Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

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Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran
Omar Sharifs großes Comeback in einem kleinen Film: „Monsieur Ibrahim
und die Blumen des Koran“
Die erste Szene – der Verlust der Jungfräulichkeit. Der 15-jährige Moses opfert all seine
Ersparnisse für diese Erfahrung, er geht zu einer Prostituierten. Er kriegt nicht die, die er sich
aussucht – die schöne, exotische, schwarze –, und sein erstes Mal ist filmisch zusammen
geschnitten mit dem Aufbrechen des lange Jahre gefütterten Sparschweins, in das Momos
Vater die erste Münze hineinwarf, als Vorbild. Die Geburt der Sexualität als das Zerbrechen
der Kindheit – nichts kann sie zurückholen. Und obgleich ihn die Erinnerungen an seine
Kindheit in dieser Szene heimsuchen, bereut er seine Entscheidung nicht, und wir, als
Zuschauer, sehen neben Lust und Freude in seinen dunklen Augen auch Traurigkeit,
Sehnsucht und Einsamkeit. Eine ganz starkes Intro.
Der Film ist angesiedelt im Paris der frühen 60er Jahre, und die schönen, liebevoll gestalteten
Retrokulissen des Pigalle-Quartiers hätten im Bestsellerroman von Eric-Emmanuel Schmitt
nicht besser beschrieben werden können. Der in deutschen Kinos noch eher unbekannte
Regisseur Francois Dupeyron hat sich daran gemacht, Schmitts Roman auf die Leinwand zu
bringen, und er hat eine kleine Perle geschaffen. Was er nicht zuletzt auch seinen Darstellern
zu verdanken hat. In der Rolle des Monsieur Ibrahim brilliert keine geringerer als Omar
Sharif, der seit „Lawrence von Arabien“ und „Doktor Schiwago“ eher in Fernsehrollen zu
sehen war. Die Rolle in diesem Film, die ihm unter anderen den Publikumspreis bei den
Filmfestspielen von Venedig eingebracht hat, beschert Omar Sharif ein furioses Comeback.
Aber auch sein jüngerer Gegenpart, Pierre Boulanger, der den 15-jährigen Moses, genannt
Momo, verkörpert, verrichtet eine wirklich sehr eindrucksvolle Arbeit – es macht einfach
Spaß, den beiden zuzusehen.
„Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ ist ein Film über eine ungewöhnliche
Beziehung: Der jüdische Junge mit dem schweren Namen Moses lebt mit seinem depressiven
Vater in schwierigen sozialen Verhältnissen, und ihre Beziehung ist obwohl der physischen
Nähe eine der Distanz. Als der Vater den Geburtstag seines Sohnes vergisst, bäckt sich Momo
einfach selbst einen Kuchen. Als Gegenleistung aber, für die fehlende Zuwendung des Vaters,
verprasst Momo einen Großteil des Haushaltsgeldes, das er eigentlich für Lebensmittel
ausgeben sollte, bei den Prostituierten, die die Straßen vor seiner Wohnung bevölkern –
irgendwann kriegt er auch die schöne, exotische, schwarze, von der er so lange geträumt hat.
Dafür ist er aber gezwungen, den Lebensmittelhändler Ibrahim, den alle nur den „Araber“
nennen, zu bestehlen. Als dieser ewig lächelnde alte Mann eines Tages ganz beiläufig
erwähnt, dass er schon längst weiß, dass Momo ihn jedes Mal bestiehlt, gesteht der Junge
reumütig, dass er es lassen könne. Aber der Araber lässt das nicht zu – er gibt ihm sogar
Tipps, wie er beim Einkaufen Geld sparen könne: Den Wein des Vaters mit Wasser
verlängern, ihm Katzenfutter als Bauernpastete andrehen oder benützte Teebeutel einfach
trocknen lassen und sie dann noch einmal verwenden – er selbst gehe ja schließlich auch zu
den Prostituierten.
Als Momo eines Tages heim kommt und erfährt, dass sein Vater ihn alleine mit ein bisschen
Geld und den Nummern einiger Verwandte gelassen hat, wird noch klarer, dass das ein Film
über Vaterschaft ist. Dem Araber verschweigt er, dass sein Vater ihn hat sitzen lassen, und
Ibrahim wird für ihn zum Wunschvater, den er nie hatte. Von ihm bekommt er die
Zuwendung, die sein Vater ihm nie zu geben vermochte. Er gibt ihm Tipps, wie er das schöne
rothaarige Mädchen aus der Nachbarschaft verführen kann, er zeigt ihm das reiche Paris, in
das Momo nie einen Fuß gesetzt hätte, und er weiht den Jugendlichen in die Lehren des Koran
ein. Und, natürlich: Nach einer Weile kommt sie auch, nach vielen gescheiterten Versuchen,
die Adoption. Gegen Ende kauft sich der Araber ein Auto, mit dem Geld, das er sich
zusammengespart hat, und die beiden ungleichen Männer machen sich auf und fahren in die
Heimat des Arabers – der letzte Akt ist ein road-movie, Ende und Neubeginn, und Momo
wird irgendwann den Platz des Arabers einnehmen…
Obwohl es ein paar dramaturgische Mängel am Drehbuch gibt, lebt der Film von seiner
wunderbaren Atmosphäre – insbesondere die zeitgenössische Musik verlieht dem Film eine
Leichtfüßigkeit, die die soziale Tristesse erträglich macht – ganz im Sinne der Aussage des
Films und den Lebensweisheiten des Sufi Ibrahim: Schönheit ist überall, man muss nur lernen
sie zu sehen – mit einem Lächeln.
– „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ ist ein schöner kleiner Film über eine
ungewöhnliche Freundschaft, Väter und Söhne, und über Religion, der zu Toleranz und
Lebensfreude aufruft und trotzdem nicht belehrend sein will.