Merkblatt Greifvögel und Flugtauben

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Merkblatt Greifvögel und Flugtauben
Merkblatt
Greifvögel und Flugtauben
-die objektive Betrachtung eines Spannungsfeldes
Text und Fotos:
Dipl.-Ing. Jürgen von Ramin
Hannover, 2015
Greifvögel und Flugtauben
Einleitung
Die Zahl aktiver Flugtaubenzüchter ist nach einem kleinen neuerlichen Aufschwung in der
Kunstflugtaubenszene wieder rückläufig.
Bekanntlich finden sich durch nahezu unbeschränkte Freizeitangebote sowie Änderungen des
Wohnumfeldes und der nachbarschaftlichen Akzeptanz kaum Neueinsteiger für dieses
traditionelle Hobby. Andererseits werden bestehende Zuchten wegen mangelnder
Zukunftsperspektiven aufgrund der gegebenen und unumkehrbaren Greifvogelproblematik
aufgegeben.
Über den letzten Punkt - Hobbyaufgabe wegen zu hoher Greifvogelausfälle - sollen im
folgenden Beitrag gedankliche Impulse geliefert werden. Nicht nur der Greifvogelschutz selbst,
sondern auch wir Züchter selbst tragen objektiv betrachtet eine gewisse Mitschuld an den
teilweise verheerenden Verlusten. Wir machen uns das Leben unnötig schwer, indem wir uns
an Rassen klammern, die für unser Hobby unter den gegebenen Rahmenbedingungen
schlichtweg nicht (mehr) geeignet sind.
Bevor ausführlich auf die Greifvogelproblematik mit all ihren Facetten eingegangen wird,
sollen eingangs die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen erörtert werden, die für eine
entscheidende Frage verantwortlich sind; nämlich nicht die, ob wir mit den Greifvögeln leben
müssen, sondern die, wie wir mit ihnen leben müssen.
Obergrenze fehlt - strittige Entwicklungen des Artenschutzes
Infolge der drastischen Bestandszunahmen der für Flugtaubenzüchter relevanten
Greifvogelarten Wanderfalke, Habicht und mitunter auch Sperber ist ein verlustfreier Freiflug
heute deutschlandweit nicht mehr möglich. Naturschutzorganisationen, in ihrer Eigenschaft als
beratende Fachorgane für politische Entscheidungsträger, betrachten in weiten Zügen die Natur
nicht als ganzheitliches Ökosystem. Spezielle Lieblingsarten stehen im Fokus, deren
Vermehrung mit allen Mitteln vorangetrieben wird. Primär gelten heute die Schutzbemühungen
den karnivoren, also den fleischfressenden Säugetier- und Vogelarten. Seeadler, Wanderfalken,
Wölfe, Wildkatzen und Luchse stehen momentan hoch im Kurs. Füchse, Minke, Hermeline,
Dachse, Steinmarder, Waschbären, Marderhunde und streunende Katzen werden entweder ganz
aus der Liste jagdbarer Arten gestrichen oder deren Bestandsreduzierung durch ausgiebige
Schonzeiten und das Verbot einer effektiven Fallenjagd unmöglich gemacht. Weil es viele
Wählerstimmen kosten würde, werden die viele Millionen Vögel, die unseren 8,2 Mio.
Hauskatzen und ungezählten Greifvögeln und Raubsäugern jährlich zum Opfer fallen,
konsequent tot geschwiegen. Stattdessen werden medienwirksam Vogelschutzcamps auf Malta
gegründet, um illegale Vogelverfolgung zu bekämpfen, die im Promillebereich dessen liegt,
was hierzulande durch die einseitige Arten- und Tierschutzarbeit an Verlusten anfällt. Dem
Schutz der Kleintierwelt, der Bodenbrüter und sonstigen gefährdeten Vogelarten fehlt es an
Popularität. Als so genannte Opportunisten unterscheiden Beutegreifer jedoch nicht, ob es sich
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Greifvögel und Flugtauben
bei ihren Opfern um häufige oder aber bedrohte Tierarten handelt. Greifvögel beispielsweise
jagen auch die seltenen Brutvögel Deutschlands wie das Birk- und Auerwild, das Rebhuhn, den
Goldregenpfeifer, die Uferschnepfe oder den Brachvogel und fressen auch das letzte
Kiebitzküken auf. Damit konterkarieren die übertriebenen Bemühungen bestimmter
Vogelschutzprojekte die Artenschutzbemühungen bei anderen Tieren, für deren Schutz
öffentliche Mittel in beträchtlicher Höhe eingesetzt und durch nicht zu Ende gedachte
Schutzkonzepte zunichte gemacht werden. Betrachten wir an dieser Stelle das Beispiel
„Wiesenvogelschutz“, weil sogenannte Offenlandarten besonders stark unter dem
Prädationsdruck leiden. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland vergebens über 600 Mio. Euro in
Agrarumweltmaßnahmen zum Schutz der Offenlandarten investiert, ohne damit eine
Trendwende im Schutz der Arten unserer Feldfluren bewirkt zu haben. Es ist einfach nicht
möglich, die friedfertigen und wehrlosen Vogelarten einer ganzen Armada von
fleischfressenden Räubern auszuliefern und dann zu behaupten alles regle sich von selbst. Das
funktioniert nicht in einer übervölkerten und ausgeräumten Kulturlandschaft. Unsere durch
intensive Landwirtschaft geprägte Kulturlandschaft ist großflächig auch nicht mehr in ideale
Lebensräume mit intakten Ökosystemen umformbar. Über 81 Mio. Bundesbürger und
neuerdings ungezählte Flüchtlinge wollen satt werden und können sich nicht von der ÖkoLandwirtschaft oder wie früher von der Jagd, Beeren und Pilzen ernähren. Paradox ist aber,
dass dort, wo durch Schutzmaßnahmen und extensive Bewirtschaftung bedrohten
Wiesenvogelarten optimaler Lebensraum geboten wird, dennoch der Reproduktionserfolg nicht
ausreicht, um den Bestand zu erhalten, geschweige denn zu verbessern. Als Ursache für die
Verluste wurden primär Gelegeverluste durch Raubsäuger und sekundär die Prädation der
Küken und Altvögel namentlich durch Rabenkrähe, Mäusebussard, Habicht, Rohrweihe und
Wanderfalke wissenschaftlich nachgewiesen. Der Einfluss der intensiven Landwirtschaft, die
von Naturschützern gebetsmühlenartig als Hauptgrund für den Rückgang bedrohter
Wiesenvögel genannt wird, ist also nicht alleine Schuld. Durch das gestörte Gleichgewicht
zwischen Räubern und Beutetieren leisten Naturschützer an dieser Stelle eher Sterbehilfe, statt
eine einen positiven Aufwärtstrend herbei zu führen. Und so werden auch die LIFE+ Projekte
„Grünland für Wiesenvögel“ am Unteren Niederrhein und „Wiesenvögel“ in Niedersachsen,
die mit jeweils 12 Mio. bzw. 22 Mio. Euro finanziert werden, eher ein Groschengrab für
Steuerzahler. Um das Gleichgewicht zwischen Räubern und Beutetieren herzustellen, muss die
Bestandentwicklung der Räuber, zu denen eben auch Greifvögel gehören, entsprechend
reguliert werden. Fleischfresser, sogenannte Prädatoren, gehören an die Spitze der
Nahrungskette. Es muss in einem funktionierenden Ökosystem immer mehr Beutetiere als
Räuber geben. Durch die Tatsache, dass sich viele Raubtierarten auf zivilisatorische
Nahrungsquellen umstellen können, entziehen sie sich der natürlichen Auslese. Ihre Population
wird dadurch „künstlich“ hoch gehalten. Auch unser Hausgeflügel ist eine anthropogene, also
menschengemachte Nahrungsquelle. Wir tragen unfreiwillig in erheblichem Ausmaß zum
Reproduktionserfolg der für uns problematischen drei Greifvogelarten bei. Wir befinden uns in
der Zwickmühle, dass im Rahmen einer artgerechten Haltung einerseits der Freiflug unserer
Haustaubenrassen und die Freilandhaltung unseres Rassegeflügels propagiert, auf der anderen
Seite dies aber durch die massive Greifvogelabundanz de facto unmöglich gemacht wird. Aus
diesem Dilemma wird es auch in Zukunft keinen Ausweg geben. Durch die hervorragend
organisierte Lobbyarbeit der Natur- und Tierschutzverbände, und der damit verbundenen
starken Medienpräsenz, wird der unkundige Mitbürger erheblich beeinflusst. Der heute weit
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Greifvögel und Flugtauben
von der Natur entfernten Allgemeinbevölkerung kann man die abenteuerlichsten ökologischen
Zusammenhänge glaubhaft machen und für den vermeintlich guten Zweck reichlich Spenden
einwerben. Ob es bei der gegenwärtig hohen Population der meisten Greifvogelarten überhaupt
noch sinnvoll ist, weitere Schutzprojekte zu initiieren wird nicht hinterfragt. Es wird wie
selbstverständlich bejaht und jeder Fabrikbesitzer ist stolz, wenn ein Wanderfalkenpaar auf
seinem Gebäude nistet. Die ausgeklügelte Lobbyarbeit dieser Verbände beschert traumhafte
Mitgliederzahlen. Sie trägt sowohl direkt als auch indirekt entscheidend zur Meinungsbildung
bei der überwiegend städtischen Bevölkerung bei, die aus ihrer Etagenwohnung heraus die
Naturschutzpolitik rezitiert, die ihr von der Verbandsleitung vorgedacht wird. Allein der NABU
hat heute 560.000 Mitglieder, die dieser Organisation ein dickes Finanzpolster u.a. für die
Honorare bester Fachanwälte und ein riesiges Werbebudget ermöglichen.
Wie gut die PR- Maschinerie dieser Verbände läuft, spiegelt sich selbst in unserem eigenen
Sprachgebrauch wider. Warum sprechen wir eigentlich heute politisch korrekt von
„Greifvögeln“ und nicht mehr von „Raubvögeln“? Der Hecht ist ein Raubfisch und der Löwe
eine Raubkatze. Beide rauben ihren Beutetieren das Leben, um selbst zu überleben. Habicht
und Wanderfalke sind aber schon lange keine „Raubvogel“ mehr. Sie wurden erstmals 1937
durch die Falknereilegende Dr. Heinz Brüll wertfrei in „Greifvögel“ umbenannt. Ab Mitte des
20. Jhd. wurde dieser Begriff dann auch zunehmend von der aufstrebenden Naturschutzlobby
verwendet. Der unvoreingenommene Bürger spendet schließlich lieber für den Greifvogel- als
für den Raubvogelschutz.
Nachdem der Wanderfalke im Jahr 1971 durch den damaligen Deutschen Bund für Vogelschutz
(heute NABU) zum Vogel des Jahres gekürt wurde, folgte ihm der Habicht im Jahr 2015 und
wurde mit demselben Titel in den Fokus medialer Aufmerksamkeit gerückt. Die Begründung
hierfür, so hieß es in den unzähligen Pressemitteilungen und Info-Flyern, sei die immer noch
sehr hohe Verfolgung dieser Vogelart durch Geflügelzüchter und Jäger. Dass dieses in den
Pressemitteilungen durch geschickte Wortwahl unnötig hoch gespielte Problem objektiv
betrachtet wie eine Seifenblase zerplatzt, verraten uns die offiziellen Zahlen. Zwischen 2004
und Mitte 2014 wurden in der BRD 126 illegal getötete Habichte dokumentiert. Das sind 12,6
Habichte pro Jahr in der gesamten Bundesrepublik und nicht einmal ein Habicht pro
Bundesland im Jahr! Bei deutschlandweit geschätzten 12.000 Brutpaaren und ungezählten
zehntausenden Nichtbrütern stellt man sich die Frage, warum wegen einer derart
vernachlässigbar kleinen Anzahl getöteter Habichte, die im Promillebereich liegt, trotz der
gegenwärtigen Populationsdichte auf Rekordniveau, eine derartige Kampagne gegen
Geflügelhalter und Jäger losgetreten wurde. Offiziell wurden die 126 toten Habichte lediglich
als die Spitze des Eisberges tituliert. Angesichts der signifikant positiven Bestandsdynamik in
den zurück liegenden Jahren waren die Verluste durch Verfolgung aber offenbar derart gering,
dass der eigentliche Eisberg unter dieser Spitze sehr klein sein muss.
Auch wenn es regelmäßig Bestrebungen seitens der Rasse-, Flug- und Brieftaubenzüchter gibt,
Einfluss auf Politiker zu nehmen, um zu erträglichen Bestandszahlen zurück zu kehren, war
dieses Unterfangen noch nie so hoffnungslos wie heute. Im Januar 2016 beispielsweise
verfassten der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter e.V., der Verband Deutscher
Rassetaubenzüchter e.V. und der Verband Deutscher Geflügelzüchter e.V. eine gemeinsame
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Greifvögel und Flugtauben
Petition für eine Regulierung der Greifvogelbestände und sandten diese an die Bundesregierung
sowie an die Landesregierungen der Bundesländer. In den darauf eingehenden
Antwortschreiben der Behörden wurde unisono Verständnis für die Situation der
Taubenzüchter geäußert, man sah aber keinen Handlungsbedarf, auch keine Rechtsgrundlage
an der gegenwärtigen Situation etwas zu ändern und stellte die hohen Populationszahlen unserer
Greifvögel als erfreuliche Errungenschaft des Naturschutzes dar. In der Tat, neben der
mangelnden Bereitschaft überhaupt den Versuch einer Situationsänderung für ein paar
Wählerstimmen aus Züchterkreisen zu unternehmen, ist von Gesetzes wegen der
Greifvogelschutz dermaßen fest in den nationalen und europäischen Natur- und
Artenschutzgesetzen verankert (vgl. BNatSchG, BArtSchV, VogelSchRL, BJagdG,
BWildSchV, EG-ArtSchVO), dass einer Umkehr zu tragbaren Bestandszahlen durch
entsprechende Regulierungsmaßnahmen tatsächlich die rechtliche Grundlage fehlt und absolut
nicht möglich ist.
Unter der Prämisse, dass die politischen Rahmenbedingungen und damit einher gehend die
hohen Greifvogelbestände unabänderlich sind, müssen sich also wir, die Züchter, als eine
verschwindend kleine und immer weiter abnehmende Minderheit unserer Gesamtbevölkerung
uns mit unseren Tauben anpassen!
Zum besseren Verständnis der Kausalzusammenhänge werden nun die drei für uns relevanten
Greifvogelarten und ihre Jagdweise vorgestellt, bevor auf das Kernproblem für uns
Flugtaubenzüchter eingegangen wird.
Habicht und Sperber
Habichte und Sperber, als die kleinere cofunktionelle leistungsanaloge Doppelart, entstammen
der Gattung Accipiter, und werden daher nachfolgend unter dem Begriff Accipitridae
zusammenfassend beschrieben. Accipitridae erreichen mit ihren kurzen Flügeln und einem
relativ geringen Körpergewicht kurzzeitig hohe Geschwindigkeiten bei einer enormen
Eigenbeschleunigung. Ihre Handschwingen besitzen schmale Spitzen, haben aber an der Basis
der Federn im Vergleich zu den Falken eher breite Federäste, die einen höheren Luftwiderstand
erzeugen. Mit kurzen, vollen Flügelschlägen beschleunigen sie zu Beginn der Jagd, um dann,
den Schwung ausnutzend, mit dem Zusammenlegen der Flügel und geringerem Luftwiderstand
auf die Beute zustürzen zu können. Mit zusammengefalteten Flügeln läuft die vorbeiströmende
Luft fast nur noch durch die feinen Federspitzen. Dies ermöglicht ihnen, bei großer
Schnelligkeit eine dennoch sehr präzise Steuerung, bei der die Ausweichmanöver der Beutetiere
mit den Flügel- und Federspitzen ausgeglichen werden. Zusätzlich befähigt sie ihr langer Stoß
zu einer hohen Wendigkeit bei der Jagd.
Häufig jagen Accipitridae nur über kurze Distanzen, setzen auf Überraschung und können auf
Ausdauer verzichten. Neben seiner Steuerfunktion fungiert der lange Stoß zusätzlich als eine
Art dritter Flügel und sorgt für den nötigen Auftrieb beim Durchfliegen kleinster Schlupflöcher,
wenn der Vogel seine Flügel eng anlegen muss. Eine Nickhaut schütz dabei das Auge vor
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Greifvögel und Flugtauben
Verletzungen. Im Sommerhalbjahr findet die Jagd häufig bereits vor Sonnenaufgang und auch
noch in der Abenddämmerung statt.
ABBILDUNG
1:
TYPISCHE
FLÜGELUND
SCHWANZFORM
KURZSTRECKENSPRINTERS AM BEISPIEL EINES SPERBERTERZELS
EINES
WENDIGEN
Im Winterhalbjahr ist aufgrund der wenigen Tageslichtstunden und dem begrenzten
Nahrungsangebot zu jeder Tageszeit mit Angriffen auf unsere Tauben zu rechnen. Selbiges gilt
auch beim Vorliegen eines Habituationseffektes, nämlich dann, wenn sich ein Habicht auf einen
bestimmten Flugtaubenbestand „eingeschossen“ hat und die Jagd in Schlagumgebung zur
Gewohnheit wird.
Einige der in Deutschland brütenden Sperber migrieren bei ungünstiger Nahrungssituation im
Spätherbst und Winter in wärmere Regionen nach West- und Südwest Europa, wobei die
Zugfreudigkeit von Südwesten nach Nordosten zunimmt.
Der Habicht ist in Deutschland ein Standvogel. Inzwischen brütet er auch mitten in der Stadt
und hat sich, wie viele andere Wildtiere auch, den urbanen Bereich als ehemals scheuer
Waldvogel erobert. Berlin ist mit ca. 100 Brutpaaren derzeit nicht nur die Bundes- sondern auch
die „Habichthauptstadt“. Neben Berlin gibt es derzeit größere Habichtvorkommen auch in
Hamburg und Köln. Die Kolonisierung der Städte verläuft i.d.R. von den Stadtwäldern der
Randlagen in Richtung Zentrum, solange die Habichte in Ruhe gelassen werden. Mit
zunehmender Verstädterung sinkt der Anspruch der Vögel in Bezug auf ihre Nistplatzwahl.
Während zu Beginn der Kolonisierung noch Altholzbestände wichtig sind, begnügen sie sich
die Stadthabichte später mit Friedhöfen, Grünstreifen und brüten selbst auf Hinterhöfen. Die
Scheu vor dem Menschen haben sie teilweise völlig abgelegt und schlagen ihre Beute direkt
neben Menschenansammlungen. Die Hauptnahrung besteht aus (Stadt)tauben, Elstern und
Amseln.
Da nordische Habichte Deutschland als Überwinterungsgebiet nutzen, kommt es zu einer
Erhöhung der Habichtpopulation in den Wintermonaten. Daher wird der Freiflug unserer
Tauben zu dieser Jahreszeit fast überall eingestellt.
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Greifvögel und Flugtauben
Das Brüten, Hudern und Füttern der Jungen sind allein Aufgabe des Weibchens beider Arten,
während der Terzel unermüdlich Nahrung zuträgt. Sind die Jungtiere zwei bis drei Wochen alt,
beteiligt sich auch das Weibchen an der Jagd.
Der Merksatz: „Den Habicht erkennt man daran, dass man ihn nicht sieht“, charakterisiert in
exzellenter Weise die Jagdweise des Habichts. Sein Jagdflug ist so ausgelegt, dass unsere
Tauben den angreifenden Vogel erst sehr spät und damit meist zu spät erkennen und damit
keine ausreichenden Fluchtmöglichkeiten mehr haben. In den (noch) meisten Fällen stößt der
Habicht nicht, so wie der Wanderfalke, aus dem freien Luftraum herab, sondern nutzt bei
seinem flachen Flug gezielt die Deckung durch Bäume, Hecken oder Gebäude. Habichte sitzen
normalerweise mittig im Baum und halten sich nie exponiert auf dessen Gipfel auf. Im Flug ist
es nahezu unmöglich allein aufgrund der Größe den Habicht-Terzel und das Sperber-Weibchen
auseinander zu halten. Ein guter Anhaltspunkt ist die Flügelschlagfrequenz, die beim Habicht
niedriger ist.
Beide Arten schlagen unsere Tauben sowohl in der Luft als auch am Boden und töten sie als
sogenannte „Grifftöter“ mit ihren dolchartigen Krallen.
ABBILDUNG 2: FUßAUFBAU EINES GRIFFTÖTERS MIT VERLÄNGERTEN KRALLEN AN DER
HINTERZEHE UND DER ERSTEN VORDERZEHE AM BEISPIEL VON HABICHT (RECHTS) UND SPERBER
(LINKS).
Die Beute wird meist in einem Versteck gekröpft, das als Rupfplatz bezeichnet wird. Der
Sperber besitzt einen Rupfplatz den er regelmäßig aufsucht, der Habicht wechselt seinen
Rupfplatz.
Der tägliche Nahrungsbedarf eines Habichtweibchens ist aufgrund seines Körpergewichtes von
1000 – 1300g am höchsten und beträgt rund 160g – im Winter mehr, im Sommer weniger.
Während der Aufzuchtphase benötigt eine Habichtfamilie mit drei Jungvögeln bei einer
angenommenen Nestlings- und Ästlingszeit von 50 Tagen rund 60 kg Fleisch.
Habichte können in der Natur recht alt werden. Dazu ein Beispiel: Ein knapp zwanzig Jahre
alter Habicht-Terzel wurde am 31. Mai 1988 der Nähe von Neubrandenburg (MecklenburgVorpommern) als nestjunger Vogel beringt und am 11. März 2008, nach 7.224 Tagen, 95 km
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Greifvögel und Flugtauben
westlich des Beringungsortes frischtot gefunden. In Gefangenschaft sind Habichte sogar 34
Jahre alt geworden.
Taubenhalter werden künftig zunehmend vor dem Problem stehen, dass Habichte evolutiv sehr
flexibel auf die populationsökologischen Veränderungen ihrer Beutetiere reagieren. Durch den
Wegfall natürlicher Nahrungsressourcen in Form von Kaninchen und Hühnervögeln, sind
Habichte heute betonte Taubenjäger, die seit der Mitte des 20. Jhd. im Mittel bei uns kleiner
geworden sind. Als weitere Anpassung an Tauben als Hauptbeute fallen zunehmend hohe
Pirschflüge bei Habichten auf, sofern sie gelernt haben, dass sie im Luftraum bestimmten
Flugtaubenrassen gegenüber auch ohne Überraschungseffekt überlegen sind. Die Jagdweise des
Habichts ähnelt dann der des Wanderfalken. In bestimmter Entfernung zum Flugstich beginnt
sich der Habicht im energiesparenden Segelflug hoch zu schrauben. Hat er eine für ihn günstige
Jagdposition erreicht, startet er seinen Angriff aus leicht erhöhter, fast horizontaler Position. In
der Regel geraten dabei einzelne Tauben in Panik und sondern sich vom Flugstich ab. Diese
Einzeltauben werden dann vehement verfolgt und regelrecht ausgeflogen. Anders als der
Wanderfalke verfolgt der Habicht seine Beute dann auch in unmittelbarer Bodennähe. Durch
seine im Gegensatz zum Wanderfalken hohe Wendigkeit und Bereitschaft zur bedingungslosen
Verfolgung bis in alle Verstecke hinein, haben die Tauben bei dieser Jagdweise des Habichts
kaum eine Chance zu entkommen. Werden sie nicht erbeutet, verletzen sie sich oft bei der
Flucht, beispielsweise durch Astanflug oder Scheibenanprall. Erschwerend wirkt sich auf die
Opfer aus, dass der Habicht zu Beginn seines hohen Jagdfluges durch einen segelnden Aufstieg
völlig ausgeruht ist, während die Tauben zu dieser Zeit durch ihre schnellen Ausweichmanöver
schon abgeflogen sind. Die einzige Möglichkeit für die Tauben, dieser relativ neu etablierten
Jagdstrategie des Habichts zu entrinnen, ist die Flucht in Oberluft. Erfahrungsgemäß bricht der
Habicht die Verfolgung spätestens an der Grenze mittlere Höhe bis Oberluft ab.
Was beim Wanderfalken als Fluchtstrategie falsch ist, erweist sich beim Habicht als der richtige
Lösungsweg.
Wanderfalke
Wenden wir uns nun dem, insbesondere für hoch fliegende Flugtaubenrassen gefährlichsten
Räuber, dem Wanderfalken zu.
Falken bilden eine eigene Ordnung, zu der keine anderen Greifvögel zählen. Nach DNAAnalysen sind Falken nicht mit anderen Greifvögeln verwandt, sondern teilten sich mit den
Papageien vor rund 60 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren.
Der Wanderfalkenschutz gehört zu den Ikonen des deutschen Naturschutzes. Gleich drei
spezialisierte Schutzgruppen, die AWU (Aktion Wanderfalken- und Uhuschutz), die AGW
(Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz) und der AWS (Arbeitskreis Wanderfalkenschutz)
haben sich der Betreuung dieser Vogelart verschrieben. Seit dem Rückgang in den 1950er
Jahren und sogar dem temporären Aussterben in den Ländern Dänemark, Polen, Belgien,
Luxemburg, der DDR und den Niederlanden, erreichen die Bestände inzwischen historische
Maximalwerte. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind beispielsweise in 2015 von 222
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Greifvögel und Flugtauben
Revierpaaren genau 400 Jungfalken ausgeflogen – Rekordwerte, die es zuvor nie gab.
Gemessen an der Zahl der Jungfalken überholte NRW in 2015 erstmalig das traditionelle
Wanderfalken-Bundesland Baden Württemberg.
Wie beim Habicht fällt auch beim Wanderfalken eine zunehmende Urbanisierung auf. Bis Mitte
der 1980er Jahre waren gebäudebrütende Paare eine extreme Seltenheit. Danach begann
zunächst eine zögerliche, dann aber eine zunehmend stärkere Nutzung von Bauwerken als
Brutplätze. Der bundesweit nie dagewesene Bruterfolg beim Wanderfalken ist auf das
flächendeckende Angebot an Kunsthorsten auf Industrie- und Kraftwerksgebäuden,
Kühltürmen, Hochhäusern, Autobahnbrücken und Funk- oder Kirchtürmen zurück zu führen.
Hierbei handelt es sich um künstliche Ersatzhabitate (Ersatzfelsen), die dieser Vogelart erst
nach dem 2. Weltkrieg mit dem Ende der bis dahin üblichen Niedrig-Bauweise zur Verfügung
stehen. Alle vorgenannten Gebäudestrukturen sind frei von Störungen - etwa durch Kletterer
bzw. illegale Nesträuber- und bieten die gleichen Vorteile wie die früheren Felsenbrutplätze.
Hierzu zählen eine gute Revierbeobachtung zur Abwehr von Konkurrenten, sowie eine hohe
Ansitzwarte, die die Jagd begünstigt und gute Aufwinde generiert. Sofern das Umfeld der
Gebäudestrukturen nachts beleuchtet ist, kommt als zusätzlicher Vorteil für die Wanderfalken
die Möglichkeit zur Nachtjagd auf durch den Lichtkegel fliegende Vögel, insbesondere
während der Zugzeit, hinzu. Beispiele sind hier der Kölner Dom und der Alexanderplatz in
Berlin. Im Bundesland NRW gibt es die wohl größte Bauwerksbrüter-Population der Welt. 98%
der dort brütenden Wanderfalkenpaare nutzen Bauwerke als Brutstätten. Auch in Zukunft wird
die Urbanisierung weiter voran schreiten. Eine Rolle spielt dabei die Zunahme der deutschen
Uhubestände. Der Uhu, als einer der wenigen natürlichen Feinde des vornehmlich jungen
Wanderfalken, nutzt immer stärker die natürlichen Felsenhabitate, die seit Jahrtausenden von
Wanderfalken beflogen wurden. Dadurch entsteht für diesen ein Verdrängungsprozess in
Richtung Stadt als sicherer Lebensraum.
Eine zweite Säule des bundesweit hohen Reproduktionserfolges beim Wanderfalken ist dessen
hohe ökologische Plastizität bei der Auswahl geeigneter Nistplätze, wenn die Nistrequisiten
„Felsen“ bzw. „Ersatzfelsen“ nicht zur Verfügung stehen. Ausgehend von der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg hat sich der Wanderfalke vom reinen Felsen- und Gebäudebrüter während
der letzten Jahre auch zum Boden- und Baumbrüter entwickelt. Während bodennahe
Reproduktionsstätten eher auf den Dünen der Nordseeinseln wie beispielsweise Süderoogsand
vorkommen, werden zunehmend Baumbrüter zum Problem für Flugtaubenzüchter. Der als
Baumbrüter in den 1970er Jahren ausgestorbene Wanderfalke wurde inzwischen wieder
erfolgreich im nordostdeutschen Tiefland angesiedelt. Anders als bei felsen- oder
gebäudebrütenden Wanderfalken ist den Baumbrütern bezüglich der Neststandorte –außer, dass
sie auf Nester anderer Vogelarten angewiesen sind- kein Limit gesetzt. Damit ist die
Wiederausbreitung baumbrütender Wanderfalkenpopulationen auch in bisher durch diese
Greifvogelart unerschlossenen Gebieten möglich. Nachdem das Artenschutzprojekt zur
Wiederansiedlung baumbrütender Wanderfalken in Sachsen-Anhalt in der Oranienbaumer
Heide bei Dessau im Jahr 2001 begann, wird es inzwischen auch in Brandenburg und
Mecklenburg -Vorpommern durch den AWS flächendeckend durchgeführt. Bei den
Baumbrütern handelt es sich um Zuchtfalken oder Jungvögel aus behördlich genehmigten
Rettungsumsetzungen, die in einem Auswilderungskorb auf den Niststandort „Baum“ geprägt
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Greifvögel und Flugtauben
werden. Auch wenn einige Jungfalken dieser Baumbrüter dem Uhu, Habicht, Marder oder
langanhaltenden Regenfällen zum Opfer fallen, wird es in Zukunft genügend geprägte Vögel
geben, die zu einer Populationsstabilisierung baumbrütender Wanderfalken beitragen werden.
In Deutschland wandern nur die Jungvögel der Wanderfalken nach dem Selbstständigwerden
ab, während die Altvögel im Allgemeinen ganzjährig in ihrem Revier verbleiben. Nur in
Ausnahmewintern werden durch die dann herrschende Nahrungsverknappung auch die
Altfalken zum Abzug gezwungen. Die nord- und nordosteuropäischen Unterarten des
Wanderfalken, der zu den wirklich kosmopolitischen Vogelarten zählt und außer der Antarktis
überall anzutreffen ist, sind im Gegensatz zu unseren hiesigen Artvertretern Zugvögel. Vor
allem die Subspezies calidus gehört unter den Unterarten zu den ausgeprägtesten
Langstreckenziehern, die auf ihrem Zug länger in Deutschland rasten. Zusammen mit anderen
hier überwinternden Unterarten erhöhen sie zur Zugzeit im Herbst und Frühjahr und während
der Wintermonate den Jagddruck auf unsere Haustauben. Aufgrund der sehr schweren
Bestimmung dieser Unterarten, allein anhand optischer Merkmale, ist eine Unterscheidung von
den hiesigen territorialen Wanderfalken so gut wie nicht möglich.
Wanderfalken sind hochspezialisierte Vogeljäger. Ihre schmalen, sichelförmig zugespitzten
Flügel machen sie zu sehr schnellen und ausdauernden Fliegern, die im Horizontalflug
Geschwindigkeiten von über 100km/h erreichen. Anders als Accipitridae nehmen
Wanderfalken eine andere ökofunktionelle Position unter den Luftraumjägern ein.
Wanderfalken jagen fast ausschließlich Vögel im freien Luftraum. Oft findet die Jagd in so
großen Höhen statt, dass sie für das menschliche Auge nicht mehr zu erfassen ist. Da es den
Wanderfalken im Luftraum nicht möglich ist, durch das Ausnutzen von Deckung möglichst nah
an ihre Opfer heranzukommen, wird das Überraschungsmoment durch die Annäherung mit
größtmöglicher Geschwindigkeit im Steilstoß erreicht. Stellt es der Falke geschickt genug an,
bleibt unseren Tauben nur ein sehr kurzes Zeitfenster zur Reaktion. Ein Wanderfalke sieht eine
Taube aus etwa 1,5 km Entfernung. Im Gegensatz zu Habicht und Sperber ist er ein
Langstreckenjäger, der die Tauben über weite Distanzen verfolgt, sofern sich die Tauben nicht
in Deckung bringen. Die oft von Hochflugtaubenzüchtern propagierte Flucht des Stiches nach
oben, ist beim Habicht zweckmäßig, beim Wanderfalken aber der denkbar ungünstigste Weg.
Während sich unsere Tauben jeden Meter Höhengewinn mühsam im energiezehrenden
Schlagflug erkämpfen, schraubt sich der Wanderfalke bei ausreichender Thermik im
„Energiesparmodus“ per Segelflug in die Höhe. Zum Zeitpunkt des Angriffes in großer Höhe
ist er also komplett ausgeruht und kann sein Leistungspotential voll ausschöpfen.
Zurück zu den Jagdtechniken. Beim Steilstoß kreist der Anwarterfalke in größerer Höhe und
wartet auf Vögel, die unter ihm fliegen. Der Falke geht dann beim Anblick geeigneter Beute
mit dicht angelegten Flügeln in den Sturzflug über. Die oft zitierte Sturzgeschwindigkeit von
über 320km/h erreicht der Wanderfalke wenn überhaupt nur im senkrechten Stoß. In praxi kann
er den vertikalen Sturzwinkel aber nicht beibehalten, weil sich einerseits der Falke bei dieser
Geschwindigkeit beim Anprall an die Beute selbst verletzen würde und er andererseits zum
Visualisieren seiner Beute den Kopf in einem Winkel von rund 40° zu einer Seite schräg halten
müsste. Dies wäre aerodynamisch unvorteilhaft. Der Sturzflug des Falken verläuft daher in
einer Linie, die einer Parabel gleicht. Die Steuerung erfolgt mit den Daumenfittichen, da es
nicht möglich ist, bei dem hohen Tempo mit ausgebreiteten Stoßfedern oder den Flügeln zu
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Greifvögel und Flugtauben
lenken. So erreicht der Wanderfalke mit angelegten Flügeln, meist von unten und von hinten also im „toten Winkel“ des Beutevogels - sein Opfer. Sein Schwung trägt ihn aus dieser Position
leicht aufwärts zur Beute. Er bricht den Schwung durch das Auffächern der Flügel und
Stoßfedern ab, streckt seine Fänge nach vorn und ergreift die Beute in der Luft. Bei dem hohen
Tempo des Sturzflugs gelingt das Ergreifen der Beute nicht immer. Es gibt häufig Fehlstöße,
bei denen der Wanderfalke ins Leere greift. In den Sekundenbruchteilen, in denen er seine
Fänge ausstreckt, fährt eine gute Flugtaube folgendes Notprogramm: Sie lässt sich fallen oder
schwenkt seitwärts weg oder überschlägt sich. Alles um plötzlich die Flugrichtung zu ändern
und den Wanderfalken zu irritieren. Oft ist es aber so, dass der Falke nach dem Fehlstoß wendet
und mit kraftvollen Flügelschlägen versucht, seine Beute doch noch zu erreichen. Da
Wanderfalken nur eingeschränkt wendig sind, haben agile Taubenrassen gute Chancen
hakenschlagend eine schützende Deckung zu erreichen und zu entkommen. Neben dem
parabelförmigen Angriffsflug ist aber auch ein direkt ausgeführter linearer Kurzstrecken Steilstoß möglich. Hierbei wird der Taube ein Schlag versetzt. Höchstwahrscheinlich benutzen
die Falken hierfür die ungeöffneten Füße. Der Falke fliegt nach dem Schlag aufgrund seiner
großen Geschwindigkeit an der Beute vorbei und kehrt dann in einer Kurve zu dieser zurück.
Die Beute wird häufig allein durch den Aufprall getötet, falls sie nur verletzt ist, tötet der Falke
sie dann mit seinem Falkenzahn durch einen Biss ins Genick.
ABBILDUNG 3: CHARAKTERISTISCHE MERKMALE DES WANDERFALKEN: ZAPFEN IN DEN
NASENLÖCHERN, DIE ALS WINDBRECHER FUNGIEREN, DEM FÜR BISSTÖTER TYPISCHEN
FALKENZAHN IM OBERSCHNABEL UND DIE NICKHAUT (BILD RECHTS), DIE DAS AUGE VOR
VERLETZUNGEN SCHÜTZT
Bei der anderen Variante, dem Flachstoß von einer Warte oder aus dem Pirschflug heraus,
erfolgt die Annäherung an die Beute von hinten und etwas versetzt unterhalb der Beute. Hierbei
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Greifvögel und Flugtauben
ergibt sich ein Überraschungsmoment für den Falken infolge der schnellen Annäherung im
„toten Winkel“ hinter der Beute her. Der Beutevogel wird dann von hinten und unten gegriffen.
Gut eingeflogene Taubenrassen, die über gute Flugfertigkeiten verfügen, haben, wenn sie die
Annäherung des Falken rechtzeitig bemerken, relativ gute Chancen zu entkommen. Im
Geradeausflug sind sie nur unbedeutend langsamer als ein Wanderfalke. Hat er das Opfer
eingeholt, versucht die Taube, ähnlich wie bei Steilstößen, durch das Fliegen in sehr engen
spiralförmigen Kurven nach unten zu entkommen und möglichst schnell schützende Deckung
zu erreichen. Zu langsame Tauben werden in rasendem Flug überflogen. Dabei versetzt der
Wanderfalke den Beutevögeln mit geschlossenen Fängen einen Schlag oder verletzt sie beim
Überflug mit der hinteren Zehe (Fangklaue). Das ist dann der Fall, wenn man die Federn fliegen
sieht. Danach steilt der Falke auf, dreht sich und ergreift die verletzte Beute. Die vorgenannten
Grundmuster der Jagd können natürlich auch vielfältig variiert und kombiniert werden.
ABBILDUNG 4: DETAILANSICHT DER WAFFEN EINES WANDERFALKEN: FALKENZAHN UND
GREIFFUß. DIE FUßUNTERSEITE IST MIT NOPPEN VERSEHEN (PFEIL), DIE DIE KONTAKTFLÄCHE
MIT DEM BEUTEVOGEL VERGRÖßERN UND DAMIT DAS HALTEN DES OPFERS ERLEICHTERN.
Beim Wanderfalken teilen sich Weibchen und Terzel das Brutgeschäft, so dass entgegen der
landläufigen Meinung beide zur Brutzeit jagen. Interessant ist, dass sich neben dem Elternpaar
teilweise auch Terzel aus der Vorjahresbrut an der Aufzucht der Jungen beteiligen.
Flugtaubenzüchter die in der Nähe von Horsten mit derartiger Brutkonstellation wohnen,
erleiden u.U. hohe Verluste durch das sogenannte Jagen in Kompanie. Hierbei beteiligen sich
11
Greifvögel und Flugtauben
mindestens zwei Wanderfalken an der Jagd. In Horstnähe geschieht dies entweder durch das
Revierpaar außerhalb der Brutzeit oder wenn die älteren Jungfalken nicht mehr bewacht werden
oder auch beim Anlernen des flüggen Nachwuchses zur Jagd. Die Annäherung an einen
Beutevogel erfolgt dann in einem gewissen Abstand zueinander, so dass der zweite Falke bei
einem Fehlstoß des ersten auf den ausweichenden Vogel nachstoßen kann. Weicht der Vogel
nach oben aus, folgt einer der Falken dem Vogel in die Höhe, während der andere (meist das
Weibchen) unter dem Beutevogel kreist und ihm so den Weg nach unten abschneidet. In
Kompanie jagende Wanderfalken versetzen einen Taubenschwarm derart in Panik, dass er sich
i.d.R. vollkommen auflöst. Über den Himmel verstreut sucht jedes Tier für sich allein das Heil
in der Flucht. Gerade bei unerfahrenen Jungtaubenschwärmen entstehen die größten Verluste
weniger durch die getöteten Beutevögel als vielmehr durch versprengte Tauben, die in Panik
davon fliegen und nicht mehr zum Heimatschlag zurück finden.
Greifvogelvergrämung aussichtslos
Legale Vergrämungs- und Schutzmaßnahmen wie im Schwanzgefieder befestigte
Abwehrpfeifen, Farbsprays, sowie akustisch und visuell betriebene Abwehrmaßnahmen
erwiesen und erweisen sich als gänzlich ungeeignet oder unzureichend. Erfindungen wie UhuSchrei-CDs, blinkende Habichtaugen, Greifvogelabwehrkugeln (bereits 1957 patentiert),
Blitzleuchten, Rundumleuchten, Multicopter etc. nutzen dem Taubenhalter wenig, da sie –wenn
überhaupt- nur in unmittelbarer Nähe des Schlages wirksam sind, oder im Falle eines
Multicopters zu lange brauchen bis sie am Einsatzort eintreffen. Auch wenn nicht auf dem
Markt erhältlich, gibt es auch Patente für tragbare Knallapparate, die beim Angriff vom
Greifvogel ausgelöst werden (Patent Nummer DE 42 02 995) und einem auf passiver
Rückstrahlung basierenden Funkverfahren „bei dem ein die Radarstrahlung reflektierender
Transmitter an dem Greifvogel befestigt wird, während Sender und Empfänger der
Radaranordnung in der Umgebung des Zucht- und/oder Aufenthaltsortes angeordnet sind.“ Bei
Herannahen des mit einem Sender ausgestatteten Greifvogels soll der Greifvogel mit
Lautsprechern oder Leuchtmitteln vertrieben werden (Patent Nummer DE 198 19 553). Ein
anderes Patent beschreibt ein Greifvogelidentifikationssystem, bei dem „typische
Greifvogelgeräusche“ herannahender Greifvögel von einem Richtmikrofon erfasst werden.
Nach Abgleich durch eine Rechnereinheit wird elektronisch eine Rauchpatrone gezündet, die
dem Greif die Sicht nehmen soll bzw. ein Geräuschgenerator in Gang gesetzt wird (Patent
Nummer DE 94 137 12). Über diese Möglichkeiten hinaus gibt es sogar Züchter, die die
Behauptung aufstellen, dass z.B. Glanztauben aufgrund ihrer Silhouette, der schwarzen und
stark reflektierenden Farbe sowie ihres Flugbildes einen „Rabeneffekt“ bewirkten und daher
Greifvögel abwehren sollen.
Auch kürzlich angestellte Versuche mit einem Vergrämungslaser verliefen bei fliegenden
Greifen erfolglos, da der Laserpunkt für sie in der Luft nicht sichtbar war.
Letztendlich hängt die Effizienz der Vergrämungsmethoden immer von der Jagdmotivation des
Greifvogels ab, auf die nachfolgend eingegangen wird. Ist diese niedrig, so mag die eine oder
12
Greifvögel und Flugtauben
andere Methode helfen. Ist sie hoch genug, sind ausnahmslos alle Vergrämungsmaßnahmen
nutzlos. Im Extremfall verfolgt der Habicht seine Opfer sogar bis in den Taubenschlag.
Der Teufelskreis für Flugtaubenzüchter
Tiere untereinander haben keine ethischen Grundsätze. Sie kennen keine moralischen
Prinzipien wie „Erbarmen“ oder „Reue“. Sie folgen ihren natürlichen Trieben, dem
Fortpflanzungs- und dem Überlebenstrieb. „Fressen und gefressen werden“, lautet das
alltägliche Motto.
Alle höher entwickelten wildlebenden Lebewesen haben sich nur unter (Feindes)Druck zu den
leistungsfähigen Individuen entwickelt, die sie heute sind. Das nennt man evolutive Adaption.
Ihre Sinne sind geschärft, ihr Flug- bzw. Laufvermögen ist hervorragend, um ihr Überleben in
freier Wildbahn zumindest auf Populationsbasis zu sichern. Für Flugtaubenzüchter eröffnet sich
an dieser Stelle ein Teufelskreis. Unsere gut behüteten Flugtauben haben sich im Lauf ihrer
Domestikationsgeschichte dem Feindesdruck weitgehend entziehen können. Wir verlangen von
unseren Tauben, dass sie uns einerseits in bestimmten, aber widernatürlichen Flugmerkmalen
gefallen und sich andererseits gegenüber unseren Greifvögeln entsprechend behaupten können.
Dass dieser Spagat nicht funktioniert, sehen wir an den vielen Verkaufsanzeigen „Zuchtaufgabe
wegen Raubvogelplage“. Das Dilemma ist, dass unsere Flugtauben Freiflug erhalten müssen,
weil sie entsprechend ihrer Rasse auf spezielle Flugmerkmale hin gezüchtet wurden. Eine
hinreichende Auslese zum Fortbestand dieser Rassemerkmale kann daher nur in der Luft
erfolgen. In Abhängigkeit von der betreuten Flugtaubenrasse und der lokalen Populationsdichte
der für uns drei relevanten Greifvogelarten müssen wir Züchter dabei teilweise erhebliche
Verluste in Kauf nehmen. Beim Wanderfalken und Habicht machen Haustauben seit vielen
Jahren inzwischen sogar die Hauptnahrung aus.
Aus der physiologischen und verhaltensbiologischen Sicht eines Greifvogels ruht das Ausmaß
unserer Tierverluste auf den drei Eckpfeilern Kondition, Motivation und Konstitution. Das
Grundverständnis dieser drei Mechanismen ist für uns Flugtaubenzüchter unverzichtbar.
Die Konstitution unserer Greife ist eine ererbte Eigenschaft, die sich im Verlauf der Evolution
herausgebildet hat. Der Wanderfalke beispielsweise als Spezialist für die Vogel- und
insbesondere Taubenjagd- musste seit je her so gut an seine Umwelt angepasst sein, dass er den
Tauben immer ein Stück weit überlegen war. Andernfalls wäre er als Vogelart ausgestorben.
Die Kondition des Greifvogels wird beeinflusst vom Ernährungs- und Gesundheitszustand,
klimatischen Faktoren sowie dessen Alter und Trainingszustand.
Die Jagdmotivation beschreibt das Hungergefühl und damit die Beutebereitschaft. Je größer der
Hunger, desto größer die Motivation und desto aggressiver wird der Angriff ausgeführt. Ein im
Winter angreifender Habicht führt z.B. seine Verfolgungsjagd wegen des zu dieser Jahreszeit
größeren Hungers deutlich vehementer aus als im Sommer.
Die Korrelation zwischen Kondition und Motivation ist somit für das Jagdverhalten eines
Greifvogels ausschlaggebend. Ist die Nahrungsaufnahme defizitär, werden Fett- und
13
Greifvögel und Flugtauben
Eiweißdepots zur Deckung physiologische Energieprozesse wie Atmung, Blutzirkulation,
Körperwärme, aktive Bewegung etc. abgebaut. Das Körpergewicht des Greifvogels sinkt.
Hunger stellt sich ein und die Jagdmotivation steigt. Anders sinkt die Jagdmotivation bei
ausreichender Energieversorgung, da ein Greifvogel nicht aus Lust am Töten jagt. Da
Greifvögel Fleischfresser sind, ist ihre Nahrungs-, aber teilweise auch Flüssigkeitsaufnahme
grundsätzlich an eine erfolgreiche Jagd gekoppelt. Die Motivation zur Jagd unterliegt demnach
primär dem Hungerempfinden und hängt damit von der Art und Menge zuletzt gefressener
Nahrung, der nach der letzten Mahlzeit vergangenen Zeitspanne und dem Geschmack der
Nahrung ab. Da Taubenfleisch für unsere Greife eine der schmackhaftesten Fleischsorten
überhaupt darstellt, wird es gegenüber anderem Vogelfleisch bevorzugt. Für Taubenhalter
erschwerend kommt hinzu, dass das Jagdverhalten eines Greifvogels durch stattgefundene
Lernvorgänge mitbestimmt wird. Dies sind Erfahrungen über vogelartspezifische
Eigenschaften wie deren Schnelligkeit, Ausdauer und dem Abwehrverhalten wehrhafter
Vogelarten. Diese Erfahrungen können die Motivation eine bestimmte Vogelart zu schlagen,
entweder vermindern (z.B. bedingte Aversion gegenüber sich besonders hartnäckig
verteidigenden Krähen) oder steigern (langsam fliegende Taubenrassen oder unerfahrene
Jungtauben, die nicht wehrhaft sind und eine Köstlichkeit darstellen) und zur Vermeidung bzw.
Bevorzugung bestimmter Beutetiere führen. Bei gleichem Hungergefühl (endogene
Motivation) löst ein leicht zu fangendes Beutetier ein Angriffsverhalten aus, wohingegen ein
schwer zu erbeutendes Beutetier keinen Auslösereiz bewirkt. In diesem Fall heben sich die
motivierenden (Hunger) und die demotivierenden Faktoren (negative Erfahrungen)
gegeneinander auf.
Bei sehr großem Hunger wird letztendlich auch ein eigentlich sonst verschmähtes Beutetier
gejagt. Im Umkehrschluss löst eine besonders stimulierende Beute auch schon bei geringem
Nahrungsbedürfnis das Jagdverhalten aus. Merkmale, die auf eine Behinderung der Beutetiere
schließen lassen wie die widernatürlichen, bisweilen unkoordinierte Bewegungen bei
Kunstflugtauben, die langsame Flugweise bei Tipplern, Memeler-, Danziger-, Serbischen- oder
Persischen Hochfliegern, Nikolajewern und anderen solo fliegenden Hochflugrassen,
Abweichungen in der Körperform (Latschen, fächerartige Schwänze bei langsam fliegenden
Rassen) und Farbe (fast alle unsere domestizierten Tauben) wirken sich auf jagderfahrene
Greifvögel besonders motivationssteigernd aus. Durch Lernen am Erfolg haben die drei für uns
relevanten Greifvogelarten gelernt, dass die Beutespezies Haustaube leicht zu erbeuten ist.
Untersuchungen zur Bevorzugung bestimmter Farbenschläge bei Haustauben durch den
Wanderfalken kamen zu dem Ergebnis, dass Jungfalken zunächst nicht differenzieren und alle
Farbenschläge entsprechend ihrer Anteile in einer Region bejagen. Je häufiger eine
Farbvariante also vorkam, desto öfter wurde sie Ziel einer Attacke. Anders stellte es sich bei
erwachsenen Wanderfalken dar. Adulte Wanderfalken bevorzugten „bunte“ Tauben, mieden
aber weitgehend „wilde“ Farbenschläge. Der Grund für die Meidung lag unter anderem in der
Misserfolgsquote in ihrer Jugend, die wiederum eng mit der Färbung der Tauben
zusammenzuhängen schien. Denn sowohl die jungen als auch die ausgewachsenen Falken
erbeuteten nur in seltenen Fällen Tauben mit natürlicher Färbung. Sie lernten in ihrer
Prägephase, dass „bunte“ Tauben (= domestizierte Haustauben) leichter zu fangen waren als
ihre wildfarbigen Verwandten (= Feldflüchter/Stadttauben der Gattung Columba livia f.
urbana). Letztere fanden sich jeweils zu nur zwei Prozent in der Opferrolle wieder.
14
Greifvögel und Flugtauben
Das Resultat genau dieses Lernprozesses an leicht zu erbeutende Tauben –entweder weil sie
jung und unerfahren oder für die Jäger viel zu langsam sind- ist die gefürchtete Spezialisierung
von Wanderfalken und natürlich auch Habichten, die viele Flugtaubenzüchter mit unzähligen
Verlusten und täglichen Angriffen bezahlen.
Fitness
Während des Greifvogelangriffes hängt die Vehemenz und Aggressivität des Angriffs vom
Verhalten der verfolgten Taube ab. Ist sie langsam, macht sie Fehler und zeigt Schwächen,
steigert sie die Jagdmotivation während des Angriffs noch. Das führt dazu, dass der Greifvogel
seine konditionellen Fähigkeiten voll ausschöpft. Ist die Taube schnell, flink und ausdauernd
und sucht gar eine schützende Deckung auf, sinkt die Jagdmotivation des Greifvogels. Dies
führt letztendlich zum Abbruch der Jagd. Greife sind bestrebt Energie zu sparen. Sofern der
Greifvogel nicht empfindet, dass er eine überdurchschnittliche Chance hat, ein Beutetier zu
schlagen, wird er nicht zur Jagd starten.
Für den Flugtaubenzüchter bedeutet dies im Umkehrschluss, erst einmal bei der Gesundheit
und Fitness seiner Tauben anzufangen und ihnen höhere Beachtung zu schenken als es
gemeinhin der Fall ist. Hier liegt bei vielen Flugtaubenhaltern leider noch vieles im Argen.
Latent vorhandene Endoparasiten oder beispielsweise unerkannte Salmonellen- und/oder
Chlamydieninfektionen sind wahre Leistungsbremsen, die symptomlos verlaufen und den
Tauben nicht sofort anzumerken sind. Schuld sind neben ausbleibenden veterinärmedizinischen
Routineuntersuchungen auch ständige Zukäufe, die ohne umfassende Voruntersuchung in den
Bestand integriert werden.
Kranke Tauben fliegen mit „angezogener Handbremse“ und können Verfolgungsjagden am
Limit nicht durchstehen. Wer sich nicht um die Gesundheit der Tauben kümmert, gerät in einen
Teufelskreis. Die Jungtiere bleiben in ihrer Entwicklung zurück. Ihr Federkleid ist nicht von
der Qualität wie es beim Rennen um Leben und Tod sein müsste. Im Extremfall sind das Skelett
und die Organe unterentwickelt und die Taube ihr ganzes Leben gebrandmarkt. Geschwächte
Tauben und Tiere mit einer unterentwickelten Körperanatomie, fallen Greifvögeln wesentlich
leichter zum Opfer als ihre topfitten Verwandten aus einer anderen Zucht.
Weiterhin sollte die Ernährung der Flugtauben optimiert werden, um sie überhaupt erst in die
Lage zu versetzen, bei einem Greifvogelangriff ihre „Gänge“ voll ausfahren zu können.
Niemals zuvor standen uns so viele Nahrungsergänzungsmittel für (Brief)tauben zur Verfügung
wie heute. Noch immer ist es bei vielen Haltern üblich, ihren Flugstich mit purem Weizen, Milo
oder Gerste entweder aus Angst vor dem Abdrehen oder bei Rollertauben zur Entschleunigung
des Fluges zu füttern. Derart fehlernährten Tauben sind kraft- und damit chancenlos.
Sollten trotz bestem Ernährungs- und Gesundheitszustand die Verluste nicht zu stoppen sein,
muss sich der Halter darüber Gedanken machen, ob er überhaupt mit der richtigen Taubenrasse
fliegt, die seinen individuellen Umgebungsverhältnissen angepasst ist.
15
Greifvögel und Flugtauben
ABBILDUNG 5: DIE ANGST VOR GREIFVÖGELN IST ANGEBOREN. DIE WIENER HOCHFLIEGER
REAGIEREN BEIM ANBLICK DIESES LANNERFALKENS SOFORT PANISCH, OBWOHL SIE NIE ZUVOR
EINEM FALKEN BEGEGNET SIND.
Flugtaubenrassen im Wandel
Seit den durch Umweltgifte hervorgerufenen Bestandseinbrüchen bei Wanderfalken und
Accipitridaen in den 1950er Jahren, trat die Schwäche unserer auf bestimmte Flugmerkmale
hin betriebenen Zuchtauswahl bis in die 1990er Jahre hinein kaum zu Tage. Weil der Luftraum
nahezu frei war, konnten wir nicht nur den Luxus genießen mit Tauben zu fliegen, die den
Luftprädatoren nicht gewachsen waren, wir konnten sogar die widernatürliche Fehlauslese auf
menschengemachte Flugideale noch voran treiben.
Das Flugtaubenideal aus heutiger Sicht hat sich gewandelt. Wer nicht bereit ist, massenhafte
Verluste zu akzeptieren, muss sich Gedanken über deren Ursachen machen. Aus heutiger Sicht
erscheint es sinnvoll wieder einen Schritt zurück zu rudern. Besinnen wir uns zunächst auf die
Urform unserer Haustauben, die Felsentaube zurück. Durch eine über Jahrtausende währende
natürliche Auslese – man könnte es auch evolutives Wettrüsten nennen- verfügt sie in Bezug
auf ihre Körpermorphologie, Wachsamkeit sowie ihr Reaktionsvermögen und Flugverhalten
über ausgezeichnete Voraussetzungen ihren Feinden zu entkommen. Als zusätzlichen Schutz
vor Greifvögeln schenkte die Evolutionsgeschichte der Felsentaube eine weiße Rückenpartie,
die den Blick des Greifs fesselt. Wenn sich die Taube kurz vor dem Zugriff um ihre eigene
horizontale Flugachse dreht, um den Greif ins Leere schlagen zu lassen, sorgt die durch den
Luftjäger fest anvisierte weiße Rückenpartie dafür, dass der Angreifer den Beginn der Drehung
nicht mitbekommt und seine Flugrichtung nicht mehr rechtzeitig ändern kann. Dadurch kann
und konnte die Felsentaube oft entkommen.
Alle Abweichungen ihr gegenüber, die wir bei unseren domestizierten Haustauben in Bezug
auf Zahmheit, Körperform, Gefiederfarbe und Flugverhalten finden, gefallen uns als Züchter,
sind bei einem Greifvogelangriff aber kontraproduktiv. Selbst eine Brieftaube, die der
Felsentaube noch recht ähnlich ist, kann zur leichten Beute werden. Sie ist zwar sehr schnell im
16
Greifvögel und Flugtauben
Geradeausflug, ihr fehlt es aber durch ihr hohes Körpergewicht und einem proportional kurzen
Schwanz an Wendigkeit. Gerade die Fluggewandtheit ist es aber, die den Tauben das Überleben
sichert, wenn sie sich binnen einer zehntel Sekunde kurz vor dem Greifvogelkontakt zur Seite
wegrollen oder fallen lassen müssen. Wie im „Journal of Experimental Biology“ vorgestellte
Studien ergaben, führt primär ein plötzlicher Richtungswechsel des Beutetiers während der
Verfolgung zum Entkommen und nicht dessen maximale Fluggeschwindigkeit.
Prinzipiell lassen Greifvögel ihre anvisierten Beutetiere nicht aus dem Blick und fliegen in
einem konstanten Winkel auf sie zu. Dabei antizipieren sie, wo sich die Beute im Moment des
Zupackens befinden sollte – sofern es in gerader Linie weiter fliegt. Bis zu einer gewissen
Nahdistanz können die Greife ihren Kurs korrigieren, wenn das Opfer in eine andere Richtung
ausweicht. Lassen die Tauben den Greif aber sehr nahe herankommen und weichen dann
plötzlich aus, erhöhen sie ihre Fluchtchancen.
ABBILDUNG 6: ZWEI HOCHLEISTUNGSAUGEN TROTZ MORPHOLOGISCHER UNTERSCHIEDE:
WANDERFALKE (LINKS) UND WIENER HOCHFLUGTAUBE (RECHTS)
Wenn wir mit diesem Wissen im Hinterkopf nun an unsere Flugtaubenrassen denken, sieht es
heute fast durch die Bank hoffnungslos aus. Die greifvogelresistenteren Truppflieger unserer
Vorfahren, die in früheren Zeiten im 18. und 19. Jhd. noch vor den organisierten
Flugwettbewerben und Vereinsgründungen aus purem Vergnügen am Taubenflug gehalten
wurden, sind ausgestorben. Ihre Nachfahren schmücken heute unsere Ausstellungskäfige. All
die fluggewandten Berliner, Stralsunder, Magdeburger, Braunschweiger, Halberstädter,
Hamburger, Prager und wie sie noch alle hießen, zeigten noch nicht die Übertypisierungen im
Flugverhalten, die wir heute von vielen Rassen kennen. Bis Mitte des 20. Jhd. gab es in der
Literatur immer wieder Hinweise auf die Greifvogelfestigkeit bestimmter Flugtaubenrassen.
Beispielsweise ist aus einem Protokoll aus der „Gefiederten Welt“, Jahrgang 3, Nr. 48, Seite
389 vom 26.11.1874 zu entnehmen: „Herr Reimer spricht über den Flug der Tauben und
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Greifvögel und Flugtauben
schildert die in Stettin gehaltenen … Prager Eulen [die sich] hauptsächlich durch brillante
Schwenkungen und die Gewandtheit, womit sie dem Raubvogel blitzschnell entweichen,
auszeichnen.“ Der „Geflügel-Börse“ vom 14. Juni 1921 ist zu entnehmen: “Der Lange Berliner
[ist] ein ausgezeichneter Truppflieger …, der stets in der Flucht zusammenhält, seine
Schwenkungen einzig ausführt und sich auch bei Begegnungen mit dem Wanderfalken gut
bewährt. Ich entsinne mich einer Flucht von 40 bis 50 Berliner Blaubunten aus dem Jahre 1910,
die sich wie selten nach vergeblichem Falkenstoße innerhalb weniger Minuten voll schloß, ohne
überhaupt recht gesprengt worden zu sein.“ Nach einem noch älteren Bericht aus dem Jahre
1889 gehörte es sogar zu einem ausdrücklichen Qualitätsmerkmal der Langen Berliner
Blaubunten, wenn sie „gut und lange fliegen kann, vor dem Stoßvogel [Anm.: Stoßvogel oder
Taubenstößer war die früher übliche Bezeichnung für den Wanderfalken] steht, und aufpasst
d.h. sich nicht fangen läßt, erfüllt sie ihren Zweck vollkommen.“
Josef Farneck beschreibt in einem Bericht aus dem Jahre 1939 die Wiener eines Herrn Anton
Dietrich (eine Legende unter den Züchtern von Wiener Hochflugtauben) als „sehnig-kräftig“
mit „ … breiter Fliegerbrust und ein äußerst hartfedriges Flugzeug [womit die Schwungfedern
gemeint sind]. Ja, diese kleinen Zeppeline der Lüfte, die weichen dem Falken schon aus, durch
eine gewandte Schwenkung, was sich hunderte Male erwiesen hat.“ Auch noch später, im Jahre
1950, also noch in der Zeit vor dem DDT-Knick bei den Wanderfalken, war in einem Artikel
aus „Die Taubenwelt“ wieder über Wiener Hochflieger zu lesen: „Aufgrund seiner Konstitution
und seines schnellen Fluges ist er in der Lage … sich Luftpolster zu schaffen, wodurch ihm
plötzliches Abkippen, Gleiten, Slippen, Werfen und rasantes Stürzen möglich wird, daher auch
unangreifbar für Raubvögel.“
Leider können wir zur Rückzüchtung einer neuen fluggewandten Rasse gegenwärtig keine
Anleihen mehr nehmen.
Immer unter der Voraussetzung, dass die Tauben gut eingeflogen und nicht zu jung sind, steht
uns aus dem Reigen dieser fluggewandten Truppflieger gegenwärtig noch der Wiener
Hochflieger des alten Flugtyps, der nicht durch Fremdeinkreuzungen zum ruhigen
Marathonflieger umgezüchtet wurde, als einigermaßen greifvogelsichere Rasse zur Verfügung.
Auch Erlauer Tümmler, einige urtümliche Mövchenrassen aus Osteuropa und Hamburger
Flugkalotten gelten noch als relativ greifvogelsicher. Nicht in Deutschland vertreten aber
erwähnenswerte schneidige Truppflieger sind ebenfalls die amerikanischen Vieshians (eine auf
Greifvogelresistenz gezüchtete Gebrauchskreuzung) und m.E. Flugstämme der polnischen
Gołębie Murzyny, die vermutlich Nachfahren der Krakauer Silberelstern sind. Dazu kommen
noch Adana Wammen, Wutas und Kelebek als Sturzflugrassen und dann wird das Eis schon
dünn.
Selbst den Felsentauben auf den ersten Blick ähnelnde Rassen, wie beispielsweise ein schlichter
Flugtippler, sind durch kleine aber entscheidende Unterschiede bei einem Greifvogelangriff
hoffnungslos unterlegen. Tippler (aber auch all die anderen Langzeitflieger) sind auf einen
langen, energiesparenden Flug hin gezüchtet. Dies erreichen sie mit langen Hinterflügeln, die
den nötigen Auftrieb erzeugen. Eine Taube mit einem langen Hinterflügel, zeigt einen
schmetterlingsartigen Flugstil. Das Verhältnis von Flügelfläche zu Gewicht, die sogenannte
18
Greifvögel und Flugtauben
Flächenbelastung, ist bei Tipplern und solo fliegenden Hochflugtauben kleiner als
beispielsweise bei Kurzstrecken-Brieftauben oder rasanten Truppfliegern. Die
Abwärtsbewegung des Flügels wird flacher ausgeführt und durch den größeren Auftrieb der
längeren Armschwinge brauchen diese Langzeitflieger nicht so häufig mit dem Flügel zu
schlagen. Dies ermöglicht ihnen einen energiesparenden Schlagflug.
ABBILDUNG 7: DREI AGILE FLUGTAUBENRASSEN: WIENER HOCHFLIEGER (TRADITIONELLER
TYPUS), ERLAUER TÜMMLER UND POLNISCHE MURZYNY
Ganz allgemein ausgedrückt gilt jedoch, je schneller und gewandter eine Vogelart im Fliegen
ist, desto kleiner ist der Hinterflügel und desto proportional größer und flacher ist der
Vorderflügel. Der Vorderflügel und insbesondere die vier letzten Handschwingen erzeugen die
Vortriebskraft und sind auch entscheidend für die Wendigkeit.
Deutlich wird dieses Prinzip an zwei Extrembeispielen. Vergleichen wir einmal die
Fluggewandtheit eines Kolibris (extrem kurze Armschwinge) mit der Wendigkeit eines
Weißstorchs (als Thermiksegler mit sehr langer Armschwinge) oder stellen wir uns zur
Verdeutlichung dieses Sachverhaltes ein wendiges und schnelles Kampfflugzeug mit seinen
kurzen Stummelflügeln vor, und vergleichen dies mit einem langsamen und schwer
manövrierbaren Segelflugzeug mit seinen proportional sehr langen Tragflächen.
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Greifvögel und Flugtauben
ABBILDUNG 8: VERGLEICH ZWISCHEN DEM FLÜGELPROFIL EINES WIENER HOCHFLIEGERS MIT
LANGER HAND- UND KURZER ARMSCHWINGE UND EINEM FÜR FLUGTAUBEN SCHON SEHR HOHEN
HFI SOWIE DEM PERFEKTEN FLÜGEL UNSERES BESTEN LUFTJÄGERS AUS DER GLEICHEN
GEWICHTSKLASSE, DEM BAUMFALKEN, DER SELBST MAUERSEGLER AUSFLIEGT UND IN DER
SKALA DER HANDFLÜGELINDIZES GANZ OBEN IN DER VOGELWELT STEHT
In der Ornithologie wurde als Maß für die fliegerische Fähigkeit einer Vogelart der
Handflügelindex (HFI) entwickelt. Dieser gibt das Verhältnis der Länge der Handschwingen
zur gesamten Flügellänge eines Vogels an. Je größer der HFI eines Vogels ist, desto bessere
Flugeigenschaften weist er auf. Auf Gattungsebene werden mit Hilfe des HFI Vergleiche über
das Flugvermögen bestimmter Arten innerhalb einer Gattung angestellt. Auch bei unseren
Flugtaubenrassen kann der HFI –und hierbei sogar auf Artebene- angewandt werden.
Ein langer Hinterflügel, der bei vielen Hochflugrassen weit verbreitet, weil erwünscht ist,
bewirkt einen kleinen HFI, der diesen Rassen also eine vergleichsweise schlechtere
Flugeigenschaft bescheinigt. Ein ausgeprägter Hinterflügel wird bei der Flucht vor einem
Greifvogel mehr und mehr zur Bremse, je schneller die Taube fliegt. Er sorgt zwar für einen
guten Auftrieb, gleichzeitig ist der Reibungswiderstand der strömenden Luft aber relativ groß.
Physikalisch ausgedrückt nimmt im Geschwindigkeitsbereich des Vogelfluges der
Luftwiderstand, der an der Armschwinge anliegt, quadratisch zur Geschwindigkeit des Fluges
zu. Taubenrassen mit kurzem Hinterflügel und größerem HFI fliegen mit kurzen schnellen
Flügelstößen. Bei dieser Flugweise verbrauchen sie zwar mehr Energie, fliegen dafür aber
schneller und wendiger.
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Greifvögel und Flugtauben
ABBILDUNG 9: FLÜGELANATOMIE EINES SERBISCHEN HOCHFLIEGERS MIT AUSGEPRÄGTER
ARMSCHWINGE, DIE BEI HOHEN FLUGGESCHWINDIGKEITEN ZUR BREMSE WIRD.
ABBILDUNG 10: EINE AERODYNAMISCH SEHR UNGÜNSTIGE HANDSCHWINGE EINES
TAUBENFLÜGELS, MIT HOHEN INDUZIERTEN WIDERSTÄNDEN DURCH VIELE SICH BILDENDE
ABBREMSENDE LUFTWIRBEL IN DEN FEDERZWISCHENRÄUMEN.
Neben einer unzureichenden Flügelanatomie kommen dann bei vielen Flugtaubenrassen
weitere Körpermerkmale hinzu, die ihnen erhebliche Nachteile bei der Flucht vor Greifvögeln
einräumen. Denken wir nur an einen Schwanz, der aus mehr als 12 Schwanzfedern besteht und
wie ein Bremsfallschirm wirkt, denken wir an schlecht vermauserte Flugtauben, deren
Handschwingen infolge von Krankheiten und/oder Mangelernährung viel zu schmal bzw.
sichelförmig gebogen sind, denken wir an eine Luftwiderstand erzeugende Latschenbildung,
denken wir an ein abweichendes Flugverhalten wie das Schwanzreiten, Purzeln, Rollen,
Flügelklatschen, Axialdrehen, Rüttelflug etc., das in den Augen eines Greifvogels auf eine
kranke und damit leicht zu erbeutende Taube hindeutet und seine Jagdmotivation wie eingangs
beschrieben steigert.
Auch die Scheu unserer Flugtauben, die für Fluchtbereitschaft, Angst und Meidungsverhalten
verantwortlich ist, ist bei unseren Flugrassen unterschiedlich ausgeprägt. Diese
Fluchtbereitschaft ist es, die bei scheuen Rassen wie beispielsweise dem Stilflug-Wiener, bei
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Greifvögel und Flugtauben
erkannter herannahender Gefahr ein frühzeitiges und damit rechtzeitiges Ausweichverhalten
bewirkt. Der unterschiedliche Grad der Scheu unserer Taubenrassen ist genetisch determiniert.
Unter anderem sind dafür Unterschiede in den Gen-Sets DRD4 (Dopaminrezeptor) und SERT
(Serotonintransporter) verantwortlich, wobei den Gentypen des Dopaminrezeptors die größte
Bedeutung zukommt. Die Unterschiede bewirken, ob die die jeweilige Flugrasse entweder
zahmer oder scheuer ist.
Legendär für ihre Wildheit waren die inzwischen ausgestorbenen grünhalsigen Dunkelstörche,
die bei kleinsten Anlässen in Panik gerieten. Allerdings war ihre Fluchtbereitschaft derart stark
ausgeprägt, dass sie bei einem Greifvogelangriff kopflos wurden und in wilder Panik davon
flogen. Dadurch wurden sie zwar nicht geschlagen, gingen aber trotzdem verloren. Der richtige
DRD4 Typ ist also dafür entscheidend, dass die Flugtauben hinreichend fluchtbereit sind, ohne
dabei aber kopflos zu werden.
Berücksichtigen wir weiterhin ein unzureichend entwickeltes Nervensystem bei vielen unserer
Flugtaubenrassen und ein damit einher gehendes herabgesetztes Reaktionsvermögen. Dass
Greifvögel im Laufe der Evolution ein legendäres Sehvermögen entwickelt haben, ist allgemein
bekannt. Sehr kritisch für unsere Tauben ist aber nicht die Sehschärfe der Greife an sich,
sondern ihr enorm entwickeltes Bewegungssehen. Dieses erlaubt ihnen eine gewaltig schnelle
Folge von bis zu 150 Bildern pro Sekunde aufzulösen, was bei der rasanten Verfolgungsjagd
und dem Ausweichen vor Hindernissen bei hohen Fluggeschwindigkeiten von großer
Wichtigkeit ist. Zum Vergleich können wir Menschen beispielsweise nur 50 Bilder pro Sekunde
auflösen. Die Fluchtbewegung einer Taube, die unser menschliches Auge als blitzschnell
empfindet, ereignet sich in den Augen eines Greifvogels in Zeitlupe. Auch wenn unsere Tauben
über ein deutlich besseres Bewegungssehen als wir Menschen verfügen, so klafft doch eine
große Lücke zwischen dem Reaktionsvermögen eines Habichts und einer Flugtaube, deren
Sinne im Verlauf der Domestikation an Schärfe eingebüßt haben.
Selbst der Hochflug an sich, bei dem sich der Stich weit entfernt von schützender Deckung
befindet, führt dazu, dass dem Wanderfalken die Jagd erleichtert wird. Keine Vogelart, die als
potentielle Beute für den Wanderfalken in Betracht kommt, würde sich lange derart ungeschützt
über einem bestimmten Ort aufhalten und sich permanent als Nahrung anbieten. Entweder kann
es sich eine Vogelart leisten offen am Himmel zu fliegen, weil sie entweder zu schnell oder zu
groß oder zu wehrhaft für den Wanderfalken ist, oder sie hält sich versteckt, fliegt nur kurze
Strecken und nutzt die Nacht für Weitstreckenflüge; so wie z.B. während der Zugzeit. Sollten
sich dennoch regelmäßig Vögel in dem für sie gefährlichen Luftraum aufhalten, sind sie oft in
Schwärmen unterwegs. Der Schutz eines Schwarmkollektivs für das Einzelindividuum kommt
aber nur dann zustande, wenn der Schwarm dicht genug zusammen hält. Taubenschwärme
funktionieren nicht zuletzt nur wegen ihrer inneren Ausrichtung und Organisation. Einerseits
soll der Schwarm möglichst dicht sein, um die notwendige Geschlossenheit gegenüber
Greifvögeln in der Luft zu gewährleisten und andererseits muss jede einzelne Taube während
des Fluges möglichst viel von ihrer unmittelbaren Umgebung wahrnehmen können, um
Kollisionen mit den Flugnachbarn zu verhindern und den angreifenden Greifvogel im Auge zu
behalten. Genau hier kommt auch wieder die Reaktionsgeschwindigkeit mit ins Spiel. Nur
Tauben mit einer hohen Reaktionsgeschwindigkeit können ohne zu kollidieren enger im
Schwarm zusammen fliegen, weil ihre Gehirne Informationen über die Geschwindigkeit und
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Greifvögel und Flugtauben
Position ihrer Nachbarn blitzschnell verarbeiten. Tatsache ist, dass der überwiegende Teil
unserer heutigen Flugtaubenrassen einfach zu offene und lockere Schwärme bildet, um den
bezweckten Effekt der Feindverwirrung bewirken zu können. Zudem sind die Tiere oft
unterschiedlich gefärbt, was dem Greifvogel die Orientierung im Schwarm und die Fixierung
eines Opfers erleichtert.
Leider ist natürlich klar, dass es ohne das stationäre Fliegen über einem bestimmten Ort, wie
dem Taubenschlag oder Flugkasten, kein Flugtaubensport möglich wäre. Alternativ gibt es
zwar auch andere greifvogelresistente Taubenrassen wie Feldflüchter, „Feldlerchen“ oder gar
Felsentauben, die von manchen Liebhabern im Freiflug gehalten werden, aber mit diesen
Taubenrassen kann kein Flugsport im Sinn einer Flugdarbietung betrieben werden, da diese
Rassen kaum am Hause kreisen und eher Distanzflüge mit einer hohen Geschwindigkeit von A
nach B unternehmen. Genau diese Taubenrassen sind es aber, die die höchsten
Überlebenschancen von allen haben.
Richten wir den Fokus auf unsere Flugtauben im eigentlichen Sinne, wird deutlich, dass wir in
Zukunft Kompromisse zwischen einer hinreichenden Greifvogelresistenz einerseits und einem
zufriedenstellenden Flugschauspiel über dem Heimatschlag/Flugkasten eingehen müssen.
Dieser zwangsläufige Kompromiss im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Hobbys macht
erforderlich, bei der Ausrichtung unserer Flugtaubenzuchten allmählich umzudenken. Anstatt
heute bestimmte Flugmerkmale noch weiter heraus zu züchten und unsere Rassen noch
anfälliger zu machen, muss künftig die Überlebensfähigkeit in der Natur im Fokus der
Bemühungen stehen und von umsichtigen Züchtern als neues Zuchtziel auserkoren werden. Für
dieses Zuchtziel gibt es keine Urkunden, weil, wie wir soeben gelernt haben, jedes
menschengemachte Zuchtideal den natürlichen Anforderungen widerspricht. Letztlich sichert
es aber den Fortbestand der Flugtaubenzucht an sich. Wer bleibt denn heute seinem
Flugtaubenhobby treu, der ständig Misserfolge erlebt?
Jeder sollte sich selbst einmal die Frage beantworten, ob er bis zum Ende seiner Zuchtlaufbahn
Flickschusterei betreiben will und seine Tauben fliegt, um damit die Greife aus der
Nachbarschaft zu füttern, oder ob er dazu bereit ist einen Schritt zurück in die Vergangenheit
zu gehen und dazu beizutragen eine Taube „wie damals“ heraus zu züchten, die den
Überlebenskampf unter den gegebenen unabänderlichen Bedingungen bestehen kann. Um es
klar auszudrücken. Den Züchtern, die eine alte Rasse als Kulturgut erhalten möchten, sei unser
Respekt gezollt. Wohl dem, der (noch) ohne nennenswerte Verluste fliegen kann. Wir können
aber von keinem Anfänger in unseren Reihen erwarten, dass er einen solchen Idealismus
aufbringt und sich trotz hoher Verluste von Jahr zu Jahr mit seinen Tauben mehr schlecht als
recht durchhangelt. Jemand der heute mit Flugtauben anfängt, sollte trotz des
Greifvogeldruckes auch langfristig Freude an seinem Hobby haben, ohne nach ein oder zwei
erfolglosen Jahren das Handtuch zu werfen. An diesem Punkt sind wir als heutige und
vorausschauende Züchter gefragt, wieder leistungsfähige Rassen für die Nachwelt entstehen zu
lassen. Anstatt noch mehr Neuzüchtungen zu tätigen und noch mehr Taubenrassen aus fernen
Ländern zu importieren, die als Flugtauben nicht in diese Welt passen, muss ab sofort die
Fluggewandtheit im Fokus unserer Bemühungen stehen. Für Wunder muss man beten, für
Veränderungen aber arbeiten. Taubenzucht war und ist ständig im Wandel – packen wir es an!
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