Einblick - Europa

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Einblick - Europa
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:42 Seite 1
BIBLIOTHEK DES
TECHNISCHEN WISSENS
Manfred Schenck
Europäische Baustile
2. Auflage
VERLAG EUROPA-LEHRMITTEL · Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG
Düsselberger Straße 23 · 42781 Haan-Gruiten
Europa-Nr. 53618
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:42 Seite 2
Autor: Dipl. Ing. Dipl. sc. pol. Manfred Schenck, München
Bildbearbeitung: Zeichenbüro des Verlags Europa-Lehrmittel
Das vorliegende Buch wurde auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln
erstellt.
2. Auflage 2012
Druck 5 4 3 2 1
Alle Drucke derselben Auflage sind parallel einsetzbar, da sie bis auf die Behebung von Druckfehlern
untereinander unverändert sind.
ISBN 978-3-8085-5362-6
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der
gesetzlich geregelten Fälle muss vom Verlag schriftlich genehmigt werden.
© 2012 by Verlag Europa-Lehrmittel, Nourney, Vollmer GmbH & Co. KG, 42781 Haan-Gruiten
http://www.europa-lehrmittel.de
Umschlaggestaltung: Michael M. Kappenstein, 60594 Frankfurt a. M.
Satz: Meis satz&more, 59469 Ense
2
Druck: M. P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:42 Seite 3
Vorwort
Vorwort
Die bildenden Künste, und damit auch die Architektur, haben sich im Laufe der Zeit ständig verändert. Die Ursachen dieser Veränderung sind in der Absicht der Künstler nach kreativer Erneuerung
anzunehmen. Hierbei werden sie durch politische, gesellschaftliche, weltanschauliche oder religiöse Vorstellungen und Maßgaben beeinflusst. Von allen bildenden Künsten wirkt sich die Architektur am eindrucksvollsten auf die Öffentlichkeit aus. Mit ihrer Hilfe konnte die zuständige weltliche
bzw. kirchliche Obrigkeit wirkungsvoll ihre Herrschaft begründen und ihren Machtanspruch unterstreichen.
Die Veränderungen in der Baukunst sind im Baustil, also in den Prinzipien der Konstruktion und in
den Bauformen zu erkennen. Mitunter entwickelte sich der Baustil einer Bauepoche von einfachen
und schlichten Formen zu immer reicherem Dekor und filigranerer Gestaltung. Dieses Prinzip ist in
der Romanik, Gotik, Renaissance und Barockzeit festzustellen und wird mit den Bezeichnungen
„Früh“, „Hoch“ oder „Spät“ beschrieben. Die Zeiträume der Bauepochen werden in diesem Buch
mit ungefähren und leicht einprägsamen Zahlenwerten dargestellt.
Das Buch „Europäische Baustile“ beschreibt die europäischen Bauepochen von der Vorromanik bis
zur Moderne in übersichtlicher, verständlicher und komprimierter Form. Die einzelnen Bauepochen
werden mit zahlreichen Abbildungen nach folgenden Gesichtspunkten erläutert:
● Zeitraum und Begriff
● Kulturgeschichtlicher Hintergrund
● Merkmale des Baustils
● Bautechnik, Baubetrieb und Baustatik
● Beispiele von Bauwerken des Mittelalters
● Beispiele von Bauwerken der Neuzeit und ihren Architekten
Dieses Fachbuch eignet sich vor allem für den Unterricht an Fachhochschulen, Fachschulen für
Bautechnik, Gymnasien und Berufsschulen. Es gibt jedem an Baugeschichte interessierten Leser
wichtige Grundinformationen.
In der 2. Auflage wurden kritische Hinweise unserer Leser berücksichtigt und einige Fotos verbessert. Weitere Anregungen unserer Leser, die zur Weiterentwicklung des Buches beitragen, nehmen
wir dankbar entgegen.
München, Winter 2011/2012
Autor und Verlag
3
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:42 Seite 4
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ......................................................
4.3.3
4.5
4.5.1
4.5.2
4.5.3
4.5.4
4.5.5
4.5.6
Kennzeichen der RenaissanceBauepochen ....................................
Bautechnik, Baubetrieb und
Baustatik..........................................
Architekten und ihre Bauwerke ....
Filippo Brunelleschi........................
Andrea Palladio ..............................
Friedrich Sustries............................
Elias Holl..........................................
Pierre Lescot ..................................
Gilles Le Breton ..............................
70
73
73
75
78
79
81
82
5
Barock ..........................................
83
5.1
5.2
5.3
5.3.1
83
83
84
5.5.2
5.5.3
5.5.4
5.5.5
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Konstruktionsprinzipien des
Barock..............................................
Bauformen des Barock ..................
Kennzeichen barocker
Bauepochen ....................................
Bautechnik, Baubetrieb und
Baustatik..........................................
Architekten und ihre Bauwerke ....
Johann Bernhard Fischer von
Erlach ..............................................
Johann Lukas von Hildebrandt ....
Johann Balthasar Neumann..........
Louis Le Vau....................................
Sir Christopher Wren ....................
6
Rokoko.......................................... 103
6.1
6.2
6.3
6.3.1
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Konstruktionsprinzipien des
Rokoko ............................................
Bauformen des Rokoko..................
Bautechnik und Baustatik ..............
Architekten und ihre Bauwerke ....
Johann Balthasar Neumann..........
Cosmas Damian Asam und
Egid Quirin Asam ..........................
François Cuvilliés d. Ä. ..................
Hans Georg Wenzeslaus Freiherr
von Knobelsdorff ............................
Gabriel Germain Boffrand ............
Johann Michael Fischer ................
4.4
1
Vorromanik ................................ 007
1.1
1.2
1.3
1.3.1
007
7
9
1.3.2
1.4
1.5
1.5.1
1.5.2
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Prinzipien vorromanischer
Konstruktion....................................
Vorromanische Bauformen............
Bautechnik und Baubetrieb ..........
Beispiele für Bauwerke ..................
Sakrale Bauwerke ..........................
Profanes Bauwerk ..........................
2
Romanik ......................................
19
2.1
2.2
2.3
2.3.1
19
19
20
2.4
2.5
2.5.1
2.5.2
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Prinzipien romanischer
Konstruktion....................................
Romanische Bauformen ................
Kennzeichen romanischer
Bauepochen ....................................
Bautechnik und Baubetrieb ..........
Beispiele für Bauwerke ..................
Sakrale Bauwerke ..........................
Profane Bauwerke ..........................
3
Gotik..............................................
37
3.1
3.2
3.3
3.3.1
3.3.2
3.3.3
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturhistorischer Hintergrund ....
Merkmale des Baustils ..................
Prinzipien gotischer Konstruktion
Gotische Bauformen ......................
Kennzeichen gotischer
Bauepochen ....................................
Bautechnik, Baubetrieb und
Baustatik..........................................
Beispiele für Bauwerke ..................
Sakrale Bauwerke ..........................
Profane Bauwerke ..........................
37
37
38
38
38
4
Renaissance ................................
61
6.3.2
6.4
6.5
6.5.1
6.5.2
4.1
4.2
4.3
4.3.1
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Konstruktionsprinzipien der
Renaissance ....................................
Bauformen der Renaissance..........
61
61
62
6.5.3
6.5.4
62
63
6.5.5
6.5.6
2.3.2
2.3.3
3.4
3.5
3.5.1
3.5.2
4
3
4.3.2
9
9
13
14
14
17
20
22
29
30
31
31
34
48
49
52
52
57
5.3.2
5.3.3
5.4
5.5
5.5.1
69
84
85
92
92
93
93
96
98
100
101
103
103
104
104
105
107
108
108
108
110
111
112
114
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Inhaltsverzeichnis
7
Klassizismus
7.1
7.2
7.3
7.3.1
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Konstruktionsprinzipien des
Klassizismus....................................
Bauformen des Klassizismus ........
Bautechnik, Baubetrieb und
Baustatik..........................................
Architekten und ihre Bauwerke ....
Leo von Klenze................................
Karl Friedrich Schinkel ..................
Louis Joseph Montoyer ................
Jacques-Germain Soufflot ............
Robert Adam ..................................
7.3.2
7.4
7.5
7.5.1
7.5.2
7.5.3
7.5.4
7.5.5
.............................. 115
115
115
116
116
117
120
121
121
123
125
126
127
8
Historismus ................................ 129
8.1
8.2
8.3
8.3.1
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Konstruktionsprinzipien des
Historismus ....................................
Bauformen des Historismus ..........
Bautechnik und Baustatik ..............
Architekten und ihre Bauwerke ....
Friedrich von Gärtner ....................
Sir Charles Barry ............................
Gottfried Semper............................
Jean-Loui Charles Garnier ............
Theophilus Edvard Freiherr
von Hansen ....................................
Gabriel von Seidl ............................
8.3.2
8.4
8.5
8.5.1
8.5.2
8.5.3
8.5.4
8.5.5
8.5.6
129
129
130
130
130
132
133
133
135
136
138
139
141
9
Jugendstil .................................... 145
9.1
9.2
9.3
Zeitraum und Begriff ...................... 145
Kulturgeschichtlicher Hintergrund 145
Merkmale des Baustils .................. 146
9.3.1
9.3.2
9.4
9.5
9.5.1
9.5.2
9.5.3
9.5.4
9.5.5
9.5.6
Konstruktionsprinzipien des
Jugendstils......................................
Baudekoration des Jugendstils ....
Bautechnik und Baustatik ..............
Architekten und ihre Bauwerke ....
Joseph Maria Olbrich ....................
Otto Wagner....................................
Charles Rennie Mackintosh ..........
Baron Victor Horta..........................
Antoni Gaudi ..................................
Hector Guimard ..............................
10
Moderne
10.1
10.2
10.3
10.4
Zeitraum und Begriff ......................
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Merkmale des Baustils ..................
Bautechnik, Baubetrieb und
Baustatik..........................................
Teilepochen mit Architekten und
ihren Bauwerken ............................
Anfänge im Jugendstil ..................
Rationalismus ................................
Deutscher Werkbund und
Bauhaus ..........................................
De Stijl ............................................
Expressionismus ............................
Organische Architektur ..................
Internationaler Stil..........................
Postmoderne ..................................
Dekonstruktivismus........................
Zeitgenössische Architektur ..........
10.5
10.5.1
10.5.2
10.5.3
10.5.4
10.5.5
10.5.6
10.5.7
10.5.8
10.5.9
10.5.10
146
146
148
148
148
149
151
153
154
155
...................................... 157
157
157
158
158
159
159
161
162
164
165
166
168
170
171
172
Zeiträume der Bauepochen ........................ 6
Literaturverzeichnis .................................... 177
Abbildungsverzeichnis ................................ 181
Sachwortverzeichnis .................................. 182
5
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:44 Seite 6
Zeiträume der Bauepochen
Zeiträume der Bauepochen
(Allgemeine Übersicht, genauere Angaben bei den einzelnen Bauepochen)
Vorromanik:............................750-1000
Romanik: ................................1000-1250
in Frankreich: ........................1000-1150
Gotik: ......................................1250-1520
in Frankreich: ........................1150-1520
Renaissance: ..........................1520-1660
in Italien: ................................1420-1560
Barock:....................................1660-1730
in Italien: ................................1560-1780
Rokoko: ..................................1730-1780
Klassizismus: ........................1780-1830
Historismus: ..........................1830-1930
Jugendstil: ............................1890-1910
Moderne:................................1890-heute
6
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1
Vorromanik
1.1
Zeitraum und Begriff
Zeitraum:
In Mitteleuropa:
750-1000
Karolingische Baukunst:
750-930
Ottonische Baukunst:
930-1000
Begriff: Die karolingische Architektur wird nach Kaiser Karl dem Großen (768-814) und seinem
Geschlecht benannt. Er orientierte sich an der spätrömischen Kaiseridee und errichtete in
Mitteleuropa sein Frankenreich, um so germanische und romanische Völker zu vereinigen.
Die ottonische Architektur entwickelte sich unter den ottonischen Kaisern, die um die Jahrtausendwende herrschten (919-1024).
1.2
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Das Mönchtum in der asketischen Form war wichtigster Träger und Vermittler einer religiös
geprägten Kultur. Mönche und Nonnen widmeten ihr Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam
ganz der Verehrung Gottes. Die klösterliche Bewegung breitete sich als keltische und als benediktinische Version aus. Um eine Zersplitterung der Glaubenslehre zu vermeiden, legte schließlich Karl der Große 789 für alle Mönche die Statuten der Benediktiner fest. Unter ihm wurden im
gesamten Frankenreich mehr als 1000 Klöster als Zentren der christlichen Mission und Mittelpunkte der Gesellschaft gegründet.
Als Erzieher und Gelehrte beeinflussten Mönche auch die weltlichen Herrscher. Der sehr gebildete Karl der Große zog berühmte Gelehrte an seine „Hofakademie“ und förderte gleichzeitig die
heimische Volkskultur.
Daneben wurde in bewusster Anlehnung an die römisch-konstantinische Kultur in höfischen und
klerikalen Kreisen die menschliche Gestalt wieder in den Mittelpunkt gerückt (karolingische
Renaissance). Der Repräsentation des Kaisers diente auch die karolingische Hofschule, wo in
Werkstätten wertvolle Kunstgegenstände, wie Miniaturen aus Elfenbein, Goldschmiedearbeiten
oder kostbare Handschriften, geschaffen wurden. In der Architektur wurde das spätantike Erbe
durch frühe christliche und germanische Bauformen ergänzt.
Die Karolinger schufen mit der „Hofkapelle“ ein zentrales Verwaltungsorgan, mit dem sie die
Reichskirche und die Grafschaften beherrschten. Es entwickelte sich eine Feudalgesellschaft, die
auf dem Lehnswesen (lat. feudum: Lehen) beruhte und im gesamten Mittelalter erhalten blieb.
Die ottonischen Herrscher errichteten das Heilige Römische Reich und verlegten das Zentrum
ihrer Macht vom Rhein nach Sachsen. Im ottonisch-salischen Reichskirchensystem wurde die
Hochkirche eng an den Kaiser gebunden, der Reichsbistümer und -abteien durch die Übergabe
von Stab und Ring verlieh (Investitur). Das Reichskirchensystem wurde erst mit dem Wormser
Konkordat Anfang des 13. Jh. beendet.
Um 950 wurde von den Klöstern im Ostreich das Bildungssystem neu belebt. Otto I. unterstützte
dieses Bemühen, indem er italienische Gelehrte nach Deutschland holte. Pädagogische Breitenwirkung erzielten die Domschulen in Magdeburg, Hildesheim, Bamberg, Würzburg und Worms.
Das abendländische Kloster (lat. claustrum: abgeschlossener Raum) ist nach der Benediktinerre7
gel eine räumlich genau festgelegte Gesamtanlage. Das zeigt als ältestes erhaltenes Zeugnis der
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Vorromanik
um 820 entworfene Klosterplan von St. Gallen. Südlich oder nördlich der die Anlage beherrschenden Kirche befindet sich ein Kreuzgang, also ein überwölbter Bogengang um einen quadratischen, meist bepflanzten Innenhof. Um dieses zentrale Bauwerk gruppieren sich die zur
Klausur gehörenden Bauten des gemeinsamen Lebens:
● das Refektorium (Speisesaal),
● das Dormitorium (Schlafsaal, im Obergeschoss gelegen),
● der Kapitelsaal für die feierliche Versammlung der Mönchsgemeinschaft,
● das Parlatorium, der Raum, in dem sich Mönche unterhalten durften.
Daneben bestand ein Kloster aus weiteren Bauten, wie Küche, Wärmeraum, Brunnenhaus, Vorratshaus, Gästehaus und Wirtschaftsgebäude, die es weitgehend wirtschaftlich unabhängig
machten. Die Laienbrüder und -schwestern im mittelalterlichen Mönchstum wurden Konversen
genannt, für die eigene Räume vorgesehen waren (Bild 1.1 und 1.2).
Im Gegensatz zu den Bischofskirchen wurde bei klösterlichen Sakralbauten, insbesondere bei
den Zisterziensern und den Bettelorden, entsprechend dem Bekenntnis zur Schlichtheit, auf Türme, Chorumgänge und reiche Ornamentik verzichtet. Die Benediktiner errichteten ihre Klöster
gern auf Anhöhen, die Zisterzienser in abgelegenen Tälern. Die Bettelorden, dazu gehörten Franziskaner und Dominikaner, gründeten als Erste Klöster in den Städten.
Vorratshaus
Küche
Refektorium
Wirtschaftsgebäude
Wärmeraum
Konversenbau
Parlatorium
Brunnenhaus
Kapitelsaal
Gästehaus
Kreuzgang
N
Kirche
Bild 1.1: Grundriss eines Klosters
8
Bild 1.2: Vaucluse, ehemaliges Zisterzienserkloster,
Klosterkirche und Kreuzgang
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Merkmale des Baustils
1.3
Merkmale des Baustils
1.3.1
Prinzipien vorromanischer Konstruktion
Die karolingische Baukunst übernahm spätantike und frühchristliche Stilelemente und verband sie mit der irisch-angelsächsischen ornamentalen Formenvielfalt. In der Frühzeit wurden bescheidene Saalkirchen mit Apsiden und
Pastophorien (Sakristeien) errichtet (Bild 1.3).
Die Apsis (griech. Rundung, Mz. Apsiden) ist
ein halbkreisförmiger, mit einer Halbkuppel
überwölbter Raum für den Altar oder den Chor.
Später wurde mit der Grundform eines christlichen Kreuzes eine dreischiffige Basilika mit
Querschiff entwickelt. Über der Vierung ragte
ein hoher Turm und die Eingangshalle wurde
zu einem Westwerk vergrößert (Bild 1.4 und
1.5). Daneben wurden auch Zentralbauten
nach byzantinischem Vorbild errichtet (Bild
1.24, 1.25 und 1.26).
Pastophorie
Apsiden
Apsiden
Pastophorie
Bild 1.3: Saalkirche, Grundriss
Im Gegensatz zur karolingischen Kunst befreite sich die Ottonik von der spätantiken Tradition
und kann als Beginn der eigentlichen deutschen Kunst bezeichnet werden. Die ottonische Baukunst bildet auch den Übergang von der Vorromanik zur Frühromanik.
Seitenschiff
Westwerk Seitenschiff
Bild 1.4: Corvey, Klosterkirche, Längsschnitt
1.3.2
Querschiff
Mittelschiff
Apsis
Stollenkrypta
Bild 1.5: Corvey, Klosterkirche, Grundriss
Vorromanische Bauformen
Bogen
Elementares Kennzeichen des vorromanischen und des romanischen Baustils ist der Bogen. Er
ermöglicht die Überbrückung größerer Spannweiten im Steinbau. Dabei werden die zwischen
zwei Widerlagern eingespannten Steine vorwiegend auf Druck beansprucht. Beim echten Bogen
sind die Fugen auf den Krümmungsmittelpunkt ausgerichtet. Die Steine sind entweder keilförmig geschnitten und parallel verfugt oder sie sind rechteckig und werden mit keilförmigen Mörtelfugen verbunden. Der unechte Bogen besteht aus vorkragenden Steinen, wobei die Fugen
waagerecht und senkrecht verlaufen.
Die Bogenlinie beginnt am Widerlager oder Kämpfer mit dem Anfängerstein und endet mit dem
9
Schlussstein (Bild 2.40).
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:44 Seite 10
Vorromanik
Anwendung des Bogens:
● zur Überspannung von Öffnungen: Fenster, Portale (Bild 1.16, Bild 2.26 bis 2.31),
● zur Übertragung von vertikalen Kräften: Gurtbogen, der quer zur Längsachse eines Tonnengewölbes verläuft (Bild 2.42 und 2.45); Scheidbogen, der zwischen Mittel- und Seitenschiff oder
zwischen benachbarten Seitenschiffen einer Hallenkirche angeordnet ist; Schildbogen als seitliche Begrenzung des Joches einer Basilika (Bild 1.21 und 2.45),
● zur Gliederung von Wandflächen: Wandbogen, Blendbogen (Bild 1.10) und Rundbogenfries
(Bild 2.33).
Karolingische Bauformen
● Westwerk: Westabschluss, der aus einer Eingangshalle und einem darüber liegenden, zum
Langhaus offenen Raum mit Seitenemporen besteht. Äußerlich erscheint das Westwerk als
massiver Turm, an dem manchmal seitliche Treppentürme angelehnt sind. Das Westwerk war
für den Kaiser vorgesehen (Bild 1.4 und 1.5).
● Krypta: (griech. kryptein: verbergen) unterirdischer Raum unter dem Ostabschluss oder dem
Altar der Kirche zur Bestattung von Märtyrern, Heiligen oder auch weltlichen Würdenträgern.
Hier wurden auch Reliquien aufbewahrt. In Anlehnung an die frühchristlichen Katakomben
wurde oft die Form der Stollenkrypta gewählt (Bild 1.5). Daneben gab es die Ringkrypta mit
Confessio (Gebetskammer, Bild 1.6) und die Außenkrypta (ebenerdiger, kapellenartiger
Anbau).
● Flache Holzdecke oder Tonnengewölbe mit Gurtbögen zur besseren Stabilität und Stichkappen zur wirkungsvolleren Ausleuchtung des Innenraumes (Bild 1.7).
● Rundbögen bei Fenstern, Portalen oder Arkaden (Bild 2.26 bis 2.31, Bild 2.15).
● Spolien: Wiederverwendung antiker Säulen und Kapitelle (z. B. Kompositkapitelle).
● Würfelkapitell mit mehreren Abdeckplatten oder ionisch nachempfundenes flaches Kapitell
(Bild 1.8 und 1.9).
Confessio mit Altartisch
Märtyrergrab
10
Bild 1.6: Ringkrypta mit Confessio, Grundriss
Tonnengewölbe
Bild 1.7: Tonnengewölbe mit Stichkappe
Stichkappe
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Merkmale des Baustils
Bild 1.8: Würfelkapitell mit mehreren Abdeckplatten
Bild 1.9: Ionisch nachempfundenes flaches Kapitell
Karolingisches Bauwerksdekor
● Blendarkaden (Bild 1.10),
● Flechtbandfriese (Bild 1.11),
● Mosaike in Gewölben und auf Fußböden.
Bild 1.10: Blendarkade
Bild 1.11: Flechtbandfriese
Ottonische Bauformen
● Tonnen-, Kreuzgrat-, Stichkappen- und Klostergewölbe für die Überwölbung der Krypta und
der Nebenräume (Bild 2.8, 2.9, 1.7 und 1.12). Das Klostergewölbe besteht aus vier oder mehr
Wangen einer Tonne und belastet die Auflager allseitig.
● Auflockerung der Wände durch Säulen und Nischen (Bild 1.10).
● Gliederung der Säulenordnung mit Stützenwechsel zur Betonung der Vierung (Bild 2.20 und
2.21).
● Würfelkapitell:
• Würfelkapitell mit Kämpferblock (Bild 1.13),
• Pilzkapitell (Bild 1.14),
• Figurenkapitell mit Zackenmotiv (Bild 1.15).
● Überfangbogen: Bogen, der zwei oder mehr Arkaden oder Blendarkaden überfängt (Bild 1.16).
11
Europ. Baustile S.001-082_Europ. Baustile S.001-082 01.12.11 16:46 Seite 12
Vorromanik
rechteckiger Grundriss
oktogonaler Grundriss
Bild 1.12: Klostergewölbe
Bild 1.13: Würfelkapitell mit
Kämpferblock
Bild 1.14: Pilzkapitell
Bild 1.15: Figurenkapitell mit
Zackenmotiv
Bild 1.16: Gekuppeltes Fenster mit Überfangbogen
12
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Bautechnik und Baubetrieb
1.4
Bautechnik und Baubetrieb
In der vorromanischen Bauepoche wurden vorwiegend sakrale Bauwerke, wie Kirchen und
Klöster, errichtet. Zusätzlich entstanden Wehrburgen und repräsentative Pfalzen als Bauten der
weltlichen Herrscher.
Konstruktion, Bauformen und Bautechnik wurden von der römischen Antike übernommen.
Meistens wurden Saalkirchen gebaut, bei denen der Bezug zur römischen Bauweise nicht
besonders auffällt. Bei den wenigen Basiliken wird das römische Vorbild jedoch sichtbar.
Die Namen der Baumeister sind kaum überliefert. Bei den Sakralbauten übernahmen vorwiegend Mönche die Bauleitung, die selbstbescheiden zur Ehre Gottes arbeiteten und deshalb wohl
ihren Namen nicht erwähnen wollten. Die Baumeister der Profanbauten wurden mitunter
genannt: eine Inschrift in der Aachener Pfalzkapelle besagt, dass Karl der Große diese „ausgezeichnete Ehrenhalle errichtet und Meister Odo sie ausgeführt hat“.
Die zeichnerische Planung bestand aus nicht maßstabsgerechten Grundrissen mit Bemaßung
auf Pergament oder Steinplatten. Ansichten von Bauwerken wurden in der mittelalterlichen
Buchmalerei dargestellt. Als Beispiel für die Anordnung der Klostergebäude galt der St. Galler
Klosterplan. Alle diese Architekturzeichnungen waren nicht maßgenau konstruiert, da sie das
Bauwerk nur anschaulich darstellen sollten. Im Gegensatz dazu wurde die Werkzeichnung im
Maßstab 1:1 auf den Reißboden (Holzplatte, Fußboden, Mauerfläche) übertragen. Maßstäbliche
Verkleinerungen gab es erst im späten Mittelalter.
Der Grundriss wurde auf dem Erdboden mit Gips markiert oder man steckte die Grenzlinien mit
Schnur und Pflöcken ab. Als Vermessungsgeräte dienten die Messlatte, das rechtwinklige
Dreieck und der Bodenzirkel (Bild 3.43).
Der Grubenmeister organisierte den Abbau der Steine und leitete die Steinbrecher sowie die
Hilfskräfte an. Der Transport der Steine erfolgte mit zwei- oder vierrädrigen Ochsenkarren.
Auf der Baustelle wurden Leiter (Bild 1.17 und 3.45) und Laufschräge (Bild 1.18 und 1.19) genutzt,
um Material nach oben zu transportieren. Die Leiter bestand aus rechteckigen Holmen und eingezapften Sprossen, die Laufschräge aus Längsholmen und Flechtwerk oder aus Balken und
Blockstufen. Traghilfen waren Schulterkorb, Vogel, Holzmulde und Tragbahre (Bild 1.17 und
1.19). Mechanische Hebegeräte wie Kräne und Aufzüge, sowie Baugerüste wurden erst im 12. Jh.
zeichnerisch dargestellt, sodass sie vermutlich erst in der Romanik angewendet wurden.
2
3
3
2
2
1
1
1
1 Leiter
2 Schulterkorb
3 Holzmulde
Bild 1.17: Leiter, Schulterkorb,
Holzmulde
1 Laufschräge
2 Tragbahre
Bild 1.18: Laufschräge, Tragbahre
1 Laufschräge
2 Tragbahre
3 Vogel
Bild 1.19: Laufschräge,Tragbahre,
Vogel
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Vorromanik
1.5
Beispiele für Bauwerke
1.5.1
Sakrale Bauwerke
Reichenau Oberzell, Klosterkirche St. Georg (890-896)
Schwere wuchtige Mauern mit kleinen Fenstern und ein mächtiger Vierungsturm kennzeichnen
den Außenbau der karolingischen Wehrkirche (Bild 1.20). Die dreischiffige Säulenbasilika mit
halbrundem Westchor besteht aus einem lang gestreckten Mittelschiff, das von zwei etwa halbhohen Seitenschiffen flankiert wird. Die Seitenschiffe schließen im Osten mit Apsiden ab.
Ergänzt wird die Klosterkirche durch einen quadratischen Ostchor und eine später errichtete
Vorhalle (Bild 1.22). Die Arkaden der Hochschiffwände ruhen auf gedrungenen Rundpfeilern mit
Würfelkapitellen. Beiderseits der zum Ostchor aufsteigenden Treppen führen Stollen zu einer
frühen Form einer schlichten Hallenkrypta mit vier Säulen. Wie ursprünglich alle vor- und frühromanischen Sakralbauten besitzt die Klosterkirche St. Georg eine flache Holzdecke. Einmalig
sind die Wandmalereien aus ottonischer Zeit um 950, die von den Wundertaten Christi erzählen
(Bild 1.21).
Bild 1.20: Klosterkirche St. Georg, Ansicht von Südosten
Bild 1.21 Innenansicht
Bild 1.22: Grundriss
Steinbach/Odenwald, Einhardsbasilika (821-827)
Die dreischiffige, flachgedeckte, karolingische Pfeilerbasilika des Klosters Steinbach wurde von
Einhard, dem Bauleiter und Biografen Karls des Großen, gestiftet. Strenge Einfachheit und sparsame Dekoration sind kennzeichnend für diese älteste Basilika nördlich der Alpen. Das Mittelschiff wird durch Arkadenreihen eingefasst, die auf schlanken, verputzten Backsteinpfeilern
ruhen. An der Ostseite schließen Chor und Pastophorien mit gewölbten Apsiden ab. Die Stollenkrypta besteht aus drei tonnengewölbten Gängen, die unter Chor und Pastophorien jeweils zu
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einem Kreuz ausgebildet sind (Bild 1.23 und 1.24).
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Beispiele für Bauwerke
Bild 1.23: Einhardsbasilika, Grundriss
Bild 1.24: Längsschnitt
Lorsch, Torhalle (um 774)
Die Torhalle ist eines der wenigen repräsentativen Gebäude aus der Regierungszeit Karls des
Großen und ein bedeutungsvoller Überrest des ehemaligen Reichsklosters Lorsch. Sie grenzte
den Vorhof der Kirche nach Westen ab. Baustil und Formensprache erinnern an römische Vorbilder: Pfeiler mit vorgelegten Halbsäulen, die Rundbögen einfassen, kannelierte Pilaster mit geänderten ionischen Kapitellen und ein palmettenartiger Blätterfries. Somit wird die Bezeichnung
„Triumphtor“ verständlich, obgleich die mittlere Bogenöffnung nicht durch Vergrößerung betont
wird. Die äußeren Wandflächen sind mosaikartig mit weißen und roten Steinplatten verkleidet.
Hier zeigt sich dem Betrachter eines der schönsten erhaltenen Beispiele karolingischer Fassadengliederung (Bild 1.25).
Bild 1.25: Torhalle in Lorsch, Außenansicht
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Vorromanik
Hildesheim, St. Michael (1000-1031)
In beherrschender Lage zeigt sich die dreischiffige Basilika mit zwei Querschiffen und zwei Chören, die sowohl ottonische als auch frühromanische Merkmale aufweist. Die Chorhäuser an der
westlichen und an der östlichen Seite enden mit einer Apsis, wobei der ostseitige Chor von
Nebenapsiden flankiert wird. Über den beiden Vierungsquadraten erheben sich mächtige Türme
mit flachen Pyramidendächern, während die vier Treppentürme mit Kegeldächern abschließen
(Bild 1.26). Im Innern wird durch den sächsischen Stützenwechsel (Bild 2.20) eine rhythmische
Gliederung erzeugt (Bild 1.27). Über den Würfelkapitellen mit abwechslungsreicher ornamentaler Verzierung spannen sich rot-weiß gequaderte Rundbögen. Die doppelgeschossigen Emporen
werden durch Arkaden dekorativ aufgelockert. Unter dem Westchor befindet sich eine dreischiffige Hallenkrypta mit tonnengewölbtem Umgang. Typisch für den frühromanischen Baustil sind
die rundbogigen Mulden- und Fensternischen an den Außenseiten des Umgangs.
Bild 1.26: St. Michael, Ansicht von Südosten
Bild 1.27: Grundriss
Gernrode, ehemalige Nonnenstiftskirche St. Cyriacus (961-983)
Auf einer Anhöhe gelegen, ist die Stiftskirche ein eindrucksvolles Beispiel ottonischer Baukunst
in Deutschland. Die dreischiffige Emporenbasilika besitzt eine Flachdecke und zwei Chöre. Dem
Ostchor schließt sich das Querhaus mit halbrunden Apsiden an, während der Westchor mit großer Apsis von runden Türmen flankiert wird. Von außen ist die Stiftskirche mit vielen gekuppelten und einfachen Rundbogenfenstern sowie mit Blendbögen reich gegliedert, ohne dabei unbescheiden prunkhaft zu wirken. Das schlichte Erscheinungsbild wird durch das Bruchsteinmauerwerk noch unterstrichen. Der Innenraum erzeugt mit rheinischem Stützenwechsel und Arkaden
eine feierliche Stimmung. Die Ostkrypta – wohl die älteste Hallenkrypta Deutschlands – wird
durch ein dreiteiliges Tonnengewölbe mit kurzen Stichkappen abgedeckt (Bild 1.28 und 1.29).
16
Bild 1.28: St. Cyriacus, Grundriss
Bild 1.29: Längsschnitt
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Beispiele für Bauwerke
1.5.2
Profanes Bauwerk
Aachen, Pfalz, Pfalzkapelle (786-ca. 800)
Kaiser Karl der Große ließ für den Hofstaat eine repräsentative Palastkapelle unter der Leitung
des fränkischen Baumeisters Odo von Metz nach dem Vorbild des byzantinischen Zentralbaus
S. Vitale in Ravenna errichten. Die Pfalzkapelle ist der einzig erhaltene Bauteil der Pfalz. Sie
besteht aus einem oktogonalen klostergewölbten Mittelraum und einem sechzehneckigen
Umgang, der durch Tonnen und Stichkappen gewölbt ist. Acht abgewinkelte Pfeiler tragen die
Arkaden im Erdgeschoss und im Emporengeschoss. Hier sind zweigeschossige Bogenstellungen
auf antiken Säulen mit korinthischen Kapitellen in sie hineingestellt. Im Westen ist ein rechteckiger Vorraum mit einer hohen Rundbogenportalnische und zwei runden Treppentürmen vorgelegt. Außen ist die Pfalzkapelle mit Eckquadern, Rundbogenfenstern und Pilastern gegliedert
(Bild 1.30, 1.31, 1.32 und 1.33).
Untergeschoss
Obergeschoss
Bild 1.30: Pfalzkapelle, Grundriss
Bild 1.31: Außenansicht
Bild 1.32: Innenansicht
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Vorromanik
Von der Karolingischen Pfalz in Aachen ist im Originalzustand nur die Pfalzkapelle erhalten
geblieben. Nach einem im Jahre 1970 erstelltem Modell von Leo Hugot gehörten zu der Pfalz
neben der Pfalzkapelle die Königshalle (lat. aula regia) sowie Unterkunfts-, Empfangs- und Wirtschaftsbauten (Bild 1.33).
Königshalle
Pfalzkapelle
Bild 1.33: Aachen, Pfalz
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2
Romanik
2.1
Zeitraum und Begriff
Zeitraum:
In Deutschland:
1000-1250
Frühromanik:
1000-1100
Hochromanik:
1100-1180
Spätromanik:
1180-1250
In Frankreich:
1000-1150
In England:
1065-1200
In Italien:
1060-1250
In Spanien:
1000-1200
Begriff: Die Bezeichnung „Romanik“ wurde vom französischen Historiker De Gerville im Jahr
1818 in Anlehnung an den Begriff „romanische Sprachen“ formuliert. Sie verweist auf die Verwandtschaft zur römischen Architektur, von der sie Rundbogen, Pfeiler, Säule und Gewölbe
übernahm. Die Romanik ist ein Stil der abendländischen Kunst im Mittelalter. Sie entstand
unter den ottonischen Kaisern in Deutschland und erfuhr in Frankreich ihre umfangreichste Ausprägung.
2.2
Kulturgeschichtlicher Hintergrund
Die Romanik ist die Bauepoche des Hochmittelalters. Das Lebensgefühl der Menschen wurde
geprägt durch Unsicherheit und Ängste, hervorgerufen von Krankheiten, Gewalttaten und der
Abhängigkeit vom Lehnsherrn. Sie suchten daher Schutz und Trost hauptsächlich im christlichen
Glauben, mitunter auch im Aberglauben.
Religiöser und kultureller Mittelpunkt waren die Klöster, vor allem die der Benediktiner und der
Zisterzienser. Pilgerwallfahrten nach Rom, Santiago de Compostela oder Jerusalem dienten
auch dem Erfahrungsaustausch zwischen den Mönchen und somit dem Bau von Kirchen und
Klöstern.
Der philosophisch-theologische Hintergrund war gekennzeichnet durch die Frühscholastik und
die Mystik. Die scholastische Methode erfolgte streng nach den Regeln der Syllogistik und dem
Prinzip, dass Wahrheit nur bei den Autoritäten, wie griechischen Philosophen, Bibel und Kirche,
gefunden werden konnte. Die Syllogistik ist die von Aristoteles entwickelte Lehre von der logischen Schlussfolgerung aus der Verbindung von zwei Prämissen, also von zwei Voraussetzungen. In der Frühscholastik hatte sich grundsätzlich die scholastische Philosophie der
Theologie unterzuordnen.
In ergänzender Wechselbeziehung zur Scholastik stand die Mystik als Versöhnung von Glaube
und Vernunft. Der Mystiker versuchte durch Versenkung und Hingabe zur persönlichen Vereini19
gung mit Gott zu gelangen.
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Romanik
2.3
Merkmale des Baustils
2.3.1
Prinzipien romanischer Konstruktion
Ein Hauptmerkmal der romanischen Kirchenbauten ist die klare Gliederung in rhythmische
Abschnitte (Joche), die auf das Vierungsquadrat als Modul bezogen werden (gebundenes
System).
Die Vierung entsteht aus der Durchdringung von Mittelschiff und Querschiff. Diese sind in der
Regel gleich breit, sodass sich ein Vierungsquadrat bildet. Dem im Grundriss quadratischen Joch
des Hauptschiffes entsprechen je zwei Seitenschiffsjoche von halber Breite. An das Langhaus
schließt sich der im Osten gelegene Chor an (Bild 2.1).
Seitenschiff
Mittelschiff
Querschiff
Vierung
Chor
Bild 2.1: Grundriss einer romanischen Kirche
Typen sakraler Bauten
Der am weitesten verbreitete Typus romanischer Kirchenbauten ist die Basilika, bei der das Mittelschiff höher als die Seitenschiffe ist und durch Fenster über dem Dachansatz der Seitenschiffe,
genannt Obergaden, Licht einfallen kann (Bild 2.2). Die Emporenbasilika besitzt zu beiden Seiten
des Mittelschiffs Emporen über den Seitenschiffen (Bild 2.3). In den byzantinischen Kirchen war
die Empore für die Frauen und in den Klosterkirchen für die Nonnen bestimmt. Mitunter waren
Emporen auch für weltliche Herrscher vorgesehen.
20
Bild 2.2: Aufriss einer Basilika
Bild 2.3: Aufriss einer Emporenbasilika