Blick ins Buch
Transcription
Blick ins Buch
Friedrich-Wilhelm Tuttlies Die DDR -Finanzen und was aus ihnen wurde ZWISCHEN PLANUND MARKTWIRTSCHAFT Das Neue Berlin INHALT Einleitung 11 1. GAB ES IN DER DDR ZWANGSKREDITE? 14 Thesen zur angeblichen Zwangskreditierung War der Kreditbedarf der volkseigenen Wirtschaft eine Folge von Gewinnabschöpfungen? War die Nettogewinnabführung ein Instrument der Zwangskreditierung? Der Fiskus verlagerte die Wohnungsbaufinanzierung auf das Kreditsystem Das zentralisierte Planungssystem der DDR und seine Auswüchse Kreditentscheidungen im Entwurfs- und Beschlussverfahren Markt und Plan im Kreditsystem nach den gescheiterten Reformen Flexible Handhabung der im Plan enthaltenen Kredite Zusätzliche Kredite zur Rationalisierung Kredite in fremden Währungen Kredite in konvertierbaren Währungen Autobiografischer Exkurs in die Deutsche Notenbank ab 1955 Schematische Darstellung des Bankensystems der DDR per 31. 12. 1989 19 23 26 31 33 36 44 48 50 52 54 59 61 Die Fachabteilungen des Zentralkomitees als »Oberregierung« der DDR Wie vertrug sich die Geschäftsbankfunktion mit den Kontrollaufgaben der Staatsbank? Die Vor-Ort-Finanzierung eines großen Investitionsprojekts durch die Sonderbankfiliale Schwedt Zusammenfassung zum ersten Kapitel 2. WIE VERSCHULDET WAR DIE DDR ODER WAR SIE SOGAR PLEITE? War der Staat bei der Staatsbank verschuldet? Wurden Defizite im Staatshaushalt durch Abgaben der VEW kaschiert? Zur Rolle der Nettogewinnabführung bei einer Defizitverschleierung Wurden Defizite durch die Verlagerung von Haushaltsfinanzierungen auf das Kreditsystem verschleiert? Hat der Staatshaushalt Schulden bei der Bevölkerung gemacht? Zur Höhe und Bewertung der verschleierten Defizite Staatsschulden kaschieren oder transparent machen? Gibt es eine Analogie der Staatsschuldenkrise in der Eurozone zur finalen Lage der DDR ? War die DDR außenwirtschaftlich pleite? Die Verwirrung über die Zahlenbasis der (geheim gehaltenen) DDR -Verschuldung Die vier Segmente der DDR -Zahlungsbilanz inklusive KoKo 63 66 69 70 75 78 80 81 85 87 89 91 94 95 96 97 Verschiedene Zahlenwerke zur DDR -Verschuldung ab 1990: BMF , Bundesbank, Schürer-Bericht, Norbert Schindler Die mit Antritt Honeckers in Schwung gebrachte Schuldenspirale Fazit: Die DDR war nicht zahlungsunfähig Exkurs: Die Deutsche Handelsbank AG (DHB ) als KoKo-Hausbank Die Rolle von Schalcks KoKo Der von Strauß und Schalck verhandelte Milliardenkredit – Fazit zur DDR -Verschuldung Konföderation BRD /DDR – Ausweg aus dem Dilemma? 3. WURDE DIE DDR-WIRTSCHAFT DURCH DIE WÄHRUNGSUNION RUINIERT? Die gesamtdeutsche Diskussion einer Konföderation war im Februar 1990 bereits obsolet Diskussionen über den Umtauschkurs zur Währungsunion 1990 Offizielle, interne und realistische Wechselkurse – der sogenannte »Richtungskoeffizient« Welche Folgen konnte ein realitätsferner Wechselkurs damals überhaupt haben? Debatten über die Umstellungskurse der Flussgrößen (Löhne, Renten, Tarife) Die tatsächlichen Gründe für die Deindustrialisierung Ostdeutschlands Der DDR -Wirtschaft brechen die Märkte weg 98 101 103 104 106 109 110 115 117 120 122 127 128 131 133 Marktverlust und Strukturschwäche waren die Hauptgründe der ostdeutschen Deindustrialisierung Entgegnung auf Richard Schröders Skizze der DDR -Planwirtschaft Privatisierung und Ausverkauf einer vorsätzlich diskreditierten Wirtschaft Wie privatisiert man anonymes Volkseigentum unbekannten Werts? Erste Aufgabe der Treuhandanstalt im Zuge der Privatisierung: Liquiditätskredite Mythen zur angeblich fehlenden Liquidität der DDR -Betriebe im Sommer 1990 Direktive an Rohwedder: (Schnelle) Privatisierung ist die beste Sanierung! Zweierlei Scheitern von Privatisierung am Beispiel Wittenberge Problem der Kaufpreisfindung: Substanz-, Ertrags- und Opportunitätswert Treuhandpraxis bei der Kaufpreisfindung am Beispiel der kriminell verlaufenen Privatisierung des VEB Wärmeanlagenbau Berlin (WBB ) Textima-Export/Import GmbH – ein Beispiel für erfolgreiche Privatisierung Die tatsächliche Höhe der verbliebenen Treuhand-Schulden 135 136 142 144 149 154 159 160 163 165 168 170 4. WAR DIE TRANSFORMATION DES BANKWESENS DER DDR IN DIE MARKTWIRTSCHAFT EIN CHAOTISCHES ABENTEUER ODER EINE GEORDNETE ÜBERLEITUNG? Transformation der Staatsbank: Gründung und Namensfindung der Deutschen Kreditbank (DKB ) Anlaufphase der DKB : Erste informelle Kontakte mit der Deutschen Bank; Richtigstellung vielfältiger Mythenbildung Erster Joint-Venture-Partner der DKB : die Deutsche Bank – Mythen und Korrekturen Zweites Joint Venture der DKB mit der Dresdner Bank Reprise und Fazit zum Joint Venture DKB – Deutsche Bank Übernahme des Berliner Stadtkontors durch die Berliner Bank AG Resümee zur Transformation des gesamten Bankensektors der DDR Weiterer Verlauf der DKB -Geschichte ab der Währungsunion Mein persönlicher Werdegang bis 1995 Die Entwicklung der DKB von einer »Abwicklungsbank« der Treuhand zur erfolgreichen »fokussierten« Universalbank 175 178 181 188 198 201 205 206 209 216 217 Über den Autor 221 Literaturverzeichnis 223 Über den Autor Nach dem Abitur absolvierte Friedrich-Wilhelm Tuttlies die Lehre zum Bankkaufmann bei der Landeskreditbank Brandenburg, Filiale Wittenberge, und arbeitete ab 1950 als Kreditsachbearbeiter. 1952 wurde er stellvertretender Direktor der Filiale Wittenberge der Deutschen Notenbank. Ab 1955 war er Hauptreferent und ab 1964 Referatsleiter in den Bereichen Grundsätze sowie Industriefinanzierung in der Zentrale der Deutschen Notenbank in Berlin. In den Jahren 1969–72 war er Leiter der Grundsatzabteilung der aus der Staatsbank ausgegründeten Industrie- und Handelsbank der DDR . Nach deren Rückfusionierung auf die Staatsbank wurde er 1973 Leiter der Abteilung Leicht-, Lebensmittel-, Glas- und Keramikindustrie sowie die bezirksgeleitete Industrie und blieb dies bis in die Wendezeit. 1989/90 war er Mitbegründer und Mitglied des Gründungsvorstandes der Deutschen Kreditbank AG (DKB ) bis zum November 1990. In dieser Funktion gestaltete er die Joint Ventures der DKB mit der Deutschen Bank und der Dresdner Bank mit aus. In der Deutschen Bank übte er anschließend die Funktion als Direktor im Firmenkundengeschäft noch bis 1991 aus. Von 1992 an arbeitete er schließlich bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben zum Jahresende 1995 als Abteilungsdirektor im Firmenkundengeschäft der Dresdner Bank Berlin. Zu seinen Qualifikationen zählt F.-W. Tuttlies die Abschlüsse als Finanzwirtschaftler (1956) und Diplomwirtschaftler (1961) sowie die Promotion als Wirtschaftswissenschaftler (Dr. rer. oec., 1967), außerdem die Funktionen als Mitglied in diversen wissenschaftlichen Forschungsge221 meinschaften und als berufenes Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für sozialistische Betriebswirtschaft bei der Akademie der Wissenschaften der DDR . Mit dem vorliegenden Buch will der Autor seinen Beitrag als Zeitzeuge zu einer objektiven und differenzierten Wertung der Rolle der Staatsbank, der Geld- und Kreditpolitik im Wirtschafts- und Finanzsystem der DDR sowie dessen Transformation in die Marktwirtschaft leisten. 222 2. WIE VERSCHULDET WAR DIE DDR ODER WAR SIE SOGAR PLEITE? Kanzleramtsminister Horst Teltschik soll vor Pressevertretern am 9. Februar 1990 erklärt haben, was die Bundesregierung befürchtete: »Zweitens den drohenden wirtschaftlichen Kollaps; es zeichne sich ab, dass die DDR in wenigen Tagen völlig zahlungsunfähig sei und erhebliche Stabilitätshilfen benötigen werde.«1 Am Runden Tisch soll am 12. Februar 1990 die bevorstehende Reise des Ministerpräsidenten Modrow nach Bonn erörtert worden sein. Das liest sich bei Laabs so: »Der Runde Tisch will ihm Leitlinien an die Hand geben. Auf keinen Fall soll er kapitulieren. Doch Modrow muss die Regierung Kohl um viel Geld bitten, da die finanzielle Lage der DDR bedrohlich ist. […] Und für die laufenden Gehälter ist auch kein Geld mehr da. 15 Milliarden D-Mark hätte der Runde Tisch gern von der Bundesregierung« (Laabs, S. 34). Schon seit Mitte der achtziger Jahre hieß es immer wieder, dass die DDR vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stünde und bis heute wird sie als verschuldet, hoch verschuldet oder überschuldet charakterisiert. Dass sich das wirtschaftliche Wachstum in der DDR in den Achtzigern verlangsamte, die Effizienz der Volkswirtschaft rückläufig war, die Innovations- und Investitionskraft schrumpfte und dass es hohe Schulden in konvertierbaren Währungen gab, bedarf sicherlich keiner neueren Analyse. Die Beantwortung der Fragen aber ob sie mittel- oder langfristig aus eigener Kraft – gegebenenfalls mit tief greifenden wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Reformen – hätte überleben können, wie hoch sie verschuldet oder ob sie sogar pleite war, und welche Chancen für einen wirtschaftlichen Umschwung vor diesem Hintergrund bestanden haben, bedarf sehr wohl eines differenzierenden Rückblicks. 77 War der Staat bei der Staatsbank verschuldet? Zuerst will ich mich der Frage widmen, ob die DDR nach innen verschuldet war, ob der Staat also Schulden bei der Bank, der Wirtschaft und der Bevölkerung angehäuft hat. Weder in den Bilanzen des Kreditsystems noch in der Finanzbilanz des Staates wurden solche gegenüber der Bank bestehenden Schulden ausgewiesen – mit einer Ausnahme! Eine Forderung der Bank an den Staatshauhalt gab es schon seit 1948. Rund 4 Mrd. Mark waren damals für die Erstausstattung mit Banknoten und Münzen im Zuge der Währungsreform emittiert worden. Dafür standen dem Bankwesen keine Aktiva zur Verfügung, weil die Guthaben der geschlossenen Banken nicht auf die neuen Banken übertragen worden waren. Diese Verbindlichkeit sollte später aus Rückzahlungen auf Altkredite getilgt werden.2 Als Indiz für eine Verschuldung taugt dieser Posten aber sicherlich nicht. Der Staatshaushalt musste laut Verfassung ausgeglichen sein, d. h. er durfte weder Anleihen begeben noch Bankkredite aufnehmen. Bis zum Dezember 1989 bzw. Januar 1990 wurde dieses zum Dogma erhobene Prinzip mehr oder weniger »durchgehalten«. Nach dem Mauerfall blieben dann aber Betriebe und Kombinate zunehmend ihre an den Staatshaushalt zu zahlenden Abgaben schuldig, reduzierten ihre Kredite oder füllten ihre Buchgeldbestände auf. Damit der Staatshaushalt seinen Verpflichtungen (und das waren nicht nur die ihm obliegenden Gehaltszahlungen) nachkommen konnte, blieb nur der Weg, Schulden bei der Bank zu machen. Es wurde ein sogenannter Kassenkredit bei der Staatsbank der DDR bean78 tragt. Dieser Kredit wurde mit Zustimmung der Regierung in Höhe von 15 Mrd. Mark gewährt. Das waren die zur Endzeit der DDR offengelegten Bankschulden des Staatshaushalts, durch die dessen Liquidität gesichert wurde. Solch eine Kreditaufnahme bei der Staatsbank war bis dahin strikt tabuisiert. Ein hinreichendes Indiz für eine Überschuldung und für einen bevorstehenden Kollaps der DDR war das wohl eher nicht. Mit der Hilfszahlung in Höhe von 15 Mrd. DM, um die Modrow sich auf Vorschlag des Runden Tisches in Bonn bemühen sollte, hatte es meines Wissens eine ganz andere Bewandtnis. Für Gehaltszahlungen und andere laufende Haushaltsausgaben benötigte man zu dieser Zeit wirklich noch keine D-Mark! Dass die DDR -Regierung die 15 Mrd. DM dann in Wechselstuben zum Kurs von 1 : 5 oder wie auch immer in Mark umtauschen würde, kann man ihr wohl kaum unterstellen. Aber im Ernst: Mit einer solchen Hilfe wollte die DDR -Regierung nach meiner Erinnerung vor allem einen »Devisenfonds« bilden, der die Ausstattung der DDR -Bürger mit Reisedevisen absichern und die erlangte Reisefreiheit praktisch umsetzbar machen sollte. Ferner mussten die Verkehrsverbindungen zwischen den beiden Staaten für den boomenden Personen- und Güterverkehr erweitert und durchlässiger gestaltet werden. Auch z. B. dafür wurden D-Mark gebraucht. Auf Einnahmen aus Exporten in konvertierbaren Währungen konnte man dafür schlecht zurückgreifen. Die waren schon für die Verzinsung und Tilgung außenwirtschaftlicher Schulden und die Bezahlung weiterer volkswirtschaftlich notwendiger Importe disponiert. Bei der Bank war der Staat offensichtlich kaum verschuldet. Wenn er aber nicht überschuldet war, konnte ihm auch keine Pleite bevorstehen. 79 Wurden Defizite im Staatshaushalt durch Abgaben der VEW kaschiert? Verbargen sich aber in den Finanzen der volkseigenen Wirtschaft, einschließlich der Wohnungswirtschaft, verdeckte Haushaltsdefizite? Hatte der Staat Schulden über seine Geldbeziehungen zu den Unternehmen dort abgeladen? Die Unternehmen hatten Abgaben an den Staatshaushalt abzuführen und erhielten Zuweisungen aus dem Staatshaushalt. Die Abgaben der volkseigenen Wirtschaft bildeten die Haupteinnahmequelle des Staates. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob mit diesen Abgaben eine Verschuldung des Staatshaushalts umgangen oder verborgen wurde. Um das schlüssig und verständlich beantworten zu können, sind die Beziehungen zwischen der volkseigenen Wirtschaft und dem Staatshaushalt – die bereits im ersten Kapitel bei der Suche nach »Zwangskrediten« eine Rolle spielten – noch einmal aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Die Abgaben der volkseigenen Wirtschaft ließen sich zwar als Ursache für eine Zwangskreditierung weitgehend ausschließen, ob damit aber Haushaltsdefizite kaschiert worden sind, ob sich also die volkseigene Wirtschaft anstelle des Staatshaushalts verschulden musste, kann daraus nicht schlüssig abgeleitet werden. 80