Tagesspiegel-Titelseite 2002
Transcription
Tagesspiegel-Titelseite 2002
JOSEF JOFFE: WAS MACHT DIE WELT? - SEITE 10 DER TAGESSPIEGEL / ~!C C B1HI IN UND BRANDENBURG / 0, / j C BERLIN, MONTAG, 23. SEPTEMBER 2002 / 58. JAHRGANG / NR. 17 893 Sitze im Bundestag 307 n nn c U,yU t Aus / TSCHECHIEN40CZK/POLEN5,00PLZ/SCHWEIZI.SOCHF/SPANIHN l.osf VMRTS / DANF.MARK8DKK/ÖSTERREICH1,05e/ITAUENl,05€/UNGARN400HUF / / DIE FOTOFINISH-WAHL Stimmenanteile 297 38,6% (35,1) Zwei Sieger und zwei Sünder VON GERD APPENZELLER E Sitze gesamt: 606 Hochrechnung 24.00 Uhr, ZDF Wahlbeteiligung: 79,1 Prozent (82,2) Angaben in Klammern: Bundestagswahl 1998 Wahlkrimi bis zum Schluss Rot-Grün knapp vorn Union hat mehr Stimmen, SPD mehr Sitze / FDP hinter Grünen / Zwei PDS-Mandate Berlin. Bei einem der spannendsten Bundestagswahlabende hat es lange Zeit ein doppeltes Kopf-an-Kopf-Rennen gegeben. SPD und CDU/CSU wie auch Rot-Grün und Schwarz-Gelb lagen fast gleichauf, die Führung wechselte ständig zwischen den La- gern. Gegen Mitternacht sahen dann sowohl die Forschungsgruppe Wahlen als auch Infratest dimap eine knappe Mehrheit für Rot-Grün. Die Überhangmandate machten die SPD zur stärksten Fraktion. Der PDS bleiben nur zwei Sitze. V O N CHRISTIAN B Ö H M E SPD aus. Bundeskanzler Gerhard Schröder Nach Hochrechnungen der For- gab sich früh zuversichtlich: „Wir haben eine schungsgruppe Wahlen wird die SPD gute Aussicht, unsere Politik fortzusetzen. wegen der Überhangmandate stärkste Mehrheit ist Mehrheit, und wenn wir sie haFraktion, auch wenn die Union auf 38,6 Pro- ben, werden wir sie auch nutzen." DieToleriezent der Stimmen kam und die Sozialdemo- rung einer SPD-geführten Regierung durch kraten nur auf 38,4. Die Grünen erreichten die PDS schloss er nochmals aus. Die Stim8,5 Prozent, die FDP 7,4, Die PDS schaffte zwei menverluste der SPD nannte Schröder allerDirektmandate, beide in Berlin. Zu fast glei- dings „schmerzlich". Kulturstaatsminister Juchen Werten kam Infratest dimap. lian Nida-Rümelin führte im Gespräch mit Die Forschungsgruppe Wahlen rech- dem Tagesspiegel den Erfolg von Rot-Grün net mit 606 Abgeordneten im neuen Parlament Davon könnten 307 Sitze • Grüner Sieg, liberales Chaos 2 auf Rot-Grün entfallen, das wären • Der halbierte Sieg 3 drei über der „Kanzlermehrheit". • Das Debakel der PDS ohne Gysi 4 Schwarz-Gelb kam nach dieser Hochrechnung auf 297 Sitze. Während die • Was Deutschland erwartet 6 Forschungsgruppe fünf Überhangmandate • Wie Berlin gewählt hat 11 für die SPD voraussah, rechnete Infratest dimap mit einem Überhangmandat für die Union und zweien für die SPD, aber auch mit auf die von der Regierung eingeleitete „Kurseinem knappen Vorsprung für SPD und korrektur" zurück. Der Spitzenkandidat der Grüne. Erstmals in der Parteigeschichte er- Grünen, Joschka Fischer, lobte die Geschlosrangein Grüner ein Direktmandat: der Berli- senheit seiner Partei: „Wir haben unserWahlner Hans-Christian Ströbele. CDU-Chefin An- ziel acht Prozent plus x erreicht. Wir wollen gela Merkel verteidigte ihren Wahlkreis. Sie aber auch die Regierungskoalition mit einer wird auch für den Fraktionsvorsitz der stärkeren grünen Partei fortsetzen können." Union antreten. Nach Tagesspiegel-InformaPDS-Fraktionschef Roland Claus gab eine tionen sind bereits dazu Absprachen getrof- Niederlage zu. Die Partei erlitt gerade im Osfen. Im Präsidium soll Merkel heute vorge- ten Verluste. Der PDS-Politiker Gregor Gysi schlagen werden. Die Wahlbeteiligung war sagte dem Tagesspiegel, die Partei befinde mit 79,1 Prozent geringer als 1998(82,2). sich in einer ihrer größten Krisen. Er fügte Unionskandidat Edmund Stoiber sagte aber hinzu: „Wir haben uns nach Krisen imkurz nach Schließung der Wahllokale: „Eines mer wieder selbst aus dem Sumpf gezogen." steht fest: Wir haben die Wahl gewonnen." FDP-Chef Guido Westerwelle gestand eine Stoiber schloss eine große Koalition mit der klare Niederlage seiner Partei ein: „Wir ha- I Rot-Rot siegt in Schwerin HEUTE REGEN, 14 GRAD Trübes Wetter mit Niederschlägen sagen die Meteorologen für Montag voraus. Höchstwert: 14 Grad. WELTSPIEGEL, SEITE 36 @ www.tagesspiegel.de www.tagesspiegel.de/finanzen POLITISCHE LITERATUR MEINUNG BERLIN WIRTSCHAFT SPORT KULTUR TAGESTIPPS/KINO MEDIEN/TV-PROGRAMM 11 19 26 29 9 10 BIS 18 BIS 22 BIS 28 BIS 31 34 35 Fotos: HCP/AP Verlag Der Tagesspiegel GmbH • Postanschrift: 10876 Berlin • Hausonsthrifl: Berlin-Mitte, Potsdamer Straße 77 bis 87. Telefon Redaktion und Verlag (030) 2 6009-0 • Anzeigenservice (030) 260 09-700, Fox (030) 2 60 09-777; Abonnentenservice (030) 2 60 09-500 • Semmel-Telefax (030) 2 60 09-332 Bündnis trotz starker PDS-Verluste bestätigt / FDP muss zittern Berlin/Schwerin (m.m.). Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern haben SPD und PDS ihre Mehrheit verteidigt. Einer ZDF-Hochrechnung zufolge kam die SPD auf 39,9 Prozent und schnitt damit sogar klar besser ab als bei der Landtagswahl vor vier Jahren, als sie mit 34,3 Prozent zur stärksten Partei gewählt worden war. Die PDS erlitt herbe Verluste und kam auf 16,2 Prozent, 1998 hatte sie noch bei 24,4 Prozent gelegen. Nach Wahlanalysen verlor die PDS vor allem an die SPD. Die CDU erhielt 32,1 Prozent der Stimmen - ein Zugewinn von zwei Sitzverteilung Prozent. Für die FDP, die 1998 nur 1,6 Prozent bekommen hatte, wurde der Abend zur Zitterpartie - sie scheiterte laut Hochrechnung mit 4,9 Prozent nur äußerst knapp. Grüne und Schill-Partei nahmen die Fünf-Prozent-Hürde nicht. Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) sagte, er wolle die 1998 gebildete erste rot-rote Landesregierung fortführen. Sondierungsgespräche mit der CDU würden demnach „wahrscheinlich überflüssig". • SEITE 5 UND MEINUNGSSEITE Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern Stimmenanteile 39,9% (34,3) 32,1 (30,2! übrige 194256 0 00757 Angaben in Klammern: Landtagswahl 1998 Hochrechnung 22.12 Uhr, ZDF Tsp / Kroupa ben nicht nur mehr erwartet, wir sind auch unter unseren Möglichkeiten geblieben." Zum Streit um den FDP-Vize Jürgen Möllemann sagte er, „das geht nicht, dass man so hintergangen wird". Möllemann hatte kurz vor der Wahl in einem Flugblatt Israels Politik und den Vizepräsiden- ^ ten des Zentralrats der Juden, Michel \ Friedman, attackiert. In seinem * Wahlkreis verdoppelte Mölle£ * ^ mann seinen Stimmenanteil. # / * "^ Das FDP-Parteipräsidium hatte \ Möllemann am Sonntag einstim> mig dazu aufgefordert, von seinem \ Amt als Vizechef der Liberalen zurückzutreten. Möllemann selbst sagte am Abend: „Dies ist die bitterste Stunde meiner Mitgliedschaft in der FDP." Er wies aber die Rücktrittsforderung vorerst zurück. Die FDP plant nach Tagesspiegel-Informationen zwei Sonderparteitage, den ersten zur Abwahl Möllemanns als FDP-Vize schon am kommenden Sonntag. Der zweite Parteitag wird sich noch 2002 mit der Ausrichtung und den Perspektiven der FDP beschäftigen. Nach Einschätzungen der Meinungsforschungsinstitute haben sowohl Möllemann als auch die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin mit ihren Affären ihre Parteien Stimmen gekostet. Schröder betonte aber am Sonntag, es gelte weiterhin die Unschuldsvermutung für seine Ministerin, die US-Präsident George Bush mit Hitler verglichen haben soll. Die Justizministerin verlor im Wahlkreis Tübingen ihr Direktmandat für den Bundestag. Rumsfeld lehnt Israel stoppt Abriss Treffen mit Struck ab von Arafats Büros Washington verschärft vor Nato-Treffen Ton gegenüber Berlin Nach Druck aus den USA zieht die Armee die Bulldozer zurück Berlin/Washington (AP). Nach dem angeblichen Bush-Hitler-Vergleich von Justizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD) sind die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt angekommen. Die USA verschärften am Wochenende den Ton gegenüber Berlin. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld lehnte ein Treffen mit seinem deutschen Kollegen Peter Struck (SPD) ab. Er sagte dem Sender CNN auf die Frage, ob er Struck beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister am Dienstag in Warschau sprechen wolle: „Ich habe sicherlich keine Pläne, mich mit dieser Person zu treffen." Auch Schröder legte nach: Er warnte davor, die UN-Forderungen an den Irak auszuweiten. Es solle jetzt kein „Draufsatteln" geben, der Nahe Osten brauche „viel neuen Frieden, aber keinen neuen Krieg". Die USA streben eine neue UN-Resolution an, die die Androhung militärischer Gewalt gegen Bagdad beinhalten soll. Ramallah/Washington (dpa). Auf massives Drängen der US-Regierung hat Israel am Sonntag die systematische Zerstörung des Amtssitzes von Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Ramallah vorläufig gestoppt. Die Bulldozer der Armee zogen sich am Abend aus der unmittelbaren Umgebung des Amtssitzes Arafats zurück, den israelische Pioniere zuvor noch Stück für Stück eingerissen hatten. Außenminister Schimon Peres versicherte im US-Nachrichtensender CNN, Israel werde weder Arafats Leben gefährden, noch dringe es auf seine Ausweisung. Man werde außerdem die angerichteten Schäden reparieren. Führende Politiker der rechtsgerichteten Regierung Ariel Scharons hatten zuvor den Eindruck erweckt, Israel wolle den 73-jährigen Arafat durch die Zerstörung seines Amtssitzes derart unter Druck setzen, dass er von sich aus ins Exil gehen werde. Dann jedoch intervenierte der US-Botschafter in Tel Aviv bei Scharons Regierung. • SEITE 8 • SEITE 8 s sieht ganz so aus, als hätten zwei Politiker diese Bundestagswahl zur dramatischsten Wahlentscheidung gemacht, die Deutschland je gesehen hat. Aber es waren weder Gerhard Schröder noch Edmund Stoiber, die die Trendwende ausgelöst haben, sondern Gestalten der zweiten Reihe: Herta Däubler-Gmelin und Jürgen W. Möllemann. Der Liberale aus Nordrhein-Westfalen hat, allerdings nicht in NRW, seiner Partei durch einen subtil anti-israelischen, antijüdischen Wahlprospekt Wähler verjagt, die diese Diffamierung abstoßend fanden. Frau Däubler-Gmelin empörte mit einer grob-ungehörigen, anti-amerikanischen Sottise potenzielle SPD-Wähler, die zwar einen Krieg wegen des Iraks ablehnen, von der Bedeutung des transatlantischen Bündnisses aber sehr wohl wissen. Wären nicht die davon unbeeinflussten, 20 Prozent Briefwahlstimmen gewesen - im Willy-Brandt-Haus wären um 20 Uhr die Lichter ausgegangen. Die Entscheidung war eine Entscheidung zwischen Gefühl und Verstand. Der Kopf sagte: Schwarz-Gelb muss eine Chance bekommen, Rot-Grün hat ihre nicht genutzt. Und der Bauch sagt: Bei Schröder fühlen wir uns wohler als bei Stoiber, er ist einer von uns. Schröder ist die beeindruckendere Führungspersönlichkeit als Stoiber. Wo jener Patriarchat ausstrahlt, Distanz und Aktenlage, vermittelt dieser zupackende Energie und pralle Lebenskraft. Die meisten Menschen wünschten sich vermutlich eher eine Vaterfigur wie Schröder. Stoiber, das ist der Typus des Vorgesetzten. Die Entscheidung für den Mann an der Spitze war also eine Gefühlsentscheidung. Aber in den letzten Wochen vor der Wahl verlagerte sich auch die Themendebatte von der rationalen (Arbeit, Steuern, Soziales, Gesundheit) auf die emotionale Ebene - Irak, Hochwasser, TV-Duelle. Vor allem Irak. Kein Krieg, das überzeugte bis weit ins Unionslager hinein. Und natürlich gibt es ein anti-amerikanisches, ein anti-israelisches Reservoir an Wählerstimmen, das man mit den entsprechenden Parolen mobilisieren kann. Aber die Diskussion bekam eine Eigendynamik, die den Deutschen unheimlich wurde. So hatten sie sich das mit dem „deutschen Weg" offensichtlich nicht vorgestellt. Sie ahnten: Wenn Helmut Kohl, in den Jahren zwischen 1982 und 1989 mit unserem wichtigsten Verbündeten so umgegangen wäre wie Schröder jetzt mit den USA, hätte es das schnelle Einverständnis zu einer deutschen Wiedervereinigung nicht gegeben. Deutschland ist wieder ein großes Land, ja. Aber ein Land der großen Sprüche darf es nicht werden, das begreifen die Menschen. Möllemann schädigte das Bild der FDP, das freilich ohnehin lange schillernd war. Däubler-Gmelin traf den Ruf der SPD mit ihrem Bush-Hitler-Vergleich ins Mark. Außenpolitik entscheidet keine Wahlen? Seit gestern wissen wir es anders. Schröder hatte seine Partei und sich mit dem Friedensthema noch einmal aus dem Umfrageloch hocharbeiten können. Eine geschwätzige Ministerin hat in den letzten Stunden fast alles zerstört. Ähnlich geht es Stoiber: Seine Mehrheit zerbröselte wegen Möllemann. Wenn so vieles unsicher wird, sucht der Wähler Gewissheiten. In der Außen- und Sicherheitspolitik fand er sie bei den Grünen, bei Joschka Fischer. Die Union, mit Stoiber, signalisierte Zuverlässigkeit und Geschlossenheit und gewann deshalb klar hinzu. Noch vor Tagen dachte man, die PDS sei vielleicht Zünglein an der Waage zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb. Jetzt scheint das Kapitel PDS bundespolitisch vorläufig erst einmal abgeschlossen, das Patt durch die Überhangmandate vermieden. Rot-Grün sieht sich auf dem Weg zu einer sehr knappen Mehrheit. Darf man so regieren? Ja, Mehrheit ist Mehrheit. Aber bitte besser als beim ersten Mal. Geistige Brillanz trifft technologische Erleuchtung Neu: Der voll kompatible Multimedia-Projektor VPL-CS5 lässt Sie bei Ihrem Vortrag glänzen: • brillante Darstellung von Präsentationen • kinderleicht per Knopfdruck zu bedienen • pures Design in Leichtbauweise ...und privates Home-Entertainment! Für PC-lose Präsentationen: das XGA-Modell VPL CX5, der Memory-Stick-Projektor mit 2.000 ANSI-Lumen. Im Sony Professional Center finden Sie altes, was Ihren Geschäftsalltag leichter macht: Sony Spitzentechnologien für Präsentationen, Videokonferenzen und professionelle Videotechnik. Dazu Software, einzigartige Systemlösungen und das Know-how von Profis. Überzeugen Sie sich selbst: Im Sony Professional Center können Sie Sony Produkte in aller Ruhe testen. Denn Qualität offenbart sich im Gebrauch. Kommen Sie und lassen Sie sich beraten, wir freuen uns auf Ihren Besuch. VPL-CS5 mit SVGA-Auflösung, 2,7 kg leicht, Tageslicht tauglich (1.800 ANSI-Lumen). 2.660,- Euro (inw. Sony Professional Center Berlin (Sony Center Potsdamer-Platz. Nähe Sony Style Store) Kemperplatzi, 10785 Berlin. Telefon: 030/2575 11-33 Business Presentation Broadcast Videoconferencing www.sony-spc.de SONY Sony Professional