Das Gottesbild aus Menschenhand

Transcription

Das Gottesbild aus Menschenhand
titel-essay
Das Gottesbild aus
Menschenhand
Im Herzen Roms, im Herzen des Vatikans, zeigt das Jüngste Gericht von Michelangelo einen
Weltenrichter, der nicht mehr die Züge Jesu Christi trägt, sondern die des bartlosen Apoll
VON PAUL BADDE
s gibt kein aufreizenderes Dogma als
die Menschwerdung Gottes. Die Vorstellung, dass der Schöpfer des Himmels und der Erde, der Urheber aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, der Herr
des Universums, der Sonne, des Mondes
und aller Sterne auch meine Frau und
mich, die Gattung der Elefanten, die Katze
des Nachbarn und jede noch so kleine
Amöbe in die Existenz gerufen hat, dass
dieser Gott eines Tages selbst durch den
Geburtskanal ging, das ist einfach nicht
mehr zu glauben. Da treffen sich der Atheist und der Christ, wenn er ehrlich ist. Dieses Dogma sprengt jeden Verstand. Es ist
unfassbar. Dieser Glaube aber ist das Fundament der ganzen Christenheit.
Die „Epiphanie“, das Fest des Erscheinung Gottes, erinnert uns jedes Jahr am
6. Januar radikal daran. Denn Gott, als er
Mensch wurde, hat ja auch ein bestimmtes
menschliches Gesicht angenommen. Zuerst
ist er damit Maria, Joseph und den Hirten
mit ihren Tieren erschienen, als schielender
Säugling. Nach diesen Juden aus Jerusalem,
Nazareth und Bethlehem sahen ihn heidnische Sterndeuter aus dem Osten, vielleicht
dem heutigen Irak. In jenen Tagen hatte
Gott das zentrale Bilderverbot der Bibel
selbst für immer außer Kraft gesetzt. Denn
als er Mensch wurde, wurde er auch Bild.
„Wollen wir wirklich das Antlitz Gottes erkennen“, sagte Benedikt XVI. deshalb
am 7. September 2006, „haben wir nichts
anderes zu tun, als das Antlitz Jesu zu betrachten. In seinem Antlitz sehen wir wirklich, wer Gott ist und wie Gott ist!“ Jahre
E
zuvor war Jürgen Habermas, dem „religiös
unmusikalischen“ Philosophen, in seiner
Rede in der Frankfurter Paulskirche gedämmert, dass sich das Konzept der Menschenwürde im Grunde nur vom Urbild des
jüdisch-christlichen Glaubens an eine Gottesebenbildlichkeit des Menschen ableiten
ließ. Von jenen Sätzen also, wo es im Buch
der Genesis heißt: „Gott erschuf den Menschen nach seinem Ebenbild. Als Mann
und Frau erschuf er ihn.“
Den Gedanken aber, dass dieser Gott
nicht nur den Menschen nach seinem Bild
geschaffen, sondern am Schluss auch
selbst sein Gesicht den Menschen gezeigt
hat, findet Habermas offensichtlich auch
heute noch zu kühn, als dass er ihn mit allen Konsequenzen an sich heranlassen
möchte. Das menschliche Gesicht Gottes
gehört dennoch ganz wesentlich zu jener
„Bildung“ Europas, von der Hans-Georg
Gadamer kurz vor seinem Tod sagte, „dass
Bildung nicht ist, was irgendein Mensch
gemacht hat. Sondern Bildung ist wie die
Formation der Berge, die in Jena oder in
Heidelberg über die Häuser der Städte hinweg blicken.“ Eine der letzten großen Visionen Johannes Pauls II. war ein „Europa
des Menschen, über dem das Angesicht
Gottes leuchtet“. Was Europas Schönheit
ausmacht, hat sicher damit zu tun, dass
dieses Angesicht schon Jahrhunderte lang
mehr als alle Berge über die Städte Europas geblickt hat. Wie dieses Gesicht aussah, stand dabei außer Zweifel.
Das war im Westen schon sehr früh
klar, im Osten noch länger. Es war ein
Jesus Christus in der Sixtina, wie ihn Michelangelo nach dem Vorbild der Büste des Apoll
(kleines Bild) gemalt hat, die sich im Belvedere-Hof der Vatikanischen Museen befindet.
Fotos aus dem Buch „Die Sixtinische Kapelle neu entdeckt“ von Heinrich Pfeiffer.
8
vatican 1|2008
vatican 1|2008
9
titel-essay
leicht asymmetrisches Porträt mit Mittelscheitel, schlanker Nase, geschwollener
rechter Wange, Locken zu beiden Seiten
des Kinns, mit leicht offenem Mund und
schütterem Bart. Bis um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts gab es so gut wie
kein Bild Christi, das von dieser Vorlage abwich. Im Jahr 1499 hatte Michelangelo mit
24 Jahren Christus auf dem Schoß seiner
Mutter so in Marmor gemeißelt, als hätte
er Christus selbst vor Augen gehabt. Ein
Jahr später, 1500, schuf Albrecht Dürer in
Nürnberg ein revolutionäres Selbstporträt, wo er sich selbst so darstellte, als radikales Ebenbild Christi. Häretisch war das
nicht.Das Bild ist ein hervorragendes Zeugnis, um die Habermas’sche These vom Zusammenhang der Menschenwürde mit der
biblischen Gottesebenbildlichkeit zu belegen.
ielleicht hat sich ein Zeitalter selten
profilierter ausgedrückt als damals.
Vierzig Jahre nach dem selbstbewussten Meisterwerk Dürers und der Vollendung der Pietà stand Michelangelo wieder vor der Aufgabe, Christus zu porträtieren. 1508, vor fünfhundert Jahren, hatte
die Ausmalung der Sixtinischen Kapelle
begonnen. Zur Vollendung sollte der Meister dort nicht nur einfach ein weiteres
Fresko anbringen, sondern die Stirnwand
des Raumes, in dem bis heute die Päpste
gewählt werden, mit einem letzten Meisterwerk krönen. Es war praktisch das Zentrum der christlichen Bilderwelt, das dem
sechzigjährigen Genie hier anvertraut wurde: Es war das Jüngste Gericht. Bei seiner
Enthüllung im Jahr 1541 ging Papst Paul
III. quasi mit allen Kardinälen und Prälaten vor dem neuen Kunstwerk in die
Knie, das rasch zum unübertrefflichen
Schatz der Christenheit erklärt wurde.
Paul III. war eine schillernde Gestalt
auf dem Stuhl Petri, der sich nach der Reformation um eine Erneuerung der katholischen Kirche bemühte. Sein Pontifikat ist mit dramatischen Schritten verbunden, etwa der Einberufung des Konzils von
Trient oder der Zulassung des neuen
Ordens der Jesuiten. Vielleicht ist darum
V
auch etwas untergegangen, dass im Herzen der katholischen Bilderwelt – im Herzen Roms, im Herzen des Vatikans, im
Herzen der Sistina, im Herzen des Jüngsten Gerichts – die zentrale Figur des Weltenrichters seit seinen Regierungsjahren
nicht mehr das wohl bekannte Gesicht
Jesu Christi trägt! Deutsche könnten diesen Jesus vielleicht für Friedrich Schiller
halten. Doch es ist weder Schiller noch
Christus, sondern der bartlose Apoll: Es ist
der Rächer unter den Göttern, der Sohn
des Zeus und der Leto, den Michelangelo
hier an die Stirnseite der Sistina gemalt
hat. Die antike Vorlage für das Porträt findet sich heute im Belvedere-Hof der Vatikanischen Museen: Es ist eine griechische
Marmorbüste, die Michelangelo nachweislich als Modell für diesen Christus benutzt hatte. Im Grunde war es eine ungeheuerliche Blasphemie.
Was Michelangelo dabei geritten und
bewegt hat, weiß der Himmel. Ein „nicht
von Menschenhand geschaffenes“ Urbild
Christi hatte sich bis 1527 gewiss nur ein
paar Schritte von der Sixtinischen Kapelle
entfernt befunden, bis deutsche und spanische Söldner im „Sacco di Roma“ die
Schätze des Vatikans plünderten. Beim Petrusgrab im Petersdom befindet sich jetzt
noch das Mosaik eines Weltenrichters, das
seit dem neunten Jahrhundert dort unverändert geblieben ist. An Vorbildern des kanonischen Christusbildes mangelte es nirgends in Rom. Der neue„Christus“ Michelangelos hat zwar noch (winzige) Wundmale an Händen und Füßen, doch eher als
manikürische Verzierung. Dieser Mann ist
ein Athlet, sein Gesicht zeigt keine Spuren
der Passion, keine geheilten Verwundungen. Dieser Jesus ist nur hübsch. Er schaut
uns auch nicht an wie bis dahin jedes
Christusbild, sondern dreht den Kopf ab
wie ein selbstverliebter Tänzer. Kurz, er ist
überhaupt nicht Christus und er war es
nie. Dieser Mann ist nicht Jesus von Nazareth, er ist nicht der Mensch gewordene
Gott. In ihm zeigt Gott nicht sein menschliches Gesicht. Er ist nur ein weiterer Götterliebling, doch im Grunde ein Götze. Auf
dem Höhepunkt seiner Laufbahn hat
Das Selbstbildnis Albrecht Dürers aus dem Jahr 1500, bei dem er sich vom traditionellen
Christus-Bild leiten ließ. Ähnliches hatte Michelangelo getan, als er 1499 im Alter von
24 Jahren die berühmte Pietà mit dem gekreuzigten Christus (kleines Bild) auf dem Schoß
seiner Mutter in Marmor meißelte. Fotos: Paul Badde
10
vatican 1|2008
vatican 1|2008
11
titel-essay
Michelangelo hier kurzerhand das Gottesbild der Christen durch ein heidnisches
Götzenbild ausgewechselt.
Die Sache ist natürlich bekannt und
ruft doch längst nur ein müdes Achselzucken der Kunsthistoriker hervor, aber
nie ein Ah und Oh der Philosophen oder
Historiker, oder gar einen Aufschrei der
Theologen, für die das Gottesbild längst zu
einer Metapher geworden scheint, die mit
dem konkreten Gesicht Christi nichts
mehr zu tun hat. Wer unter Kunsthistorikern von Gott redet, macht sich gewöhnlich schon lächerlich, bevor er den
Mund aufmacht. Nach der Enthüllung des
Jüngsten Gerichts gab es zwar noch kleine
Debatten darüber, dass Michelangelo hier
auf traditionelle Attribute wie Heiligenscheine oder Flügel (der Engel) verzichtet
hatte, die sogar bis in das Konzil von
Trient hinein getragen wurden, doch im
Grunde ging vor diesem Meisterwerk des
Meisters bald alle Welt in die Knie. Selbst
Johannes Paul II. stöhnte vor Jahren in
einem seiner letzten Gedichte angesichts
des Bildes nur erschrocken über „das
Gericht, das Weltgericht“, das jedem einzelnen von uns bevor stehe – doch nicht
über dieses Gesicht. Über den ausgewechselten Weltenrichter verlor er kein Wort.
ass Michelangelo hingegen wusste, was er tat, ist klar. Das Genie
war nicht naiv. In späteren Arbeiten – etwa der Pietà Bandini (1548/55)
oder seiner letzten unvollendeten Pietà
Rondandini – ist er wieder zum traditionellen Christusbild zurückgekehrt. Im
Weltgericht der Sixtinischen Kapelle aber
ist sein Apollo an der Stelle Christi zurückgeblieben. Es war der spektakuläre erste
Schritt auf einem Weg, auf dem Künstler
später auch behaupten konnten, ein Stacheldrahtgebinde stelle (wegen der Konzentrationslager usw.) Gott dar. Irrlehren
haben die Welt der Bilder also genauso
heimgesucht wie die Welt des geschriebenen und gesprochenen Wortes, doch mit
bisher noch gar nicht ausgeloteten Folgen.
Vielleicht zeigt das Jüngste Gericht deshalb noch einmal mehr die wahre Größe
D
Michelangelos. Dass er die Größe der
Menschwerdung Gottes nämlich noch
ernst nahm und darum nicht mehr ausgehalten halt. Den Mensch gewordenen Gott
ließ er in diesem Bild jedenfalls wieder zurücktreten in ein beliebiges Glied des Götterhimmels. Ob die Diktatur des Relativismus hier ihren Ausgang nimmt, ist schwer
zu sagen. Eine schwerer wiegende Relativierung als das Auswechseln vom Bild Gottes ist dennoch kaum vorstellbar. Es war
eine klassische „Resignation der Wahrheit
gegenüber“, wie Joseph Ratzinger es einmal formulierte, wenn wahr ist, dass Gott
Mensch wurde und deshalb ein bestimmtes konkretes Gesicht angenommen hat.
In diesem Bild hatte Michelangelo also
einer Dimension Ausdruck verliehen, die
wir gewöhnlich verdrängen: dass nämlich
das Unglaubliche am Beginn vom Credo der
Christen steht: „Ich glaube an Gott, den
Vater, den allmächtigen, den Schöpfer des
Himmels und der Erde und an seinen eingeborenen Sohn …“ Kein Christ fällt vor
Schreck um bei diesen Worten. Müsste
aber nicht wirklich, wer das glauben kann,
auch mit einem einzigen Wort einen Berg
versetzen können?
Es bleiben noch andere Fragen. Hat es
irgendetwas geändert, dass Michelangelo
quasi in die Mitte der Christenheit ein falsches Gottesbild hinein malte? Oder ist
spurlos an uns vorbei gegangen, dass hier
das zentrale Leitbild einer Kultur durch
eine unidentische Kopie ausgetauscht wurde? Denn das Bild Gottes ist für unsere
„Bildung“ doch nicht weniger bedeutsam
als etwa „die Formation der Berge“ über
Jena oder Heidelberg. Was heißt dieser Vorgang am Anfang der Neuzeit also für die
„Bildung“ Europas? Für die Bildung der
Christenheit? „Ein Weg zur Wirklichkeit
geht über Bilder“, hat Elias Canetti einmal
geschrieben. „Bilder bestimmen, was man
erlebt. Als eine Art von Grund und Boden
gliedern sie sich in einem ein. Je nach den
Bildern, aus denen einer besteht, gerät er
in ein verschiedenes Leben.“ Kann das
beim Bild Gottes anders sein, beim Antlitz
Jesu, wo wir wirklich sehen, „wer Gott und
wie Gott ist”.
Christus in Assisi von Pietro Lorenzetti (1280-1348). Kleines Foto: Das Urbild der tradionellen Christus-Darstellungen, das „Volo Santo“ von Manoppello. Fotos: Paul Badde
12
vatican 1|2008
vatican 1|2008
13