Masuren in Ostpreußen – nach Erinnerungen
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Masuren in Ostpreußen – nach Erinnerungen
Masuren in Ostpreußen – nach Erinnerungen von Emmi Klotzek Der Hof und Sokollen am Berg Die Koziankas bewohnten sollen schon seit 1410 einen Bauernhof ins Sokollen am Berg, direkt an der polnischen Grenze, bewohnt haben. Um 1900 war er der zweitgrößte Hof in dem Ort, der größte war der Erbhof der Waschiks. Max Waschik verheiratete sich später mit Erika Kozianka, der jüngsten Tochter von Wilhelm Kozianka. Der Hof war wie fast alle Höfe in der Gegend ein Vierseithof. Direkt an der Straße befand sich das Wohnhaus, welches um 1925 abgerissen und erneuert wurde. Vor dem Abriss bestand es aus Feldsteinen. Walli Klotzek, Helga Kozianka und Gerda Kozianka vor den Ställen in Sokollen. Früher waren die Dächer mit Stroh bedeckt, doch gab es diese später nur noch bei ärmeren Familien, die sich kein modernes Dach leisten konnten. Der Innenhof war mit sogenannten Katzenköpfen gepflastert, und in der Mitte des Hofes befand sich ein sehr tiefer Brunnen, in dem im Sommer auch die Butter usw. zur Kühlung gehängt wurde. Vor dem Brunnen stand ein mächtiger Wasserdrog, der die Größe eines Baumstammes hatte. Trotzdem wurde er schnell zu klein, wenn alle Tiere trinken wollten. Auf dem Hof gab es eigentlich alle Tiere, die man sich so vorstellt. Gänse, Hühner, Puten, Hunde, Pferde (echte Trakehner), Schweine, Kühe und Katzen. In den Fenstern standen Blumen. Jeder Hof hatte ein großes Tor, durch welches die vielen Ackermaschinen durchpassen mussten. Früher war es üblich, dass vor jeden Hoftor eine Birke wuchs. Aber mit der Zeit wurden die Maschinen immer größer, so dass die Birken bei den meisten Bauern abgesägt wurden, damit die Maschinen durch dass Tor passten. In Sokollen wurde alles das angebaut, was man zum leben brauchte. Erbsen, Kartoffeln, Weizen, Kohl und anderen wichtige Lebensmittel. Die Landwirtschaft in Sokollen war sehr aufwendig. Der Boden war sehr sandig, und dementsprechend nicht sehr ertragsreich. Was man in Sokollen auf 200 ha Land anbaute, wuchs auf besseren Boden auf gerade mal 90ha. So kam es, dass die Kinder den ganzen Sommer auf dem Feld arbeiteten, und nur im Winter in die Winterschule gingen, um das Wichtigste zu lernen. Feldarbeit auf den Feldern von Wilhelm Kozianka in Sokollen. Den Hof erbte für gewöhnlich der älteste Sohn, während die anderen sich in Höfe einheirateten oder sich bei den ältesten Sohn als Knecht verdingten. Bei Wilhelm Kozianka war Gustav der älteste, doch war hier die Sache anders. Wilhelm wollte seinen Hof nicht an Gustav abgeben, da er damals noch viele unerwachsene Kinder besaß. So kam es, dass Gustav eine Witwe mit Erbhof ehelichte, und später Rudolf Kozianka (der zweitälteste Sohn Wilhelm war im ersten Weltkrieg gefallen) den Hof erbte. Bei der Hofübergabe wurde genau ausgehandelt, wie viel die Eltern von der Ernte und dem Erlös bekommen sollten. Nachdem dies geklärt war, zogen die Eltern in einem abgesonderten Teil des Wohnhauses im ersten Stock und überließen den Hof der nächsten Generation. Wilhelm und Wilhelmine Kozianka hatten ein großes Schlafzimmer mit einen altes Himmelbett, welches zwar nicht bemalt war, aber oben ein geschnitztes Fries hatte. Die Knechte und die Familienmitglieder, welche als Knechte oder Helfer mit auf dem Hof arbeiteten, wohnten in den sogenannten Insthäusern gegenüber dem Hof auf der anderen Straßenseite. Im zweiten Weltkrieg arbeiteten außerdem russische und polnische Kriegsgefangenen mit auf den Feldern. Das Wohnhaus und die Räume in diesen waren alle sehr groß. In der Küche stand ein großer Tisch, denn wenn Familienfeste waren, kamen ganze Dörfer zu Besuch, und da brauchte man sehr viel Platz um die Leute unterzubringen. Dass Essen wurde bei solchen Anlässen in riesigen Kesseln zubereitet, welche nur von zwei starken Männer getragen werden konnten. Damals waren Heiraten innerhalb der Verwandtschaft keine Seltenheit, damit der Hof immer in den selben Händen blieb. Fast jedes Dorf hatte seinen eigenen See oder wenigstens einen Tümpel. Auch in Sokollen gab es solch einen größeren Tümpel, in dem die Pferde nach der Feldarbeit hineingetrieben wurden, damit sie sich waschen konnten. Häufig saßen auf dessen Rücken die Kinder, für welche das ebenfalls eine willkommene Abkühlung darstellte. Außerdem gab es in Sokollen eine kleine Windmühle. Die Windmühle in Sokollen, davor stehen Walli Klotzek, Richard Kozianka und sein Sohn Erich. . In Masuren, und besonders im Kreis Johannisburg, wurde bis nach dem ersten Weltkrieg Masurisch (eine Mischung aus Polnisch und Deutsch) gesprochen, allerdings konnten die meisten auch Deutsch. Nach dem Weltkrieg ging die Bevölkerung aber von alleine immer mehr dazu über, nur noch Deutsch miteinander zu sprechen, um sich von den Polen abzugrenzen. So kam es, dass die jüngere Generation diese Sprache nicht mehr beherrschte, und so die Eltern diese als „Geheimsprache“ benutzen konnten. Doch haben zum Beispiel Wilhelm Kozianka und seine Ehefrau die meiste Zeit ihres Lebens Masurisch gesprochen. Lied in Masurisch: 1. Modre oczkie mamy, 2. Bylebyszmy zygli 1. Blaue Augen han wir, 2. Hätten gern gelebet na sie spoglondamy. Jak dwa golembetzki, Auf einander schaun wir. Wie 2 Turteltäubchen, A co kom’ do tego Musiliszmy sie rostac Wen geht das was an, mussten aber scheiden, sein Kiedy sie Koehamy, Dla jeg matecki. wenn wir uns lieb han? Muttchen tat’s nit leiden.“ Von den Geschwistern: An die älteren Geschwister hatte Emmi kaum noch Erinnerungen, da die meisten relativ früh gestorben sind. Trotzdem gehe ich die 12 Geschwister nach der Reihenfolge ab. 1. Gustav: Gustav war eigentlich der älteste Sohn der Familie, und sollte den Hof des Vaters erben. Allerdings hatte sein Vater noch so viele unerwachsene Kinder, dass sich Gustav mit einer Witwe verheiratete und deren Hof übernahm. Seine Tochter Martha heiratete einen Bauern in Paulshagen und deren Nachkommen leben heute Teilweise in Amerika. . Familie Walschulczik (Nachkommen von Gustav Kozianka) 2. Auguste: Sie heiratete Rudolf Grenzka, und hatte mit ihm mehrere Kinder. Die Jüngste von ihnen hieß Emma und heiratete ihren Onkel Erich Kozianka. 3. Ottilie: Sie heiratete einen Fritz Ulisch, welchen aber die Mutter von Emmi Klotzek Ida geb. Kozianka nicht leiden konnte. Sie starb 1952. 4. Amalie: Sie heiratete einen Kopanka, mit dem sie mehrere Kinder hatte. Ihr Sohn Erich floh nach dem zweiten Weltkrieg mit nach Deutschland, und hat sich dann in der DDR niedergelassen. Wahrscheinlich hatte er einen Bauernhof. Er hatte außerdem einen Sohn Günther, welcher um 1952 geboren wurde. 5. Clara: Sie war eine Besonderheit unter den Geschwistern. Bis 4 Jahre redete und lief sie überhaupt nicht, sie sagte immer nur die Worte: „Papa, Clara!“, der sie dann überall hin schleppte. Doch ganz plötzlich, in ihrem 4. Lebensjahr, fing sie an zu laufen und zu reden wie ein Wasserfall. Kurz vor dem ersten Weltkrieg machte sie sich als Dienstmädchen nach Berlin auf, was für ein Dorfmädchen sehr mutig war. Doch waren gerade Ostpreußische Mädchen für diese Arbeit sehr gesucht, da sie als zuverlässig und fleißig galten. . Clara Bandur geb. Kozianka mit ihrem Sohn Wolfgang. Dort verheiratete sie sich mit Wilhelm Bandur und kam so nur noch selten nach Ostpreußen. Manchmal schickte sie noch Packete mit Klamotten zu ihrer Schwester Erika, welche sie in Polen gegen gutes Fleisch eintauschen und ihr wieder schicken sollte. Doch kam es darüber zum Streit, da Clara behauptete, Erika würde von den eingetauschten Fleisch heimlich etwas zurückbehalten. Doch war es ganz normal, dass das frische Fleisch durch dass lange schicken an Flüssigkeit und folglich Gewicht verlor, weswegen auch alle auf Erikas Seite standen, welche sowieso bei allen anderen Geschwistern als sehr zuverlässig und gütig galt. Claras Sohn Wolfgang ging um 1952 die Vertriebenen in Westfalen besuchen, und hat dabei auch von Emmi Klotzek ein Portrait gezeichnet. Später verlor sich aber die Verbindung zu den Familienmitgliedern. 6. Wilhelm: Er blieb im ersten Weltkrieg. Bei der Nachricht seines Todes soll seine Mutter bitterlich geweint haben. Wilhelm Kozianka (zweiter von links) 7. Rudolf: Er erbte den Väterlichen Hof, und hatte auch mehrere Kinder. Einem Sohn, Erich, ereilte im zweiten Weltkrieg ein grausames Schicksal. Die Russen warfen in Flugzeugen Konfekt und Süßigkeiten über den Deutschen Gebieten ab. Und obwohl die Eltern die Kinder eindringlich warnten, diese Süßigkeiten weder anzurühren noch zu Essen, konnte es Erich nicht lassen. Die nachfolgenden Tage (Stunden?) saß er stumm an dem Kachelofen und rührte sich kaum noch, bis er starb. Auch seine älteste Tochter Helga hat es schlimm erwischt. Sie galt als das schönste Mädchen der ganzen Umgebung. Ein Pole wollte sie nach dem Weltkrieg heiraten, aber sie weigerte sich. Daraufhin wurde sie von diesen vergewaltigt, und sie wurde schwanger. Sie nahm den Sohn nicht an, und er wuchs bei seiner Tante Gerda auf. Helga Kozianka Der Sohn hing sehr an seiner richtigen Mutter, doch diese wollte nichts von ihm wissen. Später in Deutschland heiratete sie einen Witwer mit zwei Kindern. Was aus ihr geworden ist, wusste Emmi nicht mehr. Kommen wir zurück zu Rudolf: Er heiratete Amalie Karkoska, was nicht alle der Koziankas so toll fanden, da sich die beiden Familien nicht sehr gut verstanden. Amalie soll später auch irre geworden sein, was Emmi auf den ewigen Stress und Angst zurückführte. Denn Rudolf schmuggelte regelmäßig Waren von Polen nach Deutschland, während seine Frau voller Angst Zuhause auf ihn wartete. Rudolf selber blieb im Weltkrieg. Er starb 5. Mai 1945 auf der Halbinsel Hela, wo er auch heute begraben liegt. Familie von Rudolf Kozianka 8. Ida: Ida war die Mutter von Emmi Klotzek, deren Erinnerungen ich hier aufschreibe. Sie heiratete den Vizefeldwebel Wilhelm Klotzek. Er stammte aus einer eher armen Familie, welche aber durch Fleiß und Arbeit zu ein wenig Geld gekommen war. Dieses verloren sie aber nach der Wirtschaftskrise wieder, und die Eltern von Wilhelm starben kurz nacheinander. Trotzdem wollte Wilhelm kein Bauer werden, da er sich als Soldat sah. So wohnte die Familie in einen kleinen Siedlungshaus in Lyck. Zusammen hatten sie 5 Kinder: Walli, Gerda?, Gerhard, Erich und die kleine Emmi. Emmi wurde 1939 geboren, inmitten der Zeit, in der die Nahrung durch den ersten Weltkrieg immer noch sehr knapp war. Ida sagte einmal zu Emmi, wenn es in dieser Zeit schon die Abtreibung gegeben hätte, dann hätte sie Emmi abgetrieben, so schwer waren die Zeiten damals. „Doch was hätte ich da getan!“ betonte sie gleichzeitig immer, da Emmi und ihre Mutter sehr stark verwachsen waren. Familie Klotzek Hinten: Schwester, Gerhard Vorne: Emmi, Ida, Walli (Nicht auf dem Bild: Erich) Nach dem zweiten Weltkrieg floh die Familie Hals über Kopf mit den letzten Transport zuerst nach Pommern, wo sie aber schlecht empfangen wurden. Aber eigentlich dachte niemand, dass man nie mehr in die Heimat zurückkehren würde, weswegen zum Beispiel auch die guten Daunendecken und die Wertvollen Sachen Zuhause gelassen wurden. Doch nahm Ida trotz allem noch zwei Fotoalben und alte Urkunden mit, was diesen kleinen Schatz rettete. Schon vor der Flucht waren die Häuser von vermummten Polen ausgeplündert worden. Es waren ja nur noch Frauen, Kinder und Alte in den Höfen. Auch der Mann von Ida war in einem weit entfernten Lazarett, und er schrieb in jeden Brief, sie sollten sofort weg aus dem Osten, immer weiter Richtung Westen, denn „die Bomben wären schlimm, aber die Russen wären furchtbar.“ So kamen sie also nach Pommern, wo die Bewohner noch am feiern waren und nicht daran dachten, den unwillkommenen Flüchtlingen zu helfen. „Warum flieht ihr denn, die Russen sind doch auch nur Menschen!“ So kam es, dass Ida schon sehr bald weiter nach Westfalen zog. Später hörten sie, dass in Pommern ganze Straßen entlang Frauen von den Russen aufgehängt wurden. In Finnenberg/ Westfalen lebte die Familie in einer Baracke ein armseliges Leben. (Fotos: Baracke in Finnenberg) Emmi musste barfuß 12km zur Schule laufen. Bei einer großen Überschwemmungen musste sie außerdem durch das Wasser waten, um Essbares von den benachbarten Bauern zu holen. Außerdem litt sie an einen sehr starken Husten, den aber niemand ernst nahm. Als aber der Husten bei Emmi gar nicht mehr aufhörte, gingen sie dann doch zu einem weit entfernten Arzt, der bei ihr Tuberkulose feststellte. Die nächsten Monate konnte sie nicht mehr in die Schule gehen. Nach einigen Jahren zog die Familie dann nach Darmstadt, in welcher Emmi auch eine Stelle bei der Post annahm. Später stieg sie bis zur Oberpostamtsrätin auf. Sie selber war nie verheiratet, aber ihre Geschwister hatten mehrere Kinder. Ihr Vater, Wilhelm Klotzek, war nie aus dem Lazarett zurückgekehrt. Ida Klotzek geb. Kozianka starb 1976 in Darmstadt. 9. Bertha: Bertha verheiratete sich mit Adolf Sobotka und hatte mit ihm ganze 11 Kinder. Sie soll später auch nach Westfalen gekommen sein, doch was aus ihrer Familie geworden ist, wusste Emmi nicht mehr. Richard Kozianka Bertha Kozianka 10. Richard: Er arbeitete in Ostpreußen als Knecht bei seinem Bruder Rudolf. Schon dort soll er viel getrunken haben. Verheiratet war er mit Ottilie Waschik, einem Nachbarsmädchen. Ob die beiden Kinder hatten, wusste Emmi nicht mehr. Vielleicht ist Ottilie schon früh verstorben, da sie später auf Fotos nicht auftaucht. Richard flüchtete nach dem ersten Weltkrieg mit nach Westfalen, wo er dann als geachteter Knecht arbeitete. Nur leider entwickelte er sich zu einem starken Trinker. 11. Erich: Er war der ganze Stolz der Familie, da er eine Laufbahn als Offizier einschlug. Nach ihm wurden sehr viele seiner Neffen benannt, weswegen der Name Erich auch so häufig in der Familie auftaucht. Er heiratete seine Nichte Emma Grenzka, die jüngste Tochter seiner ältesten Schwester. Vor der Heirat waren die beiden noch bei Ärzten in Berlin und Königsberg gewesen, wegen der nahen Blutsverwandtschaft. Doch alle sagten ihnen, solange es keine Erbkrankheit in der Familie gebe, könnten sie ohne Probleme heiraten. Sie bekamen zwei Töchter, Edeltraut und Ursel, welche auffällig dünne Knochen hatten. Emmi beschreibt Edeltraut als verzogenes Ding, die von Kleinauf verzogen worden wäre. Ursel hingegen war ein ganz nettes Mädchen. Später jedoch zeigte sich bei ihr die starke Inzucht der Familie. Sie konnte durch ihre dünnen Knochen zuerst nicht mehr richtig laufen, bis sie schlussendlich auf einen Rollstuhl angewiesen war. Erich war nach dem zweiten Weltkrieg in Russischer Gefangenschaft, in der es ihm sehr schlecht ergangen sein muss, aber er hat nie davon erzählt. Was aus ihm geworden ist, wusste Emmi nicht mehr. Ursel und Edeltraut Kozianka 12. Erika: Sie war die Jüngste der 12 Geschwister, und wurde von Emmi als die Beste unter den Geschwistern beschrieben. Als kleines Kind im ersten Weltkrieg wurde sie sehr von den Russischen und Polnischen Kriegsgefangenen bestaunt. Denn als die Pferde aus den Ställen gerannt kamen, griff die kleine Erika in die Mähne der rennenden Pferde und schleuderte sich auf deren Rücken. Mit 16 Jahren half sie, das neue Wohnhaus in Sokollen aufzubauen und mit 29 Jahren heiratete sie Max Waschik, welcher ein Bruder von Richard Koziankas Frau Ottilie war. Er besaß den größten Hof in Sokollen, welcher außerdem ein Erbhof war. Deswegen war es für die beiden auch unglaublich schwer zu erleben, dass ihnen kein Kind geboren wurde. Sie gingen zu vielen Ärzten in Berlin und Königsberg, doch der Kindersegen blieb aus. Max musste deswegen im zweiten Weltkrieg nicht in den Kampf, weil er ja den Hof verwalten musste. Erst am Ende des Krieges musste er zum Volkssturm, aus dem er nicht mehr zurückkehrte. Er blieb für immer verschollen. Erika war nach dem Krieg nicht geflüchtet, weil sie auf ihren Max wartete, und kam so in polnische Gefangenschaft. Sie musste unter anderem auf „deren“ Höfen arbeiten. Doch brach sie aus, und flüchtete sich zu Fuß Nachts immer richtung Deutschland. Bei der Zonengrenze wurde sie fast geschnappt, doch sie schrie so fürchterlich, dass einer der Wachen sagte, man solle sie doch laufen lassen. So kam sie nach Westfalen zu ihrer Schwester Ida, wo sie eines Tages einfach vor der Tür stand. Dort fing sie eine Stelle als Näherin an, und versorgte so ihre Neffen und Nichten mit Kleidung. Sie starb um 1970 und wurde in Darmstadt begraben. Erika Waschik geb. Kozianka Über meine Ururgroßeltern Wilhelm Kozianka und Wilhelmine geb. Kuliga Wilhelm Kozianka wurde am 5. Februar 1854 als Sohn von Adam Kozianka und der Gottliebe geb. Wahrasczyk in Sokollen am Berg, direkt an der polnischen Grenze, geboren. Er hatte noch mindestens zwei Brüder, von dem der eine wahrscheinlich Adam hieß. Eigentlich wollte Wilhelm wie sein ältester Bruder im Kaiserlichen Heer eintreten, allerdings fiel dieser älteste Bruder in den 1870/71er Krieg und er musste als Bauer den sehr alten väterlichen Hof übernehmen. Seine Ehefrau hatte er dass erste mal bei ihrer Einsegnung (Konfirmation) gesehen, und sofort beschlossen: „Das wird meine Frau!“. Und so ist es dann auch gekommen. Wilhelmine Kuliga stammte aus Bagensken (=Lehmannsdorf) und wuchs auf einem großen Gut auf, welches also über 500 Morgen (4Morgen=1ha) umfasste. Sie hatte noch 4 wesentlich ältere Brüder, von denen einer ebenfalls im 70/71er Krieg gefallen war. Ihre Mutter hatte sie gerade auf dem Arm, als die Nachricht von den Tod des Bruders kam, und hat darüber bitterlich geweint. Da sagte die vierjährige: „Mutter, warum weinst du denn, du hast doch noch mich!“ Später, als ihr zweiter Sohn im ersten Weltkrieg fiel, hat sie genauso geweint, obwohl sie ja noch 11 Kinder hatte. Von den drei anderen Brüdern haben die Eltern zwei studieren lassen. Wilhelmines Vater, Gottlieb Kuliga, hat sie immer mit der Kutsche nach Lyck zum Gymnasium gefahren - das waren etwa dreißig Kilometer – sie zu den Ferien abgeholt und danach wieder nach Lyck in die Pension gebracht. Für sich selber hat er stets einen Groschen Reisegeld mitgenommen. Davon hat er sich zwei Brötchen und einen Hering gekauft und so sogar noch zwei Pfennig zurückgebracht. Bei dem studieren ging es nach der Faustformei: Hat er einen guten Kopf, wird er Rechtsanwalt, sonst Pfarrer. Der eine wurde Pfarrer. Seine Antrittspredigt hielt er in Kumilsko, seinem Heimatdorf. Nach der Predigt ging er über den Friedhof zum Haus seiner Braut. Er hatte Fieber und erzählte, dass die Toten auf dem Friedhof ihre Arme aus den Gräbern nach ihm ausgestreckt hätten. Daraufhin gab ihm der Arzt ein Mittel zum Einreiben und eins zum Schlucken. Doch zu seinem großen Unglück verwechselte die zukünftige Schwiegermutter die Mittel, woran er starb. Aber sie wurde gerichtlich nicht belangt, weil sie dadurch schon genug bestraft war. Der andere Bruder hat Medizin studiert und wurde Sanitätsrat in Weißenfels in Thüringen. Einige Jahre später lebten wohl noch zwei Kuligas in Düsseldorf, doch wusste man nicht mehr, ob es sich dabei um verwandte handelte. Der dritte Bruder wurde Gutsbesitzer, brauchte den Brüdern aber nichts mehr auszuzahlen, da ihr Erbteil mit den Kosten für das Studium aufgebraucht war. Dieser dritte Bruder hatte eine Lehrerstochter geheiratet, die aber für den Hof nichts taugte. Es hieß damals: ,,Eine Bauersfrau kann in der Schürze mehr aus dem Haus tragen als der Bauer mit dem Fuder einfährt“ So war es hier auch. Sie hatte immer nur Gäste und Feiern im Kopf, während das Kind hat auf dem Boden mit Talern spielte. Als dieser Bruder gestorben war, hatte dessen Sohn ein völlig verschuldetes Erbe übernommen und der Hof sollte ,,unter den Hammer“ kommen. Zur Beerdigung war auch der Onkel aus Weißenfels gekommen. Er soll geweint haben, als er den verluderten Hof gesehen hatte. Er hat nicht am Essen teilgenommen sondern in der Schweineküche Pellkartoffeln aus dem Schweinekessel gegessen. Er half dem Neffen mit viel Geld, dass dieser treu und brav im Laufe der Jahre zurückbezahlte. Und der Hof stand wieder gut da. Doch kommen wir zurück zu Wilhelm Kozianka. Er war sehr schlank und groß, und war auch kein großer Schnapstrinker, obwohl in Masuren immer sehr viel getrunken wurde. Wenn er dann doch mal ein wenig trank, bekam er stets einen roten Fleck über der Nase, so dass seine Ehefrau Wilhelmine sofort Bescheid wusste. So ging er nur sehr selten in die Wirtschaft und ließ, sich auch nicht von den anderen Bauern scharf machen, die sich schon über ihn lustig machten, dass ein so großer und starker Mann sich etwas von so einer kleinen und zierlichen Frau sagen ließ. Als er einmal doch in der Kneipe saß, schickte seine Frau ihre jüngste Tochter Erika, die damals wohl fünf Jahre alt war, rüber, um den Vater abzuholen. Doch der wiegelte immer nur mit: ,,Ja, ja, ich komm’ gleich“ ab, und ließ auf sich warten. Nachdem das viermal so gegangen war ging Wilhelmine selbst rüber. Wilhelm sah sie nur in der Tür auftauchen und schon ging er mit ihr. Seine Frau sagte kein Wort. Sie gingen in die Wohnstube und die kleine Erika wartete am Türschlitz voller Spannung darauf, was nun passieren würde. Opa mit leuchtend rotem Fleck auf der Stirn schwankte ganz schön und setzte sich auf einen Stuhl.Was wohl passieren würde? Da holte kleine Frau aus und verpasste dem großen Ehemann ein paar Ohrfeigen. Und er? Er sagte nur: ,,Hast recht, Alte, hast recht.“ Zusammen hatten die beiden ganze 12 Kinder, von denen es noch mehr Enkel gab, die auch regelmäßig zu Besuch kamen. In der Mitte des großen Hofes stand ein tiefer Brunnen, der eigentlich immer zugedeckt war, damit keines der Kleinen hineinfiel. Doch einmal stand er offen, und die Kinder saßen und spielten am Brunnenrand. Da bekam Wilhelm Angst und schlich sich von hinten an, um die so gefährlich sitzenden nicht zu erschrecken. Als er nah genug herangekommen war, fegte er allesamt mit einem einzigen Arm vom Brunnenrand und hielt ihnen eine Strafpredigt. Wilhelm erblindete im Alter langsam am grauen Star, ließ sich aber in Lyck operieren, so dass er wieder besser sehen konnte. Er starb als letzter seiner Familie in Sokollen am 22 April 1944. Seine Frau Wilhelmine war 5 Jahre vorher entschlafen. Fast alle seine Nachkommen sind nach dem zweiten Weltkrieg vertrieben worden. Sokollen existiert heute wahrscheinlich nicht mehr. Wilhelm und Wilhelmine Kozianka zu ihrer Goldenen Hochzeit