Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen
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Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen
Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Universität Düsseldorf Werte in den Wissenschaften Düsseldorf, 3. Juli 2014 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Inhalt 1 Darstellung der Beispiele 2 Bewertung der Beispiele Ziele dieser Einheit: Rekapitulation der Beispiele von James Robert Brown zu Problemen privater medizinischer Forschung Einordnung der Probleme gemäß der Explikation der Wertneutralitätsforderung Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 2 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Ausgangsproblem Gemäß einer Studie von Richard Davidson gilt ([cf. Bro13, pp.339f]): Wenn ein Test zur Wirksamkeit eines Medikamentes von einem betreffenden Pharmaunternehmen finanziert wird, dann schneidet das Medikament des Geldgebers bemerkenswerterweise ohne Ausnahme besser ab als bei Tests, welche nicht von Pharmaunternehmen finanziert wurden. “In Anbetracht dieser Fälle versteht es sich, dass wir besorgt darüber sein sollten, wer Forschung finanziert.” ([Bro13, p.340]) Im Folgenden werden wir eine Reihe “besorgniserregender Fälle” nach Brown darstellen: Nicht-Veröffentlichung von Studien Vermittlungsprovisionen Patentierbarkeit Nützlichkeit kommerzieller Forschung Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 3 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.2&5: Nicht-Veröffentlichung von Studien: Problem Fall zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, bekannt als SSRI (“bildeten den zentralen Bestandteil der neuen Generation von Antidepressiva”) ([Bro13, p.343]): Fluoxetin (Prozac): veröffentlichte Studien: Positives Nutzen-Risiko-Profil; Hinzunahme unveröffentlichter Studien: immer noch positiv Parotexin (Seroxat) und Sertralin (Zoloft): veröffentlichte Studien: Schwaches Nutzen-Risiko-Profil; Hinzunahme unveröffentlichter Studien: negativ [Aufgabe: Was beinhaltet ein Nutzen-Risiko-Profil?] Weiters ([cf. Bro13, chpt.5]): “So könnte es sein, dass SSRI-Medikamente den Zustand depressiver Personen tatsächlich bis hin zum Selbstmord verbessern. [. . . ] Anscheinend befinden sich äußerst depressive Personen manchmal in einem Zustand, in dem sie auf nichts reagieren und lethargisch sind. Die SSRI-Medikamente verbessern dann diesen Zustand bis hin zu dem Punkt, an dem sie die Energie und Fähigkeit zum Selbstmord erlangen. [. . . ] Der entscheidende Punkt ist vielmehr, dass es gar nicht im Interesse von Eli Lilly oder anderen pharmazeutischen Unternehmen ist, zu ‘wissen’, dass Prozac oder andere SSRI-Medikamente Selbstmord verursachen, denn dies würde ihre potenzielle Haftung vergrößern.” ([cf. Bro13, pp.353f]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 5 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.2&5: Nicht-Veröffentlichung von Studien: Lösung Zur Lösung dieses Problems haben sich “biomedizinische Zeitschriften [. . . ] auf eine gemeinschaftliche redaktionelle Linie verständigt.” ([cf. Bro13, p.341]) Hauptforderungen, um “selektive Berichterstattung und die Unterdrückung negativer Ergebnisse zu verhindern”: “Autoren müssen alle ihre finanziellen Beziehungen offenlegen.” “Forscher sollten keine Vereinbarungen treffen, die in irgendeiner Weise ihren Zugriff auf die vollständigen Daten einschränken.” “Gutachter von Zeitschriften [sollen] Interessenskonflikte im Rahmen des Begutachtungsverfahrens vermeiden.” “Zeitschriftenherausgeber [. . . ] verlangen nun, dass jede klinische Studie von vornherein registriert, also in einer anerkannten Form öffentlich gemacht und ausführlich beschrieben wird.” Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 6 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.2&5: Nicht-Veröffentlichung von Studien: Lösung Beispiel: Auszug aus den Hinweisen zur Vorab-Registrierung einer Studie gemäß des ICMJE (International Committee of Medical Journal Editors; <http://www.icmje.org/recommendations/browse/publishing- and- editorial- issues/ , 2014–06–01): clinical- trial- registration.html> “Briefly, the ICMJE requires, and recommends that all medical journal editors require, registration of clinical trials in a public trials registry at or before the time of first patient enrollment as a condition of consideration for publication. Editors requesting inclusion of their journal on the ICMJE website list of publications that follow ICMJE guidance should recognize that the listing implies enforcement by the journal of ICMJE’s trial registration policy. [. . . ] The purpose of clinical trial registration is to prevent selective publication and selective reporting of research outcomes, to prevent unnecessary duplication of research effort, to help patients and the public know what trials are planned or ongoing into which they might want to enroll, and to help give ethics review boards considering approval of new studies a view of similar work and data relevant to the research they are considering.” Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 7 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.2&5: Nicht-Veröffentlichung von Studien: Problem Jedoch ist diese Entwicklung manchmal auch Rückläufig, wie z.B. die Abschwächung dieser Forderung durch das The New England Journal of Medicine zeigt: “Autoren solcher Aufsätze haben keine maßgeblichen finanziellen Interessen an einem Unternehmen (oder seinem Konkurrenten), das das in dem Aufsatz besprochene Produkt herstellt.” ([Bro13, p.344]) Oder z.B. auch die Verwertungspolitik der Yale University ([cf. Bro13, p.345]): Die Universität Yale hatte einst proklamiert, dass es dem öffentlichen Interesse entgegen stehe, Entdeckungen oder Erfindungen zu patentieren. Heute hält Yale eine große Zahl von Patenten. Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 8 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.3: Vermittlungsprovisionen: Problem Es gibt einige Fälle, bei denen Ärzte bei der Akquirierung von Patienten für Studien der Vermittlungsprovision wegen (z.B. 1000 Pfund) Daten gefälscht haben indem Sie ein anderes Patientenprofil, als tatsächlich vorgelegen ist, angegeben haben ([cf. Bro13, p.347]). Mit der Konsequenz: Nicht-repräsentative Studienergebnisse Fehlbehandlung von Patienten Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 9 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.3: Vermittlungsprovisionen: Lösung “Viele dieser Mängel können zumindest im Prinzip durch Regulierungen beherrscht werden. Regeln des Interessenkonfliktes sollten geeignet sein, Missbrauch der [. . . ] genannten Art zu vermeiden. [. . . Man sollte auch darauf achten] , dass Vermittlungsprovisionen in so genannten Verwaltungskosten versteckt werden können und somit den sonst offenkundigen Konflikt verschleiern.” ([cf. Bro13, p.348]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 10 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.4: Patentierbarkeit I: Problem Durch Patente kommt es nach Brown zu sogenannter “Deformation von Forschung” ([cf. Bro13, p.349]): 1 “Verständlicherweise möchten Unternehmen einen Gewinn aus ihren Investitionen erzielen.” 2 “Der Lohn für die Forschung stammt aus den Lizenzgebühren[.]” 3 “Unternehmen werden folglich dazu neigen, nur solche Projekte zu finanzieren, die im Grundsatz zu einem Patent führen. Andere Arten von Informationen sind in finanzieller Hinsicht ohne Nutzen.” 4 “Einem Gesundheitsproblem kann man sich auf zwei Weisen nähern. Eine beinhaltet die Entwicklung eines neuen Medikaments; die andere legt ihr Augenmerk etwa auf Ernährung, Bewegung und Umweltfaktoren.” 5 “Dieser zweite Ansatz könnte eine weit überlegene Behandlung ermöglichen[.]” 6 “Doch wird er offensichtlich nicht durch Unternehmen finanziert, da man aus nicht patentierbaren Forschungsergebnissen keinen Cent herausholen kann.” Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 11 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.4: Patentierbarkeit I: Problem Konkreter Fall: Diabetesrisiko ([cf. Bro13, p.350]): 29% der Placebo-Gruppe entwickelte Diabetes 22% der Medikament Metformin-Gruppe entwickelte Diabetes 14% der Ernährungsumstellung- und Sport-Gruppe entwickelte Diabetes Konkreter Fall: 10/90-gap ([cf. Bro13, p.351]): “Selbst in der patentierbaren Forschung werden einige Bereiche weniger erträglich sein als andere. Infolgedessen bleiben Armutserkrankungen und Krankheiten der Entwicklungsländer (zum Beispiel Malaria) relativ unerforscht, da die Armen es sich nicht leisten können, hohe Lizenzgebühren zu bezahlen.” Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 12 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.4: Patentierbarkeit I: Lösung “Eine öffentliche Finanzierung ist eindeutig die Antwort auf etliche Aspekte dieses wissenschaftstheoretischen Problems. [. . . ] Wir laufen zudem Gefahr, erstklassige Forscher zu verlieren, die keine patentierbare Forschung durchführen. [. . . ] Es ist die Aufgabe der Wissenschaftstheorie, die methodologische Einsicht hervorzuheben, dass wir ohne gut ausgestattete alternative Forschungsansätze niemals wissen werden, wie gut oder schlecht bestimmte patentierbare Lösungen wirklich sind. Es ist ein wissenschaftstheoretischer Gemeinplatz, dass Bewertung ein vergleichender Prozess ist.” ([cf. Bro13, p.351]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 13 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.6: Patentierbarkeit II: Problem Ein weiteres Problem mit Patenten – der Fall Eli Lilly ([cf. Bro13, p.365]): Der Patentinhaber Eli Lilly bringt ein neues Medikament, Sarafem, auf den Markt, das den gleichen Wirkstoff wie Prozac enthält. “Worin aber besteht dann der Unterschied zwischen der Einnahme von Prozac und von Sarafem? In beiden Fällen handelt es sich um eine Dosis von 20mg Fluoxetin-Hydrochlorid [. . . ]?” “Der Unterschied besteht laut [Eli Lilly] darin, ‘dass PMDS [(Prämenstruelle Dysphorische Störung)] ein spezifischer klinischer Zustand ist, der von der Depression verschieden ist. PMDS ist keine Depression. PMDS ist zyklisch – Frauen leiden bis zu zwei Wochen vor ihrer Menses unter PMDS, und während der anderen zwei Wochen des Monats haben sie keine PMDS-Symptome.” “Eli Lilly war kurz davor, einen Großteil seines Patentschutzes für Prozac zu verlieren. Es fällt schwer, keine Vermutungen über die Verbindung dieses Umstands mit der Propagierung von PMDS als Krankheit und der Werbung für Sarafem anzustellen. Patentrechte schützen eine Entdeckung, wenn es sich um eine deutlich neue Verwendung eines bereits bestehenden Produkts handelt. Für den Patentschutz ist es dann entscheidend, dass Eli Lilly eine neue Verwendung für Fluoxetin-Hydrochlorid findet. Wenn PMDS eine Depression ist, dann haben sie Pech gehabt.” Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 14 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.6: Patentierbarkeit II: Lösung Zu diesem Vorgehen von Eli Lilly gibt es drei Ansichten ([cf. Bro13, p.357]): “Die Krankheit PMDS hat es schon immer gegeben. Eli Lilly bringt bloß eine Tatsache ans Licht, die ihre Forschungen aufgedeckt haben, und wirbt für Sarafem als eine Behandlungsmethode.” “Die Krankheit gibt es nicht. Eli Lilly versucht uns glauben zu machen, dass es sie dennoch gibt, da dies den Verkauf von Sarafem steigert.” “Die Krankheit gab es in der Vergangenheit nicht, aber die Werbeaktivitäten von Eli Lilly werden diese Krankheit (vielleicht wie andere vorübergehende psychische Krankheiten) neu schaffen, und das wird den Verkauf von Sarafem begünstigen.” “Im ersten Fall sollten wir Eli Lilly dankbar dafür sein, dass sie uns ein Problem vor Augen geführt und ein Heilmittel zur Verfügung gestellt habt. Wenn aber die zweite oder dritte Möglichkeit zutrifft, dann sind die Gefahren der privaten Finanzierung der marktorientierten medizinischen Forschung offenkundig.” Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 15 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.1: Patentierbarkeit III: Problem 1980: US-Kongress verabschiedet das Bayh-Dole Gesetz. Birch Bayh Bob Dole Auswirkung: “Vor dem Bayh-Dole Gesetz gab es nur einige hundert Patente pro Jahr, die aus der Universitätsforschung in den USA stammten. Nun beläuft sich die jährliche Anzahl auf mehrere tausend” ([Bro13, p.340]). (Aufgabe: Relativbetrachtung: Kommt es auch zu einer Steigerung relativ zu der Gesamtzahl an Patenten?) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 16 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.1: Patentierbarkeit III: Problem Zweck des Gesetzes: “In den Vereinigten Staaten hat das ‘Bayh-Dole-Gesetz’ den Einrichtungen, an denen Forschungsarbeiten mit Hilfe von Bundesmitteln durchgeführt werden, vor allem den Universitäten, das Recht auf die Verwertung ihrer Ergebnisse eingeräumt, um so die Nutzung der Ergebnisse der akademischen Forschung zu fördern.” ([Gem03, p.18]) Zweck des Gesetzes nach Bayh: Brief des Senators (et al.) Bayh an die Staatssekretärin für “Gesundheit und Dienst am Menschen” Donna E. Shalala: “Under the Bayh-Dole Act, 35 U.S.C. par. 200 et seq., the Secretary of Health and Human Services has the authority to issue licenses under privately owned patents to inventions developed as a result of government-financed research. We are writing to request your action pursuant to that Act to ensure that an important new medical product will be available for use in this country.” ([CB97, p.1]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 17 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.7: Nützlichkeit Kommerzieller Forschung: Problem “Im Zeitraum von 1998–2002 ließ die [Bundesbehörde zur Lebensmittelüberwachung und Arzneimittelzulassung (FDA)] 415 neue Arzneimittel zu und stufte sie wie folgt ein” ([cf. Bro13, pp.358f]): 14% waren Neuerungen; 9% waren tatsächlich bedeutend verbesserte Neuerungen; 77% waren sogenannte “Me-Too-Medikamente”, d.h. Nachbildungen bereits existierender Arzneimittel die nicht besser als die bereits vorhandenen sind; “Nach dem US-Gesetz muss die FDA die Zulassung erteilen, wenn ein neues Arzneimittel ‘wirksam’ ist, was aber bedeutet, dass es eine bessere Wirkung als ein Blindpräparat (Placebo) im Rahmen einer klinischen Studie haben muss. Ist das Medikament zugelassen, übernimmt das Marketing das Steuer.” ([cf. Bro13, p.359]) Auswirkung: “Ein altes Diuretikum (‘Wassertablette’) erwies sich als das beste Medikament; es wirkte genauso gut wie oder sogar besser als andere, hatte erheblich weniger Nebenwirkungen und kostete ungefähr 37 US-Dollar pro Jahr im Gegensatz zu mehreren hundert US-Dollar jährlich bei den anderen [durch Werbung marktanteilig durchgesetzten Medikamenten.]” ([cf. Bro13, p.359]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 18 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Chpt.7: Nützlichkeit Kommerzieller Forschung: Lösung “Es überrascht nicht, dass die Forderung erhoben wird, neue Arzneimittel in klinischen Studien mit der besten vorhandenen Alternative und nicht nur mit Placebos zu vergleichen.” ([Bro13, p.359]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 19 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Browns Schlussfolgerungen Nach Brown gibt es drei mögliche Alternativen hinsichtlich medizinischer Forschung und Vermarktung: 1 Freier Markt (z.B. gegenwärtige Lage in den USA) 2 Teilweise regulierter Markt – mit folgender zusätzlicher Regulierung (cf. pp.363f): 1 2 3 4 5 3 Offenlegung aller finanziellen Interessen Vorab-Registrierung aller klinischen Studien Medikamentenvergleich mit führenden Alternativen sowie mit Placebos Verbot von Vermittlungsprovisionen und unternehmensfinanzierter ‘Weiterbildung’ von Ärzten Werbeverbot für Arzneimittel Vollständig regulierter Markt – durch verstaatlichte Forschung (cf. p.366): 1 2 Abschaffung von Patenten in der medizinischen Forschung Finanzielle Aufwertung öffentlicher medizinischer Forschung Brown optiert für eine verstaatlichte Forschung, da (cf. p.366): der freie Markt die vorhergehend genannten Probleme verursacht der teilweise regulierte Markt zu wenig Anreiz für Alternativen schafft Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 20 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Browns Schlussfolgerungen Dem Einwand, dass verstaatlichte Forschung ineffizient sei, begegnet er durch ein Argument gegen die Effizienz privater Forschung: “Pharmaunternehmen behaupten, dass es durchschnittlich mehr als 800 Millionen US-Dollar kostet, ein neues Medikament auf den Markt zu bringen. [. . . ] Eine realistische Schätzung beläuft sich eher auf ungefähr 100 Millionen US-Dollar, da Marketingkosten (welche eingerechnet werden) nicht Teil der wirklichen Forschung sind. Außerdem werden viele Forschungsprojekte an ‘Me-Too’-Medikamenten durchgeführt, die der Öffentlichkeit nur geringen oder gar keinen Nutzen bringen.” ([cf. Bro13, p.367]) Öffentliche Forschung wäre demnach ca. achtmal effizienter als private Forschung. Ein weiteres Argument für verstaatlichte medizinische Forschung: “Das Gesundheitswesen kostet in den Vereinigten Staaten [mit privatem medizinischen Bereich] 15% des BSP und deckt gleichwohl grob ein Viertel der Bevölkerung nicht ab. In Kanada [mit öffentlichem medizinischen Bereich] belaufen sich die Kosten auf weniger als 10% des BSP, und doch ist die gesamte Bevölkerung abgedeckt. So viel zur sozialistischen Ineffizienz.” ([cf. Bro13, pp.368f]) Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 21 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Browns Absicht Nach Brown sind seine Bedenken nicht ethisch, sonder methodologisch motiviert: “Um es noch einmal zu sagen, [. . . ] die Politik, die ich fordere, ist vielmehr wissenschaftstheoretisch motiviert.” ([Bro13, p.372]) “Es sind Tatsachen aufgedeckt worden, die eine methodologische Antwort verlangen und nicht eine moralische.” ([Bro13, p.373]) Jedoch: Welche Beispiele von Brown betreffen nun tatsächlich methodologische und nicht nur ethische Probleme? Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 23 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Browns Argumente im Lichte der Wertneutralität Die methodologische Wertneutralitätsforderung betrifft hauptsächlich den Bereich des Begründungszusammenhangs von Theorien. Forderung: Keine kategorischen wissenschaftsexterne Werturteile in diesem Bereich ([cf. Sch13]). Begründet wird diese Forderung vor allem durch das wissenschaftsinterne Hauptziel: Informative Wahrheiten aufzudecken (im Gegensatz zu z.B. nützliche Wahrheiten aufzudecken etc.). Betroffen von der Wertneutralitätsforderung sind deshalb nicht Probleme durch “falsche Wertsetzungen” (z.B. vs. Nützlichkeit) im Entdeckungs- und Begründungszusammenhang von Theorien. Im Lichte dieser Überlegung kann Browns – an Beispielen orientierte – Argumentation folgenderweise kategorisiert werden . . . Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 24 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Browns Argumente im Lichte der Wertneutralität Browns Beispiele im Lichte der Wertneutralitätsforderung: ⇒ Nicht-Veröffentlichung von Studien ⇒ Vermittlungsprovisionen vs. Wahrheitsziel vs. Wahrheitsziel Patentierbarkeit ⇒ vs. Nützlichkeit aber auch vs. Entwicklung von Alternativen; damit vs. Wahrheitsziel Nützlichkeit kommerzieller Forschung ⇒ vs. Nützlichkeit Zusammengefasst ergeben sich folgende methodologische Probleme bei den von Brown angeführten Fällen: Datenunterschlagung Datenfälschung Keine Ausbildung von Alternativen Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 25 / 26 Darstellung der Beispiele Bewertung der Beispiele Literatur I [Bro13] James Robert Brown. “Die Wissenschaftsgemeinschaft – The Community of Science (R)”. In: Werte in den Wissenschaften. Neue Ansätze zum Werturteilsstreit. Hrsg. von Gerhard Schurz und Martin Carrier. Berlin: Suhrkamp, 2013, pp. 337–373. ISBN: 978-3-518-29662-2. [CB97] Lloyd N. Cutler und Birch Bayh. Public letter of Lloyd N. Cutler and Birch Bayh to Donna E. Shalala, Secretary, Department of Health and Human Services, Washington. Techn. Ber. 1997–03–03. 1997. URL: http://www.nih.gov/icd/od/foia/cellpro/pdfs/foia_cellpro1.pdf. [Gem03] Kommission der Europäischen Gemeinschaften. Mitteilung der Kommission: Die Rolle der Universitäten im Europa des Wissens. Techn. Ber. 2003–02–05; KOM(2003) 58 endgültig. Brüssel, 2003. URL: http://eur- lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2003:0058:FIN:DE:PDF. [Sch13] Gerhard Schurz. “Wertneutralität und hypothetische Werturteile in den Wissenschaften”. In: Werte in den Wissenschaften. Neue Ansätze zum Werturteilsstreit. Hrsg. von Gerhard Schurz und Martin Carrier. Berlin: Suhrkamp, 2013, pp. 305–335. ISBN: 978-3-518-29662-2. [SC13] Gerhard Schurz und Martin Carrier, Hrsg. Werte in den Wissenschaften. Neue Ansätze zum Werturteilsstreit. Berlin: Suhrkamp, 2013. ISBN: 978-3-518-29662-2. Universität Düsseldorf Spezialthema: Medizinische Forschung und Wertfragen 26 / 26