den grundlegenden
strategischen Herausforderungen der Philanthropie annehmen. Hinsichtlich strategischen
Stiftens soll das Prisma als Framework dienen, sowohl als Analyse- als auch als Informationstool für philanthropische Handlungsalternativen (vgl. Abbildung 3-12). Im Spannungsfeld zwischen dem partikulären Förderinteresse und den öffentlichen Bedürfnissen
soll das Philanthropie-Prisma die Entwicklung einer kohärenten Förderstrategie unterstützen. Das Framework soll keinesfalls institutionsspezifische Varietät und Fähigkeiten
durch ein (zu) kleines Set an akzeptierten Praktiken und Prinzipien schmälern.99
Es werden dabei fünf zentrale Fragen gestellt, die sich Stiftungen zu Beginn der philanthropischen Arbeit vergegenwärtigen müssen, um sich dann bewusst für bestimmte
Handlungsoptionen zu entscheiden.
1. Ausgangspunkt ist, dass sich die Verantwortlichen klar werden müssen über den
(Mehr-) Wert, den sie über ihre Förderungen erreichen wollen. Es muss dabei folgende Frage beantwortet werden: "Was ist wertvoll, sowohl für die Gemeinschaft, als auch für mich als Stifter?"
2. Es muss die Art und Weise der Förderprogramme definiert werden, durch die Beantwortung der Frage: "Welche Art und welcher Ort von Aktivitäten greifen am
besten?"
3. Die Verantwortlichen müssen sowohl das Vehikel für die Förderungen bestimmen als auch die passende Struktur dazu festlegen: "Mit welcher Organisationsform können meine Ziele am besten erreicht werden?"
4. Es sollte Klarheit geschaffen werden über die Art des Förderns und die Ebene des
Engagements mit folgender Leitfrage: "Welchen Grad des Mitwirkens in der
Stiftungsarbeit und der Visibilität nach innen und aussen möchte ich als Stifter
erreichen?"
5. Es muss die Lebensdauer des Fördervehikels bestimmt werden. "Wie lange soll
die Stiftung bestehen?"
99
Dieser Denkansatz fusst auf Frumkins theoretischer Basis, der Institutional Theory.
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
106
Value produced
through giving
Vehicle or
institution for
giving
Logic model
supporting
giving
Identity and
style of giver
Time frame
guiding giving
Abbildung 3-12: The Philanthropic Prism
Frumkins Modell schränkt das Wirken von Stiftungen nicht durch ein Repertoire an restriktiven Regeln ein, sondern zeigt die vielfältigen Herausforderungen und deren komplexe Zusammenhänge auf. Es wird verdeutlicht, dass eine optimale Wirkung nicht
durch die isolierte Betrachtung der einzelnen stiftungsspezifischen Themen erreicht werden kann, sondern dass strategisches Fördern eine klare Durchgängigkeit der Festlegungen über alle von ihm identifizierten fünf Fragen beinhaltet. Die grosse Stärke des Philanthropic Prism ist gleichzeitig seine grösste Schwäche: es wird eine starke Komplexitätsreduktion des Systems "Stiftung" vorgenommen auf fünf zentrale Handlungsfelder.
Dies bewirkt zwar eine Vereinfachung des komplexen Systems "Stiftung" auf eben diese
fünf Handlungsfelder, die prozedurale Funktionsweise von Stiftungen wird dabei aber
ausgeblendet. Als einziger Ansatz, mit Abstrichen auch das FMM, präsentiert Frumkin
seinen Orientierungsrahmen auch grafisch in der einprägsamen Form eines Prismas, das
daneben auch als Begriff noch interessante Assoziationen bereit hält (z. B. Vielfältigkeit
der Stiftungssektors: "jede Stiftung ist einmalig").
Abschliessende Würdigung ("+" = "gut erfüllt"; "o" = "erfüllt"; "-" = "schlecht erfüllt"):
Kriterien
Modell
PP
Angemessene Komplexitätsreduktion
o
Stiftungsspezifischer
Kontext
+
Stiftungsspezifische
Herausforderungen
o
Abbildung 3-13: Bewertung des Philantrhopic Prism (PP)
Zusammenhänge und
Wechselwirkungen
o
Ästhetische
Qualität
+
Begriffliche
Anschlussfähigkeit
+
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
3.6
107
Leitfragen für die empirischen Untersuchungen
Die Untersuchung der fünf Managementframeworks, oder besser: Orientierungsrahmen
für das Management, lässt sich, wie in Abbildung 3-14 dargestellt, zusammenfassen:
Kriterien
Modell
Angemessene Komplexitätsreduktion
Stiftungsspezifischer
Kontext
Stiftungsspezifische
Herausforderungen
Zusammenhänge und
Wechselwirkungen
Ästhetische
Qualität
Begriffliche
Anschlussfähigkeit
FMM
o
-
-
o
o
o
SAT
o
-
-
o
-
+
QF
o
+
+
-
-
+
GT
o
+
o
o
-
+
PP
o
+
o
o
+
+
Abbildung 3-14: Bewertung der Managementframeworks in der Übersicht
Auf der Basis dieser Relevanz eines Managementframeworks für Stiftungen sowie der
dargelegten praktischen und theoretischen Relevanz des Themas Stiftungsmanagement
können vier Leitfragen für die empirische Forschung zusammengestellt werden (vgl.
hierzu auch die Teilziele des Forschungsprojekts in 1.1):
1. Wie funktioniert eine (Vergabe-) Stiftung?
Æ Grundlage
2. Was typisiert den Kontext einer Stiftung?
Æ vgl. Teilziel 1
3. Wie lauten die spezifischen Herausforderungen von (Vergabe-) Stiftungen?
Æ vgl. Teilziel 2
4. Wie wird die konzeptionelle und prozedurale Durchgängigkeit in der Praxis
sichergestellt?
Æ vgl. Teilziel 3
Ein weiteres wichtiges Ziel von Foundation Excellence, neben der Entwicklung eines
integrierten Managementframeworks für Stiftungen (vgl. Kap. 1.1), ist die Analyse der
Handhabung (Entscheidungen) der Herausforderungen.
Professionelles Stiftungsmanagement - praktische und theoretische Relevanz
108
Für die empirischen Untersuchungen lässt sich daher die folgende, fünfte Leitfrage formulieren:
5. Welche tragfähigen Lösungen ("Handlungsoptionen", auch im Sinne von "best
practices") im Hinblick auf einen langfristigen gesellschaftlichen Nutzenzuwachs
werden in den jeweiligen spezifischen Entscheidungssituationen entwickelt, um
"die richtigen Dinge richtig zu tun?"
Æ vgl. Teilziel 4 und 5
Diese fünf Leitfragen dienen als Entwicklungsgrundlage für die Leit- und Themenfäden
in den verschiedenen empirischen Untersuchungen, z. B. bei den Experteninterviews
oder den teilnehmenden Beobachtungen. Sie lassen sich aber auch umformulieren in
Zielsetzungen für das zu entwickelnde Foundation Excellence-Managementframework
und dienen so im gesamten Entwicklungsprozess als Orientierung. Ein weiteres zentrales
Entwicklungsziel (Teilziel 6), das von Anfang an konsequent beachtet werden muss,
stellt die praxisgerechte Aufbereitung dar, sowohl was die verwendeten Begriffe als auch
was die ästhetische Aufbereitung des Managementframeworks betrifft (vgl. Kap. 1.1).
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
109
"Mich beschäftigt nicht irgendeine Epistemologie,
sondern meine gesamte Erkenntnistheorie ist eigentlich,
wenn man so will, eine Neugierologie."
Heinz von Foerster
in "Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners"
(von Foerster/Pörksen 1998, S. 43)
4
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
In diesem Kapitel werden die der Arbeit zu Grunde liegenden erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen skizzenhaft dargestellt, die auch für die Entwicklung des Managementframeworks in Kapitel 7 - 12 als Grundlage dienen. Trotz der
Kürze der Ausführungen wird bewusst darauf Wert gelegt, das grundlegende Verständnis der Forscher hinsichtlich der hier vertretenen wissenschaftlichen Praxis (kontextualisierte Wissenschaft) offen zu legen, d. h. Stellung zu nehmen zur Art der wissenschaftlichen Aussagen und den dazu passenden und verwendeten empirischen Methoden (vgl.
Kap. 5), die zu diesen Aussagen führen.
Um das Ziel der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Forschungsresultate zu erreichen, müssen die ontologischen und epistemologischen Grundannahmen dargelegt werden. Diese Grundannahmen im Sinne von "Transformationsregeln" (von Foerster 1993,
S. 102) definieren, wie Forscher Kenntnis von "der Wahrheit" erlangen - oder umfassender, "wie Wirklichkeit und Wissen im Prozess des Erkennens verfertigt werden" (RüeggStürm 2001, S. 15). Davon ausgehend lässt sich das hier vertretene Wissenschaftsparadigma ableiten und die Wahl der Forschungsmethodologie sowie der Methoden begründen. Zu den erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen gehören
110
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
auch die organisationstheoretischen Grundannahmen, die die "empirische" Brille "einfärben" ("Was wird beobachtet oder als beobachtenswert anerkannt?").
4.1
Ein anwendungsorientiertes Wissenschaftsverständnis
Im Zusammenhang mit der Vorstellung der Zielformulierung des Forschungsprojekts
Foundation Excellence (vgl. Kap. 1.1) sowie der detaillierteren Leitfragen in Kapitel 3.6
stellt sich die berechtigte Frage, was von einem Forschungsprojekt überhaupt erwartet
werden kann über die Formulierung von wohlklingenden Forschungsfragen und Zielen
hinaus. Einen zentralen Aspekt nimmt hierbei das der Forschungsarbeit zu Grunde liegende Wissenschaftsverständnis ein, also die Frage, wie das sog. pragmatische Wissenschaftsziel (vgl. Kubicek 1977, S. 7) verstanden und umgesetzt wird und was dann der
Beitrag dieser Arbeit zur "anwendungsorientierten Managementlehre" im Sinne von Ulrich (1984, S. 131 ff. und 168 ff.) und Lawler et al. (1985, S. IX) sein wird.
Angewandte Forschung wird hier verstanden als Wissenschaft, deren Probleme im Praxiszusammenhang entstehen. Im Gegensatz zur Grundlagenwissenschaft geht es nicht
darum, unter bestimmten Annahmen generell gültige Aussagen zu machen, die in "allen"
Kontexten und für "alle" Probleme direkt ableitbare Lösungen anbieten, sondern darum,
"dem Praktiker verständnisfördernde Perspektiven [im Sinne von Beschreibungen und
Analysen] zur Definition von Problemen sowie Fragen und Interpretationsmuster [im
Sinne von "sanften" Empfehlungen] zu ihrer Lösung an die Hand zu geben" (Kubicek
1977, S. 29, vgl. auch Kap. 7 Zielsetzungen des FE-C). Die angewandte Sozialwissenschaft "Betriebslehre" (oder "Managementlehre") ist so verstanden keine "Heilslehre",
die die Probleme - stellvertretend und letztinstanzlich - für den Praktiker löst, sondern ihr
Ziel ist vielmehr "die Stimulation einer Reflexion eigener Erfahrungen und zwar in einer
Weise, die es den Lesenden ermöglicht, eigene Erfahrungen aus neuen Blickwinkeln interpretieren zu lernen." (Rüegg-Stürm 2002, S. 4). Es werden dadurch "Voraussetzungen
für eine Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung bereits vorhandenen Orientierungswissens" geschaffen, die im konkreten Anwendungsfall in der Praxis den Praktiker dazu
befähigen, neue Handlungsoptionen zu erkennen und diese einschätzen zu können (Rüegg-Stürm 2002, S. 5, vgl. auch Kap. 3.5). Damit verbunden ist jedoch immer auch die
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
111
Vorgabe an die Forscher, eine relative Autonomie und Allparteilichkeit aufrecht zu erhalten.100
4.2
Ontologische und Epistemologische Grundannahmen
Wie "schafft" man Handlungsoptionen für Praktiker und gelangt zu den oben
geforderten Gestaltungsmodellen für die Praxis? Entscheidender Ausgangspunkt für die
Beantwortung dieser Frage sind die der Forschung zu Grunde liegenden ontologischen
und epistemologischen Grundannahmen.101 Es wird der Erfordernis Rechung getragen,
dass sich alle Forschungsansätze (Forschungsdesigns) ableiten (herleiten) lassen müssen
von dem der Forschung zu Grunde liegenden Verständnis von Wissen, Erkennen und
Wirklichkeit, denn "a preoccupation with methods on their own account obscures the
link between the assumptions that the researcher holds and the overall research effort,
giving the illusion that it is the methods themselves, rather the orientations of the human
researcher, that generate particular forms of knowledge” (Morgan/Smircich 1980, S.
499; ähnlich auch Mayntz et al. 1969, S. 171 f).
Dieser Arbeit liegt ein sozial-konstruktivistisches Wissenschaftsparadigma zu Grunde,
im Gegensatz zum in der Wissenschaft überwiegenden abbildtheoretischen Paradigma102
(Macpherson et al. 2000, S. 50; Rüegg-Stürm 2001, S. 15). Gemäss der Terminologie
von Burell/Morgan (1979) und Morgan/Smircich (1980) verfolgen die Forscher im vorliegenden Projekt einen interpretativen Ansatz103, der auf einem Kontinuum von objektiven zu subjektiven sozialwissenschaftlichen Ansätzen im Bereich der letzteren verortet
werden kann (Morgan/Smircich 1980). Damit verbunden sind bestimmte Annahmen
über Ontologie und Epistemologie, sowie ein mit diesen Annahmen konsistentes Forschungsdesign und die Verwendung "passender" (angemessener) Forschungsmethoden.
100
"Als ‚differenzerzeugendes Programm’ (Luhmann 1994, S. 645) ermöglicht die managementwissenschaftliche Betrachtung
eine nicht-willkürliche, komplexe Beschreibung der Praxissituation, die nicht von den vordefinierten Problemen und
Lösungsalternativen mit den dahinter liegenden Annahmen abhängt. Wissenschaft läuft dann eher im Hintergrund mit und
schützt den praxisorientierten Forscher davor, von den sozialen Systemen der Praxis absorbiert zu werden" (Nicolai 2004, S.
110).
101
Für einen vertieften Einblick bietet sich Rüegg-Stürm 2001, S. 15 ff. und die dort angegebene Literatur an.
102
von Krogh/Roos (1995, S. 12 ff.) setzen "abbildtheoretisches Paradigma" und "Kognitivismus" gleich.
103
Gemäss dem von Burell/Morgan (1979) entwickelten Framework von "Paradigmen" der Entwicklung Sozialer Theorien:
Radical humanism; radical structuralism; interpretive paradigm; functionalism.
112
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
Das sozial-konstruktivistische Paradigma stützt sich auf ein ontologisches Verständnis,
in dem es keine vom beobachteten Subjekt unabhängige Welt gibt (vgl. Rüegg-Stürm
2001, S. 23). Die Welt ist ein sozial konstruiertes "Produkt" von Sprache, Diskursen, Beziehungs- und Kommunikationsprozessen, das laufend von den sozialen Akteuren gemäss ihren Normen, Werten und Erfahrungen interpretiert und verändert wird. Das epistemologische Ziel lautet somit folgendermassen: Entscheidend bei der Sichtweise der
Realität als soziale Konstruktion ist der Prozess, wie Realität "produziert" wird (vgl. Rüegg-Stürm 2001, S. 20 ff.; Dachler/Hosking 1995, S. 1). Im Vorgriff auf die Ausführungen zur Auswahl der empirischen Methoden (Experteninterviews, Fallstudien, Expertenworkshop, vgl. hierzu Kapitel 5) sei hier angemerkt, dass das Beobachten von Prozessen
der Verfertigung von Wirklichkeit und Wissen (Struktur als Wirklichkeitsordnung und
lokale Theorie), sowie die in diesen "Verfertigungsprozessen" (Handlung als Prozesse
der Wirklichkeitskonstruktion) zur Anwendung kommenden sozialen Praktiken von
zentraler Bedeutung sind, im Hinblick auf die Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen.104
Diese Positionierung erfolgt auch mit dem Verweis auf Kuhn (1976, S. 211), nach welchem über die Richtigkeit von wissenschaftlichen Methoden und Theorien nicht mit
Hilfe allgemeingültiger (letztinstanzlicher) Beweisregeln - im Sinne eines "neutralen Algorithmus" oder "systematischer Entscheidungsverfahren" - geurteilt werden kann. Solche "Entscheidungen" für oder gegen eine Position implizieren jedoch nicht eine Geringschätzung anderer Forschungsarbeiten, die abweichende Theorien und Methoden ihrer
Tätigkeit zu Grunde legen. Denn es gilt einerseits: "Jede Argumentation und jede Beobachtung beginnt mit einer Unterscheidung, die irgendeinmal nicht mehr auf weitere
Unterscheidung (und damit Gründe) zurückgeführt werden kann" (Rüegg-Stürm 2001,
S. 16 f.)105. Zum Anderen sind Forschende auch durch die Wahl der Gemeinschaft, in der
104
Aus systemtheoretischer Sicht lässt sich bestätigend ergänzen, dass Systeme (z. B. Stiftungen) nicht als Gegebenheiten
betrachtet werden, sondern vor allem aus den Perspektiven "Erkenntnisgewinnung", "Wissen" und "Sprache untersucht
werden. Entscheidend für die Forscher ist dann, alles was z. B. in Interviews gesagt wurde, in den Aussagenzusammenhang
zu stellen ("Wie ist die Aussage zustande gekommen?"). Ein System ist so nicht mehr die Summe aus zeitüberdauernden
Entitäten (z. B. Personen, Abteilungen, Handbücher), sondern besteht aus "in den Fluss der Zeit eingebetteten" Ereignissen",
wie Kommunikationen, Entscheidungen oder Handlungen (Aktivitäten). (vgl. Rüegg-Stürm 2001, S. 81 und die dort angegebene Literatur).
105
Ähnlich beschreiben Biedermann/Müller (1988) diese Grenze hin zum "Nicht-Mehr-Hinterfragbaren" für den Bereich der
Rationalitäten in der Führung, wo die "reine", analytische Rationalität nicht ausreicht, um bestimmte Führungsphänomena
(also Entscheidungen und Handlungen von Führungskräften) zu verstehen und zu erklären. Bardmann (1994) spricht im
Zusammenhang mit dem Beobachten von einer notwendigen "Leitdifferenz", die getroffen werden muss, aber nicht mehr begründet werden kann.
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
113
sie sich bewegen, "vorgeprägt" hinsichtlich der Wahl des Wissenschaftsparadigmas und
in der Verwendung bestimmter Methoden (Rüegg-Stürm 2001, S. 17) - und in dem
"what we choose to study, how we choose to study it, what literature we do or do not
read, how and with whom we develop relationships in research sites, what we are capable of seeing and making sense of, how we make connections between concepts and
data, our capacities for intuition, insight, persistence, craftiness, and courage in getting
into and out of research situations, and the extent to which our research is useful for
theoretical development and practice” (Pettigrew 1985, S. 223, der diese Grundentscheide als "root assumptions” bezeichnet).
4.3
Implikationen auf die Forschungsmethodologie
Wenn nun der Prozess der empirischen Forschung in den Mittelpunkt gerückt wird, also
die systematische Erkenntnisgewinnung106, steht an dessen Ende der Wunsch,
"brauchbares Wissen über ‚die’ Wirklichkeit" (Rüegg-Stürm 2001, S. 21) zu erlangen.
Anders formuliert sind empirische Ergebnisse Aussagenzusammenhänge, die sich auf
Erfahrung(en) beziehen (Hug 2001) und sich an ihnen plausibilisieren lassen (Wienold
1994; S. 165). Die zentralen Begriffe sind gemäss den oben dargelegten Positionen hinsichtlich Ontologie und Epistemologie somit Wissen, Erkennen und Wirklichkeit. Wie
wird nun bei einem Forschungs-"Problem" wie der Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen vorgegangen, das sich auszeichnet durch hohe Komplexität, begründet durch eine Vielzahl sich z. T. konkurrierenden Rationalitäten, durch sektorale
und organisationale Defizite und sich daraus ergebenden Paradoxien und durch eine
starke Kontextabhängigkeit (vgl. Kap. 6).
Als Konsequenz der oben dargelegten Position folgt, dass "die" Wirklichkeit nur durch
direkten Zugang zu den in einem sozialen System(verstanden als "Ordnung sozialer Beziehungen über Raum und Zeit hinweg") involvierten Personen erfahrbar wird. Es geht
mithin darum, "to understand phenomena through accessing their meanings that participants assign to them" (Orlikowski/Baroudi 1991, S. 5). Erkennen und verstehen ist somit
ein gemeinsames Ergebnis der Forschenden und der in das Forschungsvorhaben invol106
Hier verstanden als planvolles, regelgeleitetes, intersubjektiv nachvollziehbares Vorgehen im Gegensatz zu einem naiven
und unsystematischen, auf Zufällen beruhenden Vorgehen.
114
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
vierten Personen ("Ko-Produktion von Wissen", vgl. Rüegg-Stürm 2001, S. 23; Dachler
1992). Demnach wird deutlich, dass "[…] participants as well as researchers possess
critical knowledge and possess self-reflective attributes” (Small 1995, S. 945). Eine enge
Lernpartnerschaft zwischen Forschern und Praktikern entsteht, denn: "our practitioner
communities help us to ground our ideas in the real world, a place where our "data”
originated and where our future phenomenological questions will emerge. Together, all
our communities provide inspiration, emotional support and intellectual challenge.
Without them, our work would be unsustainable” (Hoffman 2004, S. 217).
Aus den oben dargelegten Punkten folgt eine hermeneutisch-interpretative Forschungsmethodologie107 als die in diesem spezifischen Fall - für diese spezifische Forschungsfrage und auf Grundlage der oben beschriebenen ontologischen und epistemologischen
Positionen - angemessene Methodologie (vgl. Morgan/Smircich 1980, S. 492; Darke et
al. 1998, S. 276; Rüegg-Stürm 2001, S. 23). Dies impliziert im Weiteren die Verwendung "feldnaher, kontextsensitiver Forschungsmethoden, die in der Lage sind, der Komplexität und Kontextbezogenheit sozialer Prozesse durch Erarbeitung reichhaltiger,
‚dichter’ Beschreibungen möglichst gerecht zu werden" (Rüegg-Stürm 2001, S. 67).
"Dichte Beschreibungen" (vgl. Geertz 1983) werden hier verstanden als Gegensatz zu
"dünnen Beschreibungen", d. h. der reinen Fülle von Daten und Beobachtungen. Mit
Hilfe hermeneutischer Rekonstruktionen wird mit einer dichten Beschreibung versucht,
"die intendierten Bedeutungen und den sozialen Sinn herauszuarbeiten und in einer
Weise darzustellen, die die Leser mitten hinein versetzt in das Geschehen, ihnen einen
Zugang zur Gedankenwelt und Alltagserfahrungen der untersuchten Subjekte eröffnet
und dabei den kulturellen Gesamtkontext erschliesst" (Friebertshäuser 2003, S. 33). Nur
dann ist es wohl möglich, die von den Forschern identifizierten und beschriebenen Herausforderungen zu verstehen und einordnen zu können, sowie die davon abgeleiteten
107
Manche Autoren benennen die methodologische Position der interpretativen hermeneutischen Vorgehensweise auch mit dem
"generellen" Begriff der "qualitative research" (z. B. Morgan/Smircich 1980, S. 497 ff.; Miles/Huberman 1984, S. 10 ff.;
Bryman/Burgess 1999, S. IX ff.), wobei die Autoren dieser Arbeit den Begriff "qualitativ" nach der hier zu Grunde liegenden
Logik auf den Bereich der Forschungsmethoden beschränken, da die Methodologie als "Metaebene" nicht auf die Simplifizierung quantitativ-qualitativ beschränkt werden kann – und der Zusatz "research" zuwenig Unterscheidung aufweist zu
"method". Zur Verdeutlichung hierzu Morgan/Smircich (1980, S. 499): "The range of possible approaches to qualitative research indicates clearly that the dichotomization between qualitative and quantitative methods is a rough and oversimplified
one. Qualitative research stands for an approach rather than a particular set of techniques, and its appropriateness – like that
of quantitative research – is contingent on the nature of the phenomena to be studied.” Silverman (2000, S. 11) sieht das ähnlich: "[…] I view most of such dichotonomies or polarities [also die Einteilung in entweder quantitativ oder qualitativ orientierte Forscher] in social science for highly dangerous." Deshalb wird hier für "research” der Begriff der – in diesem Falle
hermeneutisch-interpretativen – Forschungsmethodologie verwendet.
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
115
Analysen und Konklusionen in Form von Praktiken und Tools bewerten und anwenden
zu können. Dies spricht für eine Verwendung von Methoden wie z. B. Experteninterviews, Fallstudien oder Expertenworkshop, wie sie in diesem Forschungsprojekt verwendet werden (vgl. hierzu auch Kap. 5).
Die Entscheidung für einen hermeneutisch-interpretativen Ansatz wird zusätzlich unterstützt durch Hollis (1994, S. 151 ff.), nach dem in einem interpretativen Ansatz die Forscher Daten über die Akteure im "Feld" sammeln, um so in der Lage zu sein, die gelebten Praktiken im spezifischen Kontext zu analysieren. Oder einfach gesagt: "It [ein hermeneutisch-interpretativer Ansatz] simply stands for the business of interpretation" (Addison 1992, S. 110). Ein hermeneutisch-interpretatives Vorgehen, das eine aktive Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Praktikern anstrebt ("entering into an active
dialogue with research participants", Addison 1992, S. 113), um auf diese Weise in ein
Stadium zu gelangen, in dem Werte und Normen, die den sozialen Strukturen und Prozessen zu Grunde liegen, erkennbar werden, führt zu partnerschaftlich entwickelten "Rekonstruktionen" der Wirklichkeit (vgl. hierzu auch Sayer 1992, S. 43; Rüegg-Stürm
2001, S. 64 ff.). Hier schliesst sich auch der Kreis zur oben zitierten Beschreibung der
angewandten Wissenschaft von Hans Ulrich, nach der eines der Ziele angewandter Wissenschaft die Entwicklung von Gestaltungsmodellen ist "für eine erst zu schaffende Realität" (Ulrich 1984, S. 172).
Durch diese Involvierung in den Forschungsprozess kann ein Objektivitätsanspruch, wie
er häufig für das abbildtheoretische Paradigma geltend gemacht wird (vgl.
Strodtholz/Kühl 2002), nicht aufrechterhalten werden.108 Demgegenüber steht ein handlungsleitendes Forschungsinteresse, das nicht darauf ausgerichtet ist, "wie die Wirklichkeit im Forschungsfeld objektiv aussieht", sondern ein Bestreben darstellt, "die Kontingenz der fraglos gültigen Wirklichkeitsordnung sichtbar zu machen und dabei mit den
Betroffenen Optionen für alternative Konstruktionen zu erfinden" (Rüegg-Stürm 2001,
S. 63). Auch gilt die subjektive Wahrnehmung der Forschenden nicht als Störquelle,
"sondern als selbstverständlicher Bestandteil des Forschungsprozesses. Der Wissenschaftler ist […] selbst in die Deutungs- und Interaktionsprozesse der Organisation eingebunden. Da seine Forschungsergebnisse beständig neue Wirklichkeitskonstruktionen
108
Für eine kritische Betrachtung des im abbildtheoretischen Paradigma vorherrschenden Objektivitätsanspruches – und schliesslich die Widerlegung dessen – siehe Rüegg-Stürm (2001, S. 61 ff.) und die dort angegebene Literatur.
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
116
und Bedeutungszusammenhänge kreieren, nimmt er unweigerlich an der Konstituierung
seines Forschungsgegenstandes teil" (Strodtholz/Kühl 2002, ähnlich auch Rüegg-Stürm
1998 und Bryman 1999, S. 39, der dieses Vorgehen mit dem Begriff "going native" umschreibt).
4.4
Organisationsverständnis
Neben dem oben dargestellten wissenschaftstheoretischen Verständnis ist eine weitere
notwendige Grundvoraussetzung für eine wissenschaftliche, d. h. strukturierte und reflektierte Aufarbeitung des "Forschungsgegenstands" einen entsprechenden organisationstheoretischen Bezugsrahmen zu explizieren, da das Management von Stiftungen nicht
im "luftleeren Raum" stattfindet.
Wie werden Stiftungen in dieser Arbeit aus organisationstheoretischer Perspektive gesehen? Welches sind konstituierende Merkmale von Organisationen, so wie sie von Wissenschaftlern in ihrer Funktion als "Beobachter" wahrgenommen, beschrieben und
analysiert werden, so dass schliesslich Schlussfolgerungen daraus gezogen werden
können? Denn: "Wenn immer Menschen beobachten, starten sie diesen Prozess stets mit
einem bestimmten biographischen Wissensvorrat, der es ihnen erlaubt, beim Beobachten
sinnvolle Unterscheidungen zu treffen und hilfreiche Kategorisierungen vorzunehmen.
Die resultierenden Beobachtungen können ihrerseits zur Entwicklung neuer Kategorien
führen, die das Treffen differenzierterer oder neuartiger Unterscheidungen ermöglichen
usw." (Rüegg-Stürm 2001, S. 73, und die dort angegebene Literatur).
Stiftungen werden in dieser Arbeit von einer "interpretativ-hermeneutischen, prozessorientierten und polykontexturalen Sichtweise her" interpretiert (Rüegg-Stürm 2001, S. 117
und die dort angegebene Literatur). Dieser Sichtweise liegt die Strukturationstheorie von
Giddens
(1984;
1995)109
zu
Grunde,
die
auch
das
hier
verwendete
Organisationsverständnis kennzeichnet.
109
"Giddens’ Theorie der Strukturierung ist (als Meta-Theorie) – wie Luhmanns Theorie sozialer Systeme (1994) – nicht
unmittelbar auf organisationstheoretische, sondern primär auf soziologische Fragestellungen ausgerichtet. Nichtsdestoweniger vermag auch sie der Organisationstheorie und der Managementlehre wertvolle Einsichten und Impulse zu vermitteln"
(Rüegg-Stürm 2001, S. 90f. und die dort angegebene Literatur). Zur Strukturationstheorie von Giddens als Meta-Theorie bieten sich die Werke von Rüegg-Stürm (2001) und Schumacher (2003) als Lektüre an. Beide diskutieren vertieft konstruktiv-
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
117
In der Organisationstheorie hat in den vergangenen Jahren die Strukturationstheorie von
Giddens (1984; 1995) eine grosse Bedeutung erlangt.110 An dieser Stelle kann und soll
jedoch nicht die gesamte Theorie dargestellt werden, sondern nur diejenigen Konzepte
und Theoreme hervorgehoben werden, die für die in diesem Forschungsprojekt verfolgten organisations- und managementspezifischen Fragestellungen notwendig und hilfreich
sind.111 Für eine umfassende Betrachtung und Diskussion der Strukturationstheorie von
Giddens sei verwiesen auf die Beiträge von Schumacher (2003), Rüegg-Stürm (2001),
aber auch auf frühere Werke, z. B. von Craib (1992), Bryant/Jary (1991),
Clark/Modgil/Modgil (1990) oder Held/Thompson (1989) - und natürlich auf Giddens
(z. B. 1984, 1995).
Im Mittelpunkt der Strukturationstheorie steht das Verhältnis von Struktur und Handlung. Die organisationalen Strukturen, die dem Prozess der Strukturierung zu Grunde liegen, werden durch die organisationalen Handlungen hervorgebracht. Beide Aspekte,
Struktur und Handlung, sind also zwei Seiten ein und derselben Medaille: der Strukturierung oder des Organisierens. "Entscheidend für den Begriff der Strukturierung ist das
Theorem der Dualität von Struktur. […] Die Konstitution von Handelnden und Strukturen betrifft nicht zwei unabhängig voneinander gegebene Menge von Phänomenen - einen Dualismus - sondern beide Momente stellen eine Dualität dar. Gemäss dem Begriff
der Dualität von Struktur sind die Strukturmomente sozialer Systeme sowohl Medium
wie Ergebnis der Praktiken, die sie rekursiv organisieren", so Giddens 1995, S. 77). Folgende Situation kann als erläuterndes Beispiel für den Prozess der Strukturierung dienen:
Durch das Einhalten von z. B. thematischen Zuständigkeitsbereichen in einer Stiftung im
Rahmen des "alltäglichen" Arbeitsprozesses der Sichtung von Anträgen wird diese
istische Zugänge (Systemtheorie und Strukturationstheorie) zu Organisation (und Wandel) sowie die zu Grunde liegenden
erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Grundüberlegungen.
110
"Autoren wie Ortmann, Sydow, Windeler und Türk sehen hier ein geeignetes Theorieraster, um verschiedene
organisationstheoretische Ansätze zu systematisieren, aneinander anzuschliessen (Ortmann 1995; Ortmann/Sydow/Türk
1997) und so zunächst Machtprozessen in Organisationen (Ortmann/Windeler/Becker/Schulz 1990), dann aber auch den
wechselseitigen Konstitutionsverhältnissen und Re/Produktionsprozessen zwischen Organisationen, Institutionen und der
Gesellschaft insgesamt auf die Spur zu kommen (Ortmann/Sydow/Windeler 1997)", so Holtgrewe (2000, S. 42) in ihrer umfangreichen Analyse der Strukturationstheorie von Giddens.
111
Giddens legt im Übrigen auf die Bezeichnung "social theory" statt "sociological theory" oder gar "organizational theory"
grossen Wert. Denn "es geht in der Strukturationstheorie darum, Themen aufzugreifen, die das Anliegen aller Sozialwissenschaften (und nicht nur der Soziologie) sind und sogar in die Philosophie ausgreifen" (Behr 1997, S. 5f). Giddens selbst fasst
dies folgendermassen zusammen: Structuration theory "is the label I attach to my concern to develop an ontological framework for the study of human social activities. By ‘ontology’ here, I mean a conceptual investigation of the nature of human
action, social institutions and the interrelations between action and institutions” (Giddens 1991, S. 201). Die Strukturationstheorie kann daher als Meta-Theorie bezeichnet werden, wie auch Rüegg-Stürm (2001, S. 90) feststellt.
118
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
Grenzziehung (Zuständigkeitsgrenzen) kontinuierlich als "Struktur" reproduziert und
bestätigt (angelehnt an Schumacher 2003, S. 106).
Es entsteht also eine soziale Struktur oder Strukturiertheit, generiert durch Handlungen
von kompetenten, reflektierenden Akteuren, die wissen und erklären können, was sie tun
- soziales Handeln als diskursive und interpretative Beziehungs- und Kommunikationsprozesse. Die Akteure können ihre Handlungen aufgrund ihres Handlungsvermögens
(capability) grundsätzlich beeinflussen und beständig über die handlungsrelevanten Wissensbestände (knowledgeability) steuern. Dabei zeichnet sich menschliches Handeln
durch eine Kontingenz aus, d. h. "dass es immer auch anders sein könnte; menschliches
Handeln ist nie ein von Strukturen determiniertes Geschehen, sondern Menschen verfügen grundsätzlich stets über Handlungsvermögen" (Rüegg-Stürm 2001, S. 94).
Die Prozesse der Strukturation erfolgen reflexiv, wie Ortmann et al. anmerken, denn "die
Formulierung und Etablierung von Regeln und die Bereitstellung von Ressourcen erfolgt
reflektiert, das heisst, die Strukturation ist im Falle von Organisationen - gleichwohl nur
partiell intendiertes - Resultat einer um Zweckmässigkeit bemühten Reflexion" (Ortmann/Sydow/Windeler 1997, S. 317 - zit. in Holtgrewe 2000, S. 38). Die Zweckmässigkeit drückt sich dabei durch ausgewählte Zwecksetzungen aus, wobei zum einen die zu
Grunde liegende Rationalität grundsätzlich begrenzt ist (vgl. March/Olsen 1976), zum
anderen jegliche Zweckrationalität Resultat vorangegangener Strukturationsprozesse ist.
Es ergeben sich so keine Handlungserfordernisse und konkrete Anleitungen, sondern ein
"Handlungskorridor", in dem Probleme als Probleme erkannt und verarbeitet werden sowie entsprechende Lösungen entwickelt und bewertet werden können.112 Diese
Problemlösungen werden "den in der Organisation Handelnden qua Mitgliedsrolle und
Zuständigkeit Probleme und Lösungswege vorgeben. Damit werden nicht nur die Freiheitsgrade ihres Handelns beschränkt, vielmehr ermöglicht das organisierte Handeln
auch Entlastung und Leistungssteigerung. Organisation bedeutet demnach eine bestimmte Verfasstheit des Handelns", so Holtgrewe (2000, S. 38).
112
Zur Verdeutlichung eine interessante Metapher von Behr (1997, S. 11): "Ein Flussbett stellt die Begrenzungen für das darin
fliessende Wasser dar, welches (durch Stromschnellen, Wasserstrudel etc.) eine innere Dynamik aufweist und sowohl das
Ufer des Flusses bestimmt (welches eine gewisse Kontinuität aufweist und den Fluss erst als Fluss definiert), als auch dessen
Verlauf mehr oder weniger schnell verändern kann (Überschwemmungen). Unter einem Fluss (Strukturation) versteht man
also sowohl das Flussbett (Struktur) als auch das Wasser (Akteure), welches ständig in Bewegung ist. Den Flussströmungen
entsprechen "soziale Praktiken", die Ausdruck des dynamischen Wechselspiels zwischen Handlung und Struktur sind.
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
119
Auf der anderen Seite stellen die Strukturen (oder besser: Strukturmomente) "Regeln"
und "Ressourcen" dem Handeln erst "Material” zur Verfügung. Dabei können Strukturen
sowohl ermöglichend als auch einschränkend wirken. Die Prozesse der Strukturation
(des Organisierens) sind also rekursiv, d. h. zirkulär aufeinander bezogen. Denn: "In und
durch Handlungen reproduzieren die Handelnden die Bedingungen, die ihr Handeln ermöglichen." (Giddens 1995, S. 52). Die Rekursion umfasst dabei auch, "dass es nicht intendierte Handlungsfolgen und undurchschaute Handlungsvoraussetzungen gibt, und
auch, dass Strukturbildungen in Zeit und Raum weit über die Reichweite der Handlungen einzelner Akteure hinausweisen" (Holtgrewe 2000, S. 37).
Zum weiteren Verständnis und zur zielführenden "Nutzung" der Strukturationstheorie
von Giddens als "Brille" der empirischen Forschung sollen neben dem kurz thematisierten Handlungsbegriff von Giddens noch die Begriffe "Struktur(en)" und "Soziale Praktiken" erläutert werden. Zur Einleitung ein Zitat von Schumacher (2003, S. 111), das noch
einmal den Zusammenhang von Strukturen, Handlung und sozialen Praktiken aufzeigt:
"Für Giddens sind Strukturen […] keine eigenständigen virtuellen Entitäten, sondern
verwirklichen sich in einem "immer währenden Prozess" der "rekursiven Reproduktionen von Praktiken" im Handeln. Es sind typisierte Handlungen, die auch in anderen Situationen eine Art Mustervorlagen darstellen und auch von anderen Akteuren erkannt und
benutzt werden können. Dadurch werden die sozialen Praktiken über Raum und Zeit hinweg identisch reproduziert und bleiben erhalten. Systeme haben somit nur insofern
Strukturen, als diese Strukturmomente sich in Praktiken realisieren und in Erinnerungsspuren erhalten bleiben. […] Handeln wird in diesem Zusammenhang verstanden nicht
als eine Reihe diskreter, intentionaler einzelner Akte, sondern als eine kontinuierliche
Sequenz sozialer und aufeinander bezogener Praktiken. Die Akteure sozialer Systeme reproduzieren die Strukturen durch ihre Handlungen."
Was jedoch sind Strukturen, hier verstanden als die Strukturmomente "Regeln" und
"Ressourcen"? Man kann sich einer Antwort nähern, indem man darstellt, was Giddens
wohl nicht unter Strukturen versteht (vgl. Craib 1992, 40 f.). Ein Verständnisproblem
beim Begriff "Struktur(en)" ist, dass Giddens einen in der Praktikerwelt durchaus gängigen Begriff verwendet, ihn aber mit einer relativ neuen (anderen) Bedeutung versieht.
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
120
Angelehnt an Behr (1997, S. 15 f.) kann festgehalten werden, dass Strukturen
ƒ keine objektive Existenz ausserhalb der Akteure haben, sondern sie werden immer durch Akteure reproduziert. Technologie, verstanden als Struktur, ist z. B.
nicht unabhängig von Akteuren in Organisationen zu verstehen, da sie durch Akteure interpretiert, eingeführt und als Ressource für deren Handeln genutzt wird.
Gleichzeitig setzt sie jedoch durchaus bestimmte Grenzen für das Handeln der
Akteure.
ƒ keine gesetzesartigen Regelmässigkeiten aufweisen. Strukturen haben sowohl ermöglichenden als auch begrenzenden Charakter für das Handeln von Akteuren
und werden von diesen rekursiv reproduziert, wie oben bereits dargelegt wurde.
Durch diesen Zusammenhang ist es jedoch immer möglich, dass Akteure "anders
handeln", als es der "Logik" einer Struktur entsprechen würde (Kontingenz
menschlichen Handelns).
ƒ keine sichtbaren (also empirisch direkt beobachtbaren) Muster oder sozialen Handelns sind. Diese Muster sind für Giddens vielmehr Merkmale von Systemen: Soziale Systeme sind "reproduzierte Beziehungen zwischen Akteuren oder Kollektiven, organisiert als regelmässige soziale Praktiken" (Giddens 1995, S. 77).
Strukturen im Sinne Giddens sind also nicht mit dem zu verwechseln, was allgemein unter "Organisationsstruktur" verstanden wird. Auch Behr (1997, S. 15 f.) hält fest: "Giddens’ Strukturverständnis entspricht damit nicht dem in der Organisationstheorie verbreiteten (Loose/Sydow 1994, S. 173; Kieser 1993; Türk 1989), sondern es orientiert
sich eher an der poststrukturalistischen Idee, dass Strukturen ‚Schnittpunkte von Gegenwärtigem und Abwesendem’ darstellen, deren zu Grunde liegende Codes aus Oberflächenerscheinungen erst abgeleitet werden müssen (Giddens 1995, S. 68). Strukturen sind
daher im Sinne einer virtuellen Ordnung zu verstehen. Sie sind als ‚Erinnerungsspuren’
im Bewusstsein der Akteure vorhanden und orientieren als Regeln und Ressourcen deren
Handeln. Erst durch die Bezugnahme von Akteuren auf solche Regeln und Ressourcen
werden Strukturen in soziale Praktiken umgesetzt und erhalten auf diese Weise systemischen, d. h. empirisch beobachtbaren Charakter" (Neuberger 1995, S. 320). Doch gibt es
neben diesen Erinnerungsspuren auch "materialisierte Strukturen", "die physisch greifbar, zeitüberdauernd und personenunabhängig, z. B. in schriftlichen Festlegungen, in
Artefakten, in einer bestimmten Gestaltung des Arbeitsplatzes und in einer bestimmten
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
121
Infrastruktur ganz allgemein (Informationstechnologie, Produktionslayout, Maschinenpark usw.) verkörpert werden" (Rüegg-Strüm 2001, S. 362).
Strukturen werden bei Giddens durch Regeln und Ressourcen definiert. Beide Begriffe
bedürfen ebenfalls einer kurzen Erläuterung (wiederum angelehnt an Behr 1997, S. 17
f.). Regeln sind methodische Verfahrensweisen sozialer Interaktion, die bei der Ausführung und Reproduktion sozialer Praktiken angewendet werden und auf die sich der Akteur primär über sein praktisches Bewusstsein in seinem Handeln bezieht (Giddens 1995,
S. 73, ähnlich auch Rüegg-Stürm 2001, S.100 ff.). Sie werden von Akteuren interpretiert
und sind nur in deren Handeln erkennbar. Die Regeln geben "den Handelnden somit ein
praktisches Wissen an die Hand, wie sie sich in einem entsprechenden Kontext angemessen und kompetent verhalten können. […] Die Regeln werden als Handlungsmuster beständig sozial reproduziert, entziehen sich aber andererseits dem direkten bewussten
Zugriff und somit einer allzu simplen intentionalen Veränderung durch die Beteiligten",
so Schumacher (2003, S. 112) zusammenfassend.
Giddens teilt schliesslich Regeln in zwei Gruppen ein (vgl. Behr 1997, S. 17), in Regeln
der Signifikation und Regeln der Legitimation:
ƒ Signifikationsregeln ermöglichen als "interpretative Schemata" die "Verstehbarkeit" von Informationen. Sie tragen zur Konstituierung von Sinn in sozialen Systemen bei.
ƒ Legitimationsregeln dagegen begründen die normative Ordnung eines Systems
und damit die routinemässige moralische Beurteilung sozialer Phänomene und
Situationen.
Regeln sind zudem nicht ohne die Bezugnahme auf Ressourcen zu konzeptionalisieren,
denn soziale Praktiken beziehen sich zwar auf Regeln, die die Kontinuität sozialer Praktiken definieren, können aber nur durch handelnde Akteure sichtbar gemacht werden,
was immer den Bezug auf Ressourcen bedeutet.
Wissenschaftstheoretische Grundannahmen
122
Diese teilt Giddens auf in allokative und autoritative Ressourcen (vgl. Behr 1997, S. 17
f.):
ƒ Allokative Ressourcen ermöglichen (wenn man sie zur Verfügung hat) oder
begrenzen (wenn sie einem fehlen) die (immer begrenzte) Kontrolle über materielle Merkmale der Umwelt, insbesondere Produktionsmittel, Rohstoffe, Güter
oder Geld.
ƒ Autoritative Ressourcen beziehen sich dagegen auf Macht über Personen, gespeicherte Daten, bürokratische Prozeduren, Leitbilder, Informationen, verbreitete
Managementideologien oder Belohnungs- und Beurteilungssysteme.
Wie sehen nun die Auswirkungen auf das empirische Vorgehen aus, auf der Grundlage
des oben dargestellten Verständnisses von Organisationen? Nach Giddens werden soziale Praktiken zwar durch bewusst und intentional handelnde Akteure hervorgebracht,
diese handeln jedoch immer in einem strukturell-kulturellen Kontext, der sie allerdings
wiederum nicht determiniert, sondern sowohl ermöglichenden (enabling) als auch
begrenzenden (constraining) Charakter hat. Die Struktur (Organisiertheit) existiert erst
durch das Handeln und in der Handlung der Akteure, d. h. in der Anwendung sozialer
Praktiken. Das Handeln wiederum wird auch erst durch die Existenz von Struktur (Verfügbarkeit von Regeln und Zugriff auf Ressourcen) und in der Bezugnahme auf diese
ermöglicht. Um die zeitresistenten Strukturen (Wirklichkeitsordnung) sozialer Systeme
zu untersuchen, muss man erheben, auf welche Art und Weise das System durch zeitkontingente Handlungen (Wirklichkeitskonstruktionen), also über die Anwendung von
Regeln und Ressourcen in sozialen Praktiken, produziert und reproduziert wird.113 Dieses Verständnis weist im Übrigen wiederum auf die Verwendung von feldnahen, kontextsensitiven Forschungsmethoden hin, wie Experteninterviews, Fallstudien und Expertenworkshops (vgl. hierzu ausführlich Kap. 5).
113
Giddens bezeichnet diese Art der Analyse der Strukturierung als Strukturanalyse, im Gegensatz zur Handlungsanalyse, die
die Welt der Akteure zu rekonstruieren versucht. Es geht, so Schumacher (2003, S. 113), um interpretatives Verstehen der
Handlungen "durch die Rekonstruktion von Handlungssteuerung, -gründen und -motiven" der Akteure, was für die Verwendung von ethnographischen Methoden spricht.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
123
"Das Festhalten an der subjektiven Perspektive ist die einzige,
freilich auch hinreichende Garantie dafür,
dass die soziale Wirklichkeit nicht durch eine fiktive,
nicht existierende Welt ersetzt wird,
die irgendein wissenschaftlicher Beobachter konstruiert hat."
Alfred Schütz
in "Zur Theorie sozialen Handelns"
(Schütz/Parsons 1977, S. 65)
5
Empirisches Design und verwendete
Forschungsmethoden
Dem explorativen Charakter des Forschungsprojekts wird insbesondere durch die bereits
oben erwähnte Verwendung "feldnaher, kontextsensitiver Forschungsmethoden, die in
der Lage sind, der Komplexität und Kontextbezogenheit sozialer Prozesse durch Erarbeitung reichhaltiger, "dichter" Beschreibungen möglichst gerecht zu werden" (RüeggStürm 2001, S. 67), Rechnung getragen. Diese Art von Methoden, die oft auch mit dem
Begriff der qualitativen Forschungsmethoden zusammengefasst werden, eigenen sich besonders für die Erschliessung von komplexen Themenfeldern und von Ambiguität geprägten, bisher wenig erforschten Gebieten (allgemein hierzu: Brown/Eisenhardt 1997,
S. 2, spezifische Begründung für die hier vorliegende Arbeit: vgl. Kap. 3). Dies gilt
sowohl für Experteninterviews (Strodtholz/Kühl 2002) und Workshops, als auch im
Zusammenhang mit Fallstudien: "In these situations, when there is little known about a
phenomenon, theory building from case study research is particularly appropriate because theory building from case studies does not rely on previous literature or prior empirical evidence. […] In sum, building theory from case study research is most appropriate in the early stages of research on a topic" (Eisenhardt 1989, S. 548). Wie bereits beschrieben, stellt das Forschungsprojekt Foundation Excellence den Eintritt in ein bisher
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
124
wenig erforschtes und auf Grund der unterschiedlichen Handlungs- und Entscheidungsrationalitäten des Stiftungsmanagements komplexes Gebiet dar. Demzufolge stehen bei
Foundation Excellence die explorativen "Forschungstechniken" des leitfadengestützten
Experteninterviews, der explorativen Fallstudien sowie des Expertenworkshops im Mittelpunkt des Forschungsdesigns, denn: "direct involvement114 in organizations and the
use of human senses to interpret organization phenomena are necessary for discovering
new knowledge" (Daft 1983, S. 539). Insbesondere zur Plausibilisierung, Evaluation und
Einführung der Forschungsergebnisse werden Aktionsforschungsansätze (vgl. z. B.
Gummesson 2000; Whyte et al. 1991) in Form eines Expertenworkshops mit Praktikern
eingesetzt.
Als Überblick des Forschungsprojekts - in der "forschungs-alltäglichen" Konkretisierung
- wird zuerst der beobachtungsleitende Bezugsrahmen zusammenfassend dargestellt und
insbesondere auf die Erarbeitung des Interviewleitfadens eingegangen. Den zweiten
Schritt stellt die Erarbeitung eines zeitlich kohärenten Forschungsdesigns dar, der das
"Zusammenspiel" der einzelnen verwendeten empirischen Methoden aufzeigt. Dieser
Überblick ist auch als Erwartung der Forscher an sich selbst zu verstehen und deshalb
mit einem "Zeitstrahl" hinterlegt. Eine ausführliche Darlegung der verwendeten empirischen Methoden und Gütekriterien qualitativer Forschung runden dieses Kapitel ab.
5.1
Der beobachtungsleitende Bezugsrahmen von Foundation Excellence
Die Thematisierung des beobachtungsleitenden Bezugsrahmens beim vorliegenden Forschungsprojekt verfolgt zwei Ziele. Erstens soll transparent gemacht werden, mit welchem Verständnis und mit welcher Themensensibilität die Forscher sowohl bei der
Durchführung der empirischen Untersuchungen als auch bei der Auswertung der Daten
vorgehen. Zweitens werden dadurch auch "blinde Flecken" und Limitationen der Forschung expliziert - sowohl für die Forscher selbst als auch im Sinne einer nachvollziehbaren Aufbereitung des empirischen Materials im Rahmen von Beschreibungen, Interpretationen
114
und
Konklusionen.
Die
in
Kapitel
3.6
formulierten
Z. B. durch teilnehmende Beobachtungen, "Beratungsmandate" im Rahmen der Fallstudien.
Leitfragen
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
125
(Forschungsfragen) erfahren dadurch eine systematische Einbindung in die empirischen
Untersuchungen.
Der beobachtungsleitende Bezugsrahmen der empirischen Datenerhebung für das Forschungsprojekt ist geprägt durch das Wissenschaftsverständnis (vgl. Kap. 4.1) und die
ontologischen und epistemologischen Grundannahmen (vgl. Kap. 4.2) sowie den daraus
folgenden Implikationen hinsichtlich der Forschungsmethodologie (vgl. Kap. 4.3).
Des Weiteren setzt er sich aus folgenden fünf Bausteinen zusammen:
1. der in den Kapiteln 3.1 und 3.2 erläuterten Relevanz des Managements, das auf
den Säulen Gestalten, Lenken und Entwickeln beruht und zur Qualifizierung der
jeweiligen Organisation in ihrem spezifischen Milieu beiträgt.
2. den in Kapitel 3.3 identifizierten, allgemeinen Managementthemen der
Stiftungsliteratur im Sinne von "Suchfeldern" für die Empirie.
3. den in den Kapiteln 3.4 und 3.5 vorgestellten konzeptionellen Ansätzen zur
theoretischen Aufarbeitung des Managements von Stiftungen: eine General-Management-Perspektive, mit ihrer konzeptionellen und prozeduralen Durchgängigkeit, sowie der Verwendung von Managementmodellen zur Komplexitätsreduktion.
4. dem in Kapitel 4.4 erläuterten Verständnis von und über Organisationen, das die
Dualität von Struktur und Handlung in den Vordergrund stellt.
5. der Unit of Analysis des Forschungsprojekts. Auf Basis der in Kapitel 1.1 dargestellten Zielsetzung des Forschungsprojekts Foundation Excellence (Managementframework für Stiftungen) ergibt sich als sinnvolle und notwendige "Unit of
Analysis", d. h. als empirisch zu untersuchende Einheit, die einzelne Stiftung.
Entscheidend für die Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen
ist die Beschreibung und Analyse der Funktions- und Arbeitsweise, der alltäglichen gelebten Praktiken und der kommunikativen Diskurse in den einzelnen Stiftungen, mithin das Öffnen und Analysieren der "black box Stiftungen". Daran anschliessend können sinnvolle, kontextsensitive Konklusionen für das Stiftungsmanagement gezogen werden.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
126
In der jeweiligen Projektphase und unter Anwendung der entsprechenden Methode dienen diese Bezugspunkte als beobachtungsleitender Rahmen z. B. zur Erstellung des Interviewleitfadens bei den Experteninterviews (vgl. 5.3), von Analyserastern für die
Fallstudien, insbesondere bei den teilnehmenden Beobachtungen (vgl. Kap. 5.4) und des
Workshopprogramms des Expertenworkshops (vgl. 5.5). Der beobachtungsleitende
Bezugsrahmen wird so in gewisser Weise operationalisiert und konkretisiert in Abhängigkeit der jeweiligen Ziele der empirischen Phase. Er hat entscheidenden Einfluss auf
das, was beobachtet, als Datenmaterial gesammelt und anschliessend analysiert wird.
Denn: "We cannot obtain knowledge independent of our own judgment and social construction" (Daft 1983, S. 543).
5.2
Das Forschungsdesign Foundation Excellence
Der im Folgenden vorgestellte Zeitablauf diente dem Forschungsteam als Orientierung
während des gesamten Projekts. Er berücksichtigt einerseits die Implikationen aus forschungsmethodologischer Hinsicht und stellt eine sachlogische "Taktung" in Bezug auf
die ontologischen und epistemologischen Grundannahmen, den beobachtungsleitenden
Bezugsrahmen und die Problemstellung dar.
Andererseits werden zeitliche Ziele (Meilensteine) gesetzt. Zudem wurde eine gewisse
zeitliche "Taktung" des Projekts auch durch den Projekt-"Sponsor", die Gebert Rüf Stiftung, eingebracht, da die Finanzierung jeweils in Jahrestranchen überwiesen wird und
das Projekt eine Gesamtlaufzeit von 3 Jahren aufweist. Jeweils am Ende eines (Projekt-)
Jahres (Ende Oktober) wird ein Jahresbericht (Rechenschaftsbericht) verfasst. Das in den
folgenden Abbildungen vorgestellte Forschungsdesign visualisiert die Abfolge und das
Zusammenspiel der einzelnen Projektschritte und dem dazugehörigen empirischen Vorgehen.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
127
Die erste Phase (Makrokontext) fokussiert auf die Gewinnung von Daten über den
Schweizer Stiftungssektor, um dadurch die prekäre Datenlage etwas abzumildern. Die
Kenntnis des sektoralen Umfeldes von Stiftungen ist auch eine Grundvoraussetzung für
das Verstehen des einzelnen, spezifischen Kontexts von Stiftungen, die als "Unit of
Analysis" im Zentrum der empirischen Untersuchungen stehen. Neben der Erhebung der
Primärdaten zur Stiftungslandschaft Schweiz steht auch die Einarbeitung in die Stiftungsliteratur und das Knüpfen erster Kontakte zu anderen Forschungsinstitutionen, Verbänden und einzelnen Stiftungen im Vordergrund (vgl. Abbildung 5-1).
1. Phase: Übersicht Makrokontext
Inhaltsanalyse Stiftungszwecke (ca. 2.200 Stiftungen)
Stiftungen)
Î Zugang zum Sektor und Kenntnis über Stiftungstypen
SektorSektordaten
Desk Research/
Literatur Review
Okt
2002
Abbildung 5-1:
Nov
Dec
Jan
2003
Feb
Mar
Apr
May
Jun
Jul
Aug
Sep
Das Forschungsprojekt Foundation Excellence, 1. Phase
Die zweite Phase (Analyse und Interpretation) ist gekennzeichnet durch Experteninterviews (5.3) und explorative Fallstudien (vgl. Kap. 5.4) zur Gewinnung empirischer Daten als Grundlage für die Entwicklung eines Managementframeworks für Stiftungen. In
dieser Phase steht das "Eintauchen" in den Forschungskontext im Vordergrund (vgl.
Abbildung 5-2).
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
128
2. Phase: Analyse und Interpretation
ExpertenExperten-Interviews (33)
Î Handlungsfelder des Stiftungsmanagements
What Do
Managers
Do?
TestTestModell
I
Explorative Fallstudien (2 Stiftungen)
Stiftungen)
Î LebensweltLebenswelt-Analyse
Desk Research/
Literatur Review
Finalisierung und
Abgabe der Vorstudie
Okt
2003
Abbildung 5-2:
Nov
Dec
Jan
2004
Feb
Mar
Apr
May
Jun
Jul
Aug
Sep
Das Forschungsprojekt Foundation Excellence, 2. Phase
Die dritte Phase (Konklusion) steht im Zeichen der Ausgestaltung des Managementframeworks und der Plausibilisierung ("Ist das Managementframework und seine Ausgestaltung umfassend, praxisrelevant und -verständlich?") In einem ersten Schritt wird ein
Expertenworkshop durchgeführt (vgl. Kap. 5.5), in denen die Resultate vorgestellt und
kritisch-konstruktiv diskutiert werden, um schliesslich im weiteren Entwicklungsprozess
des Modells Eingang zu finden. Daneben diente auch der Forschungsaufenthalt in den
USA (drei Monate, je Universität sechs Wochen, vgl. Kap.5.5), an der Harvard University (bei Prof. Frumkin) und der UCLA (Prof. Anheier) einer intensiven Auseinandersetzung mit dem bisherigen Forschungsresultat (vgl. Abbildung 5-3).
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
129
3. Phase: Konklusion und Plausibilisierung
TestTestModell
II
Explorative Fallstudien (2 Stiftungen)
Stiftungen)
Î LebensweltLebenswelt-Analyse
Expertenworkshop
Forschungsaufenthalt
Î Feedback
Finales
Modell
Desk Research/
Literatur Review
Finalisierung und
Abgabe der Dissertation
Okt
2004
Abbildung 5-3:
5.3
Nov
Dec
Jan
2005
Feb
Mar
Apr
May
Jun
Jul
Aug
Sep
Das Forschungsprojekt Foundation Excellence, 3. Phase
Experteninterviews
Zu Beginn der empirischen Forschungsarbeit wurden Interviews mit Expertinnen und
Experten aus dem Stiftungsbereich durchgeführt. Diese Interviews dienten der explorativen Felderschliessung und der ersten Annäherung an das Thema "Management in Stiftungen". Ziel war es, dem beobachtungsleitenden Bezugsrahmen entsprechend (vgl. Kap.
5.1) in den identifizierten Themenfeldern (vgl. Kap. 3.3) nach zentralen Herausforderungen des Managements von Stiftungen zu suchen.
5.3.1
Die Methode der Experteninterviews
Mit Interviews werden Daten erhoben, die das Produkt verbaler Kommunikation sind.
Grundsätzlich kommt dabei dem Interviewten (Stiftungsexperten) die Aufgabe zu, aktiv
Ereignisse, Erfahrungen, Handlungen und Praktiken oder zusammengefasst die "Wirklichkeit" zu rekonstruieren (Bergmann 1985). Die Experteninterviews, eingesetzt in einer
explorativ-felderschliessenden Phase, stellen somit eine sinnvolle Möglichkeit dar, exklusive Einblicke in Strukturzusammenhänge und Entscheidungsprozesse von Hand-
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
130
lungssystemen (Stiftungen) im Sinne von "systematic knowledge about subjective experience" (Bryman 1999, S. 55) zu bekommen.
Als angemessenes Erhebungsinstrument beim Experteninterview hat sich ein
leitfadengestütztes offenes Interview bewährt, denn: "Auf jegliche thematische Vorstrukturierung zu verzichten, wie dies für biografisch-narrative Interviews kennzeichnend ist, brächte einerseits die Gefahr mit sich, sich dem Experten als inkompetenten
Gesprächspartner darzustellen, und würde andererseits dem auf funktionsbezogenes
Sonderwissen gerichteten, mithin thematisch begrenzten Erkenntnisinteresse nicht gerecht" (Meuser/Nagel 2003, S. 58).
Das Ziel der Interviews war dabei neben der Bestätigung erster literaturgestützter Hypothesen die "Entdeckung des Unbekannten" (Liebold/Trinczek 2002) - im Sinne von Aufgaben des Stiftungsmanagements. In einem Interview wird zudem gemeinsam Wissen
geschaffen, (Bryman 1999, S. 55; vgl. hierzu auch Kap. 4.3: "Ko-Produktion von Wissen", Rüegg-Stürm 2001, S. 23; Dachler 1992). Das Verständnis bei einem Interview ist
oft das eines einseitigen Frage-Antwort-Schemas. Dies gilt es jedoch aufzubrechen, insbesondere im Zusammenhang mit nicht-standardisierten Interviewformen, wie es hier
der Fall war.
Die Interviewer mussten dem Interviewpartner bewusst machen, dass auch persönliche
Erfahrungen oder das, was dem/der Interviewten "von sich aus" als interessant und erwähnenswert erscheint, den Forschenden neue Einblicke bieten kann (vgl. Honer 2003,
S. 95 ff.). Auf diese Besonderheit wurde auch bei den Anfragen zu den Interviews hingewiesen (vgl. Anhang A). Es kommt also auch auf die soziale und kommunikative
Kompetenz der Interviewer an, eine offene und entspannte Atmosphäre für das Gespräch
zu schaffen, ohne dabei die thematische Fokussierung und die Erkenntnischance im
Rahmen des Interviews ausser Acht zu lassen.
5.3.2
Anzahl und Auswahl der Interviewpartner
Beim Verfahren des Experteninterviews ist die Auswahl der Expertinnen/Experten von
zentraler Bedeutung. Typischerweise werden die Interviewpartnerinnen und -partner
nicht nach statistischen Regeln der Repräsentanz ausgewählt, sondern "im Hinblick auf
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
131
ihre - zunächst unterstellte, im Untersuchungsverlauf dann theoretisch begründete bzw.
zu begründende - perspektivische Typik. [...] z. B. im Hinblick auf Kompetenz-Kriterien
(etwa aufgrund von Ausbildung, Funktion, Position usw.), oder aufgrund der (stets bis
auf weiteres gemachten, also prinzipiell reversiblen) Annahme, dass sie über direkte,
persönliche, ‚spezielle‘ Erfahrungen zu einem in Frage stehenden Thema verfügen" (Honer 2003, S. 95). Experten sind also Personen, die "in irgendeiner Weise Verantwortung
für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung tragen
oder über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügen" (Meuser/Nagel 1991).
Die Experten, die im Rahmen von Foundation Excellence befragt wurden, zeichnen sich
alle durch eine hohe Affinität zum Stiftungswesen und -management aus. Es interessierte
vor allem das Praxiswissen und die Problemwahrnehmung von Personen, die unmittelbar
(Geschäftsführung, Stiftungsrat) oder mittelbar (Stiftungsexperten: Beratung, Aufsicht,
Politik) im Stiftungsbereich tätig sind. Die Befragung verschiedener Expertinnen/Experten derselben Organisation (Stiftung) sollte alternative Wahrnehmungen, Interessenpositionen und Sichtweisen kontrastieren (Mehr-Perspektiven-Ansatz). So wurden
möglichst die Geschäftsführerin/der Geschäftsführer der jeweiligen Stiftung als auch
Mitglieder des Stiftungsrates interviewt (vgl. Abbildung 5-4). Eine Gesamtübersicht mit der Einordnung der interviewten Personen nach Position und Funktion ist im
Anhang B abgelegt.
Kriterium
Ausprägung
Perspektivische Typik
Geschäftsführung
(inkl. Geschäftsführer, leitender Angestellter)
Stiftungsrat
(inkl. Fachbeirat, Präsident, Stifter)
Stiftungsexperte
(inkl. Aufsicht, Politik, Beratung, Wissenschaft)
Stiftungsgrösse
Klein
Æ Ausschüttungen
< CHF 500.000
Mittel
Æ Ausschüttungen
< CHF 2.5 Millionen
Gross
Æ Ausschüttungen
> CHF 2.5 Millionen
Abbildung 5-4:
Auswahlkriterien für die Experteninterviews
Der Umfang der Interviewreihe wurde auf eine realisierbare Anzahl an Interviews beschränkt, da der Vorbereitungs- und Auswertungsprozess je Interview nicht zu unterschätzen ist. So müssen je Interview und Person mindestens zwei Stunden Vorbereitungszeit kalkuliert werden (z. B. Anpassung des Leitfadens; Informationen zur befragten Person und der Institution), die eigentliche Interviewdauer betrug 90 Minuten, doch
mit An- und Abreise wurde ein halber Tag eingerechnet. Das Transkribieren und die
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
132
Auswertung unmittelbar nach dem Interview sowie systematisch nach dem Transkribieren haben zusammengenommen rund einen Tag beansprucht. Eine den Anforderungen
an statistische Auswertungen genügende Anzahl von Interviews ist nicht erforderlich, da
die Durchführung von Experteninterviews nicht auf Repräsentativität, sondern auf
"Typisches" abzielt, das durchaus schon in wenigen Interviews ersichtlich werden kann.
Deshalb wurden die 32 durchgeführten Interviews als ausreichend angesehen, da die Interviewpartner kriterienbasiert (Geschäftsführung, Stiftungsrat, Stiftungsexperten)
ausgewählt wurden und somit die zentralen Perspektiven abgedeckt sind.
5.3.3
Ablauf und Auswertung der Interviews
Ein Interviewleitfaden mit den aus der Literaturanalyse identifizierten Managementthemen (Suchfelder, vgl. Kap. 3.3) diente als Gedächtnisstütze und Orientierungsrahmen
zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Interviews. Zu jedem Thema wurden hierbei sog.
"Trigger-Fragen" formuliert (vgl.Anhang C). Der Leitfaden für die Interviews umfasste
die drei Hauptbereiche "Einleitung: Kontext der Forschung und des Interviews";
"Hauptteil: spezifische Fragen zum Stiftungsmanagement"; "Abschluss: Carte Blanche"
("Möchten Sie uns noch etwas mitteilen, das für Sie im Zusammenhang mit ‚Stiftungsmanagement‘ wichtig ist?")
Die Interviews waren auf 90 Minuten angelegt. Es galt hierbei, die mit jedem Interview
verbundene zeitliche Belastung für die Interviewpartnerin/den Interviewpartner zu minimieren (Rüegg-Stürm 2002, S. 40). Die Rollenverteilung zwischen den beiden Forschern
im Verlauf des Interviews war nicht fest zugeteilt, d. h. wenn einer der Forscher das Interview führte, nahm der andere vor allem eine beobachtende Rollen ein (Distanzrolle) und umgekehrt. Die Interviews wurden grundsätzlich am (Arbeits-/Wohn-) Ort der Interviewpartnerin/des Interviewpartners geführt, um einerseits deren zeitliche Belastung gering zu halten und um andererseits das Gespräch in einer vertrauten Umgebung durchzuführen (vgl. Lamnek 1995, S. 121 f.). Ausserdem wurden die Interviews in der Muttersprache der Interviewpartnerin/des Interviewpartners geführt, also in Schweizerdeutsch,
Deutsch oder Englisch, um von Sprachbarrieren möglichst unverfälschte Informationen
zu erlangen. Ziel war es, ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen, also eine "Veralltäglichung der Situation des Miteinander-Redens" zu bewirken (vgl. Honer 2003, S.
96).
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
133
Die Interviews wurden auf Tonband aufgenommen. Dies erlaubt im Gegensatz zu Gesprächsprotokollen die authentische und präzise Erfassung des Kommunikationsprozesses. Die Interviewer konnten sich so auch auf das Gespräch sowie auf Beobachtungen
situativer Bedingungen und nonverbaler Äusserungen konzentrieren. Alle Interviews
wurden anschliessend vollständig transkribiert. Die Transkribierung erfolgte auf Deutsch
oder Englisch - eine Transkribierung ins Schweizerdeutsche wurde als zu aufwändig eingeschätzt und für die Interpretationsarbeit als nicht notwendig erachtet, da es um Themenfelder (Aufgaben des Stiftungsmanagements) ging und nicht um semantische "Feinheiten" wie z. B. bei einer Diskursanalyse. Als Ergänzung zu den Tonbandaufnahmen
wurden unmittelbar nach den Gesprächen Postskripte erstellt: eine Skizze zu den Gesprächsinhalten mit Anmerkungen zu den o. g. situativen und nonverbalen Aspekten sowie zu Schwerpunktsetzungen der Interviewpartner in Bezug auf die Handlungsfelder
des Managements von Stiftungen. Ausserdem wurden thematische Auffälligkeiten und
Interpretationsideen notiert, die auch Anregungen für die Auswertung gegeben haben
(Entstehung "induktiver Codes").
Die Auswertung der Interviews dauerte von Oktober 2004 bis März 2005. In diesem genuin kreativen, hermeneutischen Prozess ging es darum, das Datenmaterial auf der einen
Seite unter reduktiven Gesichtspunkten durchzugehen, im Sinne einer Kategorisierung
nach verschiedenen (inhaltlichen) Kriterien. Auf der anderen Seite standen die individuellen Handlungsfiguren in ihrer spezifischen Gesamtheit und singulären Komplexität im
Vordergrund, im Sinne eines Explizierens der beobachteten und beobachtbaren sozialen
Praktiken und deren Interpretation im Gesamtkontext.
Die Auswertung erfolgte mit Hilfe der Software "atlas.ti". Für atlas.ti (oder vergleichbare
Programme) sprachen die - im Vergleich zu einfachen Textverarbeitungsprogrammen
wie MS Word - zahlreichen und sophistizierten Möglichkeiten hinsichtlich der Zuordnung von Kategorien zu Textsegmenten (=Kodierung) und die Suche nach Textsegmenten, die derselben Kategorie zugeordnet werden (=Retrieval) (vgl. Kelle 1997). Dies unterstützt die systematische Analyse der Interviewdaten.115 Weitere Funktionen dieses
Programms werden nicht genutzt - es stand das Text-/Datenmanagement (inkl. Suchfunktion) der insgesamt rund 1000 DIN A4 Seiten Interviewtranskripte (29 einzelne
115
Zudem besitzt atlas.ti eine Suchfunktion, die alle verknüpften Dokumente ("Transkripte") einbezieht, d. h. man muss nicht
wie z. B. in MS Word jedes Dokument öffnen und den gewünschten Suchbegriff eingeben (in der vorliegenden Arbeit wären
das 29 Text-Dokumente), sondern eine einmalige Eingabe genügt.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
134
Textdokumente) im Vordergrund. Daneben wurde MS Excel benutzt, insbesondere für
die Erstellung des Aufgabenportfolios, da mit Hilfe dieser Software übersichtliche Datenblätter angelegt und "Verschiebungen" bzw. "Sortierungen" übersichtlich dargestellt
werden konnten.
Das Auswertungsverfahren umfasste überblicksartig folgende drei Schritte:
1. Systematisieren der Aussagen nach den Kategorien des Interviewleitfadens
(theoriegeleitete Codes) und ggf. neuen Kategorien (induktive Codes).
o Ziel: Themen- und Beziehungsanalyse
o Vorgehen: Im Zentrum stand das Kategorisieren der Transkripte mit Hilfe
von Codes (theoriegeleitete: diese entsprachen den Fragen aus dem Interviewleitfaden; induktive: diese wurden eingeführt, wenn neue Themen
auftauchten, die mit den bisherigen Codes nur unzureichend abgedeckt
werden konnten) (vgl. Anhang D). Die ersten Transkripte (7) wurden gemeinsam kategorisiert, um ein einheitliches Verständnis zu entwickeln.
Anschliessend übernahm jeder der beiden Forscher die Hälfte der verbleibenden Transkripte (je 11). Laufender Austausch garantierte eine Einheitlichkeit. Der Austausch wurde gefördert, indem die Auswertungen an einem gemeinsamen Ort durchgeführt wurden und so bei Unsicherheiten
welcher Kategorie diese oder jene Aussage zuzuordnen ist, direkt kommuniziert werden konnte. Die Kategorisierung erfolgte in der Form, dass jeweils Textfragmente "markiert" und diesen ein oder mehrere Codes zugeordnet wurden. Somit wurde erreicht, dass alle Codes (Themen) auch mit
einem Kontextausschnitt verknüpft waren, der vor allem in den folgenden
Auswertungsschritten eine iterative Interpretation ermöglichte. Zudem
konnte so von Anfang an eine "Zitatensammlung" erstellt werden, die dazu
dienen sollte, die in Kapitel 7 im Rahmen des FE-Frameworks aufgearbeiteten Handlungsoptionen illustrativ und "lebendig" zu formulieren116.
116
Atlas.ti zeigte sich beim Verfassen der Kapitel 6-12 ebenfalls als ausgezeichnete Hilfe zur Identifikation illustrativer Zitate
über die bereits erfassten Textfragmente hinaus. Denn durch die Suchfunktion konnte gezielt nach einzelnen Begriffen über
alle erfassten Dokumente gesucht werden. Dieses nochmalige "Eintauchen" in die empirischen Daten trug darüber hinaus
vereinzelt dazu bei, dass bisher noch nicht so prägnant formulierte Aspekte "ans Licht" gelangten und in die Handlungsoptionen eingearbeitet werden konnten.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
135
2. Analysieren und Interpretieren der kategorisierten Textfragmente.
o Ziel: "Vom Deskriptiven zum Normativen".
o Vorgehen: Im zweiten Auswertungsschritt stand die Analyse und
Interpretation notwendiger und sinnvoller Aufgaben des Stiftungsmanagements im Fokus. Insbesondere in diesem Schritt fand der kreative Deutungsprozess statt, den Lamnek (1995, S. 124) wie folgt beschreibt: "In der
Auswertung geschieht eine Deutung oder Interpretation der vorhandenen
Texte. Der Prozess der Interpretation ist durch die persönliche Deutungskompetenz des Forschers und durch seine Eindrücke von den jeweiligen
Interviews beeinflusst." Nach der vollständigen Kategorisierung der Interviewtranskripte wurden die den jeweiligen Kategorien zugeordneten Textfragmente mittels der atlas.ti-Funktion "Report erstellen" in ein neues Dokument überführt. So entstand z. B. für die Kategorie "Kommunikationsmanagement" ein neues Dokument mit allen Textfragmenten zu diesem
Thema. Diese insgesamt 31 Report-Dokumente wurden gemeinsam (zu
zweit) durchgelesen. Die Leitfrage bei diesem Analyseschritt war: "Wird
in diesem Textfragment eine Aufgabe des Stiftungsmanagements
genannt?" Die "Testformulierung" beim Auftauchen einer potentiellen
Aufgabe lautete demgemäss: "Als Stiftungsmanager muss ich ‚dies’ oder
‚jenes’ machen." Gleichzeitig wurde ein Excel-Datenblatt angelegt, in dem
in der ersten Spalte eine schlagwortartige Formulierung der identifizierten
Aufgabe erfasst und in den folgenden Spalten die jeweilige Fundstelle(n)
notiert wurden. Ausserdem erfolgte eine kurze Bemerkung zu jeder
Aufgabe z. B. hinsichtlich Verknüpfung mit anderen Aufgaben oder
kurzen
inhaltlichen
Aspekten,
die
für
die
Formulierung
der
Handlungsoptionen in Kapitel 7ff. wertvolle Dienste leisteten. Das ExcelDatenblatt war somit eine stark in den empirischen Daten verankerte erste
Annäherung an das zu erstellende Aufgabenportfolio. Es umfasst 164
Aufgaben.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
136
3. Aggregieren der Aufgabensammlung
o Ziel: "Kondensation" eines Aufgabenportfolios.
o Vorgehen:
Der
dritte
Auswertungsschritt
schliesslich
führte
zur
Zusammenstellung eines Aufgabenportfolios, das als Grundlage zur Ausgestaltung des FE-Frameworks (vgl. Kapitel 7ff.) diente. Mit dem Ziel ein
in etwa vergleichbares Aggregations- und Abstraktionsniveau der zentralen
und charakteristischen Aufgaben des Stiftungsmanagements zu erreichen,
wurde das Excel-Datenblatt mit seinen 164 Aufgaben sorgfältig durchgearbeitet - zuerst individuell und dann gemeinsam - und Vorschläge zur Zusammenfassung von Aufgaben und deren Bezeichnung gemacht. Dieser
stark iterative Prozess zog sich zudem auch in die Entwicklungs- und Ausgestaltungsphase des FE-Frameworks hinein, da Abgrenzungsfragen untrennbar auch mit der Gestaltung des FE-Frameworks zusammenhängen.
So ergab es sich z. B. erst bei der Ausformulierung der konkreten Fragen
und der Gestaltung einzelner Handlungsoptionen, dass bestimmte Aspekte
des Kommunikationsmanagements bereits im Gestaltungsprozess "Stiftungspolitik" festgelegt werden müssen. Andere wiederum, die bisher eher
in der Stiftungspolitik verankert waren, sind besser im Bereich des Supportprozesses Kommunikationsmanagement aufgehoben. Das aggregierte
Aufgabenportfolio umfasst in seiner endgültigen Fassung 42 Aufgaben, die
eindeutig den jeweiligen Grundkategorien und aufgeführten Handlungsfeldern des FE-Frameworks zugeordnet werden konnten.
5.4
Explorative Fallstudien
Parallel zu den Experteninterviews und daran anschliessend erfolgte eine LebensweltAnalyse von Stiftungen. Die Fallstudien dienen dem Beschreiben und der Analyse von
Praktiken vor dem Hintergrund der in den Interviews identifizierten Aufgaben des Stiftungsmanagements. Es soll die Frage beantwortet werden, warum tägliche Routinen und
Praktiken so ablaufen, wie sie ablaufen. Die Ergebnisse der Fallstudien bilden
zusammen
mit
den
Interviews
die
Grundlage
für
die
Entwicklung
des
Managementframeworks für Stiftungen (Analyse- und Interpretationsphase). Ausserdem
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
137
stehen die "alltäglichen" Wirkungen dieser Praktiken im Fokus der Beobachtungen, um
daraus geeignete Schlussfolgerungen und Handlungsoptionen für die Stiftungspraxis
entwickeln zu können (Konklusionsphase).
5.4.1
Die Methode der explorativen Fallstudien
Yin (1994, S. 13) definiert eine "Case Study" als eine empirische Untersuchung, die ein
Phänomen in seinem "real-life” Kontext untersucht. Sie ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn die Grenzen zwischen dem Phänomen und dem Kontext nicht eindeutig sind
und darüber hinaus, wenn mehrere Evidenzquellen verwendet werden.
Fallstudien-Forschung eignet sich im Gegensatz zu anderen empirischen Forschungsmethoden wie dem Experiment oder der Beobachtung vor allem bei Forschungsfragen, die
nach einem "wie" und "warum" bei einem Phänomen fragen und bei denen der Forschende wenig Kontrolle und Einfluss auf das Ereignis hat (Yin 1994, S. 3 ff., ähnlich
auch Schwandt 1997, S. 13). Im Falle von Foundation Excellence steht dieses Ziel der
Beantwortung der "Wie- und Warum-Fragen" im Vordergrund, da über die Analyseergebnisse der Fragen "Wie funktioniert eine Stiftung" und "Wie erfolgt professionelles
Stiftungsmanagement", sowie der Frage "Warum wird Stiftungsmanagement so umgesetzt, wie es umgesetzt wird" das Managementframework entwickelt wird.
Der Fokus einer Fallstudie ist demzufolge gerichtet auf ein vertieftes Verständnis eines
Phänomens und dessen Kontext (vgl. Macpherson et al. 2000, S. 51, ähnlich auch Denzin/Lincoln 2003, S. 3).
Pettigrew (1985, S. 242 f.) fasst zusammen: "Clearly, case-study approaches cannot offer
generalizability in the statistical sense […]. But before I get carried away projecting generalizability as the sole outcome of research, it is important to counterbalance that argument with the contextualist’s desire for descriptive understanding. Systematic
description of the properties and patterned relationships of any process […] is a critical
form of knowledge for theoretical development and, as I shall shortly argue, for practice.
[…]. Incorporating such a broad treatment of context into our analyses will release
organizational analysis from much of the misdirected and in many cases impotent
managerialism that informs the ‘theories’ guiding management practice.” Mit Hilfe der
138
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
Fallstudien wird die Realität in ihrer Vielfalt analysiert und die Situation durch Modelle
und Konzepte so strukturiert, dass praktisches Handeln und Entscheiden möglich wird
(vgl. Osterloh/Grand 1994, S. 290). Dieses programmatische Ziel einer in diesem Sinne
geführten Fallstudienforschung entspricht dem von Foundation Excellence formulierten
Anliegen, ein Managementframework für Stiftungen zu entwickeln, das als Landkarte
und "Leerstellengerüst für Nützliches" zentrale Handlungsfelder - und ihre Vernetztheit
untereinander - für das Stiftungsmanagement darstellt im Sinne einer Konklusion aus
Beschreibungen, Analysen und Interpretationen.
Diese skizzenhafte, grundlegende Einführung in die Fallstudienforschung zeigt bereits,
dass bei dieser nicht die Erhebungstechnik(en), sondern die Erkenntnissuche im Vordergrund steht. Mit anderen Worten wird der Schwerpunkt nicht auf die Erhebung, sondern
auf die Interpretation und die Darstellung der Ergebnisse gelegt. Die Fallstudien-Forschung "passt" deshalb zum Forschungsprojekt Foundation Excellence und dem zu
Grunde liegenden Wissenschaftsparadigma der hermeneutisch-interpretativen, kontextualistischen Forschung. Die Offenheit der Fallstudien-Forschung im Bezug auf die eingesetzten Erhebungsmethoden erlaubt den Forschern im Sinne der Triangulation verschiedene Erhebungstechniken und unterschiedliche Zugangskanäle zum organisationalen
Alltag einzusetzen. In diesem Sinne werden im Rahmen der bei Foundation Excellence
durchgeführten Fallstudien folgende Erhebungsmethoden eingesetzt: Interviews; teilnehmende Beobachtungen; Dokumentenanalysen.
5.4.2
Anzahl und Auswahl der Fallstudien-Partner
Die Anzahl und Auswahl der Fälle ist ein zentraler Aspekt bezüglich Transferierbarkeit
der Resultate. Aus Gründen der notwendigen "Robustheit" (Sinnhaftigkeit und Plausibilität, vgl. "Gütekriterien", Kap. 5.6) der abgeleiteten Theorie bzw. des entwickelten Modells und um eine Überprüfbarkeit der Aussagen sicherzustellen, werden zwei Stiftungen
vertieft untersucht (sog. Mehrfallstudie - vgl. Eisenhardt 1991, S. 620 ff.). Statt nach allgemeingültigen, generellen Aussagen zu streben, werden kontextualistische, illustrative
Beschreibungen und Analysen durchgeführt. Auf deren Grundlage erfolgt die Zusammenstellung einer Auswahl an Handlungsoptionen (Konklusionen), die sich durch eine
"gewisse" Transferierbarkeit auszeichnen. "Diese sollten vom Leser nachvollzogen wer-
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
139
den und ein Sensemaking- und Plausibilitätserlebnis stimulieren und ermöglichen"
(Schumacher 2003, S. 91).
Die Auswahl der Fallstudienpartner erfolgte nicht anhand klassischer Stichprobentheorie, sondern aufgrund theoretischer Überlegungen (vgl. unten), also einem "theoretical
and purposive sampling" im Sinne von Silverman (2000, S. 104 f.; ähnlich auch Denzin/Lincoln 2003, S. 202): "Purposive sampling allows us to choose a case because it illustrates some feature or process in which we are interested. [...] Theoretical and purposive sampling are often treated as synonyms. Indeed, the only difference between the
two procedures applies when the ‚purpose‘ behind ‚purposive‘ sampling is not theoretically defined." Im Forschungsprojekt Foundation Excellence ist der "purpose”, also der
zielgerichtete Zweck, Handlungsoptionen hinsichtlich eines zukunftsfähigen Stiftungsmanagements zu entwickeln. Dieser Zweck erfordert die Beachtung spezifischer Kontextkriterien, die massgeblichen Einfluss auf das "wie" des Managements von Stiftungen
haben (vgl. unten).
Zum oben genannten Gesichtspunkt des "purposive sampling" kommt ein weiteres Kriterium hinzu, denn für empirische Forschung im Verständnis dieser Forschungsarbeit ist
der Zugang zu den Forschungspartnern, der Aufbau einer Lernpartnerschaft und von
Vertrauens- und Verständigungspotentialen von entscheidender Bedeutung. Ohne einen
nach diesen Kriterien optimalen Zugang zum Forschungspartner besteht die Gefahr, dass
die Fallstudie mehr zu einer Pflichtübung - auf beiden Seiten - verkommt und die gemeinsamen Chancen einer solchen Lernpartnerschaft nicht gesehen werden. Insofern ist
ein "planned opportunism" (Pettigrew 1990, S. 274; Eisenhardt 1989, S. 593: "controlled
opportunism", ähnlich auch Stake 1998) in Bezug auf den Zugang ein mögliches Kriterium, um Forschungspartner auszuwählen. Ähnlich sieht das auch Stake (2003, S. 153):
"Even for collective case studies, selection by sampling of attributes should not be the
highest priority. Balance and variety are important; opportunity to learn is of primary importance".
Die Grundpopulation, aus der die Fallstudienpartner ausgewählt werden konnten, beträgt
ca. 30.000 Stiftungen. Aus dieser Grundpopulation konnte durch eine einfache Abgrenzung u. a. mit Hilfe des rechtlichen und steuerrechtlichen Begriffs (gemeinnützige Stiftung) die Anzahl der möglichen Partner auf etwa 10.000 Stiftungen begrenzt werden.
Diese Subpopulation von 10.000 Stiftungen musste nun durch weitere Kriterien sinnvoll
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
140
segmentiert werden. Der gewählte Ansatz zur Segmentierung im Rahmen dieses Forschungsprojekts ist die Betrachtung der externen Komplexität möglicher Partnerstiftungen. Es geht also darum, durch geeignete Kriterien diese Komplexität zu operationalisieren:
1. Arbeitsfokus einer Stiftung
Der geographische Fokus - lokale, nationale oder internationale Tätigkeit - einer
Stiftung kann durchaus als ein entscheidendes Kriterium hinsichtlich der Komplexität der Stiftungstätigkeit angesehen werden (Prewitt 2001), da es z. B. bei internationalen Projekten schwierig sein kann, den laufenden Projektfortschritt zu dokumentieren und zu evaluieren. Bei nationalen Projekten sind die Projektpartner
meist bekannt bzw. es können leichter Informationen über sie eingeholt werden.
Das Risiko ungleicher Erwartungen auf Grund kultureller Unterschiede (z. B.
Zeit- und Qualitätsverständnis) ist ebenso beeinflusst durch den geographischen
Tätigkeitsschwerpunkt der Stiftung.
2. Projektinvolvement
Ein hohes Projektinvolvement stellt einen Komplexitätsverstärker dar, da verschiedenste Ressourcen (z. B. Zeit, Netzwerk) und Kompetenzen (z. B. Feedback,
inhaltliche Kompetenzen) eingesetzt werden müssen. Besonders stark kommt dieser Faktor sicherlich bei sog. operativen Stiftungen zum Tragen, die selbst Projekte durchführen und nicht Drittpersonen oder -institutionen unterstützen. Für
das Sample wurden deshalb bei Foundation Excellence nur Vergabestiftungen in
Betracht gezogen. Diese können wiederum unterschieden werden in Stiftungen,
die eine proaktive Projektidentifikation durchführen, und solche, die in reaktiver
Weise Gesuche annehmen; wobei die proaktive Identifikation von Projekten komplexere Anforderungen an eine Stiftung stellt.
3. Finanzielle Ausstattung
Die Grösse des Stiftungskapitals, und damit auch die potentielle Höhe der jährlichen Ausschüttungen, kann ebenfalls als Komplexitätsverstärker mit Implikationen auf das Stiftungsmanagement angesehen werden. Durch eine "obligation to
create value", begründet insbesondere durch die Steuerprivilegien (vgl. Strachwitz
1998b, S. 34 und Porter/Kramer 1999, S. 123), erhöht sich so durchaus die Kom-
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
141
plexität für das Stiftungsmanagement, da es schwieriger ist, CHF 10 Millionen in
sinnvolle Projekte zu investieren als CHF 10.000.
4. Stiftungsfunktion
Die drei Funktionen (Substitutions-, Ergänzungs- und Innovationsfunktion), die
Stiftungen durch die Zwecksetzung und bei der Umsetzung ihrer Tätigkeiten einnehmen können, weisen je spezifische Herausforderungen für das Stiftungsmanagement auf. Die Übernahme einer Substitutionsfunktion erfordert eine dezidierte
Begründung für die Notwendigkeit der Übernahme dieser Tätigkeit und zur Abgrenzung gegenüber staatlichen und privatwirtschaftlichen Aktivitäten. Auf der
anderen Seite muss nicht nach Aufgaben und Tätigkeitsfeldern "gesucht" werden,
da diese bereits vorhanden sind, jedoch von den bisherigen gesellschaftlichen
Akteuren nicht (mehr) bereitgestellt werden. Demgegenüber stehen Stiftungen,
die eine Innovationsfunktion im Sinne eines "change agents" innehaben und ihre
Aktivitätsfelder selbst identifizieren und begründen müssen.
Die in der Abbildung 5-5 aufgeführten Kriterien mit den jeweiligen Ausprägungen leitete die Auswahl der Partnerstiftungen:
Kriterium
Ausprägung
geographischer Fokus
lokal
Æ lokale Partner
national
Æ Partner in der Schweiz
international
Æ Partner weltweit
Involvement
Gering
Æ "Finanzintermediär"
Mittel
Æ teilweises Coaching
Hoch
Æ Coaching bzw. eigene
Projekte
Kapitalausstattung
Klein
Æ Ausschüttungen
< CHF 500.000
Mittel
Æ Ausschüttungen
< CHF 5 Millionen
Gross
Æ Ausschüttungen
> CHF 5 Millionen
Stiftungsfunktion
Substitution
Ergänzung
Innovation
Abbildung 5-5:
Auswahlkriterien für die Fallstudien
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
142
Anhand des oben dargelegten Prozesses für ein sinnvolles und zielführendes Sampling
der Fallstudien ergaben sich folgende beiden Stiftungen als Fallstudienpartner - auch auf
Grund eines optimalen Zugangs zu den Forschungspartnern und einer von Anfang an angebotenen und sich im Verlauf der Fallstudien bewahrheitenden vertrauensvollen und
interessierten Zusammenarbeit (vgl. Abbildung 5-6):
Stiftung
geographischer Fokus
(Arbeitsfokus)
Involvement (Aktivitätsniveau)
Kapitalausstattung
Stiftungsfunktion
Jacobs Stiftung
national/international (Programmstiftung)
mittel
(proaktiv)
Gross (Endowment)
Innovation
Oikos Stiftung
Lokal
(Programmstiftung)
hoch
(proaktiv)
Klein
(aus Spenden)
Innovation
Abbildung 5-6:
Partnerstiftungen für die Fallstudien
Ein wichtiger Unterschied, der nicht über die Selektionskriterien abgebildet wurde, fand
bei der Auswahl ebenfalls Beachtung: die Rolle des Stifters. Bei der Jacobs Stiftung lebt
der Stifter noch und ist ein wichtiger Bezugspunkt für die Stiftungsarbeit. Die Oikos
Stiftung "kennt" keine einzelne Stifterperson, sondern wurde gegründet von einer Reihe
von interessierten Personen und weist zudem nur ein kleines Stiftungskapital, aufgebaut
aus Spenden, auf.
5.4.3
Ablauf und Auswertung der Fallstudien
Die Durchführung einer Fallstudie ist nicht einfach, denn grundsätzlich gilt: "The data
collection procedures are not routinized" (Yin 1994, S. 55). Yin (1994, S. 56 ff.) listet
für die Datenerhebung auch einige unverzichtbare Kompetenzen der Forschenden auf, so
z. B. die Fähigkeiten, "gute" Fragen zu stellen und ein "guter" Zuhörer zu sein. Zudem
sind ein klares Verständnis und genügend Hintergrundinformationen zum Forschungsthema und dem Forschungspartner entscheidend - wie dies auch für Experteninterviews
gilt (vgl. Kap. 5.3).
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
143
Entsprechend dem Prinzip der Triangulation (vgl. Jick, zit. in Eisenhardt 1989, S. 534)
wurden mittels unterschiedlicher Erhebungsmethoden verschiedene Zugangsmöglichkeiten zur Organisation genutzt (Begriffe in Klammern von Pettigrew 1990, S. 277 f.):
1. Interviews ("in-depth interview")
Datenquellen: Tonbandaufnahmen/Transkripte; Bemerkungen zu verbaler und
nonverbaler Kommunikation
2. Teilnehmende Beobachtungen ("observational and ethnographical material")
Datenquellen: Mitschriften (z. B. von Sitzungen); Bemerkungen zu verbaler und
nonverbaler Kommunikation (z. B. "Augenkontakte"); Sitzpläne bei Sitzungen
(zu den Daten der teilnehmenden Beobachtungen vgl. Anhang E)
3. Dokumentenanalyse ("documentary and archive data")
Datenquellen: Stiftungsurkunden; Strategie-Papiere; Stiftungs-Reglemente; Prozess-Beschreibungen; Protokolle von Stiftungsratssitzungen/Teamsitzungen/Projekt-Sitzungen;
Berichte
zur
Projektauswahl/zur
Projektevaluation/zum
Projektabschluss; externe Berichte über die jeweiligen Stiftungen (Pressespiegel);
Jahres-/Tätigkeitsberichte der jeweiligen Stiftung.
Jeder der oben genannten Zugänge kann neue Einsichten über den Fallstudienpartner ermöglichen, die sich schliesslich zu einem ganzen "Bild" zusammenfügen. Jedoch birgt
die intensive Nutzung des i. d. R. umfangreichen empirischen Materials auch die Gefahr,
dass unübersichtliche und schwer verständliche theoretischen Aussagen formuliert werden und versucht wird jeden einzelnen Aspekt zu fassen (Pettigrew 1988, zit. in Eisenhardt 1989, S. 540: "death by data asphyxiation"). Diese Detailgenauigkeit verdeckt unter Umständen die einfachen und grundlegenden Zusammenhänge, das Erkennen des Typischen, so dass der Gehalt der grundsätzlichen Aussagen für die Allgemeinheit kaum
ersichtlich ist (vgl. Eisenhardt 1989, S. 547). Doch gerade das "Typische" im Spezifischen ist das, was im Rahmen dieses Forschungsprojektes und unter den oben dargelegten Basisprämissen interessiert - eingebettet in "thick descriptions", die den wichtigen
Kontext mitliefern. "Analyzing is at the heart of building theory from case studies, but it
is both the most difficult and the least codified”, wie Eisenhardt (1989, S. 539) anmerkt.
Miles und Huberman (1984, S. 16) fügen an: "One cannot ordinarily follow how a researcher got from 3.600 pages of field notes to the final conclusions, sprinkled with vivid
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
144
quotes though they may be.” Durch eine konsequente und systematisierte Erfassung der
Daten (vgl. Yin 1994, S. 54 ff. oder Miles/Huberman 1984) kann das empirische Material aus den Interviews gezielt "angereichert" und ergänzt werden, ganz im Sinne von
Daft (1983, S. 541): "The why, not the data, is the contribution to knowledge".
5.5
Expertenworkshop
Die Plausibilisierung der Forschungsresultate erfolgte in workshopartigen Gruppendiskussionen mit Experten aus dem Stiftungsbereich. Dadurch konnte erreicht werden, dass
die Ergebnisse nicht "an den Praxisbedürfnissen und -herausforderungen vorbei gehen",
jedoch Foundation Excellence auch nicht zu einem Beratungsprojekt für einzelne Stiftungen degeneriert wurde. Auf Grund dieser Zielsetzung erschien es sinnvoll, die empirischen Daten aus den Interviews und Fallstudien an der Praxis "zu spiegeln" sowie in einem anderen (Forschungs-) Kontext zu diskutieren. Zu diesem Zweck wurde einerseits
ein Expertenworkshop durchgeführt und andererseits verbrachten die Forscher einen
dreimonatigen Forschungsaufenthalt in den USA.
Im Folgenden wird auf die Konzeption des Expertenworkshops eingegangen, da dieser
als "formale" empirische Methode klassifiziert werden kann. Zum Einstieg ein Zitat von
Krüger (1983, S. 910), das insbesondere im Kontext dieses Forschungsprojekts von hoher Bedeutung erscheint: "Es ist nicht zu leugnen, dass die Gruppendiskussionen ein personal- und zeitintensives Verfahren sind, dessen Auswertungsproblematik zudem bis
heute noch nicht befriedigend gelöst werden konnte." Diese Aussage erstaunt insofern,
als dass der Ansatz im angelsächsischen Raum genau aus dem entgegengesetzten Grund
eingeführt wurde - jedoch damals mit der Zielsetzung, ein Meinungsbild einer Gruppe zu
erlangen: "Der Ansatz bot sich damals [in den fünfziger Jahren des vorangegangenen
Jahrhunderts] vor allem auf Grund von zeitlichen und forschungsökonomischen Überlegungen an" (Häder 2002, S. 53). Für das Forschungsprojekt und seinem Ziel der Plausibilisierung von Forschungsresultaten und deren Spiegelung an der Praxis, erschien trotz
der Befürchtung von Krüger das Vorgehen mittels Expertenworkshops sinnvoll, da in
komprimierter Weise Meinungen und Erfahrungen, Kritik und Hinweise zur Optimierung der Forschungsresultate entgegengenommen werden konnten, denn "in lockerer,
entspannter Atmosphäre lässt die Gruppendiskussion [oder in diesem Fall der Experten-
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
145
workshop] spontane und freie Äusserungen zu, die die Teilnehmer gegenseitig stimulieren und zu einer gewünschten Breite von Aussagen führen soll" (Krüger 1983, S. 93).
5.5.1
Die Methode beim Expertenworkshop
Da die Methode der Expertenworkshops nicht eine "fertige" Methode ist - schon gar
nicht unter diesem Namen - wird bei der kurzen Einführung in diese Methode mehrheitlich auf die methodische Diskussion zu den sog. Gruppendiskussionen zurückgegriffen.
Diese Sozialforschungsmethode kann für den deutschsprachigen Raum bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Im englischsprachigen
Raum sind Gruppengespräch und -diskussion sogar noch früher nachweisbar (vgl. Krüger 1983, S. 92, ähnlich Loos/Schäffer 2001; Merton/Kendell 1946, zit. in Häder 2002,
S. 53).
Die in Deutschland vom Frankfurter Institut für Sozialforschung eingeführten Gruppendiskussionen interessierten vor allem hinsichtlich des sachlichen Ergebnisses der Diskussion117. Eine entsprechende Zielsetzung wurde im Expertenworkshop von Foundation
Excellence verfolgt: Ist das, was von den Forschern entwickelt wurde, sinnvoll und anschlussfähig in der Praxis? Entgegen der "traditionellen" Einsatzweise von Gruppendiskussionen im Sinne von explorativen Erhebungsinstrumenten zur Erfassung "eines komplexen Geflechts differenzierter Variablen des sozialen und organisatorischen Kontexts
des Alttages, um Bewusstsein und Handlungsweisen erhellen zu können" (Krüger 1983,
S. 98), stand der Expertenworkshop bei Foundation Excellence im Dienste der Überprüfung der Forschungsresultate. Es ging jedoch nicht um eine reine Bestätigung wohlklingender Merksätze und anschaulicher Grafiken, sondern um eine mögliche Erweiterung
und Verbesserung z. B. des Managementframeworks. Die Entwicklung des Modells war
zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, sondern trat in eine Phase ein, die der
Stabilisierung und Erhöhung der praktischen Brauchbarkeit des Modells diente.
Ziel des Workshops war es, im Zuge eines gruppendynamischen Prozesses "tieferliegenden Meinungen zur Artikulation zu verhelfen" (Bohnsack 2003, S. 106), in dem der Ein117
Im Gegensatz zu den Gruppendiskussionen in der Marktforschung – hier jedoch mit der Zielsetzung der schnellen Erfassung
von Meinungen in Abhängigkeit von zeitökonomischen und finanziellen Erwägungen: es sollen "mehrere Interviewte […]
zugleich erreicht werden (Bohnsack 2003, S. 105). In diesem Zusammenhang spricht man insbesondere in den USA auch
von "focus groups".
146
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
zelne "gezwungen" wird, seinen Standpunkt deutlich zu formulieren und ggf. zu verteidigen (vgl. Pollock 1955, S. 32). Allerdings hält Mangold (1988, S. 17) dem entgegen,
"dass - von rein explorativen Zwecken abgesehen - das Gruppendiskussionsverfahren
prinzipiell nicht geeignet ist, Einzelmeinungen zu untersuchen, d. h. das Einzelinterview
zu ersetzen, jedoch als eigenständiges Instrument für die systematische und kontrollierte
Untersuchung von ‚informellen Gruppenmeinungen’ genutzt werden kann." Der Workshop in dieser zweiten, konkludierenden Phase des Forschungsprojekts bezog sich in
erster Linie auf den zuletzt genannten Aspekt, im Sinne des Testens der Anschlussfähigkeit der Forschungsresultate "an der Praxis". Darüber hinaus werden auch Einzelmeinungen im Gruppenkontext berücksichtigt.118
Um auch die Anschlussfähigkeit der Forschungsresultate "in der Wissenschaft" und in
einem anderen kulturellen (Praxis-) Kontext zu testen, verbrachten die Autoren ausserdem einen mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in den USA an zwei bekannten Forschungsinstituten als Graduate Research Fellows der renommierten Professoren Peter
Frumkin (Hauser Center for Nonprofit Organizations an der John F. Kennedy School for
Public Administration der Harvard University) und Helmut K. Anheier (Center for Civil
Society an der School of Public Affairs der UCLA) (vgl. Anhang I).
5.5.2
Anzahl und Auswahl der Experten für den Workshop
Eine entscheidende Rolle für den Nutzen von Workshops spielt die Auswahl der Expertinnen und Experten. Welche Experten sind nun aber die "Richtigen"? Wie bei den Experteninterviews wurden die Teilnehmer für die Workshops von Foundation Excellence
nicht nach statistischen Regeln der Repräsentanz ausgewählt, sondern im Hinblick auf
Kompetenz-Kriterien und hinsichtlich der im Vorfeld bekundeten Bereitschaft und Bereitwilligkeit (bei informellen Treffen, auf Konferenzen, bei den Experteninterviews),
sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort einzufinden und sich in die Diskussion einzubringen. Dies war wichtig, denn "die Diskussionsleiter haben kaum eine
Möglichkeit, Verweigerungen zu beeinflussen. […] Weitgehend bleibt es den einzelnen
Teilnehmern überlassen, ob, wann und in welchem Umfang sie sich zu einem thematischen Sachverhalt äussern wollen" (Mangold 1973, S. 232).
118
Für eine tiefergehende Betrachtung der Methode und eine äusserst interessante Diskussion verschiedenster methodologischer
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
147
Insofern bietet es sich an, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Expertenworkshops
primär aus der Liste der Experteninterviews zu rekrutieren - ergänzt durch Personen, die
in persönlichen Gesprächen ihr Interesse bekundet haben und die notwendige Fachexpertise mitbringen (vgl. Anhang F und G). Als optimale Grösse für einen intensiven
Workshops wurden 6-8 Personen angesehen, was für eine effektive und effiziente, aber
gleichsam angenehme Arbeitsatmosphäre die obere Grenze darstellt (vgl. Mangold 1973,
S. 247). Die Teilnehmenden (vgl. Abbildung 5-7) wurden aus folgenden Gruppen ausgewählt (vgl. auch Auswahlkriterien bei den Experteninterviews, Kap. 5.3.2):
ƒ Geschäftsführung (inkl. Vereinsmitglieder SwissFoundations)
ƒ Rechtsberatung
ƒ Managementberatung
Person
Gruppe(n)
1
Dr. Philipp Egger
Geschäftsführung
(Geschäftsführer Gebert Rüf Stiftung; Vorstandsmitglied SwissFoundations)
2
Dr. Frank Hinrichs
Managementberatung
(Gründer und Geschäftsführer der Vivatus)
3
RA Florian Mercker
Rechts- und Managementberatung
(Vorsitzender des Privaten Instituts für Stiftungsrecht e. V.)
4
Dr. Thomas Kärcher
Geschäftsführung
(Geschäftsführer Volkart Stiftung; Vorstandsmitglied SwissFoundations)
5
Dr. Benno Schubiger
Geschäftsführung (Geschäftsführer Sophie und Karl Binding-Stiftung;
Präsident SwissFoundations)
6
Dr. Thomas Sprecher
Rechtsberatung (Rechtsanwalt Niederer, Kraft & Frey;
Redaktionelle Leitung der Arbeitsgruppe "SwissFoundation Code")
7
Dr. Volker Then
Stiftungsforschung und -beratung
(Leiter "Stiftungswesen" bei der Bertelsmann Stiftung)
8
Prof. Dr. Dieter Wolke
Geschäftsführung
(Direktor Jacobs Foundation)
Abbildung 5-7:
5.5.3
Teilnehmer des Expertenworkshops
Ablauf und Auswertung des Expertenworkshops
Der Expertenworkshop fand am 23. März 2005 in den Räumlichkeiten der Jacobs Foundation in Zürich statt. Um die zeitliche Belastung der Teilnehmer möglichst gering zu
Grundannahmen bietet sich Bohnsack (2003) an, mit vielen Verweisen auf Original-Literatur.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
148
halten, wurde ein eintägiger Workshop durchgeführt. Die Ortswahl Zürich bot sich ebenfalls an, um den Anreiseaufwand zu minimieren (Verkehrsanbindung von Zürich: Autobahn, Bahnhof und Flughafen). Der Workshop wies ein strukturiertes Programm auf, das
vorab den Workshop-Teilnehmern zugestellt worden war (vgl. Anhang H). Die Auswertung erfolgte als qualitative Analyse der einzelnen Diskussionsprotokolle (Wort/Tonbandprotokolle; Flipcharts etc.). Die bearbeiteten thematischen Sachverhalte
wurden einzeln analysiert und neue Erkenntnisse aufgelistet - in Ergänzung zu den
Resultaten aus den Interviews und den Fallstudien sowie konkret zu einzelnen
(Zwischen-) Ergebnissen des Projekts.
5.6
Gütekriterien interpretativ-hermeneutischer Forschung
Bei der Diskussion von Gütekriterien geht es um Qualitätskriterien in "komplexen Systemen", die die Forschungs- (Forscher-/Beforschten-) Systeme darstellen. Diese Gütekriterien gilt es insbesondere für kontextualistische Sozialforschung in Pettigrews Verständnis (z. B. 1985) in der Beziehung mit den jeweiligen "Anschlussstellen" des Forschungsprojekts (Praxis und Wissenschaft) konkret in einem diskursiven Konstruktionsund Rekonstruktionsprozess auszuhandeln.
Im Folgenden werden generische Gütekriterien vorgestellt, wie sie dem Forschungsprojekt als Grundlage für eine weitere Konkretisierung und Ausdifferenzierung in spezifischen Forschungskontext Foundation Excellence dienten. Die Konkretisierung erfolgte
im Sinne von Erwartungsklärungen auf beiden Seiten der Lernpartnerschaften, also auf
Seiten der Praktiker und der Forschenden, als auch in Bezug auf die "scientific community".
Die Gütekriterien 1 bis 5 beziehen sich auf den Ausgangspunkt der Forschung und den
Forschungsprozess, während die Kriterien 6 bis 8 auch das Endresultat in Betracht ziehen119:
119
Die Aufstellung der Gütekriterien wurde, zusätzlich zu den angegebenen Quellen, inspiriert durch die Arbeit von
Schumacher (2003) und persönlichen Äusserungen von Prof. Rüegg-Stürm.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
149
1. Aufbaulogik des Forschungsprozesses
Der Forschungsprozess kann unterteilt werden in die Etappen der Beschreibung,
der Analyse und Interpretation sowie der Konklusion. Insbesondere in der Beschreibung geht es darum, das Typische - aber vor allem auch das "Entscheidende” deutlich heraus zu arbeiten. In den nachfolgenden, klar zu trennenden
Phasen der Analyse und Interpretation (Aufbereiten der Deutungsvielfalt) und
schliesslich der Konklusion (Darstellen von Handlungsoptionen) fliessen diese
Eindrücke ein.
Foundation Excellence folgte diesem generischen Aufbau eines Forschungsprozesses und trennte die einzelnen Etappen deutlich von einander, um der Leserschaft einen klar gegliederten Aufbau anzubieten und nicht Beschreibungen mit
Interpretationen und Konklusionen zu vermischen.
2. Kohärenz des Forschungsprozesses
Unabdingbare Voraussetzung für "gute" interpretativ-hermeneutische Forschung
ist die Kohärenz zwischen der Problemstellung im Sinne von Basisprämissen
konzeptioneller Art und den epistemologisch-methodologischen Prämissen für
den Vollzug der Forschung. Aus diesen Voraussetzungen ergeben sich auch bestimmte Eigenschaftskriterien für die Forschungsresultate, wie z. B. insbesondere
die praktische Anwendbarkeit der entwickelten Interpretationshilfen und Handlungsoptionen.
3. Kontextsensitivität der Forschung
Als ein spezifisch-methodologisches Kohärenz-Kriterium kann im Falle von
Foundation Excellence und der zu Grunde liegenden konzeptionellen und methodologischen Basisprämissen die Kontextsensitivität aufgefasst werden, die von
Fine et al. (2003, S. 199) skizziert wird mit den Fragen: "Have I connected the
‘voices’ and ‘stories’ of individuals back to the set of historic, structural, and economic relations in which they are situated?” und "Have I described the mundane
but typical?”
Das Forscherteam war sich der Herausforderung dieser Kontextsensitivität bewusst und setzte diese Anforderung bestmöglich um - auch und gerade im Zusammenhang mit Restriktionen hinsichtlich zeitlicher und finanzieller Ressour-
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
150
cen, die einer (aufwändigeren) Kontextsensitivität möglicherweise entgegentreten
könnten. Durch intensiven Austausch mit der Praktiker-Community in formellen
(z. B. beim Expertenworkshop) und informellen Gesprächen (z. B. auf Konferenzen; durch die Partnerschaft mit SwissFoundations) sowie den "Lebensweltanalysen" im Rahmen der Fallstudien wurde diesem Erfordernis Rechnung getragen.
4. Methoden-Triangulation
Das Konzept der Methoden-Triangulation nach Denzin (1978)120 besagt, dass bei
Untersuchungen des gleichen Forschungsgegenstandes durch unterschiedliche
Methoden die Qualität der Erfassung der Forschungssituation erhöht werden
könnte mit Hilfe von kongruenten Ergebnissen dieser Untersuchungen. " […] the
sociologist should examine his problem from as many methodological perspectives as possible”, so Denzin (1978; S. 297). Etwaige "Messartefakte" sollen so
ausgeschlossen werden können. Diese Sichtweise blieb nicht unwidersprochen.
Vor allem Lamnek (1995, S. 236 f.) fasst die Methoden-Triangulation als Strategie zur adäquateren Erfassung des Untersuchungs-"Gegenstandes" auf. Lamnek
widerspricht so also dem Verständnis der Triangulation als additivem Prozess, bei
dem die Ergebnisse in einem kongruenten Verhältnis stehen (müssen), sondern er
sieht darin vielmehr einen Prozess, der Resultate generiert, die in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen. Aus dieser Perspektive ist es nun sogar
möglich, dass Ergebnisse in einem divergenten Verhältnis stehen können - sich
also widersprechen können. Das führt nicht automatisch zu einem völligen Verwerfen der Forschungshypothesen, sondern kann auch die Erstellung von Alternativerklärungen fördern durch das umfassendere Verständnis des (komplexen) Forschungs-"Gegenstandes" und des Kontexts. Dadurch, so Lamnek (1995; S. 237)
wird es möglich, Divergenz in Komplementarität zu verwandeln.
Durch das Forschungsdesign, das diesem Forschungsprojekt zu Grunde lag,
wurde das Verständnis von Lamnek aufgegriffen und durch die Anwendung verschiedener empirischer und kontextsensitiver Forschungsmethoden umgesetzt.
120
Denzin (1978) unterscheidet grundsätzlich zwischen: Daten-Triangulation (mehrere Datenquellen); Beobachter-Triangulation (mehrere Beobachter); theoretische Triangulation (unterschiedliche Theorien) und eben Methoden-Triangulation.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
151
5. Glaubwürdigkeit der Forschung
Ein weiteres Qualitätsmerkmal "guter" empirischer Forschung ist die Glaubwürdigkeit der Forschungsaktivitäten und der Resultate, sowohl in der Praxis als auch
in der Wissenschaft (vgl. auch Weick 1989: "credibility of the investigation")
Um dieses Ziel zu erreichen, musste zweigleisig vorgegangen werden, da die
Glaubwürdigkeit von den beiden Parteien Praxis und Wissenschaft nach unterschiedlichen Kriterien beurteilt wird.
Im Bereich der Wissenschaft sind Transparenz hinsichtlich der Grundprämissen
konzeptioneller und methodologischer Art (vgl. auch oben: Kohärenz) neben einer klaren Aufbaulogik (vgl. oben "Aufbaulogik") erforderlich. Weiter im Blickpunkt der Transparenz stehen die Auswahl der Forschungspartner, die Anwendung der Methoden und die Verwendung des empirischen Materials. Doch wird
hier nicht der Möglichkeit eines "planned opportunism" (Pettigrew 1990, S. 274;
Eisenhardt 1989, S. 593: "controlled opportunism") widersprochen, die - wie bereits oben angesprochen - nötig sein kann, um tragfähige Lernpartnerschaften
durch Wahrnehmung von "exzellenten" Zugängen zum Forschungsfeld aufzubauen, die für kontextspezifische Forschung unabdingbar sind. Solche Entscheidungen wurden jedoch offen gelegt.
In Bezug auf die Methodenauswahl und in Wechselwirkung mit dem Kriterium
der Triangulation formuliert Silverman (2000, S. 284) die Frage: "To what extent
do our preferred research methods reflect careful weighing of the alternatives or
simple responses to time and resource constraints or even an unthinking adoption
of the current fashions?” Im Projekt Foundation Excellence wurden die Methoden
jedoch nach offen gelegten Kriterien und abgestimmt auf die ontologischen, epistemologischen und methodologischen Grundannahmen abgestimmt (vgl. Kap.
4.2). Auch an einem weiteren Kriterium lässt sich Foundation Excellence messen:
der Rückführbarkeit der Resultate auf das vorhandene empirische Material, das
nach den Massgaben des wissenschaftlichen Arbeitens und der wissenschaftlichen
Redlichkeit gesammelt wurde (vgl. auch Silverman 2000, S. 175: "truth”). Mit der
"Hinterlegung" des Modells mit Zitaten aus den Interviews und Praxissituationen
aus den Fallstudien wird klar aufgezeigt, wie die Resultate in den Daten "verankert" sind.
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
152
In der Praxis hingegen kommt es auf eine absolute Unabhängigkeit der Forschenden im Sinne einer Allparteilichkeit an. Die Forschungsergebnisse dürfen nicht in
einem Licht erscheinen, das sie anfällig macht für Befürchtungen wie: "Die sind
ja bezahlt worden von Projektpartner XY. Klar, dass dann die Ergebnisse so aussehen.”
Foundation Excellence verpflichtete sich von Anfang an der Allparteilichkeit
nach bestem Wissen und Gewissen als auch der Transparenz des Forschungsprozesses und der Basisprämissen konzeptioneller und methodologischer Art. Die
Rückmeldungen von den Forschungspartnern waren ausnahmslos sehr positiv und
von hohem Vertrauen geprägt, was sich z. B. auch in der Zusagequote für die Interviews widerspiegelt: von 35 angefragten Interviews wurden 33 zugesagt, eines
wegen Zeitrestriktionen und eines wegen Desinteresse abgesagt.
6. Übertragbarkeit der Forschungsresultate
Die Übertragbarkeit ("practical usefulness") der Forschungsergebnisse in die Praxis ist - auch gemäss dem Leitmotiv von Foundation Excellence: aus der Praxis
für die Praxis - ein zentrales Erfolgskriterium, an dem sich die Forscher messen
lassen. Auch Mintzberg (1979, S. 585 f, vgl. Abbildung 5-8) sieht die Übertragbarkeit in die Praxis als ein zentrales Gütekriterium an: "Probably the greatest impediment to theory building in the study of organizations has been research that
violates the organization, that forces it into abstract categories that have nothing
to do with how it functions. My favourite analogy is of an organization rich in
flows and processes, as implied in the figure [a)], kind of like a marble cake. Then
along comes a researcher with a machine much like those used to slice bread. In
goes the organization and out come the cross-sectional slices. The researcher then
holds up one of them, shown to the right in the figure [b)] figure out what he or
she is seeing.”
a)
Abbildung 5-8:
"Slicing up the organization" (nach Mintzberg 1979, S. 585)
b)
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
153
Durch eine laufend stattfindende Plausibilisierung der Forschungsergebnisse, z.
B. während des Feedback-Workshops, aber auch in zahlreichen informellen Gesprächen mit Praktikern und Wissenschaftlern sowie z. B. durch Präsentationen
und Diskussionen auf Konferenzen, wurde die praktische Relevanz und Übertragbarkeit ständig überprüft (immer in Abhängigkeit von der wissenschaftlich notwendigen Fundierung ("rigor"), vgl. hierzu auch Nicolai 2004). Plausibilisierung
kann so umgesetzt sogar als ein Substitut für Validität angesehen werden, wie
Weick (1989, S. 525) beurteilt. Zur Selbstüberprüfung verwendeten die Forscher
eine Frage von Fine et al. (2003, S. 199) "Have some informants, constituencies
or participants reviewed the material with me and interpreted, dissented, challenged my interpretations?”. Diese kann nach erfolgtem Expertenworkshop, zahlreichen Gesprächen und dem Forschungsaufenthalt in den USA bejaht werden.
7. Anschlussfähigkeit der Forschungsresultate
Gewissermassen als weitere Ausdifferenzierung der Übertragbarkeit der Forschungsresultate kann das Kriterium der Anschlussfähigkeit gesehen werden. Anschlussfähigkeit im Sinne von von Weizsäckers Verständnis von Erstmaligkeit
und Redundanz in Bezug auf pragmatische Information ist entscheidend für den
"Erfolg" der Resultate. D. h. das Resultat muss neu sein (Neuartigkeit und Erstmaligkeit), es muss aber auch eine Anschlussfähigkeit an z. B. vorangegangener
Praktiken möglich sein (Bestätigung). Kurz gesagt: es muss eine "Akzeptanz”
vorherrschen, die Daft (1983, S. 543) wie folgt umschreibt: "Ultimate proof of an
idea or theory is its acceptability to common sense. An important test of validity
is liking an idea, feeling right about it, being able to use it to throw light on a previously hidden aspect of organization.". Dieses Streben nach Akzeptanz darf jedoch nicht dazu führen, jeglicher konstruktiven Irritation aus dem Weg zu gehen,
denn nur durch Irritationen (in Form von Kommunikationsbeiträgen) können Veränderungen hervorgerufen werden. Für autopoietische Sozialsysteme formuliert
Wollnik (1994, S. 144): "Intervention in autopoietische Systeme bedeutet also
streng genommen, geeignete "Störungen" zu finden, die im System erwünschte
strukturelle Veränderungen hervorrufen, ohne seine Identität zu vernichten."
Es ist so gesehen eine "Gratwanderung” zwischen "zu neu" und "alles altbekannt"
bzw. zu viel Irritation (und es passiert nichts) und zu wenig Irritation (und es passiert auch nichts), die auch Foundation Excellence bewältigen muss(te). Ziel war
Empirisches Design und verwendete Forschungsmethoden
154
es, einen ständigen diskursiven Kommunikationsprozess zwischen den Forschenden und der Praxis aufrecht zu erhalten. Die durch die Vorstellung von Forschungsresultaten wie auch durch den Forschungsprozess selbst ausgelösten Irritationen erhöhen auch die Reflexionskompetenz und -bereitschaft auf beiden Seiten im Hinblick einer optimal funktionierenden Lernpartnerschaft. Die Reaktionen (Irritationen) der Praxis wurden von den Forschenden wiederum aufgenommen und verarbeitet (vgl. hierzu jeweils Ablauf und Auswertung der verwendeten
Forschungsmethoden, Kap. 5.3, Kap. 5.4, Kap. 5.5).
8. Ästhetische Qualität der Forschungsresultate
Das Endresultat der Forschung sollte - neben der notwendigen Übertragbarkeit
und der Anschlussfähigkeit - auch einen gewissen Grad an ästhetischer Qualität
(Schönheit) aufweisen, um zu überzeugen, wie Kaplan (in Daft 1983, S. 542:) beschreibt: "Esthetic quality is one way of validating a theory". Mintzberg wird von
Daft ähnlich zitiert (1983, S. 542): "If an idea is not beautiful, then perhaps it will
not be useful either." Interessanterweise wird dieses Ideal der Schönheit auch von
Weick (1989, S. 527) in Bezug auf Theorien und Modelle nochmals aufgenommen.
Foundation Excellence stellte an sich selbst den Anspruch, neben der Praxisrelevanz auch eine hohe ästhetische Qualität der Forschungsresultate anzustreben.
Das Erreichen dieses Kriteriums kann (noch) nicht abschliessend beurteilt werden. Erste Feedbacks erlangten die Forscher bei der Vorstellung der Resultate auf
Konferenzen, beim Expertenworkshop und während des Forschungsaufenthalts in
den USA. Die Rückmeldungen waren nicht nur positiv, was jeweils zu einer
Adaption (Verbesserung) des Modells und der Ausgestaltung führte, die sich aber
erst im "Praxistest" z. B. in Weiterbildungsveranstaltungen voll bewahrheitet.
Diese acht vorgestellten Kriterien dienten dem Forschungsteam von Anfang an dazu, die
Güte der Forschungsarbeit zu erhöhen, ganz nach dem Motto von Engel und Carlsson
(2002): "Evaluation has always been about learning, about how to be accountable, how
to be transparent, how to learn from experience".
Teil B
155
Teil B
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
156
"Alle Wahrheiten
erscheinen bei ihrem Auftreten
paradox"
Arthur Schopenhauer,
dt. Philosoph (1788-1860)
6
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
Dieses Kapitel markiert den Eintritt in die Analyse- und Interpretationsphase des Forschungsprojekts Foundation Excellence. Im Folgenden wird zuerst der Managementkontext von Stiftungen ausführlich beschrieben und interpretiert, bevor in den Kapiteln 7 ff.
das Management Framework vorgestellt wird, gewissermassen als Konklusionen des
Forschungsprojekts.
Kapitel 6.1 stellt die organisationsspezifischen Besonderheiten von Stiftungen vor im
Sinne von theoretisch hergeleiteten, für alle Stiftungen zutreffenden Defiziten, derer sich
Stiftungsmanager bewusst sein müssen. Grundlage hierfür ist eine Gegenüberstellung
von privatwirtschaftlichen, staatswirtschaftlichen und Non-Profit-Organisationen, mit ihrer "Sonderform" Stiftungen. Die Unterschiede werden in fünf Kategorien herausgearbeitet. Sie dienen als Grundlage der Formulierung zweier grundsätzlicher Defizite von
Stiftungen, die in ihrer Organisation begründet sind.
Anschliessend wird die Stiftungslandschaft beschrieben (Kap. 6.2), so wie sie sich im
Verlauf des Forschungsprojekts Foundation Excellence dargestellt hat. Die gesammelten
Eindrücke kumulieren in den fünf Paradoxien des Stiftungsmanagements. Diese werden
mit Zitaten illustriert, um so einen nachvollziehbaren Kontext des Stiftungsmanagements
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
157
aufzuzeigen. Die durch die Paradoxien erfolgte Kontextbeschreibung dient auch dazu,
die Limitationen von "Management" besser einschätzen zu können.
Auf der Basis der Paradoxien wird in Kapitel 6.3 ein "Radar" entwickelt, mit dem sich
aus 18 analysierten Stiftungen drei Stiftungstypen identifiziert lassen. Die drei Stiftungstypen in Kombination mit den zwei Defiziten und den fünf Paradoxien ermöglichen
so einen multiplen Zugang zum Managementkontext von Stiftungen.
6.1
Organisationsspezifische Besonderheiten klassischer Stiftungen
Die organisationsspezifischen Besonderheiten von Stiftungen führen zu bestimmten Defiziten, deren Kenntnis unabdingbar ist, da sie grundsätzlich für alle Stiftungen zutreffen.
Die Defizite stellen auch gewissermassen das auslösende Moment für die im folgenden
Kapitel identifizierten Paradoxien des Stiftungsmanagements dar.
Bei der Führung von Stiftungen müssen die organisationsspezifischen Besonderheiten
berücksichtigt werden, die im Gegensatz zu Profit-Unternehmen, Staat und anderen
Non-Profit-Organisationen bestehen. Diese entstehen aus der gesellschaftsrechtlichen
Ausgestaltung des Organisationstypus "Stiftung". Die Besonderheiten der Organisation
"Stiftung" werden in Abbildung 6-1 dargestellt. Die sich daraus ergebenden
organisationsspezifischen Defizite werden im Folgenden ausführlich diskutiert.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
158
1
2
3
4
5
Stiftungen
Privatwirtschafl.
Organisationen
Staatswirtschaftl.
Organisationen
Non-ProfitOrganisationen
Güterart
Private Güter
(teilweise auch
Klubgüter)
(reine) öffentliche
Güter (teilweise
auch Klub- und
Verstopfungsgüter)
Private Güter oder
Klubgüter
Meritorische, quasiöffentliche oder
öffentliche Güter
Leistungsempfänger
Leistungsvergüter
Steuerzahler
Leistungsvergüter
oder Mitglieder
Destinatäre
Preissetzungsmechanismus
Markt (Angebot
und Nachfrage)
Gesetz
Angebot (Preis =
Herstellungskosten
Nachfrage
("soviel wie nötig")
Steuerungslogik
Gewinnstreben
Legalitätswahrung
Mission
Zweck
Wertmassstäbe
EBITDA, ROI, ROE
Qualitäts-/
Effizienzkriterien
"harte" und "weiche" Wertmassstäbe
kaum "harte"
Wertmassstäbe;
langfristige Ziele
Eigentümer
Shareholder
Bürger/
Gesellschaft
Mitglieder
Keine
(Gesellschaft)
Aufsichtsorgan
Verwaltungsrat
Parlament
Vorstand
Stiftungsrat
Wahlvorgang
Demokratisch
Demokratisch
Demokratisch
Selbstbestimmt
Subventionen
(normalerweise)
Keine
Steuerempfänger
Subventionierung
in Form von Steuerprivilegien
Subventionierung
in Form von Steuerprivilegien
Abbildung 6-1:
(operative und Vergabestiftungen)
Unterscheidungsmerkmale von Stiftungen zu privat-, staatswirtschaftlichen und
Non-Profit-Organisationen (in Erweiterung von Bumbacher 2000, S. 457 ff.)
1. Güterart:
Ein erster Unterschied zwischen den aufgezeigten Organisationstypen betrifft die
- selbst oder durch Dritte - produzierte Güterart und die damit einhergehende Abweichung von klassischen Preissetzungsmechanismen (vgl. Punkt 2). Die durch
Stiftungen bereitgestellten Güter sind überwiegend meritorische Güter (z. B. Projekt "Moving Alps - Neue Ansätze in der Regionalplanung" der Jacobs Stiftung),
quasi- oder reine öffentliche Güter (z. B. Badeanstalt der Christoph Merian Stiftung; Forschungsprojekte der Gebert Rüf Stiftung), für die Rivalität und
Ausschliessbarkeit nicht oder zumindest nur teilweise gelten121. Ausschliessbarkeit bedeutet, dass ein Gut, das eine Person nutzt, nicht gleichzeitig von einer anderen Person genutzt werden kann. Dies ist aber der Fall für sog. Privatgüter, die
überwiegend aufgrund beschränkbarer Eigentumsrechte durch Profit- (z. B. Autos) und Non-Profit-Unternehmen (z. B. Genossenschaftsprodukte) mit je unterschiedlicher Steuerungslogik bereitgestellt werden (vgl. Punkt 3). Wer private
Güter erwirbt, bezahlt vollumfänglich für das, was er bekommt. Für den Erwerber
121
Vgl. hierzu auch die unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen von Stiftungen in Kapitel 2.3.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
159
entspricht der eigene Nutzen dabei gerade den Kosten für dieses Gut. Der Erwerber des privaten Gutes verschafft sich die ausschliessliche Verfügungsgewalt über
dieses Gut, d. h. er kann es für sich allein nutzen und alle anderen von der Nutzung ausschliessen. Öffentliche Güter werden hingegen "verteilt" (bereitgestellt)
und nicht verkauft. Per Definitionem können verschiedene Gruppen von öffentlichen Gütern profitieren - und gewöhnlich werden diese vom Staat hergestellt (auf
Grund des inhärenten Marktversagens bei diesen Gütern). Somit lassen sich Abgrenzungen ziehen: a) zu Profit- und Non-Profit Organisationen, denn Stiftungen
stellen keine Privatgüter her, und b) zum Staat, denn die Bereitstellung von meritorischen oder (quasi-)öffentlichen Gütern erfolgt durch Stiftungen, und damit auf
private Initiative hin (Stifterwille).
2. Leistungsempfänger und Preissetzungsmechanismus:
Die Leistungsempfänger bei Stiftungen (Destinatäre) sind nicht mit den
Leistungsvergütern (bei Unternehmen) oder Mitgliedern (bei Non-Profit Organisationen) identisch. Bei Stiftungen entfällt der Mechanismus, dass die empfangene Leistung wie bei Profit- und Non-Profit-Organisationen durch eine - oftmals
- monetäre Gegenleistung abgegolten wird. Der Preissetzungsmechanismus folgt
insofern anderen Regeln, als dies bei Stiftungen der Fall ist. Dort setzen die Nachfrager in gewissem Sinne den "Preis" für das zu erstellende Gut, denn eine (Vergabe-) Stiftung prüft ein eingereichtes Projekt nach bestimmten Kriterien und bewilligt dann ggf. die vom Antragsteller benötigte (geforderte) Geldsumme. Bei
Schlechterfüllung oder Budgetunterschreitung im Rahmen von Förderprojekten
ist es nicht üblich, dass Stiftungen ihren Förderbeitrag zurück verlangen. Ein anderer Preissetzungsmechanismus herrscht beim Staat vor. Hier setzten Gesetze die
Preise fest, bei Profit-Organisationen erfolgt die Preisbildung durch Angebot und
Nachfrage. Bei Non-Profit-Organisationen schliesslich ergibt sich der Preis aus
den Herstellungskosten: Das Angebot bestimmt somit den Preis. Typisch für
Stiftungen ist, dass sie nicht in einem Kostenwettbewerb, wohl aber in einem
Leistungswettbewerb stehen. Die Folgen sind die Bedienung von gesellschaftlichen Knappheiten, Leistungs- statt Kostenführerschaft und Konzentration auf
Leistungsoptimierung statt auf Kostensenkung.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
160
3. Wertmassstäbe und Steuerungslogik:
Light beschreibt das Umfeld, in dem Stiftungen "gesellschaftliche" Leistung erbringen sollen, wie folgt: "Performance, not promises, is the currency of public
trust, which means that organizational effectiveness has never been more important" (Light 2002, S. 34). Der oben genannte Zwang zur organisationalen Effektivität im Rahmen der Leistungserbringung findet statt in einem Spannungsfeld,
das Voswinckel folgendermassen charakterisiert: "Bei aller Rationalität, Effizienz
und Profilorientierung braucht sie [die Stiftung] unverzichtbar das Bewusstsein
einer kulturellen Verpflichtung - Kultur hier verstanden im Sinne des
Gemeinwohls. Mir scheint, ein solches Denken ist angesichts unserer
gegenwärtigen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklung aktueller denn je" (Voswinckel 1998, S. 71). Es wird hier deutlich,
dass verschiedene Rationalitäten in Stiftungen aufeinander prallen - zumindest
eine wirtschaftliche und eine im weitesten Sinne kulturelle oder ideell-gemeinnützige, die noch dazu stark geprägt ist z. B. durch den Stifter und das
Selbstverständnis der Stiftung, beispielsweise Ausgleich, Solidarität, Motor des
Fortschritts, Wahrung der Tradition usw. Im Gegensatz dazu herrscht bei
Unternehmen und staatlichen Institutionen i. d. R. nur eine Rationalität im
Vordergrund (z. B. in Unternehmen: Orientierung an den grundsätzlich legitimen
Verzinsungsansprüchen des Finanzmarkts - Value Based Management; in
Verwaltungen:
Legalitätswahrung
einerseits
und
effizienz-
und
wirkungsorientierte Verwaltungsführung andererseits - New Public Management). Die Komplexität des Stiftungsmanagements wird aber nicht nur durch die
verschiedenen Rationalitäten oder Steuerungslogiken erhöht, sondern in besonderem Masse auch durch fehlende Wertmassstäbe oder schwer erfassbare
Wertschöpfung. In Unternehmen (z. B. EBITDA, ROI, ROE) oder öffentliche
Verwaltungen (z. B. Qualitäts- oder Effizienzkriterien) existieren dagegen
entsprechende,
anerkannte
Wertmassstäbe.
Non-Profit-Organisationen
und
insbesondere Stiftungen haben auf Grund der Sachzieldominanz (Mission) und
des fehlenden Profitstrebens kaum die Möglichkeit, "harte" Wertmassstäbe
einzuführen. Deswegen müssen hier "weiche" und auf Langfristigkeit ausgelegte
Massstäbe eingesetzt werden.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
161
4. Eigentümerstruktur:
Im Gegensatz zu anderen Organisationstypen wie einer privatwirtschaftlichen Organisation, die das Eigentum von Shareholdern ist, den staatswirtschaftlichen Einheiten (öffentliches Eigentum), oder den Non-Profit-Organisationen, die grösstenteils mitgliedschaftlich organisiert sind, gehören Stiftungen niemandem - oder
in letzter Konsequenz der Gesellschaft. Die Stiftung stellt ein verselbstständigtes
Kapital dar, deshalb kann kein Profit-Rückfluss an Eigentümer erfolgen. Die Interessen der Eigner werden bei allen Organisationen von einem Aufsichtsorgan
wahrgenommen, das sich jeweils unterscheidet: Verwaltungsrat bei Unternehmen,
Parlament bei staatswirtschaftlichen Organisationen oder Vorstand bei Non-Profit-Organisationen.122 Durch die rechtliche Konstitution einer Stiftung als verselbständigtes Kapital entfällt hier diese Art von Eigentümerschaft. Der Stiftungsrat
wird - zumindest in der erstmaligen Besetzung - vom Stifter eingesetzt. Der Stiftungsrat führt die Kontrolle treuhänderisch für die Gesellschaft durch. Eng mit
dem Aufsichtsorgan verbunden sind auch die entsprechenden Konstitutionsregeln
für die Wahlvorgänge zu den Aufsichtsorganen sowie die generellen Entscheidungsregeln. Bei staatlichen Einrichtungen werden Entscheidungen auf der Basis
eines demokratisch zustande gekommenen Mehrheitsbeschlusses (Abstimmungen) getroffen. Bei Unternehmen wird das Aufsichtsgremium von Shareholdern
gewählt, die somit ebenfalls auf die Entscheidungsfindung Einfluss nehmen oder
zumindest eine Kontrollfunktion ausüben. Stiftungen haben im Gegensatz dazu auch im Gegensatz zu Non-Profit-Organisationen - keine Mitglieder oder Shareholder, die in die Entscheidungsprozesse eingreifen können. Stiftungen stellen
somit für die interessierte Öffentlichkeit immer noch, zumindest im Gegensatz zu
börsenkotierten Unternehmen, eine "black box" dar (Diaz 1997), deren "accountability, operations, and descision making" mehr und mehr hinterfragt werden,
insbesondere da Stiftungen bisher "eher als Produkt eines Bürgerrechts denn als
Mitwirkende an einem gesellschaftlichen Prozess" gesehen werden (Strachwitz
1998b, S. 34).
122
Eine Sonderstellung innerhalb der privatwirtschaftlichen Organisationen nehmen die Einzelunternehmen ein, hier verfügen
die Eigentümer über keine Aktien, besitzen jedoch die gesamte Unternehmung. Ebenfalls führen sie ihre Eigentumsverhältnisse direkt und nicht über einen Verwaltungsrat aus. Allerdings sind Einzelunternehmen in der vorgenommenen
Unterscheidung (v.a. aufgrund klarer Eigentumsverhältnisse) vergleichbar mit den übrigen privatwirtschaftlichen
Organisationen.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
162
5. Subventionen:
Subventionen werden von den Steuerbehörden zugesprochen, wenn die unter Kapitel 2.2.1 erforderlichen Bedingungen der Gemeinnützigkeit (Allgemeininteresse
und Uneigennützigkeit) gegeben sind. Die gesellschaftlich, mehrheitsdemokratisch akzeptierte Subvention von Stiftungen in Form von Steuerprivilegien stellt
gegenüber anderen Produzenten von Gütern wie insbesondere den privatwirtschaftlichen Unternehmen eine Besserstellung dar, die durchaus kritisch gesehen
werden kann. Strachwitz geht z. B. davon aus, dass "zumindest die Dienstleister
unter den Stiftungen […] mit Sicherheit in absehbarer Zeit über ihre Vorteile gegenüber gewerblichen Wettbewerbern zu reden gezwungen werden" (Strachwitz
1998b, S. 34). Dies gelte aber auch für die sog. Vergabestiftungen, denn "auch die
Öffentlichkeit hat entgegen dem alten Grundsatz, über gute Taten solle man nicht
reden, einen Anspruch darauf zu erfahren, wie mit steuerlichen Privilegien ausgestattete Organisationen arbeiten" (Strachwitz 1998b, S. 37). Diese steigenden
Erwartungen der kritischen Öffentlichkeit an die Tätigkeit von Stiftungen (Transparenzbedürfnis und Legitimitationspflicht) werden begründet mit dem "Vertrauenskredit" durch Steuererleichterungen und öffentlichen Zuwendungen für gemeinnützige Organisationen.
Durch die hierbei beschriebenen organisationsspezifischen Charakteristika unterscheiden
sich Stiftungen massgeblich von anderen Organisationsformen. Ihre Grundkonstitution
führt zu den im Folgenden beschriebenen Messbarkeitsdefizit sowie Kontrolldefizit.
6.1.1
Messbarkeitsdefizit klassischer Stiftungen
Die von Stiftungen produzierten meritorischen, quasi-öffentlichen und öffentlichen Güter sind von ihrer Wesensart her grundsätzlich schwierig auf ihre Wirksamkeit hin zu
überprüfen. So tritt zwischen dem Input und dem Output einer Stiftung oftmals ein sog.
"Währungsunterschied" auf. Die Währung des Inputs besteht überwiegend aus monetären Mitteln, neben z. T. anderen Ressourcen, z. B. Wissen und Zeit. Das durch die Stiftungsarbeit erstellte Produkt ist jedoch ein gesellschaftlicher Nutzen. Dieser fällt nur in
den seltensten Fällen in monetärer Form an. Die Bestimmung des langfristigen Impacts
einer Stiftung ist oftmals diffus und kann nicht über die Bestimmung klassischer ökono-
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
163
mischer Kennzahlen erfolgen. Dieser Währungsunterschied erschwert eine Evaluation
und Nachvollziehbarkeit der erzielten Wirkung der Stiftungsarbeit.
Der Grad der in der Mission einer Stiftung gefassten gesellschaftlichen Knappheit lässt
sich, im Unterschied zu den "marktlichen" Knappheiten in der Unternehmenswelt, nicht
an einem eindeutigen Preis messen. Es gibt kein allgemein akzeptiertes Kriterienraster
oder einen "objektiven" Vergleichsmassstab, der aufzeigt, ob in einer bestimmten Situation die Förderung, z. B. einer neuartigen Kunstrichtung oder die Förderung der Volksgesundheit, gesellschaftlich knapper und damit "wertvoller" ist. Der in Kapitel 6.1 unter
Punkt 2 beschriebene fehlende Preissetzungsmechanismus durch Angebot und Nachfrage fällt damit bei der Lösung dieses Dilemmas ebenfalls aus, was die Unsicherheit bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit, mit der sich eine Stiftung ständig auseinandersetzen muss, verstärkt.
Die hier beschriebenen Eigenschaften von Stiftungen resultieren in einem Messbarkeitsdefizit. Das Messbarkeitsdefizit führt zu einem fehlenden Feedbackmechanismus für die
Stiftung im Hinblick auf ihre Tätigkeit. Es gibt keine kundenähnliche Instanz, die einen
Effizienz- und Effektivitätsdruck, basierend z. B. auf ihrer Käufermacht, ausüben kann,
um so dem Stiftungsmanagement signalisieren können, ob die "richtigen" Ziele erfolgreich verfolgt werden oder nicht. Im Gegensatz zu sich in einer Marktsituation befindenden Unternehmen existiert bei Stiftungen kein adäquates Informationssystem, das sowohl die "richtige" Menge als auch die "richtige" Qualität des produzierten Gutes aufzeigt. Im Vergleich zu staatlichen Organisationen sind Stiftungen nicht einem Wahlprozess ausgesetzt, der ebenfalls einen Feedbackmechanismus darstellt, durch die Möglichkeit, periodisch über die erzielte Performance zu urteilen. Aufgrund dieses Defizits ist es
daher schwer, der Gesellschaft, den Mitarbeitern oder dem Stifter in nachvollziehbarer
Art und Weise die Tätigkeit einer Stiftung und den dadurch generierten gesellschaftlichen Nutzen aufzuzeigen.
Das schwer erfassbare Feedback zur Tätigkeit der Stiftung beeinträchtigt die Stiftungsarbeit z. B. dahingehend, dass der Impact einer Stiftung oftmals erst mit grosser Zeitverzögerung sichtbar wird. Die Incentivestrukturen und die z. B. darauf basierende finanzielle
Honorierung der Mitarbeiter sind dagegen kurzfristig ausgerichtet, wie es in der Unternehmenswelt durchaus üblich ist. In den USA ist z. B. die sog. "Hire-and-Fire"-Kultur
auch gegenüber Mitarbeitern in Stiftungen weit verbreitet. US-Stiftungen haben z. B.
164
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
teilweise zeitlich befristete Arbeitsverträge mit ihren Mitarbeitern geschlossen. Die Ford
Foundation geht sogar soweit, das maximale Arbeitsverhältnis von Mitarbeitern auf 8
Jahren zu limitieren. Diese Tatsache kann somit das Stiftungsmanagement dahingehend
verleiten, schnelle Ergebnisse (sog. "quick wins") zu generieren, die u. U. der Erreichung
der langfristigen Mission nicht zuträglich sind, ihr sogar zuwiderlaufen können (z. B.
"Abtransport" von Drogenabhängigen und damit "Säuberung" des Strassenbildes (Symptombekämpfung), aber keine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Drogenabhängigkeit.
Das Messbarkeitsdefizit erschwert des Weiteren die Zurechenbarkeit von Geleistetem im
Sinne von Causal-Effects ("Hat das, was wir gemacht haben, wirklich eine Wirkung erzielt?" und "Entspricht diese Wirkung auch wirklich dem, was wir erreichen wollten?"),
was einer allgemeinen Legitimation von Stiftungen entgegen wirkt. Diese Auswirkung
des Messbarkeitsdefizits stellt spezifische Herausforderungen an das Management einer
Stiftung dar, indem sie trotz fehlendem allgemeinen Vergleichsmassstabs aufzeigen
muss, was durch den Einsatz der - immer knappen - zeitlichen, finanziellen und Kompetenz-Ressourcen geleistet wurde (Evaluation). Mit dieser Schwierigkeit gilt es auf Stiftungs- als auch auf sektoraler Ebene konstruktiv umzugehen. Mit der Rekonstruktion der
Zurechenbarkeit (Accountability) bestimmter Aktivitäten und Projekte legitimiert sich
die Stiftung innerhalb des Stiftungssektors sowie dieser als Kraft im Dritten Sektor und
gegenüber staats- und privatwirtschaftlichen Akteuren. Das Aufzeigen einer effizienten
und effektiven Stiftungstätigkeit durch die Rückverfolgung von Erreichtem in Relation
zur Mission gilt als zentrale Herausforderung bei der Legitimierung von Stiftungen.
Auf der anderen Seite führt das Messbarkeitsdefizit zu einem fehlenden extrinsischen
Anreiz zur Professionalisierung der Stiftungsarbeit. Ein Unternehmen, das nicht stets
Bemühungen im Bereich des normativen Managements (z. B. durch Regelungen zum
Umgang mit Interessenkonflikten), des strategischen Managements (z. B. durch Positionierung gegenüber der Konkurrenz) und des operativen Managements (z. B. durch die
effiziente Auslieferung von Produkten) vornimmt, ist nicht überlebensfähig und verschwindet über kurz oder lang vom Markt. Stiftungen unterliegen diesem Druck nicht
und laufen nicht Gefahr, aufgrund suboptimaler Arbeitsweise ihre Existenz zu verlieren.
Unterlassungen bei der Einhaltung einheitlicher Rollenteilung zwischen Stifter, Stiftungsrat und Geschäftsführung, die Suche neuer Wirkungsfelder oder Kompetenzaufbau
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
165
und Personalentwicklung von Stiftungsmitarbeitern führen nicht zwingendermassen zum
"Konkurs" einer Stiftung. Dies kann zu einem fehlenden Anreiz zur Reflexion der Aktivitäten einer Stiftung durch das Stiftungsmanagement führen. Stiftungen sehen sich nicht
zur Optimierung und Weiterentwicklung gezwungen und geraten deshalb in Gefahr, in
Trägheit zu erstarren (Hannan/Freeman 1977, 1984, Gresov et al. 1993). Die bei Stiftungen unvollständigen und oftmals gänzlich fehlenden Performance-Signale (z. B. eines
Marktes, von Wählern oder von Destinatären) müssen durch ein transparent arbeitendes
und proaktiv agierendes Managements ausgeglichen werden (Anheier 2005a).
6.1.2
Kontrolldefizit klassischer Stiftungen
Die einzigartige Konstitution einer Stiftung bezüglich der in Kapitel 6.1 unter Punkt 4
besprochenen Eigenschaften der Eigentümerverhältnisse, ihres Aufsichtsorgans sowie
des Wahlvorganges zur Bestimmung des Aufsichtsorgans führt zu einem organisationsspezifischen Kontrolldefizit. Bei privatwirtschaftlichen Organisationen dominieren in
der Gesamtzielerreichung die Eignerinteressen, bei staatswirtschaftlichen Organisationen
die per Mehrheitsentscheid zum Ausdruck gebrachte gesellschaftliche Präferenz. In den
übrigen Non-Profit-Organisationen werden die Eigentümerinteressen durch Mitgliederoder Spenderinteressen wirksam.
Demgegenüber sieht sich das Kontrollorgan bei Stiftungen, also der sich selbst konstituierende Stiftungsrat123, keiner eigentlichen Eigentümerschaft gegenüber gezwungen, Rechenschaft
über
Aktivitäten
abzulegen
(vgl.
Abbildung
6-2).
Eine
direkte
Kontrollmöglichkeit z. B. einer Aktionärsgruppe oder der Gesellschaft als "letztinstanzlicher Eignerin" fehlt. Selbst der Stifter kann auf Grund des Status der Stiftung als verselbständigtes Kapital i. d. R. keine "ausserordentliche" Kontrollmacht ausüben. Er hat
nicht mehr Möglichkeiten als die übrige Öffentlichkeit. Durch die fehlende externe Kontrolle nimmt der Stiftungsrat, als Aufsichtsgremium der Stiftung, eine zentrale Rolle ein.
Er gilt gegenüber der Öffentlichkeit als Mandatsträger und soll in treuhänderischer
Weise die Stiftung im Sinne der Gemeinnützigkeit führen. Diese Balance zu halten zwischen gesellschaftlicher Treuhandschaft, privatem Stiftungswillen und erfolgreicher
123
Wobei hier Ausnahmen möglich sind. So wird der Stiftungsrat (Stiftungskommission) der Christoph Merian Stiftung, Basel,
von der politischen Gemeinde Basel gewählt.
166
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
Vermögensverwaltung birgt das Risiko von Interessenkonflikten durch eine Verlagerung
von Eigner- zu Eigeninteressen.
Die Selbstkontrolle und die Kooptation des Stiftungsrates bergen zudem die Gefahr einer
hermetisch abgeriegelten Organisation. Eine Stiftung ist dadurch weder gezwungen die
Umwelttrends und ihre gesellschaftlichen Bedürfnisse aufzuspüren noch eine förderliche
Kooperationsbereitschaft und -kompetenz aufzubauen. Diese Elemente liegen in der Eigenverantwortung des Stiftungsmanagements.
Die fehlende direkte Kontrolle durch die Eigentümer wird bei Stiftungen durch eine
staatliche Kontrolle teilweise ersetzt. Sprecher und von Salis-Lütolf (2002) sehen zwei
Gründe für eine zwingende staatliche Aufsicht, wie sie z. B. durch die Steuerbehörde
und die Stiftungsaufsicht in der Schweiz erfolgt und neu durch die Pflicht zur Beauftragung einer Revisionsstelle ergänzt wird. Einerseits besteht die Notwendigkeit, das Fehlen von Mitgliedern auszugleichen. Stiftungen gehören wie oben aufgezeigt sich selbst,
d. h. niemandem oder der Gesellschaft insgesamt. Andererseits sind Stiftungen für das
Gemeinwohl aktiv und somit eine gestalterische "Macht" in der Zivilgesellschaft. Dem
Staat als Hüter des Gemeinwohls und als treuhänderischer Verwalter der
Eigentümerinteressen der Gesellschaft kommt somit die Zuständigkeit für die Aufsicht
zu. Jedoch kann die Kontrolle nur in begrenztem Masse von staatlichen Aufsichtsstellen
wahrgenommen werden. Neben der staatlichen Kontrolle erfolgt zunehmend aber auch
eine Kontrolle durch die kritische Öffentlichkeit (z. B. Interessenvertreter, Medien).
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
167
Gesellschaft
Kritische Öffentlichkeit
Steuerbehörden
Revisionsstelle
Geschäftsführung
Stiftungsrat
Revisionsstelle
Stiftungsaufsicht
Abbildung 6-2:
Die legalen und legitimen Aufsichts-"Organe" von Stiftungen
Die Steuerbehörde prüft bei der Beantragung der Steuerbefreiung einer Stiftung deren
Gemeinnützigkeit. Befindet sie - meistens aufgrund der Zweckformulierung und nicht
aufgrund der tatsächlichen Aktivitäten - die Tätigkeit der Stiftung als gemeinnützig, erfolgt die Gewährung von Steuerprivilegien.
Durch die im Jahre 2005 verabschiedete Revisionspflicht in der Schweiz wird eine zusätzliche Kontrollinstanz der Stiftungsaktivitäten eingeführt. Neu ist die Aufgabe der Revisionsgesellschaft, den Jahresabschluss auf Übereinstimmung mit den Belegen zu prüfen. Was bei Unternehmen bisher bereits üblich oder gar rechtlich vorgeschrieben war,
ist nun auch bei Stiftungen als notwendig erkannt worden, weil hier die Aufsicht des
Eigners oder der Mitglieder fehlt und es nicht in den Aufgabenkatalog der Stiftungsaufsicht fällt.
Die Stiftungsaufsicht prüft dagegen jährlich den Rechenschaftsbericht einer Stiftung.
Eine solche Prüfung beinhaltet die summarische Durchsicht der Bilanz und Erfolgsrechnung, der Kongruenz von Ausschüttungen und Stiftungszweck, der Einhaltung des in der
Stiftungsurkunde festgelegten Zwecks, die Anwendung allfälliger Reglemente sowie die
Vermeidung der Thesaurierung des Vermögens. Des Weiteren fällt die Anlage des Stiftungsvermögens in den Prüfbereich. Die Aufsichtsbehörden lassen den Stiftungen bezüglich Vermögensanlagen jedoch weitestgehende Freiheit, solange die allgemeinen
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
168
Grundsätze der Sorgfaltspflicht der Verwaltung eingehalten werden124. Nur in
Ausnahmefällen kann die Stiftungsaufsicht direkt in die Tätigkeiten der Stiftung eingreifen und z. B. Mitglieder eines Stiftungsorgans ersetzen. In einem Bundesgerichtsentscheid wurde ausdrücklich festgehalten, dass sich die Stiftungsaufsicht nicht in den Ermessensspielraum einzumischen hat. Sie kann nur bei Rechtswidrigkeit oder Ermessensüberschreitung eingreifen (BGE 111 II 99, 112 II 99 und 471). Die Stiftungsaufsicht
könnte erst dann eingreifen, wenn in einer Stiftung übermässig hohe Verwaltungskosten
im Verhältnis zu den Ausschüttungen anfallen (z. B. überhöhtes Gehalt des Geschäftsführers der gleichzeitig Sohn des Stiftungsgründers ist). Hierzu existieren allerdings
keine Richtgrössen; die Aufsicht kann nur extreme Verfehlungen ahnden.125 Nicht
berücksichtigt werden bei der Kontrolle einer Stiftung durch die Stiftungsaufsichten z.
B. die gesellschaftliche Bedeutung des Stiftungszweckes, das Auswahlverfahren und die
Wirksamkeit der Förderaktivitäten sowie die internen Prozesse.
In zunehmender Weise ist eine Tendenz spürbar, die vor ungefähr einem Vierteljahrhundert in die Unternehmenswelt Einzug gehalten hat: ein steigendes Informations- und
Kontrollbedürfnis von Seiten der Öffentlichkeit (vgl. Schindler 2003, S. 277). Dies lässt
sich dadurch begründen, dass die Gesellschaft in zweierlei Hinsicht von der stifterlichen
Privatinitiative "betroffen" ist:
1. durch die Zielfunktion von Stiftungen, einen Sozialen Wandel anzustreben (vgl.
Kap. 2.3), denn durch die Bearbeitung der identifizierten gesellschaftlichen
Knappheiten durch Stiftungen ergeben sich unmittelbar oder mittelbar Auswirkungen auf die Gesellschaft. Von Stiftungen lancierte oder unterstütze Aktivitäten z. B. für ein Beschäftigungsprogramm für ältere Arbeitnehmer kann positive
Auswirkungen besitzen hinsichtlich der Sozial- und Pensionskassen, der volkswirtschaftlichen Produktivität, des "Generationenvertrags", des psychischen
Wohlbefindens älterer Menschen usw. Auch im "Kleinen" werden z. T. unterschiedliche gesellschaftliche Interessen tangiert. Die Christoph Merian Stiftung
hat z. B. in Basel das "Rheinbad St. Johann" renoviert (vgl. Jahresbericht der
Christoph Merian Stiftung 2002, S. 20). Dieser Förderentscheid betraf verschie124
Dies im Gegensatz zu den Personalvorsorgestiftungen in der Schweiz ("BVG-Stiftungen"), für die es umfangreiche, z. T. gesetzlich verfasste Regelungen zur Vermögensanlage gibt.
125
Bei operativen Stiftungen ist diese Schwierigkeit aufgrund der höheren internen Personalkosten und der unklar bestimmbaren
Wirkung noch höher.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
169
dene Stakeholdergruppen mit unterschiedlichen Ansprüchen in unterschiedlichem
Masse (z. B. Badegäste, Naturschützer, Anwohner, Fischer).
2. durch die Einräumung von Steuerprivilegien. Die Öffentlichkeit wird sich in Zukunft aufgrund des entgangenen Steuersubstrats durch die Steuerbefreiung von
Stiftungen mehr und mehr als Miteigentümerin der "quasi-öffentlichen" Organisation "Stiftung" sehen und deshalb eine Kontrollfunktion über die Stiftungsaktivitäten wahrnehmen wollen. In ihrem Appell zur Professionalisierung des Stiftungsmanagements verdeutlichen Porter und Kramer (1999) die Bedeutung der
Steuerprivilegien. Sie zeigen an einem Rechenbeispiel bezogen auf die USA,
dass bei einem Beitrag von USD 100 an eine Stiftung USD 40 an
Steuereinnahmen der Gesellschaft durch die Steuerbefreiung entgehen. Wenn nun
davon ausgegangen wird, dass Stiftungen im Schnitt 5.5% des Kapitals126 jährlich
ausschütten, ergibt sich rechnerisch ein jährlicher Nutzen für die Gesellschaft von
USD 5.50. Werden nun die jährlichen Ausschüttungen aus der ursprünglichen
Zuwendung von USD 100 auf den heutigen Wert abdiskontiert, ergibt sich nach 5
Jahren eine Ausschüttung von lediglich USD 21, d. h. also nur 50% der
entgangenen Steuereinnahmen und selbst nach 100 Jahren (!) wurden USD 55
ausgeschüttet - und somit lediglich etwas mehr als das ursprünglich der
Gesellschaft entgangene Steuersubstrat.127 Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass
nicht nur ein Stifter, sondern auch die Steuerzahler einen beachtlichen Beitrag für
einen erwarteten sozialen Nutzen im Voraus an Stiftungen leisten.128 Analog zu
einer Unternehmung kann somit ein gewisser Teil des Stiftungsvermögens wie in
als Eigenkapital der Gesellschaft gesehen werden (vgl. Abbildung 6-3). Dieses
Beispiel verdeutlicht, dass Stiftungen auch einen materiell berechenbaren
Vertrauensvorschuss seitens der Gesellschaft haben. Stiftungen sind somit nicht
gerade "billige" Instrumente, um private Mittel für einen öffentlichen Zweck zu
allozieren.
126
Die Ausschüttungspflicht für US-Stiftungen beträgt 5% des Kapitals pro Jahr. Der langjährige Durchschnitt der
Ausschüttungen der Stiftungen in den USA beläuft sich auf 5.5% (2005).
127
Noch deutlicher werden die Ausmasse der Steuerbefreiung, wenn die Entgangenen Steuereinnahmen betrachtet werden. So
betragen in den USA die "Lost Government Revenues" (wegen der Steuermindereinnahmen) für den gesamten Nonprofit
Sektor USD 166 Milliarden (1999). Diese setzen sich zusammen u. a. aus Steuererleichterungen und Steuerabzugsfähigkeiten für Spenden (Lee 2004, S. 172).
128
Ferner muss beachtet werden, dass zusätzliche Kosten für administrative Aufwendungen der Stiftungen sowie Antrags- und
Reportingkosten auf Seiten der Destinatäre anfallen.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
170
Bilanz
Aktive
Umlaufvermögen
Passive
Verbindlichkeiten
Stiftungskapital
Anlagevermögen
Steuersubstrat = EK der Gesellschaft
Total Aktive
Abbildung 6-3:
Total Passive
Stiftungskapital als Eigenkapital der Gesellschaft
Sobald nun die Gesellschaft durch die Stiftungsarbeit tangiert und in diese gar miteinbezogen wird durch den initiierten gesellschaftsbezogenen Wandel sowie das beanspruchte
Steuersubstrat, ergibt sich ein kommunikativer Legitimierungsbedarf der stifterlichen
Aktivitäten. Stiftungen verpflichten sich bei der Beantragung der Steuerprivilegien freiwillig, mit dem dadurch in Anspruch genommenen Vertrauensvorschuss der Gesellschaft
angemessen umzugehen und den kommunikativen Legitimierungsbedarf der kritischen
Öffentlichkeit anzuerkennen und zu befriedigen - wie dies Unternehmer gegenüber ihren
Kapitalgebern und der Staat gegenüber seinen Wählern zu leisten haben: "In accepting
the privilege of tax exemption and the right to solicit tax-deductible contributions, the
public benefit agencies and philanthropic organizations also accept an obligation to be
ready to answer not only to their membership but to the broader public as well, for the
way they use resources that would otherwise have gone into the public treasury" (Jeavons 1994, S. 197 - zit. in Lee 2004, S. 172).
Dies führt einerseits zu gewissen Leistungserwartungen gegenüber dem Stiftungsmanagement (Druck zur Gestaltung und Wirkungserzielung), hat andererseits aber auch Auswirkungen auf das Informations- und Kommunikationsverhalten von Stiftungen (Druck
zur Transparenz und Verlässlichkeit). Mit anderen Worten wird hier ein Anspruch an ein
professionelles Stiftungsmanagement formuliert, im Sinne eines reflektierten, konsequenten und authentischen Handelns aller Beteiligten. Die in Kapitel 6.3 präsentierten
Basisprämissen "guten" Stiftungsmanagements sind richtungweisend für einen konstruktiven Umgang mit dem von der Gesellschaft gewährten Vertrauensvorschuss gegenüber
Stiftungen.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
6.2
171
Managementkontext in 5 Paradoxien
Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über die Stiftungslandschaft und
das Management von Stiftungen. Sie entstammen aus verschiedenen empirischen Untersuchungen, die im Laufe des Forschungsprojekts durchgeführt wurden, namentlich aus
den 32 Interviews, den teilnehmenden Beobachtungen und Dokumentenanalysen der
Fallstudien sowie aus der Analyse von informellen Gesprächen mit Vertretern von Stiftungen oder Stiftungsexperten aus Wissenschaft und Praxis. Die zu Paradoxien129
zusammengefassten Eindrücke im Sinne von "dichten Beschreibungen" werden unterlegt
mit Zitaten aus den Interviews. Charakteristisch für Paradoxien ist die tatsächliche oder
scheinbare "Unlösbarkeit" des Widerspruchs. Dieses Verständnis wird aufgegriffen im
Sinne von "eigentlich sollten Stiftungen … aber sie tun es nicht". Zur Handhabung der
Paradoxien wird auf die Kapitel 7 ff. verwiesen, in denen das entwickelte ManagementFramework für Stiftungen die vernetzten Handlungsfelder des Stiftungsmanagements
aufzeigt und Handlungsoptionen vorstellt, um diese Paradoxien zu handhaben und zu reduzieren.
Die folgenden fünf Paradoxien charakterisieren in dieser Arbeit die Stiftungslandschaft
so, wie sie sich derzeit darstellt. Es wird dadurch insbesondere der Managementkontext
beschrieben, jenseits der in Kapitel 3.3 identifizierten Managementthemen, nach denen
mehr oder weniger explizit gefragt oder gesucht wurde (vgl. Anhang C: Interview-Leitfaden). Dieses Kontexts, in dem sich auch die im vorangegangenen Kapitel 6.1 beschriebenen Defizite als "Ursprung" der Paradoxien wieder finden, muss man sich bei
jeglichen Veränderungs- und Professionalisierungsbestrebungen bewusst sein. Denn
ohne eine umfassende Kenntnis und Analyse des Kontexts laufen solche Bestrebungen
Gefahr, zu "Lippenbekenntnissen" zu verkommen oder reflexartig vorgetragene Abwehrhaltungen bei den Betroffenen hervorzurufen (vgl. Kap. 13.1 Stiftungsmanagement
im Wandel, S. 475). Die folgenden Ausführungen erheben keinen Anspruch auf
Vollständigkeit, noch soll damit ausgedrückt werden, dass alle Stiftungen gleichermassen unter diesen Paradoxien "leiden".
129
Das Paradoxon oder das Paradox ([alt]griechisch παράδοξο[ν], von παρα~, para~ - gegen~ und δόξα, dóxa - im Sinne von
die Meinung, Ansicht), auch eine Paradoxie (παραδοξία) genannt, ist ein Widerspruch, auch das scheinbar Widersinnige. In
der Logik ist ein Paradoxon eine zunächst nicht einleuchtende Aussage, die jedoch – wider Erwarten – eine Wahrheit beinhaltet.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
172
6.2.1
Orientierungsparadox: Stifterzentrierung vs. Zweckorientierung
Bereits bei der Gründung werden durch formale Akte wie z. B. das Reglement, aber
auch durch das Vorleben bestimmter Werte und Traditionen durch den Stifter wichtige
Bestandteile der Stiftungskultur präjudiziert, die in der Organisation auch nach dem Ausscheiden oder Ableben des Stifters weiter bestehen, wie ein Stiftungsrat einer grossen
Stiftung bestätigt:
"Die Devise ‚People not Programs’ ist auch ein Stück der guten Tradition der
Stiftung, die durch die Stifterin hineingekommen ist und von ihr selbst gelebt
wurde." (P8)
Allerdings stellt die Rolle des Stifters, der z. T. in "Personalunion" auch als Präsident des
Stiftungsrates amtet, einen Managementkontext dar, den es in der Diskussion um "Management in Stiftungen" zu reflektieren gilt. Es kann eine geradezu paradoxe Situation dadurch entstehen, dass eine Stiftung rechtlich gesehen zwar ein verselbständigtes Vermögen ist, das im Auftrag der Gesellschaft treuhänderisch zu betreuen und wirksam einzusetzen ist, andererseits kann man aber z. B. Überschriften im Wirtschaftsmagazin "Bilanz" finden, in der Stifter bewusst oder unbewusst von "meiner Stiftung" sprechen und
diese gewissermassen als ihre "Spielwiese" sehen. Eine Bestätigung dieser Erscheinung
wird durch die Aussage eines Geschäftsführers einer mittelgrossen Stiftung geliefert:
"Wenn man in dieser Stiftung im Management ist oder als Geschäftsführer tätig
ist, dann ist man so ein wenig im Sandwich zwischen den Destinatären und den
Vorstellungen des Präsidenten." (P16)
Diese Personenzentrierung, gerade während der Gründungsphase von Stiftungen, wird
auch im folgenden Zitat eines Stiftungsratspräsidenten einer mittelgrossen Stiftung deutlich, der die Aufbauphase jener Stiftung miterlebt hat:
"Ich habe ja noch eine gute Zeit lang mitgewirkt im Stiftungsrat, noch nicht als
Präsident, sondern als Mitglied, als der eine der Stifter noch lebte, und deswegen
auch ein bisschen seine Konzeption miterlebt. Das war noch stark personenbezogen, sehr willkürlich, wenn man es negativ sagen will. Bis heute sind im Übrigen
alle Mitglieder des Stiftungsrates, auch ich, auf Grund einer persönlichen Beziehung mit dem Stifterehepaar in diesen Stiftungsrat gekommen. Sie stammen noch
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
173
aus dessen unternehmerischem Umfeld, also Berater und Angestellte aus der
Firma." (P3)
Sicherlich stellt der Stifter bzw. der formulierte Stifterwille (und der daraus abgeleitete
Stiftungszweck) eine sehr wichtige Orientierungshilfe dar, vor allem in der Gründungsphase, aber auch dann, wenn der Stifter aus der Stiftung ausscheidet, von Todes wegen
oder aus freien Stücken, was die folgende Aussage eines Stiftungsexperten belegt:
"Und nachher, wenn die Stiftung lebt, ist die grösste Herausforderung die Erfüllung des Stiftungszweckes. Es geht darum, jedes Jahr dem Stifter gegenüber ausweisen zu können - denn das ist für mich die erste Öffentlichkeit, ob er jetzt noch
drin sitzt im Stiftungsrat oder draussen ist -, dass seine Idee auch umgesetzt wird
zum Wohle der Allgemeinheit." (P4)
In diesem Zitat wird aber auch deutlich, dass die Zweckorientierung die letztlich einzige
Verpflichtung des Stiftungsmanagements darstellt, ganz im Sinne der Definition einer
Stiftung als "personifiziertes Zweckvermögen", ohne Mitglieder oder Eigentümer im
Sinne von Genossenschaftern oder Aktionären. Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung bringt es auf den Punkt, indem er formuliert, dass
"jede Stiftung eine Dienstleistung erbringt. Und zwar eine Dienstleistung letztlich im Interesse oder im Willen des Stifters oder der Stifterin und in gemeinnütziger Art und Weise für die davon profitierende Gesellschaft." (P10)
Die Vermengung von zu starker Personenzentrierung führt auch immer wieder zu instabilen Kompetenzabgrenzungen innerhalb einer Stiftung, die ein wirksames und
zukunftsfähiges Management einer Stiftung verhindern, wie ein Geschäftsführer einer
mittelgrossen Stiftung ausführt:
"Unser Präsident, der direkter Nachfahre vom ursprünglichen Stifter ist, ist ein
sehr aktiver Präsident, der sehr stark auch Einfluss nimmt auf das tägliche Geschäft und auf die operative Ebene. Eigentlich sind die Prozesse klar definiert.
Es gibt jedoch trotz allem immer wieder Anfragen oder Projekte, bei denen man
irgendwie feststellt, dass es unterschiedliche Vorstellungen gibt und da meine ich
schon speziell von Seiten unseres Präsidenten und dann von mir als Geschäftsführer. Zum Teil liegt es an persönlichen Kontakten, die er hat, oder persönlichen Vorlieben. Dort müssten die Entscheidungsprozesse eigentlich anders lau-
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
174
fen. Aber das ist bei einer starken Persönlichkeit als Präsident wahrscheinlich
schwierig." (P16)
Im Verlauf des Forschungsprojekts konnte eine grosse Varietät bezüglich Führungsstruktur und -gremien bei Stiftungen identifiziert werden. Faktische Ein-Personen-Stiftungen, in der alle Entscheidungen in Personalunion getroffen werden, sind ebenso vertreten wie Stiftungen mit nach wohl überlegten Kompetenzkriterien zusammengesetzten
Organen (Geschäftsführung und Stiftungsrat, allenfalls unterstützende Gremien wie z. B.
wissenschaftlicher Beirat). Auf der einen Seite colorieren "feudalistisch herrschende"
Stifter das Bild, auf der anderen Seite existieren aus dem Stiftungsmanagement zurückgezogen Stifter, die die Geschicke der von ihnen ins Leben gerufenen Stiftung in andere
Hände gegeben haben. Es wird hier einer Schwarz-Weiss-Klassifizierung von Stiftungen
widersprochen, nicht jedoch ohne auf die möglichen Probleme aufmerksam zu machen,
die durch eine (zu) starke Personenzentrierung auftreten und oft Auslöser instabiler Führungs- und Entscheidungsprozesse sind. Diese Personenzentrierung kann nicht nur am
Stifter festgemacht werden, sondern setzt sich teilweise fort über mehrere Generationen
oder durch vom Stifter eingesetzte Personen. Ebenso kann auch ein Übergewicht der Geschäftsführung gegenüber dem Stiftungsrat entstehen. Diese Personenzentrierung kann
sich negativ auf die Wirksamkeit der Stiftungsarbeit insgesamt auswirken und das Vertrauen sowie die Verlässlichkeit in die Institution Stiftung beeinträchtigen.
6.2.2
Missionsparadox: Einzelaktivitäten vs. Vernetzung
Neben den oben beschriebenen Paradoxien steht auch die Mission im Mittelpunkt der
Beschreibungen des Managementkontexts. Das ist insofern nicht überraschend, da sich
eine Stiftung als "missionsgetriebene" Organisation (vgl. Kap. 7.1, S. 200) auch in der
alltäglichen Arbeit sehr stark an dieser Zielformulierung orientiert. Dennoch trat im
Verlauf der Erhebung der Eindruck auf, dass die Mission auch zu einer gegenteiligen
Wirkung führen kann, nämlich nicht der Zielorientierung oder zur Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses aller Stiftungsmitarbeiter, sondern zu einer diffusen, oftmals
nur impliziten Vorstellung über das, was mit der Stiftung erreicht werden soll. Ein Geschäftsführer einer "jungen" grossen Stiftung formuliert es folgendermassen:
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
175
"Oft spürt man irgendwo eine Stifterpersönlichkeit, die vermutlich einfach an all
dem leidet, was in dieser Welt schief läuft. Also das ist jetzt überspitzt gesagt.
Und mit diesem Leiden ist sie zu einem Anwalt gegangen, und der Anwalt, der
arme Cheib, musste irgendetwas aufsetzen, zu dem dann diese Person ‚Ja’ sagt."
(P5)
Bestätigt wird diese Charakterisierung vieler Stifter von einem Geschäftsführer einer
ebenfalls jungen, im Aufbau befindlichen grossen Stiftung:
"Ja, ich glaube es ist ein Gemisch einer intellektuellen, latent militanten, missionarischen, Welt verbessernden Illusion. Trotz einer oft mangelhaften Vernetzung
einzelner Aktivitäten oder Projekte wird daran geglaubt, dass man etwas ändern
kann mit den kleinen, kleinen Teilen, die man macht." (P24)
Beide Aussagen weisen auf ein Paradox hin, das hier als "Missionsparadox" bezeichnet
wird - wohl wissend, dass Stiftungen "missionsgetriebene" Organisationen sind. Einerseits ist die Funktion der Mission Klarheit und Einigkeit darüber zu schaffen, was erreicht werden soll. Als Zielformulierung dient sie dazu, eine Vernetzung einzelner Aktivitäten und Projekte zu gewährleisten, die das Wesen einer Vergabestiftung ausmachen.
Andererseits wird diese Funktion aber oft durch eine zu breite oder diffus formulierte
Zweckbestimmung blockiert, wie folgende Zitate belegen:
"Ja was machen wir eigentlich, was wollen wir? Man muss ja auch dem Stifterwillen entsprechen. Der Stifter, der will was erreichen. Das ist aber oft auch diffus." (P4)
"Wenn der Zweck extrem breit formuliert ist, ist das sehr angenehm. Man kann
dann eigentlich machen, was man will. Ich diskutiere ein wenig mit den Töchtern
und frage: Hey, haben wir lustige Projekte? Das ist so die Arbeitsweise - vor allem aber eigentlich der Wunsch, dass man ein wenig probiert und an Projekte
heran geht, zu denen man ein wenig Bezug hat oder bei dem man spürt, dass etwas läuft." (P28)
Der Autor des letzten Zitats, Stiftungsrat einer kleinen Stiftung, bestätigt indirekt die
fehlende Orientierung wegen eines breit formulierten Zwecks, unabhängig von der
Funktion der Stiftung als "Innovator" oder "Stabilisator" (vgl. Kap. 2.3) in einer weiteren
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
176
Aussage. Das Gefühl "Gutes zu tun" überlagert die Notwendigkeit, Einzelaktivitäten
auch in ihrer Vernetzung zu betrachten:
"Ja, wie treffe ich die Auswahl für Projekte, die wir fördern? Das ist einfach ‚Pi
mal Handgelenk’, also mit einem grösseren Teil weiss man ja schon ungefähr,
was man machen will. Und wenn jetzt Gesuche kommen, überlegt man mal, ob es
in unseren Rahmen hinein passt. Meist sind es dann soziale Sachen, aber auch
kulturelle Sachen und so ungefähr. Also es geht ungeordnet. Also sozusagen, es
ist kein ‚Business Plan’ vorhanden bei uns oder es gibt keine klare Zielsetzung
oder solche Dinge. Das ist nicht vorhanden." (P28)
Der bereits oben zitierte Stiftungsratspräsident einer mittelgrossen Stiftung formuliert einen Gegenentwurf dazu, der auf die Notwendigkeit einer Vernetzung der Aktivitäten im
Hinblick auf die Erfüllung der mitunter sehr komplexen Mission hinweist:
"Die zentrale Herausforderung ist die, dass man eben nicht willkürlich arbeitet
und nicht den Weg des geringsten Widerstands folgt, sondern dass man versucht,
immer wieder die Arbeit so zu strukturieren und zu verbessern, dass wirklich dort
gewirkt wird, wo vernünftige und wertvolle Aufgaben geleistet werden können
und die dann wiederum zur Erreichung der Zielsetzung der Stiftung insgesamt
beitragen. Und das ist nicht einfach. Ein Projekt braucht nicht unbedingt Ruhm
zu bringen, damit die Wirkung vernünftig ist, sondern es muss langfristig, zusammen mit allen anderen Aktivitäten der Stiftung, zur Erfüllung des Zwecks
beitragen." (P3)
Ein Grund zur Entstehung dieses Paradoxes ist sicher auch im Messbarkeitsdefizit begründet (vgl.Kap. 6.1.1), indem der zusätzliche Nutzen durch eine Vernetzung der
Aktivitäten und einer einheitlichen Mission nur schwer aufzuzeigen ist. Dies wurde in
vielen weiteren Meinungsäusserungen im Verlauf des Forschungsprojekts immer wieder
hervorgehoben.
6.2.3
Kooperationsparadox: Einzelgänger vs. Co-Produzent
Auch wenn viele Stiftungsmitarbeiter "ihre" Stiftung nicht als Einzelgängerin beschreiben würden, kommt doch in vielen Aussagen zum Vorschein, dass die Notwendigkeit
und der Nutzen von Kooperationen mit anderen Stiftungen aber auch weiteren Organisa-
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
177
tionen und Einrichtungen bisher nur rudimentär erkannt werden. Doch gerade
Stiftungen, als Teil des Dritten Sektors, müssten eigentlich nach Kooperationen streben,
denn der Dritte Sektor unterscheidet sich vom Privatwirtschaftlichen Sektor gerade
dadurch, dass hier Kooperation (allenfalls Koopetition) statt Wettbewerb im
Vordergrund steht. Besonders im Bereich der klassischen Vergabestiftungen geht es
noch weniger um Wettbewerb als bei Non-Profit-Unternehmen, da die Stiftungen auf ein
Vermögen zurückgreifen können. Deshalb ist es erstaunlich, wie stark die
Kooperationsaversion im Stiftungsbereich verbreitet ist. Im Gegensatz dazu sind viele
Themen, die sich in den Zwecken der Stiftungen wieder finden, sehr komplexer Natur
und stark vernetzt, z. B. "Kampf gegen Aids" - sowohl auf Forschungsseite als auch im
Bereich der Aufklärung. Beide Aspekte wären sicher grundsätzlich für Kooperationen
geeignet. Dennoch ist ein sich aus den empirischen Untersuchungen ergebendes
Charakteristikum der Stiftungslandschaft das Kooperationsparadox: Stiftungen treten
bewusst oder unbewusst als Einzelgängerinnen auf, obwohl Kooperationen der Funktion
von Stiftungen wie auch den Aufgaben, denen sich Stiftungen verschreiben, sehr viel
besser entsprechen würden.
Interessanterweise geben insbesondere kleinere Stiftungen dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch und den Kooperationsmöglichkeiten kaum eine Chance, trotz geringerer
finanzieller Möglichkeiten und fehlender Vernetzung, wie eine Aussage eines ehrenamtlichen und gleichzeitig geschäftsführenden Stiftungsratspräsidenten einer kleinen Stiftung bestätigt:
"Also ich muss ehrlich sagen, ich habe mir nie überlegt, wie sich unsere Stiftung
differenzieren kann zu anderen Stiftungen oder wie wir zusammenarbeiten könnten mit anderen. Ich habe eigentlich mit anderen Stiftungen gar keinen Kontakt."
(P28)
Ein Grund für eine geringe Kooperationsbereitschaft könnte im besonderen Verständnis
des Stifters für seine Rolle liegen. Diese Vermutung äussert der Geschäftsführer einer
grossen Stiftung:
"Das Entscheidende ist, dass der Stifter selber nicht allzu viel Glamour für sich
abzweigen will. Also wenn da egoistische, narzisstische Motive sind beim Stifter,
da gibt’s ja viele Beispiele, dann wird es schwierig mit Kooperationen. Denn
worum geht’s bei denen? Was sind da die Motive dahinter? Das sind dann z. T.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
178
ziemlich krasse, persönliche Reputationsfragen, die in die Kategorie von
Eitelkeit und Grössenwahn fallen. Solchen Stiftern geht es mehr um die eigene
Grösse, als um das grosse Ganze." (P7)
Dieses letzte Zitat ist sicherlich überspitzt formuliert und nur bedingt zutreffend für das
Gros der Stiftungen, auch wenn überwiegend (noch) nicht die Vorteile von Kooperationen erkannt werden. Gegen eine übersteigerte Eitelkeit bei Stiftern spricht auch das Ergebnis der jüngsten StifterStudie für Deutschland (Timmer 2005, S. 31), wo die Erwartungen "erhöhtes gesellschaftliches Ansehen" und "Anerkennung bei Freunden und Bekannten" bei der Gründung von Stiftungen eher eine geringe Rolle spielen (1.6 bzw. 1.7
auf einer 5er-Skala, 1 = unbedeutend).
In jüngerer Zeit tritt jedoch eine vermehrte Offenheit gegenüber mehr Kooperation und
Vernetzung ins Bewusstsein des Managements, wie ein Stiftungsratspräsident einer mittelgrossen Stiftung betont:
"Ich würde sagen, für Vergabestiftungen könnte es sehr nützlich sein, wenn sie
sich untereinander irgendwie vernetzen würden. Sie könnten sich damit auch ein
bisschen die Arbeit aufteilen und sich z. B. die Gesuche, die nicht zu ihnen passen, an andere Stiftungen weiterleiten. Solche Mechanismen hielte ich für sinnvoll." (P3)
Bei einigen Stiftungen steht auch ganz bewusst eine gemeinsame "Produktion" im Vordergrund, so ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
"Kooperationen mit anderen Stiftungen sind ein konstantes Thema bei uns. In
allen Gebieten. Also wir suchen aktiv überall Zusammenarbeit. Zum einen ist da
die Vernetzung für einen Gedankenaustausch, um überhaupt mit neuen Ideen
konfrontiert zu werden. Das geht nur über Vernetzung, über Kontakte innerhalb
dieser Branche. Zum anderen verfolgen wir Kooperationen aber auch im ganz
nüchternen ökonomischen Sinn." (P7)
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
179
Noch pointierter formuliert es ein Geschäftsführer einer anderen grossen Stiftung - und
bezieht sich dabei auf seine Erfahrungen aus der Wissenschaft:
"Eine zentrale Frage, um Wirksamkeit zu erzielen, ist doch: welches sind die anderen Stiftungen, die etwas Ähnliches machen? Da kann man noch viel lernen
aus der Wissenschaft, also im Sinne von: ’Kooperiere, wenn du kannst, anstelle
dich dagegen zu stemmen‚, denn das ist eigentlich Blödsinn. Wir sind ja alle im
gleichen Spiel. Es gibt welche, die immer gegeneinander arbeiten. Man kann
aber doch so viel zusammen erreichen. Wir machen doch oft ähnliche Sachen,
nicht das Gleiche zwar. Aber trotzdem könnte man ein Stück weit zusammen arbeiten. Alle können Kleines bewirken, aber gerade zusammen könnten wir auch
vielleicht mal etwas Grösseres machen. Dieses Verständnis ist aber in der Stiftungswelt noch nicht sehr verbreitet." (P29)
6.2.4
Transparenzparadox: Privatveranstaltung vs. quasi-öffentliche Institution
Eine weitere paradoxe Situation lässt sich als Transparenzparadox abgrenzen. Innerhalb
der Stiftungslandschaft haben sich zwei mehr oder weniger konträre Standpunkte herausgebildet. Die eine Seite beruft sich auf die - minimalen - legalen Publizitätsvorschriften für private Stiftungen und versteht dabei "privat" als "Privatsache". Dies widerspricht
der Definition der Stiftung als verselbständigtes Vermögen, das zwar nicht "vergesellschaftet" ist, jedoch insbesondere bei gemeinnützigen und somit steuerbefreiten Stiftungen vom Management der Stiftung treuhänderisch im Auftrag der Gesellschaft betreut
wird. Stiftungspraktiker sehen allerdings immer noch eine Gefahr in einer zu starken öffentlichen Präsenz von Stiftungen bzw. gestehen klassischen, gemeinnützigen Vergabestiftungen das Recht zu, diese Öffentlichkeit zu meiden, wie folgendes Zitat zusammenfasst:
"Von einer Stiftung, die bewusst im Verborgenen wirken will, von der kann man
diese Rechenschaftsablage gegenüber einer breiten Öffentlichkeit nicht verlangen. Ihre Rechenschaftsablage besteht in einer gewissenhaften und ordentlichen
Verwaltung des Stiftungsvermögens, respektive ihres Stiftungszwecks. Und darüber legt sie der Aufsichtsbehörde Rechenschaft ab. Wenn die Anlass hat zu
Zweifeln, dass der Stiftungszweck richtig umgesetzt wird, dann ist es an ihr, die
Interessen der Öffentlichkeit wahr zu nehmen. Und ich glaube diese Rollenver-
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
180
teilung darf nicht verändert werden, dass plötzlich die Öffentlichkeit oder die
Presse über die Stiftung zu Urteilen beginnt. Sonst wird die private Stiftungstätigkeit unattraktiv und führt zu einer Vergesellschaftung der Stiftung. Dann werden die Quellen für Stiftungen schlagartig versiegen." (P3)
Von einem juristischen Standpunkt aus ist dieses Verhalten korrekt. Allerdings erfährt es
aus der Stiftungslandschaft vermehrt Korrektur:
"Es gibt eine breitere Öffentlichkeit, der man sich präsentieren muss, mit der
man kommunizieren muss. Und das, finde ich, muss an Bedeutung zunehmen.
Das ist dann nicht eine formalrechtliche Sache, aber es baut darauf auf. Es gibt
z. B. grosse Firmen, die mit der Öffentlichkeit überhaupt nicht kommunizieren.
Das ist nachteilig mit der Zeit, nicht sofort, aber mit der Zeit ist es nachteilig.
Das gehört einfach zu unserer Gesellschaft heute dazu, dass man kommuniziert.
Gebilde, die etwas für die Gesellschaft machen oder auf der anderen Seite von
der Gesellschaft profitieren, sind auf ein gutes Kommunikationsverhalten angewiesen, weil sie sonst plötzlich als bedrohlich oder fremd oder als Machtgebilde
betrachtet werden." (P4)
Heute wird in diesem Zusammenhang immer häufiger "jenseits" von rechtlichen Notwendigkeiten diskutiert und dabei auf die Entwicklung im Bereich der Privatwirtschaft
hingewiesen. Dort war es bis vor etwa 30 Jahren keine Seltenheit, dass börsenkotierte
Aktiengesellschaften nur die notwendigsten Informationen der Öffentlichkeit preisgaben.
Heute ist es jedoch üblich, dass selbst Öko- oder Sozialberichte in den ohnehin detaillierten umfangreichen Jahresberichten nicht fehlen und sogar Familienunternehmen sich
zunehmend in der Öffentlichkeit präsentieren, um so einen neuen Weg zu gehen, ihrer
gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen.
Darüber hinaus geht es aber nicht nur um "abstrakte" Bedürfnisse einer Gesellschaft oder
um "moralische" Notwendigkeiten der Stiftungstätigkeit, sondern auch darum, wie wirksame Stiftungstätigkeit erreicht werden kann. Genau hier entfaltet das Transparenzparadox seine Wirkung, denn eigentlich sollten Stiftungen von sich aus darauf bedacht sein,
möglichst offen zu kommunizieren, um evtl. restriktive(re)n Bestrebungen hinsichtlich
der Gesetzgebung proaktiv entgegenzuwirken, wie ein Stiftungsexperte feststellt:
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
181
"Einer der wichtigsten Punkte für Vergabestiftungen ist das Vertrauen der Öffentlichkeit zu haben. Denn, dass man einer solchen Einrichtung vertraut und
diese nicht als kriminell oder undurchschaubaren Geheimbund oder Geldwäschereianlage oder so anschaut, also das ist eines der grössten Güter, übrigens
aller Stiftungen eigentlich." (P18)
Das Vertrauen ist in der Tat ein zentraler Faktor, wie das Beispiel der USA aufzeigt. Der
sog. Tax Reform Act von 1969, der den Stiftungen enorme Vorschriften hinsichtlich
Publizität, insbesondere im finanziellen Bereich, auferlegte, geht auf das verlorene Vertrauen in die Institution "Stiftung" zurück. Das bestätigen auch Autoren wie Hall (2003),
der unter dem Schlagwort "Foundations under Fire, 1953-1969" (S. 4) die Entstehung
des Tax Reform Acts ausführlich beschreibt (ähnlich auch Frumkin 1997 und 1998).
Daneben entsteht aber auch eine weitere paradoxe Auswirkung einer zu stark eingeschränkten Öffentlichkeitspräsenz einer Stiftung, auf die ein Stiftungsexperte hinweist:
"Speziell die Vergabestiftungen müssen aber an die Öffentlichkeit treten, denn
sonst können die ja ihren Zweck gar nicht erfüllen, wenn die nicht in die Öffentlichkeit gehen und sagen, was sie machen und auffordern: Melden Sie sich bitte.
Voraussetzungen für Vergabungen sind etwa die und die. Wenn man doch das
nicht macht über Jahre, nützt doch diese Million nichts, die dort liegt. Also eine
gewisse Transparenz und Öffentlichkeit braucht eine solche Stiftung, auch wenn
sie sagt, ja das ist doch eher privat. Es ist ein Spannungsfeld, aber es braucht
eine gewisse Öffentlichkeit und das wird oft nicht verstanden." (P18)
Es geht hier also nicht mehr nur um einige schöne Worte, die der Öffentlichkeit präsentiert werden oder auch nicht, sondern um den Kern der eigentlichen Stiftungsarbeit, die
ohne ein hohes Mass an Transparenz, oder ohne die Öffnung nach aussen und die Kommunikation mit potentiellen Destinatären oder Nutzniessern der Aktivitäten, überhaupt
nicht umgesetzt werden kann. Dennoch spielt die Kommunikation mit der Öffentlichkeit
nach wie vor eine eher untergeordnete Rolle im Bewusstsein vieler Stiftungsmanager:
"Ich glaube, wenn man etwas erreichen möchte, muss man ab und zu auch gegen
aussen kommunizieren. Ich finde aber nicht, dass man dies systematisch machen
muss, sondern ich denke dort, wo man was zu sagen hat und wo man etwas aufzeigen kann, dort absolut. Wir sind schon dran uns zu überlegen, ob wir uns noch
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
182
ein wenig stärker öffnen wollen und auch noch stärker gegen aussen aufzeigen
wollen, was wir unterstützen und weshalb wir das unterstützen und was wir damit erreicht haben. Aber ich glaube, Kommunikation ist kein Schlüsselprozess."
(P16)
Immerhin ist, wie auch beim oben zitierten Geschäftsführer, eine zunehmende Reflexion
über Fragen der Kommunikation nach aussen zu erkennen. Dennoch ist es erstaunlich,
dass ein transparenter Austausch, z. B. von potentiellen Kooperationsmöglichkeiten bis
hin zu Erfahrungen der operativen Stiftungsarbeit, nicht einmal informell zwischen den
Stiftungen typisch ist, was ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung drastisch so beschreibt:
"Und dann habe ich gesagt: ’Ja, lasst uns einmal versuchen, Benchmarks für
Stiftungen zu erstellen, ein Vergleich von Kennzahlen zwischen Stiftungen
durchführen. Lasst uns versuchen, uns untereinander zu vergleichen. Das muss
ja nicht gleich öffentlich publiziert werden.’ - Aber das war das blanke Unverständnis! Warum sollte sich eine Stiftung freiwillig sozusagen dem Vergleich
stellen?" (P10)
Während der empirischen Untersuchungen wurde das Thema Transparenz immer wieder
kontrovers angesprochen, was auf eine zunehmende Bedeutung dieses Themas hinweist.
6.2.5
Gestaltungsparadox: passive Verwaltung vs. aktive Gestaltung
Eine interessante Feststellung, die im Verlauf der Forschungsarbeiten gemacht werden
konnte, ist die immer noch verbreitete Verwaltermentalität bei Stiftungen. Der Wille,
"Gutes zu tun" ist, wie oben beschrieben, vorhanden, doch aus vielfältigen Gründen
bleibt es beim blossen "Willen". Daraus entsteht wiederum eine paradoxe Situation, denn
eigentlich sind Stiftungen, wie in Kapitel 2.3 beschrieben, dazu prädestiniert, eine
gestalterische Funktion zu übernehmen. Eine thesaurierende, passive Stiftung, die kaum
Fördermittel vergibt, entspricht nicht den Vorstellungen einer gemeinnützigen Vergabestiftung, wie auch ein Stiftungsexperte bestätigt:
"Ich bin der Meinung, dass eine Stiftung eine moralische Verpflichtung hat, das
zu machen, was im Zweck vorgegeben ist. Es ist doch nicht in Ordnung, wenn die
Stiftung mit 5 Millionen errichtet wurde und steuerbefreit ist für das und das.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
183
Und dann macht sie nie etwas. So wird sie ad absurdum geführt. Das ist auch
rechtswidrig, da sie verpflichtet ist, etwas zu unternehmen. Man muss es ja an
diesen Extrembeispielen zeigen." (P18)
Dieser Experte lokalisiert einen wesentlichen Grund für diese Passivität u. a. im Stiftungsrat:
"Etwas, das ich immer wieder feststelle, ist die Lethargie, manchmal, in diesen
Stiftungsräten. Sie warten einfach. Sie haben zwar irgendwie 3 Millionen aber
sie warten. Eine Stiftung muss nicht 500 Millionen haben, wie die XY Stiftung.
Sie können auch mit 1 Million etwas Gescheites tun oder auch sogar mit 500'000
Franken. Aber sie warten und tun nichts." (P18)
Provokant formuliert der Geschäftsführer einer grossen Stiftung seine Erklärung für
diese z. T. "lethargischen" Stiftungsräte:
"Das hängt vielleicht auch ein wenig damit zusammen, dass man für Stiftungen
tendenziell gerne Juristen nimmt. Und das ist dann einfach zum Teil schwierig,
weil die Juristen ein bisschen zum Verwalten neigen. Wobei es auch Juristen
gibt, die sich Wissen aneignen können und dann auch mehr gestalterisch wirken." (P5)
Ohne den Berufsstand der Juristen allgemein als Auslöser dieses Paradoxes auszumachen, bestätigt selbst ein Jurist zum einen die hohe Anzahl von Juristen in der Stiftungslandschaft:
"Mein eigener professioneller Hintergrund ist, dass ich Rechtsanwalt und Notar
bin und in meiner Praxis hat sich einfach ein gewisser Schwerpunkt auch bei privater Klientel ergeben. Vor meinem Engagement bei der XY Stiftung beispielsweise war ich der persönliche juristische Berater des Stifterehepaars. Und das
ist oft so, dass aus einer persönlichen Beratung zu einem Klienten oder einer
Klientin, die dann später eine Stiftung errichten, sich diese Beziehung ergibt.
Das ist auch bei zwei anderen Stiftungen, die ich verwaltete, so geschehen.
Einmal hat eine Klientin ihr Testament errichtete und eine Stiftung vorgesehen
und
mich
dann
als
Testamentsvollstrecker
Stiftungsratspräsidenten berufen." (P3)
auch
gleich
als
ersten
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
184
Zum anderen charakterisiert er selbst sich und seine Berufskollegen mit folgenden Worten:
"Nun, wir Juristen, wir denken nicht so sehr in Visionen, sondern wir nehmen
den Stifterwillen, der in der Stiftungsurkunde verbrieft ist. Das ist der Auftrag,
den die Stiftung hat und das ist das Gesetz, unter dem sie angetreten ist. Und dieses Gesetz gilt es umzusetzen." (P3)
Trotz allem braucht es einen guten Mix unterschiedlicher Persönlichkeiten mit jeweils
wichtigen Fähigkeiten, wie ein Stiftungsexperte und ebenfalls Jurist ausführt:
"Also wichtig ist, wer im Stiftungsrat ist. Sind es mehr Verwalter-Typen oder sind
es Leute mit Visionen. Da muss ein guter Mix im Stiftungsrat sein. Das ist das A
und O. Man muss immer Leute haben mit Visionen, die auch grössere Schritte
machen, und dann braucht es auch ein, zwei Buchhalter, oder Juristen, die immer auf die Rahmenbedingungen aufmerksam machen." (P4)
Grundsätzlich geht es also darum, das Gestalterparadox zu handhaben, ohne die
"Schuld" eindimensional bei einzelnen Personen zu suchen. Im Zusammenwirken mit
der Handhabung der anderen oben beschriebenen Paradoxien, insbesondere dem Kooperationsparadox, dem Missionsparadox und dem Transparenzparadox, lassen sich Ansatzpunkte entdecken, wie Stiftungen ihre Funktion als Gestalter nachkommen können.
Die, empirisch noch nicht überprüfte, grosse Dichte an Juristen im Stiftungsumfeld kann
damit begründet werden, dass potentielle Stifter beim Wunsch der Stiftungserrichtung
eine Vertrauensperson mit der Gründung und langfristigen Verwaltung beauftragen.
Hierbei kommen oftmals die persönlichen Banker, Treuhänder oder eben die Hausjuristen zum Zuge. Durch das Beibehalten der Vertrauensperson im Stiftungsrat sichert sich
der Stifter in gewisser Weise seinen Einflussfaktor, da der Banker, Jurist oder Treuhänder üblicherweise im Sinne des Stifters handelt. Für die genannten Personengruppen sind
Stiftungen, neben der ideellen Komponente, oftmals eine interessante Einnahmequelle,
einerseits wegen der Gründungsgebühren, andererseits wegen der Verwaltungshonorare
oder weiterer Geschäfte mit dem Stifterumfeld.
Diese Zusammenstellung von Paradoxien des Stiftungsmanagements darf nicht missverstanden werden als "Anklage" gegenüber schlecht geführten Stiftungen, sondern soll
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
185
vielmehr zur Reflexion anregen und dazu dienen, Möglichkeiten zu erkennen, die eigene
Tätigkeit weiter zu verbessern, denn "Stillstand ist Rückschritt", oder anders formuliert:
"Und wenn einmal die Aufsichtsbehörde sagt: ‚Aber hört mal zu, ihr könnt das
gar nicht so machen! Das ist doch nicht optimal! Was wollt ihr überhaupt damit
erreichen?’ Dann heisst es oft: ‚Das machen wir schon fünfzehn Jahre so […]’."
(P18)
6.3
Stiftungstypisierung im Paradoxienradar
In diesem Kapitel steht das klassische sozialwissenschaftliche Instrument der Entwicklung von "Idealtypen" im Vordergrund. Auf Basis der oben eingeführten und beschriebenen fünf Paradoxien werden Stiftungstypen benannt, die sich aus einer Klassifizierung
von insgesamt 18 Stiftungen ergeben.
Die Typen, wie die Paradoxien, sollen dazu beitragen, dem Stiftungsmanagement zu helfen, den einmaligen Kontext der jeweiligen Stiftung erschliessen und reflektieren zu
können. Darauf aufbauend können die entsprechenden Konklusionen gezogen werden,
im Hinblick auf ein professionelles und wirkungsvolles Stiftungsmanagement. Wie bereits mehrfach erwähnt, beeinflusst der Managementkontext stark das Management einer
Stiftung.
Die 18 untersuchten Stiftungen werden in einem sog. "Paradoxien-Radar" abgebildet,
um so typische Ausprägungen aufzuzeigen. Um die Stiftungen zu "diagnostizieren",
wurden Informationen auf verschiedenen Wegen gewonnen. Eine besonders wichtige
Rolle spielten zunächst die durchgeführten 32 Experteninterviews (vgl. Kap. 5.3).
Daneben wurden weitere Informationsquellen erschlossen, z. B. durch:
ƒ teilnehmende Beobachtungen bei den Fallstudienpartnern (Datenquellen: u. a.
Mitschriften; Bemerkungen zu verbaler und nonverbaler Kommunikation; Sitzpläne bei Sitzungen)
ƒ Dokumentenanalyse (Datenquellen: u. a. Stiftungsurkunden; Stiftungsreglemente;
Prozessbeschreibungen; Protokolle von Stiftungsratssitzungen; Berichte zur Pro-
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
186
jektauswahl und -evaluation; externe Berichte über die jeweiligen Stiftungen
(Pressespiegel); Jahres-/Tätigkeitsberichte der jeweiligen Stiftung
Nicht alle 18 aufgeführten Stiftungen konnten mit der gleichen Intensität untersucht werden, wegen verschiedenster Restriktionen, z. B. des teilweise nicht gegebenen Zugangs
zu internen Dokumenten oder der fehlenden Publikation von Jahresberichten. Die Datenlage erlaubt die hier vorgenommene Typisierung der Stiftungen und die Illustration
des Managementkontexts. Dabei wird nicht der Anspruch an eine auch statistischen
Auswertungen standhaltende quantitative Untersuchung130 erhoben - es wird vielmehr
eine qualitativ entwickelte, praxistaugliche und nützliche Aufarbeitung des Stiftungsumfelds geleistet.
Zur Klassifizierung der Stiftungen wurden die in Kapitel 6.2 beschriebenen fünf Paradoxien verwendet und operationalisiert (vgl. Abbildung 6-4):
1. Orientierungsparadox
mit den Dipolen stifterzentriert und zweckorientiert. Eine starke Stifter- oder Personenzentrierung ist der Indikator für eine hohe Ausprägung des Orientierungsparadoxes. Eine starke Zweckorientierung (= Basisprämisse131) zeigt eine schwache
Ausprägung an. Die Bewertung der Stiftungen erfolgte für dieses Paradox in erster Linie aus den Daten der Interviews und aus Protokollen von Sitzungen. Externe Berichte (z. B. Zeitungsartikel) wurden fallweise hinzugezogen.
2. Missionsparadox
mit den Dipolen Einzelaktivitäten und Vernetzung der Aktivitäten. Das Missionsparadox ist stark ausgeprägt, wenn überwiegend einzelne, unzusammenhängende
Projekte finanziert werden. Das Missionsparadox ist dann schwach ausgeprägt,
wenn eine hohe, systematische, inhaltliche Vernetzung der Aktivitäten (= Basisprämisse) von Projekten der Stiftung angestrebt wird und diese an der in der Stiftung gelebten Mission ausgerichtet werden. Datenquellen zur Bewertung dieses
130
Dies gelingt z. B. auch nicht durch den in der "Stichprobe" auftretenden "Bias" auf Grund der Partnerschaft mit
SwissFoundations. Diese Stiftungen, die an sich selbst hohe Anforderungen stellen, sind in dieser Auswahl überrepräsentiert.
Ebenso weisen die Ausprägungen ("Kategorien") und die Operationalisierung ("Dimensionen") des Radaras eine für eine
hochwertige quantitative Studie zu geringe Trennschärfe aus. Und nicht zuletzt ist die Anzahl untersuchter Stiftungen bei
weitem zu gering, um statistische Auswertungen vornehmen zu können.
131
Die jeweiligen Basisprämissen stellen die anzustrebenden Ausprägungen eines "guten" Stiftungsmanagements dar, die auch
als Grundlage zur Entwicklung des Foundation Excellence Management-Frameworks dienen (vgl. Kap.7).
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
187
Paradoxes waren vornehmlich Jahresberichte und Erläuterungen zur grundsätzlichen Arbeitsweise in den Interviews.
3. Kooperationsparadox
mit den Dipolen Einzelgänger und Co-Produzent. Das Kooperationsparadox ist
stark ausgeprägt bei Stiftungen, die kaum Kooperationen eingehen. Das Kooperationsparadox ist dann schwach ausgeprägt, wenn eine grundsätzliche Bereitschaft
zur Kooperation besteht und so die Rolle als Co-Produzent (= Basisprämisse) wirkungsvoll ausgefüllt werden kann. Zur Bewertung dieses Paradoxes dienten
hauptsächlich Jahresberichte und Stellungnahmen in den Interviews als Quelle,
sowie Berichte über Kooperationen zwischen Stiftungen oder Stiftungen und
Partnern aus anderen Sektoren (z. B. PPPs).
4. Transparenzparadox
mit den Dipolen Privatveranstaltung und quasi-öffentliche Institution. Das Transparenzparadox ist stark ausgeprägt bei Stiftungen, die sich als Privatveranstaltungen verstehen. Das Transparenzparadox ist schwach ausgeprägt, wenn Stiftungen
im Sinne einer quasi-öffentlichen Institution (= Basisprämisse) umfassend und
proaktiv mit allen Stakeholdern kommunizieren. Die Bewertung der Stiftungen
erfolgte für dieses Paradox überwiegend anhand von Jahresberichten und der
Websites der Stiftungen. Sie stellen die Hauptkanäle der Kommunikation von
Stiftungen mit ihren Anspruchsgruppen dar. Angaben aus den Interviews ergänzten die Grundlagen zur Bewertung.
5. Gestalterparadox
mit den Dipolen passive Verwaltung und aktive Gestaltung. Das Gestaltungsparadox ist stark ausgeprägt bei Stiftungen, die eine rein passive (thesaurierende) oder
überwiegend reaktive Haltung einnehmen. Das Gestaltungsparadox ist schwach
ausgeprägt, wenn das Bestreben zur aktiven Gestaltung (= Basisprämisse) vorherrscht. Die Bewertung der Stiftungen erfolgte für dieses Paradox in erster Linie
aus den Daten der Interviews zur Arbeitsweise der jeweiligen Stiftung sowie aus
den Jahresberichten.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
188
Instit
ution
Priv
atve
rans
taltu
ng
e
Einz
et
Vern
laktiv
zung
n
itäte
elg
nz
Ei
ro
-P
ak
tiv
eG
Co
es
tal
tun
g
r
ge
än
pa
ss
ive
Ve
rw
alt
un
g
Tra
nsp
öffe
ntlic
he
ox
rad
spa
sion
Qua
si-
Stifterzentrierung
Mis
aren
zp a
rad
o
x
Zweckorientierung
Stifterparadox
Orientierungsparadox
du
Ge
st
alt
er
pa
nt
ze
ra
do
x
Abbildung 6-4:
Ko
op
io
at
er
ns
d
ra
pa
ox
Paradoxien-Radar zur Diagnose von Stiftungen und Entwicklungen von Stiftungstypen
(Bewertung: höchste Ausprägung = 1, geringste Ausprägung = 6)
Nach Bewertung aller 18 untersuchten Stiftungen ergibt sich ein "buntes" Bild im Radar,
weil Stiftungen und der jeweilige Stiftungskontext einmalig sind (vgl. Abbildung 6-5).
Dennoch zeichnen sich drei Stiftungstypen deutlich ab. Ein Stiftungstyp ist dadurch gekennzeichnet, dass die Ausprägungen aller Paradoxie bei vier bis fünf der untersuchten
18 Stiftungen ähnlich sind. Innerhalb der Typen gibt es eine gewisse Bandbreite der
Ausprägungen.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
189
Die drei Stiftungstypen werden bezeichnet als:
ƒ SMI132-Unternehmen (vgl. Abbildung 6-6)
ƒ Familienunternehmen (vgl. Abbildung 6-7)
ƒ Vereine (vgl. Abbildung 6-8)
Die Typenbezeichnungen sind Analogien zu den gesellschaftsrechtlichen Organisationsbezeichnungen. Stiftungstätigkeit wird hier vorwiegend verstanden als Social Entrepreneurship, was diese Analogiebildung als sinnvoll erscheinen lässt, weil bereits durch die
Bezeichnungen bestimmte Charakteristika (z. B. Handlungsmuster, Managementstrukturen) des jeweiligen Stiftungstypus herausgestellt werden. Diese weisen z. T. typische
Ähnlichkeiten mit den begrifflich korrespondierenden Organisationstypen auf.
Orientierungsparadox
Stifterparadox
Stiftung 1
Stiftung 2
Stiftung 3
Stiftung 5
sio
Mis
spa
ren
zpa
rad
ox
Stiftung 4
x
Tra
n
o
arad
nsp
Stiftung 6
Stiftung 7
Stiftung 8
Stiftung 9
Stiftung 10
Stiftung 11
Stiftung 12
Stiftung 13
Stiftung 14
Stiftung 15
Ge
st
alt
er
pa
ra
do
x
Abbildung 6-5:
132
er
op
Ko
a
x
do
ra
a
p
ns
tio
Stiftung 16
Stiftung 17
Stiftung 18
Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Gesamtdarstellung
SMI = Swiss Market Index. Damit sind Unternehmen gemeint, die an der Schweizer Börse kotiert und im "Leit"-Index
zusammengefasst sind, also als die aktuell 27 wichtigsten (grössten) Unternehmen klassifiziert sind. Als börsenkotierte
Unternehmen müssen sie besondere Richtlinien z. B. im Bereich Transparenz, Governance etc.erfüllen.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
190
Die drei Stiftungstypen decken ein weites Feld der Stiftungslandschaft ab, zwar holzschnittartig, komplexitätsreduzierend und z. T. provokant. Auch lassen sich einige Stiftungen nicht eindeutig diesen Typen zuordnen. Die Typisierung erlaubt jedoch eine Illustration des Managementkontexts von Stiftungen, die eine Hilfestellung bieten kann,
um den eigenen spezifischen Managementkontext zu erschliessen. Das ManagementFramework in den Kapiteln 7 ff. bietet Handlungsoptionen an und zeigt Verbesserungspotentiale auf, um mit den in den Paradoxien thematisierten Herausforderungen konstruktiv umzugehen.
Der mit dem Framework aufgespannte unternehmerische Gestaltungsraum sollte von den
Stiftungen proaktiv ausgefüllt werden. Ansonsten läuft der gesamte Sektor Gefahr, dass
der Staat mit Hilfe bürokratischer Regelungen Stiftungen zu Transparenz, Berechenbarkeit und "Professionalität" zwingt, wie dies in den USA durch den Tax Reform Act von
1969 bei Stiftungen oder durch die kürzlich eingeführten Sarbanes-Oxley-Gesetze bei
Unternehmen angestrebt wurde.
6.3.1
Stiftungstypus 1: "SMI-Unternehmen"
Der erste Stiftungstypus umfasst Stiftungen, die sich im Radar im Vergleich zu den
anderen untersuchten Stiftungen abheben, da sie die geringsten Ausprägungen der Paradoxien aufweisen. Weil sie den Basisprämissen am ehesten entsprechen, können sie als
"Best-in-Class" bezeichnet werden. Charakteristisch für diese Stiftungen sind eine geringe Ausprägung des "Orientierungsparadox", "Transparenzparadox", "Gestalterparadox" und "Missionsparadox". Einzig das "Kooperationsparadox" ist absolut gesehen
deutlich ausgeprägt, was aber auf alle Stiftungen zutrifft. Stiftungen sehen sich selbst ob bewusst oder unbewusst - weder in einem kompetitiven Umfeld, wie es für den Profit-Sektor charakteristisch ist, noch in einem Bereich, der sich durch ausgeprägte Kooperationsfähigkeit und -willigkeit auszeichnet.
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
191
Stifterparadox
Orientierungsparadox
Stiftung 1
Stiftung 7
ox
rad
spa
sion
Mis
Tra
nsp
aren
zpa
rad
ox
Stiftung 10
Ge
st
alt
er
pa
ra
do
x
Abbildung 6-6:
at
er
op
o
K
n
io
Stiftung 13
ox
ad
ar
p
s
Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Stiftungstyp "SMI-Unternehmen"
Die Analogie zu SMI-Unternehmen lässt sich gut begründen. Zwar sind diese ProfitUnternehmen aufgrund ihrer Eignerstruktur und von Gesetzes wegen z. B. zur Transparenz und zu eindeutigen Führungs- und Kontrollstrukturen angehalten, was in diesem
Masse nicht für den Stiftungsbereich zutrifft, wie in den Defiziten aufgezeigt wurde.
Dennoch kann festgehalten werden, dass sich die Stiftungen des Typus "SMI-Unternehmen" ihrer öffentlichen Verantwortung bewusst sind und die Handlungsmuster und Managementstrukturen der Stiftung dieser Verantwortung anpassen. Zu dieser Verantwortung gehört z. B. auch eine offene Kommunikation mit der kritischen Öffentlichkeit. Die
vier Stiftungen dieses Typs wirken auch sehr gestalterisch, was ebenso für einen
Grossteil der SMI-Unternehmen gilt - zumindest prägen diese durch ihre Geschäftstätigkeit den Marktsektor, in dem sie tätig sind. In diesem Zusammenhang muss aber auch
darauf hingewiesen werden, dass sog. "disruptiv innovations" (Christensen 1997) häufig
auch von kleineren Unternehmen bewirkt werden können.
6.3.2
Stiftungstypus 2: "Familienunternehmen"
Für diese sehr stark durch einen Stifter, dessen Nachkommen oder Vertrauenspersonen
geprägte Stiftungen ist das Stifter- und Transparenzparadox besonders charakteristisch.
In den jeweils anderen Paradoxien unterscheiden sie sich nur graduell vom Stiftungstyp
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
192
"SMI-Unternehmen". Das entspricht auch den Familien- oder Privatfirmen in ProfitSektor; man denke hierbei nur an Unternehmen wie Hilti, die frühere (und möglicherweise zukünftige) EMS-Chemie usw.
Stifterparadox
Orientierungsparadox
Stiftung 2
Stiftung 3
si
Mis
par
ado
x
Stiftung 9
Tra
nsp
aren
z
x
ado
par
ons
Ge
st
alt
er
pa
ra
do
x
Abbildung 6-7:
Stiftung 15
K
pe
oo
n
tio
ra
Stiftung 16
ox
ad
ar
p
s
Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Stiftungstyp "Familienunternehmen"
Bei den fünf hier unter dem Typus "Familienunternehmen" zusammengefassten Stiftungen ist besonders die Ausprägung in Richtung "Privatveranstaltung" (Transparenzparadox) und "Stifterzentrierung" (Orientierungsparadox) stark ausgeprägt. Interessanterweise sind diese Stiftungen dennoch "wirksam", was eigentlich einem Verständnis einer
"Privatveranstaltung" und damit verbunden einer geringen Öffnung nach aussen vorderhand widerspricht, doch gelang es diesen Stiftungen über verschiedene Zugänge trotzdem, kompetente Projektpartner zu gewinnen. Dennoch muss kritisch angemerkt
werden, dass insbesondere das Vertrauen der Öffentlichkeit in solche Organisationen
schnell schwinden kann. Zudem ist das Potential einer Wirksamkeitssteigerung durch
Öffentlichkeitsarbeit
nicht
Projektergebnissen,
Motivierung
Initiativbewerbung).
voll
ausgeschöpft
von
(z.
potentiellen
B.
Dissemination
von
Projektpartnern
zur
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
6.3.3
193
Stiftungstypus 3: "Verein"
Ein interessanter Stiftungstyp wird als dritter Typus identifiziert: der Stiftungstypus
"Verein". Stiftungen, die eher der "Vereinskultur" zuzuordnen sind, weisen eine vergleichsweise starke Ausprägung aller Paradoxien auf. Insbesondere das "Missionsparadox" scheint, auch im Vergleich zu den hier untersuchten Stiftungen, eine charakteristische Rolle zu spielen. Diese Feststellung entspricht auch der Vereinsanalogie, denn Vereine sind wie Stiftungen sehr stark "missionsgetrieben".
Dennoch kann eine Situation auftreten, bei der zwar die Mission im Hintergrund vorhanden ist ("Warum ist der Verein entstanden?"; "Was sind seine Ziele?"), diese aber im
Alltagsgeschäft sehr von Einzelaktivitäten überlagert wird und so die orientierende Kraft
verliert. Es wird zwar "Gutes getan", jedoch ohne die notwendige Vernetzung oder Orientierung an der Mission. Diese Situation tritt in den Stiftungen des Typs "Verein" besonders deutlich auf.
Stifterparadox
Orientierungsparadox
Stiftung 4
Stiftung 6
Stiftung 11
si
Mis
Tra
nsp
aren
zpa
rad
o
x
Stiftung 17
x
ado
par
ons
Ge
st
alt
er
pa
ra
do
x
Abbildung 6-8:
er
op
Ko
i
at
Stiftung 18
x
do
ra
pa
s
on
Paradoxien-"Radar" der untersuchten Stiftungen: Stiftungstyp "Verein"
194
Defizite und Paradoxien klassischer Stiftungen
Ähnlich wie das Missionsparadox ist auch das Transparenzparadox in "Vereinsstiftungen" stark ausgeprägt, vergleichbar zur Vereinswelt, die rechtlich gesehen wenigen
Transparenzvorschriften unterliegt. Ebenso entspricht das Orientierungsparadox mit seiner relativ starken Ausprägung der Personenzentrierung dem Vereinstypus. So kann z. B.
bei Vereinen ein "Bruch" von einer Vereinsgeneration zur nächsten auftreten, oder die
Vereinsführung verbleibt weitgehend in einer "In-Groupe", was zu einer Ausgrenzung
anderer Gruppen innerhalb des Vereins führen kann.
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
195
"Wichtig sind nicht die Antworten,
wichtig sind die Fragen."
Rainer Maria Rilke,
dt. Dichter (1875-1926)
7
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das
Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
Ziel des Forschungsprojekts Foundation Excellence ist die Entwicklung eines integrierten Managementframeworks für Stiftungen, das den spezifischen Charakteristika der Organisationsform "Stiftung" Rechnung trägt und den besonderen Managementherausforderungen von Stiftungen gerecht wird (vgl. Kap. 3.1). In diesem Kapitel wird das
Managementframework präsentiert; in den folgenden Kapiteln werden dann die einzelnen Bausteine detailliert vorgestellt.
Das Framework wurde auf der Basis folgender sechs Grundlagen entwickelt:
1. Managementverständnis (vgl. Kap. 3.1 und 3.2): "Stiftungsmanagement" greift
den besonderen Kontext der jeweiligen Stiftung auf und führt so zur "Qualifizierung" der Stiftung in ihrem spezifischen Milieu. Diese Qualifizierung umfasst dabei vor allem den Aufbau einer Beurteilungs- und Problemlösungsfähigkeit hinsichtlich der spezifischen Herausforderungen einer Organisation und das Entwickeln möglicher Lösungen für einen langfristigen gesellschaftlichen Nutzenzuwachs.
196
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
2. General-Management-Ansatz (vgl. Kap. 3.4): Die zu entwickelnden Lösungen
müssen dem vorgestellten General-Management-Ansatz entsprechend so gestaltet
werden, dass die konzeptionelle und prozedurale Durchgängigkeit gewährleistet
ist. Die konzeptionelle Durchgängigkeit ist dann gegeben, wenn auf den drei Management-Ebenen des normativen, strategischen und operativen Managements
die notwendigen Festlegungen aufeinander abgestimmt getroffen werden, die sich
sowohl aus dem spezifischen Kontext von Stiftungen, als auch aus den charakteristischen Herausforderungen des Stiftungsmanagements ergeben. Die prozedurale Durchgängigkeit als komplementärer Teil eines General Management-Ansatzes zeichnet sich durch die sequentielle und zeitliche Abstimmung der notwendigen Klärungsprozesse und Festlegungen auf den drei Management-Ebenen aus.
3. Modellverständnis (vgl. Kap. 3.5): Modelle werden in dieser Arbeit verstanden
als Gestaltungsmodelle (Leerstellengerüste), bei denen die praktische Anwendbarkeit des Modells im Vordergrund steht und es "nicht um die Wahrheit von allgemeinen Aussagen, sondern um Nutzen und Schaden von potentiellen realen
Gestaltungen" geht (Ulrich 1984, S. 172). Sie ermöglichen die Handhabung komplexer Entscheidungssituationen durch eine angemessene "Reduktion der Wirklichkeit". So kann eine Balance hergestellt werden zwischen der situativen Komplexität auf der einen und der Generierung von Handlungsoptionen zur Erhöhung
der Managementvarietät auf der anderen Seite.
4. Herausforderungen des Stiftungsmanagements (vgl. Kap. 3.3): Neben den fünf
bei der Erarbeitung des Interviewleitfadens identifizierten thematischen Schwerpunkten des Stiftungsmanagements werden weitere Aspekte eines umfassenden
Managements im Framework verarbeitet, die in den Interviews genannt wurden
bzw. in den teilnehmenden Beobachtungen auftauchten.
5. Basisprämissen des "guten" Stiftungsmanagements (vgl. Kap. 6.2): Die aus den
Paradoxien herausgearbeiteten Basisprämissen stellen die grundsätzlichen normativen Leitplanken für die im Managementframework aufgezeigten Handlungsfelder und den dazugehörigen Aufgaben und kontingenten Handlungsoptionen
dar.
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
197
6. Prozessorientierung: Das entwickelte Managementframework orientiert sich an
der generischen Ablauforganisation, wie sie für Vergabestiftungen typisch ist. Im
Gegensatz zu Zuständigkeits-, Verantwortungs- und Informationsregelungen bei
der Aufbauorganisation dient die Ablauforganisation einer systematischen sachlichen und zeitlichen Verknüpfung von Aufgaben.133 Bei der Prozessorientierung
steht aus Sicht der Nutzniesser der Wertschöpfung die effektive und aus Sicht der
Organisation die effiziente Aufgabenerfüllung im Vordergrund des Interesses: die
richtigen Dinge richtig und auch zum richtigen Zeitpunkt tun.134
Prozessorientierung bedeutet also, dass alle beteiligten Akteure ein detailliertes, gemeinsames Verständnis über das Zustandekommen der Wertschöpfung bei den Anspruchsgruppen erlangen und dass für diese Akteure die Abhängigkeiten und Wirkungen ihres
eigenen Handelns transparent werden (vgl. auch Organisationsverständnis, Kap. 4.4).
Diese Transparenz ist unabdingbare Voraussetzung für eine zielgerichtete, zeitgerechte
und koordinierte Einflussnahme aller Akteure zum Zweck der Optimierung der zu
erbringenden Leistungen im Wertschöpfungsprozess (vgl. auch die genannten Basisprämissen in Kap. 6.2).
Eine so verstandene Prozessorientierung bezweckt in erster Linie eine kontinuierliche
Optimierung der Prozessqualität. Sie manifestiert sich vor allem in der Zuverlässigkeit,
d. h. in der verbindlichen Klärung und Einlösung der Erwartungen der internen und
externen Nutzniesser (Destinatäre und Gesellschaft) einer Leistung. Zuverlässigkeit
schafft auf diese Weise Vertrauen. Zuverlässigkeit ermöglicht auch schnellere Abläufe
(z. B. Zeit zwischen Antragseingang und Förderbescheid). Durch diesen Gewinn an Geschwindigkeit kann sich auch eine Flexibilitätssteigerung ergeben (z. B. Reaktionsfähigkeit auf veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse). Zur Gewinnung von Transparenz über
die einzelnen Wertschöpfungsaktivitäten und zur Dokumentation ihrer wechselseitigen
133
Die Bedeutung der Ablauforganisation hat seit Anfang der neunziger Jahre stark an Bedeutung gewonnen. Unternehmungen,
Spitäler und öffentliche Verwaltungen werden zunehmend systematisch als prozessorientierte Organisationen gestaltet (Pettigrew/Fenton 2001). Zwei zentrale Gründe können für diesen Wandel geltend gemacht werden: Erstens haben moderne Informations- und auch Transporttechnologien zu einem veränderten Umgang mit der Zeit geführt, was Geschwindigkeit und
Pünktlichkeit zu kritischen Erfolgsfaktoren im Wettbewerb macht. Zweitens wird die Arbeitsteilung immer feiner und damit
verbunden entsteht immer mehr Spezialistenwissen, doch für die Erfüllung der Kundenbedürfnisse bedarf es der Ermöglichung und Förderung abteilungsübergreifender Kommunikation zur Ausschöpfung von Expertise und zur Erzielung
maximaler Kundenzufriedenheit. Im Fokus der Anstrengungen steht eine konsequente Lösungs- und Wirkungsorientierung
aller Aktivitäten.
134
Ein Prozess wird dabei verstanden als ein System von Aktivitäten, zwischen denen sachlogische und zeitliche Abhängigkeiten
bestehen. Gewisse Dinge können dabei sequentiell, andere müssen parallel vollzogen werden.
198
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
Abhängigkeiten können z. B. Prozessbeschreibungen, Checklisten und Aufgabendiagramme dienen (Materialisierungen der Handlungen). Die Prozessorientierung trifft damit exakt das Anliegen einer Professionalisierung der Stiftungstätigkeit: Management
für mehr Wirkung.
Den o. g. Grundlagen nach kann es nicht Anspruch eines Managementframeworks für
Stiftungen sein, allgemeingültige Lösungen in Form von rezepthaft anzuwendenden
Handlungsanweisungen anzubieten.135 Das vorliegende Framework mit seinen
Ausgestaltungen beinhaltet also weder Soll-Vorschriften noch konkrete Gestaltungsregeln, die in jeder Stiftungen unmittelbar ("1:1") angewendet werden können. Die mit
wissenschaftlichen Methoden analysierten Handlungsfelder und formulierten Optionen
in Stiftungen müssen rekontextualisiert, d. h. in den eigenen Anwendungskontext
transferiert werden: die Landkarte, also das komplexitätsreduzierende Modell der Wirklichkeit, darf nicht mit der realen "Landschaft" verwechselt werden.
generisch
Welches sind die
Einflussfaktoren?
Wie sind die
Zusammenhänge?
Framework
Wie ist vorzugehen?
Best Practices
Die richtigen Dinge tun
Die Dinge richtig tun
Abbildung 7-1:
Kontextspezifisch
Stiftungsmanagement
Stiftungskontext
Identifikation spezifischer
Elemente und
Einflussfaktoren der
jeweiligen Stiftung
Selektion von Best
Practices und deren
Adaption im spezifischen
Stiftungskontext
Stiftungsmanagement als Rekontextualisierung eines Management-Frameworks
Aufgabe des Stiftungsmanagements ist es, wie in Abbildung 7-1 dargestellt, die generischen, konzeptionellen "Antworten" zu den Fragen der Zusammenhänge und des Vorgehens so in den spezifischen Kontext zu übertragen, dass dem Postulat der
"Qualifizierung einer Organisation in ihrem Milieu" entsprochen werden kann.
Kenntnisse der generischen Herausforderungen, möglicher Ansätze und Instrumente, des
135
Auch wenn eine solche Erwartungshaltung in der Stiftungspraxis durchaus verbreitet ist.
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
199
spezifischen Kontexts und entsprechender Einflussfaktoren wie auch Kenntnis über die
eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster sind hierfür notwendig. Nur dann
können die zu treffenden kontingenten Entscheidungen auf ein solides Fundament
gestellt werden und erst dann wird das Management zu der von Ulrich geforderten
"bewegenden" und "einigenden" Kraft (2001, S. 13). Dies spiegelt sich auch in den fünf
Zielsetzungen des Managementframeworks wider - dem Stiftungsmanagement soll
damit:
1. ein Orientierungsrahmen als "Themenübersicht" und "Leitfaden zur Reflexion"
zur Verfügung gestellt werden
2. ein "Hilfsmittel" zur Verfügung gestellt werden, die eigenen Erfahrungen aus
neuen Blickwinkeln interpretieren zu können
3. ermöglicht werden, die zentralen Herausforderungen im spezifischen Kontext ihrer Stiftung strukturiert durchdenken und in ihrer Gesamtheit überblicken zu können.
4. die Möglichkeit geboten werden, durch die vorgestellten Handlungsoptionen und
deren Implikationen ihr bereits vorhandenes Orientierungswissen weiterzuentwickeln
5. zur Befähigung verholfen werden, bei den zu treffenden kontingenten
Entscheidungen die notwendige und geforderte konzeptionelle und prozedurale
Durchgängigkeit zu wahren
Das FE-C dient dabei nicht nur als periodisch anzuwendendes Reflexionsinstrument,
sondern analog zum Flugzeug-Cockpit der ständigen Zustandserfassung und Anleitung
zur systematischen Abstimmung und Optimierung aller relevanten Einflussfaktoren.
Bevor das komplette FE-C in Kap. 7.1 vorgestellt wird, erfolgt im anschliessenden Kapitel 7.1 die Vorstellung des "Gerüsts" des Cockpits: die Funktionslogik einer Vergabestiftung. Diese dem Cockpit zu Grunde liegende Funktionslogik soll das Verständnis für
das FE-C erleichtern und das Bewusstsein und die Sensibilität für die Wirkungszusammenhänge der weiteren Bausteine (Grundkategorien) des Cockpits erhöhen.
200
7.1
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
Die Funktionslogik einer Vergabestiftung als Gerüst des
Foundation Excellence-Cockpits (FE-C)
Die hier verwendete generische Funktionslogik einer Vergabestiftung als zulässige Vereinfachung der "Wirklichkeit" (Komplexitätsreduktion) besteht aus fünf Elementen (vgl.
Abbildung 7-2):
1. Mission
2. Input
3. Projekte/Aktivitäten
4. Output
5. Impact
Vergabestiftungen sind nicht blosse Finanzintermediäre, Kapitalgeber oder Umverteiler
finanzieller Mittel, auch wenn der Umverteilungsgedanke durchaus seine Berechtigung
hat und immer wieder zitiert wird (Prewitt 1999 und die dort angegebene Literatur). Sie
haben aber auch mit dem "Handicap" des "creating value through others" (Porter/ Kramer 1999, S. 123) zu kämpfen, was es durchaus erschwert, sich mehr als Katalysator einer gesellschaftlichen Entwicklung und weniger als Finanzintermediär zu positionieren.
Es gilt, "dass moderne Stiftungen keine Intermediäre zwischen den Handelnden im gemeinnützigen Sektor und ihren Förderern, sondern selbst Handelnde in der Arena [der
gesellschaftlichen Weiterentwicklung] sind - oder zumindest sein sollten" (Strachwitz
1998b, S. 25; ähnlich auch Anheier 2000). Dieses Handlungsfeld wird bereits in Kapitel
2 beleuchtet - mit dem Aufzeigen der sich vergrössernden Lücke zwischen Aktivitäten
privatwirtschaftlicher und staatswirtschaftlicher Organisationen und den beiden generischen Stiftungsfunktionen, Innovation und Stabilisierung.
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
201
Mission
Mission
Input
Input
Aktivitäten
Aktivitäten
Projekte
Projekte
Stiftung
Output
Output
Impact
Impact
Abbildung 7-2:
Die generische Funktionslogik von Vergabestiftungen als Gerüst für das Foundation
Excellence-Cockpit (FE-C)
Die im Laufe der Stiftungstätigkeit von der Stiftung in Zusammenarbeit mit externen
Partnern hergestellten "Produkte", wie z. B. Anwaltschaft für Themen, Dienstleistung für
die Allgemeinheit und organisierte Selbsthilfe, oder allgemein: "soziales Kapital" (vgl.
Strachwitz 2001a, S. 3), weisen auf das Management von Projekten und Aktivitäten als
zentralen Wertschöpfungsprozess einer Stiftung hin. Ohne diesen Prozess könnte eine
Vergabestiftung nicht existieren, weil sie ihren Stiftungszweck nicht erfüllen kann. Deshalb auch die sinnbildliche Darstellung dieses Elements des Cockpits als "Pfeilspitze"
des Stiftungsmanagements.
Durch die Besonderheit des "creating value through others" (Porter/Kramer 1999, S.
123) weist der Prozess eine hohe Komplexität mit vielen Einflussfaktoren und Unsicherheiten auf. Neben der grundsätzlichen Unsicherheit bei der Stiftungstätigkeit z. B. auf
Grund des Messbarkeitsdefizits oder andauernder Umweltentwicklungen (z. B. Hundefängerstiftung136, Säkularisierung137), besteht insbesondere bei Vergabestiftungen wegen
136
Die Hundefängerstiftung im 16. Jahrhunderts in Nürnberg verfolgte den Zweck, die Anzahl streunender Hunde in der Stadt
und den Kirchen einzudämmen. Aufgrund fehlender streunender Hunde (materieller Wegfall des Stiftungszwecks) wurde das
Stiftungskapital zugunsten eines Spitals umgewidmet (vgl. Borgolte 2001).
137
Mit Säkularisierung wird der Übergang von Begriffen und Vorstellungen aus einem primär religiösen in einen allgemeineren
Kontext von Philosophie und Zeitgeist bezeichnet. Dies bewirkt z. B. im Stiftungsbereich ein zunehmendes Transparenzund Informationsbedürfnis einer allgemeinen, zunehmend kritischen, Öffentlichkeit als "Nutzniesserin" und "Trägerin" einer
Stiftung.
202
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
der Zusammenarbeit mit externen Personen oder Institutionen eine Principal-AgentProblematik. Diese Problematik bezieht sich auf die Schwierigkeiten, die bei unvollständiger und asymmetrischer Information zwischen der Stiftung (Principal) und dem Destinatär (Agent) entstehen können. Die Stiftung braucht qualifizierte Destinatäre um den
Stiftungszweck realisieren zu können. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Stiftung
das Engagement und/oder die Qualitäten eines Destinatärs nur mit Einschränkungen erkennen kann. Gegenseitiges Vertrauen und angemessene Verfahren bei der Projektakquisition und -selektion, aber auch im weiteren Verlauf bei der Projektbegleitung und
schliesslich im Rahmen der Dissemination und ggf. Replikation, sind somit unverzichtbar.
Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wertschöpfung werden jedoch in der Mission
gelegt, denn Stiftungen sind "missionsgetriebene" Organisationen, in denen eine Sachzieldominanz vorherrscht (vgl. Bumbacher 2000, S. 457). Durch das Messbarkeitsdefizit
(vgl. Kap. 6.1.1) wird ihnen besonders die Beurteilung ihrer Wirkung erschwert, was ein
Steuerungsproblem und eine gewisse "Orientierungslosigkeit" zur Folge haben kann.
Genau hier greift eine Mission, die, so Drucker, "should fit on a T-shirt, yet a mission
statement is not a slogan. It is a precise statement of purpose. Words should be chosen
for their meaning rather than beauty, for clarity over cleverness" (Drucker 1999, S. 39).
Die Mission versucht das Steuerungsproblem durch eine eindeutig formulierte Zieldefinition zu mildern. Sie stellt so den Ausgangspunkt der Wertschöpfung und die Referenzpunkte für die Wirkungsbeurteilung der Stiftungstätigkeit dar.
Obwohl klassische Stiftungen kaum finanzielle Ressourcenknappheit fürchten müssen,
da sie einerseits (meist) auf einen Kapitalstock zurückgreifen können, andererseits als typische Vergabestiftungen geringe Fixkosten aufweisen, stellt der Input einen weiteren
Pfeiler des Gerüsts des FE-C dar. Der Input beschränkt sich dabei nicht auf Geld, sondern umfasst auch weitere Ressourcen, z. B. Zugang zu Netzwerken, Erfahrung im
spezifischen Wirkungsfeld, Ressourcen zur Projektbegleitung sowie die sorgfältige
Strukturierung des Wertschöpfungsprozesses und der Supportprozesse, verstanden als
Festlegung von Grunddesign und Führungskenngrössen dieser Prozesse.
Der Input wird insbesondere im Zusammenhang mit dem Output als weiterer Baustein
des Gerüsts von Bedeutung. Nur durch diese beiden Grössen, die jedoch operationalisiert
werden müssen (vgl. Kap. 12.1.1), kann eine Effizienzbeurteilung, d. h. eine Abschät-
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
203
zung, ob die Mittel wirtschaftlich eingesetzt wurden, erfolgen. Der Output von Projekten
(und der Stiftungstätigkeit insgesamt) stellt jedoch nur einen Übergang dar in Richtung
einer Wirkungsbeurteilung der einzelnen Projekte wie der gesamten Stiftungstätigkeit.
Der Impact der Stiftungstätigkeit ist das letzte Element in der Funktionslogik. Der gesamte Wertschöpfungsprozess ist auf gesellschaftlichen Mehrwert ausgerichtet, der an
dieser Stelle als "Summe" aller Aktivitäten und Projekte entsteht. Hier ergibt sich auch
die Möglichkeit, den Grad der Erreichung des Sachziels zu bestimmen und eine Effektivitäts- oder Performancebeurteilung vorzunehmen, wobei die Performancedefinition aus
bereits genannten Gründen nicht trivial ist (vgl. Messbarkeitsdefizit, Kap. 6.1.1). An dieser Stelle soll eine stark vereinfachte Performancedefinition genügen: "Foundation performance can - broadly - be defined as social benefit created in relation to resources invested and dependent on foundation objectives” (Sawhill/Williamson 2001, S. 101).
Doch weist gerade diese Definition nochmals auf die typische Funktionslogik von Vergabestiftungen hin, wie sie hier als Gerüst des FE-C vorgestellt wird: Mission (Zielformulierung); Input (Ressourcenallokation); Projekte (Selektion geeigneter Partner); Output (unmittelbare Resultate); Impact (langfristige soziale Wertschöpfung und Beitrag
zum sozialen Wandel).
7.2
Der Aufbau des Foundation Excellence-Cockpits (FE-C)
Auf Grundlage der o. g. fünf Ziele und der Funktionslogik von Vergabestiftungen sowie
unter Berücksichtigung der Gütekriterien eines Managementmodells (vgl. Kap. 3.5.1)
wurde das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C) entwickelt (vgl. Abbildung 7-3). Der
Prozess bestand aus mehreren, iterativen Stufen und aus einem wiederholten "Eintauchen" in die empirischen Daten. Begleitend dazu wurden mehrere Feedbackzyklen
durchgeführt - "aus der Praxis in die Praxis" (z. B. Expertenworkshop, Feedback des
"fertigen" Cockpits inkl. Handlungsoptionen durch einen Geschäftsführer einer Stiftung138), um das FE-C zu optimieren.
138
Der ausgewählte Geschäftsführer weist keine "BWL-Ausbildung" auf, sondern ist Kunsthistoriker und eignete sich sein Managementwissen "learning by doing" an. Selbstverständlich soll diese Einzelmeinung zum Foundation Excellence-Cockpit
nicht einer abschliessenden "Validierung" dienen, dennoch stellte sie ein äusserst wichtiges Feedback dar, um sicherzustellen, dass das Cockpit auch sprachlich "anschlussfähig" und die Aufbaulogik für Praktiker nachvollziehbar ist.
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
204
Politische Faktoren
Mission
Mission
Ökonomische Faktoren
Acco
untab
ility
Evalu
ation
Stift
ungs
Stift
poli
ung
sstr tik
ateg
ie
Input
Input
Finanzmanagement
Kommunikationsmanagement
Kooperationsmanagement
HRManagement
Impact
Impact
Akq
uis
Sele ition
ktion
Effizienz
Stifter
Effektivität
ITManagement
Projektmanagement
g
chin
Coa
ng
itori
Mon
Output
Output
on
inati
m
e
s
Dis
ion
likat
p
e
R
ation
Evalu
itty
ntabil i
u
o
c
c
A
Technologische Faktoren
SozioSozio-Kulturelle Faktoren
Abbildung 7-3:
Aktivitäten
Aktivitäten
Projekte
Projekte
Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
Mission
Mission
Das Gerüst:
Grundkategorie 3:
Funktionslogik
Wertschöpfungsprozess
Grundkategorie 1:
Grundkategorie 4:
Umweltsphären
Supportprozesse
Grundkategorie 2:
Grundkategorie 5:
Gestaltungsprozess
Legitimierungsprozess
Input
Input
Aktivitäten
Aktivitäten
Projekte
Projekte
Output
Output
Abbildung 7-4:
Stifter
Impact
Impact
Gerüst und Grundkategorien des Foundation Excellence-Cockpits (FE-C)139
Das Gerüst des FE-C richtet sich nach der im vorangegangenen Kapitel 7.1 (S. 200) beschriebene Funktionslogik von Vergabestiftungen. Neben dem Charakteristikum der
139
Die schwarz unterlegten Elemente signalisieren den jeweiligen Baustein.
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
205
Mission (missionsgetriebene Organisation) stellen durch Dritte (Destinatäre) umgesetzte
Projekte das zentrale Element dar, denn Vergabestiftungen arbeiten typischerweise
"hands-off". Das "Produkt" der Stiftungsarbeit ist der Impact, der sich an den Zielsetzungen aus der Mission messen lassen muss.
Die weiteren Bausteine des FE-C lassen sich in die folgenden fünf, modulartigen Grundkategorien unterteilen (vgl. Abbildung 7-4):
1. Umweltsphären (Kapitel 8, S. 209): Die Umweltsphären, im Einzelnen die Politik, die Ökonomie, sozio-kulturelle Faktoren und Technologie sowie der Stifter,
beschreiben die Stiftungsumwelt im Sinne des relevanten Managementkontexts.
Eine Stiftung muss sich stets mit den verändernden Umweltbedingungen und
Trends befassen und die möglicherweise sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Knappheiten identifizieren. Auf der anderen Seite entstehen im Bereich der
Umweltsphären auch beschränkende oder unterstützende Faktoren des Managements von Stiftungen (z. B. Transparenzvorschriften; "Stiftungskultur").
2. Gestaltungsprozess (Kapitel 9, S. 226): Der Gestaltungsprozess, mit den
Teilprozessen "Stiftungspolitik" und "Stiftungsstrategie", ist das Scharnier zwischen der Mission und dem Input in den Wertschöpfungsprozess. Für eine professionelle, d. h. zielführende und wirkungsvolle, Vorgehensweise ist es unerlässlich, die gestalterischen Optionen gemäss den Zielen der Stiftung zu entwickeln.
Diese Festlegungen prägen die Stiftungsarbeit insbesondere im Bereich der vollziehenden Tätigkeiten des Wertschöpfungsprozesses und der Supportprozesse.
3. Wertschöpfungsprozess (Kapitel 10, S. 326): Der Wertschöpfungsprozess einer
Stiftung, aufgeteilt in die Prozesse (Projekt-) Akquisition, Selektion, (Projekt-)
Coachings, Monitorings, Ergebnissicherung/Dissemination (von Projektergebnissen) sowie Weiterführung/Replikation (von Projekten), ist unmittelbar auf die
Realisation der Stiftungsziele (abgeleitet aus dem Stiftungszweck und der Stiftungsmission) gerichtet. Er umfasst diejenigen Aktivitäten, die für die eigentliche
Wertschöpfung, also die Entstehung einer gesellschaftlichen Wirkung ("making a
difference") verantwortlich sind.
4. Supportprozesse (Kapitel 11, S. 382): Supportprozesse, im Einzelnen das Finanz, IT-, Kooperations-, Kommunikations- und HR-Management, dienen der Bereit-
206
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
stellung der Infrastruktur und Erbringung interner Dienstleistungen. Sie umfassen
alle Aktivitäten, die der Schaffung geeigneter Voraussetzungen für den Vollzug
eines effektiven und effizienten Wertschöpfungsprozesses gewidmet sind.
5. Legitimierungsprozess (Kapitel 12, S. 452): Der Legitimierungsprozess, bestehend aus den Teilprozessen der Evaluation und der Legitimierung, fasst diejenigen Aktivitäten zusammen, die auf die gesellschaftliche Anerkennung der Tätigkeiten einer Stiftung gerichtet sind. Beginnend mit der umfassenden nach innen
und aussen gerichteten Evaluation der Stiftungstätigkeit und der Bereitschaft,
sich verbessern zu wollen, geht es schliesslich um die Frage der Zurechenbarkeit
von Wirkungen und um den Aufbau von Vertrauen in die Stiftungsaktivitäten.
In den folgenden Kapiteln werden diese fünf Grundkategorien des FE-C im Einzelnen
vorgestellt. Dabei sind die Grundkategorien 2 bis 5 als "ein System von Aktivitäten" aufgebaut, d. h. die Ausgestaltung der einzelnen Prozesse erfolgt als Bündel von Aufgaben,
zu denen jeweils Festlegungen zu treffen sind. Eine Ausnahme stellt die erste Grundkategorie dar, die Umweltsphären. Sie sind als "unmittelbarer" Kontext in Form von Beschreibungen verfasst, in denen jeweils wichtige Aspekte und Reflexionsanstösse formuliert sind. Die Umweltsphäre "Stifter" umfasst darüber hinaus einen skizzenhaften Gründungsleitfaden für Stiftungen, um potentiellen Gründern eine Hilfestellung zu leisten
und eine Übersicht zu bieten über die ersten Managemententscheidungen im
Lebenszyklus einer Stiftung.
Die Kapitel sind nach einem einheitlichen Schema aufgebaut. Die einzelnen Kategorien
werden kurz eingeführt und ihre wichtigsten Aspekte skizziert.
Anschliessend werden die zentralen Aufgaben der Grundkategorien vorgestellt. Innerhalb der Aufgabenbeschreibungen werden einzelne Teilaufgaben thematisiert, diskutiert
und mögliche Handlungsoptionen aufgezeigt. Diese werden aus den Experteninterviews
herausgearbeitet und meist mit entsprechenden Zitaten hinterlegt. Dadurch werden Ausschnitte desjenigen Kontexts sichtbar, in dem sich diese Handlungsoptionen als zielführend und sinnvoll erwiesen haben, also sog. "best practices" darstellen. Bei Bedarf werden zur Unterstützung einer umfassenderen Beschreibung Mini-Fallstudien eingearbeitet
(blaue Textboxen), die eine etwas weitere Kontextperspektive eröffnen als die Expertenzitate. Zur besseren Übersicht werden die einzelnen Teilaufgaben bzw. deren zentrale in-
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
207
haltliche Aspekte mit Schlagwörtern versehen ("Marginalien" in blauer Schrift gesetzt),
die am rechten Seitenrand eine schnelle Orientierung ermöglichen.
Zum Abschluss jeder Aufgabe wird ein Fragekatalog zusammengestellt (grüne Textboxen), der im Sinne eines Self-Assessments zur Selbstreflexion anregen und zur
Selbsteinschätzung des jeweiligen Stiftungsmanagements befähigen soll: "Selfassessment is the first action requirement of leadership: the constant resharpening,
constant refocusing, never being really satisfied (vgl. Zitat Senna, Kap. 1, S. 3). And the
time to do this is when you are successful. If you wait until things start to go down, then
it's very difficult. […] Self-assessment can and should convert good intentions and
knowledge into effective action” (Drucker 1999, S. 125).
Die Zuordnung der Aufgaben zu den generischen Handlungsfeldern soll dem Stiftungsmanagement und den darin Handelnden helfen, die vorhandene knappe "Management
Attention" richtig zu priorisieren und die sachlogischen und zeitlichen Wirkungszusammenhänge beim Management einer Stiftung besser berücksichtigen zu können. So sind z.
B. die Festlegungen der Stiftungspolitik sachlich und zeitlich den strategischen Festlegungen vorgelagert, und genauso strategische Festlegungen den operativen. Diese Hierarchisierung ist jedoch keine "Einbahnstrasse", sondern ein durchgängiges, aufeinander
aufbauendes, iterativ zu handhabendes Geflecht an Entscheidungen, Eingrenzungen und
Ermöglichungen. Dazu sind eine Vielzahl von Querverweisen im Text eingearbeitet
(Vernetztheit), die dem Stiftungsmanagement aufzeigen, welche Auswirkungen die einzelnen Festlegungen aufweisen bzw. wo Folgefestlegungen notwendig sind, die sich
notwendigerweise auf die vorangegangene Festlegung beziehen und die konzeptionelle
und prozedurale Durchgängigkeit gewährleisten. Denn: Nicht alle Entscheidungen einer
Stiftung haben einen sachlich und zeitlich identischen Wirkungshorizont. Es gibt Entscheidungen wie die Festlegung des Stiftungszwecks, die eine Stiftung trotz allfälligem
Zweckänderungsvorbehalt sehr lange binden. Andere Entscheidungen, wie die Annahme
oder Ablehnung eines kleineren Förderungsgesuchs, haben ungleich weniger Einfluss
auf die zukünftigen Wirkungsmöglichkeiten einer Stiftung.
Ebenso unterschiedlich kann die Begründungsbasis von Entscheidungen sein. So ist es
sinnvoll, dass ein Stifter bei der Festlegung und Begründung des Stiftungszwecks - gerade im Kontext eines liberalen Stiftungsumfelds - sorgfältig Bezug auf unbefriedigte, gesellschaftlich relevante Anliegen, Bedürfnisse und attraktive Entwicklungsoptionen
208
Management-Framework für Vergabestiftungen: Das Foundation Excellence-Cockpit (FE-C)
nimmt, die weder politisch mehrheitsfähig noch ökonomisch lukrativ sind und die einem
bestimmten gesellschaftlichen Fortschrittsethos entsprechen (gesellschaftliche Knappheiten). "Wenn wir diesen Stiftungszweck realisieren können, dann verbessert sich …
bzw. dann wird es möglich, dass …" Bei der Begründung der Annahme oder Ablehnung
eines kleineren Förderungsgesuchs dagegen kann auf bestimmte, zeitlich begrenzte Förderschwerpunkte im Rahmen eines Förderungsprogramms oder sogar auf die aktuellen
finanziellen Möglichkeiten der Stiftung Bezug genommen werden.
Die an Beispielen skizzierten allgemeinen Kriterien "Wirkungshorizont von Entscheidungen" und "Begründungsbasis von Entscheidungen" dienen einer möglichst klaren
Zuordnung von Aufgaben der Stiftungstätigkeit zu den einzelnen prozessualen Grundkategorien, dem Gestaltungsprozess (normative und strategische Aufgaben), dem Wertschöpfungsprozess, den Unterstützungsprozessen (operative und vollziehende Aufgaben)
und dem Legitimierungsprozess (prüfende und entwicklungsbezogene Aufgaben).
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
209
"Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln:
erstens durch Nachdenken, das ist der edelste,
zweitens durch Nachahmen, das ist der leichteste und
drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.
Konfuzius,
chin. Philosoph (551-479 v. Chr.)
8
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
Die Umweltsphären und die dort entstehenden Einflüsse auf Organisationen bilden einen
komplexen Kontext für das Stiftungsmanagement. Die Einflussfaktoren der organisationalen Umwelt sind jedoch nicht einfach gegeben. Vielmehr hängt es "von den laufenden
gesellschaftlichen Diskursen ab" (Rüegg-Stürm 2002, S. 25), wie diese Faktoren wahrgenommen werden und welchen Einfluss sie auf die jeweilige Stiftung ausüben. Die Einflüsse sind stark länder- und kulturspezifisch geprägt. Für jede Stiftung gilt es daher, die
für sie relevanten Faktoren, Situationen und Entwicklungschancen frühzeitig zu identifizieren, zu analysieren und zu interpretieren. Es ist jedoch nicht möglich, die Einflussgrössen und die von ihnen möglicherweise bewirkten Entwicklungstendenzen sicher vorhersagen zu können. Das Stiftungsmanagement muss also in der Lage sein, trotz eines
gewissen Masses an Unsicherheit handlungsfähig zu bleiben.
Die Umweltsphäre von Stiftungen wird von fünf Faktorengruppen gebildet (vgl.
Abbildung 8-1):
1. Politische Faktoren
2. Ökonomische Faktoren
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
210
3. Sozio-kulturelle Faktoren
4. Technologische Faktoren
5. Stifter
Stifter
Politische Faktoren
Ökonomische Faktoren
Stiftung
SozioSozio-Kulturelle Faktoren
Abbildung 8-1:
Technologische Faktoren
Die Umweltsphären einer Stiftung
Die Analyse dieser fünf Faktorengruppen dient als Zugang zum Verständnis für die jeweils spezifische Umwelt einer Stiftung, die das Management systematisch analysieren
muss, um davon ausgehende mögliche gesellschaftliche Trends besser verstehen zu können. Generell gilt, dass Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld den Stiftungen immer wieder neue Chancen eröffnen, ihre Tätigkeiten nachjustieren und dadurch für die
Weiterentwicklung der Gesellschaft optimieren zu können. (vgl. Kap. 2.3).
8.1
Politische Faktoren
Stiftungsmanagement wird durch politische Entwicklungen z. T. entscheidend beeinflusst. Es gilt deshalb, Trends in und Entscheidungen aus diesem Bereich sorgfältig zu
beobachten und die daraus notwendigen Schlüsse für das Stiftungsmanagement zu ziehen. Politische Entwicklungen und Einflussfaktoren beinhalten Aspekte des Herrschaftsund regulatorischen Umfeldes, in dem eine Stiftung agiert.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
211
Die folgenden zentralen Aspekte bieten Einblicke in diesen Bereich und sensibilisieren
für Trends, die eine gestalterische Stiftungstätigkeit ermöglichen (in Anlehnung an Anheier (2005b):
ƒ politische Stabilität, staatliche Normen und Rahmenbedingungen
ƒ gesetzliches Umfeld, neue Gesetze, die die Stiftungsarbeit beeinflussen könnten,
wie z. B. steuerliche Rahmenbedingungen oder Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht
ƒ Veränderungen in den öffentlichen Haushalten, v. a. in sozialen Bereichen
ƒ politische Einflussnahme und Programme von Interessenvereinigungen wie Wirtschaftsverbänden, Umweltverbänden, Stiftungsinteressengruppen
ƒ Rolle des Staates, Staatsverständnis, Formen der politischen Meinungsbildung
Diese Einflussgrössen und die von ihnen ausgelösten Entwicklungen können sich
sowohl auf die Tätigkeitsschwerpunkte von Stiftungen auswirken, z. B. durch ein auch
in Kap. 2.1.6 beschriebenes verändertes Staatsverständnis mit der Beschränkung auf die
Erfüllung der Grundbedürfnisse oder eine Mittelverknappung in gewissen öffentlichen
Bereichen. Sie können aber auch die internen Abläufe von Stiftungen beeinflussen und
tief greifende Änderungen der traditionellen Stiftungsarbeit nach sich ziehen, z. B. durch
Publizitätsvorschriften oder Steuerabzugsmöglichkeiten. Diese Neuerungen haben dann
sowohl Einfluss auf die Gestaltungsprozesse einer Stiftung, z. B. Wandlung von einer
Stiftungskultur der Verschwiegenheit hin zu einer offenen, proaktiven Kommunikationskultur (Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S. 228). Andererseits bedingen solche Veränderungen auch operative Umstellungen, wie etwa Adaption der Abzugssätze bei den Steuern.
Im Bereich der internationalen Philanthropie gilt es zudem, bestehende, sich verändernde
Marktzutrittsschranken und weitere Restriktionen zu berücksichtigen, und zwar zusätzlich zu den jeweiligen länderspezifischen kulturellen Ausprägungen und Gegebenheiten.
Ein Beispiel für die Wirkung der Veränderung der regulatorischen Bedingungen beschreibt Hansmann (1990) für die USA. Dort führten die (selbst-) regulatorischen Vorkehrungen der US-Bankenindustrie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einer
Abnahme der Kreditausfälle ("default rate") der Profit-Banken, wodurch sich das Vertrauen in diesen Bankensektor erhöhte. Das Resultat war ein sog. "crowding-out"-Effekt
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
212
zulasten der Non-Profit-Anbieter - deshalb wohl spielen heute Non-Profit-Banken nur
noch eine marginale Rolle in der US-Bankindustrie.
Regulatorische Vorgaben können sowohl zu erwünschten wie unerwünschten Auswirkungen führen. Im Zusammenhang mit dem stark regulatorischen Tax Reform Act von
1969 in den USA weist z. B. Frumkin (1997, 1998) auf eine dadurch entstandene Risikoaversion der Stiftungen hin. Stiftungen fördern seither überwiegend "sichere" Projekte,
damit sie überhaupt nicht Gefahr laufen, sich rechtfertigen zu müssen.
Auch in der Schweiz wurde im Verlauf der vergangenen fünf Jahren eine Revision des
Stiftungsrechts durchgeführt (parlamentarische Verabschiedung zum 08.10.2005). Die
Initiative hatte zum Ziel, das schweizerische Stiftungsrecht so abzuändern, dass die
Rechtsgrundlagen für gemeinnützige Stiftungen attraktiver werden, bei gleichzeitiger
Förderung des Vertrauens in Stiftungen. Die wichtigsten Änderungen in diesem Zusammenhang sind:
ƒ Änderungsmöglichkeit des Stiftungszwecks
ƒ Erhöhung des steuerlich abzugsfähigen Höchstbetrags auf 20%
ƒ Einführung einer obligatorischen Revisionsstelle
ƒ Buchführungspflicht für Stiftungen
ƒ Wegfall der Mehrwertsteuer bei Leistungen ohne überwiegende Werbewirkung
Inwieweit diese Revision des Stiftungsrechts Veränderungen sowohl auf den Stiftungssektor als auch auf das Management einer Stiftung hervorrufen wird, ist zum jetzigen
Zeitpunkt schwer abzuschätzen. Auf jeden Fall aber sollte das Stiftungsmanagement
mögliche Auswirkungen und Trends aufmerksam registrieren.
8.2
Ökonomische Faktoren
Das Management von Stiftungen darf nicht losgelöst von Veränderungen in der Wirtschaft betrachtet werden. Die fortschreitende Globalisierung der Märkte führt zu einer
stärkeren Vernetzung der einzelnen Staaten. Auftretende wirtschaftliche oder auch soziale Probleme verlangen somit auch zunehmend nach globalen Problemlösungen, und
zwar nicht bloss als Symptombekämpfung, sondern durch Identifikation der Ursachen
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
213
("root causes"). Für Stiftungen kann dies z. B. heissen, dass das Waldsterben nicht lokal,
sondern im globalen Kontext betrachtet werden müsste. Auch die Konzentration der Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen oder die Konzentration auf eine kurzfristige und
finanzmarktorientierte Führung und die daraus resultierende wachsende Lücke zwischen
dem privat- und staatswirtschaftlichen Sektor (vgl. Kap. 2.1.6) können Auswirkungen
auf das Management von Stiftungen haben. Weiter gilt es zu überlegen, welche Chancen
und Herausforderungen sich für Stiftungen aufgrund der Schlüsselressource "Wissen"
und dem Trend zur lebenslangen Weiterbildung ergeben.
Veränderungen der ökonomischen Faktoren beziehen sich auf langfristige Entwicklungen im Aktivitätsfeld der Stiftung. Zentrale Aspekte sind:
ƒ Volkswirtschaftliche Rahmenbedingungen, z. B. Zinsniveau, Einkommenshöhe,
Preisniveau, Arbeitslosenrate
ƒ Nachfrage- und Angebotsseite nach Produkten und Dienstleistungen
ƒ Qualität der Infrastruktur, Sozial- und Bildungssysteme und deren Angebote
8.3
Sozio-kulturelle Faktoren
Sozio-kulturelle Veränderungen können durch verschiedene Einflussfaktoren auftreten.
Es gilt dabei abzuschätzen, welche gesellschaftlichen Gegebenheiten Auswirkungen auf
das Stiftungswesen haben. Folgende Fragen sollen dem Stiftungsmanagement als Orientierung dienen, die sozio-kulturellen Veränderungen und die damit verbundenen Implikationen für die Stiftungsarbeit abschätzen zu können:
ƒ Besteht die Gefahr, dass es zu einer breiten Ablehnung gegenüber Stiftungen
kommt? Werden sich Stiftungen mit ausweitenden Aktivitätsfeldern und einem
Anwachsen der Projektanträge konfrontiert sehen?
ƒ Nimmt die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit zu oder entwickelt sich eine IchGesellschaft mit dem Drang von immer mehr Menschen zur Selbstverwirklichung
(vgl. hierzu Gross 1994, 1999)?
ƒ Wie können sich soziale Krisen, Katastrophen oder politische Instabilitäten auf
das Stiftungsumfeld und die Stiftungsarbeit auswirken?
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
214
ƒ Wird die gesellschaftliche Entwicklung in Richtung ökonomisch prosperierende
Gesellschaft tendieren, mit z. B. einem erhöhten Bedürfnis nach Kunst und Kultur, nach Erholung, guter Ausbildung und hohem sozialem Wohlstand oder zu einer ökonomisch stagnierenden, möglicherweise rückläufigen Gesellschaft, bei der
die Sicherung der Existenzbedürfnisse im Vordergrund steht?
Neben diesen generellen Fragen zum sozio-kulturellen Stiftungsumfeld gilt es, weitere
Entwicklungsströmungen zu beachten. Säkularisierungstendenzen in Form von steigendem Informationsbedürfnis sind bei der Entwicklung der Jahresberichte von Unternehmen, bei der Bekanntgabe der Spitzensaläre als auch bei Unternehmensaktivitäten erkennbar (z. B. Shell/Brent-Spar). So wurde vor kurzem im schweizerischen Parlament
beschlossen, die Saläre der Führungsgremien von Unternehmen einer Publikationspflicht
zu unterwerfen. Könnte diese Forderung auch im Stiftungssektor Einzug halten? Wenn
ja, was wären die Folgen? Mit welchen neuen Anforderungen sähe sich das Stiftungsmanagement konfrontiert?
Implikationen für das Stiftungsmanagement ergeben sich auch aus dem ständigen
Einstellungs- und Wertewandel der Menschen und in der Gesellschaft. In jüngerer Zeit
wurden z. B. Tendenzen identifiziert, etwa zur Erlebnisgesellschaft (Schulze 1992), flexiblen Gesellschaft (Rimscha 2000), beschleunigten Gesellschaft (Glotz 1999), Risikogesellschaft (Beck 1986) oder zur Multioptionsgesellschaft (Gross 1994). Nach Drucker
(2001) wird im Jahr 2030 beinahe die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung Deutschlands über 65 Jahre als sein - ein ähnliches Bild bietet sich auch in meisten anderen
entwickelten Ländern, so auch in der Schweiz. Heute macht dieser Bevölkerungsanteil
nur ein Fünftel aus. Die Zahl der Bürger im arbeitsfähigen Alter wird um ein Viertel sinken. Diese demographischen Veränderungen haben Einflüsse sowohl auf die Entwicklung von Stiftungen auf Sektorebene, z. B. sich verändernde Einkommens- und Vermögensverteilung mit zunehmender Erbmasse als potentieller Geldquelle für Stiftungen, als
auch auf Organisationsebene, z. B. Senioren als Arbeits- und Wirtschaftskraft, verstärkte
Zuwanderung und dadurch entstehende Probleme der gesellschaftlichen Integration140
oder ähnliche soziale Probleme und Konfliktpotentiale.
140
Drucker (2001) geht davon aus, dass ab dem Jahr 2020 jährlich eine Million Zuwanderer in Deutschland gebraucht werden,
um den Bestand an Arbeitskräften zu erhalten.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
215
Bei der Reflexion über die sozio-kulturellen Faktoren gilt es, die Entwicklungen insbesondere in folgenden Bereichen zu beobachten:
ƒ demographische Entwicklungen der Gesellschaft mit Bevölkerungsentwicklung
ƒ strukturelle Veränderungen in der Gesellschaft (Bildung, Einkommen, Alter etc.)
ƒ Migrationsmuster
ƒ Werthaltungen und Wertewandel in der Gesellschaft
ƒ soziale Problemfelder und Konfliktpotentiale
8.4
Technologische Faktoren
Schliesslich bedingen auch Fortschritte im technologischen Bereich Veränderungen der
Stiftungsarbeit. Auf der Makro-Ebene können neue Technologien gesamtgesellschaftliche Strukturen verändern. So haben z. B. die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gesellschaftliche Abläufe beschleunigt und globalisiert, was wiederum
neue Rahmenbedingungen des Stiftungssektors nach sich zieht, z. B. schneller "Themenwechsel" ("agenda setting"), neu auftauchende Bedürfnisse und gesellschaftliche
Knappheiten. Technologische Innovationen führen auf inhaltlicher Ebene von Stiftungen
zu neuen Themenfeldern wie z. B. "IT in Entwicklungsländern" oder "Älterwerden in einer hoch technologisierten Welt". Auf prozessualer Ebene können das Projektmanagement oder auch das Finanzmanagement dank des technologischen Fortschritts Ressourcen schonender gestaltet werden.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
216
Im Rahmen der Analyse der technologischen Trends und deren Auswirkungen auf die
Stiftungsarbeit sind folgende Aspekte zu beachten:
ƒ Kenntnis über technologische Entwicklungen, wie Bio- und Gentechnologie,
alternative Energien (neue Themenfelder)
ƒ Analyse der Auswirkungen der IKT auf operative Abläufe der Stiftungsarbeit
ƒ Beachtung von Veränderungen bei den Finanzanlagen (Aufwände und Erträge)
und den Projekten
ƒ Beachtung von Veränderungen im Kommunikationsverhalten sowohl innerhalb
der Stiftung als auch mit den Stakeholdern
8.5
Stifter
Der Stifter nimmt im System "Stiftung" eine besondere Rolle ein. Aus juristischer Perspektive ist er als Stakeholder der Stiftung den übrigen Anspruchsgruppen, wie z. B.
Destinatären oder der allgemeinen Öffentlichkeit gleichzusetzen. Der Stifter befindet
sich somit in seiner Funktion als Stifter ausserhalb der Stiftung und kann als ein weiterer
Bestandteil der Umweltsphären bezeichnet werden. Auf der anderen Seite hat der Stifter
eine gesellschaftliche Knappheit identifiziert, formuliert und die Stiftung zur Beseitigung
dieser Knappheit errichtet. Der Stifter ist somit zumindest in der Gründungs- und Konstitutionsphase einer Stiftung das Verbindungsglied zwischen den Umweltsphären und
der Stiftung, indem er das von ihm identifizierte gesellschaftliche Bedürfnis in die Stiftung einbringt. Um geeignete Festlegungen in den weiteren Grundkategorien zu treffen
(Kap. 9 ff.), muss er als Orientierungs- und Referenzpunkt miteinbezogen werden - unabhängig davon, ob er in der Stiftung aktiv ist. Die Reflexion über das System "Stifter"
beinhaltet Kenntnis z. B. über die Historie des Stifters, dessen familiäre und berufliche
Gegebenheiten, dessen bisherige Erfolge, vorherrschende Wertesysteme sowie dessen
Motive zur Gründung einer Stiftung.
Die Bereitschaft zur Philanthropie in einer Gesellschaft ist grundsätzlich als anerkennenswert zu bezeichnen. Die Leistung eines Stifters resultiert dabei aber nicht nur aus
dem Akt der Vermögensübertragung, sondern liegt auch in der Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Knappheit, eines sozialen Bedürfnisses. Ein Stifter unterstützt mit dem
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
217
Aufgreifen einer gesellschaftlichen Knappheit und der Gründung einer Stiftung die gesellschaftliche Pluralität. Hinter seiner Identifikation der Knappheit steckt die persönliche Wahrnehmung und Priorisierung von gesellschaftlichen Problemen. Für das wirkungsvolle Fortbestehen der Stiftung gilt es in diesem Zusammenhang, die Vorstellungen des Stifters über "gute" Stiftungsarbeit lebendig zu erhalten. Ein Stifter muss versuchen, seine Ideen und Vorstellungen in der Organisation zu verankern. Er muss sich dabei vergegenwärtigen, dass er nach seinem Ausscheiden aus der Stiftung keinen Einfluss
mehr geltend machen kann. Das Mitgestalten der Stiftung durch den Stifter in der Konstitutionsphase ermöglicht ein Vorleben der Ideen, Werte und Normen und deren Implementierung in die Organisation. Zudem bringt ein Stifter oftmals detailliertes Wissen
über die aufgegriffene Knappheit oder ein für die Bewältigung dieser Knappheit hilfreiches Netzwerk persönlicher Kontakte in die Stiftung ein (Ressourcen).
Beim Verfassen der Stiftungsstatuten, bestehend aus Stiftungsurkunde und Stiftungsreglementen (vgl. Exkurs: Gründungsleitfaden), sollten durch den Stifter einerseits genaue
Vorgaben zur Erfüllung des Stiftungszwecks, zur Arbeitsweise sowie zur Organisation
gemacht werden, um die Stiftung entsprechend seinem Willen dauerhaft zu prägen und
vor Willkür zu schützen. Andererseits kann der Stifter durch Freiräume ein flexibles
Agieren der Stiftungsorgane bei sich ändernden Umweltbedingungen schaffen, ohne
dass gleich die Stiftungsurkunde einer Änderung bedarf.
Die Motive zur Gründung einer Stiftung verdienen eine vertiefte Betrachtung, um den
Stifter "besser verstehen" zu können.141 Die Beweggründe dafür, dass Stiftungen überhaupt gegründet werden, sind hinsichtlich des Rollenverständnisses einer Stiftung i. S.
von "they provide a vehicle for philanthropic values and needs that is a circuit for longterm and large-scale donations" (Anheier 2001, S. 68) von hoher Relevanz.
Die Errichtung einer Stiftung basiert auf verschiedenen Motiven, wobei i. d. R. Kombinationen mehrerer Motive wirksam sind. Interessanterweise gibt es nicht den "typischen"
Stifter. "Dies ist das zentrale Ergebnis der StifterStudie. Reiche und weniger Vermögende, Prominente und Unbekannte, Junge und Alte, Frauen und Männer, Ost- und
West, Nord- und Süddeutsche - sie alle gründen Stiftungen", so Timmer in der neuesten
Studie der Bertelsmann Stiftung (Timmer 2005, S. 11).
141
Dies vor dem Hintergrund, dass in Deutschland umgerechnet CHF 4 Billionen privates Geldvermögen existieren und jedes
Jahr CHF 200 Milliarden vererbt werden (vgl. Bertelsmann Stiftung 2001).
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
218
Empirische Untersuchungen im amerikanischen Kontext identifizieren vier spezifische
Kategorien, mit denen sich die Vielfalt der Gründungsmotive zusammenfassen lässt
(Anheier/Appel 2004, ähnlich auch Ostrander/Schervish 1990, Ostrower 1995):
ƒ Wertorientierung i. S. der sozialen Verantwortung, der Überzeugung und Verbundenheit mit etwas und der Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben
ƒ Nützlichkeit in spezifischen Situationen als präferierte Organisationsform, als
Steuervergünstigungsmechanismus sowie als Instrument zur systematischen Mittelvergabe
ƒ gesellschaftlicher Druck aus dem sozialen Umfeld
ƒ Egoismus zur Aufrechterhaltung der "Kontrolle" über das Vermögen, der
Denkmalsetzung und der persönlichen Befriedigung
Die neueste empirische Studie - und gleichzeitig die erste über "Stiften in Deutschland"142,143 (Timmer 2005) - geht differenziertere Wege in der Kategorisierung von
Faktoren bei der Gründung von Stiftungen. Hier wird unterschieden zwischen "Motive(n) für die Stiftungsgründung" (S. 28 ff.), "Erwartungen bei der Stiftungsgründung"
(vgl. S. 31 ff.) und "Gründe(n) für die Errichtung einer Stiftung" (S. 63 ff.). Letzteres bezieht sich auf die Besonderheiten der Organisationsform "Stiftung", während die ersten
beiden Kategorien auf die individuellen Beweggründe der Stifter hinweisen. Bei den
Motiven stehen wenig überraschend die allgemein formulierten Motive "Wunsch, etwas
zu bewegen" (68%) und das "Verantwortungsbewusstsein gegenüber Mitmenschen"
(66%) an der Spitze der Nennungen, während z. B. das "Andenken an nahe stehende
Personen wahren" und "Mitleid mit Notleidenden" mit je rund 35% der Nennungen im
Mittelfeld liegen. Interessanterweise spielt ein Motiv wie "Im Interesse der
Familientradition handeln" (16%) eine eher untergeordnete Rolle.
142
"Die mit Methoden der quantitativen und qualitativen Sozialforschung durchgeführte Studie verfolgt mehrere Ziele: Einmal
soll die Studie der Öffentlichkeit ein besseres Bild über die Motive und Ziele von Stiftern vermitteln. Zum anderen möchten
wir mit diesen Informationen potenzielle Stifter ansprechen und für den Stiftungsgedanken gewinnen." (Timmer 2005, S. 8
f.) Im Rahmen der StifterStudie wurden zu Beginn 22 Interviews mit Stiftern geführt, die die Grundlage bildeten für die Erarbeitung eines quantitativen Fragebogens, der an 1360 Stifter geschickt wurde (Grundgesamtheit: lebende Stifter, die seit
1990 eine Stiftung errichtet haben). Die Rücklaufquote betrug 46% (629 zurückgesendete Fragebögen). Vgl. zu den Ergebnissen, Schlussfolgerungen und Erhebungsmethoden die StifterStudie der Bertelsmann Stiftung (Timmer 2005).
143
Für die Schweiz gibt es bis anhin keine empirische Erhebung zu den Gründen für die Errichtung einer Stiftung. Es wird in
dieser Arbeit aber davon ausgegangen, dass sich die Gründe nicht wesentlich von jenen in der StifterStudie für Deutschland
genannten abweichen. Diese Annahme wird auch durch die vielen informellen Gespräche mit Stiftungsexperten in der
Schweiz vorläufig bestätigt.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
219
Frühere Untersuchungen, z. B. die Studie des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft, auf die sich Petry (1999) bezieht, weisen auf ähnliche Motive der Stiftungsgründung hin wie die StifterStudie von Bertelsmann, allerdings ohne eine Rangfolge. Zusammenfassend lassen sich folgende Motive identifizieren (Timmer 2005, S. 28 ff.):
ƒ Wunsch, etwas zu bewegen (68%)144
ƒ Verantwortungsbewusstsein gegenüber Menschen (66%)
ƒ konkrete Probleme bekämpfen (49%)145
ƒ bestimmte Einrichtungen langfristig unterstützen (49%)
ƒ der Gesellschaft etwas zurückgeben (41%)146
ƒ Mitleid mit Notleidenden (37%)
ƒ Andenken an nahe stehende Person wahren (33%)147
ƒ religiöse Überzeugung verwirklichen (27%)
ƒ Aktivitäten des Berufslebens durch Stiftung fortführen (26%)148
ƒ im Sinne der Familientradition handeln (16%)
ƒ Rolle der Frau in der Gesellschaft stärken (8%)
ƒ Imagegewinn für das Unternehmen erzielen (4%)149
Bei den Erwartungen, die mit einem gemeinnützigen Engagement und der Gründung einer Stiftung verbunden werden, stehen "Schaffung einer erfüllenden Aufgabe" (75%)
und Steigerung der persönlichen Zufriedenheit" (55%) an oberster Stelle (Timmer 2005,
S. 31 f.). Beides sind eher selbstbezogene Erwartungen, die jedoch mit selbstlosen Er144
ähnlich auch Petry (1999, S. 43): "persönliche Neigungen und Interessen (z. B. die Nannen Stiftung als Trägerin eines
Museums in Emden)" und Toepler (1996, S. 25): "persönliche Neigungen".
145
ähnlich auch Petry (1999, S. 43): "persönliche Betroffenheit (Bekämpfung der Krankheit, an der ein Familienmitglied
gestorben ist)" und Toepler (1996, S. 25): "persönliche Betroffenheit".
146
ähnlich auch Petry (1999, S. 43): "Dankbarkeit (z. B. Carl-Zeiss-Stiftung)", und Toepler (1996, S. 25): "Rückzahlung an die
Gesellschaft".
147
ähnlich auch Petry (1999, S. 43): "Gedenken (z. B. Fritz Thyssen-Stiftung)", "Jubiläen (RWE-Stiftung)" und Toepler (1996,
S. 25): "Wahrung des Andenkens an den Stifter"
148
ähnlich auch Petry (1999, S. 43): "Lebenswerk erhalten (Robert Bosch Stiftung)" und Toepler (1996, S. 25): "Erhaltung des
eigenen Lebenswerkes".
149
Bei Stiftungsgründungen durch Unternehmen können die positiven Imagewirkungen durchaus im Vordergrund stehen (Toepler 1996, S. 25; Porter/Kramer 2002, S. 56 ff.), die Stichprobe der StifterStudie umfasste jedoch nur Stiftungsgründungen
von natürlichen Personen (Timmer 2005, S. 175).
220
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
wartungen "eine fast unauflösliche Mischung" ergeben (Timmer 2005, S. 31). Diese
selbstbezogenen Erwartungen weist aber auch Frumkin als durchaus legitim aus: Stiftungen "support the self-actualization of donors by helping givers translate their values into
action. […] Make no mistake: Philanthropy can and should be about producing public
benefits. However, it can and should also be about presenting the giver the chance to enjoy the fruits of philanthropy in the form of psychic satisfaction" (Frumkin 2005, S. 25).
Eher nachrangig sind laut StifterStudie Erwartungen wie "Erhöhtes gesellschaftliches
Ansehen" oder "Anerkennung bei Freunden und Bekannten" (Timmer 2005, S. 31 f.).
Neben diesen Motiven und Erwartungen bei der Stiftungsgründung sind auch die Antworten auf die Frage, warum gerade die Organisationsform "Stiftung" für die Gründer so
vorteilhaft erscheint, sehr interessant, da hier zum einen die grundsätzlich langfristige
Orientierung einer Stiftung zum Vorschein kommt (auf Ewigkeit), zum anderen aber
auch das Prinzip der "private activities for public benefit" (Timmer 2005, S. 63 ff.). So
verwundert es nicht, dass 71% der Befragten in der StifterStudie als einen entscheidenden Grund für die Stiftungsgründung angeben: "Weil ich sicherstellen wollte, dass das
Geld für sehr lange Zeit dem von mir gewählten Zweck zugute kommt." Die Antwort
"weil ich durch eine Stiftung selbst entscheiden kann, wie mein Geld verwendet wird",
folgte mit 53% an zweiter Stelle, noch weit vor steuerlichen Gründen (24%).
Die Funktion eines Stifters mit dem potentiellen Einfluss - und dies wird durch die beiden meistgenannten Antworten von Stiftern zur Wahl der Organisationsform der Stiftung
verdeutlicht - kann eine bedeutsame Ambivalenz in sich tragen. So wertvoll es für eine
Stiftung sein mag, die Ideen und die vermögensmässige Ausstattung von einem Stifter
zu übernehmen, so gross können andererseits auch die stifterinduzierte Macht und
Willkür sein. Ein Stifter hat, sofern er überhaupt in der Stiftung aktiv ist, jedoch
dieselben Rechte und Pflichten wie jedes andere Organmitglied (Æ Kap. 9.1
Stiftungspolitik, S. 228). Für eine Stiftung gilt es daher, bei der Regelung der
Zuständigkeiten eindeutige und verpflichtende Festlegungen zu treffen. Dies verhindert
eine durch den Stifter geprägte patriarchalische Entscheidungsstruktur.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
221
Exkurs: Gründungsleitfaden
Die folgenden kurzen Ausführungen sollen einem potentiellen Stifter die rechtlichen
Rahmenbedingungen bei der Gründung einer Stiftung verdeutlichen.150 Weil die
Stiftungsgründung der erste Management-Entscheid ist, sind bereits im Gründungsstadium entsprechende Überlegungen zu einem langfristigen und beständigen Stiftungsmanagement erforderlich. Um den Gestaltungsprozess, den Wertschöpfungsprozess, den
Unterstützungsprozessen und den Legitimierungsprozess angemessen auszugestalten und
umzusetzen, sind insbesondere die im Folgenden genannten Aspekte zu beachten.
Die Stiftung als juristische Person basiert in der Schweiz auf den Artikeln 80-89bis des
ZGB (in Deutschland auf den §§ 80 ff. BGB). Grundsätzlich bedarf es zur Errichtung
einer Stiftung eines Stifters (natürliche oder juristische Person) mit einem Willen zur
Stiftungserrichtung, eines Stiftungsvermögens sowie eines Stiftungszwecks. Zur Gründung einer Stiftung ist jedoch keine Genehmigung bestimmter Behörden, wie Stiftungsaufsicht oder Finanzverwaltung, notwendig.
1. Stifterwille
Der Stifter besitzt grundsätzlich die Freiheit, im Rahmen des zwingenden Rechts, nach
eigenem Willen eine Stiftung zu errichten und diese bezüglich Zweck, Vermögen und
Organisation auszugestalten. Die Errichtung einer Stiftung kann dabei durch eine einzelne Person erfolgen. Das Vorgehen zur Errichtung einer Stiftung umfasst folgende
Teilschritte:
ƒ Entwurf der Stiftungsurkunde
ƒ Vorprüfung der Stiftungsurkunde durch
o das Handelsregisteramt
o die Stiftungsaufsicht
o die Steuerbehörde
ƒ Erbringung des Vermögensnachweises
150
Einen guten Überblick über die Errichtung einer Stiftung geben für die Schweiz Sprecher/von Salis-Lütolf (2002), Sprecher/von Salis-Lütolf (1999), Eidgenössische Stiftungsaufsicht (o.J.). Für den deutschen Stiftungssektor sind Hof (2004),
Schick et al. (2001) oder Bertelsmann Stiftung (2003) empfehlenswert.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
222
ƒ Öffentliche Beurkundung beim Notar
ƒ Anmeldung beim Handelsregisteramt
2. Stiftungsurkunde und Stiftungsreglement
Zur Errichtung einer Stiftung bedarf es einer Stiftungsurkunde, die in Form einer öffentlichen Urkunde oder einer testamentarischen Verfügung verfasst werden kann. Die Stiftungsurkunde ist die juristische Grundlage der Stiftung und darf nur in Ausnahmefällen
abgeändert werden. Die Stiftungsurkunde muss zwingend umfassen (vgl. Anhang J):
ƒ den Willen des Stifters zur Errichtung einer Stiftung
ƒ die Umschreibung des Zwecks
ƒ die Umschreibung des (Anfangs-)Vermögens
Nur in der Stiftungsurkunde können zudem Festlegungen über die Aufhebung der Stiftung, Voraussetzungen für eine Abänderung der Stiftungsurkunde und die Regelung
über die Verwendung des Stiftungsvermögens bei einer allfälligen Auflösung der
Stiftung vorgesehen werden. Zu empfehlen sind Vorgaben über die Regelung der
Berechtigung der Wahl des Stiftungsrats sowie die Regelung darüber, wer welche
Stiftungsreglemente in welchem Verfahren erlassen und abändern darf.
Die Stiftungsreglemente sind der Urkunde untergeordnet. Alles, was nicht notwendigerweise in der Stiftungsurkunde geregelt werden muss, kann in Reglementen festgehalten
werden. Ein Stiftungsreglement ist weniger starr als die Stiftungsurkunde und kann falls es in der Stiftungsurkunde vorgesehen ist - jederzeit vom ermächtigten Organ erlassen und abgeändert werden. Neu erlassene Reglemente sind der Aufsichtsbehörde zuzustellen, die die Übereinstimmung mit dem Gesetz und der Stiftungsurkunde prüft.
In einem Reglement sollten folgende Elemente geregelt werden:
ƒ Name der Stiftung
ƒ Sitz der Stiftung
ƒ Verfahren für den Entscheid über die Verwendung des Stiftungsvermögens
ƒ Grundsätze über die Bewirtschaftung und Veräusserung des Stiftungsvermögens
ƒ Organisatorische Festlegungen
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
223
Der Stifter kann sich in der Urkunde oder im Reglement nach Sprecher und von SalisLütolf (1999, S. 115) folgende Rechte selbst einräumen:
ƒ "den Stiftungsrat, die Revisionsstelle oder andere Organe zu wählen oder
abzuberufen;
ƒ selbst im Stiftungsrat Einsitz zu nehmen oder einen ihm kraft eines fiduziarischen
Vertrags verpflichteten Dritten, etwa einen Anwalt, Einsitz nehmen zu lassen;
ƒ für bestimmte oder alle Beschlüsse des Stiftungsrats Weisungen zu erteilen oder
sie unter seinen Genehmigungsvorbehalt zu stellen;
ƒ Stiftungsreglemente zu erlassen oder abzuändern oder, wenn sie durch den
Stiftungsrat erlassen werden, ihre Gültigkeit von seiner Genehmigung abhängig
zu machen;
ƒ über gewisse Leistungen der Stiftung zu entscheiden;
ƒ die Stiftungsurkunde abzuändern (sehr begrenzt)."
3. Stiftungsvermögen
Das Stiftungsvermögen ist ein vom Stifter ausgesondertes Vermögen und dient ausschliesslich der Verfolgung des Stiftungszwecks. Im Rahmen der Stiftungsgründung
wird der Stifter verpflichtet, das gewidmete Vermögen auf die Stiftung zu übertragen.
Das Vermögen muss dabei objektiv erkennbar und genügend gross sein, um eine zweckentsprechende Tätigkeit der Stiftung zu ermöglichen. Ein angemessenes Verhältnis zwischen Stiftungsvermögen und Stiftungszweck muss somit bestehen.
Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht (EDI) verlangt dabei ein Anfangskapital von
mindestens CHF 50'000. Der Nachweis über das Stiftungsvermögen muss der
Aufsichtsbehörde vorgelegt werden. Als Vermögenswerte sind sowohl dingliche Rechte
(z. B. Barvermögen, Wertpapiere, Kunstgegenstände, Grundstücke) als auch persönliche
Rechte (z. B. Forderungen) möglich.
224
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
4. Stiftungszweck
Der Zweck als Kern einer Stiftung umfasst die Aufgaben und das Ziel der Stiftungsarbeit. Er kann dabei frei bestimmt und spezifiziert werden - es gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Einschränkungen bestehen nur insofern, als dass ein Zweck möglich und
ideell sein muss i. S. von nicht-wirtschaftlich (keine Erzielung eines geldwerten Vorteils)
und nicht rechtswidrig oder unsittlich sein darf. Um den Status der Gemeinnützigkeit zu
erlangen, bedarf es der Ausrichtung des Zwecks auf ein Allgemeininteresse, gepaart mit
dem Element der Uneigennützigkeit.
Die Zweckumschreibung muss klar und genau, jedoch nicht ausführlich und detailliert
sein. Ein umfassender Zweck ermöglicht eine spätere Adaption an veränderte Umweltsphären, was jedoch die Gefahr birgt, von den ursprünglichen Absichten des Stifters abzuweichen. Idealerweise umfasst die Zweckumschreibung eine Definition des Destinatärenkreises.
Ein Zweck sollte dabei die Ideen, Vorstellungen, Motive und Ziele des Stifters
umfassen, auf Dauer angelegt sein, Umweltveränderungen berücksichtigen sowie
Anhaltspunkte über die Art und Weise der Zweckverfolgung geben.
Die Ausgestaltung des Stiftungszwecks wird in der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228)
vorgenommen. Um die Idee des Stifters auch über dessen Tod hinaus zu gestalten, gilt
es, die Vorstellungen des Stifters möglichst genau zu dokumentieren.
5. Stiftungsname
Die Namensgebung für eine Stiftung untersteht in der Schweiz dem Namensrecht des Zivilgesetzbuches (ZGB 29) (in Deutschland: § 12 BGB). Der Stiftungsname muss wahr
sein, darf nicht täuschen und nicht zu Verwechslungen führen. Grundsätzlich kann er aus
Personen-, Sach- oder Fantasiebezeichnungen bestehen.
6. Sitz
Grundsätzlich kann eine Stiftung ihren Sitz frei wählen. Hierzu besteht für den Stifter die
Möglichkeit, den Sitz in der Stiftungsurkunde oder in einem Reglement festzulegen.
Sitzverlegungen sind dabei sowohl dem Handelsregisteramt als auch der Aufsichtsbehörde mitzuteilen.
FE-C Grundkategorie 1: Die Umweltsphären
225
7. Handelsregistereintrag
Die durch eine öffentliche Urkunde errichtete klassische Stiftung entsteht erst mit dem
Eintrag in das Handelsregister. Die Anmeldung erfolgt durch die zukünftigen Organe der
Stiftung beim zuständigen Handelsregisteramt des Sitzkantons der Stiftung.
8. Stiftungsaufsichtsbehörde
Der Stiftungsaufsicht ist eine jährliche Berichterstattung abzugeben mit folgendem Inhalt:
ƒ Tätigkeitsbericht
ƒ Jahresrechnung
ƒ Bericht der Revisionsstelle
ƒ Genehmigung der Rechenschaftsablage durch den Stiftungsrat
ƒ Liste der Stiftungsräte
Im Rahmen einer Stiftungsgründung gilt es, möglichst früh den Kontakt zu den Aufsichtsbehörden zu suchen, um in einem konstruktiven Dialog das optimale Fundament
für die Stiftung zu legen.
Der hier vorgestellte und skizzenhaft beschriebene Leitfaden zur Gründung einer Stiftung bildet lediglich den äussersten Rahmen einer Stiftung. Um diesen Rahmen auszugestalten, sind vielfältige, kontingente, aber durchgängige Entscheidungen zu treffen.
Mögliche Ausgestaltungen in Form von Handlungsoptionen sind Inhalt der folgenden
Kapitel.
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
226
"Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert,
geht noch immer geschwinder, als der ohne Ziel herumirrt."
Gotthold Ephraim Lessing,
dt. Dichter (1729-1781)
9
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
Der Gestaltungsprozess einer Stiftung ist die zweite Grundkategorie des FE-C. Er
umfasst alle Aktivitäten, die grundlegende Festlegungen zur Stiftungstätigkeit und
Voraussetzungen zur Umsetzung dieser in der Alltagspraxis bewirken. Somit wird
der Gestaltungsraum zwischen den Gerüstbausteinen "Mission" und "Input"
systematisch ausgefüllt.
Der Gestaltungsprozess kann unterteilt werden in zwei Teilprozesse (vgl. Abbildung
9-1):
ƒ Stiftungspolitik
ƒ Stiftungsstrategie
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
Mission
Mission
Stift
ung
s
Stift
ung politik
sstr
ateg
ie
227
Input
Input
Aktivitäten
Aktivitäten
Projekte
Projekte
Stiftung
Output
Output
Impact
Impact
Abbildung 9-1:
Der Gestaltungsprozess einer Stiftung mit den zwei Teilprozessen
Die politischen Festlegungen einer Stiftung vermitteln dabei Orientierung ("Was?")
für die folgenden strategischen Aufgaben. Bei diesen geht es um die Entwicklung
von Voraussetzungen für eine möglichst wirkungsvolle und auch effiziente
Umsetzung
des
Stiftungspolitik
Stiftungszwecks
und
der
("Wie?").
Stiftungsstrategie
Insbesondere
besteht
eine
zwischen
der
Vielzahl
an
Wechselwirkungen, so dass der Prozess nur analytisch klar abgegrenzt werden kann.
In der Praxis ist eine gewisse Parallelbearbeitung unter Beachtung zirkulärer
Rückbezüge beider Teilprozesse unvermeidlich - und entspricht auch der
Komplexität
des
Stiftungsmanagements.
Trotzdem
ist
eine
systematische
Abarbeitung aller in diesen beiden Teilprozessen notwendigen Festlegungen hilfreich
- auch im Sinne einer Vollständigkeitskontrolle.
Der Gestaltungsprozess bietet darüber hinaus einen direkten Einstieg in diejenigen
Handlungsfelder, die ein Stiftungsmanagement für "seine" Stiftung nach der Verortung im Paradoxien-Radar und der Typisierung der Stiftung als "SMI-Unternehmen",
"Familien-Unternehmen" oder "Verein" als besonders notwendig zur Optimierung
der Stiftungstätigkeit erkennt. Mit Hilfe der Querverweise im Text können die in den
beiden Teilprozessen der Stiftungspolitik und -strategie thematisierten Aspekte und
vorgeschlagenen Handlungsoptionen zur Handhabung der Paradoxien weiter vertieft
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
228
(z. B. in den Supportprozessen) sowie die Implikationen auf das gesamte Stiftungsmanagement erfasst werden (Durchgängigkeit).
9.1
Stiftungspolitik
Die Stiftungspolitik umfasst alle Aktivitäten, bei denen es um grundlegende Festlegungen und Begründungen der Stiftungstätigkeit geht. Zentrale Fragen sind dabei:
ƒ Was macht eine Stiftung?
ƒ Warum macht sie es?
ƒ Welche Ziele setzt sie sich?
ƒ Wie geht sie dabei grundlegend vor?
Charakteristisch für die Festlegungen im Bereich der Stiftungspolitik sind der sachlich und zeitlich weit reichende Wirkungshorizont vieler Entscheidungen und die
breite Begründungsbasis, auf die sich diese Festlegungen stützen. So kann z. B. die
Mission nicht im Jahresrhythmus neu formuliert werden, denn sonst verliert sie ihre
nach innen und aussen orientierende Kraft. Auch ist die Begründungsbasis der Mission "breit", denn sie nimmt sorgfältig Bezug auf unbefriedigte, gesellschaftlich relevante Anliegen und Bedürfnisse, die weder politisch mehrheitsfähig noch ökonomisch lukrativ sind und die einem bestimmten gesellschaftlichen Fortschrittsethos
entsprechen (gesellschaftliche Knappheiten). Anders dagegen z. B. temporäre Programmschwerpunkte, die sich an kurzfristigeren Machbarkeiten orientieren ("Welche
finanziellen Ressourcen stehen in diesem Jahr noch zur Verfügung?").
Die Festlegungen der Stiftungspolitik wirken ermöglichend im Sinne einer Grundorientierung, aber auch einschränkend im Sinne eines Ausschliessens bestimmter Optionen in den nachfolgenden Grundkategorien. Deshalb sollten diese Entscheidungen
mit grosser Sorgfalt getroffen werden. Oder in den Worten des Managementvordenkers Peter Drucker: "As you begin, consider this wonderful sentence from a sermon
of that great poet and religious philosopher of the seventeenth century, John Donne:
‘Never start with tomorrow to reach eternity. Eternity is not being reached by small
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
229
steps. We start with the long range and then feed back and say, ‘What do we do today?’” (Drucker 1999, S. 17)
Die Entwicklung einer konsistenten Stiftungspolitik setzt sich aus acht Aufgaben zusammen:
1. Reflexion des Stifterwillens
2. Entwicklung einer Mission
3. Spezifizierung der inhaltlichen Eckpfeiler
4. Festlegungen zur Förder- und Anlagepolitik
5. Gestaltung der Aufbauorganisation
6. Festlegungen der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
7. Formulierung von Arbeitsgrundsätzen und allgemeinen Werthaltungen
8. Erarbeitung eines Code of Conducts und eines Leitbilds
Alle Aufgaben bestehen ihrerseits wiederum aus Teilaufgaben, zu denen Handlungsoptionen zur Ausgestaltung des "Möglichkeitenraums" des Stiftungsmanagements
aufgezeigt werden.
9.1.1
Reflexion des Stifterwillens
Die zentrale Aufgabe der Stiftungspolitik umfasst die Entwicklung einer orientierenden Mission, die die Basis für die weitere Stiftungstätigkeit bildet. Diese gestalterische Arbeit beginnt mit der intensiven Auseinandersetzung des vom Stifter verfassten
Stiftungszwecks. Eine sorgfältige Kenntnis und Interpretation des persönlichen Hintergrundes des Stifters ist dabei von besonderer Bedeutung, um den oftmals weit,
abstrakt und in "juristischer" oder "bildungsbürgerlicher” Sprache formulierten Stiftungszweck (Æ Exkurs Gründungsleitfaden, S. 221) zu verstehen. Nur mit dieser
umfassenden Interpretation kann der Zweck als sinnstiftende Grundlage und Begrenzung für die Entwicklung einer tragfähigen Mission verwendet werden. Die Notwendigkeit der Reflexion und das Potential des ursprünglichen Stifterwillens unterstreicht auch Frumkin (2005, S. 174): "The transition from appeal to action is often
based on the basis of the strength of the donor’s private values, commitments, and
Stifterwillen
interpretieren
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
230
beliefs and how they relate or do not relate to the appeal being made. Rather than
seek to sublimate the personal connection and passion of donors, it may be best to
simply acknowledge it and seek to capture its capacity to mobilize giving.”
Doch meist ist es nicht so einfach, dem Willen "auf die Spur" zu kommen, wie ein
Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung bemerkt:
"Bei der Stiftungsgründung 1963 wurde ein Zweck formuliert und in die Stiftungsurkunde aufgenommen. Der war eigentlich nicht so fokussiert. Es wurden ein bisschen die Interessen des Stifterehepaares genannt, und man hat ihnen vielleicht auch ein bisschen etwas ‚untergejubelt’. Er ist sehr breit formuliert, so allgemein bildungsbürgerlich, das macht es noch schwierig, eine
Mission direkt aus dem Zweck abzuleiten." (P26)
Es besteht also ein Gestaltungsfreiraum, der zwar begrenzt wird von zwei für das
Wesen von Stiftungen charakteristischen Polen, den gesellschaftlichen Bedürfnissen
(Gemeinwohl) auf der einen Seite und den privaten Vorstellungen (Stifterwillen) auf
der anderen (vgl. Frumkin 2005, S. 173). Herausfordernd wird die konzeptionelle
Ausgestaltung dieses Freiraums dann, wenn der Stifter bewusst "tolerant” seinen
Auftrag an die Stiftungsmanager weitergibt. Rockefeller liess z. B. "seinen" Stiftungsmanagern bewusst viel Gestaltungsraum: "Die Wohlfahrtseinrichtungen des 14.
Jahrhunderts sind nicht mit denen des 20. Jahrhunderts zu vergleichen. Die gemeinnützigen Institutionen des 20. Jahrhunderts sind anders als die des 21. Jahrhunderts
sein werden, und es ist auch zu wünschen […], dass die Macht zu befinden, welche
spezifischen Zwecken sie gewidmet werden sollen, lebenden Menschen übertragen
bleibt, welche die Erfordernisse und Bedürfnisse im Lichte des Wissens beurteilen
können, über das sie als Zeitgenossen verfügen, und dass ihre Hände nicht gebunden
sein sollen durch den Willen eines Menschen, der vor vielen Jahren verstarb. Die
Weisheit der Lebenden wird immer die Weisheit jedes vor langer Zeit verstorbenen
Menschen übertreffen, so weise dieser auch gewesen sein mag." (Prewitt 1998, S.
336)151
151
Ähnlich formulierte es auch Kurt A. Körber und übertrug damit der von ihm ins Leben gerufenen Stiftung und den
zukünftigen Stiftungsverantwortlichen die Möglichkeit, dass sich die Stiftungstätigkeit an verändernde gesellschaftliche
und wirtschaftliche Wirklichkeiten anpassen kann und muss: "Mit meinen testamentarischen unternehmens- und
stiftungsrechtlichen Verfügungen habe ich deshalb Vorsorge getroffen, dass mein Lebenswerk auch nach mir, wie
bisher, den kommenden gesellschaftlichen Veränderungen angepasst werden kann." (Voswinckel 1998, S. 71)
Gestaltungsgrenzen
erkennen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
231
Doch gerade bei solchen grundsätzlich zu begrüssenden Freiräumen, die sich auch in
einer breiten Formulierung des Stiftungszwecks widerspiegeln (z. B. Rockefeller
Foundation: "Betterment of Mankind"), bedarf es einer sorgfältigen Analyse der Motive und Erwartungen, der persönlichen Werte und Vorstellungen des Stifters. Nur so
kann dem Wesen einer Stiftung entsprochen werden: einer "privaten" Vision eines
gemeinnützigen Zwecks - und auch nur so kann sich die Pluralismus erhöhende Kraft
einer Stiftung entfalten (vgl. Kap. 2.3). Wie könnte sich sonst die Rockefeller
Foundation heute in Projekten engagieren, die eine Verringerung der Abhängigkeit
der Welt von fossilen Brennstoffen zum Ziel haben, wo doch die Rockefeller Foundation nur durch Rockefellers Unternehmen, der Standard Oil Company, also gerade
durch fossile Brennstoffe, entstehen konnte?152
Wie jedoch kommt man den Motiven zur Stiftungsgründung und den durch den Stifter dabei implizit oder explizit verfassten Erwartungen an das Wirken der durch ihn
Informationsquellen
erschliessen
ins Leben gerufenen Stiftung näher?
Am Anfang kann der Stifter selbst seine Absichten und Ideen "unverfälscht" in die
Stifter
Diskussionen einbringen. In langfristiger Sicht wird jedoch der Einfluss des Stifters
unvermeidlich ab- und der durch Nachkommen oder unabhängige Dritte auszufüllende Freiraum zunehmen. Insbesondere dann, wenn der Stifter nicht mehr lebt oder
Angehörige/
Freunde
sich sehr stark aus der Stiftung zurückgezogen hat, muss ggf. auf Belege zurückgegriffen werden, die die Motive und Erwartungen des Stifters dokumentieren. Ein Beispiel nennt ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung:
"Der Stifterwille ist für uns im Stiftungszweck inhaltlich nicht scharf fassbar.
Aber wir wissen ungefähr, in welche Richtung sie gehen wollten. Und dann
gibt es im Stiftungsrat noch einige, die das Stifterehepaar gekannt haben und
so kommen wir dem Stifterwillen schon näher." (P26)
Andere Stiftungen gehen noch einen Schritt weiter, wie z. B. die Ewing Marion
Kauffmann Foundation. Der Stifter, der die ersten zehn Jahre bis zu seinem Tode die
152
Im Fall von Rockefeller wäre zwar durch die breite Mission auch das Unterstützen von Projekten wie dem o. g. möglich,
dennoch gehen dieses und ähnliche Engagements auf die Zielsetzungen der Rockefeller Foundation des späten 20. Jahrhunderts zurück und nicht auf die ersten Formulierungen einer Mission zu Gründungszeiten im frühen 20. Jahrhundert
(vgl. Prewitt 1998, S. 341). Die derzeitige Mission lautet: "The Rockefeller Foundation is committet to fostering knowledge and innovation to enrich and sustain the lives and livelihoods of poor and excluded people throughout the world."
Vgl. hierzu: www. rockfound.org (23.08.2005).
Aufzeichnungen
(Video/
Biographien)
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
232
Stiftungsgeschicke mit verantwortet hat, liess während dieser Zeit ein Video aufnehmen, in dem er seine "private" Vision darlegt. Diese Bänder gehören heute sogar zum
Einführungsmaterial aller neuen Mitarbeiter der Stiftung, um ihnen die Werte und
Überzeugungen des Stifters zu vermitteln. (vgl. Prewitt 1998, S. 338).
Am Beispiel der Körber-Stiftung in Deutschland lässt sich Ähnliches aufzeigen. Besonders wichtig für den Vorstandsvorsitzenden der Körber-Stiftung, Ulrich Voswinckel, ist das Bewahren des auslösenden Impulses des Unternehmers und Erfinders
Körber, zum Stifter zu werden: das Inferno zum Ende des Zweiten Weltkrieges in
Dresden, das der junge Körber in seiner damaligen Heimatstadt miterlebt hat. So
bestätigt auch Körber in seinen aufbewahrten Notizen: "Dieses Dresdner Inferno war
ein Schlüsselerlebnis für mich, das mein ganzes weiteres Leben entscheidend geprägt
hat, und der wesentliche Grund dafür war, dass ich mich später mit meinen Stiftungsaktivitäten nachhaltig für die Völkerverständigung eingesetzt habe." (Voswinckel
1998, S. 64) Neben diesen inhaltlichen Orientierungspunkten in Körbers Notizen (in
anderen Situationen können z. B. Biographien des Stifters oder des von ihm geführten Unternehmens wertvolle Informationsquellen darstellen, um Werte und Maximen
zu erfahren) beruft sich die Körber Stiftung bei der Ausgestaltung der Mission und
der inhaltlichen Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten gezielt auf drei von Körber formulierte Leitmaximen seines unternehmerischen Wirkens (vgl. Voswinckel 1998 S. 67):
ƒ das Aufspüren von Marktlücken, resultierend aus intensiver Marktbeobachtung und intuitivem Erfassen von Entwicklungen
ƒ die Risikobereitschaft zu Produktinvestitionen, um bereits bestehende oder
sich abzeichnende Marktlücken zu besetzen und die sich dort bietenden Gewinnchancen zu nutzen
ƒ die Strategie, den Markt, wenn er nach einem neuen Produkt verlangt,
schnellstmöglich abzudecken, bevor die Konkurrenz nachziehen konnte
Diese von Körber zitierten Erfolgsfaktoren "Lücken aufspüren", "Risiken eingehen"
und "Schnelligkeit ausspielen" dienen auch der Stiftung als Arbeitsgrundsätzen ihrer
gesamten Tätigkeit.
Das Beispiel der Körber-Stiftung beschreibt auch umfassend das in dieser Arbeit
zugrunde liegende Ideal philanthropischen Wirkens, das an Frumkin (2005, S. 554)
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
233
angelehnt ist: "Only when philanthropy is centered on the personal interests and
commitments of donors will philanthropy fulfill its calling to breathe pluralism and
innovation into society."
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Reflexion des Stifterwillens:
1.
Wie lässt sich der im Stiftungszweck teilweise nur unzureichend spezifizierte
Stifterwillen interpretieren?
2.
Wo liegen die Grenzen des Gestaltungsfreiraums, die durch den Stifterwillen und den
Stiftungszweck vorgegeben sind?
3.
Welche Informationsquellen können zur Interpretation des Stifterwillens erschlossen
werden?
4.
Wie werden diese Informationsquellen langfristig verfügbar gemacht?
9.1.2
Entwicklung einer Mission
Mit der Vergegenwärtigung des Stifterwillens (Æ Kap. 9.1.1 Reflexion des
Stifterwillens, S. 229) und der Kenntnis über die formalrechtlich und inhaltlich
begrenzende Wirkung des mehr oder weniger weit gefassten Stiftungszwecks (Æ Exkurs Gründungsleitfaden, S. 221) geht es nun darum, eine aussagekräftige Mission
der
Stiftung
zu
entwickeln,
deren
orientierende
Kraft
den
alltäglichen
Stiftungsbetrieb im Hinblick auf gesellschaftliche Wertschöpfung erst ermöglicht.
Insbesondere in den Anfangsjahren ist die Person des Stifters ein wichtiger
Bezugspunkt zur Entwicklung einer Mission, wie bereits in der ersten Aufgabe
aufgezeigt wurde. Dennoch muss sich eine Mission "weit über die notwendigerweise
zeitlich begrenzte Vision ihrer ursprünglichen Stifter hinaus erstrecken" (Prewitt
1998, S. 341). So muss sie sich an den aktuellen Gegebenheiten und Bedürfnissen der
Gesellschaft orientieren (Æ Kap. 8 Umweltsphären, S. 209), um neue, durch
veränderte Bedingungen sich ergebende Möglichkeiten aktiv aufzugreifen.
Dieser gestalterische Akt der Entwicklung einer Mission kann durchaus als "Art of
Philanthropy", also als Kunst, beschrieben werden im Gegensatz zur "Science of Philanthropy" (beide Begriffe: Frumkin 2005), also der "technischen" Umsetzung. Diese
ist zwar nicht minder wichtig und findet auch im vorliegenden FE-Cockpit genügend
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
234
Beachtung, dennoch geht es bei der Entwicklung der Mission um mehr als "Technik",
wie auch ein 3-Sterne-Koch mehr macht als nur ein Rezept "abzuarbeiten". In ähnlichen Worten beschreibt diese "Kunst" des Stiftungsmanagements auch der im Folgenden zitierte Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
"Ich denke, dass man den Zweckartikel nicht sklavisch umsetzten kann und
dass man auch durch eine reine Textauslegung nicht weiterkommt. Der
Zweckartikel ist ja kein ‚Betty Bossi Rezept’. Also ich bin der Überzeugung,
dass es gerade die Aufgabe des Stiftungsrats ist, zu verstehen, was der eigentlich Stifterwille war oder ist. Man muss das Potential für eine wegweisende Mission erkennen, die im Stifterwillen und in der Zweckformulierung
steckt." (P5)
Doch was genau wird hier unter Mission verstanden? In der Unternehmenswelt wird
die Mission gemeinhin als eine abstrakte Formulierung des Unternehmenszwecks de-
Funktionen
einer Mission
verstehen
finiert, die beschreibt, wofür ein Unternehmen existiert und wie sich die Unternehmung von anderen unterscheidet (Wettbewerbsposition und Kernkompetenzen).
Nicht grundsätzlich anders lässt sich die Mission im Non-Profit-Bereich beschreiben.
Angelehnt an Oster erfüllt eine Mission hier drei Zielsetzungen (1995, S. 22):
1. Orientierungsfunktion: "serve boundary function”
2. Motivationsfunktion: "act to motivate staff and partners”
3. Legitimationsfunktion: "help in the process of evaluation of the organization”
Vor allem die erstgenannte Orientierungsfunktion scheint im Bereich der "missions-
Orientierung
getriebenen" Non-Profit-Organisationen und damit auch der Stiftungen sehr zentral
zu sein. Dies trifft insbesondere wegen der bereits beschriebenen Mehrdeutigkeit im
Bereich
der
Erfolgsmessung
zu
(vgl.
Berman
2003,
auch
Kap.
6.1.1
Messbarkeitsdefizit, S. 162). Gerade deshalb ist das erste Erfolgskriterium in Stiftungen die Übereinstimmung der Stiftungstätigkeit mit der Mission - auch, um mit Fragen der Legitimation und Ansprüchen verschiedener Stakeholder angemessen umgehen zu können (Æ Kap. 12.2 Legitimation, S. 469). Hier wird zudem die Verknüpfung zur dritten Funktion deutlich, der Unterstützung bei der Evaluation der Stiftungsarbeit. Die Mission stellt demzufolge den notwendigen Ausgangspunkt jeglicher
Evaluationsbestrebungen dar und formuliert die "obersten" Zielsetzungen der Stif-
Legitimierung
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
235
tungsarbeit, aus denen sich die Messkriterien der Stiftungsperformance ableiten (Æ
Kap. 12.1 Evaluation, S. 455). Daneben spielt die Motivationsfunktion eine entschei-
Motivation
dende Rolle: Sinn zu stiften für die Mitarbeiter und Partner der Stiftung und dabei
alle Anspruchsgruppen zu motivieren, am Gesamtziel der Weiterentwicklung der Gesellschaft mitzuarbeiten (sozialer Wandel). Alle drei Funktionen zusammen gewährleisten, dass die Stiftung auch ein erkennbares Profil gewinnt, wie auch der Stiftungsratspräsident einer mittelgrossen Stiftung bestätigt:
"Unsere Aufgabe ist es, aus diesem sehr weit gefassten Stiftungszweck eine
gewisse Linie herauszukristallisieren, die für eine gewisse Zeit auch eine gewisse Geltung haben sollte, um damit der Stiftung auch ein gewisses Profil zu
geben und Orientierung zu bieten. So können auch die richtigen Gesuche den
Weg zur Stiftung finden." (P3)
Die Ziele Orientierung, Motivation und Legitimierung werden jedoch nur dann erreicht, wenn die Mission entsprechend aussagekräftig ist und begründet wird. Was
genau umfasst jedoch eine aussagekräftige, begründete Mission von Stiftungen?
Im Vergleich zum Stiftungszweck erscheint in der Mission eine gewisse Fokussierung der Tätigkeiten sinnvoll. Damit verbunden ist aber auch eine zeitweilige Aus-
Stiftungszweck
fokussieren
grenzung anderer Tätigkeiten. Die Herausforderung für das Stiftungsmanagement besteht darin,
"aus dem Stiftungszweck eine für die Stiftung orientierende Mission zu formulieren. Manchmal ist das ja so, dass der Stifter oder die Stifterin sagt: ‚Ja,
ich habe jetzt ein grosses Vermögen und ich möchte das irgendwie der Medizin zukommen lassen’. So etwas steht dann auch mal in der Satzung drin,
etwa: ‚Förderung medizinischer Zwecke’. Und dann ist es zunächst einmal
schwierig, überhaupt eine Mission zu formulieren. Bei uns zum Beispiel ist
die Stifterin verstorben und der Stiftungszweck lautet nur: ‚Die Förderung
der Wissenschaft’. Und jetzt muss man sich natürlich schon einmal die Frage
stellen: ‚Wofür steht eigentlich die Stiftung?’" (P10)
Eine "gute" Mission adressiert also das grundlegende "Was (wollen wir machen)?"
einer Stiftung im Sinne einer Nennung von gesellschaftlichen Knappheiten. In ihrer
Mission benennt sie somit diejenigen gesellschaftlichen Knappheiten, die sie mit Ih-
Gesellschaftliche
Knappheiten
benennen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
236
ren Aktivitäten aufgreifen und die durch ihre Tätigkeiten vermindert werden sollen
(vgl. auch Porter/Kramer 1999, S. 126 f.). So lautet das illustrative Beispiel der Mission der Wallace Foundation (USA) im Jahr 2003 (zit. in Anheier/Leat 2005, Chapter
5.1, S. 1 ff.):
"Support and share effective ideas and practices that enable institutions to
expand learning and enrichment opportunities for all people."
Das "Was?” in diesem Beispiel greift die gesellschaftliche Knappheit effektiver Bildungslösungen für alle (auch für bildungsferne) Schichten auf. Es wird konkretisiert
durch eine grundlegende, inhaltliche Wegbeschreibung, des Wie? (In welcher Rolle
wollen wir unsere Mission umsetzen?) und abgeschlossen durch die Benennung des
Ziels ("Welchen Unterschied wollen wir erreichen?”):
"In everything we do, we want to be a resource dedicated to helping create,
support and share insights, tools and effective practices ["Wie?”], that can
have a transformative effect on major public systems and, ultimately, on people’s lives ["Ziel”].”
Neben einer zwingenden inhaltlichen kann die Mission dabei auch eine geographische Limitierung der Stiftungstätigkeiten enthalten.153
Legt man die in Kapitel 2.2.4 genannten Tätigkeitsbereiche für Stiftungen als Raster
zugrunde (z. B. Soziales, Bildung und Forschung), wird jedoch deutlich, dass viele
Stiftungen, ob grosse oder kleine, in mehreren Bereichen tätig sind. Sie können eigentlich nur als "Stiftungen mit mehreren Missionen" beschrieben werden. (vgl. Prewitt 1998, S. 342) Entgegen der intuitiven Annahme, kleinere Stiftungen (bis ca.
CHF 5 Mio. Stiftungsvermögen) würden sich auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich
konzentrieren, sind diese überwiegend ebenfalls in mehreren Bereichen tätig. Der
Grund hierfür ist der meist lokale Bezugsrahmen. In der Gemeinde oder Region, in
der sie ansässig sind, ist es oftmals so, dass diese Stiftungen ein breites Spektrum
fördern (können). Die Art von Stiftung, die sich auf einen Bereich konzentriert und
die am ehesten als "Nischenanbieterin" bezeichnet werden kann, findet man vor allem
im Grössenbereich zwischen CHF 50 und 250 Mio. Stiftungsvermögen (z. B. Gerda
Henkel Stiftung: historische Geisteswissenschaften).
Rollen-/
Zielbeschreibung
vornehmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
237
Die Auswahl derjenigen gesellschaftlichen Knappheiten, die bearbeitet werden sollen, bedarf einer tragfähigen Begründung. Obwohl die Mission in ihrem Ursprung
Mission
begründen
privater Natur ist und somit die Präferenzen des Stifters umsetzt (Æ Kap. 9.1.1 Reflexion des Stifterwillens, S. 229), ist sie doch öffentlich wirksam, indem sie Signale der
Gesamtgesellschaft oder einzelner Gruppen aufgreift oder diese sogar antizipiert (Æ
Kap. 2.3.4 Innovation und Stabilisierung, S. 59).
Häufig wird argumentiert, Stifter hätten weder Wähler noch Aktionäre und somit
stünde es ihnen frei, ihre Mission so festzulegen und ihre Ziele so zu verfolgen, wie
es ihnen angemessen erscheint. "In dieser Aussage steckt ein Körnchen Wahrheit,
aber eben nicht die ganze Wahrheit", bringt es Prewitt (1998, S. 356) auf den Punkt.
Stiftungen sind gesellschaftliche Institutionen ("quasi-öffentliche Institutionen", Ulrich 1977). Sie müssen sich bewusst sein, dass sie die steuerfreien Geldmittel, die sie
"investieren", nur so lange zur Verfügung haben, wie die Öffentlichkeit (durch den
Staat) diese bevorzugte Behandlung gewährt. Mit der materiellen Steuerbefreiung erhalten die Stiftungen aber auch einen immateriellen Vertrauensvorsprung von der Gesellschaft. Mit diesem "Vertrauensvorsprung" muss angemessen umgegangen und der
kommunikative "Legitimierungsbedarf" der Öffentlichkeit anerkannt werden (Æ
Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement, S. 412). Der "Legitimierungsbedarf" wiederum deutet auf ein bestimmtes Mass an Rechenschaftspflicht gegenüber den Gruppen und Interessen hin, die unmittelbar (Projektpartner und Zielgruppen der Stiftung)
und mittelbar (die gesamte Gesellschaft) von der Stiftungstätigkeit profitieren (Æ
Kap. 2.3 Funktionen und Legitimationen, S. 47). Insofern bedarf es der Begründung
der Mission und der darin aufgegriffenen gesellschaftlichen Knappheiten (vgl. hierzu
auch Kap. 6.1).
Zunehmend verbreiten sich das Verständnis und die Bereitschaft, eine proaktive Begründung durchzuführen - proaktiv im Gegensatz zu passiv insofern, als die Stiftung
nicht nur transparent z. B. in Jahresberichten Auskunft darüber gibt, was sie gemacht
hat, sondern dass sie ihre Mission aktiv begründet, indem die beiden folgenden Fragen beantwortet werden:
1. Inwiefern entsprechen die formulierten Aktivitäten der Gemeinnützigkeit?
153
Vgl. auch die Mission der Rockefeller Foundation in Fussnote 152.
proaktive
Begründung
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
238
2. Warum engagiert sich eine Stiftung z. B. im Bildungsbereich oder im
Sozialbereich, nicht aber im Kulturbereich?
Passiv wäre hingegen eine Begründung, bei der zwar transparent die vergangenen
Aktivitäten aufgezeigt werden. So lange kein Einspruch gegenüber diesen erhoben
passive
Begründung
wird, in erster Linie von der Stiftungsaufsicht und dann natürlich durch Interessensverbände der kritischen Öffentlichkeit, gilt diese "nachträgliche" Begründung als akzeptiert (Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement, S. 412).
Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung bestätigt die seiner Meinung nach notwendige proaktive Begründung der Mission:
"Ich würde sagen, eine Stiftung sucht in der Mission eine Ausrichtung und
begründet hierbei, weshalb sie das macht oder das. Sie hat ihre Argumente,
vielleicht gab es zu Beginn noch verschiedene mögliche Themengebiete, aber
dann wurde ausgewählt, wurden Schwerpunkte gesetzt. Hier sehe ich die
Notwendigkeit einer transparenten Argumentation: ‚Weshalb machen wir
das?’ Die Stiftung wählt, weil sie z. B. feststellt: ‚Hier hat ein Franken mehr
Wert’ oder ‚Wir gehen dorthin, wo nicht bereits alle hingehen’. Für mich ist
es ein Aufzeigen und Liefern einiger Argumente, weshalb fällt jemand welche
Wahl. Man muss das tun, insbesondere wenn man Sachen macht, die eine
grosse Mehrheit der Leute nicht sofort versteht." (P24)
Der gleiche Interviewpartner beschreibt im Folgenden das Vorgehen bei der (Weiter) Entwicklung der Mission "seiner" Stiftung und schildert die entscheidenden
Begründungsschritte bei der Auswahl der aufzugreifenden gesellschaftlichen
Knappheit:
"Also da muss ich sagen, dass wir in den letzten vier Jahren eine Fokussierung gemacht haben in der Mission. Früher war es so eine richtig juristische
Mission. Da hat irgendein Anwalt einen Stiftungszweck formuliert von ‚Kraut
und Rüben’, alles zusammen. Und die Mission klang dann ähnlich. Um dieser
Stiftung Leben zu geben, hat man jetzt letztes Jahr, 2003, also nach drei Jahren Stiftungstätigkeit, hat man die Mission pointierter verfasst. Die Mission
sieht heute in etwa so aus: "Wir wollen, dass Kinder in einem Umfeld frei von
Gewalt, im Schutz einer Gemeinschaft eine Ausbildung geniessen können.
Begründungsschritte
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
239
Früher war es offener: ‚Das Wohlbefinden der Menschen’ oder so ähnlich.
Man hat nun zum einen die Priorität dem Schutz der Kinder und der Ausbildung dieser gegeben. Zum zweiten will man die medizinische Forschung unterstützen, damit auch wieder insbesondere Kinder nicht wegen Krankheiten
die ersten zwei Sachen, Schutz und Ausbildung, nicht erleben können." (P24)
Im Rahmen der Spezifizierung inhaltlicher Eckpfeiler wird das o. g. Zitat nochmals
aufgegriffen und die inhaltlichen Konsequenzen der Mission für die Stiftungstätigkeit
werden aufgezeigt. (Æ 9.1.3 Spezifizierung der inhaltlichen Eckpfeiler, S. 239).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Entwicklung einer Mission:
5.
Welche Funktionen erfüllt eine sorgfältig entwickelte und formulierte Mission?
6.
In wie weit wird der Stiftungszweck, ausgehend von der Reflexion des Stifterwillens,
konkretisiert?
7.
Welche gesellschaftlichen Knappheiten werden durch die Stiftungstätigkeit aufgegriffen?
8.
Welche Rolle füllt die Stiftung aus bei der Bearbeitung der gesellschaftlichen
Knappheiten?
9.
Wie lautet die Zielformulierung der Stiftung?
10.
Welche "guten" (nachvollziehbaren) Gründe können für die Festlegungen der Mission,
also die identifizierten gesellschaftlichen Knappheiten, die Rolle der Stiftung und die
Zielformulierung, genannt werden?
11.
Wie erfolgt die Begründung der Stiftungstätigkeit?
12.
Welches sind die einzelnen, notwendigen Begründungsschritte für eine erfolgreiche
Arbeit der Stiftung?
9.1.3
Spezifizierung der inhaltlichen Eckpfeiler
Nachdem die Grundsätze zur Entwicklung einer Mission thematisiert wurden, geht es
in dieser Aufgabe um die Bestimmung der inhaltlichen Eckpfeiler als weitere Ausgestaltung der Mission. Die Mission soll emotional berühren und mobilisieren, sie
soll eine tragende Identität stiften und Sinn in der Aufgabenerfüllung vermitteln
(Heintel 1993). Sie bedarf jedoch der inhaltlichen Konkretisierung, um ihre volle
Wirkungskraft im Sinne der o. g. drei Funktionen (Abgrenzung und Orientierung;
Mission
konkretisieren
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
240
Motivation; Ausgangspunkt zur Evaluation) zu erfüllen und um nicht als "wohlklingende" Absichtserklärung zu enden.
Die bereits oben zitierte Mission der Wallace Foundation ist auch für die Festlegung
der inhaltlichen Eckpfeiler ein gutes Beispiel. Zur Rekapitulation nochmals die zentralen Aussagen der Mission:
ƒ "Was?”: "Support and share effective ideas and practices that enable institutions to expand learning and enrichment opportunities for all people."
ƒ "Wie?”: "We want to be a resource dedicated to helping, create, support and
share insights, tools and effective practices."
ƒ Ziel: "Having a transformative effect on major public systems and, ultimately,
on people’s lives."
Diese Formulierungen bedürfen einer thematisch-inhaltlichen Ausgestaltung, eines
Bindeglieds zwischen den abstrakten Festlegungen des "Was?" in der Mission und
den folgenden Spezifizierungen der konkreten Wirkungsfelder ("Wie?"), um ihre Orientierungskraft für die weitere, umsetzungsorientierte Stiftungsarbeit zu gewährleisten. Dieses Bindeglied stellen die inhaltlichen Eckpfeiler der Stiftungstätigkeit dar.
Zur Entwicklung dieser greift z. B. die Wallace Foundation die ursprünglichen Interessen der beiden Stifter, DeWitt und Lila Acheson Wallace, auf. Diese spiegeln sich
in den inhaltlichen Eckpfeilern der Stiftung wider (vgl. Anheier/Leat 2005, Chapter
5.1, S. 1ff.):
ƒ Bildung: "Strengthening education leadership to improve student achievement”
ƒ Bildung: "Improving after-school learning opportunities”
ƒ Kultur: "Expanding participation in arts and cultures”
Die ersten beiden Eckpfeiler gehen auf DeWitt zurück, dessen Interessen im Bereich
der Bildung und der Jugendarbeit lagen, während der dritte Punkt Lilas Interesse der
Kulturförderung aufgreift. Den beiden strategischen Fragen "Mit welchen Massnahmen (erreichen wir das)?" und "Welche Ziele (setzen wir uns in den einzelnen Wirkungsfeldern)? wird dabei noch nicht weiter nachgegangen - dies erfolgt im strategischen Gestaltungsprozess (Æ Kap. 9.2 Stiftungsstrategie, S. 288).
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
241
Die einzelnen Phasen der Entwicklung und Ausgestaltung der Mission einer Stiftung
im Sinne eines "Leitsterns" der Stiftungstätigkeit können auch am Beispiel der folgenden Stiftung mittels der Äußerung des Geschäftsführers zusammenfassend verdeutlicht werden:
"Wir haben ein programmatisches Gebäude [= inhaltliche Eckpfeiler]. Und
über diesem gibt es ein Dach. Und dieses Dach heisst "Stopp der Ausgrenzung, Werte schaffen" [= Mission]. Heute in der Welt gibt es die, die etwas
haben und die, die nichts haben. Es gibt jene, die Zugang haben und jene, die
keinen Zugang haben usw. Und diese Ausgrenzungen wollen wir mit unseren
Programmen überbrücken und Werte schaffen. Das Thema ist für uns zur
Grossbaustelle geworden." (P2)
Weiter führt er aus, dass sich die Stiftung seit seinem Amtsantritt 1995 geändert hat.
Die Mission wurde thematisch fokussierter definiert. Auch wurde die Zielgruppe
schärfer umrissen und eine umfangreiche Begründung der inhaltlichen Eckpfeiler
vorgenommen:
"Thematisch wurde die Mission prägnanter definiert. Heute haben wir eine
viel klarere Positionierung der Stiftung. Nach aussen wird deutlich: Die Stiftung widmet sich Jugendfragen, das Grundanliegen ist, das Wohlergehen der
Jugend zu fördern. Und man hat auch die Zielgruppe schärfer definiert: Altersgruppe 10-18. Das war so vorher nicht der Fall. Dann die Inhalte: Zuerst
kommen die grundlegenden Kompetenzen, die bei den Jugendlichen gefördert
werden sollen, das nennen wir "Life-Skills". Das sind alle Fähigkeiten, die
die Jugendlichen haben sollten, um sich im Leben konstruktiv und dauerhaft
behaupten zu können. Das zweite ist dann eine "Natur- und Umweltkompetenz", und das war 1996 neu. Ohne das geht es aber nicht. Ich meine, das
sind die ganzen Fragen von Umwelt usw., bei denen wir sagen, das sind heutzutage in unserer Gesellschaft grundlegende Kompetenzen, die die jungen
Leute heute haben müssen. Und drittens, das haben wir auch hinzugefügt,
gibt es die ‚Computerkompetenz’. Das war natürlich zu der Zeit, als wir das
eingeführt haben, als inhaltlicher Eckpfeiler ganz neu. Dort haben wir angefangen mit dem Thema des ‚digitalen Grabens’, mit einem Akzent auf be-
Zielgruppen
eingrenzen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
242
nachteiligten Jugendlichen. Und alles dient zur Erreichung unserer Mission:
‚Stopp der Ausgrenzung, Werte schaffen’." (P2)
Ein ähnlich illustratives Beispiel bietet folgende Stiftung, deren Geschäftsführer den
Fokussierungs- und Entwicklungsprozess von Mission und inhaltlichen Eckpfeilern
folgendermassen beschreibt:
"Die Mission sieht heute in etwa so aus: ‚Wir wollen, dass Kinder in einem
Umfeld frei von Gewalt, im Schutz einer Gemeinschaft eine Ausbildung geniessen können.’ Früher war es offener: ‚Das Wohlbefinden der Menschen’
oder so ähnlich. Man hat nun zum einen die Priorität dem Schutz der Kinder
und der Ausbildung dieser gegeben. Zum zweiten will man die medizinische
Forschung unterstützen, damit auch wieder insbesondere Kinder nicht wegen
Krankheiten die ersten zwei Sachen, Schutz und Ausbildung, nicht erleben
können." (P24)
Neben einer thematischen Konkretisierung der Stiftungstätigkeit und einer damit verbundenen Auswahl der Zielgruppe(n) gehört zu den Festlegungen der inhaltlichen
Eckpfeiler auch die Festlegung eines oder mehrerer Interventionslevel. Diese können
als eine Art Wegdefinition verstanden werden, nicht im Sinne einer konkreten, detaillierten Wegbeschreibung, wie sie in der Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288)
vorgenommen wird, aber doch als bewusste Richtungswahl auf einer "Wegkreuzung". Ziel ist es, den Weg einzuschlagen, der für die Umsetzung der Mission am
zweckmässigsten erscheint und der für die Stiftung machbar ist. Ein Geschäftsführer
einer mittelgrossen Stiftung zeigt die Notwendigkeit der Bestimmung des Interventionslevels am Beispiel der Geschlechterfrage auf:
"If you’re a foundation, what you should do is to actually invest in finding a
way to change the actual gender bias in the equation.” (P11)
Um diese Wegmöglichkeiten illustrativ vorzustellen, wird im Folgenden auf einen
Text von Frumkin (2005, S. 209 ff.) zurückgegriffen, der zusammengefasst und in
deutscher Übersetzung die verschiedenen Interventionslevels vorstellt, im Sinne von
grundsätzlich "begehbaren" Wegen zur Verwirklichung der Mission. Frumkin unterscheidet dabei fünf Interventionslevels, die zwar analytisch unterschieden werden
Interventionslevel
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
243
können, jedoch in der Praxis durchaus Überschneidungen oder richtig kombiniert
auch Synergiepotentiale aufweisen können:
1. Individuen
2. Organisationen
3. Netzwerke
4. Politik
5. Forschung
Die Interventionslevels werden bei Frumkin am Beispiel "Wandel der öffentlichen
Schulbildung" ("public education") vorgestellt.
Die Beschreibung des ersten Interventionslevels Individuen erfolgt anhand des Pro-
Individuen
jekts "Broad Residency". Diese Ausbildungseinrichtung bereitet junge, talentierte
Führungskräfte, die derzeit nicht im Schulbereich arbeiten, für eine Leitungsfunktion
in städtischen Schulbezirken vor. Als Begründung formuliert die Broad Foundation
als Initiatorin der "Broad Residency", dass genau diese talentierten Führungskräfte
"von aussen" fehlen, um notwendige Reformen im Schulbereich anzustossen und
auch umzusetzen. Das dahinter liegende Ziel ist klar: Diese Führungskräfte sollen als
"change agents" wirken, um die Reformen im Sinne der Broad Foundation durchzusetzen. In diesem Fall wird also direkt auf Individuen fokussiert. Die Ausbildung von
Führungskräften bewirkt einen Wandel "Person für Person", die dann ihrerseits den
Wandel des Schulsystems selbstständig weiter vorantreiben. Dieser "Wandel" des
Systems ist zwar das - mittelbare - Ziel der Stiftung, sie selbst sorgt unmittelbar jedoch nur für den "Wandel" von Individuen.
Der Ansatz des New School Venture Funds fokussiert sich im Gegensatz zur Broad
Foundation nicht auf Individuen, sondern auf Organisationen. Die Rolle des Funds
besteht dabei darin, entsprechenden Organisationen neben Geld- auch Managementunterstützung zu bieten, z. B. indem ein Mitglied der Stiftung im Board (Verwaltungs-/Aufsichtsrat) Einsitz nimmt, oder z. B. als Delegierter die weitere personelle
Entwicklung unterstützt (Profilerstellung von Mitarbeitern, Leitung von Auswahlverfahren etc.). Ebenso wird das Management unterstützt bei der Strategieentwicklung
und beim weiteren Fundraising. Dem New School Venture Fund geht es darum, mehr
Organisationen
244
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
als nur einen Scheck auszustellen. Er will die organisationale Kapazität der Partnerorganisation mitentwickeln. Eine Sonderform dieses Interventionslevels, der Unterstützung von Organisationen, ist die - auch "notfallmässige" - Sicherstellung von Aktivitäten oder Serviceleistungen. Es geht dabei weniger um ein Entwickeln der Organisation, sondern um ein "keeping good things going" (Unwin 2004, S. 21). Diese Unterstützung kann z. B. auch Sportvereinen, Gesangsvereinen oder dem Roten Kreuz zugute kommen.
Die Annenberg Foundation geht einen dritten Weg. Um den Wandel des Schulsys-
Netzwerke
tems voranzutreiben, baut sie die "Coalition of Essential Schools" auf. Das ist ein
Netzwerk von Schulen und Zentren, die zusammenarbeiten mit dem Ziel "to create
schools where each child is known well and learns to use his or her mind as well."
Zentraler Baustein des Netzwerks ist der Aufbau einer Community von Lehrern, Eltern, Schülern und Politikern, die "best practices" austauschen und sich gegenseitig
Rat geben. Der Netzwerkgedanke entspricht der Vorstellung der Stiftung, dass Wandel nur dann stattfinden kann, wenn Koordinierungskräfte vorhanden sind, die eine
Zusammenarbeit und einen Austausch ermöglichen.
Eine vierte Möglichkeit, Wandel zu erreichen, ergreift der Unternehmer und Stifter
Politik
Tim Draper. Er engagiert sich stark in einer Wahlkampagne für einen Bildungsgutschein für Jugendliche in Kalifornien. Er setzt seine Zeit und sein Geld für diesen einen Abstimmungskampf ein, und falls er gewinnen würde, wäre das gesamte Bildungssystem durch eine einzige Intervention auf politischer Ebene geändert worden.
Die Thomas B. Fordham Foundation schliesslich fokussiert ihr Engagement weder
auf die Ausbildung von Individuen, noch auf die Entwicklung von Organisationen
oder Netzwerken. Auch direkte politische Eingriffe werden nicht gewählt, sondern im
Fokus stehen die Förderung von Forschung, in diesem Fall zur Evaluation und Performancemessung der Qualität von Bildungseinrichtungen. So sollen neue Einsichten
und innovative Lösungen im Bildungsbereich lanciert werden. Die Forschungsergebnisse werden zudem über das stiftungseigene Medium des landesweit vertriebenen
Magazins "Education Next" verbreitet, um so die Wirkung zu potenzieren (Æ Kap.
10.5 Dissemination, S. 372, Æ Kap. 10.6 Replikation, S. 378).
Forschung
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
245
Die Entscheidung für ein bestimmtes Interventionslevel ist für eine Stiftung von grosser Bedeutung, da sie die Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288) in den einzelnen
Auswirkungen
beachten
Wirkungsfeldern und die Auswahl der Projektpartner prägt (Æ Kap. 10.2
Projektselektion, S. 341). Ausserdem bringt eine Änderung des Levels Schwierigkeiten mit sich, da mit der Spezifikation des Interventionslevels auch ein Kompetenzaufbau einhergeht, der eine gewisse "path dependency" nach sich zieht.
Bei den Überlegungen zum Interventionslevel stellt sich immer auch die Frage, ob es
nicht möglich oder sinnvoll ist, auf mehreren Levels tätig zu sein. Grundsätzlich können mehrere Interventionslevel verfolgt und eine weitere Spezifikation erst auf strategischer Ebene (je Wirkungsfeld, Schwerpunkt oder gar je Projekt) vorgenommen
werden (ÆKap. 9.2 Stiftungsstrategie, S. 288). Insbesondere Stiftungen mit mehreren
inhaltlichen Schwerpunkten (die, wie oben erwähnt, die Mehrzahl der Stiftungen
aufweisen im Sinne von "Stiftungen mit mehreren Missionen") können je Eckpfeiler
jenes Interventionslevel identifizieren, auf dem sie am ehesten die gewünschte Wirkung entfalten können. Durch die Notwendigkeit bestimmter Kompetenzen je Interventionslevel ist ein solches Vorgehen jedoch eher für finanziell gut dotierte Stiftungen sinnvoll, da sie die entsprechenden Kompetenzen vorhalten bzw. aufbauen können (ähnlich auch Frumkin 2005, S. 213).
Eine Stiftung kann jedoch z. B. den Weg verfolgen, über mehrere Jahre hinweg die
einzelnen Levels "innerhalb" eines bestimmten thematischen Rahmens nacheinander
abzuarbeiten. Anfangs kann die "Produktion neuer Ideen" im Vordergrund stehen, die
dann versucht werden, in die Politik einzuspeisen. In einer nächsten Phase könnte
dann die Bildung von Netzwerken zur Dissemination der Ansätze und zum
Austausch von Erfahrungen unterstützt werden. Parallel dazu könnten Organisationen
gefördert werden, die diese Ideen im Rahmen von Modellversuchen umsetzen oder
bei
denen
Trainingsangebote
auf
individueller
Ebene
im
Zentrum
der
Stiftungsaktivitäten stehen (vgl. Frumkin 2005, S. 209 ff.).
Eng mit diesen Fragen verbunden ist auch eine Abstimmung der Stiftungstätigkeit mit
den Aktivitäten anderer Stiftungen oder Organisationen. Eine Stiftung konzentriert
sich z. B. auf ein Interventionslevel und baut dort umfangreiche Kompetenzen auf.
Dazu passende ergänzende Aktivitäten auf weiteren Interventionslevels werden von
anderen Organisationen erbracht. Hierbei kann eine passive ("Welches Interventions-
Stiftungstätigkeit
abstimmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
246
level ist noch unbearbeitet?") oder aktive ("Wer bearbeitet ein Themenfeld gemeinsam mit uns?") Abstimmung vorgenommen werden. Damit wird gemeinsam eine höhere Wirksamkeit bei der Bearbeitung der identifizierten gesellschaftlichen Knappheit verfolgt (vgl. Then 2004, S. 14 ff). Fragen nach Æ Kooperationen (Kap. 11.4, S.
427) oder Æ Replikation (Kap. 10.6, S. 378) bisheriger Projekte schliessen sich hier
an.
Durch die inhaltliche Ausgestaltung und Abstimmung der Stiftungstätigkeit wird
auch ein eigenständiges Profil einer Stiftung formiert, das in der Æ Stiftungsstrategie
Profil
erarbeiten
(Kap. 9.2, S. 288) weiter ausgearbeitet wird. Im Rahmen der Profilentwicklung
(durch Auswahl der inhaltlichen Eckpfeiler und entsprechender Wirkungsfelder) steht
zwar nicht ein (Verdrängungs-) Wettbewerbsgedanke im Vordergrund, wie etwa bei
Privatunternehmen, dennoch darf nicht jeglicher Wettbewerb "per se" ausgeschlossen
werden (z. B. um gute Projektpartner, um innovative Ansätze, um gesellschaftliches
Ansehen). Diese Sichtweise wird auch im Stiftungsbereich bestätigt, so z. B. der hier
zu Wort kommende Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
"Also, es gibt wenige Stiftungen, die sich so konzentriert auf die Geisteswissenschaften beziehen, wie wir das machen. Und dann sind wir noch einmal
eine Ausnahme, weil wir die historischen Geisteswissenschaften im Programm haben. Also insofern haben wir da schon eine Nische besetzt oder uns
ein einmaliges Profil erarbeitet. Das soll auch dazu führen, dass wir in unserem Bereich bekannt sind und die besten Projekte und Personen anziehen. Es
ist uns schon ein Anliegen - und man hört es gerne - wenn einem ein Geisteswissenschaftler erzählt: ‚Wer ein Stipendium unserer Stiftung hat, ist erste
Wahl’. Das ist für uns in dem Fächerspektrum, in dem wir tätig sind, schon
ein Ziel und eine Bestätigung unserer Arbeit, wenn wir so etwas hören."
(P10)
Die bisher angesprochenen inhaltlichen Aspekte sind zentrale Bausteine der sog. Theory of Change (Anheier/Leat 2005, Frumkin 2005, Kramer 2001), also der Spezifizierung von Zielen und erwarteten Wirkungen sowie der Schaffung von Voraussetzungen, diese einzulösen. Eine "Theory of Change", mit der Entwicklung einer orientierenden und begründeten Mission, den konkretisierenden Festlegungen inhaltlicher
Art, z. B. Zielgruppen oder Interventionslevel, stellt zusammen mit den auf diesen
Theory of
Change
entwickeln
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
247
grundlegenden Festlegungen basierenden strategischen Entscheidungen (Æ Kap. 9.2
Stiftungsstrategie, S. 288) die Grundlage für jegliche Stiftungstätigkeit dar. Dies gilt
unabhängig davon, ob die Stiftung sich den Innovatoren oder Stabilisatoren zurechnet
(vgl. Kap. 2.3 Funktionen und Legitimationen, S 47), ob sie den Männergesangverein
Wittenbach für den Kauf neuer Noten oder das Institut für Betriebswirtschaft der
Universität St. Gallen zur wissenschaftlichen Aufbereitung von Ansätzen im Stiftungsmanagement unterstützt.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Spezifizierung der inhaltlichen Eckpfeiler:
13.
Welche grundlegenden inhaltlichen Stossrichtungen und Zielgruppen lassen sich aus
der Mission ableiten?
14.
Auf welchem Interventionslevel
gesellschaftlichen Knappheiten?
15.
In wie weit werden bei der Festlegung der inhaltlichen Eckpfeiler die Aus- und
Wechselwirkungen beachtet (z. B. Stiftungsstrategie, Ressourcenbedarf) und Vorgaben berücksichtigt (z. B. Stiftungsurkunde)
16.
Wie sind die Stiftungstätigkeit und die Aktivitäten anderer Institutionen mit ähnlichen
Grundanliegen oder der Fokussierung auf ähnliche gesellschaftliche Knappheiten abgestimmt, um gemeinsam einen möglichst grosse Wirkung zu erzielen?
17.
Wie unterscheidet sich durch die in den o. g. Fragen thematisierten Entscheidungen
das Profil der Stiftung von anderen Institutionen mit ähnlichen Aktivitäten?
18.
Wie lauten die ersten Bausteine einer umfassenden Theory of Change, an der sich
die Stiftung orientiert?
9.1.4
erfolgt
die
Bearbeitung
der
identifizierten
Festlegungen zur Förder- und Anlagepolitik
Die Festlegungen im Bereich der Förderpolitik haben Richtliniencharakter für die
sich daran anschließenden Handlungsfelder. Ausserdem beziehen sie sich auf vorangegangene Entscheidungen wie z. B. die Æ Spezifizierung der inhaltlichen
Eckpfeiler (Kap. 9.1.3, S. 239), aber auch auf den Æ Stifterwillen (Kap. 9.1.1, S.
229) und dessen Interpretation.
Den Förderansatz, den die Stiftung verfolgen kann und möchte, sowie damit verbunden das jeweilige Engagement der Stiftung gilt es ehrlich (z. B. auf Basis
vorhandener Ressourcen) und systematisch (z. B. im Hinblick auf Implikationen für
Förderansatz
und
-engagement
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
248
die
tägliche
Arbeit)
zu
durchdenken.
Bereits
bei
der
Diskussion
der
Stiftungsfunktionen (vgl. Kap. 2.3) wurden drei generische Stiftungstypen
vorgestellt, die hier nochmals kurz genannt werden sollen. Anhand dieser können
illustrativ Förderansätze und -engagements beschrieben werden:
1. Gift Givers
2. Social Investors
3. Social Entrepreneurs
Gift Givers arbeiten meist responsiv (reaktiv), d. h. sie warten auf Anträge, deren
Gift Giver
Themengebiet sie mehr oder weniger vorgegeben haben durch die Kommunikation
des Stiftungszwecks, der Mission und ggf. der inhaltlichen Eckpfeiler. Auf der
Grundlage der eingegangenen Anträge treffen sie ihre Entscheidungen für oder gegen
die Finanzierung des Projekts (nachfrageinduzierte Stiftungstätigkeit). Sie verfolgen
meist einen ausgeprägten "Hands-off-Ansatz", da sie sich eher als Finanzintermediäre
verstehen, die wenig mehr tun, als einen Scheck auszustellen (Æ Kap. 10.3
Projektcoaching, S. 354).
Im Gegensatz zu den Gift Givers investieren Social Investors meist viel Zeit, um ihr
Wirkungsfeld zu spezifizieren und ihre Projektpartner auszuwählen (Æ Kap. 10.2
Projektselektion, S. 341). Je nach Risikopräferenz suchen sie ein eher "sicheres, solides" Tätigkeitsfeld ("to produce steady, if unexiting, results") oder ein "unbekanntes,
neues" Tätigkeitsfeld ("because this is where the future lies", beide Zitate Leat 1999,
S. 128). So arbeitet ein "Social Investor" zwar möglicherweise auch responsiv, indem
er sich bei der Auswahl von Projekten ausschliesslich auf die eingegangenen Anträge
beschränkt, aber die Auswahl wird nach sehr differenzierten Kriterien getroffen und
z. T. mit grossem Aufwand durchgeführt. Er reagiert somit in einem gewissen Sinn
auf eine bestehende heterogene Nachfrage, kann aber durchaus inhaltlich eine Innovationsfunktion übernehmen. Durch gezielte Ausschreibungen können sogar Themen
proaktiv lanciert werden. "Social Investors" arbeiten nicht mit einem typischen
"Hands-off-Ansatz", sondern bemühen sich, ihre "Investition" auch bis zum Ende zu
begleiten und versuchen, durch Æ Dissemination (Kap. 10.5, S. 372) und Æ Replikation (Kap. 10.6, S. 378) das Wirkungspotential weiter auszuschöpfen.
Social Investor
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
249
Social Entrepreneurs greifen die Idee der Social Investors auf und führen sie konsequent weiter. Ihrer Tätigkeit liegt die proaktive Lancierung eigener Themen und Pro-
Social
Entrepreneur
jekte zugrunde. Immer häufiger werden gar die Projektpartner ganz gezielt ausgesucht (Æ Kap. 10.1 Projektakquisition, S. 330). Diese Arbeitsweise folgt dem Konzept der meritorischen Güter. Proaktives, unternehmerisches Stiftungsmanagement
verstanden als "Social Entrepreneurship" (vgl. Kap. 2.3) setzt dabei ein intensives
Engagement (Hands-on) bei der Projektbegleitung voraus (z. B. Unterstützung beim
Projektdesign, zur Verfügung stellen von Kontakten, aktives Coaching). Das
erfordert einen hohen Grad an Sachkenntnis der Mitarbeiter, was wiederum höhere
Personal- und Administrationsaufwände nach sich ziehen kann (vgl. Anheier 2005a,
S. 317 f.; Leat 1999, S. 128 f.) und auch entsprechender organisatorischer
Rahmenbedingungen bedarf (Æ Kap. 9.1.5 Gestaltung der Aufbauorganisation, S.
258). Ein Stiftungsratspräsident bestätigt die mit einer proaktiven Arbeitsweise
zusammenhängenden Herausforderungen:
"Dies impliziert eine personellen Veränderungen, denn weil die Anforderungen dieser selbst initiierten, proaktiv in die Wege geleiteten Projekte nun derart anspruchsvoll geworden sind, müssen wir auch personell aufstocken. Es
ist wirklich eine Art Übung, bei der wir darauf geachtet haben, dass wir das
Pferd vor dem Wagen hatten und nicht umgekehrt. Wir haben bewusst gesagt,
dass wir statt einer rein passiven Stiftung - man bekam Anträge, man hat sie
angeschaut, man hat darüber befunden, man hat sie abgelegt, man hat sie
verfolgt, man wartete wieder auf neue usw.- zu einer proaktiveren Art der
Stiftungsarbeit übergehen." (P3)
Die Social Entrepreneurs unter den Stiftungen beschränken sich allerdings nicht nur
auf grosse Stiftungen, auch kleinere Stiftungen können durchaus innovationsfördernde Anschubfinanzierungen und hilfreiche Projektbegleitung leisten (ähnlich Letts
et al. 1997).
Diese drei Stiftungstypen und ihre Eigenschaften bezüglich Förderansatz und Engagement kommen selbstverständlich in der Praxis selten in "Reinform" vor. Mischformen können auch sehr innovative Ansätze aufweisen, indem z. B. Stiftungen auf Antrag Teile ihrer Projektmittel vergeben, jedoch die Anträge gleichzeitig in ein umfassendes Themenscreening einfliessen lassen. Dieses Screening ist Vorstufe zur Ent-
Mischformen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
250
wicklung eigener Themen, die sehr "eng" bei den Bedürfnissen der Gesellschaft liegen. Weitere Möglichkeiten sind z. B. eine Beschränkung auf wenige proaktive, unternehmerische Projekte aufgrund der geringen Ressourcenausstattung der Stiftung,
trotzdem muss nicht gänzlich auf diese verzichtet werden.
Die zu den einzelnen Stiftungstypen und -engagements passenden Förderinstrumente, z. B. Preise, Stipendien, Infrastrukturbeiträge oder "matching grants", sind Bestandteil der Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288). Eine Stiftung kann jedoch
Grundsätze
zu Förderinstrumenten
festlegen
grundsätzlich in der Förderpolitik beschliessen, einzelne Förderinstrumente auszuschliessen oder nur ein bestimmtes Förderinstrument einzusetzen (z. B. Preise). Dies
kann auch bereits vom Stifter bestimmt sein (Æ Kap. 9.1.1 Stifterwille, S. 229; Æ
Exkurs: Gründungsleitfaden, S.221).
Ein Vorwurf an Stiftungen, der in der Literatur häufig genannt wird, ist das häufige
Festhalten an sog. "funding rules" (vgl. Anheier/Leat 2005, Kapitel 2, S. 6). Die Autoren kritisieren, dass im Bereich der Förderpolitik beschlossene Richtlinien es nicht
Grundsätze
zur
Förderhöhe
festlegen
erlauben, die Förderhöhe an den Bedürfnissen der Projekte auszurichten (z. B. man
macht "aus Prinzip" nur Grossprojekte oder Kleinstvergabungen). Je nach Vorgaben
des Stifters sollten die Richtlinien in der Stiftungspolitik möglichst flexibel gestaltet
werden, damit in der Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288) die Ressourcenallokation bedarfsgerecht erfolgen kann. Eine Möglichkeit im Bereich der Förderpolitik
diese Flexibilität zu gewährleisten, kann z. B. die Einführung eines jährlichen Budget
sein, das für Kleinstprojekte zur Verfügung steht, während mit dem anderen Teil proaktive und grössere Projekte verfolgt werden. Grundsätzlich sollte die Förderhöhe ein
Bestandteil der Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288) sein, im Zusammenspiel mit
dem Æ Selektionsprozess (Kap. 10.2, S. 341) für Projekte.
Bei relativ vielen und relativ kleinen Vergabungen - und dazu noch in einem weiten
Feld - wird vom Giesskannenprinzip gesprochen:
"Also eben, dem einen geben sie neue Musikuniformen, und dem nächsten geben sie ein Beachvolleyballfeld […] das ist keine Kritik, aber es ist einfach
so, dass eine Vergabestiftung schon zum Giesskannenprinzip neigt, und oft
keine Projektraster hat. Der Beitrag hängt dann von Zufälligkeiten ab, z. B.
wer zu welchem Zeitpunkt kommt und ein Gesuch stellt." (P20)
Gieskanne vs.
Strategic
Philanthropy
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
251
Zwar wird vor allem in der älteren amerikanischen Literatur dieses Giesskannenprinzip, oder das "spray and pray" (Frumkin 2005, S. 21), als urdemokratisch und responsiv auf die Bedürfnisse der Gesellschaft bezeichnet. In der neueren Literatur jedoch
wird es eher kritisch gesehen: "Whilst some might argue that this ‘let 1000 flowers
bloom’ approach is inherently democratic, normal and typically American, I suggest
it is autocratic, ineffective and willful - and typically American" (Skloot 2001, S. 3).
Doch auch in der Schweiz ist das Giesskannenprinzip durchaus be- und anerkannt,
"weil wir finden, dass es auch Zugangsmöglichkeiten für das kreative Potential der Gesellschaft braucht. Das sagt z. B. die XY-Stiftung ganz bewusst:
wir finden die Gesellschaft hat genügend Ideen, wir müssen nicht auch noch
eigene bringen. Das wiederum ist eigentlich ein ehrliches Bekenntnis, wenn
man sagt, Kreativität ist da - wir müssen uns nicht auch noch da auf die Gesellschaft loslassen." (P26)
Das Giesskannenprinzip kann auch eine besondere Form des Risikomanagements
sein. Viele Stiftungen versuchen durch Klein- und Kleinstvergabungen ihr Risiko zu
minimieren. Risiko154 darf zwar niemals ein Ziel "an sich" sein. Aber Stiftungen müssen und sollen auch Risiken eingehen. Beim Risikomanagement geht es nicht darum,
Risiken auszuschliessen, sondern darum, Risiken richtig einschätzen zu können.
Beim Giesskannenprinzip steht das Ausschliessen von jeglichem Risiko im Zentrum,
was aber zu Lasten wirkungsvoller und messbarer Resultate geht. Meist werden sog.
dringliche Bedürfnisse "abgearbeitet", bei denen Bedürftigen Ressourcen in Form
von finanziellen Beiträgen, Nahrung, Wohnraum etc. zur Verfügung gestellt werden.
Diese haben meist auch den Vorteil, dass ein sichtbarer und quantitativ messbarer
Output aus den Tätigkeiten resultiert. Im Gegensatz dazu stehen bei der Strategic
Philanthropy Veränderungen des "Systems" oder das Anpacken der "root causes" im
Vordergrund, die jedoch schwerer messbar sind und gemäss Prager (in Anheier/Leat
2005, Chapter 2, S. 11) von Stiftungen ein systematisches und strategisches
Vorgehen erfordern: "To make a difference foundations should act systematically to
strategically deploy all available resources." Diese Meinung ist zunehmend
anerkannt, wie ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung bestätigt:
154
Gemäss Kramer (2002) ist ein Risiko z. B. "when a foundation decides to focus all its grant making on a single area, declares that it will give away 12 percent of its assets every year, or devotes half of its grants budget to one project."
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
252
"Man kann das Stiftungsgeschäft auf zwei Arten machen. Entweder man ist
reiner Beitragsgeber, und dann sind das wichtigste tiefe administrative Kosten. Man reagiert nur auf Gesuche, man gibt einfach Beiträge, ist ‚Giftgiver’,
man ist sehr breit tätig, man will, ich sage das jetzt ein wenig überspitzt, Geld
loswerden. Das ist die eine Art, wie es sehr verbreitet ist, auch weil man absolut risikoavers ist. Das ist die eine Haltung. Und die andere Haltung ist,
dass man eine Veränderung herbeiführen will. Der Veränderungswunsch hat
dann eine grosse Bedeutung. Und das bedeutet, dass wir Risiken auf uns
nehmen müssen, Risiken nicht bei den Anlagen, sondern bei den Projekten.
Bei den Projekten, die wir machen, wissen wir nicht immer von Anfang an,
dass sie ‚gut’ rauskommen. Für uns geht es dann um die Frage: Welches sind
die Methoden, wo sind die Gebiete, wo können wir anpacken und mit unseren
bescheidenen Mittel etwas zu erreichen?" (P7)
Im Bereich der Förderpolitik bedarf es deshalb Richtlinien zur Handhabung von Risiken - und damit verbunden die "Sicherheit", sich vom Giesskannenprinzip etwas entfernen zu können in Richtung zielorientierter und strategischer Projektarbeit. Doch
wie kann das Risiko "bewirtschaftet" werden? Ein Geschäftsführer einer grossen
Stiftung nimmt dazu Stellung:
"Das Risiko liegt in der Natur der Sache. Es liegt in der wissenschaftlichen
Arbeit selbst. Sie kennen das Exempel, wo Leute ein Leben lang geforscht haben für nichts und aber nichts. Und dort würde ich sagen: Das Bindeglied in
diesem Spannungsfeld ist, dass man wirklich seine besten Fähigkeiten und
unter Einbezug der bestmöglichen Fachkräfte das Projekt mit der notwendigen Professionalität angeht, um eben die bestmöglichen Voraussetzungen
fürs Gelingen zu schaffen. Das ist das Einzige, das man machen kann. Aber
das heisst auch, dass man nicht gleichgültig einfach hineinlatscht und sagt:
‚Ja, das finde ich eine tolle Idee’. Das geht natürlich nicht." (P2)
Grundsätze
des Risikomanagements
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
253
Drei von Kramer (2000) identifizierte Risikofaktoren werden im Folgenden detailliert
vorgestellt und als Möglichkeiten der Operationalisierung des Risikobegriffs vorge-
Risikofaktoren
identifizieren
schlagen:
ƒ Ideen
ƒ Menschen
ƒ Orte
Unter Ideen als Risikofaktor versteht Kramer Projekte, die für die Stiftung nicht nur
Ideen
neu sind, sondern z. B. eine hohe Komplexität aufweisen oder eine geringe Popularität in der Öffentlichkeit besitzen und so inhaltliche Risiken aufweisen. Demgegenüber sinkt das Risiko z. T. beträchtlich, wenn Projekte "kopiert" oder durchgeführte
Projekte einfach wiederholt werden.
Menschen stellen ebenfalls einen Risikofaktor dar, wenn der Projektpartner nicht die
Menschen
notwendige Kompetenz oder Erfahrung zur Durchführung besitzt. Auf der anderen
Seite können gerade Stiftungen auch unbekannteren, unerfahreneren Personen Möglichkeiten bieten, Projekte zu übernehmen und so Erfahrung zu sammeln, neue Perspektiven einzubringen und kreative Ansätze zu finden. Bei Vergabestiftungen
kommt als Risikofaktor noch die "Principal-Agent"-Problematik hinzu, denn die Projektnehmer haben immer einen Informationsvorsprung vor der Stiftung, die auf der
Basis unvollständiger Informationen ihre Selektion für diesen oder jenen Projektpartner treffen muss.
Neben den Ideen und den Menschen stellen auch Orte einen Risikofaktor dar, denn
Orte
Projekte in einem bekannten Umfeld sind einfacher durchzuführen als in einem unbekannten Umfeld. Unterschiede in der Sprache, in der Kultur oder auch unterschiedliche Managementtraditionen, unterschiedliches Zeitgefühl u. a. erschweren die Durchführung von Projekten "in der Fremde". Auf der anderen Seite kann es die Mission
erfordern, Projekte in einem der Stiftung nicht selbstverständlich bekannten Umfeld
durchzuführen.
In der Stiftungspolitik müssen Stellungnahmen zu den genannten drei und ggf. weiteren Faktoren erfolgen, die sich wiederum bei der Spezifikation der Wirkungsfelder
(Æ Kap. 9.2 Stiftungsstrategie, S. 288) und in den stiftungsspezifischen
Risikofaktoren und
Selektionskriterien
verknüpfen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
254
Selektionskriterien wiederfinden müssen (Æ Kap. 10.2 Projektselektion, S. 341). Der
Faktor "Ort" kann z. B. durchaus von der Mission bereits eingeschränkt sein, so dass
dieser Risikofaktor nicht näher bestimmt werden muss. Eine allgemeine Einstellung
zum Risiko kann ebenfalls bereits aus der Mission entstammen oder vom Stifterwillen ableitbar sein. Grundsätzlich gilt, dass das identische Projekt für die eine Stiftung
ein sehr hohes Risiko aufweist, für die andere jedoch nicht (vgl. Kramer 2000). Die o.
g. grundsätzlichen Einstellungen zum Risiko nehmen neben früheren Erfahrungen
aus Projekten, bestehenden Ressourcen etc. Einfluss. Als Grundlage aller
Festlegungen gilt dabei, dass Stiftungen nicht "followers of fashion" (Anheier/Leat
2005, Chapter 2, S. 6)155 sein sollten, sondern dass sie
"Projekte verfolgen dürfen, die Risiken beinhalten. Nur so kommt man zu
neuen Erkenntnissen." (P20)
Ähnlich hierzu aus der Literatur ein Zitat von Anheier und Leat (2005, Chapter 6, S.
10): "Creativity requires space and freedom. Flexibility is also necessary to take advantage of unforeseen opportunities, new points of access and leverage for change”
(ähnlich auch Kramer 2002a; Toepler/Feldman 2003, S. 2). Implizit angesprochen
und kritisiert wird damit auch das weit verbreitete sog. "Silo Funding", bei dem in
immer gleichartige Projekte "investiert” wird, ohne Chance (und Interesse?) auf
Neues (vgl. Anheier/Leat 2005, Chapter 2, S. 8).
Neben diesen grundsätzlichen Festlegungen im Bereich der Förderpolitik (Mittelverwendung) müssen in der Stiftungspolitik auch Richtlinien zur Anlagepolitik (Mittelherkunft und -generierung) formuliert werden. Die gesamte Anlagepolitik kann als
eine Hauptaufgabe des Stiftungsmanagements bezeichnet werden (Æ Kap. 9.1.6 Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, S. 263), denn
"wenn das ganze Vermögen in einer Aktie investiert ist, und es passiert etwas,
dann kann man sich ausrechnen, dass die Verantwortlichkeit relativ rasch
festgestellt ist. Bei grossen Vermögen hat man meist entsprechende Vermögensverwalter eingeschaltet, um sich so auch abzusichern. Aber gerade bei
einer mittleren Stiftung ist das nicht so ohne weiteres möglich." (P22)
155
Anheier (2005, Chapter 2, S. 6) fast zusammen, unter Bezugnahme auf McIlnay (1998), dass "foundations follow, rather
than starting things. For example, the civil tights movement began in 1955 with the Montgomery bus boycott, but foundation grants were not significant until 1962.” Ähnlich argumentiert auch Prewitt (1999).
Richtlinien
zur
Anlagepolitik
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
255
Das Thema Anlagepolitik bedarf also einer intensiven Auseinandersetzung und der
Verabschiedung verpflichtender Grundsatzentscheide und Richtlinien. Doch ist
Vorgaben
beachten
dieses Themenfeld sehr eng verzahnt mit der Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288)
einer Stiftung und darüber hinaus gilt es, die Festlegungen zur Anlagepolitik im
Supportprozess (Æ Kap. 11.1 Finanzmanagement, S. 384) umzusetzen. Einige
Vorgaben stammen zudem bereits aus der Æ Stiftungsurkunde (Exkurs:
Gründungsleitfaden, S. 221), so z. B. die Festlegung der Lebensdauer der Stiftung
und der damit verbundenen Implikationen hinsichtlich der Anlagerendite.
Richtlinien können neben dem Grundsatz der sicheren und Ertrag bringenden Vermögensanlage auch weitere Grundsätze zu den Anlagezielen enthalten. Ein Ziel kann z.
B. sein, bereits durch die Vermögensanlage einen Beitrag zur Umsetzung der Mission
zu leisten. In diesem Zusammenhang gibt es Stiftungszwecke und Formulierungen
von Missionen, die es kaum sinnvoll erscheinen lassen, die Vermögensanlage an reinen Performance-Kriterien auszurichten. Jedoch ist Jed Emerson (2003) überzeugt,
dass viele Stiftungsmanager überrascht wären, wie wenig sie durch die Vermögensanlage die Mission ihrer Stiftung unterstützen, sondern ihr sogar entgegen arbeiten.
Ein eindrückliches Beispiel stammt aus dem Bereich des Empfängers von Stiftungsgeldern, der die Unterstützung einer Stiftung abgelehnt hat mit der Begründung, dass
nicht auf der einen (Output-) Seite "gute" Projekte unterstützt werden können, während auf der anderen (Input-) Seite dieses Geld ja erst dazu führt, dass es überhaupt
solche Projekte braucht. So beschreibt ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung:
"When I was at WHO, I was running the tobacco pre-initiative. Rockefeller
wanted to give us a huge amount of money from their foundation and I basically said: ‘Hang on guys, you are totally invested in British & American Tobacco.’ They wanted to give us a grant out of their 5% to combat tobacco diseases! But we had to say: ‘No, unless you divest your tobacco stocks.’” (P11)
Dieses Beispiel verdeutlicht die Anforderung an eine durchgängige Vermögenspolitik
in zweierlei Hinsicht. Einerseits ist es im obigen Beispiel für die WHO nicht vereinbar, Fördermittel entgegenzunehmen, die aus Quellen stammen, die ihrer Mission
entgegengesetzt sind. Andererseits war es der Rockefeller Foundation nicht bewusst,
dass ihre Anlageentscheide fundamental mit potentiellen Projekten konfligieren.
Anlageziele
spezifizieren
Mission
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
256
Eine Stiftung muss sich die Frage stellen, ob und mit welcher Begründung sie Chan-
Rendite
cen zur Umsetzung des Stiftungszwecks auf der Anlageseite auslässt und die Vermögensanlage und Zweckumsetzung vollständig trennt. Sicherlich bestehen legitime
Renditeansprüche, da eine Stiftung, die von Vermögenserträgen lebt, auch die Ertragssituation optimieren muss, wie auch ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung
bestätigt, denn
"wir müssen das Vermögen so anlegen, dass es jährliche Erträge gibt. Also es
könnte mal ein Jahr aussetzen, aber eigentlich sind die Erträge ja das, aus
dem wir dann die Fördermittel bestreiten. Wenn wir das Vermögen so anlegen, dass wir erst in zehn Jahren wieder einen Gewinn machen, z. B. durch
Verkauf von Immobilen, dann können wir den Förderzweck nicht erfüllen."
(P10)
Eine andere Meinung aus den Reihen der Stiftungspraktiker besagt, dass eine Verbindung zwischen Anlage und Zweck grundsätzlich nicht notwendig und auch nicht
machbar ist:
"Eine Stiftung muss die Anlage und die Projekte trennen, da die Grenzen
nicht erkennbar sind. Die Leute betrügen sich selbst, denn in jedem Panzer ist
z. B. ein Siemens-Produkt. Eine Stiftung kann nicht kontrollieren, was eine
Firma, in die investiert wurde, alles macht. Alles, was Finanzanlagen betrifft,
soll nach einer Maximierungslogik betrieben werden. Eine Vermischung zwischen Zweck und Rendite ist scheinheilig und darf somit kein Thema für Stiftungen sein, da die Grenze gar nicht sichtbar ist. Der Stiftungszweck kann
nicht über Anlagen vollzogen werden, solche Anlagen sind purer Marketingtrick." (P6)
Dennoch gibt es Meinungen in der Stiftungslandschaft, die dieses Spannungsfeld offensiv thematisieren und die Potentiale zur Zweckumsetzung bei der Vermögensanlage erkennen - auch unter Renditegesichtspunkten. Notwendig dabei ist eine Priorisierung der unterschiedlichen Anlageziele. So bestätigt ein Geschäftsführer, dass
"man fragen kann: Was ist denn eigentlich entscheidend? Ich habe diese Diskussion vorher schon einmal in einer anderen Stiftung gehabt, die im Bereich
Umwelt tätig war. Da wurde ständig die Frage gestellt, ob man in grüne In-
Anlageziele
priorisieren
und prüfen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
257
vestments geht und damit sozusagen bereits etwas für die Umwelt getan hat
[…] aber möglicherweise keine Erträge generiert hat. Oder ist es umgekehrt
völlig egal, wie man investiert, Hauptsache die Rendite stimmt? Im Moment
käme für mich alles, was börsengelistet ist, als Investment in Frage. Wichtig
wäre, aus meiner Sicht, eine möglichst hohe Rendite, um den Auftrag eben
richtig umsetzen zu können, ohne dass ich den direkten inhaltlichen Zusammenhang zu der Tätigkeit der Stiftung sehen muss. Also wie gesagt, bei einer
Umweltstiftung oder bei einer Stiftung, die sich im Gesundheitswesen engagiert, da ist es vielleicht nahe liegender. Bei uns müssten wir ja dann versuchen, wenn man das ernst nimmt, Investments zu finden, die im weitesten
Sinne den Geisteswissenschaften zugute kommen. Aber interessanterweise
haben wir gerade ganz aktuell einen Fall, der von uns geprüft wird, ob wir in
einen Bildungsfonds investieren sollen. Also, es geht letztendlich einfach
darum, Studien finanziell zu unterstützen, aus einem Fonds, in der Erwartung, dass die berufstätigen Absolventen die Mittel, die in ihre Ausbildung investiert wurden, wieder zurückzahlen. Das scheint mir persönlich ein ganz
interessanter Anlagefonds zu sein, der dann allerdings auch ganz nah an unserem Stiftungszweck wäre. Also wenn ich darüber nachdenke, haben Sie
vielleicht doch mehr Recht als ich. Wie gesagt, als Stiftung, die den wissenschaftlichen Nachwuchs unterstützt, in Bildungsfonds zu investieren, da
könnte man, ein bisschen konstruiert, da könnte man sagen, gut, das deckt
sich mit dem Stiftungszweck." (P10)
Die Möglichkeiten, direkt durch die Vermögensanlage die Mission zu verfolgen, bleiben eher Einzelfälle, sollten aber situativ geprüft werden. Das Spannungsfeld Anlagerisiko, Rendite und "ethische Investments" ist ein dauerhaftes Thema im Stiftungsbereich, das im Bereich der Stiftungspolitik eine eindeutige Stellungnahme im Sinne
von Richtlinien für die Ausgestaltung des Æ Finanzmanagements (Kap. 11.1, S. 384)
notwendig macht. Wenigstens sollte eine Stiftung gewährleisten, dass die Anlageentscheide die Mission nicht konkurrenzieren.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegungen zur Förder- und Anlagepolitik:
258
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
19.
Welcher Förderansatz ist der am besten geeignete, um die in der Mission spezifizierten Ziele zu erreichen, unter Beachtung von Wechselwirkungen (z. B. Stiftungsstrategie, Ressourcenbedarf) und Vorgaben (z. B. Stiftungsurkunde)?
20.
Welche Auswirkungen hat der gewählte Förderansatz auf das Förderengagement der
Stiftung - und auf nachfolgende Entscheidungen (z. B. Ressourcen)?
21.
Wie lautet die grundsätzlichen Festlegungen zu den Förderinstrumenten und der Förderhöhe für die inhaltlichen Eckpfeiler oder einzelne Projekte?
22.
Wie lauten die grundsätzlichen Festlegungen zum Risikomanagement und erste,
generische Risikofaktoren, die sich auch in den Selektionskriterien widerspiegeln?
23.
Wie lauten die Richtlinien der Anlagepolitik unter Beachtung von Vorgaben durch den
Stiftungszweck und die Stiftungsurkunde?
24.
Welche Anlageziele können formuliert werden, die dem Finanzmanagement geeignete Vorgaben bieten?
25.
Wie erfolgt die Priorisierung von sich teilweise konkurrierenden Anlagezielen?
9.1.5
Gestaltung der Aufbauorganisation
Neben einer orientierenden Mission und der Festlegung inhaltlicher Eckpfeiler bedarf
es für eine effektive und effiziente Umsetzung des Stiftungszwecks auch einer auf die
Erfordernisse der Stiftungstätigkeit abgestimmten Aufbauorganisation der Stiftung.
Denn für eine wirkungsvolle Erfüllung des Stiftungszwecks muss eine Vielzahl von
Aufgaben professionell bearbeitet werden. Nach Chandler (1962) gilt grundsätzlich:
"Structure follows Strategy", d. h. obwohl gewisse Strukturentscheidungen sehr früh,
z. T. bereits bei der Gründung getroffen werden (müssen), ist der gesamte Strukturierungsprozess ein iterativer Vorgang. Insofern ist die hier vorgestellte Aufgabe mit deren einmaliger Bearbeitung keineswegs abgeschlossen, was im Übrigen für alle im
FE-Cockpit verorteten Aufgaben und Handlungsfelder gilt (Lernende Organisation).
Die "ersten" Strukturentscheidungen werden jedoch sinnvollerweise nach den richtungsweisenden Festlegungen hinsichtlich der Mission und den inhaltlichen Eckpfeilern sowie den Entscheidungen der Förderpolitik getroffen. In Erweiterung von
Chandler kann demnach gesagt werden, dass insbesondere die Identität (identitätsstiftende Mission) einer Organisation sehr starken Einfluss hat auf Strategie, Umsetzung und letztlich die Struktur.
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
259
Das Ziel der hier beschriebenen Aufgabe einer Gestaltung der Aufbauorganisation
liegt darin, die Integration (Synthese) der Aufgaben durch Bildung von Stellen und
Aufbauorganisation
festlegen
Organisationsbereichen vorzunehmen. Es werden sachlich zusammenhängende Aufgaben gebündelt und führungsmässig einzelnen Stellen (Personen) und Organisationsbereichen (Gremien und Organen) zugeordnet. Mit den Instrumenten Stellenbeschreibung, Funktionendiagramm und Organigramm können diese Festlegungen, die
Aufschluss über die Zuständigkeits-, Verantwortungs- und Informationsregelungen
innerhalb einer Organisation geben, visualisiert werden. Durch die Aufbauorganisation erfolgt auch eine Strukturierung der Kommunikations- und Führungsbeziehungen (Weisungs- und Berichtslinien).
Für das Schweizer Stiftungsrecht gilt, wie auch für die meisten anderen wichtigen
"Stiftungsländer" (z. B. DE, USA, GB), dass der Grundsatz der privatautonomen
Stiftungsorganisation herrscht (z. B. Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 113). In praxi
Rechtliche
Rahmenbedingungen
beachten
bedeutet dies, dass z. B. in der Schweiz lediglich ein Organ156 rechtlich verlangt
wird, das die Geschäftsführung der Stiftung innehat und für diese handelt. Wenn
notwendig,
wird
eine
ausdifferenzierte
Aufbauorganisation
im
sog.
Organisationsreglement festgelegt. Der Stifter kann zwar bei der Gründung (Æ
Exkurs: Gründungsleitfaden, S.221) bereits die Organisationseinheiten vorgeben, er
sollte dies jedoch nicht in der Stiftungsurkunde, sondern in der Form eines
Reglements formulieren, um damit den Organen in Zukunft die Möglichkeiten zu
geben, die Organisationsstruktur den sich ändernden Erfordernissen anzupassen.
Denn es dürfen von den Stiftungsorganen nur diejenigen aufbauorganisatorischen
Freiheiten ausgenutzt werden, die dem jeweiligen Organ auch vom Stifter zugebilligt
worden sind (durch die Urkunde bzw. durch das Reglement).
Das Gesetz sieht in der Schweiz keine spezifischen Organe der Stiftung vor. Notwendig ist nur eines: "Die Organisation der Stiftung muss tatsächlich funktionieren"
(Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 114). Überwiegend und für die meisten Stiftungen ausreichend weist eine Stiftung zwei Organe auf: einen Stiftungsrat und eine Revisionsstelle (verpflichtend seit der letzten Revision des Stiftungsrechts in der
156
Organe sind Organisationseinheiten, die bestimmte Aufgaben erfüllen. Dabei kann ein Organ aus einer oder mehreren
Personen bestehen. "Entscheide oder Handlungen der Personen, die Mitglied eines Organs sind, gelten – sofern der
Entscheid oder die Handlung im Zuständigkeitsbereich des Organs erfolgt – direkt als solche der Stiftung." (Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 115)
2 Organe:
Stiftungsrat
und
Revisionsstelle
260
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
Schweiz, bis anhin empfohlen und Bedingung für eine Übernahme der Aufsicht
durch das EDI157). Wie bereits erwähnt, wird die Geschäftsführung vom Stiftungsrat
(oder auch: Kuratorium, Vorstand, Präsidium - im Gesetz: "Verwaltung") besorgt.
Der Stiftungsrat führt die Geschäfte und ist nach diesem Wortlaut auch "operativ", d.
h. im Tagesgeschäft, tätig. Bei kleineren Stiftungen, bei denen die operativen Tätigkeiten (Sichtung von Gesuchen, Formulierung von Zu-/Absagen etc.) mit geringem
Zeitaufwand verbunden sind, genügt dieses eine Organ, ggf. mit Unterstützung eines
(Teilzeit-) Sekretariats. Bei grösseren Stiftungen empfiehlt sich jedoch, angelehnt an
die Gesetzgebung der Aktiengesellschaft (vgl. OR 620 ff.), eine Aufteilung zwischen
"Gestaltung und interner Aufsicht" (= Stiftungsrat) sowie "Leitung des täglichen Geschäfts" (= Geschäftsführung) vorzunehmen. Allenfalls können weitere Ausschüsse
oder Beiräte, je nach Grösse der Stiftung, Stiftungszweck, Mission und Wirkungsfeld
erforderlich sein. Grosse, teilweise operativ tätige Stiftungen strukturieren ihre Geschäftsführung z. B. nach Tätigkeitsschwerpunkten (z. B. Robert Bosch Stiftung,
Bertelsmann Stiftung) oder nach geographischen Aktivitätsfeldern.
Im Verlauf der empirischen Untersuchungen konnten die verschiedensten Ausgestaltungen der Aufbauorganisation identifiziert werden. Es überwiegt, auch aufgrund der
Grösse der Stiftungen mit vorwiegend Klein- und Kleinststiftungen, die Stiftung mit
nur einem geschäftsführenden Organ. Dennoch kann als Orientierung festgehalten
werden, dass sich eine vom Stiftungsrat delegierte, nicht-ehrenamtliche, teil- oder
vollzeitliche Geschäftsführung ab Ausschüttungen158 von jährlich durchschnittlich ca.
CHF 1 Mio. lohnen kann, immer unter Beachtung der spezifischen Tätigkeitsfelder
und des Stiftungstyps, dem sich die Stiftung verpflichtet hat. Legt eine Stiftung z. B.
grossen Wert auf Æ Coaching (Kap. 10.3, S. 354) und Æ Dissemination (Kap. 10.5,
S. 372) von Projektergebnissen oder auf eine proaktive Æ Projektakquisition (Kap.
10.1, S. 330), muss sich intensive Gedanken darüber gemacht werden, wer diese
157
Beim Eidgenössischen Departement des Inneren ist die Stiftungsaufsicht des Bundes angegliedert. National und international tätige Stiftungen werden hier beaufsichtigt.
158
Diese grobe Richtlinie beruht auf dem Zugrundelegen einer zumindest in der Schweiz fiktiven festgesetzten Ausschüttungsquote von 5% des Vermögens. Daraus ergibt sich dann, dass eine Stiftung mit etwa CHF 20 Mio. Vermögen rund
CHF 1 Mio. Ausschüttungen pro Jahr tätigen kann. In den USA, wo die Ausschüttungsquote von 5% verbindlich ist und
die administrativen Kosten in diese 5% eingerechnet werden dürfen, folgt daraus, dass als Richtlinie rund 10% der
möglichen Ausschüttungen für die Administration verwendet werden sollten. Doch dieser Wert stellt lediglich eine Orientierung dar, von der aufgrund vielfältiger Gegebenheiten abgewichen werden kann, z. B. durch eine sehr proaktive
Ausrichtung der Tätigkeit der Stiftung oder durch teilweise selbst durchgeführte Projekte. Dieser Prozentsatz kann
selbstverständlich auch geringer sein, ohne dass darunter notwendigerweise die Arbeitsqualität der Stiftung leiden muss.
Geschäftsführung
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
261
Aufgaben übernehmen soll: a) fallweise herbeigezogenen externe Personen, b) Mitglieder des Stiftungsrates, oder c) eine personell entsprechend ausgestattete Geschäftsstelle, an die der Stiftungsrat solche Aufgaben delegiert?
Ein Stiftungsratspräsident einer mittelgrossen Stiftung verweist auf die Anfangszeit
"seiner" Stiftung und begründet die heutige Notwendigkeit einer Geschäftsstelle mit
der zugenommenen Korrespondenz:
"Dazu gehörte zunächst einmal auch der Aufbau einer entsprechenden Geschäftsstelle, die in der Lage war, diesen schon zu meiner Zeit, als ich noch
als Präsident auch die Geschäftsführung mit übernommen habe, stark angeschwollenen Korrespondenzstrom zu bewältigen. Die XY-Stiftung war auch
zu der Zeit schon bekannt genug, dass der Ansturm schon sehr beträchtlich
war, und da musste irgendwie eine gewisse Ordnung reingebracht werden."
(P3)
Insbesondere im Bereich der Æ Projektselektion (Kap. 10.2, S. 341) als auch für das
Æ Projektmonitoring (Kap. 10.4, S. 360) werden zusätzliche Gremien gebildet oder
externe Experten bei gezogen. Dabei gibt es kein "Patentrezept", ab welcher Grösse
entweder die institutionalisierte Variante eines Fachbeirats zur Selektion oder Evaluation oder aber die Arbeit mit Externen sinnvoller erscheint. Beide Varianten sind
grundsätzlich möglich und richten sich vielmehr nach dem Tätigkeitsgebiet einer
Stiftung sowie nach der Zusammensetzung und den zeitlichen Möglichkeiten des
Stiftungsrates. Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung berichtet:
"Also wir haben den Stiftungsrat und ‚darunter’ ist die Geschäftsstelle, und
jetzt könnte man da einen wissenschaftlichen Beirat noch dazwischen ziehen.
Das ist bei uns jedoch ‚gemerged’ mit dem Stiftungsrat. Wir ziehen nur fallweise Beiräte als Fachgutachter heran, z. B. bei Grossvergabungen." (P5)
Ein Geschäftsführer einer anderen Stiftung, die in etwa als gleich gross bezeichnet
werden kann wie diejenige, dessen Vertreter im vorangegangenen Zitat zu Wort kam,
arbeitet jedoch mit einem institutionalisierten Fachbeirat:
"Bei uns hat der wissenschaftliche Beirat die Aufgabe, die Beurteilung der
Projekte auf wissenschaftlicher Basis durchzuführen. Die Geschäftsstelle
steht da irgendwo ein bisschen zwischen den Antragsstellern und den Ent-
zusätzliche
Gremien
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
262
scheidungsgremien, als ‚erstinstanzlich’ der Fachbeirat und dann natürlich
das Kuratorium." (P10)
Insgesamt soll eine Einschätzung eines Stiftungsexperten als Richtlinie für die Höhe
der Verwaltungskosten gelten, die massgeblich durch die aufbauorganisatorischen
Festlegungen (Personalkosten) beeinflusst werden:
"Also wenn die Verwaltungskosten mehr als zehn Prozent der jährlichen Ausschüttungen betragen, dann ist für mich der Wurm drin. Also kann man sich,
wenn man im Jahr eine Million ausschüttet, eine Geschäftsführung von
100.000 leisten, aber nicht mehr. Das ist meine Meinung." (P4)
Andererseits kann dieser Einschätzung entgegengehalten werden, dass zwar einige
der so genannten Overheadkosten nicht sinnvoll sind, aber: "Others are simply the
cost of making good grants and of achieving sustainable change, and more like investments and R&D expenditures than overhead costs proper. Nonetheless, too many
foundations are overly apologetic about overhead costs instead of robustly defending
these as essential for knowledge management and effectiveness. The cost of pennypinching on overhead is often the cost of a less than fully effective grant.” (Anheier/Leat 2005, Chapter 2, S. 9) Als Schlussfolgerung daraus kann formuliert werden, dass es eben etwas kostet, Gutes und Wirksames zu tun - allerdings ohne den
Umkehrschluss zuzulassen, nachdem etwas, was nichts kostet, auch nichts taugt. Somit fällt es schwer, eine exakte Empfehlung zu formulieren, wie hoch die Overheadkosten sein dürfen. Je nach Ausgestaltung der Stiftungstätigkeit, z. B. auch im Zusammenhang mit teilweise operativen Projekten, ergibt sich eine grosse Spanne an
möglichen Verwaltungskosten.
Grosse Stiftungen kommen teilweise bei den administrativen Ausgaben in den Genuss von sog. Skaleneffekten. Mit anderen Worten: Ab einer bestimmten Grösse
lohnt sich eine gewisse Infrastruktur, die z. B. sowohl 1000 wie 2000 Gesuche pro
Jahr "verkraftet", jedoch eine Sockelinvestition erfordert (z. B. Sekretariat, Sachbearbeiter, IT-Infrastruktur). Nach einer Erhebung in den USA betragen (bezogen auf das
Stiftungsvermögen) die Verwaltungsaufwände im Schnitt aller Stiftungen 0,35% des
Vermögens. Grosse Stiftungen weisen dabei einen kleineren Anteil auf und die sog.
mittleren Stiftungen (in dieser Untersuchung jene zwischen USD 10 und 50 Mio.
Vermögen) einen typischerweise höheren Anteil. Die Studie nimmt auch Stellung zu
zusätzliche
Kosten
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
263
den kleinen Stiftungen: "However, in smaller foundations with few or no staff, the
donor or donor’s family may absorb most or all of the overhead costs." (Freeman
1991, S. 102)
Die obigen Ausführungen zu den Overheadkosten haben bisher nicht das Gehaltsgefüge an sich thematisiert. Dieser Bereich wird ausführlich im Supportprozess Æ HRManagement (Kap. 11.5, S. 434) besprochen. In der Stiftungspolitik müssen jedoch
Richtlinien
zur
Entschädigung
festlegen
die grundlegenden Entscheidungen zur Entschädigung gefällt werden - auch im
Spannungsfeld von Ehrenamtlichkeit und Mandatskultur.
Bei der Diskussion der Aufbauorganisation, zusätzlicher Gremien oder Ausschüssen
muss auch das Thema Outsourcing oder gemeinsame Nutzung (Pooling) genannt
werden. Insbesondere z. B. die Vermögensverwaltung wird in den allermeisten Stiftungen an Drittanbieter vergeben, aber auch z. T. die Personalgewinnung, die Betreuung der IT-Infrastruktur oder die Immobilienbewirtschaftung. Die in diesen Zusammenhängen auftauchenden Fragen werden bei der Diskussion der Æ Supportprozesse
(Kap. 11, S. 382) wieder aufgegriffen.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Gestaltung der Aufbauorganisation:
26.
Wie werden die rechtlichen Vorgaben und Einschränkungen aus der Stiftungsurkunde
oder des Stiftungsreglements in Bezug auf die Organisationsstruktur umgesetzt?
27.
Aus welchen Organen besteht die Aufbauorganisation der Stiftung, damit geeignete
Voraussetzungen zur Umsetzung der Mission geschaffen werden und eine verantwortungsvolle Relation von administrativen Kosten und Ausschüttungen besteht?
28.
Wie lauten die Richtlinien zur Entschädigung der Stiftungsmitarbeiter, ggf. auch fallweise beigezogener Experten, unter Beachtung des jeweiligen Aufwands der Personen, ihrer Kompetenzen, Erfahrungen und Leistung sowie der Mittel der Stiftung?
29.
Welche Aufgaben können allenfalls "outgesourced" oder mit anderen Stiftungen "gepoolt" werden?
9.1.6
Festlegungen der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
Neben den Überlegungen, welche Organe als notwendig und hinreichend für eine
wirkungsvolle Stiftungsarbeit erachtet werden, sind vor allem Regeln der Zusammenarbeit und Zuständigkeiten zwischen Stifter, Stiftungsrat und der Geschäftsführung
Möglichkeiten des
Outsourcings
oder Poolings
eruieren
264
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
(und allenfalls weiterer Gremien, z. B. wissenschaftlicher Beirat) von zentraler Bedeutung. Eine sorgfältige und ehrliche Erwartungsklärung zwischen diesen "Organen" mit einer entsprechenden Ausdifferenzierung und Zuordnung von Aufgaben,
Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten im Sinne einer professionellen "Foundation Governance" ist konstitutiv für ein effektives und effizientes Stiftungsmanagement. Mit anderen Worten geht es darum, eine eher von "technischen" oder "finanziellen" Überlegungen geleitete Grundstruktur der Aufbauorganisation so "zum Leben zu erwecken", dass die folgende Frage positiv beantwortet werden kann: "Are
foundations more innovative and responsive than government bureaucracies? As with
other sectors of our society, it is hard to generalize. Certainly, opportunities exist for
foundations, regardless of size, to manage their affairs in ways that enable them to respond quickly to new challenges and to seek new approaches to unsolved problems”
(Freeman 1991, S. 91).
Um die oben angesprochenen Möglichkeiten zu ergreifen, ist die Schaffung von Voraussetzungen zur guten Zusammenarbeit innerhalb einer Stiftung unumgänglich. Dies
kann erreicht werden durch eine Atmosphäre gegenseitigen Respekts, Offenheit gegenüber Verbesserungen (Æ Kap. 9.1.7 Arbeitsgrundsätze und Werthaltungen, S.
276) und besonders durch klar definierte und abgegrenzte Verantwortlichkeits- und
Zuständigkeitsbereiche (vgl. Freeman 1991, S. 99). Die Notwendigkeit von klaren
Zuständigkeitsregeln besteht im Übrigen auch in kleineren Stiftungen, denn "even in
foundations with one professional staff member, it is vital that the board defines what
that person’s functions are and respect that role” (Freeman 1991, S. 99).
Die im Folgenden vorgestellten Handlungsoptionen basieren ebenso wie die vorangegangenen Optionen der Aufbauorganisation auf Interviews, aber in besonderer Weise
auch auf Eindrücken aus den teilnehmenden Beobachtungen, denn die tatsächlichen
"Strukturen" (vgl. Kap. 4.4) werden erst erkennbar durch die Handlungen der Akteure, die aber wiederum von Strukturen (Regeln und Ressourcen) beeinflusst werden.159
159
Durch das Einhalten von Abteilungs- und Zuständigkeitsgrenzen im Rahmen alltäglicher Geschäftsprozesse wird eine
Grenzziehung (Abteilungsgrenzen) kontinuierlich als "Struktur" reproduziert und bestätigt – und somit erst erkennbar
(vgl. hierzu auch Kap. 4.4).
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
265
Als Einstieg in die Diskussion der Zuständigkeiten werden drei Typen vorgestellt, die
sich auf Ausführungen von Freeman (1991, S. 98 f.) beziehen. Diese werden um Zi-
Führungstypus
erkennen
tate aus den Interviews mit kommentierten Handlungsoptionen ergänzt:
ƒ das "Administrator Model"
ƒ das "Director Model"
ƒ das "Presidential Model"
Freeman (1991, S. 98) bezeichnet die erste Gestaltungsoption der Zusammenarbeit
innerhalb einer Stiftung als Administrator model. Dabei übernimmt die Geschäftsstelle lediglich administrative Aufgaben, z. B. Beantwortung von Anfragen, (administrative) Vorbereitung von Stiftungsratssitzungen oder Erledigung der allgemeinen
Korrespondenz. Der Stiftungsrat hingegen übernimmt die gesamte Führung der Stiftung - er delegiert keinerlei Geschäftsführungsaufgaben, z. B. Betreuung des Anlageportfolio oder (Vor-) Selektion der Projektanträge. Der Stiftungsrat oder einzelne
Mitglieder übernehmen dabei auch klassische Alltagsgeschäfte, z. B. Sichtung und
Aufbereitung der Anträge für Stiftungsratssitzungen (die Vervielfältigung und
Versendung wird ggf. von der Geschäftsstelle übernommen). Die Stiftungsziele an
sich reflektieren sehr stark den Willen des aktiv in die Stiftungsarbeit involvierten
Stifters. Dieses Modell ist besonders verbreitet bei kleineren Familienstiftungen, bei
denen Familienmitglieder oder enge Bekannte des Stifters im Stiftungsrat Einsitz haben und die o. g. operativen Funktionen untereinander aufteilen. Ein aktiver Stiftungsratspräsident und Nachkomme des Stifters einer kleinen Stiftung ohne Geschäftsstelle beschreibt die Vorgänge in "seiner" Stiftung folgendermassen:
"Also was ich mache ist Folgendes: Ich schaue mir die Anträge an und wenn
ich das Gefühl habe, es könnte von Interesse sein und jemand anders im Stiftungsrat sich in dieser Richtung ein wenig auskennt, dann gebe ich es dieser
Person einmal zu lesen. Eine unserer Töchter arbeitet z. B. in einem Kindergarten und wenn jetzt aus diesem Bereich ein Antrag kommt, dann gebe ich
ihr den Antrag und gemeinsam entscheiden wir dann, ob wir das unterstützen
oder nicht. Aber es gibt auch andere Anträge, bei denen ich vorher schon
sehe, nein, das kann man nicht machen, das passt nicht in den Stiftungszweck.
Aber ein Raster ist ehrlich gesagt nur in meinem Kopf drin, das ist nicht niedergeschrieben." (P28)
Administrator
Model
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
266
In einer anderen Stiftung, ebenfalls mit einem aktiven Präsidenten, der selbst Stifter
und Nachkomme des Stiftungsgründers ist, übernimmt ebenfalls der Stiftungsrat Alltagsaufgaben, obwohl eine Geschäftsstelle besteht. Ein Mitglied des Stiftungsrates
beschreibt:
"Wir haben seit einem Jahr einen Geschäftsführer angestellt. Wir haben jetzt
einen Geschäftsführer und wir haben noch eine Frau, die die ganze Administration macht. Und dann haben wir den Stiftungsrat mit drei Mitgliedern. Wir
haben, das muss ich sagen, nicht ein klares Modell, in dem Sinn, dass der Geschäftsführer Projekte aussucht, dem Stiftungsrat unterbreitet und der Stiftungsrat sagt ‚Ja’ oder ‚Nein’, sondern gerade jetzt im Fall von XY gehe ich
persönlich die Projekte besuchen, evaluiere diese, bringe neue Projekte mit
zurück, die ich dann dem Gesamtstiftungsrat unterbreite. Und dasselbe ist eigentlich auch in XY der Fall. Und auch unser Präsident ist ein sehr aktiver
Stiftungsrat. Das ist vielleicht ein wenig ein ungewöhnliches Modell im Vergleich zu anderen Stiftungen, in denen der Stiftungsrat eigentlich nur genehmigt und der Geschäftsführer die Projekte unterbreitet. Das ist bei uns nicht
der Fall." (P17)
Der zweite Typus, der hier vorgestellt werden soll, ist das Director Model. Dabei
stellt die Stiftung einen hauptamtlichen Geschäftsführer an und baut eine mehr oder
weniger umfangreiche Geschäftsstelle auf. Der Geschäftsführer wird auch in die
Entwicklung von Stiftungszielen und die Stiftungsstrategie mit einbezogen. Umgekehrt ist der Geschäftsführer verantwortlich z. B. für die (Vor-)Auswahl von Anträgen und Projekten. Der Stiftungsrat bezieht sich bei seinen "letztinstanzlichen" Zuoder Absagen auf die begründeten Empfehlungen des Geschäftsführers. Darüber hinaus legt der Stiftungsrat die allgemeine Finanz- und Vergabepolitik und die jeweilige
Stiftungsstrategie fest, deren Umsetzung an den Geschäftsführer delegiert wird. Stiftungen, die diesem Idealtypus nahe kommen, finden sich vor allem im Bereich der
mittelgrossen Stiftungen, bei denen auch oft noch der Stifter oder seine Nachkommen
eine aktive Rolle übernehmen. Selbstverständlich gibt es allerlei "Schattierungen"
zwischen diesen Idealtypen, so dass beim Director Model auch Aspekte des Administrator Model zu beobachten sind und eine Idealausprägung eher analytisch-theoretischer Natur ist. Dennoch können die einzelnen Models bzw. deren Ausprägungen in
Director Model
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
267
praxi beobachtet werden. So z. B. in folgender Stiftung, die eher dem Director Model
zugeordnet werden kann:
"Wir haben einen Projektausschuss, zusammengesetzt aus Mitgliedern des
Stiftungsrats und dem wissenschaftlichen Direktor. Die schauen die Anträge
an, die von uns auf der Geschäftsstelle grundsätzlich gut geheissen wurden,
und befinden entweder: ‚Ja, das könnte den Stiftungsrat interessieren, unterbreiten Sie uns einen Vollantrag.’ Und dieser Vollantrag geht dann dreimal
im Jahr vor den Stiftungsrat. Die setzen sich wirklich mit all diesen Anträgen
eingehend auseinander. Sie bekommen die gesamte Dokumentation: eine
Vorbewertung und ein Projektbudget. Dann wird darüber entschieden. Oder
der Projektausschuss befindet: ‚Nein, aus diesem oder jenem Grund passt das
nicht in unser Portfolio.’" (P2)
Ein Geschäftsführer einer Stiftung ist sich noch nicht ganz klar darüber, ob der Aspekt der strategischen Mitarbeit der Geschäftsführung vom Stiftungsrat gewünscht
oder erwartet wird:
"Die Geschäftsstelle ist operativ tätig, völlig klar. In Teilen bestimmt auch
strategisch, das ist für mich noch nicht ganz klar. Ich weiss es noch nicht.
Das wäre auch eine interessante Frage an das Kuratorium, ob sie erwarten,
dass wir eigene Ideen, die wir sicher haben, weil wir ja die Stiftung sehr unmittelbar erleben, auch einbringen sollen. Viel unmittelbarer als natürlich
unsere Gremiumsmitglieder, die ja nur zweimal im Jahr letztendlich zusammenkommen. Also wie stark da die Erwartung an uns ist, eigene Strategien zu
formulieren. Ich habe mich zumindest persönlich versucht, sehr zurückzunehmen im ersten Jahr, würde aber hoffen, dass es vielleicht im Rahmen einer Klausurtagung mal zu diesem transintensiven Dialog kommt." (P10)
Hierbei ist festzuhalten, dass die Begründung des Geschäftsführers gut nachzuvollziehen ist und sich dann in der Tat die Frage stellt, warum auf dieses "Insiderwissen"
z. B. im Rahmen der Strategieentwicklung verzichtet werden soll. Ebenso erhöht ein
gemeinsamer Erarbeitungsprozess die Identifikation mit den Stiftungszielen und die
Motivation aller Mitarbeiter.
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
268
Ein anderer Geschäftsführer beschreibt seine Idealvorstellung der Beziehung zwischen dem Stiftungsrat und der Geschäftsstelle folgendermassen:
"Es sollte eine klare Rollenverteilung geben, eine klare Beziehung zwischen
dem Stiftungsrat und der Exekutiven. Der Rat sollte eine Aufsichtspflicht ausüben, die Ziele oder Strategien festlegen, aber ansonsten Freiheiten lassen,
die es dann von Seiten der Geschäftsstelle gilt auszufüllen, wie das genau
gemacht werden soll. Einmischungen, z. B. wie die Anträge geschrieben werden, wie die Formulare aussehen sollten, das sollte der Rat nicht machen.
Aber es braucht ihn, um die generelle Richtung vorzugeben, die Resultate zu
vergleichen mit den Zielsetzungen. Aber sie sollten sich nicht direkt in viele
alltägliche Managementfragen einmischen." (P29)
Der dritte Idealtypus, das Presidential Model, trifft eher auf grössere Stiftungen zu,
bei denen auch der Stifter nicht mehr direkt in die Stiftungsarbeit involviert ist. Dieses Modell gibt der Geschäftsstelle eine weit reichende Autonomie. Der Geschäftsführer hat eine grosse Autorität gegenüber den Mitarbeitern, aber auch gegenüber
dem Stiftungsrat, insofern er z. B. auch Vergabungen bis zu einer bestimmten Höhe
selbst tätigen darf. Der Stiftungsrat wiederum konzentriert sich auf die Formulierung
der weitreichenden Arbeitsgrundsätze und die Weiterentwicklung der Mission der
Stiftung, der Gestaltung der Arbeitsschwerpunkte, sowie auf die Evaluierung der gesamten Stiftungsarbeit, nach dem Grundsatz für den Stiftungsrat: "steer not row"
(Prager 2003, S. 48). Im Bereich der Vergabungen folgt der Stiftungsrat den Empfehlungen der Geschäftsführung und diskutiert nur die grossen Vergabungen (oder
"auf Antrag"). Dieses Modell beinhaltet wiederum Aspekte, die von einigen Stiftungen aufgegriffen werden, insbesondere zu nennen ist hier die Autonomie von Geschäftsführern, bis zu einer gewissen Höhe selbst Vergabungen zu tätigen. Dazu ein
Stifter:
"Es ist wie in einem Unternehmen - man muss delegieren und Verantwortung
übertragen können. Bei einer unserer Stiftungen, die sehr viel kleine Gesuche
bekommt, da haben die einzelnen Sachbearbeiter eine Kompetenz, bis CHF
10'000 selbst zu entscheiden." (P27)
Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung beschreibt eine ähnliche Situation:
Presidential
Model
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
269
"Wir entscheiden selbst, wenn es um eine Absage geht und wenn es um eine
Zusage geht, bis zu einer Grössenordnung von CHF 5’000. Das können wir
selbst entscheiden, darüber muss es in den Stiftungsrat." (P16)
Bei der Vorstellung der Idealtypen der Stiftungsorganisation wie auch in den Zitaten
ist deutlich geworden, dass eine klare Festlegung der Zuständigkeiten zwischen den
Organen einer Stiftung notwendig ist. Die Festlegung der Zuständigkeiten und Kompetenzen betrifft auch die Zuständigkeiten innerhalb eines Organs, z. B. des
Stiftungsrats, wie ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt:
"Bei uns hat jeder Stiftungsrat, und der Stiftungsrat ist klein, er beinhaltet
sechs Personen, die Verantwortung über ein Aufgabenfeld, abgesehen vom
Präsidenten des Stiftungsrates. Und diese Aufgabenfelder sind so aufgeteilt,
dass der Vizepräsident des Stiftungsrats zuständig ist für die Finanzen, und
die restlichen vier Mitglieder sind jeweils zuständig für eines unserer Grossprojekte." (P2)
Eine weitere Möglichkeit, um eindeutige Verhältnisse der Zuständigkeiten und eine
kompetente und zügige Bearbeitung von Aufgaben zu gewährleisten, ist die Einführung von Ausschüssen, die sich temporär oder ständig einem thematisch klar gefassten Aufgabenfeld widmen (Auftrag). Als Beispiel hierfür kann ein Ausschuss zur
Vermögensanlage genannt werden oder eine Findungskommission für neue Stiftungsratsmitglieder. Folgende zwei Beispiele untermauern diese organisatorischen Gestaltungsmöglichkeiten und klaren Zuständigkeiten durch Ausschüsse:
"Wir haben im letzten Jahr einen Finanzausschuss eingeführt, als formelles
Gremium." (P10)
"Wir haben jetzt bei der Neubesetzung des Stiftungsratspräsidenten das erste
Mal eine Findungskommission gebildet, die besteht aus zwei Stiftungsratsmitgliedern, ich als Geschäftsführer bin Beisitzer, und wir haben noch einen
ganz Aussenstehenden reingeholt. Also, das ist zum Beispiel etwas, das ich
sehr gut finde." (P5)
Das sog. "audit committee" wird z. B. in der US-amerikanischen Literatur als "must"
für Stiftungen ab einer gewissen Grösse (ca. USD 10 Mio. Vermögen) bezeichnet
(Independent Sector 2005, S. 31 ff., Freeman 1991, S. 95). Auch das "finding com-
Zuständigkeiten
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
270
mittee" oder "nominating committee" wird als Standard-Ausschuss häufig genannt
(Freeman 1991, S. 95). Ausschüsse werden meist, wie auch im zweiten Zitat genannt,
durch externe Personen ergänzt, die aufgrund ihrer Fachkompetenz den Ausschuss
bereichern.
Neben den "einseitigen" Festlegungen der Zuständigkeiten ist jedoch auch eine kommunikative Erwartungsklärung über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen allen Beteiligten unabdingbar, wie folgendes Zitat eines Stiftungsratspräsidenten belegt:
"Die Aufgabe der Geschäftsstelle besteht darin, die Gesuche entgegenzunehmen, das Konzept für das einzelne Projekt mal zu entwerfen, und dann wird
das dem Stiftungsrat unterbreitet, und von dem letztlich entschieden. Wir haben versucht, die Kompetenzen der Geschäftsstelle tendenziell eher etwas
auszubauen, damit sie eben die Dinge auch erledigen kann. Aber bei uns hat
sich der Stiftungsrat die Entscheidungskompetenz noch sehr stark vorbehalten. Die Geschäftsstelle hat letztlich die Aufgabe, einfach die Tagesarbeit zu
bewältigen und diese Akten auch zu prüfen und aufzubereiten, damit der Stiftungsrat auf Basis einer relativ strukturierten Empfehlung die Entscheidungen fällen kann. Wobei der Stiftungsrat sich im Klaren ist, dass er nicht ohne
Not von den Empfehlungen der Geschäftsstelle abweichen sollte, weil er sie
sonst demotiviert. Dieses Vertrauen muss gewahrt bleiben, auf der anderen
Seite wurde diese Arbeitsteilung auch damals bei der Einstellung des heutigen Geschäftsführers besprochen." (P3)
Und der Geschäftsführer der gleichen Stiftung bestätigt diese Beschreibung:
"Ja, ich versuche den Stiftungsrat zu überzeugen, wir machen ja schriftliche
Anträge, in denen wir pro oder contra ein Projekt argumentieren. Das ist
jetzt gewissermassen ein Buhlen um ein "Ja" mit Worten. Und je höher die
Zustimmungsquote ist, umso besser ist meine Arbeit. Aber es ist immer für
mich klar, dass der Stiftungsrat entscheidet. Wir haben in der Geschäftsführung eine kleine Kompetenz. In den allermeisten Fällen entscheidet der Stiftungsrat, und wir können ihn nur versuchen zu überzeugen." (P26)
Erwartungsklärungen
vornehmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
271
Die Zusammenarbeit zwischen Stiftungsrat (non-executive) und Geschäftsstelle (executive) muss sich am folgenden Grundsatz orientieren: "As a general rule of thumb, it
Aufsicht und
Ausführung
trennen
is said that in a nonprofit organization, boards primarily govern and staff primarily
manages. This means that a board provides counsel to management and should not
get involved in day-to-day affairs of the organization. Confusion and tension can
arise when this rule is put to use practically, because the distinction between
management and governance is not absolute. In order for this rule to work effectively,
each party in this relationship need to understand its own responsibilities and those
that fall in the other’s purview, and the way in which the board and staff conduct their
business needs to reflect this understanding. Clear expectations for the board and the
director need to be established and maintained, because a board that is overly active
in management can inhibit the organization’s effectiveness” (Minnesota Council of
Nonprofits, o. J.). Dieses Zitat gilt vor allem für die beiden letztgenannten Idealtypen
einer Stiftung, kann jedoch als Richtlinie für alle Stiftungen gelten.
Bei der Thematisierung der Wichtigkeit von Zuständigkeitsregelungen wurde immer
wieder der Stiftungsrat genannt, der je nach Typus mehr oder weniger Aufgaben zu
erfüllen hat und diese teilweise an Ausschüsse oder die Geschäftsstelle delegieren
kann. Einige zentrale Punkte, die sog. Rechtspflichten (Treuepflicht, Geheimhaltungspflicht, Sorgfaltspflicht), sind jedoch verpflichtend für jedes Mitglied eines
Stiftungsrats:160
ƒ Treuepflicht (in der amerikanischen Literatur auch: "duty of obedience", vgl.
boardsource, o. J., ID=103): Die Treuepflicht kann aufgeteilt werden in eine
auftragsrechtliche Treuepflicht, im Sinne einer vertragsgemässen Verwendung
und sorgfältigen Verwahrung der zur Durchführung des Auftrags überlassenen
Gegenstände und Mittel. Die arbeitsrechtliche Treuepflicht ist exakter formuliert und verpflichtet den Arbeitnehmer - in Anlehnung an das Schweizer OR
(OR 321a Abs. 1) - die Interessen des Arbeitgebers "in guten Treuen zu wahren", d. h. dass Stiftungsräte nicht konträr zu den Zielen der Stiftung handeln
dürfen und ihr gesamtes Tun (im Rahmen ihrer Stiftungsarbeit) an der Mission
einer Stiftung ausrichten müssen.
160
Wenn nicht anders vermerkt, basieren diese Begriffe und Ausführungen auf Sprecher/von Salis-Lütolf (1999, S. 128 ff.).
Rechtspflichten
kennen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
272
ƒ Geheimhaltungspflicht (in der amerikanischen Literatur auch: "duty of loyalty", vgl. boardsource, o. J., ID=103): Diese Pflicht kann auch als Bestandteil
der vorgenannten Treuepflicht bezeichnet werden. Sie umschreibt die Pflicht
zur Geheimhaltung anvertrauten Wissens, d. h. alle Kenntnisse, die ein Stiftungsrat im Laufe seiner Amtszeit erlangt hat und die die Stiftung geheim halten möchte, dürfen nicht öffentlich gemacht werden. "This means that a board
member can never use information obtained as a member for personal gain,
but must act in the best interest of the organization" (boardsource, o. J.,
ID=103).
ƒ Sorgfaltspflicht (in der amerikanischen Literatur auch: "duty of care", vgl.
boardsource, o. J., ID=103): Die Sorgfaltspflicht besagt, dass der Stiftungsrat
jene Sorgfalt anzuwenden hat, die ein gewissenhafter und sachkundiger Beauftragter in der gleichen Lage bei der Besorgung der ihm übertragenen Geschäfte anzuwenden pflegt. Oder in anderen Worten: "This means that a board
member owes the duty to exercise reasonable care when he or she makes a decision as a steward of the organization" (boardsource, o. J., ID=103).
Diese Pflichten lassen sich selbstverständlich analog auf jeden Mitarbeiter im Dienste
der Stiftung übertragen. Aus diesen rechtlichen Bestimmungen können einige Hauptaufgaben für den Stiftungsrat identifiziert werden, zumindest wenn in der vom Stifter
verfassten Æ Stiftungsurkunde (Exkurs: Gründungsleitfaden, S. 221) und in den Æ
Stiftungsreglementen (Exkurs: Gründungsleitfaden, S. 221) nichts anderes festgehalten wurde.
Sowohl die Pflichten als auch die im Folgenden genannten Hauptaufgaben (nach
Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 129 ff.) müssen vollumfänglich für die jeweilige
Stiftung erfasst sein, ansonsten können keine eindeutigen und verbindlichen
Zuständigkeitsregelungen verfasst werden und Verantwortlichkeiten bleiben unklar:
ƒ Oberleitung der Stiftung: Veranlassung aller notwendigen Schritte zur
Verwirklichung des Stiftungszwecks (Establishment of Directions, Priorities,
and Policies)161
161
Dazu gehört auch die Bearbeitung aller in der vorliegenden Arbeit der Stiftungspolitik zugeordneten Aufgaben, z. B.
"articulating the direction in which the foundation heads; setting the priorities it pursues; establishing the policies under
which it operates; and defining boundaries within which the CEO and staff can act" (Prager 2003, S. 47).
Hauptaufgaben des
Stiftungsrats
anerkennen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
273
ƒ Festlegung der Organisation zum optimalen Funktionieren der Stiftung in
Abhängigkeit der Mission und Ziele der Stiftung
ƒ Geschäftsführung oder Aufsicht über die mit der Geschäftsführung betrauten
Personen
ƒ Verwaltung und Verwendung des Vermögens inkl. Erstellen eines Budgets
und eines Liquiditätsplans162
ƒ Erstellen des Jahresberichts und der Jahresrechnung zur Finanzkontrolle und
ordnungsgemässen Rechenschaftsablage bei der Aufsichtsbehörde. Die Jahresrechung enthält eine Bilanz, eine Betriebsrechnung und einen Anhang.
ƒ Auswahl einer Revisionsstelle
ƒ Pflege der Beziehungen zu den Anspruchsgruppen, namentlich den Destinatären und den Aufsichtsbehörden. Die Stiftung muss der Aufsichtsbehörde periodisch Bericht erstatten, so dass diese sich ein vollständiges, klares und richtiges Bild von der Stiftung machen kann, sowohl in Bezug auf die Vermögensanlage als auch in Bezug auf die Stiftungstätigkeit.163
Auf Basis der Kenntnis dieser Pflichten und Hauptaufgaben kann dann ggf. eine Delegation an die Geschäftsstelle oder den Geschäftsführer bzw. an weitere Organe oder
Gremien vorgenommen werden (z. B. im Rahmen der Æ Projektselektion Kap. 10.2,
S. 341). Eine Delegation von Aufgaben ist grundsätzlich möglich, insbesondere deshalb, weil es im Gegensatz zu den Aufgaben des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft (nach Schweizer Recht: OR 716a) im Stiftungsbereich keine Aufgaben gibt,
die von rechtlicher Seite her zwingend vom Stiftungsrat erfüllt werden müssen. Eine
Delegation ist nur dann unzulässig, wenn der Stifter in der Stiftungsurkunde oder in
einem Statut (das aber von einem dazu berechtigten Organ geändert werden könnte)
dies ausgeschlossen hat. Eine Delegation entbindet jedoch den Stiftungsrat "grundsätzlich nicht von seiner Verantwortung. Sie wird aber insofern eingeschränkt, als ihn
162
Dazu gehören u. a. (vgl. Prager 2003, S. 46 f.): "prudent investment”, z. B. Entwicklung einer Anlagepolitik, die konsistent ist mit den langfristigen Zielen und Verpflichtungen der Stiftung, "wise expenditure", z. B. in Bezug auf die administrativen Kosten, "careful accounting and reporting", z. B. Installation eines angemessenen Rechnungswesens
(Buchhaltung).
163
"Der Umgang der Berichterstattung ist extensiv zu verstehen", so die Empfehlung von Sprecher und von Salis-Lütolf
(1999, S. 131). Die Beziehung zu den Destinatären – und damit im weitesten Sinne zur allgemeinen Öffentlichkeit –
beinhaltet die Pflicht des Stiftungsrates diese zu informieren, periodisch die Bedürfnisse abzuklären und nicht
willkürlich unterschiedlich zu behandeln (für alle Punkte: Æ Kap. 9.1.7 Arbeitsgrundsätze und Werthaltungen, S. 276).
Delegationen
vornehmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
274
(nur) noch die Pflicht trifft, die entsprechenden Hilfspersonen mit der nötigen Sorgfalt auszuwählen (‚Sorgfaltspflicht’), zu instruieren und zu überwachen" (Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 132). Nicht delegierbar sind Aufgaben, die unmittelbar
mit der obersten Leitung der Stiftung verbunden sind, z. B. Ernennung eines Geschäftsführers oder Auswahl einer Revisionsstelle.
Trotz Delegationsmöglichkeiten gilt das Wort eines Geschäftsführers:
"Eine Stiftung ist nicht so sehr abhängig von einem Geschäftsführer, sondern
es ist der Stiftungsrat. Das ist der Archimedische Punkt, davon bin ich immer
mehr überzeugt. Wie soll ich sagen […] einen guten Geschäftsführer findet
man noch schnell, also davon bin ich überzeugt. Was aber schwierig ist, ist
einen Stiftungsrat zu finden, der seine eigenen Aufgaben gewissenhaft erledigt und seine eigene Tätigkeit auch selbst immer hinterfragt. Also das finde
ich eine ganz grosse Schwierigkeit. Das ist für mich eigentlich ein entscheidender Punkt bei der Entwicklung in ‚meiner’ Stiftung. Denn wenn bald die
sog. ‚Gründergeneration’ weg ist, dann darf das nicht irgend so ‚business as
usual’ werden und zur reinen Verwaltung tendieren. Die Stiftung muss lebhaft, beweglich, gestalterisch bleiben.” (P5)
Dieses Zitat leitet über zum nächsten Aspekt, der eng mit den organisatorischen Gestaltungsoptionen und der Kompetenzabgrenzung zusammenhängt, nämlich der Zu-
Anforderungsprofil der
Mitarbeiter
sammensetzung der Organe und Gremien im Hinblick auf die notwendigen Fähigkeiten zur Führung der Stiftung und wirkungsvollen Umsetzung der Ziele. Die einzelnen
Verantwortlichkeiten bzw. die daraus abgeleiteten Stellenprofile und -beschreibungen
werden im Supportprozess (Æ Kap. 11.5 HR-Management, S. 434) detailliert vorgestellt.
Wiederholt wurde in obiger Abhandlung auf die Rolle des Stifters verwiesen, der
durch die Formulierungen in der Stiftungsurkunde und der (Erst-)Fassung eines Stiftungsreglements eine prägende Kraft auf das Stiftungsgeschehen ausübt und sich gewisse Gestaltungsmöglichkeiten auch für die Zukunft vorbehalten kann (Æ Exkurs:
Gründungsleitfaden, S. 221).
Einer sehr exzessiven Ausnutzung dieser Rechte wird hier entgegengetreten, denn
eine Stiftung im Sinne eines "public trusts", der auf das Vertrauen der Öffentlichkeit
Rechte des
Stifters
kennen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
275
angewiesen ist und bereits durch die Steuerprivilegien und die Gestaltungsfreiräume
einen grossen Vertrauensvorsprung der Gesellschaft in Anspruch nimmt, darf sich
nicht zu einem Spielfeld persönlicher Macht verändern. Trotzdem stellt der Stifter,
wie auch bereits in der ersten Aufgabe (Æ Kap. 9.1.1 Reflexion des Stifterwillens, S.
229) hervorgehoben wurde, eine sehr wichtige Orientierung für die Stiftung dar und
ohne seine Kreativität wie Selbstlosigkeit bei der Errichtung der Stiftung wäre jene
gar nicht in der Lage, Wirksames für die Gesellschaft zu leisten. Vielmehr gilt es den
Stifter, solange er noch lebt und sich in die Stiftungsarbeit einbringen möchte, konstruktiv einzubinden - aber wieder unter Wahrung eindeutiger und verlässlicher Kompetenzabgrenzungen und Zuständigkeiten. Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen
Stiftung beschreibt seine Situation:
"Unser Präsident ist ein sehr aktiver Präsident, der sehr stark auch Einfluss
nimmt auf das tägliche Geschäft und auf die operative Ebene. Ich glaube, das
ist in vielen anderen Stiftungen wahrscheinlich in der Ausprägung, also in
solchen Stiftungen, die auch eine Geschäftsstelle haben, so nicht der Fall. Ja,
da kann man dann nur zum Teil von Management sprechen, oder? Im klassischen Sinn" (P16)
Eine solche Arbeitssituation kann auch für die Geschäftsstelle zur Belastung werden
und demotivierend wirken. Der Stifter soll sich einbringen (können), darf dabei aber
nicht getroffene Kompetenzabgrenzungen oder Zuständigkeiten übergehen (vgl. Kap.
6.2.1).
276
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegungen der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten:
30.
Welcher generische Führungstypus entspricht der "Stiftungskultur" und soll umgesetzt
werden?
31.
Wie detailliert und eindeutig sind die Aufgaben und Verantwortlichkeiten den jeweiligen Stiftungsorganen - und innerhalb jener - zugeordnet?
32.
Wie detailliert und verpflichtend werden Erwartungen über Zuständigkeiten und
Verantwortlichkeiten geklärt?
33.
Wie lassen sich die (interne) Aufsicht und die (tägliche) Arbeit trennen?
34.
Wie spiegeln sich die Rechtspflichten und die Hauptaufgaben des Stiftungsrats in den
Festlegungen der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten wider?
35.
In welchem Umfang werden Delegationen von Aufgaben an Mitarbeiter mit entsprechenden Fähigkeiten vorgenommen?
36.
Wie wird der Stifter konstruktiv in die Stiftungsarbeit mit einbezogen?
9.1.7
Formulierung von Arbeitsgrundsätzen und allgemeinen Werthaltungen
Neben der Förder- und Anlagepolitik sowie den Regelungen der Zuständigkeiten und
Verantwortlichkeiten werden in der Stiftungspolitik Arbeitsgrundsätze festgelegt und
allgemeine Werthaltungen thematisiert. Diese Grundsätze sind auch als Grundzüge
einer professionellen Arbeitshaltung zu verstehen und flankieren die Festlegungen
der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.
Ein erster inhaltlicher Aspekt dieser Aufgabe umfasst die Grundsätze der Beschlussfassung unter Einbezug von Ausstandsregelungen zur Vermeidung von Interessenskonflikten. Für die Beschlussfassung gilt unter Vorbehalt anders lautender Regelungen in der Urkunde oder dem Reglement (Æ Exkurs: Gründungsleitfaden, S. 221) der
Grundsatz der einfachen Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder (eine
Stimme je Mitglied, vgl. für die Schweiz: Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 139 f.;
für Deutschland: Meyer et al. 2003, S. 60). Für bestimmte Beschlüsse kann im Stiftungsreglement oder bereits vom Stifter in der Urkunde ein qualifiziertes Quorum
festgeschrieben sein bis hin zur Einstimmigkeit (z. B. bei der Änderung der Mission
oder bei der Festlegung temporärer Programmschwerpunkte inkl. der Allokation von
Ressourcen). Nach ZGB 66 Abs. 2 (für die Schweiz) ist die schriftliche Zustimmung
Grundsätze
der
Beschlussfassung
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
277
aller stimmberechtigten Stiftungsratsmitglieder zu einem Antrag einem Mehrheitsbeschluss der anwesenden Stiftungsratsmitglieder gleichgestellt (vgl. Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 140). Ein Mehrheitsbeschluss auf dem Zirkularweg muss zwingend in der Urkunde oder im Stiftungsreglement festgeschrieben sein, ansonsten ist
dieser nichtig. Auch die Entscheidungsfindung in anderen Gremien und in der Geschäftsstelle sollte geregelt sein im Sinne einer motivierenden und verlässlichen Zusammenarbeit und eindeutigen Erwartungsklärung zwischen allen Beteiligten.
Bei allen Beschlussfassungen und Entscheidungen gilt es, Interessenskonflikte durch
entsprechende Ausstandsregelungen zu handhaben, denn "private foundations must
strive so far as possible to be above suspicion. It is not enough that the directors and
the staff believe that they are operating from the highest motives, and that any particular action is innocent, regardless of its appearance. So far as possible, actions and
relationships must avoid and appearance of improperty which raises questions in the
minds of the public”, so die Richtlinien der Northwest Area Foundation (zit. in Freeman 1991, S. 101). Wann können Interessenskonflikte in Stiftungen überhaupt auftreten? Entstehen sie nur im finanziellen Bereich?
Interessenskonflikte können immer auftreten, es ist nicht möglich, diese von vornherein auszuschliessen - und sie treten gerade in Stiftungen nicht nur in finanzieller Hinsicht auf. Es können z. B. Situationen entstehen, in denen ein Stiftungsratsmitglied
auch gleichzeitig personell verbunden ist mit der durch finanzielle oder andere Ressourcen begünstigten Institution (z. B. Unterstützung eines Forschungsinstituts). Das
Auftreten vergleichbarer Situationen wird von einem Geschäftsführer einer grossen
Stiftung bestätigt:
"Wir haben im Stiftungsrat Leute, die sich in unserer Materie auskennen und
dort bestens vernetzt sind, das ist ja auch notwendig und hilfreich bei der
Projektselektion. Der Nachteil sind natürlich die Verflechtungen oder die Interessenskollision, die wir dann ständig haben. Die Schweiz ist einfach
wahnsinnig klein [ ...]" (P5)
Ein anderer Fall ist es, wenn eine Stiftung Drittpersonen beauftragt, z. B. eine Projektevaluation durchzuführen, und diese Drittpersonen sind mit einem Stiftungsrat
oder anderen Entscheidungsbefugten verbunden.
Ausstandsregelungen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
278
Interessenskonflikte können durch ein internes System von "checks and balances" gehandhabt werden, das drei grundlegende Elemente beinhalten sollte (angelehnt an
boardsource o. J., ID=97; Prager 2003, S. 51):
1. Full Disclosure: Alle Stiftungsratsmitglieder und Entscheidungsbefugten sollten ihre neben dem Engagement in der Stiftung bestehenden beruflichen und
gemeinnützigen Engagements offen legen (und periodisch aktualisieren) - und
zwar vor einer Entscheidung, die einen potentiellen Interessenskonflikt hervorrufen kann.
2. Abstention from Discussion and Voting: Die Ausstandspflicht betrifft die
Diskussion und Abstimmung über Fragen, die für ein oder mehrere Mitglieder
der Stiftung einen Interessenskonflikt bedeuten können.
3. Awareness and Disinterested Review: Der Abschluss eines Geschäfts, bei dem
ein Mitglied der Stiftung unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, sollte immer
auch im Hinblick auf die öffentliche Wirkung erfolgen und nach objektiven
und bereits bestehenden Kriterien erfolgen. Insbesondere gilt es bei Leistungsgeschäften (Geld gegen Leistung), diese nach Marktkonditionen (oder für die
Stiftung günstigeren Konditionen) abzuschliessen.
Neben den Ausstandsregelungen sind gemäss Sprecher und von Salis-Lütolf auch
sog. Unvereinbarkeitsregelungen notwendig, die dann zur Geltung kommen, wenn
Unvereinbarkeitsregelungen
ein Stiftungsratsmitglied sein Amt nicht antreten oder ausüben kann, "weil ein gravierender, dauernder Interessenkonflikt sich ergeben hat bzw. schon besteht" (Sprecher/von Salis-Lütolf 1999, S. 133). Anzumerken ist hier, dass Rechtsgeschäfte, die
trotz Interessenskonflikt eingegangen wurden, von legitimierten Dritten oder von der
Stiftung (vertreten durch die Aufsichtsbehörde) angefochten werden können (ggf. mit
Schadenersatzansprüchen).164
Weitere Festlegungen, die in der Stiftungspolitik getroffen werden müssen, beziehen
sich auf die grundsätzlichen Entscheidungen hinsichtlich der Organkonstitution, z. B.
Altersbeschränkungen, Beschränkungen von Amtszeiten in den Stiftungsorganen
oder Wahlverfahren. Freeman fasst es folgendermassen zusammen: "It is important
for the creator of a foundation to provide, early on, the machinery for selecting a
164
Für eine weitergehende Diskussion dieser Thematik (mit Schwerpunkt Schweiz) bietet sich Sprecher/von Salis-Lütolf
(1999) an.
Grundsätze
der Organkonstitution
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
279
board of directors and terms of service. This will encourage both continuity and gradual change in the board’s composition.”(Freeman 1991, S. 93) Insbesondere die sog.
Altersguillotine als Möglichkeit der Amtszeitbeschränkung ruft dabei kontroverse
Diskussionen hervor:
"Ich bin nicht für eine Altersgrenze nach oben, auch nicht bei einer kaufmännisch geführten Gesellschaft mit kotieren Aktien, weil für mich die Guillotine
immer ein Zeichen von eigener Schwäche ist. Aber man soll immer wieder
schauen, dass man junge Leute hinein nimmt. Wir haben jetzt gerade den
Stiftungsrat der XY-Stiftung ergänzt durch drei jüngere Mitglieder zwischen
32 und 40. Und das ist immer wieder nötig. Ob die das dann auch einmal machen werden, das weiss ich nicht." (P27)
In einer anderen Stiftung gibt es die Altersguillotine - und diese gilt auch für den
Stifter selbst, der noch im Stiftungsrat Einsitz hat:
"Wir haben eine Altersguillotine von 70, dann müssen die Stiftungsräte zurücktreten. Das ist neu. Das war zuvor noch nicht im Reglement, ist aber auf
Initiative des Gründers eingeführt worden und das wird für ihn selbst auch
Gültigkeit haben im Jahr 2007. Dann muss er weg und das wird er auch."
(P2)
Grundsätzlich gilt, dass eine Mitgliedschaft auf Lebenszeit eine wenig dynamische
Regelung darstellt, die auch zu grossen Problemen führen kann, z. B. wenn sich die
Mitglieder des Stiftungsrates gegenseitig blockieren und eine Entwicklung der Stiftung verunmöglichen. Zu kurze Amtszeiten wiederum verhindern die Übernahme von
z. T. langfristigen Projekten. Ein interessantes Modell, das im Verlauf der empirischen Untersuchungen entdeckt wurde, ist eine Amtszeitenabfolge mit zweimaliger
Wiederwahlmöglichkeit, wobei sich die Amtszeiten mit jeder Wiederwahl verringern.
Als Beispiel sei die erste Amtsperiode 6 Jahre, die erste Wiederwahl ergibt eine
zweite Amtszeit von 4 Jahren und die zweite und letzte Wiederwahlmöglichkeit besteht für eine kurze Amtszeit von 2 Jahren. Dies gewährleistet einerseits die z. T.
notwendige langfristige Orientierung und Stabilität, andererseits ist auch ein Wechsel
in diesem Beispiel nach maximal 12 Jahren "institutionalisiert" und es wird frühzeitig
eine Nachfolgeplanung in Angriff genommen. Andere Gestaltungsmöglichkeiten, wie
z. B. eine vierjährige Amtszeit mit Wiederwahlmöglichkeiten zusammen mit einer
Amtszeit-/
Altersbeschränkungen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
280
Altersbeschränkung von 75 Jahren, sind ebenso denkbar. Dabei gilt das Wort eines
Stiftungsexperten:
"Eine Regel sollte so sein, dass kein Stiftungsrat allein die Geschäfte blockieren kann. Das ist ganz wichtig. Das heisst, es muss vernünftige Ausschlussregeln geben, also man muss Leute, die nicht funktionieren, auch aus dem Stiftungsrat entfernen können. Und man muss auch aufpassen, dass man keine
ewigen Rechte begründet, also wer einmal im Stiftungsrat ist, darf sich nicht
sicher sein, immer im Stiftungsrat zu bleiben. Das sind Grundregeln, weil
sonst die Leute sich unter Umständen falsch verhalten." (P4)
Normalerweise konstituiert und ergänzt sich der Stiftungsrat selbst (Kooptation), wie
auch in den Interviews bestätigt wurde, z. B.:
Wahl-/
Berufungsverfahren
"Unser Reglement besagt, dass sich der Stiftungsrat selbst bestätigt oder
neue Mitglieder wählt." (P2)
Jedoch kann der Stifter in der Urkunde oder im Reglement andere Arten (auch in
Kombination) vorsehen, z. B. dass eine aussenstehende, nach eigenen Kriterien zusammengestellte Findungskommission die Suche und/oder die Wahl eines neuen
Stiftungsrats vornimmt, dass jedes Organmitglied seinen eigenen Nachfolger auswählt und benennt, dass eine Besetzung qua Amt erfolgt (z. B. Präsident der ETH Zürich) und den Stiftungsrat ergänzt oder die politische Gemeinde das Vorschlagsund/oder Wahlrecht besitzt, insbesondere dann, wenn sich aus ihren Reihen der Stiftungsrat konstituiert, wie es bei der Christoph Merian Stiftung in Basel der Fall ist
(zum Profil und zur Stellenbeschreibung eines Stiftungsrats Æ Kap. 11.5 HRManagement, S. 434).
Neben diesen eher "harten" Regelungen zur Beschlussfassung und Organkonstitution
geht es auch z. B. um ein motivierende Arbeits- und Sitzungskultur165. "Meetings are
Arbeits-/
Sitzungskultur pflegen
indispensable when you don’t want to do anything", so der Ökonomie-Nobelpreisträger John Kenneth Galbraith (zit. in Garber 2003). Doch was sind die Voraussetzungen dafür, dass die Sitzungen, unabhängig ob Arbeitssitzungen oder Stiftungsratssitzungen, erfolgreich verlaufen? Eine erfolgreiche Sitzung beginnt mit der Vorbereitung, bei der bereits die zu treffenden Entscheidungen mitbedacht werden sollten.
165
Für eine "Checklist for Great Meetings" siehe Garber (2003) oder Weger (2004).
Vorbereitung
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
281
Eine Agenda und ggf. notwendige Beilagen müssen erstellt, aufbereitet und rechtzeitig an die Teilnehmer versandt werden. Insbesondere bei Stiftungsratssitzungen können z. B. keine Beschlüsse zu Anträgen gefasst werden, die nicht rechtzeitig traktandiert wurden. Ausnahmen bestehen dann, wenn das Stiftungsreglement (oder die
Stiftungsurkunde) diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht oder der Stiftungsrat ein
Eintreten auf jenes Traktandum (ggf. mit Quorum) in der Sitzung beschliesst. Selbstverständlich umfasst die Vorbereitung einer Sitzung auch die individuelle Vorbereitung jedes Mitglieds, indem man sich optimal informiert und eine Meinung zu den
einzelnen Traktanden bildet, so dass die Voraussetzungen für eine fruchtbare und
konstruktive Diskussion gewährleistet sind. Die Stiftungsratssitzungen werden gewöhnlich vom Stiftungsratspräsidenten geleitet, der für die Vorbereitung von der Ge-
Durchführung
schäftsstelle (falls vorhanden) unterstützt wird. Die Sitzungen sollten den angegebenen Zeitrahmen nicht überschreiten, aber dennoch muss für einzelne Punkte genügend Diskussionszeit eingeplant werden. Insbesondere für Missions- und Strategiereviews bieten sich ausserordentliche Sitzungstermine an, die nicht vom "alltäglichen"
Geschäft überlagert werden - ggf. ist auch das Beiziehen eines externen Moderators
sinnvoll (Freeman 1991, S. 92), was auch in einigen Interviews bestätigt wurde. Die
Ergebnisse der Sitzungen werden protokolliert, schon aus Gründen der Rechtssicherheit bei Stiftungsratssitzungen (inkl. Abstimmungsergebnis). Aber auch für Arbeitssitzungen ist das Festhalten von Entscheidungen oder weiteren Aufgaben mit Vermerken zur jeweiligen Zuständigkeit sinnvoll, um eine effiziente und effektive Zielerreichung zu ermöglichen und Irritationen und Unklarheiten möglichst auszuschliessen.
Zusammenfassend eine Beschreibung eines Geschäftsführers einer mittelgrossen
Stiftung zum Ablauf von Stiftungsratssitzungen in jener Stiftung - und eine Bestätigung, dass Strategiethemen leicht vom Tagesgeschäft überlagert werden, was, wie
bereits erwähnt, für gesonderte Strategiesitzungen spricht:
"Also, vom Aufbau her sind sie eigentlich sehr straff und auch ziemlich formal organisiert. Der Ablauf ist in der Regel dann zwar nicht so straff - man
könnte dies sicher bis zu einem gewissen Grad noch ein wenig stärker formalisieren oder auch ein wenig professionalisieren. Also, wir wollten zum Beispiel das letzte Mal auch ein wenig über Strategien sprechen. Und das ist
Protokoll
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
282
dann einfach nicht passiert. Das war einfach falsch traktandiert. Die Unterlagen lagen zwar vor, aus welchen Gründen auch immer hat man dies dann
aber nicht diskutiert. Wenn Gesuche diskutiert werden, liegen die Unterlagen
alle vor, die können die drei Stiftungsräte eine Woche vorher alle anschauen
und auch unsere Deckblätter mit der Kurzeinschätzung sind dabei. Man geht
dann in der Sitzung schon jedes einzelne durch, aber manchmal bleibt man
dann an gewissen Fragen hängen und diskutiert irgendwie eine Viertelstunde
über eine Frage, die an und für sich nicht so entscheidend ist. Wir sind aber
schon bemüht, auch wirklich eine gute Struktur hineinzubringen, mit einer
Agenda und aufbereiteten Unterlagen. Es wird auch immer Protokoll geführt,
es werden dort detailliert die Ergebnisse erfasst. Unser Präsident leitet auch
immer die Sitzung." (P16)
Ein zentraler Aspekt gerade im Hinblick auf ein professionelles Management von
Stiftungen umfasst die Lern- und Feedbackkultur. Eine "dissatisfaction with existing
ways of working" gehört gemäss Anheier und Leat (2005, Chapter 6, S. 2) zu den
Grundvoraussetzungen einer wirkungsvollen Stiftungstätigkeit und mündet in der
Frage: "How can we do (even) better?" Diese Frage zielt sowohl auf ggf. notwendige
inhaltliche Anpassungen, aber auch auf prozedurale Verbesserungen (Æ Kap. 12.1
Evaluation, S. 455) ab, denn "gutes Tun" reicht nicht aus, sondern nur "the very best
the foundation can do is acceptable" (Anheier/Leat 2005, Chapter 6, S. 2). Ein klares
Bekenntnis zur systematischen (Selbst-) Evaluation der gesamten Stiftungstätigkeit,
inhaltlich wie prozedural, ist dabei notwendig und sollte von Anfang an durch das
Entwickeln eines Evaluationskonzepts (Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455) in der Stiftung verankert werden. Lernen ist also für Stiftungen essentiell, so Weger (2002),
obwohl sie nicht in einem Verdrängungswettbewerb stehen, wie z. B. Privatunternehmen, und sie (als Vergabestiftungen mit eigenem Kapitalstock) keine Ressourcenknappheit im engeren Sinne (unmittelbar) spüren. Aber Stiftungen stehen in der
Pflicht, die zur Verfügung stehenden Ressourcen einzusetzen zugunsten des Gemeinwohls ("obligation to create value"). Und dieser Einsatz sollte bestmöglich - unter Effektivitäts- und Effizienzaspekten - erfolgen.
Und dass eine Stiftung auch bei sich selbst beginnen muss, beobachtete Kramer
(2002a) bei der Betrachtung der Arbeitsschwerpunkte einer US-amerikanischen Interessensgemeinschaft von Vergabestiftungen, den "Grantmakers for Effective Organi-
Lern-/
Feedbackkultur leben
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
283
zations"166: "We started off looking at the capacity of grantees, but find that has led us
back home to look at ourselves. The neutral titel of ‘Grantmakers for Effective Organizations’, has masked a subtle metamorphosis in meaning from ‘Grantmakers for
Effective Grantees’ into ‘Grantmakers for Effective Grantmakers’.” Ein Geschäftsführer einer deutschen Stiftung geht sogar noch weiter und ist überzeugt, dass die
Wirksamkeit einer Stiftung alleine abhängig ist von der Fähigkeit zu lernen und sich
zu hinterfragen.
Das grundsätzliche Sich-Hinterfragen verlangt auch ein Stifter von Stiftungsräten:
"Ein guter Stiftungsrat und ein guter Unternehmer müssen eines gemeinsam
haben. Sie dürfen sich ihrer Sache nie ganz sicher sein. Sie müssen immer ein
wenig zweifeln an sich selbst." (P27)
Eine solche Lern- und Feedbackkultur sollte die gesamte Stiftung erfassen, wie auch
ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung vorschlägt, nicht jedoch ohne auf die
Schwierigkeiten einzugehen, die die Implementierung einer umfassenden Feedbackkultur mit sich bringt:
"Wir pflegen eine sehr konstruktive Feedbackkultur. Wir sind ein gutes kleines Team. Wir haben hier drin sehr viel Eigendynamik und Selbstkritik - wir
treiben das bewusst voran. Wir haben diese Schlaufe auch mit den Jahreszielgesprächen. Doch wer nie über seine Leistungen Auskunft gibt, oder geben muss, ist der Stiftungsrat. Ich kann das natürlich nicht vorschlagen. Ich
als Geschäftsführer kann das nicht reinbringen, weil das sonst klar als Misstrauen gewertet wird. Das geht nicht. Das muss, wenn schon, der Präsident
reinbringen." (P5)
Die fehlende oder teilweise mangelhaft ausgebildete Lern- und Feedbackkultur beeinflusst auch das benachbarte Gebiet der Kooperationen - sowohl im thematisch-inhaltlichen Bereich als auch im Bereich der operativen Stiftungsarbeit. Skloot formuliert
pointiert für das amerikanische Stiftungswesen: "We sit straight ahead, rarely pulling
our eyes away from the spinning icons. We do not interact with the other players on
our left or right. If we did, we wouldn’t learn much anyhow - they’re behaving in just
the same way.” (Skloot 2001, S. 3) Doch auch im Verlauf des Forschungsprojekts
166
www.geofunders.org (23.08.2005).
Kooperations
kultur
entwickeln
284
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
wurden immer wieder vergleichbaren Äusserungen getätigt, die diesen Sachverhalt
auch für das deutsche und Schweizer Stiftungswesen bestätigen167. Stiftungen müssen
sich bereits im Bereich der Stiftungspolitik intensiv mit Kooperationsmöglichkeiten
auseinandersetzen und grundsätzlich kooperationsfähig sein. Die Entscheidungen für
oder gegen Kooperationen sind stark mit strategischen Fragen verbunden (Æ Kap.
9.2 Stiftungsstrategie, S. 288, Æ Kap. 10.6 Replikation, S. 378). Die Ausgestaltung
und Begleitung von Kooperationen wird unterstützt durch das Æ Kooperationsmanagement (Kap. 11.4, S. 427). Es können auf der Ebene der Stiftungspolitik grundsätzliche Kriterien formuliert werden, nach denen für bestimmte Bereiche, z. B. grosse,
internationale Projekte, Kooperationen wenn möglich einzugehen sind, für andere
Bereiche, z. B. Befriedigung dringlicher Bedürfnisse mittels Kleinvergabungen, nicht
notwendigerweise Kooperationen eingegangen werden müssen.
Es gilt in diesem Zusammenhang auch zu überlegen, wie sich Stiftungen in übergeordneten Verbänden zum Wohle des gesamten Sektors einbringen können oder
inwiefern sie in Netzwerken aktiv den Austausch mit anderen Stiftungen suchen, z. B.
Verbandsarbeit und
Netzwerkbildung
unterstützen
als erfahrener Coach für Newcomer oder als dankbarer Nutzniesser bewährter
Ansätze oder Empfänger von Anregungen für die eigene Stiftungsarbeit. Die
Bereitschaft zur Verbandsarbeit zur Bildung von Netzwerken, zur Kooperation, zum
Lernen sowie dazu, Feedback konstruktiv zu verarbeiten gewährleistet auch eine
"Umweltoffenheit". Diese Offenheit bewahrt eine Stiftung davor, "realitätsfern" und
ungeachtet der tatsächlichen Bedürfnisse einer Gesellschaft oder Zielgruppe tätig zu
werden. Auch wirkt sie einem latenten Vorwurf gegenüber Stiftungen entgegen:
"foundations do not question or probe the system - they are the system"
(Anheier/Leat 2005, Chapter 2, S. 6).
Die bisher genannten Werthaltungen und Arbeitsgrundsätze werden ergänzt durch die
Bereitschaft und Verpflichtung, offen und proaktiv mit der Stiftungsumwelt zu kommunizieren. Dabei ist auch die Entwicklung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit
mit der Stiftungsaufsicht eingeschlossen (Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement,
S. 412). Es geht dabei nicht mehr darum, kommunizieren zu wollen, sondern darum,
sich im Sinne eines Public Trusts (vgl. Kap. 6.1) aktiv um das Vertrauen der
167
Nicht zuletzt deshalb wurde das Forschungsprojekt Foundation Excellence ins Leben gerufen, um hier in gewisser
Weise als Katalysator zur Professionalisierung des Stiftungsmanagements zu dienen, best-practices in Form von Handlungsoptionen zu systematisieren und einen Orientierungsrahmen für das Management von Stiftungen zu entwickeln.
Kommunikationskultur
pflegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
285
Öffentlichkeit zu bemühen (Æ Kap. 12.2 Accountability, S. 469). In diesem
Zusammenhang soll das Motto des US-amerikanischen Staates New Hampshire paraphrasiert werden, das 1974 vom amerikanischen Council of Foundations seinen
Mitgliedern nahe gelegt wurde - im Anschluss an den Tax Reform Act von 1969, der
einen tief greifenden Wandel im Selbstverständnis der Stiftungen nach sich zog (vgl.
auch Frumkin 1997, 1998): "Foundations are going to have to learn to ‚Communicate
Freely, Or Die’" (Frumkin 2005, S. 108).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Formulierung von Arbeitsgrundsätzen und allgemeinen Werthaltungen:
37.
Wie lauten die Grundsätze zur Beschlussfassung - unter Bezugnahme auf die rechtlichen Formvorschriften?
38.
In welcher Weise werden Interessenskonflikte gehandhabt und wie lauten die
dazugehörigen Ausstands- und Unvereinbarkeitsregelungen?
39.
Welche Grundsätze der Organkonstitution sind festgelegt, insbesondere in Bezug auf
Amtszeitbeschränkungen und Berufungsverfahren?
40.
Welche Arbeitsgrundsätze und Werthaltungen pflegt die Stiftung in der internen Zusammenarbeit, z. B. bei Sitzungen?
41.
Wie werden eine kontinuierliche "Umweltoffenheit" und die ständige Bereitschaft zum
Lernen beibehalten?
42.
Welche grundsätzlichen Einstellungen bestehen gegenüber Kooperationen?
43.
Welcher Beitrag wird zur Entwicklung des Stiftungssektors geleistet und wie erfolgt
eine Interessenvertretung der Stiftung in externen Gremien und Verbänden?
44.
Welche Werthaltungen verfolgt die Stiftung im Umgang mit der kritischen Öffentlichkeit, namentlich dem Stifter, den (potentiellen) Projektpartnern und den direkt "Begünstigten" der Stiftungsaktivitäten?
9.1.8
Erarbeitung eines Code of Conducts und eines Leitbilds
All die gemeinsam erarbeiteten Festlegungen der Stiftungspolitik sind daraufhin zu
prüfen, in welcher Form sie intern dokumentiert und den Mitarbeitern verfügbar gemacht werden, z. B. im Sinne eines verpflichtenden Code of Conduct-Handbuchs
(auch für neu eintretende Mitarbeiter, Æ Kap. 11.5 HR-Management, S. 434), oder
welche Festlegungen Eingang in ein öffentlich zugängliches Leitbild finden. Denn es
soll nicht der Eindruck erweckt werden, eine Stiftung müsse vollständig transparent
Code of
Conduct und
Leitbild
erstellen
286
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
sein. Es gibt auch bei Stiftungen Themen und Entscheidungen, die eine Art Geschäftsgeheimnis darstellen. Dazu können auch bestimmte Festlegungen der Stiftungspolitik gehören. Grundsätzlich wird jedoch die Position vertreten, dass alles,
was nicht ausdrücklich unter dieses Geschäftsgeheimnis fällt, auch in angemessener
Form der Öffentlichkeit kommuniziert werden soll. Dies dokumentiert Kompetenz
und stärkt das Vertrauen der kritischen Öffentlichkeit in Stiftungen. Insbesondere vor
dem skizzierten Hintergrund der in den 1960er Jahren in den USA abgelaufenen veränderten Wahrnehmung von Stiftungen in der Öffentlichkeit und der damit verbundenen Informationsbedürfnisse ist der Wert eines überzeugenden Leitbilds (TVTest)168, das Begründungen zur Mission, den inhaltlichen Eckpfeilern, aber auch Stellungnahmen zur Organisation und zu ausgewählten Arbeitsgrundsätzen enthält, nicht
zu unterschätzen, wie auch ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung herausstreicht:
"Denn wie erklären Sie sonst Ihrer Grossmutter oder Ihren Kindern oder
auch den Mitarbeitern, was Sie eigentlich machen - und wie? Die interessiert
kein 150- oder 200-seitiger Jahresbericht, sondern das muss einfach und verständlich in vier oder fünf Sätzen kommunizierbar sein." (P10)
Durch einen gemeinsamen Erarbeitungsprozess von Code of Conduct und Leitbild,
aber auch bei der Entwicklung oder beim periodischen Review von Mission und inhaltlichen Eckpfeilern (Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455), soll bei allen Organen und
Mitarbeitenden einer Stiftung eine einheitliche Orientierung erlangt und die Identifikation mit der Stiftung gestärkt werden. Zwar sind die Grundlagen der Stiftungsidentität bereits bei der Gründung in der Stiftungsurkunde gelegt, dennoch zeigen erst die
weiteren Ausgestaltungen (Mission Statement, Reglemente zur Organisation und Entscheidungsfindung, Code of Conduct und schliesslich das Leitbild), wie sich die
Stiftung selbst sieht und wie sie von der Öffentlichkeit gesehen werden will. Die Spezifizierungen der Stiftungspolitik und die damit verbundene Findung eines gemeinsamen Nenners unter den Stiftungsmitarbeitern sollte optimalerweise bereits ein erstes Mal während der Gründungsphase einer Stiftung stattfinden - zumindest mit denjenigen Mitarbeitern (z. B. Geschäftsführer), die zu diesem Zeitpunkt bereits Teil der
Stiftung sind. Das seiner Meinung nach notwendige Ziel eines solchen Prozesses umschreibt ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung folgendermassen:
168
Der "TV-Test": Können vor einem kritischen Publikum in "zwei Minuten" die Grundanliegen und inhaltlichen Eck-
Erarbeitungsprozess
gemeinsam
durchführen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
287
"Jede Stiftung erbringt eine Dienstleistung, das ist einmal entscheidend. Und
zwar eine Dienstleistung letztendlich im Interesse des Stifters, des Landes
oder wer im Einzelfall die Stiftung errichtet hat. Das erscheint mir ganz zentral zu sein. Man läuft sonst als Stiftungsmitarbeiter oder als Beirats- oder
Vorstandsmitglied sehr leicht Gefahr, in eine Arroganz zu verfallen, weil man
ja ausser dem eigenen Gremium niemandem Rechenschaft schuldig ist. Und
wie gesagt, diese Arroganz zu vermeiden und mit professionellem Management den Willen des Stifters oder der Stifterin zum Wohl der Gesellschaft umzusetzen, das erscheint mir sehr wichtig zu sein." (P10)
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Erarbeitung eines Code of Conducts und eines Leitbilds:
45.
In welchem Detaillierungsgrad werden die Mission und die inhaltlichen Eckpfeiler
inklusive einer nachvollziehbaren Begründung im Leitbild publiziert?
46.
Welche Grundsätze der Bereiche Anlage, Förderung, Abläufe und Werthaltungen, die
nicht den Status eines "Geschäftsgeheimnisses" erreichen, werden in einem öffentlich
zugänglichen Leitbild kommuniziert?
47.
Wie erfolgen der Prozess der Erarbeitung von Mission und inhaltlichen Eckpfeilern,
aber auch der Festlegungen in Bezug auf Arbeitsgrundsätzen und Werthaltungen, um
eine grösstmögliche Identifikation aller Stiftungsmitarbeiter mit den Stiftungsaktivitäten
zu gewährleisten?
pfeiler der Stiftung begründet und verständlich kommuniziert werden?
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
288
9.2
Stiftungsstrategie
Bei einer Strategie geht es darum, die Massnahmen und Aktivitäten zu bestimmen,
die das Erreichen der langfristigen Mission ermöglichen. Pettigrew et al. (2002, S. 3)
definieren Strategie als "purposes, directions, choices, changes, governance, organization, and performance of organizations in their industry, market and social, economic, and political contexts". Strategie bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen
und Prioritäten zu setzen bezüglich der Ressourcenallokation. Im Gegensatz zum Profit Sektor, in dem das strategische Management zur Erhöhung der Profitabilität
ausgerichtet ist, dient es im Non-Profit-Sektor im Rahmen der Sachzieldominanz eher
dazu, die Voraussetzungen und den Weg zu spezifizieren, wie die Festlegungen der
Mission in der Alltagspraxis umgesetzt werden können.
Zum strategischen Management von Stiftungen gehören somit alle Entscheidungen
und Initiativen, die mit dem Aufbau von Voraussetzungen für eine möglichst wirkungsvolle und effiziente Stiftungstätigkeit i. S. der Umsetzung des Stiftungszwecks
und der daraus abgeleiteten Mission zu tun haben (vgl. Müller-Stewens/Lechner 2001
für den Unternehmenskontext). In der strategischen Philanthropie gilt dabei zunehmend, dass Wissen und nicht Geld die wirkliche Währung zur Erreichung von sozialem Wandel ist. Den Ausgangspunkt zur Entwicklung einer wirkungsvollen
Stiftungsstrategie bildet eine sorgfältige Reflexion des Stiftungszwecks und der daraus abgeleiteten Mission, die grundlegenden inhaltlichen Festlegungen und der Ethical Code of Conduct. Diese verbindlichen Festlegungen der Mission sind ein unverzichtbarer Orientierungsrahmen für die Entwicklung einer wirkungsvollen und konsistenten Stiftungsstrategie.
Im strategischen Management gilt es somit einerseits Festlegungen in inhaltlicher
Hinsicht zu treffen, andererseits Massnahmen prozessualer Art der Umsetzung zu definieren. Die zu treffenden Festlegungen lassen sich in fünf Aufgaben zusammenfassen:
1. Bestimmung zentraler Wirkungsfelder
2. Definition strategischer Ausgestaltungsalternativen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
289
3. Analyse notwendiger Fähigkeiten und Ressourcen
4. Identifikation von Kooperationsfeldern und -partnern
5. Erstellung strategischer Projektportfolios und von Massnahmenplänen
Die oben genannten Aufgaben einer Stiftungsstrategie können nicht losgelöst voneinander oder sequentiell bearbeiten werden, denn sie sind eng miteinander verknüpft.
Die in diesem Rahmen zu treffenden Festlegungen sind in einem strategischen Entwicklungsprozess iterativ zu erarbeiten und periodisch zu überprüfen.
Bei der Bearbeitung der anfallenden strategischen Entscheidungen sind drei wesentliche Bestandteile von Strategien zu beachten (vgl. von Krogh 2004):
ƒ die langfristige Sichtweise mit der Absicht, die gesteckten Ziele zu erreichen
ƒ die Entscheidung über die Allokation von beschränkten Ressourcen
ƒ die Analyse der eigenen Stärken und Schwächen sowie der externen Chancen
und Gefahren
Strategische Festlegungen haben allerdings nicht nur Bedeutung für die oberste Führungsebene einer Stiftung. Auch die übrigen Stiftungsmitarbeiter müssen wissen,
welche Strategien in einer Stiftung verfolgt werden. Daneben bedürfen auch Stakeholder ausserhalb der Stiftung, z. B. die Antragssteller, einer Orientierung über die
Festlegungen der Stiftung. Eine verlässliche Strategie braucht es, um Enttäuschungen
vorzubeugen. Oft ist es frustrierend zu erkennen, dass die z. T. grossen verfügbaren
Vermögen in Stiftungen im Vergleich zur Mission und den Ideen eines Stifters gering
sind. Deshalb bedarf es realistischer Ziele und einer realistischen Strategie. Zentraler
Aspekt bei der strategischen Stiftungsarbeit ist, dass bei der Verfolgung unterschiedlicher Aktivitäten und Programme eine maximale Effektivität nur erreicht werden
kann, wenn die Förderungen als Gesamtes in einem Portfolio aufeinander abgestimmt
werden (Gruber/Mohr 1982). Durch die "Bewirtschaftung" eines solchen Portfolios im Gegensatz zu unabhängigen Einzelinitiativen - können die Synergieeffekte und
positiven Wechselwirkungen genutzt werden, die zwischen den einzelnen Förderaktivitäten bestehen. Einzelne Aktivitäten dürfen aufgrund ihrer Interaktion nicht isoliert
betrachtet werden, umso mehr sie untereinander um die knappen Ressourcen einer
Stiftung im Wettbewerb stehen.
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
290
Folgende Leitfrage sollte sich jeder Stiftungsverantwortliche bei einem anstehenden
Strategieprozess verdeutlichen: "Versetzen Sie sich in die Lage von heute in 10 Jahren. Ihre Stiftung wird als eine der besten im spezifischen Wirkungsfeld angesehen.
Welche Aktivitäten hat Ihre Stiftung in welcher Art und Weise durchgeführt, um zu
dieser Reputation zu gelangen?"
Die im Folgenden beschriebenen Aufgaben des Teilprozesses "Stiftungsstrategie"
stellt einen zentralen Baustein des FE-C dar zur Unterstützung des Stiftungsmanagements im konstruktiven Umgang mit den organisatorischen Defiziten einer Stiftung
und der Handhabung der Paradoxien der Stiftungspraxis (vgl. Kap. 6) im Hinblick
auf den Aufbau von Vertrauen in und Wertschätzung der Stiftungsarbeit durch eine
zielorientierte und systematisch-strukturierte Stiftungsarbeit.
9.2.1
Bestimmung zentraler Wirkungsfelder
Ein Wirkungsfeld zeichnet sich durch die Möglichkeit aus, die Mission der Stiftung
wirkungsvoll umzusetzen. Der dazu notwendige Konkretisierungsschritt von der allgemeinen Orientierung der Mission und der Festlegung der grundsätzlichen inhaltli-
Nutzen von
Wirkungsfeldern
erkennen
chen Eckpfeiler wird durch die Spezifizierung des Wirkungsfelds geleistet. Klar abgrenzbare Wirkungsfelder dienen auch dazu, sich innerhalb der Stiftungslandschaft
optimal zu positionieren und das Profil der Stiftung über die Mission und die inhaltlichen Eckpfeiler hinaus zu schärfen. Wettbewerb und Abstimmung im Stiftungsbe-
Profilbildung/
Positionierung
reich erfolgen zwar nicht im Sinne eines "Verdrängungswettbewerbs" zwischen Stiftungen, sondern im Sinne einer Koopetition, die den Kooperationsgedanken mit dem
Wettbewerbsgedanken verbindet (Kooperation und Kompetition). Neben dem Wettbewerb z. B. um gute Projekte geht es dabei aber vor allem darum, etwaige Doppelspurigkeiten bei der Bearbeitung von Knappheiten und damit einer Verschwendung
der wertvollen Ressourcen von Stiftungen (und anderen Organisationen) möglichst
entgegenzuwirken. Gleichzeitig wird so eine optimale Abstimmung und Ergänzung
der Tätigkeiten aller Organisationen gewährleist, im Sinne des "grossen Ganzen", d.
h. der Weiterentwicklung der Gesellschaft (sozialer Wandel). Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung umschreibt es folgendermassen - mit einem starken Hinweis auf die Kooperationskultur:
Ressourcenschonung/
Abstimmung
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
291
"Das Thema Wettbewerb ist, glaube ich, sehr heikel im Stiftungsbereich. Keiner möchte das unbedingt so als Wettbewerb bezeichnen, aber ich glaube, es
tut schon gut, wenn man sich auch als Stiftung darüber bewusst wird, wer wir
sind, wofür wir stehen und wer die anderen Spieler im selben Feld sind. Und
natürlich: Wie grenzt man sich von denen ab? Wie kann man vielleicht aber
auch sinnvoll zusammenarbeiten, kooperieren, was dann sicherlich anders
wäre als bei klassischen Unternehmen." (P25)
Positionierungsentscheidungen bei der Wahl von Wirkungsfeldern können dabei in
zwei Richtungen erfolgen: Entweder können solche Entscheidungen auf Pionierarbeit
(Social Entrepreneurship) und Einzigartigkeit der Stiftungstätigkeit abzielen. Dann
wird ein Wirkungsfeld gewählt, in dem sich noch keine Stiftung engagiert, das jedoch
eine relevante gesellschaftliche Knappheit darstellt, wie sie im Rahmen der Mission
festgelegt wurde. Oder es kann ein Wirkungsfeld gewählt werden, in dem bereits ein
Engagement von Stiftungen besteht. In einem solchen Fall gilt es, sich "synergetisch"
so zu positionieren, dass die spezifischen Anstrengungen aller Stiftungen zusammenwirken. Mit anderen Worten geht es in solchen Konstellationen darum, Nischen zu
besetzen oder ggf. gezielte Kooperationen mit anderen Stiftungen (oder weiteren gesellschaftlichen Institutionen) einzugehen (Æ Kap. 11.4 Kooperationsmanagement,
S. 427). Zu beachten sind dabei auch die entsprechenden Vorgaben zum Umgang mit
Risiko aus der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228), z. B. zu "Ideen", "Menschen",
"Ort" und ggf. weitere stiftungsspezifische Faktoren.
Um die "optimale" Nische in einem thematischen Bereich zu identifizieren, ist es
notwendig, bei ungenügenden internen Ressourcen externes Wissen über bestimmte
Bereiche "einzukaufen". Eine international aktive Stiftung hat zur Abklärung der Aktivitäten anderer Akteure ein Gutachten erstellen lassen.
"Es gab in der Vergangenheit eine Studie einer Stiftungsberatungsgesellschaft, in der versucht wurde, die Inhalte unserer Stiftung auch international
zu vergleichen. Ziel war, wen es neben unserer Stiftung noch gibt, der in ähnlichen Gebieten arbeitet. Das Ergebnis der Studie zeigte, dass es zwar viele
Stiftungen gibt, die Teilbereiche dessen abdecken, was wir auch abdecken,
aber eben nicht in dieser Prägnanz und dieser Detailliertheit." (P10).
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
292
Stiftungen, die keine klaren Wirkungsfelder konkretisiert haben, können nur schlecht
ihre zentralen Anliegen kommunizieren und ihre stifterischen Bemühungen fokussieren. Sie laufen z. B. auch Gefahr, dass sie von nicht passenden Anträgen regelrecht
überschwemmt werden. Eine Folge einer unklaren Wirkungsfelddefinition kann es
auch sein, dass die Stiftung versucht, es allen "recht zu machen" und zahlreiche Projekte mit kleinen Beiträgen unterstützt (Breiteneicher/Marble 1998, Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S. 228). Diese nach aussen wahrgenommene willkürliche Vergabe von
Fördermitteln löst Verwirrung über die Zielsetzungen aus. Zudem ist die Wirkungsmessung dieser Kleinstvergaben schwierig - und aufwändig (Æ Kap. 10.4 Projektmonitoring, S. 360). Unklar spezifizierte Wirkungsfelder erschweren es auch den
Entscheidungsgremien, Projektanträge kritisch zu selektieren und einen projektübergreifenden Mehrwert zu erzielen (Æ Kap. 9.2.5 strategisches Projektportfolio, S. 314;
Æ Kap. 10.2 Projektselektion, S. 341).
Definierte Wirkungsfelder bieten im Gegensatz dazu klare Begründungen für die
Ablehnung von Projektanträgen, die sich nicht optimal mit dem Stiftungsvorhaben
decken. Auf der anderen Seite wird so potentiellen Antragsstellern signalisiert, ob ein
Antrag bei dieser Stiftung überhaupt Erfolg versprechende Aussichten hat (Æ Kap.
10.1 Projektakquisition, S. 330). Eine klare Wirkungsfelddefinition erlaubt es der
Stiftung, ihre Ressourcen auf Aktivitäten zu konzentrieren, die im Gesamtzusammenhang, auch synergetische, Wirkungen erzielen (Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455). Es
wird zudem in Zukunft schwieriger werden, einer kritischen Öffentlichkeit die Arbeitsweise nachvollziehbar zu verdeutlichen und die Stiftung als notwendiges und effektives Instrument im Dienste der Gesellschaft zu legitimieren. Die im obigen Zitat
geschilderte Vorgehensweise hinterlässt hierbei Fragezeichen (Æ Kap. 12.2
Accountability, S. 469).
Dennoch sehen zahlreiche Stiftungen nach wie vor keine Notwendigkeit in der Spezifikation von Wirkungsfeldern und der damit verbundenen Analyse der Tätigkeiten
anderer Institutionen. So umschreibt ein Stiftungsratspräsident einer kleinen Stiftung
seine Arbeitsweise folgendermassen:
"Ich muss ehrlich sagen, ich habe mir nie überlegt, wie sich diese Stiftung
differenzieren soll. Ich habe eigentlich mit anderen Stiftungen keinen
Kontakt. Es gab bis jetzt kein Netzwerk, so wie es nun durch die Initiative von
Begründete
Absagen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
293
Swiss Foundations in Zukunft vorhanden ist. Aber ich brauche dies auch
nicht um meine Vergabungen zu machen, denn so eine komplizierte Sache ist
es auch nicht. Das ist vielleicht eine ehrliche Antwort, aber ich glaube, viel
mehr kann ich hierzu nicht sagen. Ich bin nur eine kleine Stiftung [...]". (28)
Bei der Konkretisierung der Wirkungsfelder geht es darum, die Festlegungen des
Gestaltungsprozesses der Stiftungspolitik, insbesondere der Mission und der inhaltli-
Wirkungsfelder
spezifizieren
chen Eckpfeiler, aber auch den dokumentierten Konsens über Arbeitsgrundsätze und
Werthaltungen der Stiftungsarbeit umzusetzen. Auf diese Weise kann die Übereinstimmung der Förderaktivitäten mit dem Stifterwillen erreicht werden. Bei einem solchen ersten Reflexionsprozess bilden sich Bereiche heraus, die als mögliche,
konkrete Arbeitsschwerpunkte der Stiftung - über die spezifizierten inhaltlichen
Eckpfeiler hinaus - in Frage kommen. Auf der Basis dieser ersten Suchfelder kann in
der Folge das Umfeld sowohl inhaltlich als auch geographisch analysiert werden, um
mehr über das Potential von Stiftungsaktivitäten in diesen Feldern zu erfahren. Dabei
sind sowohl stiftungsinterne (z. B. verfügbare Ressourcen) als auch stiftungsexterne
Gegebenheiten zu berücksichtigen.
Die externe Analyse (Umweltanalyse) hat einerseits das Ziel, Klarheit darüber zu gewinnen, welches die zur Erfüllung der Mission relevanten Anspruchsgruppen sind
und welche Anliegen und Bedürfnisse diese haben. Die externe Analyse umfasst neben der Definition der Zielgruppen auch die Identifikation potentieller Destinatäre
oder Projektpartner als wichtige Gruppe für die Vergabestiftungen (hands-off-Ansatz). Andererseits umfasst die externe Analyse eine intensive Auseinandersetzung
mit der Stiftungsumwelt, so z. B. den in Kapitel 8 beschriebenen Umweltsphären
"Politik", "Ökonomie", "Sozio-Kultur" und "Technologie". Die Kenntnis gesellschaftlich existierender, manifester Bedürfnisse oder Trends ("weak signals"), die
sich erst in Zukunft zu Bedürfnissen heranbilden können, ist elementar für eine optimale Ausrichtung und Voraussetzung der Wirkungserzielung der eigenen Stiftungstätigkeit.
Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt detailliert den analytisch-konzeptionellen Prozess der Wirkungsfeldspezifikation:
"Der Spezifikation ist eine sehr breite und grundlegende Recherchenarbeit
vorausgegangen. Wir haben gesagt, Schwerpunkt des Testaments ist das ‚So-
Externe
Analyse
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
294
ziale’, worauf wir das ganze soziale Gebiet angeschaut und darin 16 Teilbereiche gefunden haben, die wir in Form einer vier-mal-vier-Matrix dargestellt haben. Wir haben versucht, eine Struktur hineinzubringen, Kategorien
von Drogen, Flüchtlingen, Krankheiten bis zu Kindern. Und dann haben wir
systematisch Interviews mit Experten gemacht und Literaturrecherchen
durchgeführt etc. und dabei jedes dieser Gebiete intensiv untersucht. Bei jedem Gebiet haben wir untersucht, was die Bedarfslage und das Angebot ist.
Und bei den Drogen haben wir in unserer Stadt z. B. 93 Institutionen gefunden, die sich von der Prävention bis zum Entzug um dieses Thema kümmern.
Bei den Krankheiten haben wir gesehen, dass dies ein Gebiet ist mit allen
möglichen Fürsorgeformen wie Krankenkassen, Pro Infirmis usw. Da besteht
bereits ein hoher Versorgungszustand und es kümmern sich sehr viele Leute
darum. Stiftungen geben z. B. gerne Gelder für krebskranke Kinder. Das geht
so weit, dass diese Organisationen bereits nicht mehr wissen, was sie mit den
Mitteln machen sollen. So haben wir ein Gebiet nach dem anderen eliminiert
und hatten am Schluss drei Gebiete von 16, die wir etwas tiefer untersucht
haben. Dies waren Immigranten, Kinder und Langzeitarbeitslose. Die ganzen
Behinderungen beispielsweise haben wir ausser Acht gelassen, obschon die
sehr "attraktiv" sind, weil man mit Blindenhunden z. B. unheimlich an Gefühle appellieren kann. Dagegen gibt es andere Gebiete, da haben wir gemerkt, da setzt sich niemand ein. Bei den Flüchtlingen ist die Frage berechtigt, warum nicht Sudanesen, sondern Kurden. Da spielt sicher auch der Zufall mit. Es ist nicht alles systematisch. Beim Stiften ist immer ein Willkürmoment vorhanden, da muss man dazu stehen. Es ist anders als beim Staat,
wenn er etwas macht, muss er allen genau gleich viel zukommen lassen. Und
eine Stiftung kann sich erlauben zu sagen: ‚Nein, dass ist jetzt mein Gebiet.’
Bei uns ist einfach ein bisschen speziell, dass wir diese Selektion so systematisch gemacht haben und unsere Auswahl begründen können." (P7)
Ein Geschäftsführer einer anderen Stiftung beschreibt das Vorgehen bei der Auswahl
von Wirkungsfeldern folgendermassen:
"Im kulturellen Bereich haben wir eine ausgearbeitete Strategie. Dort haben
wir geschaut, was der Staat und was unser Kanton macht - die geben ja
wahnsinnig viel aus pro Kopf für Kultur, also etwa doppelt so viel wie Zürich
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
295
pro Kopf ausgibt. Für 40 Museen, für drei Sparten Theater und all das. Da
haben wir mal geschaut, was macht der Staat eigentlich nicht. Und der Staat
macht nichts in den Bereichen Literatur, Photo, Video, und neuen Medien,
also Internetkunst und ähnliches. Darum haben wir uns entschlossen, in diesen Bereichen etwas zu machen. Unsere Stadt gibt im kulturellen Bereich 100
bis 120 Millionen aus und wir können vielleicht drei bis vier Mio. einsetzen
im Jahr. Da müssen wir uns schon genau überlegen, wo wir das einsetzen nicht nur in ‚Kultur’, sondern schon spezifischer." (P26)
Eine gewissenhafte Wirkungsfelddefinition verhindert zudem folgende, von einem
Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschriebene Situation - und führt die in der
Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) propagierte Abstimmung mit anderen
Organisationen (Profit-, Non-profit- und staatlichen Organisationen) und eine Profilbildung konsequent weiter:
"Manche Organisationen haben einfach zu viele Mittel. Z. B. wissen manche
gar nicht mehr wohin mit dem Geld, weil es gar nicht so viele krebskranke
Kinder gibt, die Geld brauchen. Oder wenn Guido Zäch von der Paraplegiker
Stiftung CHF 20-30 Mio. sammelt und gar nicht genügend Querschnittsgelähmte hat. Es gibt einfach nicht genügend, um CHF 30 Mio. pro Jahr einzusetzen. Es gibt in der Schweiz pro Jahr 150 Querschnittgelähmte, da balgen
sich vier Kliniken darum [...]". (P7)
Dieses Zitat verdeutlicht, dass der Wille etwas Gutes zu tun, nicht der Massstab für
effektive Arbeit sein kann. Die Aufgabe einer Stiftung liegt vielmehr in der Befriedigung gesellschaftlicher Knappheiten (Æ Kap. 9.1.2 Mission, S. 233), die zwar auf
private Initiative zurückgehen, aber gesellschaftlich wirksam sind. Damit verbunden
ist, auf der Ebene der Wirkungsfelder, auch eine genaue, handlungsleitende Bedürfnisabklärung der Zielgruppe, wie ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung
bestätigt:
"Es sah am Anfang so aus, dass wir im Prinzip eine sehr wohlhabende und
gut situierte Stiftung sind, doch mittlerweile ist unser Kapital zusammengeschrumpft. Aus diesem Grund mussten wir extrem auf jeden Franken achten,
den wir ausgeben haben und das hat uns gezwungen, wirklich jeden Franken,
den wir ausgeben, maximal zu nutzen. Dadurch haben wir sicherlich zehn
Bedürfnisabklärung
Zielgruppe
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
296
Mal mehr Leute befragt, was sie nun für sinnvoller halten und welchen
Mehrwert wir als Stiftung liefern können. Ich sehe es leider bei sehr vielen
Stiftungen, die grosse Stiftungsvermögen haben, dass da erstmal sehr viel
einfach nur auf Grund der Vision des Gründers ausgegeben wird, ohne dass
man den Markt und Kunden einmal genauer befragt und mit einbezieht."
(P25)
Knappheitsidentifikation und Bedürfnisabklärung der Zielgruppe dürfen keinesfalls
nur einmalige Prozesse zu Beginn der Stiftungsarbeit sein. Eine stetige Reflexion und
- wie im obigen Zitat beschrieben - gegebenenfalls eine Anpassung der Wirkungsfelder sind Merkmale professionellen Stiftungsmanagements. Dass für eine wirkungsvolle Stiftungsarbeit die genaue Kenntnis und Identifikation der Bedürfnisse der Zielgruppen erforderlich ist, verdeutlicht auch folgendes Zitat:
"How can we establish a foundation that has a mission but get the things
done with a high social outcome? You need to be totally connected to your
client base. You need to know them inside out. You need to know exactly
where they’re at. That is the most important answer for us. We couldn’t possibly do what we do successfully, if we didn’t know each one of our clients.
We know everything about their business model, what works, what doesn’t
work, where their weaknesses are, where their strengths are and there’s
really a very close relationship. Foundations often make a mistake and this is
what we were headed down exactly that road is: ’I know what’s good for
them.’ […] And that is to me the absolute key, you absolutely need to know
what your market is, and listen to that. And I think that, as I said, most foundations are established by people who have a vision of who they are, what
they want for the world, but does the world want that from them.” (P11)
Eine systematische Analyse der Bedürfnisse der Zielgruppen und die "Grenzziehung"
des Wirkungsfeldes, das bearbeitet werden soll, können anhand folgender Kriterien
erfolgen:
1. Identifikation der Bedürfnisse der Zielgruppe
2. Beschaffung und Analyse von Zahlen und Fakten zum identifizierten
Wirkungsfeld
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
297
3. Reflexion über die Ursachen des Problems, damit die Stiftungsarbeit nicht
reine Symptombekämpfung bleibt
4. Analyse der Aktivitäten von Privatwirtschaft, öffentlicher Verwaltung und
anderen Organisationen im selben oder einem angrenzenden Wirkungsfeld
5. Abklärung des Finanzbedarfs
6. Identifikation Erfolg versprechender Massnahmen
7. Risikoanalyse der bestehenden und neuen Ansätze
Um an die nötigen Informationen einer umfassenden Wirkungsfeldspezifikation inkl.
der Zielgruppenbedürfnissen zu kommen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. So
können Interviews mit Beteiligten, Betroffenen oder bereits im Wirkungsfeld aktiven
Organisationen durchgeführt werden. Daten von öffentlichen Behörden, existierende
Literatur oder Projektergebnisse anderer Stiftungen in ähnlichen Bereichen bieten
ebenfalls einen hilfreichen Zugang. Ergänzend können Besuche vor Ort, bei ausgewählten Organisationen oder Experten erfolgen. Ein Stiftungsrat einer grossen Stiftung beschreibt die Identifikation von Förderschwerpunkten mit Hilfe eines Expertenworkshops folgendermassen:
"Wir haben jetzt drei grössere Projekte abgeschlossen und sind im Moment
noch dabei zu überlegen, wie wir weitermachen. Wir werden aus meiner Sicht
noch mehr strategisch proaktive Entscheidungen treffen, sicherlich in irgendeinem eher interdisziplinären, fächerübergreifenden Bereich. Dazu haben wir
jetzt auch die ersten Massnahmen beschlossen, so eine Art wissenschaftliches
Brainstorming von Experten, die einen weiten Horizont haben - und nicht
einmal alle sind aus unseren Fächern. Wir wollen einfach mal alle an einen
Tisch bringen - nicht mehr als zehn Leute - und fragen, was denn aus deren
Sicht besonders wichtig ist oder was man noch anpacken sollte. Dann wollen
wir überlegen, ob wir nicht in Zusammenarbeit mit seriösen Wissenschaftlern
zwei bis drei solcher Schwerpunktprogramme kreieren. Natürlich in dem Fächerspektrum, das unserem Förderbereich entspricht." (P8)
Ein Beispiel für die Identifikation von Wirkungsfeldern, das auch insbesondere die
Verknüpfung mit den Festlegungen der Stiftungspolitik illustriert und zudem die
nachfolgend zu treffenden Entscheidungen (Æ Kap. 10 Wertschöpfungsprozess, S.
Informationsquellen
298
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
326) thematisiert, liefert The Pew Charitable Trust (Anheier/Leat 2005, Kapitel 5.6,
S. 1 ff.).
Der von den Nachkommen von Joseph N. Pew und Mary Anderson Pew, Gründer der Sun
Oil Company, gegründete Pew Charitable Trusts (www.pewtrusts.com) hat zum Zweck, einen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesundheit und Wohlfahrt zu leisten, sowie die lokalen
Kommunen zu fördern. Der Trust unterstützt aktuell mit einem Vermögen von USD 4 Mrd.
Arbeiten in den sechs Bereichen [inhaltliche Eckpfeiler] Kultur, Ausbildung, Umwelt, Gesundheit, Politik und Religion. Daneben verfügt er über einen Venture Fund für Projekte, die
nicht in einen der Bereiche fallen. Bei der Projektselektion wird darauf geachtet, dass nicht
Symptome bekämpft werden, sondern Projekte zur Ursachenerforschung unterstützt werden. Im Wirkungsfeld "Gesundheit von Kindern" könnte der Trust eine traditionelle Förderung an ein Spital zuweisen, um ein Center zur Diagnose und Behandlung von chronischen
Kinderleiden zu unterstützen. Diese Förderung würde allerdings weder grosse systematische Veränderung im öffentlichen Gesundheitssektor nach sich ziehen noch das Verständnis dieser Krankheiten wesentlich stärken. Der Trust lancierte deshalb eine Initiative, um
das öffentliche Gesundheitssystem für chronische Kinderleiden zu stärken. Der Trust versuchte, Verknüpfungen zwischen Umweltfaktoren und chronischen Leiden aufzudecken, indem er ein nationales System aufbaute, das Informationen zur Nachforschung und Überwachung sammelt. Diese Erkenntnisse sollen die Basis für eine breit angelegte öffentliche
Bildungskampagne werden, um so Millionen von Kindern und ihren Eltern zu helfen.
Besondere Aufmerksamkeit bezüglich der Wirkungsfelddefinition ist bei unternehmensnahen Stiftungen geboten. Eine zu enge Verknüpfung zwischen Stiftungsstrategie und Unternehmenszielen könnte sowohl für die Unternehmung als auch für die
Stiftung negative Auswirkungen enthalten. Dabei besteht für die Stiftung die Gefahr,
dass sie von der Gesellschaft als reines Marketinginstrument des Unternehmens gesehen wird.
Zu den im Rahmen der Stiftungsstrategie festgelegten Wirkungsfeldern müssen verfeinert Ziele, Massnahmen und Instrumente der Durchführung entwickelt werden. Bei
der Spezifikation der Wirkungsfelder sind auch Entscheidungen zu treffen hinsichtlich der Æ Ressourcenallokation (Kap. 9.2.3, S. 305) zu den jeweiligen Schwerpunkten. Auch kann bereits zu Beginn eine zeitliche Begrenzung der Bearbeitung des Wirkungsfelds festgelegt werden (Æ Kap. 9.2.2 Förderdauer, S. 299) - oder zumindest
ein Zeitpunkt, an dem eine Entscheidung getroffen werden muss, ob und in welchem
Masse die gesetzten Ziele erreicht wurden und ob und in welcher Weise weiterhin in
diesem Wirkungsfeld gearbeitet werden soll. Diese Entscheidungen bilden das Gerüst
für die folgenden Aufgaben der Stiftungsstrategie.
Ressourcenallokation
vornehmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
299
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Bestimmung zentraler Wirkungsfelder.
48.
Welche Vorteile weist eine sorgfältige Spezifizierung von Wirkungsfeldern in
Abhängigkeit der Vorgaben aus der Stiftungspolitik (Mission) auf?
49.
Welche konkreten Wirkungsfelder der Stiftungstätigkeit werden spezifiziert?
50.
Welche externen Faktoren müssen bei der Spezifikation der Wirkungsfelder beachtet
werden?
51.
Welche Zielgruppen bieten das grösste Potential, die Mission im gewählten Wirkungsfeld am Besten umzusetzen?
52.
Wie erfolgt der Zugang zur identifizierten Zielgruppe, um die unverfälschten Bedürfnisse zu erfahren?
53.
Welche grundlegende Ressourcenallokation ergibt sich aus der Spezifikation der Wirkungsfelder?
9.2.2
Definition strategischer Gestaltungsalternativen
Nach der erfolgten Konkretisierung des Wirkungsfeldes (auf Stiftungsebene) gilt es,
die Handlungsoptionen und Strategiealternativen sowie das Leistungsangebot auf der
Projektebene zu entwickeln. Das "Wie" umfasst dabei die Wahl der Methoden und
Instrumente zur Bearbeitung der Wirkungsfelder (Wo). Die strategischen Alternativen und das Leistungsangebot einer Stiftung basieren stark auf den Festlegungen der
Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) und sind in Abhängigkeit des spezifizierten
Wirkungsfelds auszugestalten.
Die politischen Festlegungen bezüglich Interventionslevel (Æ Kap. 9.1.3 inhaltliche
Eckpfeiler, S. 239), Förderansatz und Förderengagement (Æ Kap. 9.1.4 Förderpolitik, S. 247) sind aufzunehmen und zu konkretisieren, so dass konsistente, zueinander
passende Festlegungen getroffen werden. Insbesondere mit den weiteren zu treffenden Festlegungen der Förderinstrumente und der Förderhöhe ergibt sich so ein "Angebot" an potentiellen Projektpartner, das eine optimale Wirkungserzielung gewährleistet.
Der oben zitierte Pew Charitable Trust verfolgt z. B. mit den Projekten zur Ursachenforschung die Interventionslevel "Forschung" und "Netzwerk". Er verfolgt also mehrere Interventionslevels, wie es in der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) auch er-
Festlegungen
aus der
Politik
aufnehmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
300
wähnt wurde. Für jedes Wirkungsfeld oder gar für einzelne Projekte können - bei den
entsprechenden Voraussetzungen der Stiftung (Fähigkeiten und Ressourcen) - spezifische Entscheidungen hinsichtlich des Interventionslevels getroffen werden, die optimalerweise ineinander greifen (Nutzung von Synergien). Der Trust geht überwiegend
als "Social Investor" vor. So wie das Thema "Gesundheit von Kindern" als Wirkungsfeld begründet und die Ziele beschrieben wurden, kann der Trust in diesem Bereich als "Social Entrepreneur" klassifiziert werden, d. h. er lancierte proaktiv dieses
Projekt und engagiert sich darüber hinaus offensichtlich auch inhaltlich stark für das
Informationssystem und die Bildungskampagne. Aus der kurzen Fallstudie geht nicht
hervor, wie der Trust die Themen Förderinstrument und -höhe beantwortet.
Mögliche Förderinstrumente sind grundsätzlich folgende - soweit sie nicht durch die
Stiftungsurkunde ausgeschlossen oder vorgeschrieben sind:
ƒ direkte Dienstleistungen für die Zielgruppen
Festlegungen
zu den
Förderinstrumenten
treffen
ƒ direkte finanzielle Beiträge für Bedürftige
ƒ Preise
ƒ Stipendien
ƒ Projektfinanzierungen
ƒ Infrastrukturfinanzierungen
ƒ Einrichtung eines Fonds zur permanenten Förderung einer Aktivität
ƒ niedrig verzinste Darlehen oder Bürgschaften
Bei der Wahl der Förderinstrumente ist die Abstimmung mit den o. g. Festlegungen
zum Förderansatz und dem -engagement von Bedeutung. So ist z. B. für einen "Social Entrepreneur" das Instrument des direkten finanziellen Beitrags für Bedürftige
weniger geeignet als eine längerfristige Projektfinanzierung, auch weil es sich meist
um langfristig angelegte, komplexe Themen handelt. Der Pew Charitable Trust wird
bei seinen Aktivitäten überwiegend ebenfalls eine Projektfinanzierung wählen. Da er
im Gesundheitsbereich z. B. keine Zentren für Diagnose und Behandlung unterstützt
(s. o.), führt er wohl keine Infrastrukturfinanzierungen durch, was ebenfalls zum Ansatz eines "Social Entrepreneurs" und der erwähnten Bildungskampagne passt.
Förderansatz
und
engagement
abstimmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
301
Die unten zitierte Stiftung führte bei ihren potentiellen Destinatären eine Befragung
durch - und als Folge der Ergebnisse der Befragung passte die Stiftung ihr Förderinstrument an die Bedürfnisse der Destinatäre an:
Bedürfnisse
der
Destinatäre
erfassen
"Am Anfang haben wir einen Preis von 1 Million Dollar vergeben. Sehr bald
wurde uns jedoch gesagt, dass das überhaupt nicht der sinnvollste Nutzen ist,
den die Stiftung bieten kann. Wir haben unsere Zielgruppe im ersten Jahr befragt und die haben gesagt: ‚Vergesst den 1-Million-Dollar-Preis, wir wollen
lieber an eure Konferenz, wir wollen zu den regionalen Meetings, wir wollen,
dass ihr uns mit den entsprechenden Leuten in Kontakt bringt und mit Glück
können wir unsere Million selber zusammenbringen’. So wurde dann unsere
Strategie komplett geändert." (P25)
Bei den Förderinstrumenten muss sich eine Stiftung zudem entscheiden, ob sie prinzipiell die Förderung alleine durchführen möchte oder z. B. in Form eines "matching
grants", bei dem ein gewisser Beitrag zugesichert wird, falls der Antragssteller noch
zusätzliche Leistungen von anderen Institutionen akquirieren kann. Auch hier müssen
die Festlegungen vor dem Hintergrund getroffen werden, wie in einem spezifischen
Wirkungsfeld am ehesten die erwünschte Wirkung erzielt werden kann. Ein Stiftungsmanager umschreibt diese Problematik treffend:
"Bei krebskranken Kindern ist nicht das Geld das Problem. Es geht darum,
solches Leid aushalten zu können, ohne wirklich helfen zu können. Das ist
wahnsinnig schwierig für einen Menschen, das auszuhalten. Mit Geld können
Sie nichts machen. Aber z. B. fliegen die Kinder in ein griechisches Hotel drei
Wochen lang, ein 4-Sterne-Hotel, mit Krankenschwester und Arzt und allem
zusammen und geniessen ein wenig die Freude." (P7)
Eine zentrale Entscheidung für eine hohe Wirkung der Stiftungsarbeit insgesamt und
gerade im Bereich der Definition strategischer Gestaltungsalternativen ist die Förderhöhe i. S. der Aufteilung der Ressourcen innerhalb eines Wirkungsfeldes in viele
kleinere oder wenige grössere Projekte (Förderstruktur). Bereits in der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) wurde gegen zu starre sog. "funding rules" Stellung bezogen, denn die Höhe der Förderung muss sich grundsätzlich nach der Art des spezifischen Projekts richten. Oft ist es so, dass kleinere Förderungen nicht so effektiv sind,
während bei grösseren Projekten eher ein Leverage erzielt werden kann. Dennoch
Förderhöhe/
Förderstruktur
konkretisieren
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
302
kann es sein, dass durch eine kleine Anschubfinanzierung ein sehr wirkungsvolles
Projekt unterstützt werden kann - ein Gedanke, der auch bei der Aufgabe der Identifikation von möglichen Kooperationspartnern wieder aufgenommen wird. Die Projekte
mit hohem Potential zu erkennen, ist die "Kunst der Philanthropie".
Ebenfalls wichtige Entscheidungen sind bezüglich des geographischen Aktivitätsradius zu treffen. Es muss sowohl die Kapitalausstattung einer Stiftung als auch die zu
erfüllende Mission für diese Entscheidung beachtet werden. Die zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen können den in Frage kommenden Aktivitätsradius
massgeblich beeinflussen. Ein Stiftungsratspräsident verdeutlicht diesen Zusammenhang:
"Sie müssen sich in Anbetracht der Grösse der Stiftung einen gewissen Rahmen definieren, d.h. die zu vergebenden Mittel, den Stiftungszweck und die
Ziele, die man erreichen möchte, auch regional einschränken und sich innerhalb des Rahmens entscheiden. Vielleicht haben Sie am Anfang des Jahres
ein grosses Gesuch, welches Sie bewilligen und besitzen dann nachher nur
noch einen relativ bescheidenen Spielraum für den Rest des Jahres." (P22).
Eine engere Fassung des geographischen Aktivitätsradius kann neben einer grösseren
Visibilität für die Stiftung zu einem besseren Verständnis der lokalen Gegebenheiten
und zu einem grösseren Mitteleinsatz führen. Ein grösserer geographischer Radius
verlangt oftmals auch entsprechende, lokal-kulturell unterschiedliche Fähigkeiten und
Kenntnisse. Auch auf die Evaluation von Projekten hat der Radius Auswirkungen,
wie ein Geschäftsführer beschreibt:
"Wir möchten dem Stiftungsrat die Definition so genannter Kernländer empfehlen, aus der Überlegung heraus, dass wir im Moment 35 Projekte in 30
Ländern haben. Wenn dies so weiter geht, werden wir plötzlich mal 50 Projekte in 50 Ländern haben und dann kann man nicht mehr alle kontrollieren
gehen, die Evaluation vor Ort wird verunmöglicht. Also haben wir gesagt, es
wäre sinnvoll, wir würden prioritäre Länder nennen, bei denen wir das Gefühl haben, dass es angenehm ist, dort zu arbeiten und die wichtig bezüglich
eines grossen Impacts sind. Deshalb schlagen wir dem Stiftungsrat pro Kontinent ein so genanntes Schwerpunktland vor, bei dem man dann nicht ein
Projekt pro Land hat, sondern vielleicht fünf oder sechs. In der operativen
Geographischer
Aktivitätsradius
festlegen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
303
Evaluation bedeutet das nachher, dass du in das Land gehst und anstatt drei
Tage Projektbesuche vielleicht zehn Tage hintereinander machen kannst, dafür kannst du auf einen Schlag alle besuchen gehen. Wir erarbeiten jetzt Vorschläge, welche Länder dies aus unserer Sicht wären. Und da gibt es nicht
1000 in Lateinamerika und in Afrika. Da gibt es zwei oder vielleicht drei.
Und entscheiden tut nachher wieder der Stiftungsrat. Wir machen sicher eine
Empfehlung, aber den Entscheid fällt der Stiftungsrat." (P24)
Entscheidungen müssen auch bezüglich der Förderdauer getroffen werden - was
massgeblich von den vorherigen Entscheidungen abhängt. Das Spektrum reicht dabei
von Einmalzahlungen oder limitierter Dauer bis hin zu langfristigen oder permanenten Förderungen von Destinatären. Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung
umschreibt die dazu geführten Überlegungen folgendermassen:
"Wir sind etwas an den Anschlag gekommen, als im Jahre 2001 resp. 2002
die Börseneinbrüche kamen und wir weniger Fördermittel zur Verfügung
hatten. Das Problem dabei war, dass wir keine Mitförderer finden konnten
und vor allem keine Anschlussförderer für Projekte, bei denen unsere Förderung auslief. Im Jahre 1998, als ich angefangen habe, war das Credo, ein
Projekt auf fünf Jahre zu machen und dass nach diesen fünf Jahren das Projekt sich selber finanzieren können muss. Wenn nicht, finden wir schon einen
Anschlussförderer. Oder wir machen eine Kooperation. Und dann mussten
wir nach 2 Jahren sehen, dass das nicht funktionieren kann, weil die anderen
auch kein Geld haben. Und darum hat das zur Folge gehabt, dass wir jetzt
nicht mehr eigene Projekte aufbauen, bei denen man z. B. Computer anschafft, Wohnungen mietet oder Leute anstellt, sondern lediglich solche, die
auslaufen können und nachher trotzdem ein Erfolg sind und nicht nur, weil es
nachher nicht mehr weiter geht, ist es ein Misserfolg. Letztlich ist es auch
günstiger und weniger kostenintensiv." (P26)
Man muss schliesslich festlegen, ob die Förderung durch eine Einmalzahlung oder
durch kleinere Etappen mit grösserer Wirksamkeitskontrolle erfolgen soll. Bei länger
andauernden Projekten oder gar unbeschränkten Förderungen ist es üblich, jährliche
Rechenschaftsberichte einzufordern und das Sprechen weiterer Gelder vom bisherigen Projektverlauf abhängig zu machen.
Förderdauer
abstimmen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
304
Ein beschränktes zeitliches Engagement eröffnet die Möglichkeit, neue Aktivitäten
und Wirkungsfelder zur Erfüllung der Mission bei allfälligen Veränderungen in den
Umweltsphären aufzugreifen. Damit wird auch eine mögliche Trägheit der Empfängerinstitution verhindert, da diese nicht von vornherein stetig mit den Förderungen
rechnen kann. Diese beschränkte Förderzeit übt Druck aus, Resultate zu erzielen. Auf
der anderen Seite kann dieser Umstand jedoch zu finanzieller Unsicherheit und Planungsschwierigkeiten bei den Partnern führen. In beiden Fällen muss mit der Förderung bedacht werden, dass der Anreiz nicht bei kurzfristigen, evtl. sogar suboptimalen Resultaten liegt, sondern die langfristige Wirkung im Zentrum steht.
Die Stiftung muss sich in diesem Zusammenhang klar werden, ob ein Return durch
die Förderaktivitäten erwartet wird, wobei dies für den Stifter eine Frage von "Ruhm
und Ehre" sein kann und für die Stiftung eine Frage der Reputation und Profilierung.
Die Förderung durch eine Stiftung kann durchaus als ein Gütesiegel für den Projektnehmer darstellen. So gelten z. B. die Stipendien der Gerda Henkel Stiftung im Bereich der Geschichtswissenschaften als sehr anerkannte Auszeichnung, die als Leistungsausweis für die weitere Karriere vorgewiesen werden können. Ein anderer Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung formuliert diesen Anspruch so:
"Ich sag es jetzt aus meiner Sicht - wir wollen ein intelligenter, verlässlicher
Partner sein für eine Vielzahl von Projekten in vier Förderbereichen mit den
Untersparten und wir wollen für diese Projekte auch ein Markenzeichen sein
für Qualität - und vielleicht auch für originelle Projektauswahl stehen." (P26)
Problematisch kann es allerdings werden, wenn die Förderaktivitäten lediglich zu einem Austausch von Geld gegen Publizität und Reputation werden. Es kann leicht zu
einer Störung des Gleichgewichts zwischen privater Initiative und der Förderung von
gesellschaftlichen Anliegen kommen.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Definition strategischer Gestaltungsalternativen:
54.
Welche Bestimmungen aus der Stiftungspolitik und der Spezifikation der Wirkungsfelder haben massgeblichen Einfluss auf die Ausarbeitung der strategischen Gestaltungsalternativen je Wirkungsfeld?
55.
Welche Förderinstrumente unter Beachtung der Vorgaben aus der Stiftungspolitik stehen grundsätzlich zur Verfügung, um das jeweilige Wirkungsfeld zu erschliessen?
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
305
56.
Welche grundsätzlichen Förderansätze und -engagements wurden in der
Stiftungspolitik festgelegt, die zur Bearbeitung des jeweiligen Wirkungsfelds herangezogen werden können?
57.
Wie lauten die Bedürfnisse und Erwartungen der potentiellen Destinatäre (Projektpartner) in Bezug auf die Förderinstrumente und weiterer Massnahmen (Förderengagement, z. B. Coaching)?
58.
Welche Förderstruktur/-dauer für das Wirkungsfeld bzw. welche Förderhöhe für einzelne Projekte bieten sich zur Bereitstellung eines zielführenden Gesamtpakets an?
59.
Welche geographische Fokussierung bietet sich zusätzlich zur Einschränkung durch
die Mission und der inhaltlichen Eckpfeiler innerhalb eines Wirkungsfeldes an?
9.2.3
Analyse notwendiger Fähigkeiten und Ressourcen
Um die Wirkungsfelder effektiv bearbeiten zu können, müssen - teilweise parallel Überlegungen zu den benötigten Fähigkeiten und Ressourcen angestellt werden (vgl.
z. B. Fähigkeiten zur Bearbeitung eines Wirkungsfelds, Ressourcenallokation). Ressourcen bestehen einerseits aus materiellen Mitteln wie Geld oder Infrastruktur, andererseits zählen auch immaterielle Mittel wie Kontakte, Wissen, Zugang zu Netzwerken oder zu potentiellen Zustiftern zu den Ressourcen. Die Funktion einer Stiftung,
Ressourcen zu beschaffen, zu mobilisieren, sowie die einzelnen Ressourcen zur effektiven Projektbearbeitung zu kombinieren, beruht auf entsprechenden "Management"-Fähigkeiten.
Ausgehend von den definierten Wirkungsfeldern einer Stiftung ist ein Soll-Profil an
Fähigkeiten und benötigten Ressourcen zu spezifizieren, die für eine kompetente Bearbeitung der Mission, der Wirkungsfelder und die entsprechenden Vollzugsprozesse
im Bereich der Wertschöpfung (Æ Kap. 10 Wertschöpfungsprozess, S. 326) unerlässlich sind. Dabei sollte beachtet werden, dass je nach Festlegung im Bereich des Förderansatzes und -engagements, der Förderinstrumente, der Förderdauer, der Förderhöhe und des geographischen Aktivitätsradius unterschiedliche Fähigkeiten und Ressourcen bereitgestellt werden müssen.
Ein Stiftungsratspräsident umschreibt die Notwendigkeit dieses "Wissens wie" in einem bestimmten Wirkungsfeld folgendermassen und bestätigt damit, dass in der sog.
strategischen Philanthropie zunehmend gilt: Wissen, und nicht Geld, ist die tatsächliche "Währung" zur Erreichung sozialen Wandels:
Soll-Profil
spezifizieren
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
306
"Professionalisierung kommt meines Erachtens erst, wenn sie auf Grund einer gewissen vorherrschenden Infrastruktur, einer gewissen Art wie sie die
Gesuche beurteilen, versuchen der Qualität des Gesuchs auf die Spur zu
kommen. Auf der anderen Seite sollte man mit der "Subvention" versuchen,
dahingehend zu wirken, dass die Qualität dessen, was nachher entsteht, verbessert wird. Sie können Geld - das gilt vor allem im sozialen Bereich - einfach reintropfen lassen und dann passiert etwas Dummes. Gerade im sozialen
Bereich ist die Gefahr sehr gross, dass unterbeschäftigte Sozialarbeiter sich
irgendeine Idee ausdenken und dann kommen sie und wollen Geld. Es kann
sogar kontraproduktive Auswirkungen haben. Und da verlangt dann die Professionalisierung der Stiftung, dass sie etwas versteht von Sozialarbeit und
die Lücken kennt im sozialen Netz. Dass Ziel ist nicht, dass sie z. B. mit einer
Subvention einfach Geld irgendwo reinsteckt, wo der Staat eigentlich tätig
werden müsste, wenn man nur das richtige Formular ausfüllt. Oft ist es so,
dass die Leute bei uns dastehen und Geld wollen. Nur, wenn man die Sache
genau anschaut, sieht man, dass sie beim Ausfüllen des richtigen Formulars
Anspruch auf Beihilfe hätten. Häufig müssen nur die richtigen Unterlagen bei
der IV eingereicht werden, dann wird z. B. dieses Heim subventioniert und
dann braucht es uns gar nicht mehr. Das ist Professionalität in diesem Bereich - zu erkennen, wo es uns braucht und wo nicht. Und das setzt dann eine
gewisse Infrastruktur oder auch entsprechende Ausbildung des betreffenden
Geschäftsführers voraus. Das ist das Problem einer Stiftung, die sich nicht
einen riesigen Beraterstab leisten kann. Wie soll sie sich professionalisieren,
ohne dass sie einen gewaltigen Apparat aufbaut für all diese verschiedenen
Wirkungsfelder? Und das zwingt dann eben auch wieder zur Eingrenzung."
(P3)
Zur Umsetzung der politischen und strategischen Vorgaben braucht es im weiteren
Verlauf, insbesondere im Æ Wertschöpfungsprozess (Kap. 10, S. 326), spezifische
Fähigkeiten und Ressourcen. So bedarf es z. B. für die Verfolgung von Ansätzen der
internationalen Philanthropie andere Fähigkeiten als für Projekte auf kommunaler
Ebene. Dieses Soll-Profil wünschbarer Fähigkeiten und Ressourcen zur Bearbeitung
eines Wirkungsfelds muss dem Ist-Profil verfügbarer Fähigkeiten und Ressourcen
gegenübergestellt werden. Die Notwendigkeit von entsprechenden Fähigkeiten zur
wirkungsvollen Umsetzung der Mission beschränkt sich nicht nur auf operative Stif-
Ist-Profil
gegenüberstellen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
307
tungen, auch Vergabestiftungen müssen selbst die Fähigkeit besitzen, die Kompetenz
anderer, ihrer potentiellen Partner, durch die eine Stiftung überhaupt erst Wirkung erzielt, möglichst präzise und eindeutig zu erfassen und zu bewerten (vgl. Weger 2003).
Deshalb müssen mit Hilfe einer internen Analyse die in der Stiftung bestehenden und
historisch entwickelten Fähigkeiten (Kernkompetenzen) und Ressourcen identifiziert
werden.
Daraus kann der Qualifizierungs- und Entwicklungsbedarf einer Stiftung abgeleitet
werden, d. h. eine Spezifikation der zusätzlich benötigten, noch aufzubauenden oder
zu akquirierenden Fähigkeiten und Ressourcen. Ressourcen müssen dabei keinesfalls
immer innerhalb der Stiftung vorhanden sein, denn auch ein temporärer und situationsspezifischer Beizug von externem Know-how kann durchaus auch zielführend
sein, wie ein Stiftungsrat einer grossen Stiftung bestätigt:
"Und das hat auch den zusätzlichen Aspekt, dass eine Stiftung, die ein relativ
überschaubares Gebiet pflegt, eher eine eigene Expertise hat. Wir können eigentlich die meisten Dinge im eigenen Hause lösen, mit unserem Beirat und
ein paar Leuten, die wir kennen. Es gibt da allerdings Stiftungen, die ganz
anders arbeiten, wie zum Beispiel die XY Stiftung. Ein englischer Studienfreund hat so ungefähr 15 Jahre diese Stiftung geleitet, die hatten grundsätzlich gar keinen wissenschaftlichen Beirat, sondern die holen zu jedem Projekt
externe Expertisen ein." (P19)
Eine umfassende Strategie hilft einer Stiftung zu bestimmen, wo sie innerhalb ihrer
Mission den grössten Beitrag mit dem eingesetzten Kapital leisten kann. Mit anderen
Worten sollte sich eine Stiftung die intern bestehenden Stärken und Schwächen verdeutlichen. Damit eine Strategie effektiv sein kann, muss sie neben den beschriebenen internen Fähigkeiten und Ressourcen auch die externen Chancen und Gefahren
evaluieren. Ein nützliches Tool zur strukturierten Analyse der internen Fähigkeiten
und der in Kapitel 8 (S. 209) beschriebenen externen Gegebenheiten ist die SWOTAnalyse. Die SWOT-Analyse unterstützt die systematische Suche nach Stärken und
Schwächen der Stiftung und stellt sie den Chancen und Gefahren des Umfeldes gegenüber. Die Stärken und Schwächen sind stiftungsinterne Faktoren, die beeinflusst
werden können. Chancen und Gefahren dagegen sind externe Faktoren, auf die die
Stiftung nur beschränkt einwirken kann.
Ressourcenbedarf
identifizieren
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
308
Darüber hinaus muss sich eine Stiftung basierend auf dieser Fähigkeitenanalyse Gedanken über die vertikale Wertschöpfungstiefe machen, d. h., was will eine Stiftung
Wertschöpfungstiefe
selbst durchführen oder welche strategisch nicht relevanten Aktivitäten können ausgelagert (Outsourcing, z. B. Finanzanlage, IT-Betreuung) oder in Form von Kooperationen erstellt werden (Æ Kap. 11 Supportprozesse, S. 382).
Die erforderlichen Entscheidungen der Allokation von Ressourcen zu Wirkungsfeldern und Projekten müssen dabei unter Beachtung der gesamten Stiftungsaktivität erfolgen. Einerseits binden bestehende Verpflichtungen Ressourcen, andererseits erfordern mögliche weitere Wirkungsfelder zur effektiven Bearbeitung ebenfalls Ressourcen. Bei den finanziellen Ressourcen bedarf es der Abstimmung von strategischen
Festlegungen und den Entscheidungen des Æ Finanzmanagements (Kap. 11.1, S.
384). Die umfangreichen Zusammenhänge werden im folgenden Zitat eines
Stiftungsexperten einer Stiftung verdeutlicht:
"Also wenn man den Zweck hat, dann muss man ja auch einen Finanzplan
machen. Und im Rahmen des Finanzplanes muss man wahrscheinlich für die
Zukunft sagen, wir haben drei Unterzwecke: Soziales, sage ich jetzt einmal,
Musik und weiss ich nicht was. Wie viel investieren wir in den nächsten drei,
vier Jahren in welche Bereiche hinein? Evtl. steht dann in der Urkunde drin,
es darf nur der Ertrag gebraucht werden. Das entspricht doch der Passivseite. Dann muss man doch die Aktivseite mit einer Strategie ausgestalten,
mit der man nachweisen kann, dass man die Passivseite in den nächsten drei
Jahren abdecken kann. Und da braucht es eine Anlagestrategie, also wie es
jetzt die Pensionskassen machen, dass die Aktivseite mit der Passivseite
übereinstimmen muss. Und eigentlich analog ist es auch bei einem solchen
Finanzplan bei einer Stiftung, die Vergabungen macht. Die Aktivseite, die
Assets, kann man je nach Risiko, welches man fährt, berechnen, wie viel
Ertrag ungefähr rausschaut. Und dann sagt man und hier haben wir unsere
Planung für die Vergabungen in Zukunft und dann muss das ja einigermassen
übereinstimmen. Man kann ja da nicht mündelsicher anlegen und dann
Vergabungen
machen
wollen,
voraussetzen würden." (P18)
die
irgendwie
zehn
Prozent
Ertrag
Ressourcenallokation
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
309
Um dem Fähigkeiten- und Ressourcenanspruch einer professionellen Stiftung gerecht
zu werden, stellen sich besonders für den Stiftungsrat spezifische Anforderungen.
Hierbei gilt es, die für die Umsetzung der Mission erforderlichen Fähigkeiten im
Stiftungsrat abzubilden. Im Supportprozess Æ HR-Management (Kap. 11.5, S. 434)
werden die Fähigkeiten des Stiftungsrats (Soll-Profil) ausführlich beschrieben. Ein
Stiftungsexperten definiert allgemein die notwendigen Fähigkeiten in einer Stiftung
wie folgt:
"Es gehört für mich dazu, dass ich Fähigkeiten habe, Wissen habe, um die
Vermögensverwaltung beurteilen zu können. Dazu gehört für mich, dass ich
das Wissen und die Fähigkeiten habe, über die Verwendung der Mittel im
Rahmen vom Stiftungszweck zu entscheiden. Wenn in der Stiftung Personal
vorhanden ist, muss ich als Stiftungsrat gewisse Führungsfähigkeiten haben,
auch wenn vielleicht ein Direktor oder was auch immer eingesetzt ist. Bei
dieser Stiftung habe ich zwar einen Geschäftsstellenleiter und Direktor, aber
als Stiftungsratspräsident bin ich doch stets verantwortlich." (P22)
Stiftungsräte benötigen neben diesen Fähigkeiten sicher auch ein hohes Mass an
Identifikation mit der verfolgten Mission sowie genügend zeitliche Ressourcen für
eine intensive Auseinandersetzung mit der Stiftungsarbeit. Ein professionelles Management, das sich durch intensive Beschäftigung mit der Materie auszeichnet, sollte
nicht nur für Verwaltungsräte in Profit-Unternehmen, sondern auch in Stiftungen
selbstverständlich sein.
"Also Professionalität heisst für mich, dass ich etwas verstehen muss von
dem, was ich mache. Das heisst nicht, dass Stiftungen einen riesigen Verwaltungsapparat brauchen. Wenn ein Stiftungsrat etwas von dem versteht, was er
da fördert, dann kann er das professionell machen, ohne dass er einen Geschäftsführer hat. Professionell heisst, er versteht etwas davon und er nimmt
das auch ernst. Er weiss, was er damit bewirkt. Die Finanzanlage ist dann
nicht das Professionelle alleine bei einer Stiftung, das ist ein Teil, das ist
quasi die Inputseite. Die Outputseite war eigentlich das Ziel des Stifters. Und
dort finde ich, dort muss ich den Massstab der Professionalität anlegen. Da
gibt’s einfach sehr viele Leute, die nichts davon verstehen. Das hängt vielleicht auch ein wenig damit zusammen, dass man für Stiftungen tendenziell
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
310
gerne Juristen nimmt. Das ist dann einfach zum Teil schwierig, weil die Juristen neigen ein bisschen zum Verwalten. Wobei es auch Juristen gibt, die
sich eben Wissen aneignen können." (P5)
Die Notwendigkeit entsprechender Fähigkeiten in einer Stiftung verdeutlicht auch
folgendes Zitat:
"Wenn ein Stifter einen gewissen Zweck verfolgt und dann völlig ungeeignete
Leute einsetzt, gut, dann kann man sagen, das war dessen Wille, weil es sein
Freund ist, da kann man nicht viel machen. Aber dort, wo man die Möglichkeit hat, sollte man doch schauen, dass der Stiftungsrat auch ein wenig Fachkenntnis in diesem Bereich hat und nicht nur die Ehre im Vordergrund steht.
Wenn es eine Sportstiftung ist, sollte man halt auch einen Sportler dort drin
haben. Der versteht doch was von der Materie und hat wahrscheinlich Zugang zu diesem Bereich." (P18)
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Analyse notwendiger Fähigkeiten und Ressourcen:
60.
Wie lautet das das Soll-Profil der Fähigkeiten und Ressourcen zur "maximalen" Bearbeitung des jeweiligen Wirkungsfelds?
61.
Welche Fähigkeiten und Ressourcen stehen derzeit zur Verfügung unter Beachtung
gebundener Fähigkeiten und Ressourcen zur Bearbeitung anderer Wirkungsfelder
oder längerfristiger Projekte?
62.
Welche Fähigkeiten und Ressourcen müssen für eine optimale Bearbeitung der Wirkungsfelder aufgebaut oder hinzugewonnen werden - in Abhängigkeit der "Wertschöpfungstiefe" der Stiftung?
63.
Welche nicht selber vorgehaltenen Fähigkeiten und Ressourcen werden über
Kooperationen erschlössen?
9.2.4
Identifikation von Kooperationsfeldern und -partnern
Eng mit der Aufgabe der Kompetenz- und Ressourcenanalyse ist die Identifikation
notwendiger Kooperationsfelder und -partner hinsichtlich eine optimalen Stiftungsarbeit verknüpft (Æ Kap. 11.4 Kooperationsmanagement, S. 427). Dabei gilt es,
Partnerschaften mit Organisationen oder Personen anzustreben, die zur wirkungsvollen Bearbeitung des Wirkungsfeldes beitragen können. Ein Stiftungsratspräsident ei-
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
311
ner mittelgrossen Stiftung umschreibt illustrativ, wie er die fehlenden internen Fähigkeiten zur Bearbeitung eines definierten Wirkungsfeldes mit Hilfe von Kooperationen
kompensiert:
"In diesem Feld hat man eigentlich keinen ‚langen Löffel’, um das überhaupt
zu beurteilen. Deswegen haben wir dann gesagt, wir arbeiten in diesen Beziehungen lieber mit dem Fonds Landschaft Schweiz zusammen. Dort ist das
nötige Know-how gepoolt. Dies ist ein Mechanismus, wie wir entweder den
Fond Landschaft Schweiz entlasten, in dem wir gewisse Kosten übernehmen
oder dass wir das Projekt, wenn es besonders gut ist, zusätzlich fördern können, indem wir zu den Mitteln, die der Fonds Landschaft Schweiz gibt, auch
unsere Mittel dazu legen. So können wir von diesem Know-how profitieren
und in diesem Bereich mitwirken. Es ist uns ein wesentliches Anliegen, dass
dort, wo wir unterstützen, es wirklich den Zweck erreicht und nicht irgendwie
versickert." (P3)
Kooperationsstrategien sollten bei jeglichen Positionierungsentscheidungen geprüft
werden, denn sie sind insbesondere dann sinnvoll, wenn durch ein Pooling von Res-
Kooperationsstrategie
festlegen
sourcen (z. B. Fähigkeiten, Zeit, Geld) eine "kritische Masse" erreicht werden kann,
die ein solches Wirkungsfeld zunehmen auch für andere attraktiv erscheinen lässt
(Signaling-Effekt, Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455). Deshalb bilden strategische
Initiativen zur Vernetzung mit anderen Förderinstitutionen und zur Bildung von Kooperationen bei der Realisierung grösserer Fördervorhaben zwecks Erreichung einer
kritischen Masse einen zentralen Gegenstand einer Stiftungsstrategie. Durch diese
Überlegungen ist es auch für kleinere Stiftungen möglich, Veränderungen zu initiieren. Auch kleine Stiftungen können durch relativ geringe Beiträge ein Projekt anstossen und, wie folgendes Beispiel aufzeigt, eine bedeutende gesellschaftliche Wirkung
erzielen.
Eine kleine Schweizer Stiftung verfolgt gemäss Stiftungsurkunde einen wohltätigen, gemeinnützigen, religiösen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder vaterländischen Zweck
und nimmt hierzu jährliche Ausschüttungen von CHF 250'000 bis 350'000 bei einem Vermögen von CHF 4 bis 5 Mio. vor. Der Stiftungsrat besteht aus Nachkommen des Stifters,
die Geschäftsführung wird vom Stiftungsratspräsidenten ehrenamtlich vorgenommen. Es
wird versucht, Förderungen da vorzunehmen, wo eine gewisse persönliche Nähe vorliegt
und wo etwas angestossen werden kann. Beispielsweise kam der Antrag für den Aufbau
einer Dorfbibliothek, wobei ein für die verfügbaren Stiftungsmittel relativ grösserer Betrag
zugesprochen wurde. "Dies hatte dann zu Folge, dass durch unsere Förderung auch an-
kritische
Masse
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
312
dere das Vorhaben unterstützten. Die Gemeinde hat beispielsweise materielle Ressourcen
und sogar personelle Ressourcen freigegeben.", beschreibt der Stiftungsratspräsident die
Initialfinanzierung. Ein weiteres Beispiel derselben Stiftung: Die Geschäftsleitung des botanischen Gartens einer Stadt hatte die Idee, die Beschilderungen bei den einzelnen Gewächsen zu erneuern. Zu diesem Zweck stellte er einen Antrag an die Stiftung zur Finanzierung eines Grundprojektes. Nach einer Potentialabklärung unterstützte die Stiftung das
Vorhaben und sprach einen Beitrag zu. Dank dieser Förderung konnten ein Konzept zur Finanzierung und tatsächliche Finanzierungsquellen attrahiert werden. Durch diese Initialzündung konnten weitere Geldquellen wie z. B. der Lotteriefonds sowie andere Stiftungen
und Vereine erschlossen werden. Diese zwei Beispiele verdeutlichen, dass durch relativ geringe Beiträge von Stiftungen durchaus etwas in Bewegung gesetzt werden kann, woraus
mehr entsteht.
Kooperationsüberlegungen für eine Stiftung können bei allen im Foundation Excellence-Cockpit beschriebenen Dimensionen angestellt werden. So gilt es insbesondere
im Gestaltungsprozess, im Wertschöpfungsprozess sowie in den Unterstützungsprozessen, nach Kooperationsmöglichkeiten zur effektiveren und effizienteren Bearbeitung der entsprechenden Herausforderungen zu evaluieren. Hierbei bedarf es einer
grundsätzlichen Festlegung, ob die jeweiligen Wirkungsfelder mit einem Partner und
dessen jeweiligen Fähigkeiten und Ressourcen bearbeitet werden sollen oder ob eine
besonders geeignete Gruppe wie privatwirtschaftliche Unternehmen, staatliche Organisationen oder Non-Profit-Organisationen zu favorisieren ist (z. B. Public-PrivatePartnership).
Die Identifikation von geeigneten Kooperationsmöglichkeiten setzt gewisse Kenntnisse über die Akteure im entsprechenden Wirkungsfeld voraus. Der Geschäftsführer
einer grossen Stiftung umschreibt dies folgendermassen:
"Wir suchen aktiv überall nach Zusammenarbeit. Wenn es z. B. um die Gründung neuer kultureller oder sozialer Institutionen geht, da suchen wir stark
die Zusammenarbeit mit anderen Stiftungen. Eine andere grössere Stiftung
hat beispielsweise die Gassenküche in einem Begegnungszentrum in einem
benachteiligten Quartier in Basel, die wir aufgebaut haben, mit einem ansehnlichen Betrag unterstützt. Das hätten wir sonst nicht machen können, wir
hätten zu wenig Mittel gehabt, um das riesige Zentrum aufzubauen. Also das
ist Vernetzung mal ideell, für eine Gedankenrichtung, um überhaupt an solche Gedanken zu kommen, das geht nur über Vernetzung, über Kontakt innerhalb von dieser Branche." (P7)
Informationen zu
Kooperations
-partnern
einholen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
313
Wichtig ist hierbei eine Verknüpfung der Akteure. In der Schweiz gibt es beispielsweise Bestrebungen von SwissFoundations, die die Kooperationsmöglichkeiten zur
gemeinsamen Projektförderung durch Bildung einer Plattform aktiv zu unterstützen
versucht. Hierzu ein Stiftungsratspräsident einer mittelgrossen Stiftung:
"Wir können nicht einen Apparat aufbauen mit zehn Leuten. Dies sind Dimensionen, die wir uns nicht leisten können. Ich würde sagen, wir können einen Verwaltungsaufwand haben, ich weiss nicht von 400'000, 500'000 Franken vielleicht, das sind rund 15% unserer jährlichen Vergabungen, so in der
Grössenordnung. Sie müssen ein Modell haben, bei dem Sie aus einem Netzwerk Leute beiziehen können oder eben mit anderen Stiftungen zusammen arbeiten. Das müsste die Idee sein zur Erhöhung der Wirksamkeit des gesamten
Sektors, dass man sagt, dort machen wir bei denen mit und sie machen bei einem Projekt bei uns mit, damit wir einfach stärker auftreten können." (P17)
Der Wunsch nach Kooperationen im Stiftungssektor ist allerdings - v. a. im europäischen Kontext - bei weitem weniger fortgeschritten als es hier den Anschein hat (vgl.
z. B. Frumkin 2005, Anheier/Leat 2005, Bertelsmann Stiftung 1998). Es besteht bei
vielen Stiftungen der Wunsch ihre "eigenen Sachen" zu machen (vgl. Kooperationsparadox, Kap. 6.2.3). Alle reden von Kooperationen und Leverage, jedoch keiner
möchte gerne der "geleveragede" sein i. S. desjenigen Partners, der nicht der Projektinitiator ist, sondern z. B. "nur" Geld dazu gibt. Ein Geschäftsführer einer grossen
Stiftung umschreibt diesen Zustand treffend:
"Das ist doch überall das Gleiche. Wenn Sie von der Nuffield Foundation lesen oder von diesem grossen Heritage Trust oder dem London Bridge House
Trust Fund und weiteren, dann sagen die immer, wie sie andere anstiften bei
Projekten mitzumachen. Aber keiner von denen ist Stolz darauf, dass er irgendwo mitmacht als Wagen hinter der Lokomotive. Das ist ein Kennzeichen
für die Branche, der intellektuelle Ehrgeiz ist da. Jeder will da die wirklich
guten Projekte herausfinden, und die wenigsten hängen sich gerne einfach
an. Die Frage ist nur, finden alle auch die guten Projekte?" (P7)
Wie bereits im Kooperationsparadox (vgl. Kap. 6.2.3) aufgezeigt wird, wissen eigentlich viele um die Potentiale von Kooperationen, doch eine aktive und gegenseitig
Kooperationsparadox
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
314
wertschätzende Kooperationskultur ist noch nicht in dem Masse erkennbar, wie es
wünschenswert wäre.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Identifikation von Kooperationsfeldern und -partnern:
64.
Welche Kooperationsmöglichkeiten erweisen sich als zielführend zur Bearbeitung des
jeweiligen Wirkungsfelds, z. B. um eine "kritische Masse" zu erreichen?
65.
Welche Informationen sind über potentielle Kooperationspartner vorhanden?
66.
Welche Rolle soll in der Kooperation übernommen werden?
9.2.5
Erstellung strategischer Projektportfolios und von Massnahmenplänen
Die Bestimmung der Wirkungsfelder bleibt ohne Spezifikation von Zielen, also der
Zielsetzungen
konkreten Bestimmung von Handlungsoptionen bzw. Strategiealternativen und ohne
die Festlegung benötigter Ressourcen bzw. deren Mobilisierung eine unverbindliche
Absichtserklärung. Alle Festlegungen zusammen müssen eine nachvollziehbare und
zielorientierte Vorgehensweise mit der Bestimmung von konkreten "Wegen" zur Erreichung der angestrebten Ziele ergeben.
Diese strategische Planung muss je Wirkungsfeld in detaillierten Massnahmenplänen
konkretisiert werden. Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung umschreibt diesen
Vorgang folgendermassen:
"Also, wir haben in den Statuten ein oberstes Ziel formuliert: den Stiftungszweck. Und um diesen Zweck zu erreichen, muss man zuerst eine Mission
dazu entwickeln und dann entsprechende Ziele herunterbrechen: 'Es wäre
schön, wenn wir ...' Und nachher geht es wirklich darum, wie wir dorthin
kommen. Und die Strategie, das sind dann viele Wahlentscheide. […]. Und
nachher wählt man das oder das, man hat vielleicht drei, vier Möglichkeiten
zur Auswahl und sagt schliesslich: ‚Also wir nehmen das und das’. Und so
haben wir, nach den Statuten, ein Reglement und ein Missionspapier. Und
dann gibt es für die einzelnen Bereiche Strategiepapiere. […] Und so
brechen wir das hinunter, so dass wir am Schluss zu Massnahmenplänen
kommen. Die Massnahmenpläne am Schluss garantieren, dass wir das Ziel,
das wir haben, möglichst gut erreichen. Diese Massnahmenpläne, das sind
Massnahmenpläne
erstellen
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
315
vielleicht zuerst noch Konzepte und dann sind das Jahrespläne, mit genauer
Zielformulierung, Ressourcenzuteilung und zeitlichen Meilensteinen." (P24)
Im Hinblick auf die Evaluation der Stiftungsarbeit sind Ziele und erwartete Wirkun-
Wirkungsnetz
gen zu spezifizieren (Wirkungsnetz), an denen sich die Stiftung messen lässt. In diesem Sinne kann die Bearbeitung jedes Wirkungsfelds einer Stiftung in ein oder mehrere "strategische(s)" Projekt(e) münden (strategische Projektportfolios), für die Ziele
sowie konkrete Aktivitäten und Meilensteine formuliert werden müssen. Wegleitend
sind hierzu die Vorgaben aus der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) und die
strategischen Ziele der Stiftung je Æ Wirkungsfeld (Kap. 9.2, S. 288). In die einzelnen Projektpläne gehören zusätzlich Angaben, wie die in Aufgabe Æ Kap. 9.2.3 (S.
305) beschriebenen benötigten Fähigkeiten und Ressourcen, Angaben zu möglichen
Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Wirkungsfeldern und Projekten sowie die
Verantwortlichkeiten für die einzelnen Projekte oder Projektbereiche.
Bei der Bearbeitung des konkreten Wirkungsfeldes spielt auch das Timing der Er-
Timing
schliessung eine wichtige Rolle. Es ist dabei zu überlegen, ob das Thema in der Gesellschaft in der geplanten Form (in extrema) bereits förderfähig ist i. S. einer Aufnahme und Adaptierung der entwickelten Ansätze oder ob die Förderung des Themas
bereits soweit vorgeschritten ist, dass die Stiftungsaktivitäten besser anderweitig investiert werden.
Im Rahmen der Erstellung eines Massnahmenplans ist die Erstellung eines (Projekt-)
Budgets von zentraler Bedeutung. Hierbei dürfen die neben dem Förderbeitrag anfallenden Kosten allfälliger stiftungsinternen Leistungen wie Reisespesen zu den Projekten oder auch Publikationsaufwendungen nicht vergessen werden. Budgetierung
ist ein zentraler Aspekt des Managements einer Stiftung, allerdings muss man sich
auch gewisser Restriktionen bewusst sein:
"Wir arbeiten auch in anderen Bereichen mit Budgets, wobei das Budget im
Vergabungsbereich eine gewisse Bandbreite hat. Es ist eine effektive Zielgrösse, weil wir nicht steuern können, wie viele grosse Projekte wir in der
Entscheidungsstufe drin haben. Und wir geben nicht einfach Geld aus, nur
damit wir das Budget ausschöpfen, sondern die Qualität der Gesuche ist entscheidend. Das heisst aber auch, wenn wir ein Jahr haben, in dem wir jetzt
wirklich gute Sachen haben, hat der Stiftungsrat kein Problem, wenn ich bei
Projektbudget erstellen
316
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
einem Budget von 9 Millionen am Schluss mit 10 Millionen komme. Aber das
Budget soll als Richtgrösse dienen." (P23)
Die Budgetierung von Stiftungsausgaben zwingt die Verantwortlichen, sich Klarheit
über die angestrebten Vergabungen zu verschaffen. Willkürliche Entscheidungen, die
in personenzentrierten Stiftungen (vgl. Orientierungsparadox, Kap. 6.2.1, Æ Kap.
9.1.6 Zuständigkeiten, S. 263) z. B. durch den Einfluss des Stifters ausgehen, sollen
damit proaktiv vermieden werden. Mögliche Lösungen stellen z. B. sog. Verfügungsfonds dar, die "ausserhalb" der eigentlichen Förderschwerpunkte Vergabungen ermöglichen (Æ Kap. 9.1.4 Förderpolitik, S. 247). So lassen sich auch "ungeplante"
Ausgaben gegenüber der kritischen Öffentlichkeit rechtfertigen. Dazu eine Stellungnahme eines Geschäftsführers einer grossen Stiftung:
"Und oft gibt es Ausnahmen bei den Förderungen. O.K. wäre, wenn die Ausnahmen ins Budget geschrieben werden könnten, das heisst, dass 2 Millionen
pro Jahr für Ausnahmen gesprochen könnten. Und ich meine das ist doch der
ganze Punkt, weshalb ich gerne möchte, dass ein Budget geschrieben wird,
weil sonst kann man ja immer alles, immer irgendwie entscheiden. Dass man
sagt, ich gebe 6 Millionen für Responsive Funding, so und so viel für die Programme, so und so viel für dies usw. Aber vielleicht ist das ja auch eine gute
Strategie. Ich meine, dass muss man sich eben überlegen, man muss sich darüber unterhalten, man muss einfach dazu kommen, wir wollen das nicht so
festlegen, wir wollen so viel Freiheit. Und wenn das Board das wirklich
denkt, dann ist das klar, aber dann ist das auch gut für das Management.
Also dann weiss ich, wie bestimmte Sachen gehandhabt werden." (P29)
Zu beachten ist, dass der gesamte Strategieprozess ebenso wichtig ist wie der Inhalt
und die am Schluss erarbeiteten Massnahmenpläne. Ein strategischer Entwicklungs-
Strategieprozess
wertschätzen
prozess muss ohne Zeitdruck und losgelöst vom operativen Druck des Alltagsgeschäfts durchgeführt werden können, z. B. im Rahmen eines Strategie-Workshops. Es
gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die der Stärkung von Kreativität und Vorstellungskraft aller Beteiligten förderlich sind. Strategie-Workshops sind nach Venzin
(2003) oft geprägt durch hohe Komplexität, Unsicherheit, politische Prozesse, starke
Emotionen oder gar persönliche Eitelkeiten. Durch professionelles Vorbereiten, Moderieren und Nachbereiten können diese Herausforderungen bewältigt werden. Ein
Vorbereiten,
Moderieren,
Nachbereiten
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
317
Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt, wie dieser Prozess mit Hilfe eines
externen Moderators im Stiftungsrat gestaltet wurde:
"Gestern haben wir mit einem externen Moderator gearbeitet, weil ein Strategie-Prozess ist ein schwieriger Prozess. Ich wäre überfordert, wenn ich so
einen Tag lang einerseits moderieren müsste und anderseits diesen Stiftungsräten noch ein wenig auf die Finger schauen. Also das habe ich mal am Anfang probiert, und habe schnell gemerkt, das ist jenseits von meinen Fähigkeiten, das könnte ich nicht, da braucht es Hilfe von aussen." (P7)
Strategie-Workshops sind keine "Zeitverschwendung" oder rein formale Veranstaltungen, die wenig mit dem "wirklichen" Geschäft zu tun haben, vielmehr zwingen sie
die Entscheidungsträger in einer Stiftung, sich systematisch und kreativ mit der Stiftung und ihrem Umfeld auseinander zu setzen. Eine Stiftung muss sorgfältig klären,
wie der Ablauf der einzelnen Schritte zur Strategieentwicklung aussehen soll, wer in
einen solchen Strategiefindungsprozess einbezogen wird und wie viele Ressourcen
(Geld und Zeit) für einen solchen Prozess bereitgestellt werden sollen. Bei der Erarbeitung einer Strategie gilt es zu bedenken, dass es nie die "one size fits all" Lösung
gibt.
Meinungsverschiedenheiten während des Prozesses sind solange als konstruktiv zu
werten, als sie möglichst früh und offen ausgetragen werden und gemeinsam nach der
für die Stiftung besten Lösung gesucht wird. Wichtig ist dabei, dass sich die Stiftungsmitglieder mit den Festlegungen identifizieren können. Ein Stifter beschreibt
diesen konstruktiven Diskurs folgendermassen - und nimmt eine vorbildliche Stellung dazu ein:
"Und ich glaube, es ist ganz wesentlich, dass immer eine offene, sachbezogene Diskussion vorherrscht, und bei einer Stiftung ist es darüber hinaus
ganz wesentlich, dass der Stifter nicht meint, er habe die alleinige Entscheidungsgewalt. Das Gremium hat seine eigene Meinung zu haben und es kommt
immer wieder vor, dass man verschiedene Ansichten hat. Man diskutiert es in
einer Sitzung. Und ich sage nie, diese Stiftung wurde von mir gegründet. Ich
bin einer von mehreren. Ich sage meine Meinung sachbezogen und werde halt
hie und da überstimmt. Wenn ich das nicht könnte - mich überstimmen zu las-
Meinungsverschiedenheiten
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
318
sen - dann wäre ich doch irgendwie am falschen Ort. Diese Meinung führt hie
und da zu interessanten Diskussionen" (P27)
Ausdiskutierte Konflikte fördern das gemeinsame Verständnis, führen zu einer Erwartungsklärung und können spätere Verwirrungen und Auseinandersetzungen verhindern. Die Möglichkeiten im Umgang mit Meinungsverschiedenheiten sind vielfältig. So können sich Stiftungen z. B. für die Verfolgung mehrerer Wirkungsfelder entscheiden und jedes Stiftungsratsmitglied kann sich mindestens einem Schwerpunkt
verpflichtet fühlen (Æ Kap. 9.1.6 Zuständigkeitsregelungen, S. 263). Andere Stiftungen lösen diese Problematik, indem sie sich im Sinne eines Kompromisses auf ein
Wirkungsfeld einigen, das für alle akzeptabel ist (Æ Kap. 9.1.2 Entwicklung einer
Mission, S. 233).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Erstellung strategischer Projektportfolios und von Massnahmenplänen:
67.
Wie lauten die Zielformulierungen je Wirkungsfeld und die dazugehörigen strategischen Festlegungen?
68.
Welche konkreten Massnahmen müssen bei der Bearbeitung eines Wirkungsfeldes
zur Erreichung der Ziele unternommen werden?
69.
Wie wirken die Projekte und Massnahmen zusammen, sodass eine möglichst breite
Wirkung entsteht?
70.
Welche Einflussfaktoren für ein optimales Timing bei der Erschliessung des
Wirkungsfelds zu beachten?
71.
Welche zu budgetierenden Aufwände und Erträge werden in den einzelnen Wirkungsfeldern zur Durchführung der Massnahmenpläne anfallen?
72.
Wie wird der gesamte Strategieprozess durchgeführt?
73.
Wie werden mögliche Meinungsverschiedenheiten konstruktiv eingebunden?
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
9.3
319
Eine illustrative Fallstudie zum Gestaltungsprozess
Die Durchgängigkeit und Vernetztheit der Entscheidungen im Gestaltungsprozess,
zwischen Stiftungspolitik und Stiftungsstrategie, wird in der Fallstudie zur Northwest
Area Foundation verdeutlicht.169
Die Northwest Area Foundation hat in jüngerer Zeit eine Reflexion der vergangenen
Tätigkeit und eine Neuausrichtung der Mission und Strategie sowie eine Anpassung
der Struktur vorgenommen. Dabei hat sie grundlegende Veränderungen in ihrer traditionellen Ausrichtung und Arbeitsweise vorgenommen.
9.3.1
Historischer Hintergrund
Die Northwest Area Foundation wurde 1934 von Louis W. Hill, dem Sohn von James
J. Hill - Gründer der Great Northern Eisenbahn -, gegründet und führte bis zur Übertragung eines grösseren Vermögens 1950 ein Schattendasein. Mit dem momentanen
Vermögen von USD 440 Mio. und ihren jährlichen durchschnittlichen Ausschüttungen von USD 18 Mio. ist die Northwest Area Foundation eine der 100 grössten Stiftungen der USA. Unter der Führung von Louis W. Hill Jr., dem Sohn des Gründers
und A. A. Heckman, dem ersten Geschäftsführer der Stiftung wurde ein "CarnegieRockefeller-Ford"-Modell der Philanthropie betrieben. Dieses Modell, benannt nach
den drei grossen und bekannten US-Stiftungen - versteht die Stiftungsarbeit so, dass
Stiftungen
ƒ eng mit anderen Institutionen zusammenarbeiten, um wichtige soziale Probleme zu identifizieren,
ƒ neuartige Ansätze zur Problemlösung ausarbeiten und Ansätze testen,
ƒ diese Experimente bis zu einem gewissen Grad finanzieren,
ƒ die Resultate evaluieren und - falls erfolgreich -,
ƒ die Erkenntnisse durch Replikation zu verbreiten und der Staatsfinanzierung
zu überlassen.
169
Die Informationen zur Northwest Area Foundation stammen aus Showalter (1998), Stauber (2001) sowie von der
Website der Stiftung: www.nwaf.org (23.08.2005).
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
320
Diese Stiftungsarbeit basierte auf der Annahme eines aktiven expandierenden Staates.
Dieser Ansatz wurde zwischen 1949 und 1996 unter der Mission "to support research
and experimentation projects which will have a significant effect within their fields
and for which there is not general support" (Stauber 2001) verfolgt.
Alle geförderten Programme hatten dabei zum Ziel, anschliessend durch andere,
hauptsächlich durch den Staat, finanziert zu werden. Durch das unter Kap. 2.1.6. beschriebene veränderte Staatsverständnis und den verknappten öffentlichen Mitteln
wurde das Carnegie-Rockefeller-Ford-Modell in Frage gestellt. Neben den verknappten öffentlichen Mitteln wurden in der Northwest-Gegend zunehmend Probleme durch Immigration, Arbeitslosigkeit, Verarmung und andere soziale Probleme
festgestellt. Gleichzeitig durchlebte die Northwest Area Foundation im Juni 1996
Veränderungen im Board und in führenden Gremien. Diese Umstände veranlasste die
Stiftung, ihre Rolle zu überdenken. Der neue Stiftungsrat W. E. Bye Barsness und der
neue Präsident Karl. N. Stauber betrachteten die enormen Veränderungen im Umfeld
der Stiftung und stellten die Effektivität des bisherigen Förderansatzes in Frage.
Barsness umschreibt den Willen zur Veränderung wie folgt: "There was a perceived
need among the Board to re-examine our direction, a substantial part of our Board
was new, and we had a new leader with the vision to do things differently". In der
Vergangenheit wurden 95% der Zeit zur Entscheidung von Projektanträgen aufgewendet und ein Tag pro Jahr für strategische Planung. Die aufkommenden sozialen,
ökonomischen und ökologischen Probleme wurden vom Staat nicht ausreichend beachtet. Stauber stellte die Frage, ob diese Probleme effektiv durch die traditionelle
Stiftungsarbeit der Mittelvergabe an Non-Profit-Organisationen gelöst werden können. Daraufhin beschloss der Stiftungsrat, innerhalb eines Jahres einen Strategieprozess zu durchlaufen, indem Mission, grundlegende Ausrichtungen, Governance, Vergabungen, Finanzmanagement und die operative Stiftungsarbeit neu überdacht werden sollen.
9.3.2
Vorbereitungen und Ablauf des Gestaltungsprozesses
Vor dem Hintergrund, dass ein umfassender Strategieprozess ein Commitment sowohl vom Stiftungsrat als auch von den Mitarbeitern benötigt, wurden zahlreiche
Massnahmen zur Involvierung aller Beteiligten getroffen. So wurden die regulären
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
321
Verwaltungsratssitzungen von sechs 2-Stunden Meetings auf vier Tagestreffen geändert und mehrtägige Retraiten eingeführt. Gleichzeitig wurde öffentlich angekündigt,
dass eine Neuausrichtung der Stiftung geplant wird, wobei die Anzahl geförderter
Projekte von 100 auf 60 gekürzt und während eines Jahres keine neuen Projekte gefördert werden. Diese Massnahmen wurden getroffen, um der Öffentlichkeit ein klares Signal zur veränderten Arbeitsweise zu geben, obwohl noch unklar war, wie die
zukünftige Stiftungsarbeit aussehen wird.
Die Northwest Area Foundation sah es als zentral an, beim Strategieprozess den gesamten Stiftungsrat zu involvieren. Die gesetzten Ziele des Strategieprozesses umfassten
ƒ Erarbeitung einer Mission
ƒ Suche nach Wirkungsfeldern und Informationsbeschaffung
ƒ proaktive Kommunikation der Mitarbeiter und deren Miteinbezug
ƒ Information der Stakeholder
ƒ die Entwicklung eines Massnahmenplans
Die Stiftung legte dem Strategieprozess drei Leitfragen zugrunde:
1. Wie kann diese Stiftung die Region in Anbetracht der veränderten
Umweltbedingungen unterstützen?
2. Wie kann die Stiftung ihre Ressourcen optimal einsetzen für die jetzigen und
zukünftigen Generationen dieser Gegend?
3. Wie können die internen Fähigkeiten aufgebaut werden, um die Ziele zu erreichen?
Das Ziel der Neuausrichtung wird unter das Motto der "strategic philanthropy" gesetzt, im Gegensatz zur "reactive philanthropy", bei der Stiftungen auf Ideen und Anträge von anderen reagiert, jedoch ohne klare eigene Ideen und Ziele, was sie erreichen möchten.
Das erste Ziel des Strategieprozesses war die Identifizierung von vier bis sechs Programmfeldern, in welchen die Stiftung die nächsten fünf bis zehn Jahre aktiv sein
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
322
möchte. Der Zeitplan für den Strategieprozess sah folgendermassen aus (vgl.
Abbildung 9-2):
Informationsbeschaffung
November 1996 - März 1997
Entwicklung strategischer Optionen
Januar 1997 - Juni 1997
Wirkungsfelder auswählen
Juni 1997
Entwicklung neuer Förderrichtlinien
Juni 1997 - September 1997
Implementierung des neuen Programms
September 1997 - fortlaufend
Abbildung 9-2:
Zeitplan des Strategieprozesses der Northwest Area Foundation
Bevor die eigentliche Informationsbeschaffung begann, wurden andere Stiftungen zu
ihren Erfahrungen mit einem Strategieprozess befragt. Um Informationen über die
Region zu bekommen wurden zahlreiche Leute aus unterschiedlichsten Gebieten zu
ihren grössten Bedürfnissen interviewt. Mit Hilfe einer Beratungsgesellschaft wurden
Fokusgruppentreffen und weitere Interviews durchgeführt, die durch eine umfangreiche Literaturanalyse ergänzt wurden.
Diese intensiven Recherchen haben zu folgenden drei Thesen geführt:
1. Armut ist das Hauptproblem in der Northwestregion.
2. Ein gemeinsames Verständnis über die gemeinsamen Güter ist für die Wohlfahrt der Region zentral.
3. Eine gesunde Umwelt ist für die Wohlfahrt der Region wichtig.
Vor diesem Hintergrund wurden mögliche strategische Optionen entwickelt, von denen drei übrig blieben:
1. ökonomische Entwicklung zur Reduktion von Armut
2. zivilgesellschaftliche Entwicklung durch Bildung von Sozialkapital und nachhaltige Kommunen zur Armutsreduktion
3. Unterstützung von Wirtschaftswachstum und Umweltschutz
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
323
Aufbauend auf diesen Optionen wurden ein Jahr nach dem Beschluss zum Strategieprozess eine neue Mission, neue Arbeitsgrundsätze und Werthaltungen beschlossen.
1. Mission:
To help communities most in need create positive futures - economically, ecologically, and socially.
To implement this mission, the Foundation will help selected communities in the region to work toward a balanced system that will reduce poverty; stimulate economic
growth; sustain the natural environment; and develop effective institutions, relationships, and individuals.
2. Arbeitsgrundsätze und Werthaltungen:
ƒ Focus on those most in need
ƒ Seek lasting results
ƒ Look to community as a source of positive action
ƒ Engage those most affected in developing responses
ƒ Strive for high quality and focus
ƒ Treat people with respect
ƒ Produce the greatest possible societal benefits with the resources of the
Foundation
ƒ Focus on the intersection of greatest need and greatest opportunity
ƒ Assume people, institutions, and communities want and need to be responsible
for their own futures
ƒ Help communities create shared visions for their futures
ƒ Be willing to stay with communities and organizations long enough to accomplish desired goals
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
324
ƒ When possible, start with existing institutions
ƒ Link practice, reflection, and policy
ƒ Strive to bring clarity and rigor to our work
ƒ Operate programs as integrated parts of a whole, not as freestanding efforts
Die Stiftung fokussiert somit 100% ihrer Ressourcen auf die Reduktion von Armut in
der "Acht-Staten-Region". Die alte Mission befasste sich zum Vergleich primär mit
der Erhöhung der ökonomischen Gesundheit in dieser Region. Im Gegensatz zur
alten Strategie, in der Modelle generiert, getestet und evaluiert und dann auf andere
übertragen
wurden,
umfasst
die
neue
Strategie
die
Verwendung
der
Stiftungsressourcen für die Wissensgenerierung, die Partner verwenden können, um
Armut zu bekämpfen. Die Zielgruppe beschränkt sich fortan auf "communities" im
Gegensatz zu früher, als dies v. a. Institutionen und der Staat waren.
Mit der veränderten Mission fokussierend auf die Unterstützung von Gemeinden bei
der Armutsbekämpfung änderte sich fast alles. Die Stiftung akzeptierte keine Anträge
und investierte dagegen alles in drei "eigene" Programme. In das erste Programm,
"Community Ventures", will die Stiftung in den nächsten 10 Jahren USD 150 Mio. in
10 bis 16 Gemeinden zur Armutsbekämpfung investieren. Die Gemeinden werden
aufgrund einer Kombination aus Möglichkeiten, Bedürfnis und potentieller Wirkung
ausgesucht. Das zweite Programm umfasst "Community Connections", in das die
Stiftung in den nächsten 10 Jahren USD 25 Mio. investieren möchte zur Moderation
von Informationszugängen, Wissen, Services und anderen Ressourcen, die den Gemeinden helfen können, Strategien gegen Armut zu implementieren. Das Programm
unterstützt den Erfahrungsaustausch zwischen den Partnern. Die dritte Initiative,
"Community Horizons", umfasst eine 10-Jahres Periode mit USD 25 Mio., die sich
mit einem "Community Leadership"-Programm befasst, das sich mit den vernachlässigten, ländlichen Regionen auseinander setzt.
Die Umsetzung der Mission zielt darauf ab, die Ressourcen gezielt spezifischen Gemeinden anstatt einzelnen Non-Profit-Organisationen zukommen zu lassen. Dabei
wird Wert gelegt auf Langzeit-Partner, die die Interessen der Stiftung teilen. Zudem
will die Stiftung stetig von ihren Aktivitäten lernen.
FE-C Grundkategorie 2: Der Gestaltungsprozess
9.3.3
325
Learnings
Folgende Punkte hat die Stiftung in ihrem Strategieprozess gelernt:
ƒ der Strategieprozess dauert länger als gedacht
ƒ der Prozess braucht mehrere treibende Kräfte
ƒ jedermann muss ownership spüren
ƒ die Leute müssen aus dem täglichen Geschäft genommen werden
ƒ jedermann vom Stiftungsrat muss ein hohes commitment zeigen
ƒ fokussiere auf team building
ƒ stelle einen externen Moderator für den Strategieprozess an
ƒ die Öffentlichkeit als Inputgeber ist wichtig, ebenso die Kommunikation
ƒ frühzeitig mit Implementationsüberlegungen beginnen
ƒ feiere Zwischenerfolge
Die umfassende Beschreibung des Gestaltungsprozesses, wie er in der Northwest
Area Foundation ablief, illustriert dabei die zahlreichen, zutreffenden Festlegungen
mit ihren Interdependenzen und Folgen. Die Beschreibung geht sowohl auf sie inhaltlichen Aspekte als auch auf den prozessualen Ablauf einer solchen umfassenden
Neuorientierung ein.
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
326
"(Es gibt) zwei Dinge, auf denen das Wohlgelingen
in allen Verhältnissen beruht.
Das eine ist, dass Zweck und Ziel der Tätigkeit richtig bestimmt sind.
Das andere aber besteht darin,
die zu diesem Endziel führenden Handlungen zu finden."
Aristoteles,
griech. Philosoph (384-322 v. Chr.)
10
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
Im Wertschöpfungsprozess kulminieren die Einschränkungen und Ermöglichungen,
die durch die langfristigen und orientierenden Festlegungen in der Æ Stiftungspolitik
(Kap. 9.1, S. 228) und den entwicklungsbezogenen Festlegungen im Bereich der Æ
Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288) getroffen wurden. Die dortigen gestalterischen
Entscheidungen werden im Wertschöpfungsprozess umgesetzt, der diejenigen Aufgaben beinhaltet, die unmittelbar auf die Realisierung des Stiftungszwecks und damit
auf die Erzeugung von gesellschaftlichem Nutzen ausgerichtet sind. Innerhalb des
durch den Gestaltungsprozess vorgegebenen Rahmens verbleiben jedoch eine Vielzahl von Aufgaben und Entscheidungen, die im Bereich des Wertschöpfungsprozesses konkretisiert werden müssen, so dass ein effektiver und effizienter Vollzug der
"täglichen" Arbeit gewährleistet wird. Die Æ Supportprozesse (Kap. 11, S. 382), die
ihrerseits auch den Festlegungen des Gestaltungsprozesses unterworfen sind und
diese Vorgaben umsetzen, dienen insbesondere der Effizienzsteigerung des Wertschöpfungsprozesses.
Das Ziel dieses Kapitels ist die Befähigung zu einer sorgfältigen Strukturierung der
Teilprozesse der Wertschöpfung. Dazu gehört z. B. die Festlegung des Grunddesigns
und der Führungsgrössen der einzelnen Teilprozesse. Es geht mithin darum, das Pro-
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
327
jektmanagement als den zentralen Wertschöpfungsprozess professionell - nach Effektivitäts- und Effizienzkriterien sowie mit der Bereitschaft zur ständigen Prozessoptimierung - zu gestalten (vgl. Beyer 1999, S. 159; Koeckstadt/Kölsch 2003, S. 14;
Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455), was auch ein Geschäftsführer einer grossen
Stiftung bestätigt:
"Es geht darum, die Anfragen nicht schludrig zu beantworten oder die Projekte nicht "nebenher" zu leiten, z. B. wenn man ein Zweijahres- oder ein
Dreijahresprojekt im Portfolio hat und die Zwischenberichte, die gefordert
sind, nicht einfordert oder einfach ins Dossier ablegt, ohne mal reinzuschauen. Wozu macht man die dann? Das kann so nicht gehen. Das sind alles
Elemente einer professionellen Handhabung des Projektmanagements. Also
von rein bürokratischer, aber speditiver Beantwortung, wo die Leute wirklich
den Eindruck bekommen, wir als Stiftung freuen uns über den Antrag, bis zur
seriösen Projektselektion und -begleitung." (P2)
Immer mehr Stiftungen dokumentieren den Wertschöpfungsprozess und seine Teilprozesse, was auf die Wichtigkeit dieses Prozesses für die Stiftungsarbeit hinweist:
"Wir haben Prozesse definiert und dokumentiert, die Sie, wenn ich heute sterben würde, zu 70 oder 80 Prozent nachlesen könnten. Sie würden es vielleicht
ein wenig anders machen, aber Sie müssten nicht bei Null anfangen." (P24)
Eine Dokumentation des Prozesses, im Sinne einer "Materialisierung" der Handlungen, inkl. der Zuständigkeiten und Kompetenzen sowie eine Zusammenstellung von
Formularen, Kriterienrastern, Musterbriefen etc. wird auch als Möglichkeit gesehen,
die Arbeitsqualität zu erhöhen sowie eine Gleichbehandlung und Wertschätzung von
Antragstellern zu gewährleisten, die z. B. Prager (2003, S. 77) fordert: "Treat all individuals and organizations with whom the foundation comes in contact with respect
and dignity, recognizing that it is through them that the foundation achieves its ends,
and avoiding the arrogance, elitism, and isolation that comes to characterize so many
of us who have power and money that others lack." Zu dieser "würdevollen" Behandlung gehört auch eine angemessene Kommunikation über den Fortschritt des
Selektionsprozesses, allenfalls auch Zwischenergebnisse, und letztlich über den grundsätzlich begründbaren - Entscheid.
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
328
Als Überblick über die Thematik dieser Grundkategorie soll eine Beschreibung des
Wertschöpfungsprozesses einer typischen Vergabestiftung dienen, im Sinne eines
Makro- oder Grobdesigns des Prozesses:
"Die eingegangenen Anträge werden bei uns hier in der Geschäftsstelle gesammelt und registriert - die Antragsteller bekommen eine Eingangsbestätigung. Dann gehen die Anträge in die verschiedenen Prüfverfahren, also Verfügungsfond, Sonderprogramme oder Basisprogramme. Sie werden anhand
vorgängig bestimmter Kriterien geprüft, in der Erstinstanz von Frau XY und
mir hier in der Geschäftsstelle und in zweiter Instanz von unserem wissenschaftlichen Beirat. Darüber hinaus gibt es fallweise Fachgutachten, die wir
einholen. Und entschieden wird schliesslich in der Sitzung des Kuratoriums,
und zwar auf Basis des Vorschlags des wissenschaftlichen Beirates. Das ist
also das Prüfverfahren bis hin zur Entscheidung der Bewilligung. Danach
kommt sozusagen die Projektfortschrittskontrolle, d. h. Zwischen- und
Schlussberichte, Abrechnungen, also sowohl finanziell als auch inhaltlich.
Das erscheint uns im Moment angemessen. Es ist ja immer eine schwierige
Balance zwischen bürokratisch-administrativen Aufgaben und zeitnahen, flexiblen Entscheidungen. Wir glauben da im Moment so einigermassen die
richtige Balance zu haben." (P10)
Die im weiteren Verlauf ausdifferenzierten Aufgaben sind dabei nicht alle in obiger,
überblicksartiger Beschreibung angesprochen, obwohl sie gerade in dieser Stiftung
sehr gut ausgestaltet sind und an entsprechender Stelle dieser Ausführungen teilweise
in den Beschreibungen der Handlungsoptionen verarbeitet sind.
Die Nennung und Beschreibung der grundsätzlichen Aufgaben eines professionellen
Projektmanagements sollen zur Reflexion anregen und als Grundlage zur Gestaltung
eines optimalen Wertschöpfungsprozesses auch für kleine Stiftungen ohne Geschäftsstelle dienen. Denn: "Ultimately, a foundation pursues its mission through the support
of nonprofit organizations which, in its view, have the potential to contribute the most
to achieving its programmatic goals. Accordingly, at the end of the day, a foundation’s success is dependent on the effectiveness of the processes through which it: (i)
selects the organizations it funds; (ii) deploys its resources to support those organiza-
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
329
tions; (iii) monitors and assesses their work; and (iv) relates to them as partners in addressing compelling social challenges” (Prager 2003, S. 73).
Zum Abschluss greift ein Zitat von Freeman nochmals die Zielsetzung dieses Kapitels auf. Er bringt darüber hinaus die Abläufe des Wertschöpfungsprozesses in den
einzelnen Stiftungen direkt mit der Æ Legitimation (Kap. 12, S. 452) von allen
Stiftung in der Öffentlichkeit in Verbindung: "Poor practices by some foundations
lead to legitimate gripes among grantseekers: inordinately long delays in responding
to requests, failure to respond at all, arrogance on the part of a foundation representative when an interview is granted, false hopes given to prospective grantees by too
friendly grantmakers, and inappropriate intrusions into the grantee's operations after a
grant is awarded.” (Freeman 1991, S. 78).
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diese von Freeman genannten Aspekte und sollen die Stiftungsmanager dahingehend befähigen, zum Wohle der gesamten Stiftungscommunity als verlässliche und professionelle Partner in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Bei aller Entwicklungsarbeit eines optimalen Wertschöpfungsprozesses gilt es jedoch Folgendes zu beachten: "The complexity of the application
should be in proportion to the amount of funding available." (Furnari et al. 2000, S.
22) Die Wahrung dieses Grundsatzes sorgt dafür, dass nicht per se ein "überbürokratischer" Prozess in der Stiftung aufgebaut wird.
Wie aus der Darstellung des FE-C ersichtlich, besteht der Wertschöpfungsprozess aus
sechs Teilprozessen, die im Folgenden detailliert und mit umfangreichen Handlungsoptionen aus der Praxis vorgestellt werden (vgl. Abbildung 10-1):
1. Projektakquisition
2. Projektselektion
3. Projektcoaching
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
330
4. Projektmonitoring
5. Ergebnissicherung und Dissemination
6. Weiterführung und Replikation von Projekten
Mission
Mission
Input
Input
Akq
uis
Sele ition
ktion
Stiftung
Impact
Impact
on
inati
m
e
s
Dis
ion
likat
Rep
Projektmanagement
g
chin
Coa
ng
itori
Mon
Aktivitäten
Aktivitäten
Projekte
Projekte
Output
Output
Abbildung 10-1: Der Wertschöpfungsprozess einer Stiftung mit den sechs Teilprozessen
Diese Teilprozesse weisen eine Vielzahl von Interdependenzen untereinander auf,
aber auch mit dem vorangegangenen Æ Gestaltungsprozess (Kap. 9, S. 226) und den
damit verbundenen Festlegungen der Stiftungspolitik und Stiftungsstrategie.
10.1
Projektakquisition
Was in der Geschäftswelt die Kundenakquisition darstellt, verkörpert in Stiftungen
die Projektakquisition, d. h. die gezielte Ansprache geeigneter Projektpartner oder die
Identifikation von Projektthemen und Selektion von Projektanträgen, die den kommunizierten Stiftungszweck und dessen strategische Konkretisierung in den jeweiligen Æ Wirkungsfeldern (Kap. 9.2.1, S. 290) auch umsetzen können. Dabei
verschwinden zunehmend die Grenzen zwischen einer klassischen Vergabestiftung
(Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S. 228), die die Projektauswahl aufgrund eingegangener Projektanträge trifft (responsive oder reaktive Stiftungsarbeit) und einer
operativen Programmstiftung, die ihre Themen selbst identifiziert und bearbeitet.
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
331
Vergabestiftungen lancieren verstärkt auch eigene Themen - im Sinne aktiver
"change agents" (vgl. Kap. 2.3) zur Weiterentwicklung der Gesellschaft - und
identifizieren mögliche Partner, die sie gezielt zur Antragsstellung auffordern
(proaktive Stiftungsarbeit). In dem Masse, wie sie eigene Themen einbringen und
sorgfältig ihre Partner selektieren, nimmt auch die Intensität der Zusammenarbeit
während des Projekts zu - und damit auch das Interesse am Ergebnis und die
(teilweise) Verantwortlichkeit dessen, was Auswirkungen in den folgenden Aufgaben
des Wertschöpfungsprozesses zeitigt (z. B. Æ Kap. 10.3 Projektcoaching, S. 354).
Die Entscheidungen und Festlegungen zur Wahl desjenigen Stiftungstyps, der verkörpert werden soll, ziehen auch eine bestimmte Art und Weise der Projektakquisition
nach sich im Sinne der Durchgängigkeit von politischen und strategischen Festlegungen sowie den entsprechenden vollziehenden Prozessen im Bereich des Wertschöpfungsprozesses und der Æ Supportprozesse (Kap. 11, S. 382).
Folgende beiden Aufgaben umfasst der Teilprozess Projektakquisition:
1. Bestimmung der Akquisitionsform
2. Festlegung des Akquisitions- und Antragsbearbeitungsprozesses
10.1.1 Bestimmung der Akquisitionsform
Aus den Festlegungen der Stiftungspolitik und -strategie ergeben sich, wie mehrfach
erwähnt, weit reichende Folgen für den Wertschöpfungsprozess und insbesondere
den Teilprozess der Projektakquisition. Es geht hierbei um die Frage:
ƒ Wie spricht eine Stiftung ihre potentiellen Projektpartner an?
Diese Frage greift die inhaltliche Profilierung der Stiftung auf (Æ Kap. 9.2.1
Wirkungsfeld, S. 290) und konkretisiert die Art und Weise, wie die strategischen
Festlegungen umgesetzt werden sollen. Letztlich kann nur dann eine inhaltlichen Profilierung entstehen, wenn die dazu "passenden" Projekte identifiziert werden, denn,
wie ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung formuliert,
"ich finde nicht, dass eine Knappheit an finanziellen Mitteln besteht. Ich
würde es eigentlich eher anders anschauen. Es besteht eine Knappheit an
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
332
guten Projekten. Aber jetzt habe ich die Stiftungsbrille auf. Das schaut einer
natürlich ganz anders an, wenn er auf der anderen Seite steht." (P16)
Die in diesem Zitat angesprochene Wettbewerbssituation kann konstruktiv durch die
Festlegung einer geeigneten Akquisitionsform gehandhabt werden. Je nach Æ Stif-
Akquisitionsform
festlegen
tungstyp (Kap. 9.1.4, S. 247), also "Gift Giver", "Social Investor" oder "Social Entrepreneur" (oder auch in Kombination), ergeben sich typische Akquisitionsformen.
Ein Geschäftsführer einer proaktiv-unternehmerisch agierenden grossen Stiftung beschreibt in diesem Zusammenhang ein für diesen Stiftungstypen des Social Entrepre-
Typische Form
für Social
Entrepreneurs
neurs charakteristisches Vorgehen:
"Wir sind sehr gut im Schweizer Netzwerk drin. Wir wissen, was in unserem
thematischen Feld passiert und die Leute kennen uns. Es ist z. B. oft so, dass
sehr gute Ideen von aussen auch nach innen getragen werden, ohne dass ein
Antrag kommt. Das ist übrigens auch ein Weg, den ich gerne gehe. Ich ermuntere die Leute dazu: ‚Ruft mich doch mal an.’ Das wissen relativ viele
und es ist auch sehr oft dann daraus zu einem Projekt gekommen. Da habe
ich nicht einfach einen Antrag entgegengenommen, sondern in einer ersten
Phase mal ‚gelauscht’ und später dann auch sogar geholfen, den Antrag zu
formulieren. […]Es gibt die Möglichkeit, dass uns einer anruft, und sagt: ‚Ich
habe eine gute Idee’, und mir diese erklärt. Wenn ich irgendetwas darin entdecke, bei dem ich das Gefühl habe, das könnte in der Vision Platz haben,
mal unabhängig davon, in welchen Gestaltungsschwerpunkt es passt, dann
probiere ich darüber zu reden, und schaue, was daraus wird. In vielen Fällen
wird nicht mal was daraus. Also z. B. weil irgendwie das Projekt platzt, oder
die Idee war zu verrückt. Dann gibt’s noch die Variante, dass wir aktiv in die
Community gehen und uns nach Projektpartnern umsehen." (P5)
Das Zitat weist auf die Notwendigkeit eines intensiven Dialogs oder zumindest des
"aktiven Zuhörens" bei den Social Entrepreneurs hin, die proaktiv eigene Themen
lancieren oder neue, nahezu unbekannte oder noch nicht "spruchreife" Themen aufgreifen wollen. Weitere Möglichkeiten der Projektakquisition sind z. B. auch
Besuche von einschlägigen Konferenzen, auf denen mögliche Projektpartner direkt
angesprochen werden können.
Dialog/aktives
Zuhören
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
333
Zwischen einer proaktiven Suche nach den besten Projektpartnern und Themen eines
Social Entrepreneurs und einer eher reaktiven "Einweg"-Kommunikation des Stif-
Typische Form
für Gift Givers
tungszwecks und der Förderrichtlinien eines Gift Givers stellt die Ausschreibung eines Förderprogramms den Versuch dar, das "Beste aus beiden Welten" zu vereinen.
Die Vorteile dieser Vorgehensweise bestehen darin, dass eine Adressatengruppe bestimmt werden kann, deren Chancen auf eine Förderung einerseits besonders gross
sind, andererseits auch aus dem Blickwinkel der Stiftung als geeignet angesehen werden, die Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Manch ein Antragsteller kann sich
so Zeit und Mühe sparen, da er von vornherein nicht den dem gewünschten Profil
entspricht - und die Stiftung erhält hauptsächlich solche Anfragen, die einen
Sichtungsaufwand aus dem Blickwinkel der Stiftung rechtfertigt.
Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung, die zu den sog. Social Investors gezählt
werden kann, beschreibt z. B. die Festlegungen in Bezug auf die Akquisitionsform in
Typische Form
für Social
Investors
"seiner" Stiftung folgendermassen:
"Die XY-Stiftung hat ein Antragsverfahren, das stark auf Ausschreibungen
ausgerichtet ist. Wir versuchen unsere Programme über Internet, Zeitungen,
Zeitschriften und auch Mailings an unsere Adressaten zu bringen und reagieren dann auf Anträge, die uns erreichen." (P10)
Ein Stiftungsrat derselben Stiftung formuliert einen weiteren Aspekt:
"Wir wollen ja sehr gute Projekte fördern. In den letzten Entscheidungsrunden, die wir gemacht haben, wurde der finanzielle Spielraum nie ausgeschöpft, wir sind immer darunter geblieben. Wir hätten mehr ausgeben können, aber die Projekte waren nicht so exzellent. Und deswegen ermuntere ich
die Leute, wo ich bin, Anträge zu stellen. Dabei stellen wir immer wieder fest,
dass die Stiftung doch nicht so bekannt ist, wie wir hoffen oder denken. Es
gibt immer noch Leute in unserer Community, die von uns noch nichts gehört
haben." (P8)
Grundsätzlich bieten klar kommunizierte Arbeitsschwerpunkte vielfältige Vorteile,
wie auch Untersuchungen in den USA bestätigen. Dies gilt gerade für kleinere Stiftungen. Stiftungen müssen ihre Mission bekannt machen, um überhaupt ihr Anliegen
erfolgreich bearbeiten zu können und "die richtigen Projektpartner" zu erreichen. Auf
Arbeitsschwerpunkte
kommunizieren
334
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
der anderen Seite wird durch eine Profilbildung und deren "Abbildung" in entsprechenden kommunizierten Richtlinien verhindert, dass gerade kleinere Stiftungen von
einer "Flut" von Papier überschwemmt werden, die sie aufgrund ihrer geringen administrativen Ressourcenausstattung kaum bewältigen können. Freeman weist nochmals
eindringlich auf diesen Sachverhalt hin: "Although it is hard for the ‘low-profile’
foundation to believe, the effort a grantmaker expends in developing and publicizing
its guidelines and areas of interest pays off in fewer ‘out-of-program’ requests. Clear,
frank statements of what a foundation does not do are as important as descriptions of
its priorities and will save grantseekers the time and expense involved in submitting
proposals that have no chance of success” (Freeman 1991, S. 78). Die Art und Weise,
in der die Stiftung und ihre Tätigkeitsschwerpunkte dem Kreis der potentiellen Antragsteller bekannt gemacht wird, hat also weit reichende Auswirkungen auf die Qualität der eingereichten Anträge (Æ Kap. 11.4 Kommunikationsmanagement, S. 427).
Bereits diese erste Teilaufgabe der Akquisition zeigt die sehr hohe Vernetztheit des
Wertschöpfungsprozesses mit den vorgelagerten Festlegungen im Bereich der Æ
Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) und Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288), aber
auch mit den Supportprozessen, insbesondere des Æ Kommunikations- (Kap. 11.3, S.
412) und Æ IT-Managements (Kap. 11.2, S. 409). Werden die zu treffenden
Entscheidungen in dieser Teilaufgabe nicht sorgfältig reflektiert und abgestimmt auf
vorangegangene und nachfolgende Festlegungen, verliert die Stiftungsarbeit an Konsistenz und die Stiftung verschenkt Potential, ihre Wirkung zu erhöhen.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Bestimmung der Akquisitionsform:
74.
Welche Akquisitionsform entspricht den Festlegungen in der Stiftungspolitik und passt
zur Strategie und den Zielen des jeweiligen Wirkungsfeldes?
75.
Wie werden bei der gewählten Akquisitionsform die potentiellen Projektpartner angesprochen oder identifiziert?
76.
Welche Informationen bezüglich Arbeitsschwerpunkte werden kommuniziert?
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
335
10.1.2 Festlegung des Akquisitions- und Antragsbearbeitungsprozesses
Die Spezifikation des Bearbeitungsprozesses umfasst die inhaltliche Beschreibung
der einzelnen Bearbeitungsschritte wie auch die Gestaltung der Beziehung zwischen
der Stiftung und dem potentiellen Projektpartner. Ebenso müssen die Zuständigkeiten
Ablauf und
Zuständigkeiten
festlegen
und Verantwortlichkeiten innerhalb der Stiftung für diesen Prozess festgelegt werden.
Neben den allgemeinen Angaben zur Stiftungsarbeit verdienen die Richtlinien für die
Antragstellung eingehende Betrachtung. Diese müssen Aspekte der Æ Mission (Kap.
9.1.2, S. 233), der Æ inhaltlichen Eckpfeiler (Kap. 9.1.3, S. 239) und der Æ
Richtlinien
der Antragstellung
kommunizieren
Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288) aufnehmen. Die Richtlinien für Anfragen und
Anträge sollten folgende fünf "Grundelemente" umfassen (angelehnt an Bender
2002a, S. 11):
1. Antragsteller: Kurzbiographie, ggf. institutioneller Hintergrund
2. Projekt: Beschreibung, Dringlichkeit, Zielgruppen
3. Realisierung: Ablauf, Zeitplan, Risiken
4. Ergebnisse: Ziele, Wirkungspotential, Evaluationskriterien und Anschlussperspektive
5. Finanzierung: Kostenstruktur, Auszahlungsplan
Diese sehr generischen Richtlinienkataloge sind an die Spezifika der Stiftung anzupassen und ggf. weiter auszugestalten. Bewertungskriterien sind vorgängig zu allen
Grundelementen zu entwickeln. Dadurch wird eine zielführende Grundlage für eine
Vorselektion der eingegangenen Anträge geschaffen, z. B. mittels sog. "KO-Kriterien" wie: "Fällt es in den Förderbereich der Stiftung?" Die Vorselektion wurde auch
in Interviews als geeignetes Instrument bestätigt, z. B.:
"Die erste Prüfung ist, ob es in unsere Förderbereiche fällt. Also das ist eigentlich eine Vorausscheidung, bevor der ganze Selektionsprozess anfängt
und der Antrag selber dann vom wissenschaftlichen Beirat geprüft wird. Also
die erste Entscheidung wird in der Geschäftsstelle getroffen: ‚Kann der Antrag überhaupt bei uns laufen?’, ‚Passt er zu uns?’, ‚Haben wir das sogar
schon einmal gemacht?’, ‚Könnten wir uns das vorstellen?’ Also das entscheiden wir direkt nach Eingang des Antrags in der Geschäftsstelle." (P10)
Bewertungskriterien
festlegen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
336
Diese Vorausscheidung kann materiell bereits als erste Stufe des Selektionsprozesses
bezeichnet werden. Es können z. B. Anträge zurückgewiesen werden, die um ein Stipendium nachfragen, obwohl die Stiftung gar keine vergibt. Ziel ist es vor allem, die
zeitliche Belastung der in der Folge mit der Begutachtung des Antrages befassten
Personen zu minimieren und gleichzeitig damit zu ermöglichen, dass den qualitativ
guten Anträgen eine entsprechende Aufmerksamkeit zuteil wird und diese seriös geprüft werden können.
Die Praxis der "Vorauswahl" setzt sich vor allem bei grösseren Stiftungen mit vielen
Anträgen durch, was auch Furnari et al. (2000, S. 21 f.) in ihrer Untersuchung für die
USA bestätigen: "Foundations are increasingly adopting a letter of inquiry rather than
a full proposal as a first step in the application process. This method of screening enables program staff to review a greater number of requests and to respond in a timely
manner.” Insbesondere die nicht unter den Stiftungszweck fallenden Projekte werden
hierbei ohne weitere interne Prüfung, aber nach bestimmten festgelegten Kriterien
und damit begründet ausgesondert. Auch die Robert Bosch Stiftung hat ihren Antrags- und Selektionsprozess entsprechend umgestellt und die Anfrage als Vor-Selektion eingeführt (Bender 2002a, S. 10). In einem Interview bestätigt ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung dieses Vorgehen als sinnvoll:
"Letztes Jahr sind 167 solcher Pre-Proposals eingeschickt worden und die
haben wir auf der Geschäftsstelle alle evaluiert mittels eines Kriterienrasters.
Der Stiftungsrat bekommt bis hierhin gar nichts mit. Für die Selektion dieser
Pre-Proposals gibt es 20 verschiedene Kriterien, die sind natürlich vom Stiftungsrat festgelegt worden, die ändern sich auch nicht. Kriterien sind z. B.
‚Hat das Projekt eine Hebelwirkung?’, ‚Ist es innovativ?’, ‚Sind klare Ziele
formuliert?’ usw. 20 verschiedene Kriterien, die in vier Kategorien eingeteilt
sind: das Projekt selbst, der Projektpartner, die Durchführung des Projekts
und die Referenzen. Wichtig ist, es sind immer dieselben 20 Kriterien. Und
wir haben ein Benotungssystem, d. h. es werden Punkte vergeben von eins bis
sechs je Kriterium. Für jedes Kriterium haben wir die Eins und die Sechs definiert. Was ist das eins von innovativ? Eine Idee, der ich bereits drei Mal begegnet bin. Was ist die sechs von innovativ? Super Idee, bin ihr noch nie begegnet, irgendwo in einer Zeitschrift ist geschrieben worden, dass das ein
ganz "verrückter" Ansatz ist. Von diesen ursprünglich knapp 170 Pre-Propo-
Vorausscheidung
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
337
sals sind vergangenes Jahr 60 übrig geblieben und gut 100 rausgefallen. Die
60 hat man dann dazu eingeladen, ein umfangreicheres Proposal einzusenden." (P24)
Immer mehr Stiftungen bieten Anfrage- oder Antragsformulare an, die von der Website der Stiftung heruntergeladen werden können. Diese Art von Standardisierung
nimmt besonders mit den heutigen IT-Möglichkeiten zu (Æ Kap. 11.2 IT-, S. 409
Anfrageformulare/
Standardformulare
und Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement, S. 412, vgl. auch Furnari et al. 2000,
S. 21). Manche Stiftungen veröffentlichen statt eines Formulars zumindest die
notwendigen Punkte, die in einer Anfrage oder im Rahmen eines Antrags zu
adressieren sind. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich, die Seitenzahl von
Anträgen auf ein "bearbeitbares" Mass zu begrenzen. Mit beiden Vorgehensweisen,
Vorgabe von "Überschriften" und Begrenzung der Seitenzahl, kann der (Nach-)
Bearbeitungsaufwand beträchtlich minimiert werden. Dieser kann bei frei
formulierten Anträgen ohne inhaltliche Vorgaben in erheblichem Masse auftreten.
Mit der Kommunikation der formalen und inhaltlichen Richtlinien muss auch über
Ablauf
den Ablauf des Antragsprozesses informiert werden. Antragsteller dürfen erwarten,
dass sie z. B. über Eingabefristen und eine Orientierung über den weiteren zeitlichen
Ablauf des Antrags- und Selektionsprozesses zur Gewährleistung einer gleichen und
fairen Behandlung aller Antragsteller orientiert werden.
Insbesondere bei Stiftungen mit einer Geschäftsstelle und einer eher proaktiven Ausrichtung ist eine Bereitschaft zur Hilfestellung für Antragsteller sehr hoch, was folgende beiden - unabhängig von einander getroffenen - Aussagen von Mitarbeitern
derselben Stiftung belegen:
"Es ist wichtig, dass ein Service geleistet wird für diejenigen, die zum Beispiel Anfragen haben. Man muss sich mit denen unterhalten, vor allem dann,
wenn man meint, dass sie eine gute Idee haben. Man ist dafür da, dass die
Interessenten ihr Anliegen auch durchsprechen können und sie dürfen auch
erwarten, dass man ihnen auch Hilfestellung gibt." (P29)
Hilfestellung
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
338
"Ich erachte es als einen wichtigen Teil eines professionellen Managements
einer Stiftung, dass man der Öffentlichkeit gegenüber tritt und die Leute
wirklich den Eindruck haben: ‚Aha, mein Anliegen wird ernst genommen, ich
bekomme eine Antwort, ich muss nicht Wochen oder Monate lang warten,
sondern man ist in Verbindung, man kann anrufen, es wird geantwortet, man
wird nicht abgewiesen, man gibt Auskunft und Hilfestellungen.’ Das Einzige,
das wir nicht können aus reinem Personalengpass ist, dass die Leute vorbeikommen, um ihre Projektanliegen vorzustellen. Dort müssen wir leider absagen. Wir können einfach nicht jeden Antragsteller empfangen, damit er sein
Projekt vorstellen kann. Das geht also nicht. Und da sagen wir also, schriftlich oder mündlich: ‚Hören Sie bitte, das geht einfach nicht, schreiben Sie
uns bitte einen Kurzantrag. Sie müssen kein riesiges Ding schreiben, sondern
einen Kurzantrag einreichen und dann können wir Ihnen kurzfristig darauf
antworten." (P2)
Die Bereitschaft zur Hilfestellung wird, wo aufgrund der personellen Ressourcenausstattung möglich, in besonderer Weise auch von den Antragstellern gewürdigt, wie
nicht nur die beiden oben zitierte Geschäftsführer in ihren weiteren Ausführungen
bestätigten, sondern was auch durch Ergebnisse anderer Untersuchungen belegt werden kann. Ein Kurzantrag allein hilft zwar "in determining whether it is worth the
time and expense to proceed with a full proposal. By submitting a letter rather than a
full proposal, however, applicants are unable to present as complete a picture of their
activities as the opportunity afforded by a full proposal." (Furnari et al. 2000, S. 22)
Durch eine mündliche Rücksprache können z. T. die für den Antragsteller restriktiven
Vorgaben eines Kurzantrags oder Formulars "gemildert" werden - und zudem besteht
die Möglichkeit für die Stiftung, gute Projektideen aufzugreifen und zu unterstützen,
die ggf. durch das Raster "gefallen" wären. Einige grosse Stiftungen bieten statt einer
telefonischen Beratung Workshops an zu Themen wie "Wie bewerbe ich mich richtig
um Fördermittel bei der Stiftung XY?" (vgl. Freeman 1991, S. 81)
Eine Balance zu finden zwischen Restriktion (z. B. durch ein Antragsformular) und
der Erhaltung der Offenheit für kreative Anträge beschäftigt einen Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
Restriktion vs.
Offenheit
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
339
"Manchmal haben wir das Gefühl, wir seien fast zu restriktiv. Kürzlich in
dem Artikel über uns hiess es ‚XY ist eine Stiftung mit rigiden Kriterien’. Also
zuerst, als ich das gelesen habe, war ich stolz, weil rigide Kriterien eigentlich
heissen könnten, man schaue ein bisschen auf die Qualität. Auf der anderen
Seite soll es ja nicht so sein, dass die potentiellen Antragsteller das Gefühl
haben, es mache überhaupt gar keinen Sinn, einen Stiftungsantrag einzureichen. Also, es ist immer ein bisschen ein Seiltanz, wie offen muss man diese
Türen halten, wie geschlossen sollen sie sein." (P5)
Auch die zeitliche Komponente bei der Antragsbearbeitung spielt vermehrt eine
Rolle, denn im Lichte einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit, die Stiftungsarbeit
Zeitnahe
Bearbeitung
sicherstellen
als eine Dienstleistung für die Gesellschaft definiert, wird eine professionelle und
damit auch zeitnahe Bearbeitung von Anfragen erwartet. Ein Geschäftsführer einer
grossen Stiftung beschreibt daher sein Vorgehen:
"Bei uns kann der Ablauf als sehr speditiv bezeichnet werden. Ich spreche
jetzt von den Anfragen, die wir bekommen. Wenn jemand anfragt, haben die
innerhalb einiger Tage, maximal in einer Woche, eine Antwort von uns. Und
diese Antwort ist entweder bereits negativ, wenn die Leute vollständig
daneben liegen oder überhaupt keine Ahnung haben, was wir machen. Oder
die Antwort ist positiv, im Sinne von: ‚Es könnte uns interessieren. Es wird
vor den Projektausschuss gehen.’ Das ist das Gremium aus unserem wissenschaftlichen Direktor und Mitgliedern des Stiftungsrats." (P2)
Eine schnelle Beantwortung mit einer ersten oder auch letzten Entscheidung ist ebenfalls aus Fairnessgründen gegenüber dem Antragsteller anzustreben, da sie sich dann
ggf. um alternative Fördermöglichkeiten bemühen können. Durch ein darauf abgestimmtes Æ IT-Management (Kap. 11.2, S. 409) können dabei erhebliche Zeiteinsparungen und Qualitätsverbesserungen erzielt werden (z. B. über modulartige
Musterabsagen, bei denen dann jeweils ein Absatz "personifiziert" wird mit den
spezifischen Angaben z. B. zu einer Absage).
Auch wenn Antragstellern eine Absage erteilt werden muss, liegt darin eine Chance
für die Stiftung, sich als engagierter, fairer und verlässlicher Partner darzustellen. In
der Art der Absage kann das Selbstverständnis einer Stiftung und damit die Wertschätzung der Antragsteller als notwendige "Agenten" der Stiftung zur Umsetzung
Korrespondenz
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
340
ihrer Anliegen zum Ausdruck gebracht werden. Ein Geschäftsführer einer grossen
Stiftung formuliert das seiner Meinung nach zwingend notwendige Bewusstsein und
Handeln einer Stiftung in diesem Zusammenhang:
"Auch bei der Formulierung einer Absage ‚darf’ man auf das Anliegen selbst
eingehen, obwohl man nicht immer alles bis ins Letzte begründen kann. Ich
meine, es geht nicht, dass man den gesamten Gedankengang wiedergeben
kann, aber wir versuchen trotzdem kurz zu erklären anhand unserer Kriterien, weshalb wir nicht auf diesen Antrag eingetreten sind. Also das ist ein
Teil von dem, was ich als professionelles Management von Stiftungen bezeichnen würde." (P2)
Um einen effizienten Selektionsprozess innerhalb der Stiftung zu ermöglichen, empfiehlt es sich, die Anträge der potentiellen Projekte für die weitere Prüfung in geeigneter Weise aufzubereiten, z. B. durch
ƒ Erstellen eines einheitlichen Deckblatts mit den wichtigsten Eckpunkten des
Projekts
ƒ Erfassen bestimmter Inhalte in einer Datenbank für zukünftige Auswertungen
Zudem muss gewährleistet sein, dass die Unterlagen rechtzeitig und in angemessener
Aufbereitung an die zuständigen Personen und Gremien versendet werden. Ein Stiftungsrat einer grossen Stiftung bestätigt dies:
"Wir bereiten die Anträge, die eingereicht werden, so auf, dass man sie relativ schnell überblicken kann, z. B. gibt es ein Deckblatt, auf dem auch steht,
was dieses Projekt kostet. Bei den Promotionsstipendien kriegen wir eine
Liste, die in zwei Kategorien, A und B, unterteilt ist. Damit wird der Selektionsprozess schon gut vorbereitet. Denn wir kriegen pro Sitzung sehr viele
Anträge, bei insgesamt zwei Entscheidungssitzungen im Jahr, letztes Mal waren es rund 270 Anträge - und 22 konnten wir bewilligen. Aber alle 270 müssen irgendwie bearbeitet werden. Das wird entsprechend in der Geschäftsstelle vorbereitet, sodass die Entscheidung dadurch wesentlich erleichtert
wird." (P8)
Anträge
aufbereiten
und
weiterleiten
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
341
Die Erfassung der Anträge und deren Aufbereitung werden heute vielfach mittels
Computerunterstützung durchgeführt (IT-Management), wie das folgende Zitat bestätigt:
"Wir bekommen auch wiederkehrende Anfragen - und die unterstützen wird
nicht. Aber da wir alles erfassen, finden wir das heraus. Gut, das ist natürlich
heute alles ziemlich einfach mit dem Computer zu erfassen." (P2)
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegung des Akquisitions- und Antragsbearbeitungsprozesses:
77.
Aus welchen einzelnen Teilaufgaben besteht der Bearbeitungsprozess und wie sind
diese dokumentiert?
78.
Welche Organe und Personen sind in den Antragsbearbeitungsprozess eingebunden
und wie sind die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten geregelt?
79.
Wie lauten die aus den Festlegungen der Mission, Stiftungspolitik und -strategie
hergeleitete Richtlinien zur Antragstellung und in welchen Kanälen werden sie den
potentiellen Projektpartnern kommuniziert?
80.
Welchen Vorteil bietet eine Vorausscheidung eingegangener Anträge und welche
Kriterien werden dafür benutzt?
81.
Welche Hilfestellungen stehen den Antragstellern von Seiten der Stiftung zur Verfügung (Standardformulare, Wegleitungen, Ablaufbeschreibungen, Ansprechpersonen
etc.)?
82.
Wie erfolgt die Kommunikation (Eingangsbestätigungen, Absagebrief etc.) mit den
Antragstellern und wer führt sie durch?
83.
Nach welchen Kriterien oder an Hand welcher Formulare werden die eingegangenen
Anträge aufbereitet?
84.
Wer übernimmt die Aufbereitung und die Zustellung der Anträge an die für die Selektion verantwortlichen Personen und Organe?
10.2
Projektselektion
Die Projektselektion erfolgt aufgrund vorgängig entwickelter, an die Stiftungsmission
und die daraus abgeleiteten Wirkungsfelder angepassten Kriterien. Der Selektionsprozess kann mehrstufig ablaufen, indem neben der Geschäftsführung und dem Stiftungsrat zusätzlich externe Gutachter oder ein institutionalisierter Beirat eine fachliche Beurteilung des Antrages vornehmen. Neben den inhaltlichen Kriterien muss das
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
342
beantragte finanzielle Projektvolumen in einem sinnvollen Verhältnis zum Budget
des jeweiligen Arbeitsschwerpunktes stehen. Basierend auf diesen Beurteilungen erfolgt vom Stiftungsrat ein anhand der Selektionskriterien begründeter Entscheid über
den Projektantrag. Zur Spezifikation der gegenseitigen Erwartungen werden in Form
eines Vertrages dezidierte (Teil-) Projektziele, Meilensteine, Publikations- und
Kommunikationsvereinbarungen formuliert.
Die oben genannten Teilaspekte können zwei Aufgaben zugeordnet werden:
1. Festlegung des Selektionsprozesses
2. Verfassung von Projektverträgen
10.2.1 Festlegung des Selektionsprozesses
Die detaillierten Ausgestaltungen der Selektionsprozesse in den einzelnen Stiftungen
sind so vielfältig wie die Stiftungslandschaft selbst. Dennoch kann ein Grundmuster
identifiziert werden, das mit dem oben beschriebenen Antragsbearbeitungsprozess
beginnt, der möglicherweise bereits eine - zu empfehlende - Vorselektion nach
grundsätzlichen, allgemeinen Kriterien der jeweiligen Stiftung beinhaltet. Anschliessend erfolgt die Aufbereitung und Weiterleitung der Anträge an die entsprechenden
Entscheidungsträger.
Diese Selektionsphase im engeren Sinn kann einen oder mehrere Schritte umfassen,
je nach Grösse der Stiftung, Komplexität des Themenfeldes oder weiteren Faktoren
(z. B. Erfahrung/Kompetenzen zur Beurteilung). Die letztinstanzliche Entscheidung
für oder gegen ein Projekt wird im Stiftungsrat getroffen, je nach Ausgestaltung z. B.
auf Antrag der Geschäftsstelle oder eines wissenschaftlichen Beirats - die Anzahl der
Projekte wird bis dahin jedoch bereits reduziert, um nur die "in Frage kommenden"
Projekte im Detail zu diskutieren und intensiv zu prüfen.
Als Beispiel eines detaillierten Selektionsprozesses dient folgende Beschreibung eines Geschäftsführers einer grossen Stiftung:
"Ich leite die Anträge von den Bereichssparten her auf die Mitarbeiter weiter
und sage in vielen Fällen bereits einen Kurzkommentar. […] Das ist so die
Beispiel eines
Selektionsprozesses
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
343
erste Prüfung. Das Dossier als solches geht also zu den zuständigen Sachbearbeitern, die dann in direktem Gespräch mit dem Gesuchsteller - dort wo
wir das Gefühl haben, es ist positiv - Kontakt aufnimmt. Bei jedem Gesuch
bleiben noch gewisse Fragen offen. Und wir wollen auch ein wenig im persönlichen Gespräch herausspüren, mit welcher Art von Leuten wir es zu tun
haben. Man bekommt ein wenig ein Gespür. Und dann ist es so, dass man bei
grösseren Projekten - ich sage etwa CHF 50'000 und aufwärts - vor Ort gewesen sein muss, einfach um die ganze Geschäftsleitung vor Ort gesehen zu
haben. Da gibt es Überraschungen auf beiden Seiten. Das Gesuch sieht z. B.
formal super aus, aber das, was dann eigentlich da gemacht wird, entspricht
nicht dem, was wir uns darunter vorstellen. Das ist öfters der Fall, gerade im
sozialen Bereich gibt es den Fall, dass schlechte Unterlagen abgegeben wurden, aber vor Ort ist es eigentlich eine hervorragende Organisation. Anschliessend kommen die Sachbearbeiter dann zu mir, auch für die Absagen.
Sie teilen mir mit, wo das Problem liegt und dann wird denen abgesagt. Das
passiert also innert weniger Tage. Die Positiven besprechen wir dann noch
einzeln - da will ich wissen, was die genau machen, weshalb kostet es so viel
usw. Das sind einfach so die Fragen. Also Sie sehen: eine Trennung eigentlich, ja es ist dreifach, es ist einmal die Sachbearbeiterstufe, dann ich - ich
sehe meine Aufgabe darin, einfach als Gesprächspartner da zu sein, weil
vielfach ist man manchmal auch froh, wenn ein anderer auch noch eine Meinung dazu gibt. […] Und dann geht es auf die Stufe des Stiftungsratsausschuss bestehend aus drei Stiftungsräten. […] Das ist das Gremium, das definitiv entscheiden kann bis zu einer Limite von 100'000 Franken. Also 98 Prozent wird dort erledigt - alles darüber geht in den Stiftungsrat." (P23)
In der obigen Beschreibung werden sowohl die Anwendung von Selektionskriterien
angesprochen als auch die Zusammenarbeit und Zuständigkeiten der einzelnen Gremien und Personen bei der Selektion der Anträge. Diese beiden zentralen Elemente,
Selektionskriterien und Zuständigkeiten, eines Selektionsprozesses verdienen eine
eingehende Betrachtung.
Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt den nach der Entgegennahme
des Antrags und einer allfälligen Vorprüfung beginnenden Selektionsprozess, mit be-
Ablauf und
Zuständigkeiten
festlegen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
344
sonderem Fokus auf die Aufgaben eines sog. Projektausschusses, der die Entscheidungen für den Stiftungsrat vorbereitet:
Projektausschuss
"Der Projektausschuss, bestehend aus dem wissenschaftlichen Direktor und
Mitgliedern des Stiftungsrats, schaut den Kurzantrag an und befindet entweder: ‚Ja, das könnte uns interessieren. Unterbreiten Sie uns bitte einen Vollantrag.’ Und dieser Vollantrag geht dann dreimal im Jahr vor den Stiftungsrat und die setzen sich wirklich mit all diesen Anträgen eingehend auseinander. Die bekommen die gesamte Dokumentation. Die bekommen eine Vorbewertung und eine sog. Funding Recognition. Dann wird darüber befunden.
Oder der Projektausschuss befindet: ‚Nein, aus diesem oder jenem Grund
können wir das nicht unterstützen.’ Das bedeutet vom Zeitablauf her, dass die
Leute normalerweise innerhalb von drei bis vier Wochen eine Antwort von
uns bekommen, entweder ‚Bitte um Vollantrag’ oder ‚Absage aus dem oder
jenem Grund.’ Und dann dreimal im Jahr bekommen sie eine Zu- oder Absage." (P2)
Im weiteren Verlauf der Selektion können Fachgutachter beigezogen werden, z. B.
bei für die Stiftung hohen Vergabungen oder Themen, die über die Fachkompetenz
Externe
Fachexperten
der Geschäftsstelle hinausgeht. Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt
den bei ihnen verwendeten Ansatz fallweise extern beigezogener Experten, um eine
faire und qualitativ hochwertige Beurteilung der Anträge zu gewährleisten:
"Die eingeschickten Proposals werden dann von meistens zwei, manchmal
drei verschiedenen Experten angeschaut. Einer von uns, aus der Geschäftsstelle, ein Fachstiftungsrat und ich würde sagen in 50 bis 60 Prozent der
Fälle noch ein dritter Experte, von der WHO, UNICEF oder wen es dann
auch immer braucht, falls wir meinen, wir brauchen noch ein wenig Expertise
zu diesem oder jenem Thema. Jeder füllt das vorgegebene Kriterienraster
wieder aus, die externen Experten schreiben zusätzlich auf einer halbe Seite
ihre Meinung zu diesem Projekt." (P24)
Ein anderes Modell ist die Abbildung der Fähigkeiten eines Fachbeirats im Stiftungsrat selbst, was jedoch nicht nur Vorteile mit sich bringt (kurze Wege), wie ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung feststellt:
Stiftungsräte
als
Fachexperten
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
345
"Also bei uns ist es irgendwo eine effiziente, aber an und für sich nicht unbedingt günstige Vermischung von zwei Gremien. Wir haben den Stiftungsrat
und die Geschäftsstelle. Dazwischen könnte man einen wissenschaftlichen
Beirat haben. Jetzt fällt dieser aber bei uns zusammen mit dem Stiftungsrat.
Wir haben nur fallweise Fachgutachter. Eigentlich ist der Stiftungsrat gleichzeitig wissenschaftlicher Beirat, und das gibt auch sehr oft ein Missverständnis, weil sie beide Hüte gleichzeitig anhaben. Als wissenschaftlicher Beirat
sind sie kompetent für wissenschaftliche Fragen. Aber als wissenschaftliche
Beiräte sind sie nicht unbedingt kompetent für strategische Fragen." (P5)
Die "ausführliche Variante" einer "fachkompetenten" Geschäftsstelle, die bereits eine
Vorselektion vornehmen kann, eines hochkompetenten Fachbeirats und eines strategisch orientierten Stiftungsrats ist interessanterweise nicht nur auf grosse Stiftungen
beschränkt. Die sog. mittelgrossen Nischenanbieter (ca. CHF 50 - 150 Mio. Stiftungsvermögen), die eine thematisch relativ stark fokussierte Mission aufweisen, bedienen sich gerne dieser Variante, zwar "zu Lasten" etwas höherer Verwaltungskosten, jedoch mit der Absicht, in ihrem Bereich "Spuren zu hinterlassen". Die folgende
Stiftung kann gemäss den Erläuterungen eines Stiftungsrats als Beispiel dafür dienen:
"Nach der ersten Vorselektion durch die Geschäftsstelle gibt es bei uns im
Fachbeirat eine Vorbegutachtung durch das fachlich nächststehende Mitglied, und dann bleiben von den, sagen wir mal von hundert Anträgen gut die
Hälfte im Schnitt überhaupt übrig für die eigentliche Entscheidung, und die
erfolgt dann eben in einer mündlichen ‚Verhandlung’, in den beiden Gremien, in dem wissenschaftlichen Beirat und dem Kuratorium, also dass das
fachlich nächststehende Mitglied selber die Qualität dieses Projektes und des
Antragsstellers noch ein mal darlegt, aufgrund von Vorgutachten und seiner
eigenen Einschätzung, und das wird vor allen diskutiert. Die Anträge, die in
diese letzte Runde, diese entscheidende zweite Runde gehen, die liegen allen
vor. Die kann jeder zur Kenntnis nehmen, und jedes Mitglied, also der Fachbeirat sowieso, aber auch die Mitglieder des Kuratoriums, haben diese in der
Regel auch gelesen. Es gibt selbstverständlich auch Diskussionen innerhalb
des Beirates, oder es kommen auch Fragen aus dem Kuratorium, wo Leute
vielleicht jetzt nicht Fachleute sind, aber ansonsten ‚helle Köpfe’." (P8)
Institutionalisierter
Fachbeirat
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
346
Wie bei einer etwaigen Vorselektion der Anträge, deren Vorteile bereits im Æ Antragsbearbeitungsprozess (Kap. 10.1.2, S. 335) aufgeführt wurden, geht es auch im ei-
Selektionskriterien
entwickeln
gentlichen Selektionsprozess darum, möglichst eindeutige Selektionskriterien anzuwenden. Zur grundsätzlichen Anwendung von vorab entwickelten Kriterien zur Wahrung einer fairen und gleichen Behandlung aller Antragsteller und zur Erhöhung der
Wirksamkeit der Stiftungsarbeit gibt es keine Alternative. Doch welches sind die
"richtigen" Kriterien, die eben diese faire Behandlung und die Wirksamkeit der Stiftungsarbeit gewährleisten?
Angelehnt an Breiteneicher und Marble (2003, S. 669 ff.) wird eine Auswahl generischer Kriterien vorgestellt, die es aber für ihre Anwendung in einer bestimmten Stiftung zu spezifizieren gilt:
ƒ Qualität der Projektleitung (Kompetenz, Erfahrung etc.)
ƒ Qualität der Institution (Umfeld, Erfolgsbilanz etc.)
ƒ Finanzkraft und interne Prozesse (Buchhaltung, Erschliessung neuer
Finanzquellen)
ƒ Stellung im Gemeinwesen (Zugang zur Zielgruppe, z. B. Suchtkranke etc.)
ƒ Mission/Ziele (Begründung, Timing etc.)
ƒ Kosten-Nutzen-Analyse (Vergleich zu anderen Massnahmen etc.)
ƒ Wirkungspotential (Modellcharakter, Erfolgskriterien etc.)
ƒ Risiken (Zeitplan, Neuheit der Massnahmen etc.)
ƒ Verstärkungseffekt (mögliche Signalwirkungen etc.)
ƒ Weiterführung (episodisch, Institutionalisierungspotential etc.)
Die Kriterien müssen sich in kohärenter Art und Weise aus der Æ Mission (Kap.
9.1.2, S. 233), den Æ inhaltlichen Eckpfeilern (Kap. 9.1.3, S. 239) und der Æ
Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288) zu einem bestimmten Wirkungsfeld ableiten lassen. Neben allgemeinen Kriterien, die auch und vor allem bei der Vorselektion eingesetzt werden können, geht es bei der Selektion um eine gründlichere Überprüfung
von Zielen und Massnahmen der zur Auswahl stehenden Projekte.
Generische
Kriterien
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
347
Zur Beurteilung von Anträgen ist notwendigerweise eine inhaltlich vertiefte Auseinandersetzung mit dem Projektthema und -ansatz notwendig. Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung, der selbst Fachmann auf dem entsprechenden Gebiet ist und mit
der Vorselektion eine wichtige Unterstützungsfunktion im gesamten Selektionsprozess einnimmt, bringt es auf den Punkt:
"Man muss ja das Umfeld kennen, jetzt in unserem Fall: Man muss den Ablauf einer Grabung kennen, um überhaupt den Antrag beurteilen zu können.
Wenn wir jetzt einen Antrag bekommen zur Medizingeschichte, z. B. ein Vergleich neuerer und antiker Medizin, das erfordert schon ein gewisses Knowhow, um den Antrag überhaupt in der Qualität beurteilen zu können. Und da,
denke ich, ist bei uns der Fachbeirat das wichtigste Instrument, weil die einerseits einen sehr guten Überblick über die Forschungslandschaft haben,
über die Parteien der Projekte, aber auch ein riesiges Fachwissen besitzen
oder wissen, wen man zusätzlich noch als Experten oder Gutachter heranziehen könnte." (P10)
Ein ehemaliger Fachbeirat und jetziger Stiftungsrat jener Stiftung nimmt den Faden
unabhängig von dieser Aussage in einem anderen Interview auf, indem er eine Definition der Qualität eines Antrags vornimmt, wobei diese Art der Definition sicher
nicht nur auf den spezifischen Fall dieser Stiftung, einer Stiftung zur Förderung der
Wissenschaften, anzuwenden ist:
"Zur Qualität des Antrages gehört nicht nur die Zielsetzung an sich, sondern
auch die genaue Beurteilung der Operationalisierung. Man weiss ja bei Forschung oft nicht, was rauskommt, das ist ja klar, sonst muss man ja nicht
mehr forschen. Aber wir müssen uns auseinander setzen mit der Ausgangshypothese, mit dem Programm, mit der Zielsetzung: ‚Ist diese klar und innovativ oder ist sie widersprüchlich?’ Und zweitens, sind die Arbeitsschritte,
die dort beschrieben werden, auch geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Den
Antrag muss man auf diesen beiden Ebenen beurteilen. Man muss sich trotz
aller Kriterien auch ein gewisses Mass an Flexibilität wahren, d. h. man kann
nicht ausschliesslich auf die Formgerechtheit des Antrages schauen, ist da
Punkt 1, 2, 3 alles genannt, ja oder nein. […] Also ich denke, wir im
Fachbeirat haben die Pflicht, auch für Dinge offen zu sein. Entscheidend ist
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
348
das, was von den Forschern kommt. Und das entsprechend zu fördern. Dass
das möglichst gute Projekte sein sollten, ist klar. […] Aber man muss immer
um seine Grenzen wissen, bei diesen ganzen Überlegungen. So toll wir das
auch immer diskutieren und prüfen, es kann immer sein, dass uns was ganz
Tolles durch die Lappen geht, was in einem Antrag noch nicht so sichtbar
werden konnte. Oder nicht sichtbar gemacht werden konnte. Je nach dem."
(P19)
Bei einer Unterstützung von Institutionen bietet sich, wie bereits in einem Zitat angesprochen, ein Vor-Ort-Besuch an, um sich ein Bild von der Organisation zu machen
("Ist der Projektpartner z. B. geographisch wirklich gut für die Zielgruppe des Pro-
Vor-OrtBesuche als
zusätzliche
Informationsquelle
jekts erreichbar?", "Stehen genügend Räumlichkeiten zur Verfügung?"). Durch Besuche vor Ort kann eine Stiftung auch ihre aktive Beteiligung an diesem - noch potentiellen - Projekt dokumentieren. Diese Art der Prüfung eines Antrags setzt jedoch
nicht unerhebliche personelle Ressourcen voraus. Zudem gebietet es die Ehrlichkeit
und Fairness, die Ortsbesuche vorher anzukündigen und über den Ablauf zu
informieren.
Am Ende eines Selektionsprozesses steht die letztinstanzliche Entscheidung für oder
gegen ein Projekt. Bereits bei der Strukturierung des Ablaufs muss spezifiziert wer-
Projektentscheid
treffen
den, auf welcher Grundlage und in welchem Verfahren eine Entscheidung getroffen
wird. Diese Festlegungen greifen auch auf die Stiftungspolitik zurück, wo die Æ Verantwortlichkeiten und Zuständigkeitsregelungen (Kap. 9.1.6, S. 263) z. T. auch für
diesen Bereich bereits getroffen wurden. Normalerweise tritt der Stiftungsrat in seiner
Funktion als Oberleitung zusammen und trifft die Entscheidungen zu den einzelnen
Projektanträgen. Doch wie der Selektionsprozess selbst weisen auch Form und Ablauf dieser Entscheidungssitzung unterschiedliche Ausgestaltungen auf.
Die für eine Projektentscheidung zugrunde liegenden Informationen sollten beispielhaft folgende Punkte umfassen, die auf die Erfordernisse einer Stiftung angepasst
werden müssen:
ƒ Deckblatt mit den wichtigsten Rahmendaten zum Projekt: Titel, Ziel(e),
Themenbereich, Dauer, nachgefragter Geldbetrag oder andere Leistungen
ƒ Antrag oder Zusammenfassung des Antrags
notwendige
Informationen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
349
ƒ Budget (Gesamtbetrag und Aufschlüsselung nach Kostenart und Zeit etc.)
ƒ Anlagen (Institutionelles Umfeld etc.)
ƒ Stellungnahmen/Gutachten (Erläuterungen, Bewertungen etc.)
ƒ Begründungen für die Förderung (Übereinstimmung mit der Mission etc.)
ƒ (erste) Evaluationskriterien
ƒ Empfehlung (von der Geschäftsführung und/oder Fachbeiräten/externen
Experten)
Insbesondere bei Stiftungen, die auf einen Fachbeirat verzichten und bei denen in der
Geschäftsstelle die einschlägigen Kompetenzen abgebildet sind, spricht diese die
Empfehlungen aus und präsentiert dem Stiftungsrat die zur Abstimmung anstehenden
Projekte.
Das Ziel einer Entscheidung ist so klar wie kompliziert: die besten Projekte (für die
Stiftung und die Gesellschaft) zu identifizieren und zu fördern. Nicht nur der Selektionsprozess im engeren Sinne stellt eine Herausforderung in dieser Hinsicht dar, z. B.
weist ein Geschäftsführer darauf hin, dass
"die grösste Gefahr bei der Selektion theoretisch in der ersten Runde sein
könnte, in der einer alleine die Bewertung vornimmt. Aber da haben wir jetzt
unterdessen schon ein wenig Erfahrung und wir haben die Selektionskriterien
auch klar definiert". (P24)
Darüber hinaus ist aber auch die abschliessende Sitzung eine Herausforderung, wie
ein weiterer Geschäftsführer beschreibt:
"Bei uns dauert die Vergabesitzung ca. 4 Stunden. Wir haben statutarische
Traktanden. Die müssen wir abhandeln, also z. B. Protokoll bewilligen usw.
Der Hauptpunkt sind wirklich die Projekte: präsentieren, besprechen, entscheiden. Und da gibt’s einfach eine Kapazitätsgrenze. Sonst wird es einfach
unseriös. Und dort bin ich einfach der Hüter der Zeit und der Qualität. Ich
schaue einfach, dass wir nach Möglichkeit nicht in eine Situation reinkommen, wo wirklich leichtfertig Entscheidungen getroffen werden. Im Einzelfall
geht es ja meistens um CHF 2, 3, 400'000. Das darf nicht einfach so aus der
Hüfte bewilligt werden. Sondern da muss man eine gewisse Zeit haben, noch
Sitzungsablauf
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
350
mal darüber zu diskutieren, wirklich sich anzuhören, was sind die Argumente
pro und contra. Wir bereiten eine Liste vor mit einer Lesehilfe. Diejenigen
Projekte, die aus unserer Sicht, also aus der Sicht der Geschäftsstelle, gar
nicht gross Anlass zur Diskussion geben, bekommen eine Markierung. Und
ich präsentiere immer jedes Gesuch. Ich sage: Gesuch sowieso. Wir von der
Geschäftsstelle stellen den Antrag, ohne Diskussion zu bewilligen. Das
kommt auch vor. Auch um Zeit zu sparen. Und dann gibt’s andere Projekte,
die haben eine andere Markierung, da stellen wir den Antrag, diese ebenfalls
ohne Diskussion abzulehnen auf Grund der vorliegenden Begutachtung. Aber
immer kann jemand das Wort verlangen. So versucht man eben Zeit zu
schaffen, um bei einzelnen, z. B. grossen, Projekten zu bleiben." (P5)
Der zeitliche Aspekt spielt im Übrigen im gesamten Antrags- und Selektionsprozess
eine grosse Rolle. Der gesamte Prozess von der Eingabe eines Antrags bis zur Entscheidung sollte sich auch im Sinne der Antragsteller nicht zu lange hinziehen. So
formuliert ein Geschäftsführer seine Vorgaben wie folgt:
"Wir haben das Gefühl durch unseren gut strukturierten Selektionsprozess,
dass wir Zu- und Absagen relativ schnell treffen können. Das gibt eine gewisse Planungssicherheit auf beiden Seiten. Wir haben vier Sitzung pro Jahr
- man kann also damit rechnen, immer vorausgesetzt die Unterlagen sind
vollständig, dass innerhalb von drei Monaten ein Entscheid vorliegt." (P23)
Doch es gibt auch aussergewöhnliche Situationen, die eines vereinfachten Antragsund Selektionsprozesses bedürfen, z. B. um schnell auf unvorhergesehene Situationen
reagieren zu können (z. B. Umweltkatastrophen) oder um "kleine" Förderbeiträge
rasch sprechen zu können (z. B. über einen Verfügungsfonds, der dem Geschäftsführer ermöglicht, bis zu einer gewissen Höhe selbst - nach bestimmten Kriterien - zu
entscheiden). In einer solchen Situation sind natürlich die üblichen Entscheidungswege zu lang. Bereits in der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) muss daher eine
Grundsatzentscheidung getroffen werden, ob auch in einer dieser Situationen Vergabungen getätigt werden können. Diese Festlegungen müssen entsprechend in einem
verkürzten Antrags- und Selektionsprozess abgebildet werden, wie es z. B. in folgender Stiftung gemacht wurde:
Vereinfachten
Antrags- und
Selektionsprozess
einführen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
351
"Bei uns gibt es ein eigenes Förderinstrument, das ausserhalb des so genannten regulären Programms läuft, das ist der so genannte Verfügungsfonds, der extra eingerichtet wurde, um sehr zeitnah kleine Projekte fördern
zu können. Diese Anträge werden natürlich auch geprüft, können aber sehr
kurzfristig im Dialog zwischen den beiden Vorsitzenden des Fachbeirats und
des Kuratoriums sowie der Geschäftsstelle entschieden werden." (P10)
Ein anderes Beispiel aus einer amerikanischen Untersuchung beschreibt ebenfalls
eine Situation, die eine Verkürzung des Antragsprozess rechtfertigen kann.
"The Philadelphia Foundation has adopted a short application process for applicants for
grants in the $ 2.000 to $ 10.000 range. This shorter process is for groups that have applied
to the foundation within the preceding three years even if the previous proposal was not
successful. Only those organizations requesting over $ 10.000, multi-year support or those
who have not submitted a proposal within the past three years are required to submit a full
application” (Furnari et al. 2000, S. 22).
Ein Potential, das bis jetzt nur unzureichend ausgeschöpft wird, jedoch aufgrund der
zunehmenden Vernetzung von Stiftungen untereinander immer besser ausgeschöpft
werden könnte, ist die Weiterleitung von Projektanträgen, die bei der einen Stiftung
durch das Raster gefallen sind, nicht jedoch wegen unzureichender Qualität, sondern
weil z. B. das Projekt nicht zum Stiftungszweck passt. Diese Weiterleitung im Sinne
eines "Information Brokers" spart erhebliche Informations- und Transaktionskosten
und hilft die "Wertschöpfungspotentiale" des Stiftungssektors und die Kreativität der
Antragsteller besser zu erschliessen.
Projektanträge
weiterleiten
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
352
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegung des Selektionsprozesses:
85.
Aus welchen einzelnen Teilaufgaben besteht der Selektionsprozess und wie sind
diese dokumentiert?
86.
Welche Organe und Personen sind in den Selektionsprozess eingebunden und wie
sind die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten geregelt?
87.
Wie lauten die Selektionskriterien, abgeleitet aus der Mission, der Stiftungspolitik und
-strategie zu den einzelnen Wirkungsfeldern?
88.
Wer trifft den Projektentscheid - und auf welcher Grundlage?
89.
Innerhalb welcher Frist können Antragesteller mit einem Entscheid rechnen?
90.
Wie wird eine ggf. sehr schnelle Projektentscheidung sichergestellt (z. B. zur
Katastrophenhilfe)?
91.
Wie werden die Anträge erfasst, archiviert - und ggf. an andere Stiftungen mit ähnlichen Wirkungsfeldern weitergeleitet?
10.2.2 Verfassung von Projektverträgen
Nach einem allfälligen positiven Projektentscheid geht es darum, eine gegenseitige
Projektvereinbarung oder einen Projektvertrag auszuarbeiten. Darin sollten die Erwartungen an den Projektpartner und insbesondere die Wirkung spezifiziert werden,
die man sich vom Projekt erhofft. Auf der anderen Seite sollte auch dem Partner Gelegenheit dazu gegeben werden, seinerseits Erwartungen an die Stiftung zu formulieren oder an den Erfolgskriterien mitzuwirken. Das Ziel ist die Schaffung einer tragfähigen und motivierenden Arbeitsgrundlage zwischen dem Projektpartner und der
Stiftung.
Im Projektvertrag sollten neben einer möglichst genauen Zielformulierung auch die
Operationalisierungen, Massnahmen der Zielerreichung und Monitoringkriterien festgelegt werden. Zudem ist die Dokumentation von Meilensteinen mit Fristen nicht nur
für die Stiftung, sondern auch für den Projektpartner selbst, im Sinne eines professionellen Projektmanagements, hilfreich. Denn nur durch ein vorgängiges Aufstellen eines "Referenzrahmens", mit dem die tatsächlich erreichten Ziele verglichen werden
können, wird ein effektives Æ Projektmonitoring (Kap. 10.4, S. 360) ermöglicht. Das
erlaubt das Erkennen von Abweichungen und ggf. das Ergreifen von korrigierenden
Vertragsinhalte
festlegen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
353
Massnahmen. Ein Projektvertrag stellt somit die Weichen für eine effektive Projektbegleitung. Ein Stiftungsrat einer mittelgrossen Stiftung beschreibt diese Möglichkeiten folgendermassen:
"Wir machen einen Vertrag mit unseren Projektpartnern. Und dort versuchen
wir eigentlich schon, sehr viele quantifizierbare Grössen hinein zu bringen.
Ein Beispiel: auf Grund des Projektantrags können wir festlegen, dass so und
so viele Setzlinge Cashewbäume in dieser Zeit angepflanzt werden müssen.
Und diese Sachen, die kann man dann messen. Aber natürlich gibt es eine
Vielzahl von Soft-Factors, die man nicht so messen kann, z. B. eine Bewusstseinsänderung in der Bevölkerung." (P17)
Zur Übersicht können folgende Punkte eines Muster-Projektvertrages aufgeführt
werden:
ƒ Zielformulierung (aus dem Projektantrag)
ƒ Projektplanung/Meilensteine
ƒ Wirkungspotential/Evaluationskriterien
ƒ Leistungsspezifikationen der Stiftung (ggf. Bewilligungsbedingungen, z. B.
Fristeinhaltung, Erreichung eines spezifizierten (Zwischen-)Ziels)
ƒ Förderzeitraum (Beginn und Ende, auch Voraussetzungen für eine vorzeitige
Beendigung)
ƒ Fördervolumen und Auszahlungsrahmen (inkl. nicht beanspruchter Gelder)
ƒ Form des Coachings/der Projektbegleitung (auch Erwartungen des Projektpartners)
ƒ Form des Monitorings (inhaltliche und finanzielle Zwischen-/Endberichte inkl.
Taktung, Art der Evaluation: Selbst-/interne oder externe Evaluation170)
170
Evaluationsarten, angelehnt an Beywl et al. (2002):
Selbstevaluation: Die Personen, die für die Projektleitung zuständig sind, sind auch für die Evaluation verantwortlich.
Interne Evaluation: Stiftungsmitarbeiter sind für die Evaluation zuständig – Voraussetzung: nötige Qualifikation und
Zuständigkeit.
Externe Evaluation: Ein Experte von ausserhalb der Stiftung wird mit der Durchführung der Evaluation beauftragt und
ist nicht verantwortlich für das Projekt und seinen Erfolg.
Musterprojektvertrag
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
354
ƒ Form der Nennung der Stiftung (im Rahmen des Projekts, z. B. bei Publikationen)
Vor allem die Monitoringkriterien (Æ Kap. 10.4 Projektmonitoring, S. 360) bedürfen
besonderer Beachtung, denn bereits mit der Spezifikation dieser zu Beginn des Pro-
Monitoringkriterien
jekts wird die Basis dafür geliefert, dass zumindest die besten Voraussetzungen dafür
geschaffen werden, auch die erwarteten Ziele zu erreichen.
Grundsätzlich gilt, dass die Bewilligung von Fördermitteln als Beginn einer Zusammenarbeit angesehen werden kann. Diese Zusammenarbeit, im Idealfall eine Partnerschaft, bedeutet für beide Seiten auch eine Verpflichtung, das Projekt erfolgreich abzuschliessen. Mit dem Eingehen einer intensiven Partnerschaft sind jedoch nicht unerhebliche Investitionen in den gesamten "Erstellungsprozess" verbunden, die über
das blosse Bereitstellen von finanziellen Mitteln hinausgehen. Diese Aspekte werden
in den folgenden Aufgaben aufgegriffen, die in ihren Ausprägungen sicherlich für
jede Stiftung, ob Gross- oder Kleinstiftung, ob responsive oder proaktive Projektarbeit, ob Innovator oder Stabilisator, je eine unterschiedliche Ausgestaltung und Intensität aufweisen können.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Verfassung von Projektverträgen:
92.
Welche Inhalte sind für den Projektpartner und die Stiftung von zentraler Bedeutung
und müssen in einem Projektvertrag festgehalten werden?
93.
In welchem Umfang werden Wirkungspotential und Monitoringkriterien gemeinsam
spezifiziert?
94.
In welchem Umfang erfolgt die Spezifizierung von zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen?
95.
Welche Massnahmen treten bei Nichteinhalten des Projektvertrags ein?
10.3
Projektcoaching
Das Coaching, im Sinne einer Projektbegleitung, kommt in vielfältiger Form vor. Dabei reichen die Intensität dieser Stiftung-Projektpartner-Beziehung von einem klassischen "Hands-off”-Modus, in dem der Projektpartner als Agent der Stiftung losgelöst
von der Stiftung arbeitet, bis hin zu einem sehr engen Zusammenarbeiten zwischen
Partnerschaft
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
355
Stiftung und Projektpartner ("Collaborative" oder "Hands-on"-Ansatz). Es gibt Stiftungen, die intensiv an der Problemlösung und Zielerreichung eines Projektes mitarbeiten und so weit mehr Ressourcen als die festgelegte Geldsumme einsetzen. Diese
letztgenannte Art der Zusammenarbeit unterstützt auch Frumkin: "Philanthropy must
be about more than check writing, involved or engaged donors want to feel a connection and offer advice and input above and beyond funds” (Frumkin 2005, S. 345).
Dieses Verständnis kann jedoch nicht für alle Stiftungen Geltung besitzen, wobei
kleine Stiftungen nicht notwendigerweise dem "Hands-off-Ansatz" anhängen und
grosse "automatisch" dem "Collaborative"-Ansatz. Der Frage nach dem "richtigen"
Ansatz in der jeweiligen Situation soll im weiteren Verlauf dieses Kapitels nachgegangen werden. Denn: "Engagement is a critical part of the style defined by a donor.
It has implications not only for the overall fit and alignment of the giving strategy,
but it also had very clear implications of the nonprofit organizations that are on the
other side of the table. Finding a level of engagement that both satisfy the donor and
that adds value to the recipient organization is not always easy.” (Frumkin 2005, S.
353 f.) Schliesslich geht es darum, mit allen Massnahmen darauf hinzuarbeiten, zeitnahe und an den Bedürfnissen der Gesellschaft orientierte Lösungsansätze zu entwickeln und Voraussetzungen zu deren Umsetzung zu schaffen. In die gleiche Richtung
weist eine Stellungnahme von Breiteneicher und Marble (2003, S. 683), nachdem
"die Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die dem Management der Zuwendungen für einzelne Projekte gewidmet werden, ebenso wichtig sind wie das Geschick und die Umsicht, mit der die ursprüngliche Entscheidung getroffen wurde."
Daraus ergeben sich zwei zentrale Aufgaben des Projektcoachings:
1. Bestimmung des Coaching-Ansatzes
2. Bereitstellung benötigter Coaching-Ressourcen
10.3.1 Bestimmung des Coachingansatzes
Im Zusammenhang mit dem Coaching müssen zuallererst die Festlegungen aus der
Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) angewendet werden, auch und gerade im Sinne
der Verlässlichkeit der hervorgerufenen Erwartungen bei den Projektpartnern. Je
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
356
nach Festlegungen im Bereich des Æ Stiftungstyps (Kap. 9.1.4, S. 247) ergeben sich
bestimmte Optionen - oder schliessen sich aus. Der Stiftungstypus "Social Entrepreneur" zieht auch ein entsprechend hohes Engagement bei der Projektbegleitung nach
sich, das sich ganz im Sinne eines Unternehmers nicht darauf beschränkt, Geld zu
überweisen und einen Abschlussbericht einzufordern.
Am Beispiel der generischen Einteilung der Coaching-Beziehungen von Frumkin
(2005, S. 348 ff.) sollen insgesamt vier Beziehungen vorgestellt werden. Ebenso wird
CoachingBeziehung
festlegen
dabei angesprochen, wann und für welchen Stiftungstyp sich die eine oder andere Art
eher eignet, auch in Abhängigkeit der Festlegungen in der Æ Stiftungspolitik (Kap.
9.1, S. 228) und der Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288).
Die vier Stiftung-Projektpartner-Beziehungen werden anhand der zwei Dimensionen
"Engagement der Stiftung" und "Übereinstimmung der Werte von Stiftung und Pro-
generische
Beziehungstypen
jektpartner" klassifiziert, die jeweils die Ausprägungen "hoch" und "niedrig" annehmen können (vgl. Abbildung 10-2):
hoch
niedrig
hoch
1
Collaborative Relationship
3
Auditing
Relationship
niedrig
Engagement
der Stiftung
Übereinstimmung der Werte
von Stiftung und Partner
2
Delegating
Relationship
4
Contractual
Relationship
Abbildung 10-2: 4 generische Stiftung-Projektpartner-Beziehungen (nach Frumkin 2005, S. 348 ff.)
Die Collaborative Relationship markiert dabei die intensivste Art der Zusammenarbeit zwischen Stiftung und Projektpartner, die weit über finanzielle Transferzahlungen von der Stiftung zum Partner hinausgeht. Dieses Modell der Zusammenarbeit findet sich hauptsächlich bei der Verfolgung des Stiftungstyps des "Social Entrepreneurs". Hierbei geht es darum, auch auf der Realisierungsebene eines Projekts aktiv
Einfluss zu nehmen. Wie beim Stiftungstyp des "Social Entrepreneurs" gilt auch für
die "Collaborative Relationship", dass diese Ansätze nicht notwendigerweise nur für
Collaborative
Relationship
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
357
grosse Stiftungen in Frage kommen. Auch kleine(re) Stiftungen können den Ansatz
verfolgen, insbesondere dann, wenn z. B. der - noch lebende - Stifter einen hohen
zeitlichen Einsatz bringen möchte. Sein persönliches Engagement, sein Netzwerk und
seine Erfahrungen stehen dabei im Vordergrund, auch weil er sich z. B. nach seinem
aktiven Berufsleben ein Betätigungsfeld sucht. Grundsätzlich gilt: "Donors come to
define for themselves an engagement style that fits somewhere between totally hands
off to deeply engaged.” (Frumkin 2005, S. 347) Vor allem grosse Stiftungen, die für
sich selbst in Anspruch nehmen, einen Wandel in ihrem thematischen Gebiet zu erreichen und zudem in proaktiver Art und Weise auch die Projekte lancieren, verfolgen
eine intensive Zusammenarbeit, wie auch in Interviews bestätigt wurde, z. B.:
"Wir unterstützen nicht nur Projekte, sondern wir unterstützen zum Teil auch
Organisationen. Und dort möchten wir auch mitentscheiden und die Politik
dieser Organisation mitprägen. Deshalb nehme ich dort Einsitz in einem geschäftsführenden Ausschuss oder bin in einem Stiftungsrat oder in einem Vorstand oder was auch immer. Ich investiere auch Zeit für unsere Projekte oder
Organisationen, die wir unterstützen. Das ist klar Teil meiner Aufgabe als
Geschäftsführer. Also ich investiere da sicher 20 bis 30 Prozent meiner Zeit."
(P16)
Die sog. Delegating Relationship wird eher von den "Social Investors" gelebt, die
sich zwar ganz bewusst für oder gegen ein Projekt entscheiden und dafür z. T. umfassende Auswahlverfahren entwickelt haben, die aber schlicht nicht die Zeit und die
Fähigkeiten haben, sich auch in das operative Geschehen des Projektes einzubringen.
Da bestenfalls die Werte der Stiftung und des Projektpartners übereinstimmen, wird
diese Principal-Agent-Beziehung zwischen der Stiftung (Principal) und dem Partner
(Agent) als wenig risikoreich und eher "sicheres" Investment angesehen. Diese
Sichtweise bestätigt auch ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung - ohne jedoch
eine fallweise Unterstützung des Projektpartners auszuschliessen:
"Ich bin natürlich abhängig von meinem Partner, da ich keine eigenen Projekte führe. Der Partner macht hoffentlich das, was er mir vorgängig angekündigt hat. Also ich kann die Wirkung nur indirekt beeinflussen. Ich kann
ihn kontrollieren, ich kann ihn supervisionieren, ich kann ihm Tipps geben,
Know-how-Transfer ermöglichen, wenn er das wünscht, aber letztlich liegt
Delegating
Relationship
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
358
die Verantwortung beim Partner, der entweder gute Arbeit leistet oder eine
ein bisschen weniger gute." (P24)
Die letzten beiden Modi vivendi des Coachings, die Contractual Relationship, bei der
sowohl das Engagement als auch die Wertekongruenz niedrig sind, sowie die Auditing Relationship, bei der das Engagement im Gegensatz zur Erstgenannten höher ist,
werden eher von den "Gift Givers" wahrgenommen. In beiden Fällen machen die
Stiftungen kaum mehr als Fortschrittskontrolle und Überprüfung der Finanzberichte.
(vgl. Frumkin 2005, S. 352) Besonders Stiftungen, die sehr viele und auch kleine
Vergabungen tätigen (Æ Kap. 9.1.4 Giesskannenprinzip, S. 247), sehen die Beziehung zum Projektpartner eher neutral. Interessanterweise wird in diesem Zusammenhang auch "Professionalität" als Grund einer geringen "Einmischung" in die Belange
des Partners aufgeführt, da dieser ja ganz gezielt ausgewählt wurde. So führt Frumkin
aus, dass "low engagement had been justified in the name of professional detachment
and as a necessity for maintaining objectivity. It is also far easier and less time demanding to limit the scope of the giving relationship to pre and post grant evaluation,
rather than to expect the donor to take partial responsibility for the execution of a
program or for the recipient organization’s performance.” (Frumkin 2005, S. 346)
Die vier vorgestellten Modi können durchaus auch innerhalb einer Stiftung vorkommen, wie folgendes Zitat belegt:
"Die Begleitung passiert nur bei grösseren Projekten. Also wenn wir, sagen
wir mal, pro Jahr 40 Theatergruppen einen Beitrag von CHF 5'000 geben,
dann können wir das nicht begleiten, dann können wir das vielleicht in Einzelfällen anschauen gehen. Was wir verlangen ist ein Schlussbericht. Wir
werfen einen Blick rein und lesen sicher auch noch die Rezensionen. Und
wenn das Projekt nicht gut rausgekommen ist, dann fördern wir dieses das
nächste Mal nicht weiter. Wir könnten auch sagen: "Trial and Error". Vieles
ist einfach Selektion, Entscheid und eine kleine Schlusskontrolle. Eine eigentliche Projektbegleitung findet da nicht statt. Das ist anders bei grösseren
Projekten, bei denen man dann vielleicht mal vor Ort geht, oder zum Teil vor
der nächsten Auszahlung mit diesen mal diskutiert. Bei den eigenen Projekten
ist man dann natürlich in einem Gremium drin und bringt sich direkt ein.
Man muss also schon unterscheiden zwischen eigenen Projekten und Projekte
Contractual
und Auditing
Relationship
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
359
auf Gesuch hin, und bei den Projekten auf Gesuch hin zwischen grösseren
und kleineren." (P26)
Neben diesen Festlegungen zum Umfang des Coachings muss auch die Process Ownership innerhalb der Stiftung klar zugeteilt werden. Falls die Geschäftsstelle oder
Process
Ownership
bestimmen
auch einzelne Stiftungsräte diese Coaching Aktivitäten übernehmen soll, müssen sie
sich darüber im Klaren sein. Eine eindeutige Ansprechperson wird darüber hinaus
auch vom Projektpartner gefordert, insbesondere wenn auf dieser Seite die Erwartung
nach einem aktiven Coaching besteht - und von der Stiftung bewusst oder unbewusst
auch so kommuniziert wurde.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Bestimmung des Coaching-Ansatzes:
96.
Welche Coaching-Beziehung wird verfolgt und "passt" zu den Festlegungen aus Stiftungspolitik (z. B. Mission, Stiftungstyp) und Stiftungsstrategie (z. B. Wirkungsfelder,
Ressourcenallokation)?
97.
Wer ist innerhalb der Stiftung für das jeweilige Projektcoaching verantwortlich?
10.3.2 Bereitstellung benötigter Coachingressourcen
Entscheidend bei der Festlegung eines Coaching-Ansatzes ist insbesondere die Frage
der Fähigkeiten und Ressourcen, die zur Verfügung stehen oder ggf. aufgebaut werden müssen. Wenn es innerhalb der Stiftung an der nötigen Ausbildung oder Erfahrung mangelt, um den spezifischen Erfordernissen des Projekts gerecht zu werden,
kann das zu Irritationen und Enttäuschungen beim Projektpartner führen, aber
schlimmer noch zur Nichterreichung der gesetzten Stiftungsziele. Somit sollte der
gewählte Coaching-Ansatz bestenfalls mit den bereits bestehenden Fähigkeiten und
Ressourcen durchführbar sein. Dazu die Stellungnahme eines Geschäftsführers:
"Wir haben beschlossen, dass wir bei gewissen Projekten eine aktive Rolle
spielen wollen. Und da kann ich dann auch mein Know-how, das ich auf
Grund meiner früheren Tätigkeiten besitze, einbringen. Z. B. bin ich bei XY
im geschäftsführenden Ausschuss und in gewissen Vereinen, die wir unterstützen, gehe ich in den Vorstand." (P16)
Benötigte
Coachingfähigkeiten
und
-ressourcen
allozieren
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
360
Falls diese Kapazitäten und Kompetenzen fehlen oder bereits gebunden sind, müssen
bei Beibehaltung eines ausgeprägten Coaching-Ansatzes Mittel und Wege gefunden
werden, diese trotzdem bereitzustellen, z. B. über externe Berater, Aufstockung des
Personals oder Fortbildungsmassnahmen der Mitarbeiter der Stiftung (Æ Kap. 11.5
HR-Management, S. 434).
Eine laufende Erwartungsklärung der Bedürfnisse des Projektpartners ist ebenso
zentral wie die grundsätzliche Bereitstellung von Fähigkeiten und Ressourcen. Benötigte Fähigkeiten und Ressourcen können z. B. sein:
ƒ organisatorisch-technische Unterstützung
ƒ Infrastruktur
ƒ Kontakte
ƒ Fachinformationen
Im Verlauf eines Projekts können auch unvorhergesehene Probleme auftreten, die
dann bisher nicht spezifizierte Coaching- und Unterstützungsleistungen erfordern. Im
Übrigen gilt als "Faustregel", dass "je grösser und komplexer die Fördermassnahme
ist, desto wichtiger werden die ausserhalb der [finanziellen] Förderung befindlichen
Ressourcen." (Breiteneicher/Marble 1998, S. 752)
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Bereitstellung benötigter Coaching-Ressourcen:
98.
Welche Fähigkeiten und Ressourcen stehen in Abhängigkeit bereits gebundener
Fähigkeiten und Ressourcen grundsätzlich für das Coaching zur Verfügung?
99.
Wie werden bisher nicht vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen intern aufgebaut
oder extern beschafft?
100. Wie wird die laufende Abklärung der Erwartungen und Bedürfnisse des Projektpartners durch die Stiftung vorgenommen?
10.4
Projektmonitoring
"Jedes Projekt ist ein soziales Experiment", so Breiteneicher und Marble (1998, S.
788) in ihren Ausführungen zur Projektbegleitung und -evaluation. Und ein Experi-
Extern
beziehen
Intern
aufbauen
Laufende
Erwartungsklärung
vornehmen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
361
ment kann ge- oder misslingen. Doch darf es nicht sein, dass sich Stiftungen dabei
(immer) auf den ersten Halbsatz des folgenden Zitats des amerikanischen Schriftstellers Mark Twain beschränken: "Vermuten ist gut, Herausfinden ist besser" (zit. in
Breiteneicher/Marble 1998, S. 789).
Das Monitoring ist ein Ansatz herauszufinden, warum ein "Experiment" gut oder weniger gut gelaufen ist und lässt somit auch Rückschlüsse auf die vorgelagerten Stufen
des Wertschöpfungsprozesses zu, z. B. der Akquisition ("Konnten wir die richtigen
Partner ansprechen?") und der Selektion ("Haben wir die richtigen Kriterien zur Selektion angewandt?"). Insofern kann die Aussage von Mark Twain auch ergänzt werden, so dass sie lautet: Vermuten und Vertrauen ist gut, Herausfinden und Lernen ist
besser. Denn: "Stiftungen, die Begleitung [Coaching] und Evaluation [Monitoring]
erfolgreich praktizieren, betrachten sie als Mittel, um Erfahrungen und Erkenntnisse
zu sammeln. Sie sehen sie nicht als einen eigenen Bereich oder eine eigene Form der
Betätigung, sondern als integralen Bestandteil ihrer Planung und ihres Handelns", so
Breiteneicher und Marble (1998, S. 789). Und dieses Verständnis lässt sich anwenden
auf alle Projektaktivitäten und Æ Förderarten (Kap. 9.2.2, S. 299), wie z. B. Preisvergabe, Personenförderung durch Stipendien, Förderung von Institutionen (Personalund/oder Infrastrukturkosten) etc.
Das Monitoring171 kann unterteilt werden in ein finanzielles und ein inhaltliches
Monitoring und zusätzlich einen zeitlichen Aspekt beinhalten. In dieser Arbeit wird
der Begriff des Monitorings nur auf den Projektbereich bezogen - und in diesem auf
die Ebene des Einzelprojekts. Diese Einschränkung erscheint sinnvoll, da damit
nochmals die Wichtigkeit des Projektmanagements als dem zentralen Wertschöpfungsprozess in einer Stiftung Rechnung getragen wird. Zuerst wird nun das finanzielle Projektmonitoring betrachtet.
171
In der Literatur wird teilweise ein sehr umfassend verstandener Controllingbegriff verwendet, der teilweise zum Teil
weiter in operatives und strategisches Controlling unterteilt wird. Dieses Verständnis umfasst dabei dann neben dem inhaltlichen Bereich der Stiftungstätigkeit auch den Verwaltungs- sowie den Vermögens- und Finanzbereich und bezieht
sich sowohl auf finanzielle als auch auf inhaltliche Aspekte. Der materielle Bereich des strategischen Controllings wird
in dieser Arbeit in der Æ Stiftungsevaluation behandelt, während die Aspekte des operativen Controllings zum einen
dem finanziellen und inhaltlichen Projektmonitoring zugeteilt werden (falls sie projektbezogen sind) und zum anderen
dem Verwaltungs- und Finanzbereich (Æ Finanzmanagement).
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
362
Ein laufendes Monitoring172 mit formativem Potential durch den Abgleich von "Soll
und Ist" ermöglicht ggf. notwendige Kurskorrekturen noch während des Projekts. In
diesem Sinne kann es auch als "klärende und interaktive Projektevaluation" bezeichnet werden (vgl. Beywl et al. 2002, S 7).
Ein Schlussmonitoring ist dagegen bilanzierender Natur, das eine rückblickende Zusammenfassung zur Beantwortung der Fragen bietet: "War das Projekt effektiv? Haben sich unsere Annahmen bestätigt? Hat es zur inhaltlichen Erreichung unserer Stiftungsziele beigetragen? Es kann deshalb auch als "dokumentierende und wirkungsbezogene Projektevaluation" bezeichnet werden (vgl. Beywl et al. 2002, S 7).
Bei jeglichem Projektmonitoring muss jedoch der Grundsatz gelten: "Ausgerichtet an
den jeweils stiftungsspezifischen Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Anforderungen muss jede Stiftung ihre eigene Lösung finden" (Dreyer 2002, S. 10). Und
dies unter der Voraussetzung, dass der Aufwand für die Monitoringaktivitäten im angemessenen Verhältnis zum Nutzen steht (Effizienz). Das bestätigt auch ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
"Wir machen noch relativ viele kleine Vergabungen, also Beträge von 3'000
oder 5'000 Franken und da sind Sie einfach betriebswirtschaftlich in der
Zwickmühle. Wie viel Minuten oder Stunden dürfen Sie sich mit einem solchen Thema beschäftigen, damit es noch effizient ist? Wir haben pro Jahr
etwa 600 positive Gesuche und dort müssen Sie auch mit dem Controlling
relativ selektiv vorgehen. Und es sind ja nicht eigene Projekte, denn sobald
Sie eigene Projekte haben, dann haben Sie auch eine entsprechende Projektorganisation mit eigenen Leuten oder Dritten, die Sie sehr nahe führen und
kontrollieren können." (P23)
Zusammenfassend kann das Anliegen des Monitorings verstanden werden als schrittweise sich vertiefende Aktivität zur Qualitätssicherung (Æ Kap. 12.1 Evaluation, S.
455). Ausserdem ist das Projektmonitoring ein wichtiger Baustein zur Befähigung einer Rechenschaftsablage gegenüber der Öffentlichkeit (Æ Kap. 12.2 Accountability,
S. 469).
172
In der Literatur wird das Projektmonitoring auch als Projektfortschrittscontrolling (vgl. Koeckstadt/Kölsch 2003 und
2004) oder operatives Controlling (vgl. Dreyer 2002) bezeichnet.
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
363
Die folgenden Ausführungen sollen nicht helfen, den "Königsweg" für alle
Stiftungen zu finden, sondern für die eigenen Bedürfnisse ein optimales Monitoring
zu entwickeln. Detailliert werden folgende zwei Aufgaben beschrieben:
1. Planung und Durchführung des finanziellen Projektmonitorings
2. Planung und Durchführung des inhaltlichen Projektmonitorings
10.4.1 Planung und Durchführung des finanziellen Projektmonitorings
Das finanzielle Projektmonitoring sollte einer periodischen Taktung unterliegen, d. h.
während des Projekts müssen auch Zwischenstände, Zwischenabrechungen oder
Periodische
Taktung
festlegen
Verwendungsnachweise der bisherigen Ausgaben erfolgen. Es geht darum, neben
dem jährlichen Planungsprozess auf Stiftungsebene (Æ Kap. 11.1.2 Budgetierung, S.
390) eine systematische Projektion der einzelprojektbezogenen Finanzdaten bis zum
Projektende zu implementieren. Das finanzielle Projektmonitoring (wie auch das inhaltliche) fusst auf einem fundierten Berichtswesen als zentraler Informationsgrund-
Umfang der
Berichte
bestimmen
lage.
Selbstverständlich gilt diese Forderung nach einem umfassenden Monitoring nicht für
kleine(re) Förderbeiträge, die in den Bereich "Charity" oder "Gift Giving" fallen,
wohl aber für grosse Förderungen oder mehrjährige Projekte. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass "gross" nicht eindeutig spezifiziert, sondern nur in Relation zu
den gesamten jährlichen Ausgaben gesetzt werden kann. Für eine Stiftung, die jährlich CHF 500.000 an Förderbeiträgen vergibt, ist eine Einzelvergabung von CHF
50.000 durchaus "gross", während diese Summe von eine Grossstiftung mit Vergabungen von CHF 10 Mio. in eine Kategorie fallen kann, bei der die Projektselektion
und das Einfordern eines Schlussberichts als Qualitätssicherung genügen. Dies spiegelt sich auch in der Aussage eines Geschäftsführers einer grossen Stiftung wieder:
"Bei den kleinen Projektförderungen ist es ein wenig wie bei der Kreditvergabe von Banken. Im Prinzip müssen wir überzeugt sein vom Produkt und
noch überzeugter von den Leuten, die dahinter stehen, denn es ist im Wesentlichen auch ein Vertrauensgeschäft." (P23)
kleine
Förderbeiträge
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
364
Aus Sicht von Koeckstadt und Kölsch (2003, S. 15) fehlt bei einer nicht existenten
Nachführung der Finanzdaten der Stiftung ein systematisches Verfahren, "um Fehlbzw. ‚Andersentwicklungen’ frühzeitig erkennen und ggf. Gegensteuerungsmass-
Laufende
Aktualisierung der
Daten
vornehmen
nahmen entwickeln zu können." Koeckstadt und Kölsch weisen in dem Zusammenhang auf eine wichtige Querverbindung zum Æ Finanzmanagement (Kap. 11.1, S.
384) hin: Wenn Finanzmittel z. B. erst zu einem späteren Projektzeitpunkt abgerufen
werden müssen, könnten diese allenfalls zeitweilig "nutzenstiftend disponiert" werden (Koeckstadt/Kölsch 2003, S. 15).
Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt das Verfahren in seiner
Stiftung und weist darauf hin, dass bei mehrjährigen oder grösseren Projekten auch
eine gestaffelte, an Bedingungen geknüpfte Auszahlung vorgenommen werden kann:
"Bei uns läuft das so, dass die Auszahlungen nicht einfach zum Voraus gemacht werden, sondern ein wenig gestaffelt auf bestimmte Termine. Z. B. bei
Grossprojekten bei Vorliegen der Baubewilligung oder bei Baubeginn oder
was auch immer. So stellen wir gleichzeitig auch sicher, dass wir über das
Projekt und die Kostenentwicklung laufend informiert sind. Am Schluss wollen wir bei einem Infrastrukturprojekt auch eine definitive Bauabrechnung,
die allenfalls auch wieder ein Auslöser sein kann für eine letzte Ratenzahlung, aber das ist dann sehr individuell, zugeschnitten auf das Projekt. Das
ist eine Art des Controllings, das wir für alle Grossprojekte haben und bei
den kleinen ist es dann so, dass wir von allen einen Schlussbericht mit einer
Abrechnung verlangen." (P23)
Ein letzter Aspekt betrifft den bestimmungsgemässen Einsatz der Projektmittel, der
durch ein finanzielles Monitoring ebenfalls gewährleistet wird. Dieser Punkt wurde in
einem Interview mit einem langjährigen Stiftungsratsmitglied bestätigt:
"Was ich jetzt in diesen vielen Jahren gemerkt habe, was bei uns noch verbesserungsfähig ist, das ist das finanzielle Controlling. Also, wir sind gut bis und
mit dem Bewilligen eines Projekts und der Auszahlung des Geldes. Aber wir
sind noch nicht so gut im Kontrollieren, ob das Geld auch bestimmungsgemäss eingesetzt wird. Und ob die Resultate dem entsprechen, was wir eigentlich erwartet haben." (P19)
Bestimmungsgemässe
Verwendung
überprüfen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
365
Der letzte Satz diese Zitats führt über in den zweiten, grossen Bereich des Monitorings, des inhaltlichen Projektmonitorings oder in anderen Worten: der Evaluation
des Einzelprojekts.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Planung und Durchführung des finanziellen Projektmonitorings:
101. In welchen Zeiträumen wird jeweils eine finanzielle "Zwischenbilanz" gezogen?
102. Aus welchen Informationen besteht der vom Projektpartner zu erstellende Bericht als
Grundlage für das finanzielle Projektmonitoring?
103. Wie werden die Monitoringergebnisse dokumentiert und weiterverwendet?
104. Welche Massnahmen werden bei einem offensichtlichen Missbrauch von Geldern der
Stiftung ergriffen?
10.4.2 Planung und Durchführung des inhaltlichen Projektmonitorings
Der Bereich des Monitorings von Einzelprojekten weist eine starke Querverbindung
zum Æ Projektcoaching (Kap. 10.3, S. 354) auf, das wiederum - ebenso wie ein sehr
Coaching vs.
Monitoring
ausgeprägtes Zwischenmonitoring - formative Elemente aufweist, d. h. es können
ggf. Massnahmen zur Gegensteuerung bei allfälligen Fehlentwicklungen ergriffen
werden. Ein Coaching verhindert jedoch im Idealfall bereits das Entstehen von Fehlentwicklungen, während ein Zwischenmonitoring die entsprechende Fehlentwicklung
nach deren Entstehen aufdeckt, die Ursachen identifiziert und auf dieser Grundlage
Gegenmassnahmen entwickelt werden können.
Das hier verwendete Verständnis des Monitorings lehnt sich an die von der DeGEval
formulierte Definition der Evaluation173 an: "Evaluation ist die systematische
Untersuchung des Nutzens oder Wertes eines Gegenstandes. Solche Evaluationsge173
"Der Begriff Evaluation stammt vom lateinischen Wort 'valor', d. h. 'Wert', und der Vorsilbe 'e/ex', d. h. 'aus', und
bedeutet übersetzt 'Bewertung', 'einen Wert aus etwas ziehen'", so Meyer (2002, S. 2) bei seiner Begriffsbestimmung zu
Evaluation. In seinem weitesten Wortsinn beschreibt der Begriff den "Prozess der Beurteilung des Wertes eines Produktes, Prozesses oder eines Programms" - und das erfordert nicht notwendigerweise systematische Verfahren oder
datengestützte Beweise zur Unterstützung der Beurteilung. Meyer (2002, S. 2) bringt das Beispiel des morgendlichen
Blicks aus dem Fenster zur Begutachtung des Wetters, was bereits eine "Evaluation" darstellt. Die allgemein anerkannten sozialwissenschaftlichen Definitionen von "Evaluation", auf die hier rekurriert wird, unterstreichen jedoch die explizite Verwendung von wissenschaftlichen Forschungsmethoden. Unter "Evaluationsforschung" wird die "systematische Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungsmethoden zur Beurteilung der Konzeption, Ausgestaltung, Umsetzung und des Nutzens sozialer Interventionsprogramme" verstanden (Rossi/Freeman/Hofmann 1988, S. 3 - zit. in
Meyer 2002, S. 3), was ja auch den Stiftungsaktivitäten entspricht.
Monitoringverständnis
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
366
genstände können z. B. Programme, Projekte, Produkte, Massnahmen, Leistungen,
Organisationen, Politik, Technologien oder Forschung sein. Die erzielten Ergebnisse,
Schlussfolgerungen oder Empfehlungen müssen nachvollziehbar auf empirisch gewonnenen qualitativen und/oder quantitativen Daten beruhen." (DeGEval 2002, S.
13) Sie legt in ihren Standards vier grundlegende Eigenschaften von Evaluationen
fest, die für das Projektmonitoring, aber auch für die Æ Evaluation (Kap. 12.1, S.
455) der gesamten Stiftungsarbeit Gültigkeit besitzen (vgl. DeGEval 2002, S. 8 ff.):
1. Nützlichkeit (u. a. Klärung des Evaluationszwecks; Rechtzeitigkeit der
Evaluation)
2. Durchführbarkeit (u. a. angemessene Verfahren; Effizienz der Evaluation)
3. Fairness (u. a. vollständige und faire Überprüfung, Offenlegung der Ergebnisse)
4. Genauigkeit (u. a. Kontextanalyse; Analyse qualitativer und quantitativer
Informationen; begründete Schlussfolgerungen)
Die Entwicklung von Monitoringkriterien lehnt sich zum einen an die oben genannten
Standards an, zum anderen kann auf die Formulierung des Wirkungspotentials zu-
Monitoringkriterien
entwickeln
rückgegriffen werden, das dem Projekt zugeschrieben wird und auf Grund dessen
sich die Stiftung für die Förderung dieses und nicht eines anderen Projekts entschlossen hat (Æ Kap. 10.2 Projektselektion, S. 341).
Zur differenzierten Entwicklung von Monitoringkriterien können zudem die folgenden fünf Bezugspunkte zu einem Projekt dienen (angelehnt an Breiteneicher/Marble
(1998), S. 791 f.):
1. Ablauf:
Läuft das Projekt entsprechend der ursprünglichen Planung?
2. Input:
Welcher Input steht dem Projekt zur Verfügung und wird dieser sinnvoll eingesetzt?
3. Output:
Was ist der Output? (Z. B. wie viele Kinder haben durch das Projekt einen
Schulabschluss gemacht?)
Fünf
Bezugspunkte
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
367
4. Impact:
Welche (auch negativen oder unbeabsichtigten) Auswirkungen hat das Projekt
auf das Problem, mit dem es sich befasst?
5. Effektivität-Effizienz:
Rechtfertigen die Ergebnisse die dem Projekt zur Verfügung gestellten Mittel?
Bei der Entwicklung der Monitoringkriterien sollte auch der Projektpartner mit einbezogen werden, weil neben für die Stiftung grundsätzlichen und wichtigen Kriterien
(z. B. Auslösung zusätzlicher Ressourcenflüsse, Effektivität des Projektmanagement)
auch projektspezifische Kriterien entwickelt werden müssen. Da die von den Antragstellern selbst formulierten Bewertungsmassstäbe meist abstrakt gehalten sind,
muss die Stiftung diese ggf. konkretisieren und ergänzen. Hierzu zitiert von Bender
(2002b, S. 10) ein typisches Beispiel eines von einem Antragsteller formulierten Kriteriums: "Als erstes Kriterium für den Erfolg des Projekts sind Stimmen der Teilnehmer zu nehmen. Dafür werden am Anfang der Begegnung Bewertungsbögen ausgeteilt." Bender präzisiert und ergänzt dieses im Prinzip sinnvolle Kriterium: "Das inhaltliche Kriterium, wann das Projekt erfolgreich ist und wann nicht, wurde nicht definiert. Es fehlt eine Aussage wie etwa: ‚Wenn 80% der Teilnehmer das Seminar gut
bis sehr gut bewerten, wollen wir von einem Erfolg aus Sicht der Teilnehmer sprechen’. Ferner fällt die Eindimensionalität des Bewertungsmassstabes auf. Es wurde
hier nur auf die Bewertung durch die Teilnehmer abgehoben, zweifelsohne ein wichtiges Kriterium, aber für die Stiftung unter Umständen ein nicht ausreichendes. Dimensionen wie die Bewertung der Projektergebnisse durch die lokale Öffentlichkeit
bzw. Fachöffentlichkeit oder durch die Referenten oder externe Kooperationspartner
können weitere wichtige Quellen für die Beurteilung der inhaltlichen Thematik sein."
(Bender 2002b, S. 10)
Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass es u. U. sehr viel Zeit und Überlegung braucht, um zu entscheiden, was bei einem Projekt "gemessen" werden muss
und kann, so dass im Anschluss von "aussagefähigen Informationen" gesprochen
werden kann. Dies wurde auch von einem Stiftungsrat bestätigt, in dessen Stiftung
eine umfassende Entwicklung eines Konzepts zum summativen Projektmonitoring
stattfindet:
Einbezug
Projektpartner
368
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
"Es gibt eine Berichtspflicht. Man hat sozusagen etwas auf dem Tisch liegen.
Das aber hält eigentlich niemand für wirklich befriedigend. Was viel wichtiger ist, ist die Publikation, die dann auf dem Tisch liegt. Das ist ja für uns als
Wissenschaftsstiftung der eigentliche Ausweis der wissenschaftlichen Tätigkeit. Und das sieht dann schon anders aus. Es ist nicht nur ein Bericht, der in
irgendwelchen Akten verschwindet, sondern das sind ja Publikationen, die
auf dem Tisch liegen. Aber auch da könnte man sagen, es ist ja zunächst mal
nur gedrucktes Papier. Wie weit sich das in der Forschung auswirkt oder
ausgewirkt hat, wie weit es der Forschung Impulse gegeben hat, das kann
man dem nicht ansehen. Da muss man genau ansetzen. Wie können wir denn
hinterher wirklich sagen, aha, da haben wir doch etwas bewirkt auf dem Gebiet. Da haben wir was vorgehabt, und das haben wir auch erreicht. Und das
ist der heikelste Punkt überhaupt. Und die Frage hat sich bis vor kurzem eigentlich niemand gestellt. Das haben wir jetzt erst gemacht. Und da haben
wir ein Verfahren entwickelt, eine ex post Evaluierung. Es macht ja keinen
Sinn, nur die Publikationen zu zählen, oder die Seiten, die publiziert wurden.
Man kann natürlich schon darauf achten, wo ist das publiziert, Oxford University Press ist was anderes als Eichstätter Hochschulschriften. Das ist klar.
Also, da kann man einiges ablesen, das ist aber alles unbefriedigend. Bei den
Leuten selber, die von uns gefördert werden, die werden zuerst mal nach Abschluss ihres Projektes nicht nur um einen Bericht gebeten, sondern um eine
Selbsteinschätzung darüber, was sie mit ihrem Projekt in dem Fach bewegt
haben. Wo denn das Innovationspotential liegt, die qualitative Erneuerung,
Erweiterung und so weiter. Die werden aber nicht weiter vorstrukturiert.
Dann schaut sich das der Geschäftsführer und ein Beiratsmitglied an, und
dann wir das so erstmal sozusagen zur Kenntnis genommen. Dann wollen wir
ähnliche Fragen nach 3 Jahren noch mal stellen und ausserdem noch wissen,
wo der Antragsteller mittlerweile zitiert worden ist, auf welchen Tagungen er
aufgetreten ist, welche Panels er gemacht hat und welche weiteren Forschungsaktivitäten auf der Grundlage seiner Ergebnisse in der grossen weiten Welt erfolgt sind. Das heisst, wir haben sozusagen, also statt jetzt selber
nach Zitaten zu suchen, in einer Welt, wo es keinen Citationindex gibt, so wie
bei uns. Diese Selbsteinschätzung wird noch mal überprüft, von einem ‚eng
am selben Wind segelnden’ Fachmann von ausserhalb, der gar nicht zum
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
369
Dunstkreis und zum Beirat der Stiftung gehört. Der wirklich extern ist, möglichst international. Und dem sagen wir, die Person hat das und das gemacht,
hat das und das Geld von uns gekriegt, und sagt in ihrer Selbstevaluation,
dass das und das dabei rausgekommen ist. Stimmt das aus ihrer Sicht? Und
diese Kombination von Selbst- und Fremdeinschätzung hat für mich einen
hohen Reiz, weil ich glaube, damit kommt man einer qualitativen Beurteilung
näher, als wenn man nur die Zitate zählt oder so. Wir wollen das mal ausprobieren. Das Ziel ist natürlich, dass wir mit diesen summativen Ansätzen unser
Förderverhalten verbessern, das ist ja klar. Denn man ist bestimmt immer
verbesserungsfähig […]" (P8)
Sorgfältig entwickelte Kriterien des Projektmonitorings können also sowohl zu sog.
harten Fakten verhelfen, als auch dazu, subjektive Eindrücke systematisch zu
erfassen und so aufzubereiten, dass sie verglichen werden können.
Wie im vorhergehenden Zitat zu Beginn festgestellt wurde, stellen Berichte den ersten Schritt in das Projektmonitoring dar (Æ Kap. 10.2.2 Projektvertrag, S. 352). Eine
Periodische
Taktung
festlegen
gewisse Regelmässigkeit der Berichte wie auch eine zu Projektbeginn eindeutig festgelegte Form sind unabdingbare Voraussetzungen für eine sinn- und gehaltvolle
Durchführung eines inhaltlichen Monitorings.
"Also jedes Projekt, das von uns gefördert wird, muss zwingend einen Abschlussbericht vorlegen. Den kriegt dann der Vorstand und der kann auf
Wunsch auch von den Gremienmitgliedern eingesehen werden. Bei den Dissertationen erfahren wir die Abschlussnote, wenn die Arbeit abgeschlossen
ist. Die Stipendiaten schicken uns einfach ihr Zeugnis." (P10)
Wie beim Æ Antragsbearbeitungsprozess (Kap. 10.1.2, S. 335) kann es auch hier
sinnvoll sein, ein Formular oder zumindest die Überschriften eines Berichts vorzugeben. Damit kann wirksam eine nicht mehr überschaubare und teilweise irrelevante Papierflut verhindert werden. Die Monitoringkriterien finden sich sowohl in
den Formvorschriften der Berichte wieder, z. B. als Vorgaben für Überschriften, als
Inhaltliche
Vorgaben
bestimmen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
370
auch in z. B. Beobachtungsformularen für vor-Ort-Besuche oder gar für Befragungen
der Zielgruppen des Projekts174.
Je nach Projekt verlangen Stiftungen jährlich oder nach Abschluss von definierten
Meilensteinen einen Zwischenbericht. Das beschreibt auch ein Geschäftsführer einer
grossen Schweizer Stiftung - und geht dabei auch noch auf den formativen Charakter
eines in dieser Stiftung verwendeten Ansatzes des Projektmonitorings ein:
"Das Reporting ist ganz genau geregelt, auch mit von uns vorgegebenen
Formularen. Da kann einer nicht einfach schreiben, was ihm in den Sinn
kommt. Die Zwischenberichte werden zu uns zurück geschickt und vom Programmleiter durchgelesen. Da werden Notizen gemacht, Fragezeichen usw.
Dann wird der Bericht mit dem Partner diskutiert, meistens telefonisch, ab
und zu kommen die Projektpartner auch vorbei. Dann klärt man diese Sachen, die Fragezeichen. Entweder muss der Partner etwas ändern, weil wir
das Gefühl haben, das ist nicht so, wie es eigentlich sein sollte. Wir haben ja
das Proposal, das er eingereicht hat und können vergleichen. Und wenn dann
plötzlich nicht vierjährige Kinder, sondern 18-jährige im Zentrum des Projekts stehen, dann fragt man natürlich den Partner: ‚Ja was ist denn das?’
Das machen wir selbst von der Geschäftsstelle aus." (P24)
Eine Intensivierung des formativen Projektmonitorings in Richtung Æ Projektcoaching (Kap. 10.3, S. 354) kann in vor-Ort-Besuchen liegen, wie ein Geschäftsführer
ausführt:
"Und das andere ist das Monitoring vor Ort. Alle 18 Monate gibt es einen
Besuch, entweder macht das einer von uns, also von der Geschäftsstelle, oder
ein externer Evaluator. Für die top-professionellen Experten, die wir auf dem
Markt finden, zahlen wir Tageshonorare. D. h. also, dass ein Projekt mit drei
Jahren Laufzeit sicher einmal, meistens zweimal besucht wird. Und derjenige,
der vor Ort geht, der schreibt entweder einen Bericht. Das ist auch ein Formular, das wir vorgeben. Also der Prozess, das war der erste, den wir definiert haben, weil wir einfach verhindern wollten, dass einer Geld bekommt,
nur weil er den Präsidenten der Stiftung kennt. Das formale Monitoring
174
Für eine ausführliche Übersicht passender Erhebungsinstrumente und zur Konzeption von Monitoring/Evaluationsaktivitäten allgemein siehe Beywl et al. (2002).
Vor-OrtBesuche zur
Ergänzung
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
371
schafft hier etwas Sicherheit, auch für uns intern. Die externen Experten suchen wir gezielt zu den einzelnen Projektthemen aus und schlagen diese dem
Projektpartner vor. Wir fragen ihn also an: ‚Wir würden gerne Herrn XY zu
Ihnen nach Südafrika schicken. Sind Sie einverstanden? Der muss einverstanden sein mit diesem Experten und sagen: ‚Ja, ich finde, der ist kompetent,
der ist gut’. Dann geht der Experte mit unserem vorgegebenen Formular z. B.
nach Südafrika. Und er schaut sich dieses Projekt an, fragt die Sachen, die
wir im Vorfeld besprochen haben, auch auf Grund der eingesandten Zwischenberichte. Das Formular ist zwar vorgegeben, aber die einzelnen inhaltlichen Fragen sind ganz spezifisch für dieses Projekt formuliert. Das ausgefüllte Formular sieht der Partner nicht, sondern das besprechen nur der Experte und wir. Das Ergebnis wird dann dem Partner präsentiert, der kann
Stellung nehmen, sagen: ‚Das ist nicht wahr’ oder ‚Das ist nicht so schlimm,
wie Sie beschreiben’. Am Schluss einigt man sich auf bestimmte Punkte, die
beim Partner geändert werden müssen. Oder es gibt eine Auflage, das hatten
wir jetzt gerade diesen Frühling. Da hat der Evaluator gesagt, dass unser
Partner das Falsche macht - und zwar das Falsche im Bezug auf die Bedürfnisse vor Ort, nicht unbedingt das Falsche im Bezug auf das, was er im Proposal geschrieben hat. In diesem Fall haben wir gesagt: ‚Du musst deine
Strategie neu definieren. Wir zahlen zwar dein Projekt weiter, aber wir wollen zu diesen drei Punkten eine neue Strategie sehen.’ Zuerst hat er sich natürlich gesträubt, aber dann hat er die neue Strategie geschickt und wir haben geschaut, ob das in unserem Sinn war, so wie wir es mit dem Evaluator
besprochen haben. Nachher überweisen wir wieder das Geld. Dieses ausführliche Projektmonitoring macht dafür Sinn." (P24)
Im obigen Zitat werden die beiden Möglichkeiten der Nutzung von internen oder externen personellen Ressourcen zum Monitoring von Projekten angesprochen. Da ein
umfassendes Monitoring auch je nach Projekt einen zeitlichen und logistischen Aufwand nach sich zieht, kann es sinnvoll sein, das Monitoring von externen Experten
durchführen zu lassen, nicht ohne sie jedoch vorher eingehend zu instruieren. Da für
ein Projektmonitoring auch einiges an einschlägiger Erfahrung nicht nur zum Thema,
sondern auch zur Bewertung von Personen und Ergebnissen notwendig ist, sollten seriös die eigenen Fähigkeiten zur Durchführung eines Monitorings geprüft werden.
Notwendige
Ressourcen
bestimmen
372
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
Ein weiterer Punkt, der im obigen Zitat angesprochen wurde, ist die Verwertung der
Ergebnisse des Monitorings. Insbesondere bei einem formativen, begleitenden Monitoring ist das Ziel das frühzeitige Aufdecken von Fehlentwicklungen im Laufe des
Projekts. Diese können vom Projektpartner meist unbemerkt auftreten, selten werden
sie auch bewusst in Kauf genommenen. Deshalb genügt es nicht, die Monitoringberichte im Projektdossier abzulegen, sondern sie sollten gemeinsam mit dem Projektpartner diskutiert werden, da das vorrangige Ziel eine Verbesserung des status quo
des Projekts ist. Sie soll den Verantwortlichen auf beiden Seiten helfen, das Projekt
und seinen Nutzen zu verbessern und daraus zu lernen. Im Vordergrund stehen die
Ausschöpfung des gesamten Wirkungspotentials des Projekts (Effektivität oder: "Die
richtigen Dinge machen") und die optimale Nutzung der Ressourcen aller Beteiligten
(Effizienz oder: "Die Dinge richtig machen").
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Planung und Durchführung des inhaltlichen Projektmonitorings:
105. Wie sind Coaching und Monitoring-Aktivitäten aufeinander und in Bezug auf die
vorgelagerten Entscheidungen (Mission, Strategie) abgestimmt?
106. Welche, auf die Projekt- und die Stiftungsziele abgestimmten, Kriterien werden für
das inhaltliche Projektmonitoring verwendet?
107. In welchen Zeiträumen wird jeweils eine inhaltliche "Zwischenbilanz" gezogen?
108. Aus welchen Informationen besteht der vom Projektpartner zu erstellende Bericht als
Grundlage für das inhaltliche Projektmonitoring?
109. Welche weiteren Aktivitäten werden von der Stiftung zum inhaltlichen Monitoring von
Projekten durchgeführt?
110. Wer führt das inhaltliche Projektmonitoring durch und müssen allenfalls zusätzliche
Ressourcen bereitgestellt werden (z. B. für Vor-Ort-Besuche)?
111. Wie werden die Monitoringergebnisse dokumentiert und weiterverwendet?
10.5
Sicherung und Dissemination von Projektergebnissen
Die Sicherung und Dissemination von Projektergebnissen stellt einen wichtigen
Schritt in Richtung Wirksamkeit(serhöhung) der Stiftungstätigkeit dar. Eine Stiftung
mit dem Anspruch der Innovation oder Stabilisierung und der Zielfunktion des Sozialen Wandels muss sich immer darüber Rechenschaft ablegen, was "über den Tag
Monitoringergebnisse
dokumentieren
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
373
hinaus" von den jeweiligen Projekten bleibt. Die Projektergebnisse sollten nicht als
Privateigentum der Stiftung betrachtet werden, was sie richtig verstanden schon von
der Konzeption einer Stiftung als quasi-öffentliche Organisation, die ihre Wirkung
nur im Bezug auf die Gesellschaft erzielen kann (sozialer Wandel), gar nicht sein
können. Die Ergebnisse sollen und müssen "für die Gesellschaft fruchtbar gemacht
werden", so auch Bender (2002c, S. 10). Zur "Fruchtbarmachung" der Ergebnisse gehört zum einen eine sinnvolle Dokumentation der Ergebnisse zur weiteren Nutzung
innerhalb der Stiftung (lernende Organisation, Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455) im
Sinne eines abschliessenden Schrittes des Projektmonitorings, aber auch die Aufbereitung und Verbreitung der Ergebnisse nach aussen. Und das wird auch in einigen
Stiftungen so bestätigt:
"Ich denke, es gibt überhaupt keinerlei Anlass hier in der Stiftung irgendwelche Ergebnisse unserer Arbeit nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die Herausforderung ist eher, die Leute überhaupt dafür zu interessieren, was hier passiert. Und da kommen sie, in unserem Fall jetzt, an den
grossen Graben zwischen Grundlagenforschung und dem allgemeinen öffentlichen Interesse. Also für uns wird es schwierig, weil wir einerseits den Auftrag haben, Grundlagenforschung zu unterstützen, andererseits natürlich,
weil sich die Stiftung auch der kritischen interessierten Öffentlichkeit verstärkt annehmen muss. Ich zumindest hielte das für richtig. Aus mehreren
Gründen. Zum einen, weil für uns unser Thema "Geschichte" auch politisch
grosse Relevanz besitzt, zum anderen aber auch aus ganz stiftungsinternen
Erwägungen, dass wir versuchen müssen, unsere Projekte und Programme
und Angebote auch weiter bekannt zu machen. Und deshalb müssen wir ein
Stück weit, denke ich, aus der manchmal doch sehr kleinen Gemeinde der Experten herauskommen, um überhaupt transportieren zu können, was denn
hier in der Stiftung angeboten wird." (P10)
Die im Teilprozess "Ergebnissicherung und Dissemination" zusammengefassten beiden Aufgaben lauten:
1. Dokumentation der Projektergebnisse
2. Veröffentlichung der Projektergebnisse
374
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
10.5.1 Dokumentation der Projektergebnisse
Die Dokumentation der Projektergebnisse kann auf vielfältige Weise erfolgen. Zusammen mit den Ergebnissen des Projektmonitorings muss auf jeden Fall sicher ge-
Inhalte eines
End-Dossiers
festlegen
stellt werden, dass alle Informationen aus dem Projekt langfristig in der Stiftung sichergestellt werden (organizational memory). Dieses Enddossier beinhaltet sowohl
"technische" Informationen zum Projektmanagement als auch "inhaltliche" Informationen zur Ziel- und Ergebnisebene des Projekts. Insbesondere bei grösseren
Stiftungen mit einer gewissen Fluktuation im Bereich der Geschäftsstelle wird
dadurch verhindert, dass "das Rad immer wieder neu erfunden wird" und eine
inhaltliche Abstimmung von Einzelmassnahmen" erschwert wird.
Die Ergebnissicherung ist die konsequente Weiterführung eines umfassenden Æ Projektmonitorings (Kap. 10.4, S. 360), denn wie bereits erwähnt, beinhaltet ein
Projektmonitoring sinnvollerweise immer auch eine Selbstevaluation z. B. der Abläufe und unterstützt somit das Lernen in der Stiftung und deren Wissensmanagement. Eine gut angelegte Dokumentation der Ziele, des Ablaufs und der Ergebnisse
ist auch Grundlage für eine sog. Meta-Evaluationen auf der Ebene der gesamten
Stiftung (Æ Kap. 12.1 Evaluation, S. 455), wenn es allgemein um die tägliche Stiftungspraxis und um den Beitrag eines Projekts zur Erreichung der Mission geht. Insofern ist ein Projektende immer auch ein Anfang. Denn: "Es wäre zu wenig, gemessen
an dem Anspruch der Förderung und der eigenen Zielsetzungen, wenn die Ergebnisse
nur in der Projektakte abgelegt würden. Die Projektergebnisse müssen bewertet werden - aus der Sicht des Projektnehmers wie auch aus dem Blickwinkel der Stiftung."
(Bender 2002c, S. 10)
Weiterführung
des Projektmonitorings
Selbstevaluation
durchführen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
375
Ein Projektdossier nach Abschluss des Projekts sollte demgemäss Folgendes beinhaltet:
MusterProjektdossier
ƒ den gesamten Antrags- und Selektionsvorgang des jeweiligen Projekts inkl.
Notizen und Gutachten der mit der Selektion betrauten Personen
ƒ den spezifisch ausgearbeiteten Projektvertrag inkl. aller allfällig ergänzten
Punkte
ƒ die (Ergebnis-)Protokolle des Coachings inkl. der ggf. geänderten Projektziele
ƒ die finanziellen und inhaltlichen Zwischenberichte des Monitorings
ƒ das umfassende Abschlussmonitoring
ƒ die im Laufe des Projekts entstandenen Publikationen inkl. der Berichte über
das Projekt (z. B. Rezensionen)
ƒ die
projektspezifischen
Festlegungen
zur
Ergebnisdissemination
inkl.
Zielgruppendefinition und Kommunikationskanälen
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Dokumentation der Projekt-Ergebnisse:
112. Welche Inhalte umfasst das End-Dossier eines Projektes?
113. Wie umfangreich werden die Projektergebnisse zur Gewinnung von Erfahrungswerten
für zukünftige Projekte und Verbesserung der internen Abläufe aufgearbeitet?
10.5.2 Veröffentlichung der Projektergebnisse
Neben der internen Dokumentation ist besonders die Dissemination der Projektergebnisse zentraler Baustein auf dem Weg zu höherer Wirksamkeit. Die Forderung von
Bender (2002c, S. 10), dass Projektergebnisse in die Öffentlichkeit gehören, ist nicht
nur eine gut gemeinte Empfehlung, sondern notwendige Massnahme einer Stiftung
unter Bezugnahme auf die in der Einleitung dieser Aufgabe formulierte Argumentation einer Stiftung als quasi-öffentlicher Organisation, die "in der Gesellschaft" wirkt
und der daraus abgeleiteten Verpflichtung zur Veröffentlichung von Projektergebnissen.
Veröffentlichung als
Notwendigkeit erkennen
376
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
Eine Vergabestiftung kann nicht auf die Veröffentlichung der Projektergebnisse verzichten, um einer interessierten Öffentlichkeit die von ihr geförderten Vorhaben zugänglich zu machen, genauso wenig wie sie auf Öffentlichkeitsarbeit verzichtet kann,
um sich und ihre Mission einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, damit sie überhaupt mit geeigneten Projektpartnern in Kontakt kommt.
Die Dissemination von Ergebnissen im Sinne eines Knowledge Brokers hilft Ressourcen zu schonen: auf Seiten anderer Stiftungen und Institutionen mit ähnlichen Anlie-
Knowledge
Broker
gen und Arbeitsschwerpunkten, wodurch diese ihre Aktivitäten besser abstimmen
und Doppelspurigkeiten vermieden werden können. Auch auf Seiten der
Projektpartner ergibt sich eine Ressourcenschonung dadurch, dass auf bereits
gewonnene Erkenntnisse und "best practices" zurückgegriffen werden können und
nicht jedes Mal "das Rad neu erfunden" werden muss.
Bei der Ergebnisdissemination muss die Frage nach der geeigneten Form der Aufbereitung sowie, damit verbunden, nach der Definition der Zielgruppe im Mittelpunkt
stehen (Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement, S. 412). Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung weist jedoch auf die Schwierigkeiten hin, die im Zusammenhang mit der Aufbereitung entstehen:
"Bei einer klassischen, wissenschaftlichen Studie, die wir fördern, revidieren
wir zusammen das Buch, das zwar einen Autor hat, aber ein Buch der
Stiftung XY ist. In einem solchen Fall, wenn es ein Manuskript gibt, ist das
jeweils ein schrecklicher Moment, wenn das Manuskript zum ersten mal auf
unserem Tisch liegt. Meistens muss man sagen: ‚Nein, so geht das nicht.’
Und dann muss man das den Autoren irgendwie schonend beibringen. Dann
setzt in aller Regel ein ausserordentlich produktiver, kreativer Prozess ein,
zusammen mit dem Autor, wo wir dann gemeinsam schauen, wie wir das für
die Zielgruppe am besten aufbereiten. Wir haben dann z. B. einen
Spezialisten für die Titel, eine Art Chefredaktor, der alle unsere Titel betreut,
auch Kapiteltitel, Abschnitttitel usw. Einer, der sehr gut schreibt. Das ist
insgesamt ein intensiver Prozess, bis das Werk so aufbereitet ist, dass wir
denken, es spricht die Zielgruppe an." (P12)
Die Aufbereitung in schriftlicher Form als Artikel in einer Fachzeitschrift oder gar als
eigenständige Publikation ist insbesondere im wissenschaftlichen Bereich die gän-
Form der
Aufbereitung
festlegen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
377
gigste Variante. Für den Bereich Kunst und Kultur können auch Diashows, Videos/DVDs, Drehbücher usw. als mögliches Resultat der Ergebnisaufbereitung sinnvoll erscheinen. Erfahrungsberichte, Vorträge und Situationsbeschreibungen können
für andere Bereiche hilfreiche Dokumentationen darstellen. Als Informationsmedium
bietet sich inzwischen das Internet an, das sehr viele Möglichkeiten der Dissemination für nahezu alle Formen bietet (Downloads von Vorträgen, Filmen, Artikeln etc.).
Daneben können öffentliche Symposien und Abschlusskonferenzen, Aufführungen
oder Lesungen interessante Möglichkeiten bieten, ein breiteres Zielpublikum anzusprechen (Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement, S. 412).
Ein erster Ansatz zur Information über die Projekte mit relativ geringem Aufwand
stellt der Jahresbericht dar oder eine laufend auf der Website der Stiftung nachgeführte Liste. Gemäss Bender (2002c, S. 11) wird das Internet von vielen Stiftungen
jedoch nur unzureichend genutzt, um die von ihnen geförderten Vorhaben und deren
Ergebnisse einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So bemängelt
er, dass bei seinen Untersuchungen im Jahre 2002 "nur fünf [von 15 untersuchten]
Stiftungen beispielsweise auf ihren Internetseiten eine Projektliste führen, in der die
geförderten Projekte und deren Ergebnisse leicht zugänglich sind." Das Ergebnis dieser nicht-repräsentativen Umfrage dürfte selbst heute (2005) nicht signifikant besser
ausfallen, obwohl es einige "best practices" in diesem Bereich gibt, die z. B. folgende
Aspekte aufführen:
ƒ Titel des Projekts
ƒ Projektpartner (Person/Institution)
ƒ Kurzbeschreibung ("reason why" und Inhalt)
ƒ Ziele und (Zwischen-)Ergebnisse
ƒ Kontakt (Stiftung und Projektpartner)
ƒ Laufzeit und Fördervolumen
Ansätze und
Kanäle
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
378
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Veröffentlichung der Projektergebnisse:
114. Welchen Nutzen bringt die Veröffentlichung von Projektergebnissen - auf Seiten der
Stiftung, aber auch auf Seiten anderer Akteure in gleichen oder ähnlichen Wirkungsfeldern?
115. Wie erfolgt die Aufbereitung der Projektergebnisse und wer ist dafür verantwortlich?
116. Durch welche Ansätze und Kanäle werden die Zielgruppen der Stiftung am besten erreicht?
10.6
Weiterführung und Replikation von Projekten
Die weitere Bearbeitung eines Wirkungsfeldes sowie mögliche Wiederholung von
Projekten, entweder im gleichen Themengebiet oder in anderen Anwendungszusammenhängen, aber mit gleichem Ablauf, sind die letzten Schritte eines umfassenden
Wertschöpfungsprozesses, der zwar mit der Projektakquisition formal beginnt, doch
erhebliche Verknüpfungen mit den davor liegenden gestalterischen Festlegungen in
der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) und Æ Stiftungsstrategie (Kap. 9.2, S. 288)
ausweist und somit nicht unabhängig davon betrachtet werden kann. Genau so verhält
es sich mit dem "Ende" des Wertschöpfungsprozesses, das eigentlich den Übergang
in die Æ Evaluation (Kap. 12.1, S. 455) im Sinne einer umfassenden Legitimierung
der Stiftungstätigkeit darstellt.
Die im Teilprozess "Weiterführung und Replikation von Projekten" zusammengefassten Aufgaben lauten:
1. Prüfung von Anschlussprojekten
2. Replikation von Projekten
10.6.1 Prüfung von Anschlussprojekten
Die erste Aufgabe in diesem Bereich ist die Prüfung von Möglichkeiten von Anschlussprojekten, um das in Angriff genommene Wirkungsfeld umfassend zu bearbeiten. Insbesondere im Bereich der Wissenschaftsförderung gibt es zahlreiche Beispiele, bei denen ein erstes Projekt Grundlagen geschaffen hat, in Folge dessen inte-
Thematische
Arrondierung
prüfen
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
379
ressante Fragen aufgetaucht sind, die eine weitere Erschliessung des Themas sinnvoll
erscheinen lassen. Zudem sind viele Themen so komplex, dass eine ganze Reihe von
Projekten notwendig ist, um eine gewisse Arrondierung eines Erkenntnisbereichs erreichen zu können. Durch weitere Projekte in einem Themenbereich kann dann für
eine Stiftung durchaus ein "institutionalisierter" Programmschwerpunkt entstehen.
Ein Beispiel für eine Ausweitung der Stiftungsaktivitäten in einem bestimmten Wirkungsfeld beschreiben z. B. Breiteneicher und Marble (2003, S. 688):
Eine Stiftung, deren Projektschwerpunkt auf dem Bau von preisgünstigem Wohnraum in
wohlhabenden Gemeinden liegt, vergab einen wissenschaftlichen Forschungsauftrag. Untersucht werden sollte die Behauptung ihrer Projektpartner, dass ihre neuen Wohnungsbauprogramme nicht zu einem Verfall der Immobilienpreise in der Gemeinde führen - ein
Aspekt, den die Gemeinden regelmässig vortragen, um Wohnungsbauinitiativen für einkommensschwache Familien entgegenzuwirken.
Anschlussprojekte sind zudem insofern Ressourcen schonend, als dass aufgrund der
erlangten Kompetenzen und gewonnenen Erfahrungen Ziele prägnanter formuliert
Schonung von
Ressourcen
und Wirkungspotentiale besser abgeschätzt werden können. Durch die Æ Rückführung der Projektergebnisse (Kap. 10.5, S. 372) in die Stiftung kann sie auch ein engeres Æ Coaching (Kap. 10.3, S. 354) zukünftiger Projektpartner eruieren. Auch hat
sich eine Stiftung während der Projektphase meist ein Netzwerk erschlossen, das z.
B. auch die gezielte, proaktive Ansprache bestimmter besonders qualifizierter
Personen oder Institutionen erlaubt. Stiftungen können sich in einer solchen
Entwicklung auch von einer relativ responsiven Vergabestiftung zu einer mehr und
mehr proaktiven, "quasi"-operativen Stiftung wandeln.
Neben der inhaltlichen "Abarbeitung" eines ganzen Themenkomplexes bietet sich
ggf. auch an, das bisher gewählte Æ Interventionslevel (Kap. 9.1.3, S. 239) zu
überprüfen und es ggf. bei Folgeprojekten auf anderen Stufen anzusetzen. All die
Unterschiedliches
Interventionslevel
oben genannten Aspekte dienen dem, was Prager fordert: "A foundation's success in
devising solutions to social problems lies in its ability to address them systematically”
(Prager 2003, S. 21).
Die Prüfung von Anschlussprojekten impliziert aber auch, dass eine Stiftung zum,
Entschluss kommen kann, dass sie sich aus dem bisherigen Wirkungsfeld
zurückzieht, da z. B. die gesteckten Ziele erreicht sind oder sie erkannt hat, dass
Rückzug
380
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
aufgrund ihrer Ressourcen und Kompetenzen eine wirksame Bearbeitung des Themas
nicht möglich ist. Aus diesem Grund muss eine Stiftung für jedes geförderte Projekt
und für jedes identifizierte Wirkungsfeld auch eine Exit-Strategie besitzen (Æ Kap.
9.2 Stiftungsstrategie, S. 288). Diese umfasst eine klare Planung, wie lange oder bis
zur Erreichung welcher Ziele sich die Stiftung in dem spezifischen Wirkungsfeld
engagieren will, auch um "ihrer" Community oder "ihrem" Projekt ehrlich zu
signalisieren, wann sich die Partner ggf. nach neuen Förderern umsehen müssen, um
das bisher Erreichte fortzuführen.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Prüfung von Anschlussprojekten:
117. Wie erfolgt die Prüfung von Anschlussprojekten zur thematischen Arrondierung der
Stiftungsaktivitäten in einem Wirkungsfeld (strategisches Projektportfolio)?
118. Welche Erkenntnisse können für weitere Projekte des Wirkungsfelds (inhaltlich oder
technisch-konzeptionell) nutzbar gemacht werden?
119. Welche Folgen hätte ein Rückzug aus dem Wirkungsfeld zum aktuellen Zeitpunkt oder sind die strategischen Ziele (Massnahmenplan, Projektportfolio) erreicht?
10.6.2 Replikation von Projekten
Neben der oben beschriebenen Weiterführung von Projekten ist jedoch auch die
Replikation von Projekten in anderen Wirkungsfeldern und ggf. zusammen mit Part-
Replikationsfelder
evaluieren
nern eine Möglichkeit, die Wirksamkeit der eigenen Stiftungstätigkeit zu erhöhen.
Insbesondere für Stiftungen, die sich die Innovationsfunktion zur Grundlage ihrer
Aktivitäten genommen haben, sind diese auch gewissermassen Katalysatoren zur
weiteren Anwendung der Ergebnisse (z. B. Modellversuche). Dieses Potential wird
noch zu wenig ausgeschöpft, meint auch Prager (2003, S. 27) und fügt an: "Too
often, effective social interventions are not replicated in such a way as to test their
effectiveness in other settings, or to promote their wider acceptance and application
in other communities and situations.” Doch diese Aussage lässt sich nicht nur auf die
Innovationsfunktion anwenden, auch diejenigen Stiftungen, die eine Stabilisierungsfunktion ausüben, können ihr Know-how und ihre Erfahrungen in der Stiftungslandschaft und darüber hinaus weitergeben. Eine Stiftung hat auch Verantwortung für das
"grosse Ganze" und muss deshalb den Blick über die eigenen Projektgrenzen vor-
Stiftung als
Katalysator
FE-C Grundkategorie 3: Der Wertschöpfungsprozess
nehmen.
Zusammen
mit
der
Publikation
381
von
Ergebnissen
und
eigenen
Anstrengungen in nachfolgenden Projekten ergeben sich so Möglichkeiten für eine
beträchtliche Breitenwirkung der Stiftungstätigkeit.
Ein Geschäftsführer beschreibt in einem Interview ein Beispiel der Wirkung eines
Projekts mit Modellcharakter, das nun auf Bundesebene und in anderen Kantonen der
Schweiz Interesse geweckt hat:
"Es ist so, dass das Interesse an dem Projekt auf Bundesebene so gross ist,
dass der Bundesrat selbst kommt und sagt: ‚Wir wollen dieses Projekt ausdehnen in anderen Kantonen, denn es könnte wirklich eine neue Antwort zu
regionalpolitischen Fragen geben.’" (P2)
Die Replikation von Projekten kann z. B. auch dadurch unterstützt werden, dass Begegnungen mit anderen Stiftungen oder Institutionen organisiert werden, die zum
Austausch von Wissen und Erfahrungen dienen (Æ Kap. 9.2.4 Kooperationen, S.
310). "Dabei können z. B. erfolgreiche Praxisbeispiele diskutiert oder es kann nach
replizierbaren Modellprojekten gesucht werden. […] Ausserdem können sie andere
Stiftungen auf exemplarische Projekte hinweisen, die zusätzliche Unterstützung benötigen" (Breiteneicher/Marble 2003, S. 688).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Replikation von Projekten:
120. Wie werden mögliche Replikationsfelder für Projekte evaluiert, die zur Erreichung der
Mission bzw. der strategischen Ziele der Stiftung beitragen?
121. Wie erfolgt eine Identifizierung von Organisationen, die eine Replikation von Projekten
z. B. zusammen mit der Stiftung durchführen?
Zusammenarbeit prüfen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
382
"Das ist auch ein Management-Stil:
Unruhe in den Gedanken, Ruhe in der Umsetzung."
Daniel Goeudevert,
dt. Topmanager (1942)
11
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
Die Supportprozesse im FE-C umfassen alle Aktivitäten, die der Schaffung geeigneter Voraussetzungen für den friktionslosen Vollzug des Wertschöpfungsprozesses
dienen. Geeignete Voraussetzungen zeichnen sich dabei aus durch die Möglichkeiten
zur Ausschöpfung von Effektivitäts- und Effizienzpotentialen.
Zu den Supportprozessen gehören für Stiftungen folgende fünf Teilprozesse (vgl.
Abbildung 11-1):
1. Finanzmanagement
2. IT-Management
3. Kommunikationsmanagement
4. Kooperationsmanagement
5. Human Resource-Management
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
383
Mission
Mission
Finanzmanagement
Input
Input
ITManagement
Aktivitäten
Aktivitäten
Projekte
Projekte
Kommunikationsmanagement
Kooperationsmanagement
HRManagement
Output
Output
Impact
Impact
Abbildung 11-1: Die Supportprozesse einer Stiftung mit den fünf Teilprozessen
Die Vorgaben, im Sinne von Einschränkungen, aber auch von Handlungsspielräumen
für die einzelnen Supportprozesse stammen aus dem Gestaltungsprozess. Die vielfältigen Verweise aus den und auf die dort detailliert beschriebenen Teilprozesse - wie
auch in den Wertschöpfungs- und den Legitimierungsprozess - dokumentieren die
starke Vernetztheit der Entscheidungen aller Grundkategorien des FE-C. Die folgenden Aufgaben der einzelnen Supportprozesse unterstützen das Stiftungsmanagement
zudem im konstruktiven Umgang mit den organisationalen Defiziten einer Stiftung
und der Handhabung der Paradoxien der Stiftungspraxis, wie sie ausführlich im Hinblick auf den Aufbau von Vertrauen in und Wertschätzung der Stiftungsarbeit in Kapitel 6 vorgestellt werden.
Die im Verlauf dieses Kapitels vorgestellten Handlungsoptionen beruhen z. T. auf
allgemein anerkannten Managementwerkzeugen und -ansätzen, die jedoch im Rahmen dieser Darstellung auf die Spezifika von Stiftungen adaptiert und - wie die Aufgaben und Handlungsoptionen in den vorherigen Grundkategorien - mit Beispielen
aus der Stiftungspraxis sowie Belegen aus den Interviews untermauert werden.
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
384
11.1
Finanzmanagement
Im Supportprozess "Finanzmanagement" werden die in der Æ Stiftungspolitik (Kap.
9.1, S. 228) festgelegten Grundsatzentscheide bezüglich Anlagepolitik aufgenommen
sowie die entsprechenden Vorgaben und Anforderungen der strategischen Entscheidungen und des Wertschöpfungsprozesses umgesetzt, um die Voraussetzungen für
eine wirkungsvolle und effiziente Stiftungsarbeit zu legen. Die ideellen Ziele (Æ
Kap. 9.1.1 Stifterwille, S. 229, Æ Kap. 9.1.2 Mission, S. 233) geben einer Stiftung
zwar ihre Existenzberechtigung, doch die Festlegung der Ziele und Massnahmen des
Finanzmanagements ist von zentraler Bedeutung für dauerhafte und verlässliche
Stiftungsaktivitäten. So wichtig die zweckorientierte Zielerreichung ist (Sachzieldominanz), ohne ein entsprechendes Finanzmanagement kann eine Organisation nicht
(lange) handlungsfähig sein. Deshalb gehört der seriöse Umgang mit den Finanzen zu
den zentralen Aufgaben eines Stiftungsmanagements.
Die im Supportprozess Finanzmanagement zusammengefassten Aufgaben umfassen:
1. Festlegung der Vermögensausstattung und Grundsätze der Vermögensausschüttung
Dabei ist zu beachten, dass generelle Regeln für das Finanzmanagement einer
Stiftung schwierig sind, da diese massgeblich von der Art der Vermögensausstattung (Aktien und andere Wertpapiere, Immobilen, Kunstwerke etc.) abhängen.
2. Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens
Dazu gehören auch auf bestimmten Kriterien basierende Anlageentscheide bezüglich des Stiftungsvermögens (z. B. "missionsorientierte" Investments)
ebenso wie Entscheide über das mögliche Outsourcing der Vermögensbewirtschaftung
sowie
eine
periodische
Überwachung
der
Vermögensentwicklung.175
175
Für Spenden sammelnde Stiftungen sowie für Stiftungen in Erwartung von Zustiftungen stellen sich hierbei weitere,
besondere Anforderungen, z. B. Prüfung der Herkunft der Gelder.
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
385
3. Aufbau eines Rechnungswesens und Aufbereitung eines Jahresabschlusses
Hier sind ebenfalls Fragen des Budgetierens und der Buchhaltung angesprochen, die eine wichtige Grundlage für ein reibungsloses Funktionieren der
Stiftungstätigkeit darstellen.
11.1.1 Festlegung der Vermögensausstattung und Grundsätze der
Vermögensausschüttung
Jede rechtsfähige Stiftung muss über ein gewisses Vermögen verfügen (Æ Exkurs:
Gründungsleitfaden, S. 221). Das Stiftungsvermögen besteht aus Mitteln, die vom
Stifter oder von den Stiftern ausgesondert und an die Stiftung übertragen wurden und
Relation
Zweck Vermögen
beachten
ausschliesslich zur Zweckverfolgung eingesetzt werden dürfen. Grundsätzlich ist der
Stiftungsrat für die zweck- und ordnungsmässige Umsetzung der Stiftungstätigkeit
mit den verfügbaren finanziellen Mitteln verantwortlich (Æ Kap. 9.1.6 Zuständigkeiten, S. 263). Die Höhe des Stiftungsvermögens muss die zweckentsprechende Tätigkeit der Stiftung dauerhaft und nachhaltig erlauben (für die Schweiz: Sprecher/von
Salis-Lütolf 1999, für Deutschland: Hof et al. 2004), d. h. ein angemessenes Verhältnis zwischen Stiftungsvermögen und Stiftungszweck ist Voraussetzung für die Errichtung und den Erhalt einer Stiftung. Sowohl bei der Stiftungsgründung als auch bei einer allfälligen Neupositionierung der Stiftung gilt es, diesen Grundsatz zu beachten.
So ist z. B. die Kapitalausstattung einer kleinen Stiftung mit lokalem Aktionsradius
erst dann kritisch zu überprüfen, wenn diese im Rahmen einer Neuausrichtung zukünftig global tätig sein möchte. In einem solchen Fall muss entweder der geographische Aktivitätsradius angepasst werden oder es muss überlegt werden, ob z. B. über
Zustiftungen ein grösseres Stiftungsvermögen aufgebaut werden kann.
Grundsätzlich ist die Kapitalausstattung einer Stiftung frei bestimmbar, allerdings
sollte bei der Stiftungsgründung eine gewisse Grenze nicht unterschritten werden.
Eine Mindestkapitalausstattung ist weder in der Schweiz noch in Deutschland von
Gesetzes wegen vorgesehen. Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht in Bern (EDI)
setzt bei der Gründung einer Stiftung jedoch ein Mindestkapital von CHF 50'000.-fest. In Deutschland wird diese Grenze bei selbständigen Stiftungen mit EUR
50'000.—veranschlagt (Æ Exkurs: Gründungsleitfaden, S. 221). Dieser Betrag ist
(zwar abhängig vom Zweck) als eher niedrig zu bewerten, stehen doch grundsätzlich
Mindestkapitalausstattung
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
386
nur die Erträge aus dem Kapital für die Stiftungsarbeit zur Verfügung. Bei einem Kapital von CHF 50'000 wären das bei einer jährlichen Verzinsung zu 5% nur CHF
2'500, bei CHF 250'000 entsprechend CHF 12'500 und bei CHF 500'000 immerhin
CHF 25'000. Hierbei gilt festzuhalten, dass das für die Zweckverfolgung notwendige
Kapital nicht bereits zu Beginn der Stiftungstätigkeit vorliegen muss - allerdings bedarf es in einem solchen Fall einer glaubhaften Aussicht auf Vermögenszuwachs
durch die Stifter. Sprecher und von Salis-Lütolf (1999) verdeutlicht, dass die blosse
Absicht, das Stiftungsvermögen durch Spenden- und Sammelaktionen zu
vergrössern, in der Regel für die Glaubhaftmachung nicht ausreicht. Meyer et al.
(2003) zeigen anhand eindrücklicher Beispiele, dass auch mit kleinen Summen - zwar
eher in der Förderart der Befriedigung dringlicher Bedürfnisse - einiges bewirkt
werden kann:
Mit EUR 5600.-- konnte die Happy Day Stiftung Unterkünfte für 21 vietnamesische Familien
bereitstellen oder mit EUR 10'000.-- der Wiederaufbau einer erdbebenzerstörten Ortschaft
in El Salvador durch die Schneider Stiftung erfolgen. EUR 12'000.-- reichten für die Ausstattung einer Gesundheitsstation für AIDS-kranke Kinder in Uganda (Hof Stiftung) oder
EUR 33'000 für den Bau und den Unterhalt für ein Jahr von fünf Schulen für 500 indische
Kinder durch die Free The Children Stiftung.
Prinzipiell kann eine Stiftung Vermögenswerte aller Art besitzen, z. B.:
ƒ Kapitalvermögen resp. Barvermögen
ƒ Wertpapiere
ƒ Unternehmensanteile
ƒ Kunstgegenstände
ƒ Grundstücke und Immobilien
ƒ Forderungen
ƒ Patent-, Lizenz- und Urheberrechte
Das Stiftungsvermögen z. B. bestehend aus einer Kunstsammlung ist als solches nicht
ausreichend, weil ein Ertrag aus eben diesem Vermögen benötigt wird, um nur schon
den Erhalt der Kunstwerke sowie die übrige Stiftungsarbeit finanzieren zu können.
Zentral ist also, dass das Vermögen einen objektiven wirtschaftlichen Wert aufweist
und dass zumindest ein Teil des Vermögens Erträge abwirft zur Finanzierung der
Arten von
Vermögenswerten
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
387
Stiftungsarbeit (Meyer et al. 2003, Hof et al. 2004). Schliesslich gilt es, die später
aufgezeigten stiftungsspezifischen Anforderungen zwischen kurzfristiger Liquidität
und langfristiger Rendite zu beachten.
Die Grundlage für die Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens ist die entweder in
der Æ Stiftungsurkunde (Exkurs: Gründungsleitfaden, S. 221) vorgegebene oder im
Rahmen der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) festgelegte Lebensdauer einer Stif-
Grundsätze
der
Vermögensausschüttung
festlegen
tung. Dieser Entscheid hat massgeblichen Einfluss auf die anzustrebende zukünftige
Vermögensentwicklung und die Grundsätze der Vermögensausschüttung. Das Spektrum reicht dabei vom Verzehr des Stiftungsvermögens (sog. Verbrauchsstiftung) über
den Erhalt bis hin zur kurzfristigen (s. u.) Anhäufung von Stiftungskapital. Um eine
Verbrauchsstiftung
dauerhafte und nachhaltige Zweckerfüllung der Stiftung zu gewährleisten, gilt für das
Stiftungsvermögen prinzipiell das stiftungsrechtliche Gebot der Vermögenserhaltung,
d. h nur die Erträge dürfen für die Umsetzung des Stiftungszwecks verwendet werden. Dies impliziert, dass das Vermögen weder verschenkt, verbraucht, unter Wert
veräussert oder in einer sonstigen Weise verringert werden darf. Das Vermögen soll
demnach in seinem wirtschaftlichen Bestand mit einer gleich bleibenden Ertragskraft
erhalten werden.
Von diesem Grundsatz kann nur dann abgewichen werden, wenn dies der Stifter entweder in der Stiftungsurkunde vorsieht oder der Stifterwille nicht anders zu verwirklichen ist (vgl. Sprecher/von Salis-Lütolf 1999). Unter diesen besonderen Umständen
dürfen grundsätzlich alle Gegenstände des Stiftungsvermögens veräussert werden,
ausser der Stifter hat in der Stiftungsurkunde etwas anderes festgehalten oder die
Veräusserung widerspricht dem Zweck der Stiftung. In der Praxis wird das Antasten
des Stiftungskapitals oftmals zugunsten der Projektnehmer etwas grosszügiger gehandhabt. So beschreibt ein Stiftungsexperte folgende Situation:
"Viele Stiftungen leben vom Ertrag. Es heisst z. B. in der Urkunde, dass der
Ertrag jährlich zu vergeben oder zu verbrauchen ist und dass die Substanz
nicht angegriffen werden darf. Und dann gibt es noch die Grenzsituation,
wenn z. B. die Börse sinkt aber die Stiftung schon Projektgelder zugesagt hat.
Diese Situation wird dann oftmals so gehandhabt, dass für einen kleinen Zeitraum eine so genannte Unterdeckung in Form eines ‚Anbrauchens’ des Vermögens erlaubt wird. Es muss allerdings glaubwürdig dargelegt werden, dass
Vermögenserhaltung
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
388
das Stiftungskapital in den nächsten zwei Jahren wieder auf den alten Stand
zurückgeführt wird." (P18)
Ein Stifter sollte in der Stiftungsurkunde ebenfalls vorsehen, was mit dem Vermögen
im Falle einer Auflösung der Stiftung geschehen soll. In der Schweiz wird das Rest-
Auflösung der
Stiftung
vermögen bei Auflösung anderen Stiftungen mit ähnlicher Zwecksetzung zugeteilt,
falls keine in der Stiftungsurkunde gemacht wurden; in Deutschland sind dabei zusätzlich Rückübertragungen auf den Stifter oder seine Erben möglich, wobei diese
nicht mehr als die eingezahlten Kapitalanteile zurückerhalten können. Das Restvermögen darf nur für steuerbegüngstigte Zwecke verwendet werden (Hof et al. 2004).
Grundsätzlich gilt für Stiftungen ein Thesaurierungsverbot, d. h. Erträge dürfen nicht
in der Stiftung zurückbehalten werden. Mit anderen Worten dürfen sowohl in
Deutschland, der Schweiz als auch den USA die Erträge nicht dem Grundstock des
Vermögens zufliessen. Erträge können z. B. aus Vermögen oder eingeworbenen
Spenden entstehen. Die deutsche Rechtsprechung geht beim Thesaurierungsverbot
noch einen Schritt weiter, indem der Grundsatz lautet, dass alle Erträge zeitnah zur
Erfüllung des Stiftungszwecks zu verwenden sind (zeitnahe Mittelverwendung).
Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist dies dann gegeben, wenn die Mittel
"spätestens in dem auf den Zufluss folgenden Kalender- oder Wirtschaftsjahr für die
in der Satzung vorgegebenen steuerbegünstigten Zweck eingesetzt werden" (Hof
2004, S. 33). Die Gesetzgebung zur zeitnahen Mittelverwendung der Erträge löst
allerdings keinen Performance-Druck der Anlagen aus. Es ist ausreichend, die
erwirtschafteten Erträge unabhängig ihrer absoluten Grösse auszuschütten. In der
Schweiz bestehen bezüglich Ausschüttungen keine Richtlinien. Es ist ebenfalls
lediglich das Anhäufen von Kapital untersagt. Die USA hat bezüglich der
Mittelverwendung die eindeutigste Regelung: 5% des Kapitals müssen jährlich
abzüglich angemessener Verwaltungskosten zweckbestimmt ausgeschüttet werden.176
176
Diese Regelung trat 1981 in den USA in Kraft. Davor waren die Stiftungen angehalten, entweder 5% ihrer Aktiven
auszuschütten oder den tatsächlich erwirtschafteten Ertrag, je nachdem welcher Betrag höher war.
Thesaurierungsverbot
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
389
Es gibt vom Thesaurierungsverbot allerdings zwei Ausnahmen - unter der Bedingung, dass sie in der Stiftungsurkunde vorgesehen sind:
1. Eine zweckgebundene Rücklagenbildung über einen längeren Zeitraum für
besonders aufwändige Vorhaben der Zweckverwirklichung. Getätigte Rücklagen müssen in der Rechnungslegung transparent gemacht und speziell ausgewiesen werden.
2. Das Vermögen einer Stiftung wurde derart vermindert, dass die Erfüllung des
Stiftungszwecks beeinträchtigt wird. Nach Rücksprache mit der Stiftungsaufsicht können dann die Erträge des Stiftungsvermögens so lange akkumuliert
werden, bis die Stiftung wieder leistungsfähig im Sinne der Zweckerfüllung
ist.
Grundsätzlich müssen alle Mittel einer Stiftung mittel- oder unmittelbar zur Erfüllung
des Zwecks verwendet werden.177 Dabei gelten folgende Grundsätze:
ƒ Sparsamkeit in der Mittelverwendung
Grundsätze
der
Vermögensverwendung
beachten
ƒ Wirtschaftlichkeit der Verwaltung
ƒ Verhältnismässigkeit zwischen Aufwand und Ertrag
Diese eher vagen Kriterien lassen nicht unmittelbar einen Schluss auf die zulässige
Höhe der Verwaltungskosten einer Stiftung zu. Generell gilt, dass eine Stiftung ihren
Gemeinnützigkeitsstatus zu verlieren droht, wenn sie weniger als 50% ihrer Mittel für
den steuerbegünstigten Zweck einsetzt. Stiftungen können schwer untereinander in
Bezug auf das Verhältnis von Ausgaben und Verwaltungskosten verglichen werden,
da eine Stiftung mit festem Destinatär sachbedingt geringere administrative Aufwendungen aufweist als eine Stiftung, die Anträge prüft, Projekte coacht und evaluiert
sowie die Ergebnisse sichert und publiziert. Sprengel et al. (2003) halten diesbezüglich fest, dass Verwaltungskosten unterhalb von 10% als tief und grundsätzlich als
unproblematisch angesehen werden, 10-20% werden als angemessen eingestuft. Als
Verwaltungsausgaben werden Ausgaben erfasst, die der Zweckerfüllung durch einen
reibungslosen Ablauf des Betriebes dienen. Dazu zählen im engeren Sinne Kosten
der
177
Organisation,
des
Rechnungswesens,
der
Finanzwirtschaft,
der
Bemerkenswert ist, dass gemeinnützige Stiftungen nach deutschem Recht bis zu einem Drittel ihrer Einkommen dazu
verwenden können, in angemessener Weise den Stifter und seine nächsten Angehörigen zu unterhalten (Hof et al. 2004).
Verwaltungskosten
390
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
Personalverwaltung und der Sachverwaltung. Projektnebenkosten wie Ausgaben zur
Projektakquisition und -selektion, zum Projektcoaching und -monitoring oder die
Ergebnisdissemination werden als Verwaltungskosten im weiteren Sinn eingestuft
(Æ Kap. 11.1.3 Rechnungswesen, S. 398).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegung der Vermögensausstattung und Grundsätze der Vermögensausschüttung:
122. In welcher Relation stehen Stiftungszweck und Stiftungsvermögen zueinander unter
Beachtung einer allfälligen Fokussierung der Stiftungstätigkeiten in der Mission?
123. Welche Vermögenswerte besitzt die Stiftung und wie liquide sind diese - in Bezug auf
die notwendige Finanzierung der Stiftungsarbeit?
124. Welche grundlegenden Bewirtschaftungs- und Ausschüttungsrichtlinien z. B. aus der
Stiftungsurkunde oder der Stiftungspolitik sind vorhanden?
125. In welcher Relation stehen Vermögen und Verwaltungskosten zueinander unter Beachtung der Vorgaben aus der Stiftungspolitik und -strategie (z. B. Stiftungstyp, Förderansatz und -engagement)?
11.1.2 Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens
Aufgrund der Tatsache, dass Stiftungen ihren Zweck durch die Verwendung der
Vermögenserträge verwirklichen, kommt dem Vermögen sowie der Vermögensverwaltung eine zentrale Rolle zu, mit dem Ziel einer sicheren und Ertrag bringenden
Anlage der Vermögenswerte.
Aus dem o. g. Grundsatz der Vermögenserhaltung folgt, dass das Stiftungsvermögen
gewinnbringend anzulegen ist, um mit dessen Erträgen die Erfüllung des Stiftungszwecks vorzunehmen.178 Dabei gilt es einerseits den Finanzbedarf für die Förderpro-
Finanzbedarf
vs.
Vermögensertrag
jekte und andererseits die Ertragsmöglichkeiten der Anlagen gegenüberzustellen.
Basierend auf den Entscheidungen in der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228)
bezüglich Förderpolitik und dem geplanten Finanzbedarf zur Bearbeitung der
strategisch bestimmten Æ Wirkungsfelder (Kap. 9.2.1, S. 290) gilt es, eine jährliche
178
Ausnahmen bilden hier diejenigen Stiftungen, welche ihren Zweck nicht durch die Erträge ihres Vermögens erfüllen wie
z.B. Spenden sammelnde Stiftungen oder Anstaltsträgerstiftungen.
PlanAusschüttungsquote
festlegen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
391
Plan-Ausschüttungsquote zu bestimmen und daraus abgeleitet eine angemessene
Vermögensbewirtschaftung vorzunehmen.
Prinzipiell richtet sich die Bewirtschaftung der Stiftungsvermögen nach den Vorgaben des Stifters in der Æ Stiftungsurkunde (Exkurs: Gründungsleitfaden, S. 221)
oder einem Anlagestatut.179 Eine Studie der Dr. Dr. Heissmann GmbH (Hafer-
Bewirtschaftungsrichtlinien
anwenden
stock/Burkert, 2003) im Jahre 2003 hat bei der Befragung von 850 Deutschen Stiftungen ergeben, dass etwa ein Fünftel der benötigten Mittel über Spenden abgedeckt
wird.
Neben
Zuschüssen
der
öffentlichen
Haushalte,
Mieteinnahmen,
Lotterieerträgen u. a. bildet das "eigentliche" Stiftungsvermögen und dessen Erträge
zu mehr als 50% die zentrale Finanzierungsquelle. Der Kapitalmarkt ist somit der
entscheidende
Ort
bei
der
Finanzierung
der
Stiftungen.
Die
Vermögensbewirtschaftung hat einerseits den Bestand des Stiftungsvermögens zu
bewahren, andererseits muss sie daraus Erträge erzielen, um den der Stiftung
vorgegebenen Zweck zu erfüllen. Aus diesem Grund sind Stiftungen gezwungen, ihre
Finanzanlagen optimal auf die Fördertätigkeit abzustimmen. Die Stiftungsorgane
haben vor diesem Hintergrund zwischen sicheren Anlagevarianten und einem für den
Stiftungszweck möglichst optimalen Ertrag zu entscheiden. Es kann nicht das Ziel
einer Stiftung sein, möglichst viele Erträge zu erwirtschaften, sondern vielmehr
nachhaltige und konstante Erträge zu erzielen. So sollte das Risiko von grossen
Kapitaleinschnitten und von zyklischen Erträgen vermindert werden. Die Stiftung
wird durch die Wahrung dieses Grundsatzes zu einem verlässlichen Partner für
potentielle Antragssteller und bestehende Destinatäre.
Das Stiftungsvermögen sollte so bewirtschaftet werden, dass es keinen unverhältnismässigen Risiken ausgesetzt, also sicher und rentabel angelegt ist. Zentral ist die
langfristige Sicherheit der Anlagen Der Stifter hat die Möglichkeit, in der
Stiftungsurkunde
oder
im
Anlagereglement
allfällige
Anlageentscheide
vorzuschreiben, z. B. kann er vorgeben, dass das Kapital ausschliesslich in
festverzinslichen Papieren oder in einem bestimmten Verhältnis auch in Aktien
anzulegen ist (Meyer et al. 2003).
179
In der Stiftungsurkunde sollten dabei nur allgemeine Grundsätze und Leitlinien der Vermögensverwaltung vorgegeben
sein. Die Einzelheiten hingegen werden mit Vorteil in speziellen Anlagereglementen geregelt, die bei Bedarf abgeändert
werden können (Wachter 2002). Allgemeine Festlegungen in der Æ Stiftungspolitik sollten neben dem Grundsatz der
Anlagevarianten
eruieren
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
392
Dem Ziel der gleichmässig hohen Ertragsgenerierung bei gleichzeitigem Erhalt des
Grundvermögens wird in der Regel durch eine sorgfältige Auswahl, Mischung und
Streuung der Anlagen und Investitionen erzielt. Hierbei reicht die Spannweite von
mündelsicheren Anlagen bis hin zu sehr risikobehafteten Investitionen. Die Studie
der Dr. Dr. Heissmann GmbH zeigt aber auch deutlich, dass die Anlagepolitik von
Stiftungen als eher konservativ beschrieben werden kann. So sind 37% der Mittel in
Anleihen, 31% in Geldmarktprodukten, 15% in Immobilien und nur 10% in Aktien
angelegt. Andere Schätzungen gehen davon aus, dass über 50% der Vermögen in
Festgeldern und festverzinslichen Wertpapieren angelegt sind (Richter/Sturm 2005
und die dort angegebene Literatur). Auch die im Rahmen der Interviews mit
Stiftungsvertretern von Foundation Excellence gewonnenen Erkenntnisse weisen auf
eine grosse Risikoaversion der Stiftungsverantwortlichen bezüglich der Anlage des
Kapitals hin. So strebt der Geschäftsführer einer grossen Stiftung eine
"möglichst sichere Anlage, […] also keine riskanten, spekulativen Objekte
oder Aktien, sondern etwas Moderates an." (P10)
Ähnlich sieht es ein Stiftungsratspräsident:
"Wie viel Risiko soll oder darf eine Stiftung eingehen in ihrer Tätigkeit? Also,
in der Vermögensanlage sicher ein sehr ein kleines." (P20)
Ein Stiftungsexperte sieht jedoch gerade in diesem Punkt noch ein grosses Potential
für Stiftungen:
"Die Vermögensanlage ist etwas, das ich auch bei kleineren Stiftungen sehe,
was eben nicht so gross beachtet wird. Die haben ihr Vermögen in einer Liegenschaft drin, dann ist vielleicht nicht so viel zu machen. Verkaufen darf
man sie nicht, weil sie zum Zweck gehört. Aber es gibt auch Stiftungen, bei
denen sehe ich schon noch Potential. Die haben ihre ein bis zwei Millionen
und legen das mündelsicher an, auch wieder aus einer Angst heraus, sie
könnten sonst irgendeinem grossen Risiko ausgesetzt sein. Aber wenn man in
einem vernünftigen Rahmen etwas machen würde, könnten wir bei unseren
beaufsichtigten Stiftungen, die etwa zusammen eine Bilanzsumme von zwei
sicheren und Ertrag bringenden Anlage auch andere Kriterien der Vermögensanlage enthalten. Dabei ist eine Priorisierung der unterschiedlichen Anlageziele vorzunehmen.
konservative
vs. progressive
Anlagen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
393
Milliarden aufweisen, wahrscheinlich beim Ertrag schon noch ein etwas
mehr herausholen, wenn man das ein wenig besser beachten würde." (P18)
Nimmt man die 5% Mindestausschüttungsquote für Stiftungen in den USA als Richtwert und berücksichtigt eine durchschnittliche Inflationsrate von 2% zur Erhaltung
Zinstragende
Werte
des realen Stiftungsvermögens, wäre eine jährliche Mindestrendite von rund 7% notwendig. Es ist fraglich, von wie vielen Stiftungen dieses Renditeziel tatsächlich erreicht wird. Hof et al. (2004) empfehlen für angemessene Erträge die Anlage des
Grundvermögens zu Hälfte in zinstragende Werte. Hierbei werden in der Regel keine
Wertsteigerungen erzielt; sie liefern jedoch einen laufenden Nominalertrag. Dabei ist
auf eine ausgewogene Verteilung der Fälligkeiten zu achten, um nicht in Liquiditätsengpässe zu geraten (Æ Kap. 11.1.2 Budget, S. 390). Zu beachten gilt es, dass Anlagen in festverzinsliche Werte der Gefahr des Geldwertverlustes ausgesetzt sind. Neben den zinstragenden Werten soll gemäss Hof et al. (2004) auch in Aktien und Immobilien investiert werden. Trotz kleinerer laufender Ertragsleistung liegt der Vorteil
Aktien und
Immobilien
von Substanzwerten in einer allfälligen Wert- und Marktpreissteigerung - sie sind
eher inflationsresistent. Zyklische Schwankungen sind aber auch hier nicht auszuschliessen. Derivative Geschäfte hingegen sind mit hohen Risiken verbunden und
eignen sich daher für Stiftungen nur sehr begrenzt.
Die Erreichung der Renditeziele durch die von Hof et al. (2004) vorgeschlagenen
Anlagen ist v. a. in Zeiten geringer Renditen und seitwärts tendierender Märkte
schwierig. Vielmehr sollten vom allgemeinen Marktverlauf abgekoppelte Ertragsmöglichkeiten evaluiert werden. Richter und Sturm (2005) schlagen hierzu Hedge
Fonds vor. Hedge Fonds haben das Ziel, eine stetig positive Rendite unabhängig von
allgemeinen Marktrisiken zu bieten. Die bei US-Stiftungen bereits weit verbreitete
Investitionsform gewinnt auch in Europa zusehends an Gewicht. Die Grundidee einer
solchen Anlagestrategie liegt im Investment in Anlagen, von denen ein Fondsmanager denkt, sie besonders gut einschätzen zu können. Durch die Durchführung von
Leerverkäufen180 und den Einsatz von Fremdkapital zur Finanzierung der Anlagen
soll ein möglichst hoher Leverage erzielt werden. Aus stiftungsrechtlicher Perspektive sind Hedge Fonds ebenso wie Aktien, Immobilien oder andere Anlagen denkbar,
180
Prinzipiell sind in Deutschland Leerverkäufe, bei denen die Veräusserung der Wirtschaftsgüter früher erfolgt als ihr
Erwerb, unzulässig. Wenn diese Investitionsform allerdings im Rahmen von Hedge Fonds getätigt wird, ist sie selbst für
Stiftungen zulässig.
Alternative
Anlagen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
394
es gilt lediglich das Verbot von Spekulationsgeschäften. Die oben besprochenen Eigenschaften von Hedge Fonds weisen aber auch auf die hohen Risiken hin. Um einerseits dem Kriterium der sicheren und nachhaltigen, andererseits jedoch auch einer
möglichst ertragsreichen Anlage gerecht zu werden, ist die alleinige Investition in
Hedge Fonds sicherlich nicht empfehlenswert, jedoch als Teil eines Portfolios denkbar.
Festgelder, Unternehmensanleihen oder Immobilien sind im Gegensatz zu
Aktienportfolios und alternativen Anlagen weniger risikoanfällig und damit kleineren
Schwankungen ausgesetzt. Charakteristisch für diese Anlageform ist der oftmals feste
Anlagehorizont mit einem fixen Zins resp. stetigen Erträgen. Dieser Umstand des auf
eine gewisse Zeit blockierten Geldes macht es für eine Stiftung unabdingbar, über
gewisses Kapital in Form von Bargeld oder Festgeld mit kurzen Laufzeiten zu verfügen, um ihren Verpflichtungen in jedem Fall nachkommen zu können. Ein Geschäftsführer formuliert die daraus potentiell entstehende Problematik folgendermassen:
"Wir müssen das Vermögen so anlegen, dass es jährliche Erträge gibt. Also
es könnte mal ein Jahr aussetzen, aber eigentlich sind die Erträge ja das, aus
dem wir dann die Fördermittel bestreiten. Wenn wir das Vermögen so anlegen, dass wir erst in zehn Jahren wieder einen Gewinn machen, z. B. durch
Verkauf von Immobilen, dann können wir den Förderzweck nicht erfüllen."
(P10)
An dieser Stelle wird auch auf ein mögliches Klumpenrisiko durch Investitionen eines
Grossteils des Vermögens in eine einzelne Anlage oder Anlageform hingewiesen.
Häufig besitzen Stiftungen grössere Aktienpakete an einer einzelnen Firma. Beispiele
hierfür sind die Bertelsmann Stiftung, die Jacobs Foundation oder die Henkel Stiftung. Es ist dabei abzuklären, inwieweit eine Diversifizierung im Zusammenhang mit
einer Reduktion dieser Titel überhaupt zulässig ist, ohne gegen die Vorgaben aus der
Stiftungsurkunde zu verstossen. Der Geschäftsführer einer grossen Stiftung, die ihre
Projektförderungen hauptsächlich durch die Dividendenzahlung ihrer Unternehmensanteile finanziert, versucht mit der Problematik des Klumpenrisikos folgendermassen
umzugehen:
"Unsere Stiftung braucht eine klare Planung über das Budget, über die Finanzen, auch bezüglich Risiko-Assessment - das heisst, wie viele Rücklagen
Klumpenrisiko
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
395
muss ich haben? Im Moment sind wir darauf angewiesen, dass die Aktien unserer Unternehmung genügend Dividenden abwerfen. Das ist ein relativ hohes Risiko. Das heisst, in welcher Weise muss ich vorplanen, damit ich sicherstellen kann, diese Stiftung hat das Ziel Rücklagen zu haben, damit sie
drei oder fünf Jahre auf dem gleichen Niveau - selbst wenn sie keine Dividende kriegt - funktionieren kann. Und dies aus einem ganz einfachen Grund:
Die längsten Projekte sind fünf Jahre und man muss deren Finanzierung sicherstellen. Wenn man weiss, es ist weniger Geld da, kann man zudem auch
die Ausgaben zurückschrauben und nichts Neues annehmen." (P29)
Das Stiftungsmanagement hat zudem zu klären, wer innerhalb der Stiftung für die
Bewirtschaftung des Vermögens zuständig ist (Æ Kap. 9.1.6 Zuständigkeitsregelungen, S. 263). Bei grösseren Stiftungen kann es angebracht sein, einen Anlageaus-
Verantwortlichkeiten und
Zuständigkeiten festlegen
schuss für die Vermögensbewirtschaftung zu bilden, der die Finanzanlagen auswählt
und überwacht. Die Verantwortlichen sollten sich dabei auf ein im Gesamtstiftungsrat
festgelegtes Anlagereglement beziehen können, das die grundlegenden Richtlinien
zur Æ Anlagepolitik (Kap. 9.1.4, S. 247) festhält. Abhängig von den vorhandenen
Kompetenzen einer Stiftung und dem investierbaren Vermögen hat die Stiftung die
Option, die Anlagen im Rahmen eines Vermögensverwaltungsmandates extern
betreuen zu lassen und sich auf die Kontrolle der Aktivitäten zu beschränken oder
aber die Vermögensverwaltung intern durchzuführen (Æ Kap. 11.5 HR-Management,
S. 434). Ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt die Vermögensverwaltung in seiner Stiftung folgendermassen:
"Wir haben eine ganz klare Struktur bei den Anlageentscheiden. Wir haben
einen Geschäftsausschuss der Stiftungskommission, die Geschäftsleitung und
das Rechnungswesen. Die Geschäftsleitung macht eine Anlagepolitik, in der
die Grundsatzfragen der Anlagen festgelegt werden. Und der Stiftungsrat
macht die Aufsicht über die Umsetzung. Das Besondere bei uns ist, dass wir
einen Berater haben, d. h. nicht eine Bank und nicht einer der Geld anlegt,
sondern der nur, wie dies bei Pensionskassen auch häufig der Fall ist, überprüft, was das Beste ist, was die Instrumente sind, was die Kosten, die Honorare, und so weiter". (P7)
Externe
Vermögensverwaltung
prüfen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
396
Die Vermögensverwaltung zieht Kosten nach sich. Hierbei gilt zu beachten, dass der
Aufwand der Vermögensbewirtschaftung in angemessenem Verhältnis zum erwarte-
Verwaltungskosten
ten Ertrag steht.
Eine Möglichkeit, die Verwaltungskosten zu senken besteht darin, das Vermögen mit
anderen Stiftungen zusammen zu verwalten und anzulegen. Ein höheres Anlagevermögen bietet oftmals eine bessere Verhandlungsbasis bei den Finanzinstituten und
damit z. T. höhere Renditen bei niedrigeren Verwaltungskosten.
Bei der Vermögensverwaltung gilt es zudem zu unterscheiden zwischen einer aktiven
oder passiven, d. h. einer indexbasierten Anlagestrategie. Bei der passiven Anlagestrategie wird in die Aktien eines Indizes wie z.B. SMI, DAX oder S&P 500 proportional zum Aktiengewicht innerhalb der Indexe investiert. Dieses diversifizierte Portfolio reduziert das Risiko einer Einzelinvestition, beschränkt den Kursgewinn allerdings auf die allgemeine Entwicklung der Indexe. Die Management-Gebühren einer
solchen Anlagestrategie sind dabei tiefer als bei einer aktiven, bei der versucht wird,
durch die Auswahl ausgesuchter Aktienpositionen den Index zu übertreffen. Welche
Anlagestrategie für die jeweilige Stiftung die geeignete ist, muss vom Stiftungsrat
entschieden werden. Der Geschäftsführer einer grossen Stiftung nennt die konkreten
Entscheidungen:
"Die Stiftung XY bewirtschaftet ihr Geld zum Beispiel nur noch passiv. Das
heisst, sie haben nicht Depotmanager, die aktiv verhandeln und verkaufen,
sondern sie hängen sich irgendwelchen Finanzinstrumenten an und haben
eine Fixpauschale. Bei dieser Stiftung ist es ca. 0,4 Prozent vom Anlagevolumen, was relativ günstig ist. Dahinter steckt ihre Überzeugung, dass ein beliebiger Depotmanager das Geschäft über viele Jahre nicht besser macht, als
irgendeiner den man gezielt auswählt. Wir hingegen bewirtschaften unser
Portfolio aktiv. Also wir haben einen Controller und vier Depotmanager, denen wir immer auf die Finger klopfen. Das kostet uns aber 0,7 Prozent. Das
muss man sich überlegen. Und schliesslich haben wir das Geld alleine angelegt, man könnte es ja mit anderen Stiftungen zusammenlegen, da gibt es die
besseren Konditionen." (P5)
Zu beachten ist auch die Tatsache, dass die Mission einer Stiftung oftmals nicht nur
durch ihre Förderungen, sondern auch durch ihre Finanzanlagen bearbeitet werden
Anlagestrategie
festlegen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
397
kann. Es muss entschieden werden zwischen Finanzanlagen, die zur Erfüllung des
Stiftungszwecks beitragen oder solchen, die Mittelvergabe und Finanzanlage vollständig voneinander trennen. Wie sich eine Stiftung entscheidet, ist sowohl von den
persönlichen Präferenzen der Stiftungsorgane abhängig als auch vom verfolgten Stiftungszweck. Zentral hierbei sind die Festlegungen in der Æ Stiftungspolitik (Kap.
9.1, S. 228) bzw. Vorgaben des Stifters in der Urkunde oder dem Anlagereglement.
Für die Glaubwürdigkeit einer Stiftung ist es wichtig, transparent aufzuzeigen, aus
welchen Quellen das Stiftungskapital stammt. Ebenso nachvollziehbar sollte die Stiftung verdeutlichen, auf welche Weise sie die Erträge aus dem Stiftungskapital erwirtschaftet. Auf gesellschaftlicher Ebene kann so der Ruf der Stiftungen als philanthropische, vertrauenswürdige Institutionen erhalten bleiben und sie werden nicht als
Steuersparmodelle oder Geldwaschanlagen angesehen. Für die einzelne Stiftung ist
die transparente Darlegung der Finanzquellen einerseits zentral, um als zuverlässiger
Partner gegenüber den Destinatären zu gelten. Andererseits kann bei Auftauchen negativer Fälle (z. B. Geldwäscherei, Veruntreuung) glaubhaft aufgezeigt werden, dass
man nicht zur selben Kategorie gehört (Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement,
S. 412).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens:
126. Welche jährliche Ausschüttungsquote ist für die kommende Rechnungslegungsperiode notwendig?
127. Welche Bewirtschaftungsrichtlinien, aus der Stiftungsurkunde oder Stiftungspolitik,
müssen angewendet werden?
128. Welche möglichen Anlagevarianten stehen der Stiftung grundsätzlich zur Verfügung
unter Beachtung der festgelegten jährlichen Ausschüttungsquote?
129. Wer ist in der Stiftung für die Bewirtschaftung des Stiftungsvermögens oder die Kontrolle der Vermögensverwaltung zuständig?
130. Welche externen Vermögensverwaltungsmöglichkeiten bestehen und bieten allenfalls
Potentiale zur Optimierung des Ertrags und/oder Senkung der Kosten?
131. Aus welchen Quellen stammt das Stiftungsvermögen?
Vermögensherkunft
transparent
machen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
398
11.1.3 Aufbau eines Rechnungswesens und Aufbereitung eines Jahresabschlusses
Die Stiftung steht gegenüber der Stiftungsaufsicht, der Steuerbehörde, aber auch der
kritischen Öffentlichkeit in der Pflicht, regelmässig Auskunft über ihre Tätigkeit zu
erteilen (vgl. Kap. 6.2 Basisprämissen, S. 171). Dazu gehört auch die finanzielle
Bedarfsgerechtes
Rechungswesen
aufbauen
Situation einer Stiftung. Zu diesem Zweck bedarf es eines an die Stiftungserfordernisse angepassten Rechnungswesens. Das Rechnungswesen einer Stiftung umfasst
hauptsächlich die Buchführung, die Jahresrechnung bestehend aus Bilanz und Betriebsrechnung sowie den darauf bezogenen Geschäftsbericht (Æ Kap. 11.3
Kommunikationsmanagement, S. 412). Wie bereits mehrfach angesprochen, sind die
Leistungen von Stiftungen meistens nur qualitativ und darum nur sehr beschränkt in
Zahlen messbar. In der Rechnungslegung ist daher neben einem quantitativen Teil ein
qualitativer Leistungsbericht integraler Pfeiler des Rechnungswesens von Stiftungen.
Die grundsätzlichen Aufgaben der Rechnungslegung bestehen in folgenden Punkten:181
ƒ Planung der Erträge und Aufwendungen für die kommende Rechnungsperiode
(Budgetierung)
ƒ Führen einer lückenlosen und zeitgerechten Buchhaltung
ƒ Aufzeichnung
aller
Vermögensbewegungen
und
erfolgswirksamen
Geschäftsvorfälle
ƒ Erstellen der Jahresrechnung
ƒ Stiftungsorganen Informationen und damit Entscheidungsgrundlagen anbieten
ƒ Verdeutlichung der Kapitalerhaltung und der zweckmässigen Verwendung der
Erträge gegenüber der Stiftungsaufsicht und der kritischen Öffentlichkeit
ƒ Darlegung der gemeinnützige und zeitnahen, resp. nicht thesaurierenden und
zweckgemässen Verwendung der steuerbegünstigten Erträge gegenüber dem
Finanzamt
181
Eine detaillierte Ausführung zu betrieblichem Rechnungswesen liefert Koeckstadt (1998), eine ausführliche
Umschreibung der Rechnungslegungsnormen in den einzelnen deutschen Bundesländern geben Merl und Koss (1998).
Aufgaben der
Rechnungslegung
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
399
Die Adressaten der Rechnungslegung sind einerseits intern (der Stiftungsrat, die Aufsichtsorgane und Mitarbeiter) und andererseits extern (die Stiftungsaufsicht, das Finanz-/Steueramt, allfällige Zuschussgeber und die Öffentlichkeit). Die jährliche Ver-
Adressaten
der
Rechnungslegung
mögensübersicht sowie die Jahresrechnung geben Aufschluss über das Gesamtergebnis der Stiftung und dienen den Stakeholdern als Kontroll- und Informationsinstrument über die Vermögens-, Ertrags- und Aufwandslage der Stiftung. Basierend auf
der Jahresrechnung prüft die Stiftungsaufsicht die ordentliche zweckgerichtete Mittelverwendung. Die Steuerbehörde schliesslich stützt darauf die Erteilung des Gemeinnützigkeitsstatus.
Um die als Ziel einer Rechnungslegung formulierte Liquiditätsplanung und Budgetierung einer Stiftung zu erreichen, gilt es, die Erträge und Aufwände - aus den einzel-
Ziele der
Rechnungslegung
nen Projekten aggregiert und erweitert um die zusätzlich anfallenden Verwaltungskosten - zusammenzustellen.
Hilfreich für das Stiftungsmanagement ist es, den Mittelbedarf pro Wirkungsfeld
möglichst
über
einen
längeren
Zeitraum
hinweg
zu
bestimmen.
Im
Budgetierungsprozess werden die anfallenden Aufwände und Erträge des
kommenden Jahres aufgezeigt. Um stets einen aktuellen Überblick über die
finanzielle Situation der Stiftung zu haben, ist ein Budgetierungsprozess mit einem
stetigen Ist-Soll-Vergleich unabdingbar (Liquiditätsplanung, vgl. auch Æ Kap. 10.4
Projektmonitoring, S. 360). Dieses Vorgehen trägt dazu bei, dass einerseits die
Aufwendungen nur durch die Erträge und nicht durch das Stiftungsvermögen
finanziert werden, andererseits zwingt es dazu, die geplanten jährlichen
Ausschüttungen zu konkretisieren und zu den Wirkungsfeldern der Stiftung zu
allozieren. Wie wichtig die Budgetierung für eine Stiftung ist, verdeutlicht folgender
Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
"Die wenigsten Stiftungen überlegen sich kontinuierlich über Jahre hinweg,
was sie für einen Mittelbedarf haben, d. h. was sie eigentlich ausgeben wollen. Und dann braucht es ein Finanzierungsmodell. Viele Stiftungen haben irgendein schlaues Asset Allocation System, welches sie vielleicht schon seit 20
Jahren haben und das man nie überprüft hat. Und dann sind da in einem Jahr
10 Mio. da und im nächsten minus 7 Mio. oder minus 12 Mio. und dann haben sie ein Problem. Das ist sehr unprofessionell zum Teil, weil die Leute
Budgetierungsprozess
durchführen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
400
einfach nichts von Finanzen verstehen. Ich verstehe auch nichts von Finanzen
- ehrlich gesagt -, aber darum haben wir einen Controller. Ich sehe immerhin, dass es verschiedene Modelle gibt, und ich bin mir nicht so sicher, ob wir
das richtige Modell haben. Wir hinterfragen regelmässig unsere Tätigkeit
und ich versuche mit dem Controller jedes Jahr ein paar heisse Themen im
Bereich Finanzen zu formulieren. Dann wählen wir mit dem Präsidialausschuss ein Thema aus und reflektieren dieses." (P5)
Ähnlich wird diese Problematik auch von einem Stiftungsexperten gesehen:
"Ich meine, es fehlt noch ausdrücklich beim Management von Stiftungen, dass
man eine Anlagestrategie aufstellt, einen Finanzplan, dass man budgetiert,
dass man ein wenig nach vorne schaut und auch sagt, in welchem Rahmen
wollen wir uns bewegen, wenn die Börse bspw. sinkt, wenn die Liegenschaften so und so viel Ertrag generieren, etc." (P18)
Swiss GAAP FER hat mit dem Rechnungslegungssystem FER 21 Empfehlungen für
Jahresrechnungen von gemeinnützigen, sozialen Non-Profit-Organisationen bereitgestellt.182 Die Anwendung von FER 21 erfolgt auf freiwilliger Basis. Das Ziel ist, die
Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Jahresrechnungen und Berichterstattungen
von Non-Profit-Organisationen zu erhöhen. Die Jahresrechnung soll deshalb ein entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ergebnislage vermitteln (vgl. Müller
2002). Als wünschenswerte Inhalte der Jahresrechnung für Stiftungen werden folgende vier Elemente genannt:
1. Bilanz183
2. Betriebsrechung, inkl. Angaben über die Veränderung des Kapitals
3. Anhang und Leistungsbericht
Die alleinige Publikation der Betriebsrechnung reicht in diesem Zusammenhang nicht
aus, weil aus ihr keine Veränderungen des Stiftungsvermögens ableitbar sind. Doch
182
Swiss GAAP FER 21: Seit 1. Januar 2003 bestehende Rechnungslegungsnorm der Fachkommission für Empfehlungen
zur Rechnungslegung für gemeinnützige, soziale Nonprofit-Organisationen; Die Zielsetzung ist die Erhöhung der
Aussagekraft und Vergleichbarkeit von Jahresrechung und Berichterstattung bei Nonprofit-Organisationen. Die
Anwendung von SWISS GAAP FER 21 erfolgt auf freiwilliger Basis.
183
Beispiele zu Bilanzen finden sich im Anhang L.
Inhalte der
Jahresrechnung
zusammenstellen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
401
ist wie erwähnt die Erhaltung des Stiftungsvermögens zentral für die dauerhafte Erfüllung des Stiftungszwecks. Aufwände können jedoch anfallen, ohne dass eine entsprechende Verringerung des Stiftungsvermögens dokumentiert wird.
Die Bilanz ist eine Übersicht der vorhandenen Aktiva und Passiva. Sie basiert dabei
auf der Gleichung:
Bilanz
erstellen
ƒ Bilanzsumme = Verbindlichkeiten + Stiftungskapital, wobei das Stiftungskapital das Vermögen der Stiftung bezeichnet
Die Aktiva bestehen einerseits aus Umlaufvermögen, das relativ leicht zu verflüssigen
Aktiva
ist, und umfassen andererseits längerfristig gebundenes Anlagevermögen. Bei vielen
Stiftungen bestehen Regelungen in der Stiftungsurkunde, die die Verwendung und
Veräusserungen von gewissen Vermögensanteilen beschränken. So darf beispielsweise die Bertelsmann Stiftung ihre Anteile an der Bertelsmann AG nicht veräussern.
Ähnlich ist dies auch bei der Henkel Stiftung der Fall. Sie darf die Vermögensanteile
an der Unternehmung Henkel höchstens auf 50% reduzieren. Diese Vermögenspositionen sind somit als langfristige. Anlagevermögen auszuweisen.
Auf der Passivseite einer Stiftungsbilanz gilt es zwei Kapitalarten zu unterscheiden:
ƒ Die Verbindlichkeiten auf der Passivseite der Bilanz bestehen zum einen aus
Verpflichtungen gegenüber externen Kreditgebern. Diese Art von Fremdkapital, welches von Drittorganisationen für eine bestimmte Zeitspanne zur Nutzung überlassen wird, ist rückzahlungspflichtig. Andererseits bestehen auch
Verbindlichkeiten gegenüber Projektnehmern für bereits bewilligte Projektbeiträge.
ƒ Das Stiftungskapital entspricht dem Eigenkapital einer profitorientierten
Organisation. Zentraler Bestandteil ist dabei das Stiftungskapital, das vom
Stifter eingebracht und allenfalls durch Zustiftungen geäufnet wurde. Grundsätzlich ist dieses Kapital wie oben beschrieben unantastbar und nur seine Erträge werden zur Erfüllung des Zwecks überlassen. Ergänzt wird das Stiftungskapital durch die Kapitalerhaltungsrücklagen, die zur realen Kapitalerhaltung beitragen und die Inflation ausgleichen. Weitere Ergebnisrücklagen
können wie beschrieben z. B. für geplante grössere Projekte getätigt werden.
Der Mittelvortrag auf ein neues Geschäftsjahr errechnet sich aus der Betriebs-
Passiva
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
402
rechnung und entsteht aus den erwirtschafteten Erträgen gemindert durch die
aufgelaufenen Aufwände.
Eine für Stiftungen geeignete Aufteilung der Bilanzpositionen sieht folgendermassen
aus (vgl. Abbildung 11-2):
Bilanz
Aktuelles Jahr
Absolut
%
Vorjahr
Absolut
%
Veränderung
%
Aktive
Umlaufvermögen
Flüssige Mittel
Forderungen
Wertpapiere
Rechnungsabgrenzungsposten
Anlagevermögen
Finanzanlagen
Sachanlagen
Immaterielle Vermögensgegenstände
Übrige Vermögen
Total Aktive
Passive
Verbindlichkeiten
Verbindlichkeiten aus erteilten Zusagen
Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten
Übrige Verbindlichkeiten
Stiftungskapital
Stiftungskapital (inkl. Zustiftungen)
Kapitalerhaltungsrücklagen
sonstige Ergebnisrücklagen
Mittelvortrag
Total Passive
Abbildung 11-2: Die Bilanz und Bilanzposten einer Stiftung (in Anlehnung an Thomsen 2002)
Zur Vergleichbarkeit der Stiftungsentwicklung sollte wie in der obigen Darstellung
gezeigt das aktuelle Jahr dem Vorjahr gegenüber gestellt werden. Für die Budgetierung sind die Ansätze des laufenden Jahres den Rechnungsergebnissen des vorhergegangenen Geschäftsjahres gegenüberzustellen. Wesentliche Abweichungen gegenüber dem Vorjahr sind dabei zusätzlich zu begründen.
Die oben beschriebene Bilanz ergibt sowohl für die verantwortlichen Stiftungsorgane
als auch für die übrigen Stakeholder einen Überblick über die Aktiva und Passiva einer Stiftung. Sie besagt allerdings nichts aus über die Aufwände und Erträge, die in
einer Stiftung in einer bestimmten Periode angefallen sind. Eine Stiftung sollte in der
Lage sein, jederzeit alle angefallenen Kosten verfügbar zu haben. Deshalb ist zusätzlich zur Bilanz die laufende Nachführung einer Betriebsrechnung unerlässlich, weil
Betriebsrechnung
erstellen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
403
sie der Stiftung einen stetigen Überblick über die finanzielle Situation ermöglicht und
so verhindert wird, dass für eingegangene Verpflichtungen am Ende des Jahres auf
das Vermögen zurückgegriffen werden muss (vgl. Abbildung 11-3).
Die allgemeine Gleichung der Betriebsrechnung lautet:
ƒ Einkünfte - Ausgaben = Veränderung des Stiftungskapitals
Bei einer Profit-Organisation wäre dies vergleichbar mit dem Reingewinn, der dem
Eigenkapital zugerechnet wird.
Die Ertragsseite einer Stiftung besteht grundsätzlich aus fünf Elementen:
Ertragsseite
1. Die Vermögenserträge resultieren primär aus Dividendenzahlungen von
Unternehmensanteilen.
2. Zinserträge fallen durch die Portfolioposten der Wertpapiere und Festgelder
an. Sie sind relativ sichere und konstante Anlageinstrumente, partizipieren dafür jedoch nicht an einer möglichen Wertsteigerung des Unternehmens, in das
investiert wurde.
3. Je nach Stiftungsform können Spenden und andere Zuwendungen wie z. B.
Legate ein beträchtlicher Ertragsposten sein.
4. Erträge aus Nebenerlösen können bspw. aus Publikationen, Referaten o. Ä. resultieren.
5. Ausserordentliche Erträge können z. B. durch die Veräusserung von
Unternehmensanteilen entstehen.
Auf der Aufwandseite einer Stiftung sind grundsätzlich drei Kostenarten vorzufinden
und auszuweisen:
1. Personalaufwände, bestehend aus Löhnen und Sozialleistungen
2. Sachaufwände, bestehend aus Gebäuden (Mieten, Reinigung, Energie, etc.),
Infrastruktur (Büromaterial, Kommunikation, Literatur, etc.) und Finanzierungskosten (Zinsen, etc.)
Aufwandseite
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
404
3. Projektaufwände, bestehend aus allen direkt der Projektförderung zurechenbaren Kosten (Förderbeiträge, Reisekosten, Dienstleistungen, Umsetzungskosten, Kommunikationskosten, etc.)
Betriebsrechnung
Aktuelles Jahr
Absolut
%
Vorjahr
Absolut
%
Veränderung
%
Ertrag
Vermögenserträge (Dividenden)
Zinserträge (Wertpapiere, Festgelder)
Spenden und Zuwendungen
Nebenerlöse (z. B. Publikationen, Referate)
ausserordentliche Erträge
Total Ertrag
Aufwand
Personalkosten
Lohnkosten
Lohnnebenkosten (Sozialleistungen)
Sachkosten
Gebäude
Infrastruktur
Finanzierungskosten
Projektkosten
Förderbeiträge
Reisekosten
Dienstleistungen
Umsetzungskosten
Kommunikationskosten
Total Aufwand
Ertragsüberschuss
Abbildung 11-3: Betriebsrechnung einer Stiftung (in Anlehnung an Koeckstadt 1998)
Wie bei der Bilanz dient auch hier zur Vergleichbarkeit der Stiftungsentwicklung gegenüber der letzten Periode die Gegenüberstellung des aktuellen Jahr mit dem Vorjahr. Wichtige Veränderungen sind ebenfalls gesondert zu begründen.
Die aus projektunabhängigen Personal- und Sachkosten bestehenden Verwaltungskosten ergeben sich aus drei Elementen:
1. Allgemeine Verwaltungskosten: Löhne der Geschäftsleitung, Entgelte für Organe, Gutachterkosten, Kosten für die Abschlussprüfung, Kosten für Öffentlichkeitsarbeit, Weiterbildungskosten, etc.
2. Kosten aus Zweckverwirklichung (soweit diese nicht direkt den Projektkosten
zurechenbar sind): Projektantragskosten, Projektprüfungskosten, Kontrollkosten, etc.
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
405
3. Kosten aus Vermögensverwaltung: Bankgebühren, Kommissionen, Immobilienverwaltungskosten, etc.
Der in einer Stiftung anfallende Verwaltungsaufwand kann je nach Stiftung stark variieren. Faktoren, die den Verwaltungsaufwand erheblich beeinflussen können, sind:
ƒ Festlegungen im Bereich der Stiftungspolitik und -strategie: Ist im strategischen Förderentscheid festgelegt, die Mittel zugunsten eines festen Destinatärs
zu verwenden, führt dies zu einem geringeren Aufwand, die Förderung internationaler Projekte kann dagegen einen höheren Aufwand rechtfertigen.
ƒ Struktur der Vermögen: Die Verwaltung eines reinen Finanzvermögens impliziert andere Aufwände als bspw. die Bewirtschaftung von Immobilien oder der
Aufrechterhaltung von Kunstvermögen.
ƒ Ausgestaltung der Stiftungsorgane: Der Verwaltungsaufwand wird massgeblich beeinflusst von der Ausgestaltung der Geschäftsführung, ehrenamtlicher
Mitarbeit der Stiftungsorgane oder dem Hinzuziehen von externen Expertisen.
Das dritte Element eines Geschäftsberichtes neben der Bilanz und der Betriebsrechnung besteht aus dem Bericht über die Erfüllung des Stiftungszwecks und sollte Folgendes beinhalten:
Bericht zur
Jahresrechnung
erstellen
ƒ geförderter Zweck
ƒ Höhe der verplanten, bewilligten und ausgezahlten Mittel
ƒ Leistungsempfänger
Für eine umfassende Darstellung der Arbeitsweise einer Stiftung müssen die einzelnen Posten der Bilanz und der Betriebsrechnung im Anhang kommentiert werden.
Um die Jahresrechnung zu analysieren und sie in gewisser Weise vergleichbar zu
machen, gibt es einige Kennzahlen, welche für Stiftungen von Bedeutung sind. Kenn-
Jahresrechnung
analysieren
zahlen dienen, trotz ihrer Limitationen, der gewissen Vergleichbarkeit zwischen den
einzelnen Perioden einer Stiftung, aber auch zwischen ähnlichen Stiftungen. Allerdings bleibt anzumerken, dass die Kennzahlen den individuellen Festlegungen und
Eigenschaften der einzelnen Stiftungen z. T. nicht genügend Rechnung tragen.
Kennzahlen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
406
Eine Kennzahl184 in der Vermögensstrukturanalyse ist die Stiftungsquote, welche den
Anteil des Stiftungskapitals am Gesamtvermögen zeigt. Die Stiftungsquote gibt an,
über wie viel Kapital eine Stiftung frei verfügen kann, unter der Annahme der Pflicht
zur Vermögenserhaltung. Die Kapitalstrukturanalyse dient primär der Abschätzung
von Finanzierungsrisiken.
Stiftungskapitalquote =
Stiftungskapital
x100
Gesamtvermögen
Die Fremdkapitalquote bestimmt das Verhältnis zwischen den Verbindlichkeiten und
den Aktiva. Sie besagt, welcher Anteil der Aktiva an externe Fremdkapitalgeber abgeführt werden muss, resp. zu welchem Anteil die Aktiva durch Fremdkapitalgeber
finanziert sind.
Fremdkapitalquote =
Verbindlichkeiten
x100
Aktive
Die Liquidität einer Stiftung ergibt sich aus der Division der flüssigen Mittel (und
rasch verflüssigbaren Mittel) durch die monatlichen Aufwände. Dieser Faktor ist relevant für die Aussage, ob genügend flüssiges Kapital für die anfallenden Aufwendungen der Administration und der Projekte verfügbar ist. Die Anlageentscheide sind
bei Stiftungen insofern differenziert zu betrachten, als dass mit zunehmenden ungebundenen Mitteln die drohende Illiquidität abnimmt, andererseits muss aus den erwirtschafteten Erträgen des längerfristig angelegten Vermögens der Stiftungszweck
erfüllt werden. Der Stiftungsrat muss also Verhältnis von langfristig und kurzfristig
gebundenem Vermögen gegeneinander abwägen.
Liquidität =
Flüssige Mittel und ähnliche
monatliche Aufwände
Die Administrationsaufwandquote ergibt sich aus den Administrationsaufwänden,
welche sich aus der Summe von Personal- und Sachkosten, nicht aber aus den Projekten direkt zurechenbaren Kosten zusammensetzen, geteilt durch die gesamten
Aufwände. Dieser Faktor verdeutlicht, wie gross die Aufwendungen für die Admi184
Für ein ausführliches Kennzahlenset mit Vermögensstrukturanalyse, Kapitalstrukturanalyse, Erfolgsanalyse und
diversen Kennzahlenkombinationen vgl. Koss (2004).
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
407
nistration im Verhältnis zu den Gesamtaufwänden sind. Das Pendant dazu wäre die
Projektaufwandsquote, welche den Anteil der Projektaufwendungen zum Gesamtaufwand setzt.
Administrationsaufwandquote =
Projektaufwandquote =
Administrationsaufwände ( Personalkosten + Sachkosten)
Total Aufwände
Projektaufwände
Total Aufwände
Die in der Schweiz neu eingeführte Pflicht zur Revisionsstelle185 (Ausnahmen bilden
kleine Stiftungen) soll die Defizite der spezifischen Governance-Struktur von Stiftun-
Revisionsstelle
auswählen
gen mindern (vgl. Kap. 6.1). Die Revisionsstelle überprüft als neutrales, von der Geschäftsführung grundsätzlich unabhängiges Organ deren formelle Korrektheit.
Grundsätzlich kann von einer Stiftung jede natürliche oder juristische Person als
Revisionsstelle gewählt werden. Bei der Auswahl gelten die Grundsätze der
Unabhängigkeit, d. h. die Revisionsstelle muss von den übrigen Stiftungsorganen
unabhängig sein, sowie der Grundsatz der Fähigkeit, d. h. je grösser die Stiftung,
desto höhere Anforderungen sind an die Kompetenz der Revisionsstelle zu stellen.
Sprecher und von Salis-Lütolf (1999) teilt den Revisionsgesellschaften eine Prüfungs-, Berichterstattungs-, Geheimhaltungs- sowie eine Anzeigepflicht zu. Den Revisionsstellen obliegen die folgenden Pflichten:
1. Prüfungspflicht
o Jährliche Prüfung der Buchführung und des Jahresabschlusses auf die
Übereinstimmung mit den gesetzlichen Buchführungsvorschriften und
allfälligen Vorgaben der Stiftungsurkunde oder -reglementen
o Die Einhaltung steuerlicher Vorschriften
o Die Erhaltung des Stiftungsvermögens, die Ordnungsmässigkeit der
Geschäftsführung sowie die satzungs- und bestimmungsgemässe
Mittelverwendung
185
Diese auf den ersten Blick weit reichende Neuerung des Stiftungsrechts ist dahingehend zu relativieren, als dass bereits
in der Vergangenheit die Eidgenössische Stiftungsaufsicht die Bestellung einer Revisionsstelle zur Bedingung für die
Übernahme der Aufsicht machte (Grüninger 1996, Sprecher 1999).
Pflichten einer
Revisionsstelle
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
408
2. Berichterstattungspflicht:
Die Revisionsstelle muss Bericht erstatten an den Stiftungsrat sowie die Aufsichtsbehörden.
3. Gemeinhaltungspflicht:
Die Revisionsstelle ist verpflichtet, Kenntnisse über die Stiftung geheim zu
halten.
4. Anzeigepflicht:
Ob eine Anzeigepflicht der Revisionsstelle bei Unregelmässigkeiten besteht,
ist fraglich.
Es bleibt anzumerken, dass weder aufgrund der Prüfung durch die Revisionsstelle,
noch durch die Stiftungsaufsicht oder das Finanz-/Steueramt eine Aussage über die
Effizienz und Effektivität der Stiftungsarbeit gemacht werden kann. Diese Kontrollstellen nehmen ausschliesslich eine Prüfung über die Rechtmässigkeit der Stiftungsarbeit vor, treffen aber keine Aussagen über den Grad der Zweckerreichung einer
Stiftung.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich des Aufbaus eines Rechnungswesens und der Aufbereitung eines Jahresabschlusses:
132. Wie ist das Rechungswesen strukturiert unter Beachtung der spezifischen Aufgaben,
Adressaten und Ziele einer Stiftung?
133. Wie läuft der Budgetierungsprozess ab unter Einbezug aller Vorgaben aus der Stiftungsstrategie (z. B. Allokationen zu den Wirkungsfeldern, Verpflichtungen aus laufenden Projekten)?
134. Aus welchen Teilen besteht die Jahresrechung der Stiftung (angelehnt an die
Empfehlungen von Swiss GAP FER 21)?
135. Welche Informationen zur Erstellung einer Bilanz, einer Betriebsrechung und eines
Berichts zur Jahresrechung liegen vor und welche müssen noch beschafft werden?
136. In welchem Umfang erfolgt die Analyse der Jahresrechnung?
137. Nach welchen Kriterien wird die verpflichtende Revisionsstelle ausgewählt?
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
11.2
409
IT-Management
Das IT-Management dient der EDV-gestützten Aufbereitung von Projekt-, Finanzund Geschäftsdaten der Stiftung sowie deren zeitgerechter Bereitstellung als Führungsgrössen in der Prozessführung. Zusätzlich zu den Führungsgrössen ergeben sich
durch die heute zur Verfügung stehenden Informations- und Kommunikationstechnologien Potentiale zur Steigerung der Effizienz und Effektivität, z. B. durch die Kommunikation der Förderschwerpunkte und Auswahlkriterien im Internet, wodurch eine
"Antragsflut" von nicht dem Stiftungszweck entsprechenden Projekten wirksam verhindert werden kann (Æ Kap. 10.1 Projektakquisition, S. 330).
Die Entwicklungen der IT bieten verschiedene Potentiale, die in allen Elemente des
FE-C zur Wirkung kommen können. Vor allem im Zusammenhang mit dem Wertschöpfungsprozess und den Unterstützungsprozessen einer Stiftung gilt es, eine angemessene Informationstechnologie bereitzustellen.
Aus diesem Zusammenhang heraus ergeben sich somit zwei zentrale Aufgabenfelder,
die durch das IT-Management sinnvoll unterstützt werden können:
1. Aufbau einer IT-Infrastruktur zur Unterstützung interner Abläufe
2. Nutzung einer IT-Infrastruktur zur externen Information und Kommunikation
11.2.1 Aufbau einer IT-Infrastruktur zur Unterstützung interner Abläufe
Um die internen Prozesse einer Stiftung effizient zu gestalten, muss eine der Stiftungsgrösse und Arbeitsweise angepasste IT-Infrastruktur unterhalten werden. Zu
diesem Zweck gibt es spezielle Applikation, die vom Dokumentenmanagement über
Bedürfnisgerechte
Infrastruktur
aufbauen
Buchhaltungslösungen bis zur Unterstützung bei der Ergebnissicherung und
-dissemination wirksame Unterstützung bieten. IT-Lösungen unterstützen dabei "einfache" Arbeitsvorgänge wie das Speichern und Abrufen von Standard-Briefen (z. B.
Absagebriefe auf Projektanträge) oder die rasche interne Kommunikation per E-Mail
(z. B. zwischen der Geschäftsführung und dem Stiftungsrat). Die Geschäftsführung
einer grossen Stiftung umschreibt ihre durchgängig IT-basierte Arbeitsweise zwischen den Stiftungsräten folgendermassen:
Unterstützung
interner
Abläufe
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
410
"Unser System basiert auf Lotus Notes und ist eine voll integrierte Datenbank. Wir haben diese Datenbank selbst entwickelt. Zuerst gab es ein einfaches Project Sheet im Word, aber das ist mittlerweile gewachsen und raffinierter geworden. Früher hat man das Dokument jeweils als Attachement
hin- und hergeschickt. Dann wurde ein Antrag am Council Meeting diskutiert
und schliesslich abgesegnet. Jetzt hat man das alles integriert in eine
Datenbank mit Notifications, d. h. wenn die Person in Argentinien etwas
eingibt, sehe ich das - es braucht einfach Zeit bis der Server repliziert. Dies
geht so bis zur Auszahlung, die bei grösseren Beträgen hier in der Schweiz
erfolgt und bei kleineren Beträgen lokal ausbezahlt wird. All dies ist in dieser
Datenbank enthalten." (P9)
Auf einer weiteren Stufe können auch ausgefeiltere Datenbanksysteme z. B. beim
Projektantragswesen wirkungsvolle Unterstützung bieten. Einige Stiftungen haben
Datenbanken entwickelt, in denen über eine Eingabemaske alle eingehenden Anträge
detailliert erfasst werden. So können wiederholte Anträge oder Dauerantragssteller
rasch identifiziert werden. Auf diese Weise könnte sogar identifiziert werden, ob gewisse Anträge bei mehreren Stiftungen gleichzeitig eingereicht werden, falls diese
untereinander einen Informationsaustausch pflegen.
Auch im Bereich des Finanzmanagements trägt die IT-Infrastruktur wesentlich zu einer effizienten Stiftungsarbeit bei. Es ist für das Stiftungsmanagement eine grosse
Erleichterung, wenn es jederzeit ohne grossen Aufwand die aktuelle Bilanz, Betriebsrechnung oder das noch verfügbare Fördervolumen im System abrufen kann.
Im Bereich der IT ergeben sich auch Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Organisationen (Æ Kap. 11.4 Kooperationsmanagement, S. 427) - oder OutsourcingPotentiale. So lohnt es sich z. B. für die wenigsten Stiftungen, eigene Informatiker
zur Wartung und Pflege der IT-Infrastruktur zu beschäftigen. Ein Geschäftsführer einer mittelgrossen Stiftung beschreibt die Praxis in seiner Stiftung folgendermassen:
"Wir sourcen einige Dienstleistungen an Partner aus, also z. B. das ganze ITManagement. Wir kümmern uns nicht um unsere Computer, sondern haben
dafür eine Firma. Für die Leistungen müssen wird dann halt auch monatlich
entsprechende Gebühren bezahlen." (P25)
Kooperations-/
Outsourcingmöglichkeiten prüfen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
411
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich des Aufbaus einer IT-Infrastruktur für interne Abläufe:
138. Welche Aufgaben innerhalb der Stiftung können durch eine geeignete IT-Infrastruktur
wirkungsvoll unterstützt werden unter Beachtung der Kosten-Nutzen-Relation?
139. Wo liegen Kooperations- und Outsourcingmöglichkeiten, um kosteneffizient eine optimale IT-Infrastruktur bereitzustellen?
11.2.2 Nutzung einer IT-Infrastruktur zur externen Information und
Kommunikation
Durch den Einsatz geeigneter Applikationen moderner Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) kann die stiftungsübergreifende Koordination und Synchronisation unterstützt werden.
Stiftungsexterne und
-übergreifende
Koordination
ermöglichen
Im Wertschöpfungsprozess können durch die IT auf beiden Seiten, der Stiftung und
der potentiellen Destinatäre, Kosten gespart werden. So können z. B. Vorgaben für
einen Projektantrag im Internet publiziert werden. Dies erleichtert oder verhindert
Anträge, die nicht in die definierten Wirkungsfelder passen oder nicht die gewünschten Informationen aufweisen. Noch weiter gehen einige Stiftungen, die die Einreichung von Projektanträgen über ein Internetformular ermöglichen (Æ vgl. Kap.
10.1.2 Akquisitions- und Antragsbearbeitungsprozess, S. 335). Intern können diese
Anträge dann ohne Medienbruch direkt weiterverarbeitet werden. Möglich ist auch
eine IT-basierte Evaluation einerseits der Projektarbeit, andererseits der Stiftungsarbeit. Die Beurteilung könnte direkt über das Internet vollzogen werden.
Die Möglichkeiten der IKT sind besonders auch im Bereich des Kommunikationsmanagements kaum mehr wegzudenken. E-Mail-Listen zur Kommunikation mit Anspruchsgruppen oder Websites zur Bereitstellung von Jahresberichten, Schlussberichten von Projekten, Wegleitungen und allgemeinen Stiftungsinformationen sind
Beispiele dafür (Æ Kap. 11.3 Kommunikationsmanagement, S. 412).
Kommunikationsmanagement
unterstützen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
412
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Nutzung einer IT-Infrastruktur zur externen Information und Kommunikation:
140. Welche Potentiale der Zusammenarbeit (z. B. zwischen Stiftung und Projektpartner,
zwischen Stiftungen) lassen sich durch eine geeignete IT-Infrastruktur erschliessen?
141. Welche Möglichkeiten bieten
Kommunikationsmanagements?
11.3
sich
durch
IKT
zur
Unterstützung
des
Kommunikationsmanagement
Der Supportprozess "Kommunikationsmanagement" dient einerseits dem externen
Aufbau von Verständigungspotentialen mit der kritischen Öffentlichkeit und insbesondere den relevanten Stakeholdern zur Rechenschaftsablage über die Stiftungstätigkeit. Andererseits wirkt er aber ebenso intern, indem der Stiftungszweck, die langfristigen Stiftungsziele (Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S. 228) sowie die ausgewählten
Wirkungsfelder (Æ Kap. 9.2 Stiftungsstrategie, S. 288) den Mitarbeitern verdeutlich
werden und bei der täglichen Arbeit als handlungsleitende Orientierungspunkte dienen.
Um den Zielen eines umfassenden Kommunikationsmanagements - auch zur Handhabung des Transparenzparadoxes - gerecht zu werden, müssen die folgenden drei Aufgaben beachtet werden:
1. Erkennung der Bedeutung einer proaktiven Kommunikation
2. Konkretisierung der Anspruchs- und Zielgruppen der Kommunikation
3. Festlegung
relevanter
Informationen
und
Identifikation
geeigneter
Kommunikationskanäle
Durch die diesen Aufgaben zugeordneten Entscheidungen wird dem kommunikativen
Legitimierungsbedürfnis der Anspruchs- und Zielgruppen und somit der kritischen
Öffentlichkeit insgesamt Rechnung getragen. Mit den entsprechenden Inhalten (Æ
Kap. 12.2 Accountability, S. 469) werden die Leistungen und Wirkungen von
Stiftungen verdeutlicht und so der gesellschaftliche Vertrauensvorsprung legitimiert,
den Stiftungen z. B. durch die Steuerprivilegien in Anspruch nehmen (vgl. Kap. 6.1).
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
413
11.3.1 Erkennung der Bedeutung einer proaktiven Kommunikation
Das Kommunikationsmanagement ist der Supportprozess, der zur Erwartungsspezifikation und -steuerung eingesetzt wird. Oftmals werden überhöhte Erwartungen an die
Leistungen von Stiftungen gestellt. In vielen Fällen existieren in der Gesellschaft
keine oder aber anders gelagerte Erwartungen an und Vorstellungen von Stiftungen.
Dieser Tatsache gilt es mit einer proaktiven Kommunikation entgegenzutreten. Ein
Geschäftsführer einer grossen Stiftung beschreibt seine Erfahrungen:
"Zum Beispiel bei der Vermögensübertragung durch den Stifter: Wie viele
Kommentare habe ich schon bekommen, die belegt haben, dass diese Leute
über die Stiftungswelt in der Schweiz nichts wissen, überhaupt nichts. Sie unterstellen böse Absichten, wie etwa die Stiftung sei nur ein Steuersparmodell
usw. Das finde ich ungut und ungesund - und das kann man beseitigen, indem
man eine Offenlegungspflicht einführt. In Amerika ist es ja derart extrem,
dass, wenn Sie bei einer Stiftung vorbeigehen, Sie hineinlaufen können und
sagen: ‚Darf ich Ihre Jahresrechung anschauen, bitte?’ Da haben Sie das
Recht dazu, die müssen Ihnen die Rechnung zeigen. Eine solche Offenlegungspflicht befürworte ich ohne Einschränkung - das sollte in der Schweiz
auch eingeführt werden." (P2)
Um eine Situation, wie sie im Zitat beschrieben wurde, zu vermeiden, gilt es für eine
Stiftung, alle notwendigen Vorgänge im Umfeld der Stiftung transparent zu machen.
Transparenz bedeutet dabei, alle Informationen zugänglich zu machen, die der Öffentlichkeit zustehen (Tayart de Borms/Faure 1998). Das "zugänglich machen" beinhaltet dabei sowohl eine uni- als auch eine bilaterale Kommunikation, d. h. Informationsflüsse führen einerseits von der Stiftung zu den Stakeholdern, andererseits muss
eine Stiftung auch offen sein für Kommunikation mit den Stakeholdern. Dieses offene Kommunikationsverhalten unterbindet dabei die Gefahr, als hermetisch abgeriegelte Organisation angesehen zu werden. Ausserdem hilft eine so verstandene Kommunikation, Trends in den Æ Umweltsphären (Kap. 8, S. 209) rechtzeitig zu erkennen.
Transparent
und
umfassend
kommunizieren
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
414
Auf sektoraler Ebene hat Kaehlbrandt (1998) folgende Ziele eines wirkungsvollen
Kommunikationsmanagements definiert:
Kommunikationsziele
ƒ der Informationspflicht nachkommen
ƒ Verständnis erreichen
ƒ Missverständnisse ausräumen und Vorurteile beseitigen
ƒ Glaubwürdigkeit schaffen, erhalten und ausbauen
ƒ Vertrauen in die Kompetenz stärken
ƒ Rückhalt durch Medienarbeit schaffen
Eine Stiftung soll erstens Rechenschaft über Projekte, zweitens über interne Abläufe
und drittens über finanzielle Angelegenheiten ablegen. Die Begriffe Transparenz und
Rechenschaftsablegung (Æ Kap. 12 Legitimierungsprozess, S. 452) sind eng
miteinander verknüpft. Das folgende Zitat eines Stifters verdeutlicht die positiven Effekte einer Kultur der Transparenz in Stiftungen:
"Transparenz wird mit anderen Worten ein natürliches Verhältnis schaffen
zum Stiftungsrat einerseits und zu Behörden und Öffentlichkeit andererseits.
Zum zweiten ist Transparenz im Grunde ein Mittel der Aufsicht der Öffentlichkeit. Aus der Tatsache, dass die Rechnung und der Bericht publiziert werden, entsteht die Möglichkeit der Einsichtnahme durch die Öffentlichkeit.
Und die Öffentlichkeit wird sich dann unter Umständen sehr kritisch äussern,
wenn sie feststellt, dass da eine Stiftung ist mit vielen Millionen, die nichts
macht. Und solche gibt es mehr als man vermutet. Es ist ein Zwang vorhanden zu einer gewissen Aktivität. Es ist auch ein Zwang vorhanden, dass die
Vermögen einigermassen sachgemäss verwendet werden. Und das ist gut so."
(P27)
Die Gesellschaft erwartet von den Stiftungsgremien, dass sie mit dem ihr anvertrauten Vermögen in treuhänderischer Art und Weise umgehen. Fehltritte haben dabei für
Stiftungen besonders schwere Folgen, denn Stiftungen gründen auf gesellschaftlichem Vertrauen. Erleidet diese Vertrauensbasis Schaden, so fehlen ihr nicht nur zukünftige Stiftungsmittel, sondern letzten Endes jegliche Legitimationsbasis, sich in
einem "ausserdemokratischen Raum" zu bewegen.
Legitimationsbasis
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
415
Ein proaktiver Kommunikationsansatz wird von einem Geschäftsführer wie folgt geschildert:
"Ich behaupt einfach, dass ohne Transparenz Stiftungen langfristig in ein
Problem reinlaufen werden. Das wird geschehen, weil das Steuersubstrat
verschwindet und die Steuerbehörden schauen, wo sie das Geld herbekommen. Wir sind begünstigt und zahlen keine Steuern. Darum denke ich, es wird
härter, aber wir können dem sehr viel entgegenwirken, wenn wir, statt durch
Intransparenz letztlich regulatorische Massnahmen zu provozieren, das Gegenteil bewirken und Stiftungen regelrecht populär machen. Stiftungen als Instrument populär zu machen in einer Zivilgesellschaft, die sich an mehrheitsfähige Beschlüsse halten muss, in der man den Stiftungen jedoch zutraut,
dass sie Aufgaben erfüllen, die eben der staatswirtschaftliche Bereich einfach
nicht kann oder nicht will." (P5)
Und ein Stiftungsexperte bestätigt diese Haltung, indem er sagt, dass
"jeder Stiftungsrat eigentlich selbst ein Interesse haben müsste zu sagen:
Voilà, das ist offen, das haben wir gemacht. Er sollte von sich selber aus sagen, wie viele Gesuche unterstützt wurden und in welchen Bereichen, wie viel
ausgegeben wurde usw. Natürlich immer unter dem Vorbehalt von Sozialfällen, Datenschutz und Persönlichkeitsschutz usw. Das macht den Stiftungssektor vertrauensvoll und attraktiv." (P22)
Aus diesem Grund haben sich in unterschiedlichen Ländern Stiftungen zusammengetan und ethische Verhaltensrichtlinien oder sog. "Codes of good practices" erarbeitet,
in denen grundlegende Normen und Ziele festgehalten sind, denen sie sich verpflichtet fühlen. Ein Beispiel hierfür ist der Swiss Foundations Code (Hofstetter/Sprecher
2005), der unter der Leitung vom Verein der Schweizer Vergabestiftungen "SwissFoundations" erarbeitet worden ist. Dass Kommunikation mit den Anspruchsgruppen
durchaus im Sinn der einzelnen Stiftungen ist, wird in folgendem Zitat deutlich:
"Eigentlich müsste es ja so sein, dass alle Stiftungen selber daran interessiert
wären, möglichst transparent zu kommunizieren und zu zeigen, dass man im
Sinne des Stiftungszwecks gehandelt hat. […] Wenn das so ablaufen würde,
hat ja kein Mensch ein Problem mit einer Stiftung und deshalb finde ich es ja
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
416
auch sehr gefährlich, wenn der Staat Regulierungen einführt, die dann am
Schluss die schwarzen Schafe einfangen, aber alle 95% weissen Schafe nachher einzig behindert. Das ist der Grund, weshalb ich in erster Linie für die
Selbstregulierung bin." (P14)
Immer mehr Stiftungen erkennen, dass sie als gesellschaftliche Akteure mit einer gewissen Gestaltungsmacht eine Kommunikationsverantwortung gegenüber der Öffentlichkeit wahrzunehmen haben (Kaehlbrandt 1998). Es ist zu wenig, nur in reaktiver
Weise, d. h. auf Nachfrage von aussen hin und nur in Krisenzeiten zu kommunizieren. Durch eine offene Kommunikationskultur gilt es, eine vertrauensvolle Beziehung
mit der Öffentlichkeit aufzubauen. Der Medienfokus richtet sich meist nur auf Negativbeispiele aus dem Stiftungssektor. Sind solche Negativmeldungen erst einmal im
Umlauf, wird es für jede Stiftung schwer, sich mit unspektakulären, aber wirkungsvollen Resultaten in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Jede einzelne Stiftung
kann dabei zu einer förderlichen Stiftungsreputation beitragen, um kein schlechtes
Image entstehen zu lassen und - als Folge daraus - nicht staatliche Regulierungen
implementiert werden (vgl. Tax Reform Act von 1969 in den USA, Frumkin 1997,
1998). Zusätzlich besteht die Gefahr, dass eine angeschlagene Reputation der
Stiftung resp. des Stiftungssektors negative Auswirkungen auch auf den Stifter sowie
die Stiftungsmitarbeiter hat. Stifter und Stiftungsorgane handeln somit auch im
eigenen Interesse, die Reputation der Stiftung hoch zu halten. Folgendes Zitat
verdeutliche die potentiellen Probleme eines Stiftungswesens im "Halbschatten":
"Einmal von der Imagefrage her betrachtet: Den amerikanischen Stiftungspartnern ist das Schweizer Stiftungsrecht schon ein bisschen zu schwammig.
Da heisst es teilweise, das sei auch eine gute Möglichkeit, um sein Geld zu
parken. Uns steht im Prinzip im Weg, dass das Schweizer Stiftungsrecht keine
besondere Offenlegung verlangt. Vielen amerikanischen Partnern ist dies
erstmal ein bisschen suspekt. Wir haben wirklich lange dagegen kämpfen
müssen, bis unser Image in dem Bereich wieder aufpoliert wurde. Und ich
glaube, das, was die Amerikaner haben, diese Verpflichtung mindestens 5
Prozent des Stiftungskapitals jährlich auszuzahlen, könnte eventuell auch tatsächlich helfen, mehr Klarheit und Vertrauen zu schaffen." (P25)
Vertrauen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
417
Kaehlbrandt (1998) bringt es äusserst pointiert auf den Punkt, indem er sagt, dass öffentliche Präsenz in der heutigen Informationsgesellschaft keine Frage unabhängiger
Wahl mehr ist. Stilles Wirken im Hintergrund sei all jenen versagt, die in der Gesellschaft etwas bewirken wollen, denn durch ein umfassendes Kommunikationsmanagement kann einerseits dem steigenden Informationsbedürfnis oder sogar dem Informationsanspruch der Gesellschaft entsprochen werden und andererseits auch die
Wirkung der Stiftungsarbeit erhöht werden, indem qualitativ hochwertige Projektanträge attrahiert und Erkenntnisse publiziert werden, was eine Wirkungssteigerung der
Stiftungstätigkeit zur Folge hat (Æ Kap. 10.1 Akquisition, S. 330, Æ Kap. 10.5
Dissemination, S. 372).
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Erkennung der Bedeutung einer proaktiven Kommunikation:
142. Welche Ziele können durch eine transparente, umfassende und proaktive
Kommunikation auf sektoraler Ebene, aber auch für die einzelne Stiftung, erreicht
werden?
143. Wie kann dem Anspruch der Öffentlichkeit nach Kommunikation entsprochen werden,
um dadurch auch die Legitimationsbasis von Stiftungen und das Vertrauen in die
Stiftungsarbeit zu erhöhen?
11.3.2 Konkretisierung der Anspruchs- und Zielgruppen der Kommunikation
Kommunikationsmanagement bedeutet sowohl zeitnahes Informieren als auch auf
Langfristigkeit ausgelegte Öffentlichkeitsarbeit. Ziele dabei sind die Förderung des
Stiftungsimages und die Kontaktpflege zu den Anspruchsgruppen.
Bryson (1995, S. 27) definiert Anspruchsgruppen als "any person, group, or organization that can place a claim on an organization's attention, resources, or output or is affected by that output”. Bei Stiftungen ist die Öffentlichkeit gleich doppelt betroffen
(vgl. Kap. 6.1). Erstens sind sie als Bürger einer Gesellschaft tangiert durch die
gesellschaftlichen Wirkungen der "autonomen" Aktivitäten von Stiftungen insgesamt
und zweitens als Steuerzahler auf Grund der Steuerprivilegien, die Stiftungen erhalten.
Informationsanspruch
anerkennen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
418
Für eine Stiftung gilt es, gleichzeitig mehreren Anspruchsgruppen gerecht zu werden.
Als Stakeholder einer Stiftung lassen sich übersichtsartig folgende Gruppierungen zu-
Anspruchsgruppen
definieren
sammenfassen:
ƒ Stifter/Kapitalgeber
ƒ Mitarbeitende
ƒ Destinatäre
ƒ Kritische Öffentlichkeit
ƒ Kooperationspartner
ƒ Staat und seine Behörden (Stiftungsaufsicht, Steuerverwaltung)
ƒ Serviceprovider/Dienstleister
ƒ andere Stiftungen und Substitute (z. B. NPOs)
Es muss bestimmt werden, welche Zielgruppen welches Informationsbedürfnis haben
und mit welchen Informationen sie bedient werden sollen. So unterscheiden sich Inhalte und Aufbereitung bei der Kommunikation in Fachkreisen und mit der allgemeinen kritischen Öffentlichkeit.
Auch die interne Kommunikation unter den Stiftungsgremien darf keinesfalls vernachlässigt werden. Um das in der Æ Stiftungspolitik und -strategie (Kap. 9 Gestaltungsprozess, S. 226) angestrebte einheitliche Verständnis der Mission und der Ausrichtung der Stiftung zu unterstützen, ist eine Einbindung und stetige Auseinandersetzung der Gremienmitglieder über die Stiftungsaktivitäten anzustreben - auch bedingt
durch die spezielle Governance-Strukturen von Stiftungen (vgl. Kap. 6.1). Hierfür
sind klare Kommunikationsstrukturen unabdingbar. Ein Stiftungsexperte umschreibt
die zahlreichen, in Stiftungen vorhandenen Kommunikationsdefizite:
"Richtig aktiv ist meistens nur der Stiftungsratspräsident. Dann gibt es wahrscheinlich noch einen Geschäftsführer, bei grossen Stiftungen kann das ein
CEO sein, der das operative Geschäft zusammen mit dem Präsidenten führt.
Wenn es gut geht, werden sie die Stiftungsräte einmal zusammenrufen, aber
vielleicht auch nicht. Ich bin in Stiftungen, da hat nie eine Versammlung
stattgefunden. Bei anderen dagegen hat es jedes Jahr eine Stiftungsratsitzung
gegeben. Ich habe manchmal das Gefühl, die Stiftung ist so etwas wie ein
Interne
Kommunikation
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
419
Konstrukt, bei dem man transparenzmässig viel weniger gefordert ist als in
der AG oder in anderen Rechtsformen. In der Führungsstruktur wird sehr
stark monokratisch vorgegangen, von der Spitze her. Die Leute im Stiftungsrat erfahren gar nicht richtig, was eigentlich läuft. Auch das hat wieder mit
Kommunikation zu tun, aber auch mit den Kompetenzen. Häufig erfahren die
Stiftungsräte die Informationen nachher aus den Medien. Bei einem konkreten Beispiel hat ein Mitglied des Stiftungsrates im Fernsehen in einem Interview Stellung bezogen und ich habe das aus den Medien erfahren. Bei einem
anderen Beispiel hat der Stadtpräsident, der sich für ein Stadion engagiert,
aus den Medien erfahren, dass die Geschäftsführung seiner Stiftung, bei der
er prominentes Mitglied ist, eine Verbandsbeschwerde lanciert hat. In einer
AG ist es auch nicht so, dass die Aktionäre alles bestimmen. Wir wissen, dass
auch dort natürlich die operative Kompetenz bei der Geschäftsleitung liegt
und die strategische Kompetenz im Verwaltungsrat und nicht bei der Generalversammlung. Aber immerhin gibt es eine gewisse Transparenz. Man hat
die Möglichkeit hinzugehen, denn die Generalversammlung muss einmal pro
Jahr stattfinden." (P14)
Welchen zentralen Stellenwert der Austausch mit den Mitarbeitern einnimmt, verdeutlicht die Arbeitsweise folgender Stiftung:
"Wir haben die Mitarbeiter befragt. Was sie wohl nicht erstaunen wird, ist,
dass die Zufriedenheit der Mitarbeiter hervorragend ist. Wir investieren
enorm viel in die Kommunikation zu den Mitarbeitern. Das sind die wichtigsten Multiplikatoren für uns." (P7)
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Konkretisierung der Anspruchs- und Zielgruppen der Kommunikation:
144. Mit welchen Anspruchsgruppen muss die Stiftung in welcher Form einen regelmässigen inhaltlichen Austausch pflegen?
145. Welche internen Kommunikationsmassnahmen tragen zu einer gestärkten Identifikation aller Mitarbeiter mit den Zielen der Stiftung bei?
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
420
11.3.3 Festlegung relevanter Informationen und Identifikation geeigneter
Kommunikationskanäle
Zu den Aufgaben des Kommunikationsmanagements gehört die Umsetzung der in
der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1, S. 228) festgelegten Grundsätze der
3 Stufen der
Kommunikation
Kommunikation. Grundsätzlich gibt es drei Stufen von Kommunikation und
Rechenschaftsablegung für Stiftungen (Schindler 2003). Die niedrigste Stufe ist der
Bestandesnachweis in Stiftungsverzeichnissen. Es ist bemerkenswert, dass z. B. in der
Schweiz einerseits kein Stiftungsverzeichnis mit nationalen und kantonalen
Stiftungen existiert und andererseits die Eintragung und Publikation im nationalen
Stiftungsverzeichnis auf Freiwilligkeit beruht. Dieser Eintrag sollte das Mindestmass
an Kommunikation seitens der Stiftungen sein.186 Die zweite Stufe besteht aus der Æ
Rechnungslegung (Kap. 11.1.3, S. 398) einschliesslich der Darstellung der
Tätigkeitsberichte.
Die
dritte und höchste Stufe umfasst die allgemeine
Öffentlichkeitsarbeit. Stiftungen können zumindest teilweise ihre Accountability
gegenüber
der
Gesellschaft
durch
eine
proaktive,
ehrliche
und
offene
Kommunikation erfüllen. Um der Gesellschaft Rechenschaft über die Aktivitäten der
Stiftung zu geben, schlagen Werther und Berman (2001) zusätzlich zu einem
traditionellen Geschäftsbericht die Publikation von Informationen über die
Evaluation der Stiftungsaktivitäten vor.
Es ist jeder Stiftung zu empfehlen, eine aktuelle Stiftungsdokumentation mit Informationen über die Stiftung im Internet zu publizieren oder zumindest für interessierte
Stakeholder gedruckt oder digital vorzuhalten. Der Inhalt dieser Dokumentation (vgl.
Sprecher/von Salis-Lütolf 1999) sollte z. B. folgende Punkte umfassen:
ƒ Historie der Stiftung, inkl. Errichtungsjahr und -grund
ƒ Hintergrundinformationen zum Stifter
ƒ wichtige Stiftungserfolge
ƒ Beschreibung des Destinatärenkreises und beispielhafte bisherige Destinatäre
ƒ Pressemitteilungen zur Stiftung und über Aktivitäten
186
Gemäss einem Rundschreiben der Eidg. Stiftungsaufsicht in Bern vom 12.10.2005 an alle der Aufsicht unterstellten
Stiftungen werden ab Mitte 2006 diese ausnahmslos im Eidg. Stiftungsverzeichnis erfasst und publiziert.
Stiftungsdokumentation erstellen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
421
ƒ Liste der Stiftungsorgane
ƒ das Leitbild
ƒ die Wirkungsfelder der Stiftungsarbeit
ƒ laufende Projekte
ƒ Angaben zum Finanzwesen
ƒ allfällige Kooperationen
Neben diesen "beständigen" Informationen über die Stiftung sollte ein Jahresbericht
erstellt und publiziert werden. Dieser Bericht mit einer Darstellung der Zweckerfül-
Jahresbericht
erstellen
lung sollte neben der Bilanz, der Rechnung über die Veränderung des Kapitals und
der Betriebsrechnung einen Tätigkeitsbericht als Bestandteil des Æ Rechnungswesens (Kap. 11.1.3, S. 398) enthalten. Er gibt über die Wirtschaftlichkeit (Effizienz)
und die Leistungsfähigkeit (Effektivität) Auskunft.
Ein vollständiger Jahresbericht besteht normalerweise aus sieben Teilen und sollte
folgende Elemente enthalten187 (in Erweiterung zu Schindler 2003, Freeman 1991,
Merl/Koss 1998):
1. Umschlagsseite mit aktuellem Jahr, Stiftungsname, Anschrift
2. Mitteilung des Präsidenten, Mission der Stiftung mit Wirkungsfeldumschreibung, Richtlinien für Antragssteller und Angaben zum Antragsprozess
3. Jahresrückblick, Überblick über das Stiftungsgeschäft, im Berichtszeitraum
gefasste Beschlüsse, wesentliche Veränderungen bei den rechtlichen Verhältnissen, Änderungen der Satzung, Erklärungen zu den wichtigsten Veränderungen in den Leitungsgremien
4. Überblick über die Förderaktivitäten
o Projektpartner mit ausführlicheren Beschreibungen zu den Projekten,
Förderbeträge, Ziele und Evaluationskriterien der Projekte, Stellungnahmen zur Zielerreichung bei den Projekten
187
Ein Beispiel für einen sowohl inhaltlich als auch optisch sehr gut aufgemachten Geschäftsbericht bietet die Robert
Bosch Stiftung (www.bosch-stiftung.de) - 23.08.2005.
Teile eines
Jahresberichts
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
422
o Evaluation der gesamten Stiftungsaktivitäten des vergangenen Jahres i.
S. einer Wirksamkeitsbeschreibung
5. Steuerliche
Verhältnisse,
Gemeinnützigkeit,
Kommunikation
mit
Stiftungsaufsicht
6. Finanzielle Berichterstattung (Æ Kap. 11.1 Finanzmanagement, S. 384)
o Bilanz:
Erläuterungen
des
Grundstockvermögens
und
ggf.
Umschichtungen, Erläuterungen wesentlicher Veränderungen in der
Zusammensetzung des Vermögens (Investitionen, Tilgung von
Darlehen), Darstellung der Entwicklung der Rücklagen, Darstellung der
Entwicklung des Ergebnisvortrages
o Betriebsrechnung: Erläuterung wesentlicher Einnahmequellen, Erläuterung der geförderten Zwecke, unterteilt in geplante, laufende und abgewickelte Projekte und Tätigkeiten, Höhe der entsprechend verplanten,
bewilligten und ausgezahlten Mittel sowie deren Leistungsempfänger
o Finanzielle Kennzahlen
7. Besetzung und Sitzungen der Organe und Vergütungen der Organmitglieder,
Kontakthinweise mit Auflistung der Stiftungsratsmitglieder mit kurzem CV,
Geschäftsführung und Mitarbeiter, Anschrift der Stiftung mit Telefonnummer,
Interessenskonflikte, wichtige Beteiligungen, Unternehmensverbindungen,
wichtige Verträge
Zahlreiche Stiftungen begründen ihr Agieren im Verborgenen mit der Angst, von
Projektanträgen überflutet zu werden. Ein klares Profil der Stiftung mit umfassend
kommunizierten Wirkungsfeldern und Projektselektionskriterien kann einerseits die
Antragsflut mindern, andererseits aber zumindest die begründete Absage erleichtern.
Im Sinne von "the clearer the yes’, the easier the no’s" unterstützt eine proaktive
Kommunikation die Æ Projektselektion (Kap. 10.2, S. 341). Dabei ist es jedoch nicht
minder wichtig auch zu kommunizieren, was nicht in den Förderbereich einer Stiftung fällt. In proaktiver Weise sollte eine Stiftung darüber informieren, in welchem
Umfang sie basierend auf den Festlegungen in der Æ Stiftungspolitik und Æ -strategie (Kap. 9, S. 226) Projekte unterstützt.
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
423
Zusammenfassend sollten folgende grundsätzlichen inhaltlichen Angaben zur Stiftung und den Möglichkeiten für eine Förderung von Projekten verständlich kommuniziert werden (angelehnt an Breiteneicher/Marble 2003, S. 666), damit potentielle
Projektpartner ihre Anträge prägnant auf die Anliegen der Stiftung ausrichten
können. Dies zieht auf beiden Seiten auch einen effizienten Einsatz von Ressourcen
nach sich:
ƒ Mission und Schwerpunkte (inhaltliche Eckpfeiler und Wirkungsfelder) der
Stiftung
ƒ Art der angebotenen Förderung (Infrastruktur, Stipendien, dringliche Befriedigung etc.)
ƒ Ausschlusskriterien (was wird nicht gefördert)
ƒ Förderdauer (begrenzt, nicht begrenzt etc.)
ƒ geographische Restriktionen (nur Inland, nur Osteuropa etc.)
ƒ Kontaktdaten (Telefonnummer, Ansprechpartner etc.)
ƒ formale/inhaltliche Anforderungen an einen Antrag (vgl. unten)
ƒ Eingabetermine (laufend, halbjährlich etc.)
ƒ Zeitrahmen und Prozess der Entscheidung
Eine Ausschreibung sollte - angelehnt an Breiteneicher und Marble (1998, S. 727) darüber hinaus folgende Punkte enthalten:
ƒ Zielsetzung des Programms (innerhalb der Mission der Stiftung)
ƒ Zielgruppen (Kreis der potentiellen Antragsteller)
ƒ Zeitliche Befristungen/Laufzeiten/Eingabefristen
ƒ Sonstige Einschränkungen
Die Fördermöglichkeiten sollten präzise kommuniziert werden, um Enttäuschungen
aufgrund falscher Erwartungen zu vermeiden. Für die Antragssteller ist die Kenntnis
der strategischen Festlegungen und Entscheidungskriterien zentral, um die Erfolgschancen eines Antrags einschätzen zu können. Stiftungen, die die Förderart der Befriedigung dringlicher Bedürfnisse verfolgen, sollten eine frühzeitige Erwartungsklä-
Angaben
zu Fördermöglichkeiten
publizieren
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
424
rung vornehmen, dass nicht jedes Jahr fix mit einem Stiftungsbeitrag gerechnet werden kann.
Neben der Information über die Tätigkeit der Stiftung und der Rechenschaftsablegung über die Verwendung der Stiftungsgelder - und somit auch einen Teil der ent-
Ergebnisse
offen legen
gangenen Steuergelder - ist die Kommunikation der Ergebnisse ihrer Fördertätigkeiten in den angestrebten Destinatärenkreis und in die jeweilige Fachwelt wichtig. Oft
wird erst dadurch ein Impuls für eine sinnvolle Weiterentwicklung durch neuartige
Projekte oder Kooperationsmöglichkeiten ausgelöst (Æ Kap. 10.5 Dissemination, S.
372 und Kap. 10.6 Replikation, S. 378). Es muss allerdings beachtet werden, dass
sich Stiftungen in ihrem spezifischen Wirkungsfeld langfristig eine Reputation aufbauen müssen, um von den Antragsstellern als zuverlässige und konstruktive Partner
identifiziert zu werden. Dieses Ziel der Verlässlichkeit umschreibt ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung folgendermassen:
"Wir können nicht von heute auf morgen die Strategie ändern, weil wir gewisse Anspruchsgruppen haben. Bei anderen Stiftungen habe ich festgestellt,
dass sie etwas machen und irgendwann kommt ein Schnitt und es wird beschlossen, ab nächstem Jahr machen wir nur noch das und das. So geht vieles
kaputt. Denn wenn bei den potentiellen Destinatären eine gewisse Erwartungshaltung vorhanden ist, wenn man etwas letztes Jahr gemacht hat, das
man dann dieses Jahr nicht mehr macht, dann ist das fast nicht kommunizierbar. Deshalb versuchen wir auch eine gewisse Verlässlichkeit zu bieten, dass
die Leute wissen, wir haben immer Kultur gemacht, wir machen es auch weiter. Wir haben in der Ausbildung etwas gemacht, wir machen das auch heute
noch. Ob dann das einzelne Projekt weiter gefördert wird, ist jedoch wieder
eine andere Sache." (P23)
Transparenz durch proaktive Kommunikation der inhaltlichen Aktivitäten und Abläufe der Stiftung dient als vorbeugende Massnahme des Risikomanagements. Eine
Berichterstattung sowohl über Prozesse als auch die geförderten Projekte selber - und
hier sind selbstverständlich auch Fehler und Misserfolge eingeschlossen - verringert
das Risiko, dass der einzelnen Stiftung die Legitimation entzogen wird, falls doch z.
B. in den internen Prozessen oder aber bei einem Förderprojekt etwas Ungeplantes
auftreten sollte. Im folgenden Zitat wird diese Einschätzung treffend umschrieben:
Kommunikation als
Risikomanagement
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
425
"Proaktiv zeigen, was wir machen, kommt der Gesellschaft zu Gute. Und das
sollte man früh anfangen und nicht dann, wenn schon Unsicherheiten auftauchen und man fragt: ‚Warum gibt es euch eigentlich?’ Oder Schäden auftreten oder Missbräuche, Missstände. Ich finde die Transparenz im Stiftungswesen sehr wichtig. Man muss transparent sein und aus dem Schatten heraustreten. […] Im Eigeninteresse sollte man sagen: ‚Wir machen die und die
Zweckerfüllung.’ Und da spielen auch die Personen ‚hinter’ der Stiftung eine
Rolle, dass man die auch kennt und auch das transparent ist. ‚Wer führt die
Stiftung? Ah, das ist der Herr Sowieso.’ Vertrauen aufbauen, das finde ich
wichtig. Das ist im Eigeninteresse. Es widerspricht einfach etwas dem bisherigen stillen vor-sich-hin-Leben." (P4)
Stiftungsprojekte erfüllen nicht immer die Anforderung für eine "top story" in den
Medien. Es soll je nach zu kommunizierendem Inhalt das entsprechende Medium gewählt werden. Mögliche Informations- und Kommunikationskanäle für Stiftungen
können sein:
ƒ Buchpublikation
ƒ Konferenzen
ƒ Fachbeitrag
ƒ Homepage
ƒ Internetnotiz
ƒ Medienkonferenz
ƒ Newsletter
ƒ Zeitungsartikel
Der entsprechende Kanal ist einerseits der zu transportierenden Nachricht anzupassen. Häufig handelt es sich bei Stiftungen um spezifische oder sogar wissenschaftliche Themen und Ergebnisse. Um diese zu publizieren, eignen sich wissenschaftliche
Journals am besten. Betrifft der Inhalt allerdings allgemeine Informationen über die
Stiftung und Stiftungsarbeit, ist eine Broschüre oder ein Bericht auf der Website eher
angebracht. Andererseits sind der Kommunikationskanal und die Aufbereitung der
Information auf die Zielgruppe auszurichten. Wie folgendes Zitat zeigt, eigenen sich
geeignete
Medien
bestimmen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
426
nicht alle Kanäle gleich gut für einen Austausch mit den Stakeholdern. Die zitierte
Stiftung hat eine empirische Studie anfertigen lassen, in der Stakeholder nach den bevorzugten Kommunikationskanälen befragt wurden.
"Was bei einer lokalen Stiftung noch überraschend ist, sind die Informationsquellen, die von Bedeutung sind. Zweitletztes war das Internet. Oder anders
gesagt, bei rein lokalen Stiftungen ist das Internet bedeutungslos. Das ist bei
einer weltweit tätigen Stiftung natürlich anders. Für sie spielt die Zürcher
Zeitung keine Rolle. Ihre Kunden, d. h. die Destinatäre, sind angewiesen auf
das Internet. Aber bei einer lokalen Stiftung ist es etwas anderes." (P7)
Dabei sollten es allerdings auch Kleinststiftungen nicht unterlassen, einen Jahresbericht zu verfassen. Die Kosten lassen sich dabei durch einen einfachen Kopierdruck
oder der Publikation auf der Website niedrig halten.
Um eine einheitliche und koordinierte Kommunikation seitens der Stiftung zu erreichen, müssen interne Regelungen getroffen werden i. S. des verantwortlichen Organs
resp. der verantwortlichen Person. Zudem muss die Kommunikation zwischen Projektnehmer und Stiftung koordiniert ablaufen.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegung relevanter Informationen und Identifikation geeigneter Kommunikationskanäle:
146. Welche kommunizierten Inhalte stärken das Vertrauen in die Stiftungsarbeit,
dokumentieren Verlässlichkeit und tragen zur Klärung gegenseitiger Erwartungen bei
- auch im Sinne eines proaktiven Risikomanagements?
147. Welche Inhalte werden in einer Stiftungsdokumentation zusammengefasst?
148. Welche Informationen sind für einen umfassenden Jahresbericht notwendig - welche
sind bereits vorhanden bzw. müssen noch aufbereitet werden?
149. In welchem Umfang sind die Fördermöglichkeiten und weitere Angaben zur
Stiftungstätigkeit in geeigneten Medien publiziert?
150. Welche Medien sind geeignet, um mit den identifizierten Anspruchsgruppen effektiv
und effizient in Kontakt zu treten?
151. Wer ist innerhalb der Stiftung für das Kommunikationsmanagement (z. B. Pflege der
Website) verantwortlich?
Zuständigkeit
festlegen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
11.4
427
Kooperationsmanagement
Viele Stiftungen verhalten sich eher kooperationsavers und schauen primär nach innen (vgl. Kap. 6.2.3 Kooperationsparadox). Innovative Stiftungen betrachten dagegen
das sie umfassende Umfeld und bilden vor allem aus zwei Gründen Netzwerke und
Kooperationen: Erstens sind sie der Überzeugung, dass die Kreativität in der Problemlösung eine möglichst grosse Diversität an Perspektiven und Ideen braucht.
Zweitens erhöhen Kooperationen die Möglichkeit, erarbeitete Ansätze und Ideen auf
unterschiedlichen Ebenen zu diffundieren.
Die Kenntnis gesellschaftlicher Trends (Æ Kap. 8 Umweltsphären, S. 209) und vergleichbarer Stossrichtungen anderer Stiftungen (Æ Kap. 9.2 Stiftungsstrategie, S.
288) ist elementar für eine optimale Wirkung der Stiftungstätigkeit. Deshalb bilden
strategische Initiativen zur Vernetzung mit anderen Förderinstitutionen und zur Bildung von Kooperationen gerade bei der Realisierung grösserer Fördervorhaben einen
zentralen Aspekt der Stiftungsstrategie (kritische Masse). Der Geschäftsführer einer
grossen Stiftung, bei der die grösseren Projekte ausschliesslich durch Kooperationen
gefördert werden, fasst es folgendermassen zusammen:
"Welches sind die anderen Stiftungen, die etwas Ähnliches machen und da
habe ich auch wieder viel gelernt aus der Wissenschaft: Also kooperiere,
wenn du kannst, anstelle dich dagegen zu stellen. Das ist ja Blödsinn. Wir
sind ja im gleichen Spiel. Es gibt welche, die immer gegeneinander machen.
Man kann so viel zusammen erreichen. Wir machen ähnliche Sachen, aber
nicht genau das Gleiche. Aber ein Stück weit können wir zusammen arbeiten.
Alle können Kleines bewirken, aber dann können wir auch gemeinsam vielleicht mal etwas Grösseres machen." (P29)
Im Rahmen des Supportprozesses Kooperationsmanagement gilt es Festlegungen in
folgenden drei Bereichen zu treffen:
1. Festlegung des Kooperationstypus
2. Ausgestaltung der Kooperation und Sicherstellung des Funktionierens
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
428
11.4.1 Festlegung des Kooperationstypus
Bei der Identifikation des Kooperationstypus kann unterschieden werden einerseits
zwischen einer Kooperation aus inhaltlich-zweckorientierten, andererseits aus opera-
Kooperations
-typ festlegen
tiv-technischen Motivation.
Inhaltlich-zweckorientierte Kooperationstypen begründen sich durch folgende Gegebenheiten:
ƒ Die Problemstellung, die eine Stiftung in ihrer Mission fokussiert, ist zu komplex um von einer einzelnen Stiftung, in einem einzigen oder wenigen Wirkungsfeldern und mit einer begrenzten Anzahl von Projekten, bearbeitet zu
werden.
ƒ Um die kritische Masse und die nötige "Durchschlagskraft" in einem spezifischen Problemfeld zu erlangen, müssen entsprechende Partner involviert werden.
ƒ Die geographische Dimension des Stiftungsansatzes zur Problembearbeitung
ist so weit, dass Partner mit lokalem Wissen hinzugezogen werden müssen.
ƒ Die Stiftung benötigt zur Durchführung der Projekte Partner mit spezifischen
Kompetenzen.
Tendenziell zeigt sich in den letzten fünfzig Jahren im Stiftungswesen wie auch in
anderen Feldern gesellschaftlichen Lebens eine zunehmende Tendenz zu Internationalisierung und länderübergreifenden Kooperationen (vgl. Schlüter 1998). Dieses
Potential ist allerdings - gerade im Stiftungswesen - noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Während in der Vergangenheit der Grossteil gesellschaftlicher Fragestellungen nationaler Art war (oder gar lokale Gegebenheiten) oder diese zumindest so betrachtet wurden, sind mit der fortschreitenden technischen Entwicklung, der gestiegenen Mobilität und dem zunehmenden Verbrauch natürlicher Ressourcen die drängenden gesellschaftlichen Fragen nicht mehr im nationalstaatlichen Kontext zu beantworten, sondern verlangen in mehrfacher Hinsicht länderübergreifende Antworten
und Lösungen (vgl. Schlüter 1998). Beispiele hierzu sind die notwendige globale Zusammenarbeit als einzige Möglichkeit zur erfolgreichen Bekämpfung der ökologischen Folgen von Umweltbelastungen oder die Migrationsprobleme, die durch die
Inhaltlichzweckorientierter Typ
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
429
alleinige Bearbeitung der Symptome im Immigrationsland nicht gelöst werden können.
Kooperationen
von
Stiftungen
mit
anderen
Stiftungen,
Non-Profit-,
privatwirtschaftlichen oder staatlichen Organisationen können als Strategie zur
Bewältigung
komplexer
Probleme
Erhöhung der Möglichkeiten von sozialem Wandel betrachtet werden (vgl. Frumkin
2005). Ein gemeinsames, koordiniertes Bearbeiten kann die gesamthafte, komplexe
Problemlösung erleichtern. Ein gemeinsamer Informationsaustausch gewährleistet
dabei eine Verbesserung und Optimierung der eigenen Projektarbeit und erlaubt es,
komplexe Probleme umfassend anzugehen. Zudem führen gemeinsame Aktivitäten
zu einer grösseren Öffentlichkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft.
Bei der Entwicklung gesellschaftlicher Lösungsansätze zeigt sich, dass aufgrund der
Komplexität der Fragestellungen in inhaltlicher als auch finanzieller Hinsicht die
Ressourcen einer einzelnen Stiftung häufig nicht ausreichen. Einerseits wird oftmals
in verschiedenen geografischen Regionen an vergleichbaren Fragestellungen gearbeitet. Viele gesellschaftliche Probleme sind international dieselben, sodass gewisse
Erkenntnisse auch auf andere Länder übertragen werden können. Andererseits fallen
die Ursachen und Symptome eines Problems weder zeitlich noch inhaltlich zusammen.
Projekte, die von mehreren Partnern unterstützt werden, erlauben den Zugriff auf eine
breitere Basis von fachlichem Know-how. Hierbei kann oftmals auf bereits vorhan-
Zugriff auf
Know-how
dene Informationen von anderen Institutionen zurückgegriffen werden. Vor allem
kleinere Stiftungen können einerseits auf das vorhandene Wissen anderer Organisationen zurückgreifen, sind selbst jedoch ebenfalls attraktiv, da sie oftmals Spezialwissen in einer "Nische" vorweisen können (Æ Kap. 9.2 Stiftungsstrategie, S. 288).
Kooperationen können zudem förderlich sein für den Aufbau von internen Kompetenzen und können zu erhöhter Motivation der Mitarbeiter führen. Die Erarbeitung
gemeinsamer Lösungsansätze erlaubt meist nicht nur der Zugriff auf einen grösseren
Wissenspool, sondern ermöglicht auch eine stärkere Verbreitung der Lösungen (Æ
Kap. 10.5 Dissemination, S. 372). Neben einem besseren Problemverständnis durch
einen kombinierten Wissenspool verschiedener Organisationen, einer verbesserten
Problemlösung sowie insbesondere durch Kostenvorteile tragen Kooperationen massgeblich zu einer hohen Effektivität der Stiftungsarbeit bei.
Erhöhung der
Effektivität
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
430
Zahlreiche Problemstellungen, mit denen sich Stiftungen befassen, können oft nur
unter Einbeziehung von politischen Akteuren bearbeitet werden (Æ Kap. 9.1.3 Interventionslevels, S. 239). Einerseits ist Expertise vorhanden, andererseits - und das ist
PublicPrivatePartnership
prüfen
oftmals von grösserer Wichtigkeit - haben politische Institutionen die Kompetenzen
zur Umsetzung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Die frühzeitige Einbeziehung politischer Kooperationspartner ist wichtig, denn dies erlaubt eine angebrachte
Beachtung von offizieller Seite und erhöht die Resonanz im politischen Umfeld.
Dazu ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung:
"Public Private Partnership: Weil dort haben wir von Anfang an gesagt, wir
stellen 50 Prozent des Kapitals zur Verfügung und erwarten, dass andere
Stellen - ob das nun die Regierung, Kantone, oder die Gemeinden sind - die
anderen 50 Prozent aufbringen. Und in einem anderen Projekt sind wir jetzt
gerade in einer sehr wichtigen Übergangsphase. Nächste Woche soll eine
neue Stiftung gegründet werden. In diesem Stiftungsrat werden zwei Vertreter
unserer Stiftung Einsitz haben, die beteiligten Kantone mit je einem Regierungsrat und ein Bundesamt auf Bundesebene. Das Gründungskapital wird
von unserer Stiftung zu 50 Prozent bestritten, von den drei beteiligten Kantonen zu je 10 Prozent und vom Bund zu 20 Prozent." (P2)
Operativ-technisch motivierte Kooperationen befassen sich primär mit stiftungsinternen Ansätzen zur Effizienzsteigerung. Dabei können z. B. durch die gemeinsame
Nutzung von bestimmten Verwaltungsservices finanzielle Ressourcen gespart werden. Auf der Ressourceninputseite einer Stiftung können z. B. Überlegungen angestellt werden, eine gemeinsame Vermögensverwaltung zu betreiben (Æ Kap. 11.1 Finanzmanagement, S. 384). Dies erlaubt dank des grösseren Kapitalvolumens
vorteilhaftere Konditionen bei den Finanzpartnern. Auch Räumlichkeiten, Administrationskräfte oder die IT-Infrastruktur können in kooperativer Weise durch mehrere
Stiftungen beansprucht werden (oder gar komplett ausgelagert werden). Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft berechnet eine Gebühr für die Verwaltung der
ihm treuhänderisch anvertrauten Stiftungen auf Basis des Stiftungsvermögens von
0.7% pro Jahr. Diese Dienstleistungen werden auch von grösseren Banken
angeboten. Die Beratungs- und Dienstleistungsgesellschaft Maecenata Management
berechnet die Gebühren für die ihr anvertrauten Stiftungen nach tatsächlich
angefallenem Aufwand.
Operativtechnischer
Typ
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
431
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Festlegung des Kooperationstypus:
152. Für welche Aktivitäten in einem bestimmten Wirkungsfeld und im Hinblick auf welche
dafür notwendigen Ressourcen soll eine Kooperation eingegangen werden?
153. Was ist der Nutzen und das Ziel einer Kooperation auf inhaltlicher-zweckorientierter
Ebene - was auf operativ-technischer Ebene?
154. Welche Vorteile bietet eine Public-Private-Partnership als besondere Form der
Kooperation zwischen Stiftungen und der öffentlichen Hand in der spezifischen Situation?
11.4.2 Ausgestaltung der Kooperation und Sicherstellung des Funktionierens
Kooperationen zwischen Stiftungen und zwischen Stiftungen und Non-Profit, privatwirtschaftlichen oder staatlichen Organisationen können unterschiedliche Form und
Kooperationsintensität
festlegen
Intensitäten annehmen. Schlüter (1998) unterscheidet dabei vier Grundformen von
Kooperationen mit unterschiedlicher Intensität der Bindung:
ƒ Informationsaustausch
ƒ Gemeinschaftsfinanzierung
ƒ Studiengruppen
ƒ Gemeinschaftseinrichtung
Der Informationsaustausch ist relativ einfach umzusetzen und setzt keine vertragliche
Bindung voraus. Er kann in den beiden oben erwähnten Kooperationstypen stattfin-
Informationsaustausch
den. So können Informationen zu gemeinsamen Wirkungsfeldern, zu konkreten
Massnahmenplänen oder auch zu internen Abläufen ausgetauscht werden. Die Diskussion über gemeinsame Themen oder Dissemination von Erfahrungen in spezifischen Gebieten ist für die Stiftungsarbeit zentral. Sowohl national als auch international gewinnen Zusammenschlüsse von Stiftungen, auch im Sinne von Lobbyverbänden, an Bedeutung. Beispiele hierfür sind das European Foundation Center (EFC) in
Brüssel, der amerikanische Council on Foundations (COF), der Deutsche Stifterverband oder SwissFoundations, der Verein Schweizer Vergabestiftungen.
Die Gemeinschaftsfinanzierung einzelner Projekte ist insofern verbindlicher, als dass
gegenseitige Erwartungen genau spezifiziert werden müssen. Auch durch die gemein-
Gemeinschaftsfinanzierung
432
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
same Finanzierung können unterschiedliche Kooperationstypen bearbeitet werden. So
kann z. B. der gemeinsame Auftrag für eine Studie in der gemeinsamen Finanzierung
und Förderung eines Projektes oder aber in der Zusammenarbeit bei administrativen
Aufgaben wie der gemeinsamen Finanzierung eines Controllers, die Ziel einer Gemeinschaftsfinanzierung sind, liegen.
Kooperationen durch Studiengruppen werden zur gemeinsamen Identifizierung und
Aufarbeitung eines gesellschaftlichen Problems gebildet. Durch die Teilnahme meh-
Studiengruppen
rerer Organisationen werden unterschiedliche Sichtweisen zur Fragestellung eingebracht. Zusätzlich ermöglicht die gemeinsame Verbreitung und Veröffentlichung der
erarbeiteten Lösungsansätze eine grössere gesellschaftliche Resonanz und Akzeptanz.
Die intensivste Stufe der Zusammenarbeit ist die Dauerkooperation durch die Gründung einer selbständigen Gemeinschaftseinrichtung. Diese auf längere Frist angelegte
Gemeinschaftseinrichtung
Kooperationsform dient der Verstetigung von gemeinsamen Interessen und setzt eine
detaillierte Definition von Zielen und Mitteln voraus. Ein Beispiel ist das durch die
Bertelsmann Stiftung und die Universität St. Gallen gegründete Institut für Medienund Kommunikationswissenschaften. Diese Form umfasst Beziehungen und Verflechtungen auf verschiedenen Ebenen (z. B. Strategie, Vollzug) und wechselseitige
Ressourcenflüsse (z. B. Expertise, Geld).
Um eine möglichst fruchtbare Kooperation zu gewährleisten, ist der Prozess der Kooperationsentwicklung von entscheidender Bedeutung. Zu Beginn jeder kooperativen
Erwartungsklärung
vornehmen
Beziehung steht eine systematische und ehrliche Erwartungsklärung aller beteiligten
Partner. Zu diesem Zweck sollen klare und gemeinsam getragene Ziele für das Kooperationsprojekt bestimmt werden. Bei weit reichenden und umfangreicheren Kooperationen sollten grundlegende interne Regeln (z. B. zum Informationsaustausch)
formuliert und festgehalten sowie klare Strukturen bezüglich Projektverantwortlichkeiten und Projektfinanzierung getroffen werden. Basis für den jeweiligen (finanziellen) Beitrag ist ein exaktes Projektbudget.
Um eine Kooperation zwischen unterschiedlichsten Partnern erfolgreich aufrecht zu
erhalten, müssen verschiedene Faktoren beachtet werden (Saxon-Harrold/Heffron
1999, Arthur M. Blank Family Foundation o. J.). So ist z. B. Vertrauen und eine gemeinsame - oder zumindest vereinbarte - Mission zwischen den Partnern die Basis für
Erfolgsfaktoren
beachten
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
433
eine erfolgreiche Kooperation. Die Parteien müssen sich zudem zu einer aktiven Mitarbeit verpflichten und in offener und ehrlicher Weise kommunizieren. Ein regelmässiger Informationsaustausch zwischen den Kooperationspartnern ist ein weiterer
wichtiger Aspekt und wird immer mehr durch die bestehenden und neuen IKT erleichtert. Auch muss der Zugriff auf spezifisches Wissen oder lokale Erfahrungen
gewährleistet sein, um die Bemühungen für alle lohnenswert und vorteilhaft erscheinen zu lassen (vgl. Kap. 6.2.3: Kooperationsparadox, Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S.
228).
Die folgenden Aspekte sollte eine Stiftung vor einer allfälligen Kooperation dennoch
gründlich überdenken (vgl. Anheier 2005a, Austin 2000, Arsenault 1998):
Aspekte
beachten
ƒ die potentiell anfallenden Kosten
ƒ die Risiken der Zusammenarbeit auch hinsichtlich eines möglichen Misslingens
ƒ die organisationale Autonomie sowie die Kompatibilität der Kooperation mit
der eigenen Mission und den eigenen Werten
Die Auswahl eines geeigneten Kooperationspartners kann entweder über eine öffentliche Ausschreibung, über verbandsähnliche Netzwerke oder über persönliche Kontakte geschehen. Wichtig ist dabei, dass die Auswahl anhand klarer Kriterien vorgenommen wird.
Die folgenden Fragen bieten einen Überblick über zentrale Entscheidungen im Bereich der Ausgestaltung der Kooperation und Sicherstellung des Funktionierens:
155. Welche Kooperationsform und -intensität eignet sich für die formulierten Ziele einer
Kooperation - auch in Abhängigkeit der Mission und der strategischen Entscheide im
jeweiligen Wirkungsfeld, in dem die Kooperation wirken soll?
156. Welche Erwartungen werden von beiden Partnern mit der Kooperation verbunden und werden von beiden akzeptiert?
157. Welche Erfolgsfaktoren gilt es zu beachten und welche weiteren Aspekte beeinflussen die Qualität einer Kooperation in der entsprechenden Entscheidungssituation?
158. Wie kann ein geeigneter Kooperationspartner ausgewählt werden?
Kooperationspartner
auswählen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
434
11.5
HR-Management
Die Rolle des Human Resource Managements in Stiftungen wird nach wie vor von
vielen Stiftungen als unbedeutend verkannt und tritt auch wegen der Sachzieldominanz in den Hintergrund. Die Tatsache, dass gerade die Personen hinter der juristischen Form "Stiftung" die massgeblichen Faktoren für eine wirkungsvolle Stiftungsarbeit sind, macht die Ressource "Mensch" jedoch zu einer entscheidenden Grösse.
Mehr und mehr stehen Stiftungen in diesem Bereich in einem Wettbewerb mit anderen Organisationen ("war of talents"), denn sie sehen sich zusehends gezwungen, sich
als attraktiver Arbeitgeber in der Gesellschaft zu positionieren.
Die Aufgaben des Personalmanagements beziehen sich auf die notwendigen Fähigkeiten der Stiftungsmitglieder, die in einer Stiftung im Hinblick auf die optimale Erfüllung der Stiftungstätigkeit vertreten sein müssen. Unter Personal wird die Gesamtheit des Humanpotenzials einer Stiftung verstanden, wobei der Personenkreis folgende Gruppen umfasst:
ƒ die Geschäftsführung mit ihre Mitarbeiter
ƒ der Stiftungsrat einer Stiftung
ƒ weitere Gremien (Beirat) und externe Experten (Gutachter)
Für alle Gruppen müssen jeweils spezifische Anforderungskriterien erarbeitet werden. Besondere Überlegungen sind erforderlich im Bereich der ehrenamtlichen Tätigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Entlohnung/Entschädigung von im
Dienste der Stiftung stehenden Personen. Das Human Ressource Management einer
Stiftung ist auch deshalb zentral, weil es oftmals den grössten Kostenanteil der Verwaltungskosten einer Stiftung ausmacht (Æ Kap. 11.1 Finanzmanagement, S. 384).
Entscheidungen auf der Ebene der Stiftungspolitik bezüglich Interventionslevel, Projektengagement, Vorhandensein einer Geschäftsführung oder Grösse des vorhandenen Stiftungskapitals beeinflussen die Anforderungskriterien der verantwortlichen
Personen. Festlegungen auf strategischer Ebene in den Bereichen Förderinstrument,
Förderdauer, Förderhöhe und geographischer Aktivitätsradius bedingen zusätzliche
Überlegungen im Bereich des Human Resource Managements (Æ Kap. 11.5 HRManagement, S. 434). So hat ein Stiftungsrat, der in proaktiver Weise wenige, dafür
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
435
aber grosse und "systemwechselfördernde" Projekte international und in enger Zusammenarbeit mit den Projektnehmern durchführt, neben einem grösseren Zeitaufwand der Æ Projektselektion (Kap. 10.2, S. 341) auch das Bereitstellen von spezifischen Fähigkeiten zum aktiven Themenscreening oder internationale Kenntnisse des
Wirkungsfelds zu beachten. Im Gegensatz dazu weist eine Stiftung, die in reaktiver
Weise einen lokalen Preis vergibt einen anderen Bedarf an Fähigkeiten und Ressourcen auf. Auch die Entscheidung einer Stiftung, sich z. B. mit der Förderung der Wissenschaft zu befassen, hat direkte Konsequenzen für den Ressourcenbedarf und -einsatz.
Die vier prägenden Elemente eines umfassenden Human Resource Managements, die
auch für die Stiftungsarbeit zentral sind, umfassen angelehnt an Hilb (2002 und
2004):
1. Festlegungen zur Personalgewinnung
2. Gestaltung der Personalbeurteilung
3. Festlegungen zur Personalhonorierung
4. Weiterentwicklung der Stiftungsmitarbeiter
11.5.1 Festlegungen zur Personalgewinnung
Bei der Personalgewinnung geht es darum, Stiftungsmitarbeiter - miteinbezogen sind
jegliche Gremien wie Stiftungsrat und Beiräte - mit anforderungsgerechten Qualifikationen auszuwählen. Ob die z. B. im Jahre 1930 in der Stiftungsurkunde formulierten Anforderungen an einen Trustee, also einen Stiftungsrat, noch heute Gültigkeit
haben, ist sicherlich fraglich. Nach damaliger Meinung wäre ein typischer Stiftungsrat "a man well past middle age; he is more often than not a man of considerable
affluence, or one whose economic security ranks high; he is, presumably, respectable
and conventional and belongs to the best clubs and churches, and he associates with
men of prestige, power and affluence. His training has been largely in the arts and humanities. He resides in the Northeast section of the United States and has attended
one of the private colleges in that region. His intelligence is ranked high by various
institutions of higher learning from whom he has received signal honors. In short he
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
436
is a member of that successful and conservative class whose status is based primarily
upon pecuniary success.” (Frumkin 2005, S. 96)
Die Aufgaben der Personalgewinnung (Hilb 2004, Jenne/Henderson 2000) umfassen
dabei:
Aufgaben der
Personalgewinnung
ƒ Personalbedarfsermittlung
ƒ Personalwerbung
ƒ Personalauswahl
ƒ Personaleinführung
Die Bedarfsermittlung stellt den wichtigsten Block innerhalb dieser ersten Aufgabe
dar. Ein Instrument der Personalbedarfsermittlung ist die Erstellung eines ein SollFähigkeitsportfolio basierend auf den Anforderungen für eine wirkungsvolle Stiftungstätigkeit und Zweckumsetzung und dieses der Ist-Situation der vorhandenen Fähigkeiten gegenüberzustellen. So können fehlende Fähigkeiten erkannt und allfällige
Lücken im "Fähigkeiten-Mix" behoben werden. Als systematisches Hilfsmittel kann
eine Darstellung dienen, wie sie beispielhaft in der folgenden Abbildung 11-4 erstellt
wurde:
Ausprägungsgrad
Tief
Strategische
Denkweise
1
2
3
4
Hoch
5
6
Fachkenntnisse
Finanzkenntnisse
Visionäres Denken
Etc.
IST-Profil
SOLL-Profil
Abbildung 11-4: Soll-Ist-Profil notwendiger Fähigkeiten bei der Personalbedarfsermittlung einer Stiftung
Personalbedarfsermittlung
durchführen
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
437
Die Gegenüberstellung des Soll- und Ist-Profils verdeutlicht die fehlenden und damit
aufzubauenden Fähigkeiten innerhalb der Stiftung. Zur Erlangung des Ist-Profils können die Profile der einzelnen Stiftungsmitarbeiter eingetragen werden. Im Rahmen
der Personalbedarfsermittlung ist ein zentraler Aspekt die Definition von Aufgaben
des Stiftungsmanagements und einzelner Mitarbeiter und daraus die Ableitung notwendiger Fähigkeiten, die zu einem Anforderungsprofil verdichtet werden können.
Die rechtlichen Pflichten und Zuständigkeitsregelungen ergeben sich dabei aus den
gesetzlichen Bestimmungen und den Vorgaben aus der Æ Stiftungspolitik (Kap. 9.1,
generische
Anforderungskriterien
S. 228). Grundsätzliche, über die Pflichten hinausgehende Anforderungskriterien eines Stiftungsmanagers werden nachfolgend aufgezählt (vgl. Hilb 2004):
ƒ Persönlichkeitskompetenz
mit den Ausprägungen Lernfähigkeit, Leistungsmotivation und Integrität
ƒ Fachkompetenz
mit den Ausprägungen Fachkenntnisse, Unternehmertum und Reputation
ƒ Führungskompetenz
mit den Ausprägungen Zielsetzungsfähigkeit, Problemlösungsfähigkeit, Führungsvorbildlichkeit und Ressourcenmanagementfähigkeit
ƒ Sozialkompetenz
mit den Ausprägungen des konstruktiven Sparringpartners, Interaktionsfähigkeit und Vernetztheit in der entsprechenden Community
Die Stiftung sollte für jede Stelle, d. h. für Stiftungsräte, Beiräte, Geschäftsführung
und die übrigen Mitarbeiter ein stellenspezifisches Anforderungsprofil erstellen, anhand dessen die Mitarbeiter ausgewählt werden. Dieses Anforderungsprofil dient
Stellenspezifisches
Anforderungsprofil
erstellen
gleichzeitig zur Beurteilung der Mitarbeiterleistung, indem basierend auf diesem Profil der Erfüllungsgrad der gestellten Anforderungen evaluiert werden kann. Insbesondere die Profile für Stiftungsräte resp. die Geschäftsführung sind sorgfältig zu erstellen. Dieser Personenkreis prägt massgeblich die Geschicke einer Stiftung.
Prinzipiell enthält das Stiftungsrecht im Gegensatz zum Aktienrecht keine ausdrücklichen Pflichten der Mitglieder der Stiftungsorgane gegenüber der Stiftung. Gemäss
Sprecher und von Salis-Lütolf (1999, S. 129 ff.) lassen sich jedoch gewisse Pflichten
aus dem Vertrag zwischen der Stiftung und den Mitgliedern eines Organs, der Stif-
Rechtspflichten der
Stiftungsorgane
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
438
tungsurkunde resp. den Stiftungsreglementen, dem zwingenden objektiven Stiftungsrecht gemäss ZGB 84 Abs.2 und dem Gewohnheitsrecht ableiten.
Die wichtigste Funktion (im Sinne eines Bündels von Pflichten) eines Stiftungsrates
ist die Aufsicht über die Stiftungsaktivitäten. In zahlreichen Stiftungen ist der Stiftungsrat neben den Festlegungen der Stiftungspolitik und -strategie eine wichtige
Quelle des Sachverstands bei der Lancierung von Themen und der Beurteilung von
Projekten.
Um die erwähnten Pflichten und Funktion eines Stiftungsrats konstruktiv umzusetzen, beschreibt Nason (1989) zehn wichtige Qualifikationen, die ein Stiftungsrat erfüllen sollte - diese werden im weiteren Verlauf des Kapitels ausführlich beschrieben:
1. Interesse und Besorgtheit an der Stiftung und ihrem Grundanliegen
2. Inhaltliches Verständnis über und Zugang zum Wirkungsfeld
3. Spezifische Kenntnisse in einem oder mehreren Feldern des "Managements",
z. B. Finanzanlagen, Rechnungslegung oder rechtliche Fragestellungen
4. Teamfähigkeit
5. Objektivität und Unparteilichkeit
6. Bereitschaft persönliche Ressourcen (z. B. Zeit) zu investieren
7. Fähigkeit zur Problemerkennung, zur Diskussions- und Kompromissbereitschaft
8. Bereitschaft, die Interessen der Stiftung über die persönlichen zu stellen
9. Bereitschaft den Stiftungssektor weiterzuentwickeln
10. Persönliche Neigung für Philanthropie
Insbesondere ein Bezug zum Wirkungsfeld einer Stiftung oder zumindest die Bereitschaft, sich Wissen darüber anzueignen, sollte gegeben sein, wie ein Geschäftsführer
eindrücklich formuliert:
"Wichtig ist, dass sich der Stiftungsrat erneuert. Eine Stiftung, die sich beispielsweise um Jugendliche kümmert, kann nicht nur Stiftungsratsmitglieder
haben, die grösstenteils über 60 Jahre alt sind. Wir können nicht nur über
Qualifikationen
von
Stiftungsräten
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
439
Enkelkinder reden, sondern man muss auch nahe dran sein. Wenn das Ziel
Altersforschung ist, wäre das in Ordnung. Ich denke ein gutes Gemisch aus
‚Weisheit und jugendliche Dynamik’ wäre ideal." (P29)
In einem Stiftungsrat sollten idealerweise unterschiedliche Fähigkeiten abgebildet
sein. Nicht jedes Stiftungsratsmitglied kann in jedem Wirkungsfeld ein Experte sein.
Allerdings werden ein ausreichendes Niveau der Kenntnis und Einsicht in die entsprechenden Themenzusammenhänge vorausgesetzt, um eine kompetente Selektion
der Projektanträge oder Aufsicht über die Stiftungsaktivitäten zu gewährleisten. Die
im Folgenden zitierte Stiftung hat alle benötigten Fähigkeiten im Stiftungsrat abgebildet, ist sich allerdings auch der Limitationen bewusst:
"Die Besonderheit ist, dass in unserer Stiftung nur Leute sind, die aus dem
Forschungs- und Wissenschaftsbetrieb selber kommen. Das hat natürlich
Vor- und Nachteile. Leute, die bei uns einen Antrag einreichen, wissen, dass
wir etwas von der Bildungs- und Forschungslandschaft verstehen. Die wissen
auch, dass wir ein fachliches Netzwerk haben. Das ist nicht immer der Fall
bei Stiftungen der Bildungsförderung. Im Stiftungsrat sind alles Leute, die in
diesem System eine gewisse Verantwortung gehabt haben oder immer noch
haben. Das ist der grosse Vorteil, sie kennen sich aus. Der Nachteil sind natürlich die Verflechtungen oder die Interessenskollisionen, die wir ständig
haben." (P5)
Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Stiftungsaktivitäten sollten der Stiftungsrat oder zumindest einzelne Mitglieder - Kenntnisse über Finanzanlagen, Rechnungslegung, rechtliche Fragestellungen, Projektmanagement oder Kommunikationsmanagement besitzen. Ein Stiftungsexperte streicht nochmals die Notwendigkeit eines guten Fähigkeiten-Mixes im Stiftungsrat heraus:
"Das Wichtigste ist die Zusammensetzung des Stiftungsrates. Wichtig ist, wer
im Stiftungsrat ist, ob das Leute sind, die auch bereit sind für ein aktives Engagement und dieses mit der Zwecksetzung übereinstimmt. Sind es mehr Verwalter-Persönlichkeiten oder sind es eher proaktive Leute. Es muss ein guter
Mix im Stiftungsrat sein. Man muss immer Leute mit Visionen haben, die
auch grössere Schritte machen und dann braucht es auch ein, zwei ‚Buchhalter’ oder ‚Juristen’, die immer auf die Rahmenbedingungen aufmerksam
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
440
machen und schliesslich braucht es eine gute Führung dieses Mixes. Es gibt
viele Stifter oder Stiftungsräte, die sich intern lähmen. Die sich einfach streiten, weil sie sich nicht einig werden." (P4)
Eine Frage, die mit der Zusammenstellung des Stiftungsrates ebenfalls auftaucht, ist
die Grösse des Stiftungsrates. Die Anzahl bestimmt sich durch das notwendige
Spektrum an Fähigkeiten, Interessen und Perspektiven, die zur erfolgreichen
Missionsumsetzung benötigt werden. Als Orientierungsgrösse gilt eine Grösse von
fünf bis maximal neun Mitgliedern. Ein zu grosser Stiftungsrat hat den Nachteil, dass
es
schwierig
wird,
einen
"gemeinsamen
Nenner"
hinsichtlich
der
Missionsverwirklichung und der einzelnen Ziele zu erreichen. Auch organisatorisch
können sich Probleme ergeben bei der Terminfindung für Stiftungsratssitzungen. Bei
lokal agierenden Stiftungen in Themenbereichen mit geringerer Komplexität ist auch
eine Unterschreitung von fünf Mitgliedern möglich. Bei der Verfolgung von
thematisch sehr spezifischen Zielsetzungen, die ein hohes Mass an Fachwissen
voraussetzen, kann die Implementierung eines Fachbeirates notwendig werden. Die
Vorteile einer Trennung der Aufgaben zwischen dem Stiftungsrat und einem
Fachbeirat umschreibt ein Geschäftsführer einer grossen Stiftung folgendermassen:
"Also bei uns ist es irgendwo eine effiziente, aber an und für sich nicht unbedingt günstige Vermischung von zwei Gremien. Wir haben den Stiftungsrat
und die Geschäftsstelle. Dazwischen könnte man einen wissenschaftlichen
Beirat haben. Jetzt fällt dieser aber bei uns zusammen mit dem Stiftungsrat.
Wir haben nur fallweise Fachgutachter. Eigentlich ist der Stiftungsrat gleichzeitig wissenschaftlicher Beirat, und das gibt auch sehr oft ein Missverständnis, weil sie beide Hüte gleichzeitig anhaben. Als wissenschaftlicher Beirat
sind sie kompetent für wissenschaftliche Fragen. Aber als wissenschaftliche
Beiräte sind sie nicht unbedingt kompetent für strategische Fragen. Es ist
schwierig, den Spagat zu machen zwischen einem wissenschaftlich wertvollen
Projekt, das aber mit unserer Zielsetzung nichts zu tun hat. Wir haben einmal
angeschaut, wer in einer Sitzung die beiden komplett verschiedenen Sichtweisen vertreten kann. Das sind vielleicht etwa dreieinhalb Stiftungsräte. Für
den Rest müssen wir, wenn möglich, Instrumente anbieten, die ihnen helfen,
diese Auseinandersetzung oder diese Unterscheidung zu treffen. Ich würde
auf jeden Fall empfehlen, einen fachlichen Beirat zu machen, der personell
Grösse des
Stiftungsrates
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
441
nicht identisch mit dem Stiftungsrat ist. Da geht es wirklich um Entscheidungsebenen. Da geht es einerseits um Fachkompetenz und andererseits um
strategische Kompetenz. Und je besser man beides auseinander hält, desto
mehr Ordnung hat man, desto besser kann man auch führen." (P5)
Oftmals sieht es der Stifter vor, dass dauerhaft eine gewisse Anzahl Familienmitglieder in der Stiftung vertreten sein muss. Daneben werden auch gerne Vertrauensleute
wie enge Freunde, der persönliche Anwalt oder der Vermögensverwalter in den Stiftungsrat geholt. Diese Konstitution des Stiftungsrates gewährleistet v. a. in der Anfangszeit einer Stiftung eine breite Verankerung und unverfälschte Interpretation des
Stifterwillens und vermindert so die Gefahr einer Abweichung der ursprünglichen
Stifteridee (Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S. 228). Gleichzeitig besteht allerdings mit
der Einbeziehung solcher Vertrauensleute die Gefahr eines mangelnden kritisch-konstruktiven Diskurses, weil die Ideen und Vorschläge des Stifters oftmals aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses des Stifterumfeldes nicht genügend hinterfragt werden. Ein Stifter umschreibt die Problematik folgendermassen:
"Man nimmt seine Freunde in die Stiftung und hat zusammen schöne Stunden.
Dies kann aber zu einer gewissen Willkür führen, z. B. bei der Verwaltung
der Mittel oder der Revision der Rechnung durch Freunde. Es führt auch immer wieder zu Katastrophen. Wenn Sie eine gemeinnützige Stiftung nur mit
Ihrem Herz führen, ist das eine Katastrophe. Sie muss straff und zielorientiert
geführt sein." (P27)
Bei der Zusammensetzung des Stiftungsrates muss entschieden werden, ob neben
dem Stifter und seinen Angehörigen - wenn diese überhaupt in den Organen vertreten
sein sollen - weitere Persönlichkeiten für diese Ämter berücksichtig werden sollen.
Die Organe dürfen nicht wegen einer Person, sondern müssen auf der Grundlage der
benötigten Fähigkeiten besetzt werden. Dazu nimmt ein Stiftungsratspräsident einer
mittelgrossen Stiftung Stellung:
"Bis jetzt sind alle Mitglieder des Stiftungsrates aufgrund einer persönlichen
Beziehung mit dem Stifterehepaar in diesen Stiftungsrat gekommen. Sie
stammen noch aus dem Umfeld der Berater - wie ich auch - und Angestellten
aus der damaligen Firma des Stifters. Das wird sich jetzt erstmals ändern,
weil gelegentlich ein älteres Mitglied aus dem Stiftungsrat zurücktritt und
Familienmitglieder und
Vertrauensleute als
Stiftungsräte
442
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
sich die Frage einer Nachwahl stellt. Dieses Thema haben wir jetzt zum ersten Mal angesprochen und als nächstes werden wir im Rahmen des Stiftungsrates ein Profil für die neuen Stiftungsratsmitglieder entwickeln müssen. Es
gibt dafür noch kein Konzept, aber wir haben erkannt, dass dies eine wichtige
Aufgabe ist, die wir jetzt angehen müssen. Wir haben noch zwei Jahre Zeit,
bis vermutlich zum ersten Mal dieser Kreis derjenigen, die eine persönliche
Beziehung zum Stifterehepaar haben, überschritten werden wird. Das wird
dann möglicherweise auch die Stiftungstätigkeit längerfristig prägen und
verändern. Die Stiftung löst sich dann von der Person des Stifters immer
mehr - und ein bisschen ist das auch gewollt, weil eben der Stiftungszweck
nicht auf eine spezielle Liebhaberei des Stiftungsehepaars ausgerichtet ist,
sondern bewusst sich von denen abstrahiert." (P3)
Die kriterienbasierte Suche nach geeigneten Stiftungsräten ist eine zentrale Herausforderung des Stiftungsmanagements. Neben der Identifikation von Persönlichkeiten
Kriterienbasierte Suche
mit den geforderten Qualifikationen müssen Kandidaten auch gewillt sein, genügend
Ressourcen in ihre Stiftungsratsfunktion zu investieren.
Zahlreiche kleinere Stiftungen beschäftigen neben den Stiftungsräten kein weiteres
Personal, um die Stiftungsarbeit zu erledigen. Es kann in gewissen Stiftungskonstellationen hilfreich sein, die Stiftungsratsmitglieder aktiv in die Projektarbeit einzubeziehen (Kennedy et al. 1998). Die häufigste Ursache für aktive Projektmitarbeit des
Stiftungsrates sind allerdings die knappen finanziellen Mittel.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob für die Erledigung der Stiftungsarbeit Teiloder Vollzeitangestellte notwendig sind. Dies bestimmt zu einem grossen Teil die
Höhe der Administrativkosten (Æ Kap. 11.1 Finanzmanagement, S. 384). Stiftungen,
die sich für zusätzliche Mitarbeiter ausserhalb des Stiftungsrates entscheiden, versuchen, ihre Ressourcen besser managen zu können und ihre Wirkung dadurch überproportional zu erhöhen. Die Entscheidung bezüglich Teil- resp. Vollzeitangestellten ist
einerseits vom vorhandenen Stiftungskapital und andererseits von den Entscheidungen der Æ Stiftungspolitik und Æ -strategie (Kap. 9, S. 226) in Bezug auf die
Ausgestaltung der Stiftungstätigkeit abhängig. Selbstverständlich lässt sich die Vergabe von Fördermitteln an Antragssteller ohne angestelltes Personal bewerkstelligen,
für das Ausfüllen eines Schecks reichen die ehrenamtlichen Stiftungsräte aus. Sollen
Teil-/
Vollzeitangestellte
FE-C Grundkategorie 4: Die Supportprozesse
443
Anträge jedoch wirklich gut geprüft werden und erfordert dies auch umfangreiche
Kenntnisse, so ist zu überlegen, inwieweit zusätzliche Mitarbeiter hilfreich sind
(Kennedy et al. 1998).
Während der Interviews im Rahmen des Forschungsprojekts Foundation Excellence
wurde von den Stiftungsvertretern oft die Frage aufgeworfen, ab wann der Einsatz ei-
Vollamtlicher
Geschäftsführer
nes hauptamtlichen Stiftungsmitarbeiters in Erwägung gezogen werden kann. Hierfür
gibt es keine eindeutige Antwort (Æ Kap. 9.1 Stiftungspolitik, S. 228). Vergibt z. B.
eine Stiftung nur wenige grosse und regelmässige Zuwendungen an Institutionen, so
kann dies höchstwahrscheinlich vom Stiftungsrat selbst vollzogen werden. Als
grundlegende Regel kann davon ausgegangen werden, dass sich ein vollamtlicher
Geschäftsführer unter einem vorhandenen Stiftungskapital von CHF 25 Mio. - und
somit einem potentiellen jährlichen Ausschüttungsvolumen von etwas über CHF 1
Mio. - kaum rechtfertigen lässt. Auch hier könnte wieder die Möglichkeit einer
Kooperation mit einer anderen Stiftung in Betracht gezogen werden.
Ob ein Geschäftsführer angestellt wird, ist - wie oben aufgezeigt - eine der zentralen
Entscheidungen für eine Stiftung. Prägnant wird es im folgenden Zitat formuliert:
"Ich glaube aus meiner Erfahrung in dieser Stiftung, die grösste Herausforderung als Stiftungsrat ist, das richtige Management auszuwählen, es ist ein
eigentlicher Executive Search Job." (P15)
En