Boethius: Trost der Philosophie

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Boethius: Trost der Philosophie
Joachim Stiller
Boethius:
Trost der Philosophie
Materialien zu dem Werk „Trost der
Philosophie“ von Boethius
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Wiki: Boethius: Der Trost der
Philosophie
Der Trost der Philosophie, lateinisch Consolatio philosophiae (auch De consolatione
philosophiae „Über den Trost der Philosophie“) ist das Hauptwerk des spätantiken römischen
Philosophen Boethius. Es umfasst fünf Bücher und gilt als letztes bedeutendes
philosophisches Werk der Antike. Boethius verfasste die Consolatio um die Mitte der
zwanziger Jahre des 6. Jahrhunderts, nachdem er auf Geheiß des Ostgotenkönigs Theoderich
verhaftet worden war, weil er hochverräterischer Beziehungen zum oströmischen Kaiser
verdächtigt wurde.
Das Werk ist als Dialog zwischen dem Autor und der personifizierten Philosophie, die ihn
tröstet und belehrt, konzipiert. Als Anhänger des Neuplatonismus schöpft Boethius sein
Gedankengut vor allem aus den Werken Platons, des Aristoteles und der Neuplatoniker. Oft
nimmt er zustimmend auf Lehren Platons Bezug. Daneben ist auch der Einfluss stoischer
Vorstellungen erkennbar.
Im Mittelalter war die Consolatio philosophiae außerordentlich verbreitet. Sie zählte zur
Schullektüre und war einer der meistkommentierten Texte des Mittelalters. Zahlreiche
Übersetzungen in eine Reihe von Sprachen wurden angefertigt.
Inhaltsverzeichnis
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1 Zeit und Umstände der Abfassung
2 Sprache und literarische Form
3 Inhalt
o 3.1 Erstes Buch
o 3.2 Zweites Buch
o 3.3 Drittes Buch
o 3.4 Viertes Buch
o 3.5 Fünftes Buch
4 Rezeption
5 Ausgaben und Übersetzungen
6 Literatur
7 Weblinks
8 Anmerkungen
Zeit und Umstände der Abfassung
Zur Zeit des Boethius, dessen Geburt wohl in die frühen achtziger Jahre des 5. Jahrhunderts
fällt, wurde Italien von den Ostgoten beherrscht. Im Jahr 476 hatte Odowakar, ein
germanischer Offizier in weströmischem Dienst, den Untergang des weströmischen
Kaisertums herbeigeführt und den Königstitel angenommen. 488 brachen die Ostgoten unter
ihrem König Theoderich nach Italien auf; sie beseitigten Odowakar und etablierten ihre
eigene Herrschaft. Dabei handelte Theoderich im Auftrag des oströmischen Kaisers; das
Oströmische Reich anerkannte ihn formell als Herrscher Italiens.
Traditionsreiche Institutionen des römischen Staates bestanden auch nach dem Ende des
westlichen Kaisertums fort; es gab weiterhin Konsuln und einen Senat in Rom, während
Theoderich in Ravenna residierte. Die ostgotische Verwaltung setzte die römische bruchlos
fort. Römer (oder Italiker, wie die romanische Bevölkerung Italiens nach dem Ende des
Weströmischen Reichs auch genannt wird) traten in den Dienst des ostgotischen Königs und
konnten zu Spitzenämtern aufsteigen. Zu ihnen gehörte Boethius, der aus einer angesehenen
Senatorenfamilie stammte und sich als Gelehrter profiliert hatte. Nachdem er 510 mit
Theoderichs Einverständnis als Konsul amtiert hatte, stellte ihn der König 522 an die Spitze
der Reichsverwaltung, indem er ihn zum Magister officiorum ernannte. Damit erreichte
Boethius den Gipfel seiner politischen Karriere.
Schon nach kurzer Amtszeit geriet Boethius in den Verdacht einer konspirativen, gegen die
Herrschaft der Ostgoten gerichteten Verbindung mit dem oströmischen Kaiser. Seine Gegner,
die ihn des Hochverrats beschuldigten, waren Italiker, die Theoderich treu ergeben waren. Der
Verdacht war unbegründet, fand aber beim König Glauben. Boethius’ Fehleinschätzung der
Lage und sein ungeschicktes Auftreten trugen wesentlich dazu bei, dass er seines Amtes
enthoben, festgenommen und unter Anklage gestellt wurde. Der Senat weigerte sich, für ihn
einzutreten. Theoderich übergab den Fall einem Senatsgericht, das den vom König
gewünschten Schuldspruch fällte. Boethius, der keine Gelegenheit zur Verteidigung vor dem
Gericht erhielt, wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Aus der Consolatio geht hervor, dass sie im Zeitraum zwischen der Verhaftung und der
Hinrichtung entstanden ist. Die Bestimmung ihrer Abfassungszeit hängt somit von der
umstrittenen Chronologie der dramatischen Ereignisse ab, die zum Sturz des Magister
officiorum führten und auf ihn folgten. Die traditionelle Datierung, nach der Boethius 523
verhaftet und 524 oder spätestens 525 hingerichtet wurde, hat weiterhin Befürworter. Gegen
sie argumentieren Forscher, die eine Spätdatierung plausibler finden (Verhaftung 525,
Vollstreckung des Todesurteils 526 kurz vor Theoderichs Tod).[1]
Unklar ist, ob die Schrift schon vor dem Abschluss des Gerichtsverfahrens oder erst nach der
Verhängung des Todesurteils entstanden ist. Nach der herkömmlichen, seit dem Mittelalter
herrschenden Sichtweise befand sich der Autor im Kerker, wo er auf seine bevorstehende
Hinrichtung wartete. Dies wird allerdings in der Consolatio nicht ausdrücklich festgestellt;
Boethius drückt sich hinsichtlich seines Aufenthaltsorts vage aus, spricht von einem Exil, in
das er verbannt sei, und beklagt den Verlust seiner heimatlichen Umgebung und vor allem
seiner Bibliothek. Die Erwähnung von Ketten in einem der Gedichte der Consolatio ist als
dichterische Metapher zu verstehen und nicht wörtlich im Sinne einer realen Fesselung zu
deuten. Daher wird in der neueren Forschung vermutet, dass der Autor sich nicht in
Kerkerhaft befand, sondern in einem relativ komfortablen Hausarrest. Für diese Annahme
wird insbesondere das Argument angeführt, dass ein Werk mit einer solchen Fülle von
literarischen Bezügen wie die Consolatio nicht ohne Zugang zu Büchern verfasst worden sein
könne; es könne sich keinesfalls ausschließlich um Zitate aus dem Gedächtnis handeln.[2]
Reinhold F. Glei hat darauf hingewiesen, dass die Consolatio ein literarisches Werk ist und
der Autor eines solchen Werks sich nicht zu autobiographischer Wirklichkeitstreue
verpflichtet fühlen muss. Vielmehr ist mit der Möglichkeit fiktionaler Elemente zu rechnen.
Die Perspektive des Ich-Erzählers ist nicht notwendigerweise mit der des Autors identisch.[3]
Sprache und literarische Form
Unter formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten lässt sich die Consolatio verschiedenen
literarischen Gattungen zuordnen. Der Form nach handelt es sich um ein Prosimetrum (Prosa
mit eingefügten Gedichten), wobei eine regelmäßige Abfolge von Prosa- und Verspartien
eingehalten wird. Die Consolatio besteht aus 39 Prosatexten und 39 Gedichten; den Anfang
bildet ein Gedicht. Der Begriff „Prosimetrum“ ist mittelalterlich, er ist erst im Hochmittelalter
bezeugt; in der Antike sprach man von einer Menippeischen Satire. Mit der Wahl dieser Form
greift Boethius eine in der Spätantike beliebte Darbietungsweise auf. Die metrische Gestalt
der Gedichte ist außerordentlich vielfältig; Boethius verwendet 28 verschiedene Versmaße.[4]
Inhaltlich gehört die Consolatio, wie schon ihr Titel zeigt, als Trostschrift in die Tradition der
antiken Konsolationsliteratur. In dieser Gattung stellt sie insofern einen Sonderfall dar, als es
nicht um den Tod eines Angehörigen oder Freundes geht, der eine Tröstung des
Hinterbliebenen erforderlich macht, sondern dem Autor sein eigener Tod droht, der aber als
Gedanke nicht im Vordergrund steht. Boethius knüpft primär nicht an die Todes-, sondern an
die Exilsthematik der Trostliteratur an; ein erheblicher Teil der antiken Trostschriften betraf
das Schicksal Verbannter. Dass die Trostschrift nicht an einen anderen gerichtet ist, sondern
den Autor selbst trösten soll, ist nicht ungewöhnlich; schon Cicero hatte als erster eine
Trostschrift an sich selbst verfasst.[5]
Abgesehen von der Trostthematik ist die Consolatio auch ein Protreptikos (eine zur
Philosophie ermunternde Schrift). Der Autor ist zwar Philosoph, hat aber unter dem Eindruck
seines schweren Schicksals grundlegende philosophische Einsichten vergessen; das Werk
schildert, wie er zu ihnen zurückgeführt wird. Damit soll es auch dem Leser einen Weg zu
den dargestellten Erkenntnissen weisen. Im Unterschied zur sonstigen protreptischen Literatur
soll der Angesprochene nicht erstmals für die Philosophie gewonnen werden, sondern zur
Beschäftigung mit ihr zurückkehren. Im Hintergrund steht dabei der platonische Grundsatz,
dass alles Lernen eine Erinnerung an etwas der Seele schon früher Bekanntes und Vertrautes
ist (Anamnesis-Theorie); die Kunst des didaktischen Gesprächs soll im Lernenden solche
Erinnerung hervorrufen. Auch hinsichtlich der Dialogstruktur seines Werks steht Boethius in
der Tradition Platons.
Das letzte Buch scheint sprachlich weniger durchgestaltet und ausgefeilt zu sein als die ersten
vier, der Schluss wirkt abrupt. Daher haben manche Forscher vermutet, dass der Autor sein
Werk nicht vollenden konnte. Diese Hypothese ist sehr umstritten.[6]
Die sprachliche Gestalt der Consolatio ist stark vom klassischen Latein geprägt, doch sind
auch zahlreiche Phänomene des spätlateinischen Sprachgebrauchs erkennbar. In den
Gedichten ist die Orientierung an klassischen Vorbildern deutlicher als in der Prosapartien.
Inhalt
Die Consolatio schildert die Heilung des in der Not der Gefangenschaft seelisch erkrankten
Autors. Seine Heilung vollzieht sich unter der kundigen Anleitung der Philosophie, die ihm
als allegorische Gestalt erscheint. Sie verhilft ihm in einem unter didaktischen
Gesichtspunkten durchgestalteten Dialog zu den Erkenntnissen, die er benötigt, um der
Verzweiflung zu entrinnen und sein Schicksal zu akzeptieren.
Das Werk lässt sich in zwei Hälften gliedern. Ungefähr in der Mitte steht das berühmte neunte
Gedicht des dritten Buches, das man nach seinen Anfangsworten (Incipit) O qui perpetua zu
benennen pflegt. Es bildet den Übergang und Wendepunkt zwischen den beiden Hälften. Im
ersten, negativen Teil der Consolatio beschreibt die Philosophie die Vergänglichkeit und
Nichtigkeit der irdischen Güter und die Sinnlosigkeit des Strebens nach ihnen. Im zweiten,
positiven Teil stellt sie die Alternative zu diesen vergeblichen Bemühungen vor: die Suche
nach dem einzig wahren Gut, dem Guten schlechthin.
Auffällig und erklärungsbedürftig ist der Umstand, dass Boethius als Christ angesichts seines
Elends und bevorstehenden Todes nirgends auf christliche Glaubenslehren Bezug nimmt,
sondern seinen Trost ausschließlich in philosophischen Überlegungen sucht und findet. Dafür
sind unterschiedliche Erklärungen vorgeschlagen worden. Manche Ansätze gehen von der
Annahme aus, dass er nur oberflächlich christianisiert war und im Grunde – zumindest in
seiner letzten Lebensphase – wie ein paganer Neuplatoniker dachte und empfand. Eine andere
Möglichkeit ist, dass er zeigen wollte, wie man nur von Vernunfterwägungen ausgehend zu
einer Einstellung gelangen kann, die mit der eines gläubigen Christen in den Grundzügen
übereinstimmt. Eine dritte Interpretation besagt, dass er synkretistisch dachte, das heißt, eine
umfassende religiöse Philosophie als Synthese verschiedener Lehren vertrat. In einem solchen
Gesamtsystem konnte das Christentum ebenso wie der Neuplatonismus und der
Aristotelismus seinen Platz finden, ohne dabei notwendigerweise die zentrale Rolle des
einzigen, unerlässlichen Weges zum Heil zu spielen.[7]
Erstes Buch
Das erste Buch beginnt mit einem Klagegedicht. Der Gefangene beklagt sein trauriges
Schicksal und die Treulosigkeit des Glücks, das ihn einst begünstigte. Ihm ist das Leben
verhasst, doch vergeblich ersehnt er den erlösenden Tod. Als er seine Klage aufzeichnen will,
erscheint ihm die Philosophie als ehrwürdige Frauengestalt. Zunächst vertreibt sie die
Dichtermusen, die sich um das Krankenlager des Gefangenen versammelt haben. Sie wirft
ihnen vor, „Bühnenhuren“ zu sein, die unfruchtbare Leidenschaften nähren und dem
Philosophen ihre „süßen Gifte“ einflößen, womit sie die Saat der Vernunft ersticken. Dann
wendet sie sich dem Leidenden zu, stellt ihm Heilung in Aussicht und trocknet mit ihrem
Gewand seine Tränen. Nun erst erkennt er, wer sie ist. Sie erinnert ihn daran, dass seit jeher
Philosophen verfolgt worden sind, wobei sie unter anderem auf die Schicksale des zum Tode
verurteilten Sokrates und Senecas hinweist. Er soll aussprechen, worin sein Kummer besteht.
Darauf schildert er ausführlich die Geschehnisse, die ihn in sein jetziges Elend gebracht
haben. Er sei eigentlich Wissenschaftler, habe aber aus Pflichtbewusstsein eine politische
Aufgabe übernommen, um zu verhindern, dass Verbrecher den Staat zugrunde richten. Da er
stets für Gerechtigkeit eingetreten sei, habe er sich die Feindschaft von Übeltätern zugezogen.
Bösartige Verleumder hätten ihn ins Unglück gestürzt. Der Senat, für den er sich selbstlos
eingesetzt habe, habe ihn im Stich gelassen, die schlecht informierte Öffentlichkeit halte ihn
für schuldig.
Die Philosophie weist ihn zurecht. Er habe zwar in der Tat seine Heimat verloren, aber nicht
weil er seinen gewohnten Wohnsitz eingebüßt hat und sich in Haft befindet, sondern weil er
aus eigenem Antrieb sein wirkliches Vaterland verlassen habe. Aus diesem Vaterland –
gemeint ist ein Reich geistiger Werte – könne niemand vertrieben werden; nur freiwillig
könne man es verlassen, und dies habe er getan.
Auf Befragen bekennt er sich zur Überzeugung, dass die Welt einer göttlichen Lenkung und
Fürsorge untersteht. Es stellt sich aber heraus, dass es ihm an Kenntnis seiner selbst und des
Endzwecks der Welt fehlt und dass er das Walten der Vorsehung nicht versteht. Die
Philosophie stellt ihm Behebung dieser Unwissenheit in Aussicht.
Zweites Buch
Im zweiten Buch setzen sich die beiden Gesprächspartner mit Fortuna, der Glücks- und
Schicksalsgöttin der römischen Mythologie, auseinander. Der Gefangene sehnt sich nach
seinem verlorenen Glück; er meint, Fortuna habe ihre Einstellung zu ihm geändert. Die
Philosophie macht ihn darauf aufmerksam, dass das nicht zutrifft, weil Fortuna von Natur aus
unbeständig und treulos ist; ebendies ist ihre konstante Einstellung, diese Veränderlichkeit
macht ihr Wesen aus und ist das einzige Zuverlässige an ihr. Außerdem erinnert ihn die
Philosophie daran, dass er sich freiwillig der Herrschaft Fortunas unterworfen hat. Er hat sich
diese treulose Göttin als seine Gebieterin ausgesucht, daher muss er nun die Folgen seiner
Entscheidung in Kauf nehmen.
Dann übernimmt die Philosophie im Dialog die Rolle der Fortuna; als Fortuna verteidigt sie
sich gegen die erhobenen Vorwürfe. Sie argumentiert, sie habe dem Klagenden kein Unrecht
getan, da sie ihm zu nichts verpflichtet sei. Auf nichts von dem, was er von ihr fordere, könne
er einen Anspruch geltend machen. Sie „drehe das Rad“, durch dessen Schwung das Tiefste
und das Höchste immer wieder die Plätze tauschen; das sei ihr Spiel. Wer mitspielen und
aufsteigen wolle, müsse die Bedingung akzeptieren, dass er später wieder hinabzusteigen hat.
Sie habe ihn schon überreich beschenkt.
Ihm wird vor Augen gestellt, welche Gaben er schon empfangen hat: er hat eine
hervorragende Erziehung in einer der führenden Familien erhalten, eine glückliche Ehe
geführt, eine glänzende politische Karriere gemacht, seine beiden Söhne haben die
Konsulwürde erlangt. In seinem Leben hat das Erfreuliche überwogen, daher ist sein Jammer
über sein Schicksal unberechtigt. Alle derartigen Güter erweisen sich aber als vergänglich,
ihrer Natur nach unbefriedigend und somit nicht wirklich erstrebenswert. Auch wer einen Teil
von ihnen hat, leidet unter dem Mangel dessen, was ihm fehlt. Alle Süßigkeit ist mit Bitterkeit
überstreut. Hinzu kommt die ständige Furcht vor dem Verlust dessen, was man besitzt;
spätestens mit dem Tod büßt man alles ein.
Die Philosophie vertieft diese Überlegungen, indem sie die einzelnen Güter der Reihe nach
beschreibt und ihre Fragwürdigkeit aufzeigt. Reichtümer, der Glanz der Edelsteine,
Naturschönheit, schöne Kleidung, Verfügung über eine Dienerschaft, Würden, Macht und
Ruhm erweisen sich als Scheingüter. Dass Besitztümer keine echten Güter seien, erkenne man
daran, dass sie ihren Eigentümern auch schaden können; ein wirkliches Gut könne seinem
Besitzer niemals schaden. Wenn Würden und Ämter wahre Güter wären, könnten sie
Unwürdigen nicht zufallen.
Zu solchen Einsichten gelange man eher unter widrigen Verhältnissen als unter günstigen.
Daher sei das, was äußerlich als Unglück erscheint, sogar vorteilhaft. Es sei ein Verdienst
Fortunas, dass sie sich den Menschen so zeige, wie sie wirklich ist, und ihnen damit
Gelegenheit biete, das trügerische Scheinglück zu durchschauen.
Drittes Buch
Den Ausgangspunkt der Überlegungen im dritten Buch bildet die Feststellung, dass alle
menschlichen Bemühungen, so unterschiedlich sie auch sind, letztlich auf ein einziges Ziel,
die Glückseligkeit (beatitudo), ausgerichtet sind. Da die Natur dem menschlichen Geist die
Begierde nach diesem Ziel eingepflanzt hat, suchen alle danach, wenn auch meist auf
Irrwegen. Die Philosophie definiert die Glückseligkeit als einen Zustand der Vollendung, der
in der Vereinigung sämtlicher Güter besteht; sie ist das höchste Gut, das alle Güter in sich
enthält. Das Erkennungsmerkmal des höchsten Gutes ist, dass es keine Wünsche übrig lässt.
Zu seiner Vollkommenheit gehört auch die Unverlierbarkeit. Wer es hat, dem kann man es
nicht entziehen; somit ist er bedürfnislos, angst- und sorgenfrei.
Nochmals werden die irdischen Güter unter dem Gesichtspunkt untersucht, ob sie zur
Erreichung des Ziels verhelfen können. In Betracht kommen Reichtum, Ehre, Macht, Ruhm,
Vergnügungen, körperliche Vorzüge, Freundschaften und Familie. Es zeigt sich, dass allem
Glück, das solche Güter erzeugen, das Definitionsmerkmal fehlt, das die Glückseligkeit
auszeichnet. Wer die ersehnten Güter erlangt hat, der benötigt immer noch mehr und anderes,
und sie entheben den Menschen nicht der Angst und Sorge. Hinzu kommen weitere Nachteile
und Unzulänglichkeiten, welche die Philosophie ausführlich schildert.
Damit hat der Dialog den Punkt erreicht, an dem die Alternative zu den Scheinlösungen, die
wahre und vollendete Glückseligkeit als höchstes Gut, ins Auge gefasst werden kann. Ihre
Existenz wird aus derjenigen der unzulänglichen Güter erschlossen, denn das Unvollständige
und Minderwertige muss seinen Ursprung im Vollständigen und Vollkommenen haben und
nicht umgekehrt.
Der Ursprung aller Dinge ist Gott. Daher ist Gott notwendigerweise das höchste Gut
(summum bonum), denn nichts kann besser sein als sein Ursprung. Gäbe es etwa Besseres als
Gott, so wäre er nicht dessen Ursprung, denn das Bessere wäre ihm überlegen und damit
ontologisch übergeordnet. Daraus ergäbe sich ein infiniter Regress.
Nachdem nun im Verlauf der philosophischen Überlegungen sowohl Gott als auch die
Glückseligkeit als höchstes Gut bestimmt worden sind, ergibt sich, dass zwischen ihnen kein
Unterschied bestehen kann, denn es kann nur ein einziges höchstes und absolut vollkommenes
Gut geben. Glückseligkeit erlangen heißt somit Gott erlangen, und durch das Erlangen
(adeptio) der Gottheit wird der Mensch glücklich. So wie man durch das Erlangen der
Gerechtigkeit gerecht wird und durch dasjenige der Weisheit weise, so wird durch das
Erlangen der Glückseligkeit und damit der Gottheit der Mensch göttlich; „also ist jeder
Glückselige Gott“ (Omnis igitur beatus deus).[8] Da Gott als oberstes Prinzip eine Einheit ist,
kann es sich dabei nicht um eine Mehrzahl von Göttern handeln, sondern um Gottheit der
glücklichen Menschen durch Teilhabe (participatio) an dem einen Gott.
Alle Lebewesen wollen von Natur aus überleben, keines drängt freiwillig zu seiner
Auslöschung. Das physische Überleben beruht auf der Vereinigung von Körper und Seele und
auf der Verbundenheit der Teile des Körpers miteinander, also auf Einheit, während Trennung
Zerfall und Untergang bedeutet. Somit ist der Überlebenstrieb ein Streben nach Fortbestand
der Einheit, und Einheit ist für das Lebewesen das Gute. Da Gott selbst als das Eine die
Einheit schlechthin ist, sind die Bemühungen der Lebewesen, die eigene Einheit als Gut zu
wahren und der Vernichtung zu entgehen, letztlich Ausdruck ihres Strebens nach der höchsten
Einheit und dem universellen Guten. Somit zeigt sich auch hierin, dass alles auf Gott als
Endziel ausgerichtet ist.
Viertes Buch
Der Gefangene ist von der Wahrheit der Belehrung, die er bisher erhalten hat, überzeugt, doch
stellt sich ihm nun die Frage der Theodizee. Er ist darüber bekümmert, dass der vollkommen
gute Gott das Böse nicht nur zulässt, sondern es auch blühen und herrschen lässt, während
Tugend nicht nur unbelohnt bleibt, sondern sogar bestraft wird. Wie das möglich ist, ist ihm
unbegreiflich.
Die Philosophie erklärt ihm, dass alle Menschen, gute und böse gleichermaßen, das gleiche
Ziel haben. Sie suchen alle die Glückseligkeit. Da – wie schon gezeigt – die Glückseligkeit
mit dem Guten identisch ist, streben also alle nach dem Guten. Das Gute erlangen heißt selbst
gut werden. Somit können nur diejenigen, die selbst gut sind, das Ziel erreichen. Die Bösen
können nur entweder ihre Schlechtigkeit aufgeben oder mit ihren Bemühungen scheitern.
Somit sind die Guten mächtig und erfolgreich, die Bösen schwach und erfolglos. Jedem wird
unweigerlich das zuteil, was ihm zukommt: Das Gute trägt seine Belohnung allein in sich
selbst, ebenso wie die Schlechtigkeit ihre eigene Strafe ist. Ein schlechter Mensch büßt sogar
seine Menschlichkeit ein und nimmt eine tierische Natur an, wobei er sich je nach der Art
seiner Laster einer bestimmten Tierart angleicht. Gelingt es ihm, seine Absichten zu
verwirklichen, so sinkt er eben dadurch nur noch tiefer ins Unglück. In diesem
Zusammenhang erinnert die Philosophie an den berühmten Grundsatz aus Platons Dialog
Gorgias, dass Unrecht tun schlimmer ist als Unrecht erleiden. Das zugefügte Unrecht macht
nicht das Opfer, sondern den Täter elend. Die Schlechtigkeit des Täters ist eine geistige
Krankheit. Daher ist es unvernünftig, ihn deswegen zu hassen, sondern er ist wie ein Kranker
zu behandeln, und wenn er bestraft wird, ist die Strafe als Heilmittel aufzufassen.
Ausführlich erläutert die Philosophie, dass die göttliche Vorsehung auch das Unzulängliche
und Schlechte für gute Zwecke nutzt und bei ihren Fügungen stets die besonderen
Gegebenheiten berücksichtigt. Nichts geschieht willkürlich oder grundlos. Allerdings fehlt
den Menschen die Einsicht in die Gesamtheit der komplexen Zusammenhänge. Daher können
sie die Schicksalsordnung nur begrenzt verstehen. Grundsätzlich lässt sich aber aus der
Beweisführung der Philosophie die Erkenntnis gewinnen, dass jedes Schicksal ganz und gar
gut ist.[9]
Fünftes Buch
Im fünften Buch fragt der Gefangene nach der Rolle des Zufalls. Die Philosophie erklärt ihm,
dass Zufall ein leeres Wort sei, da sämtliche Ereignisse in Ursachenverkettungen eingeordnet
seien. Nur die Unwissenheit der Menschen, welche die Zusammenhänge nicht kennen, führe
zum Glauben, etwas Unerwartetes sei zufällig eingetroffen. Der Gefangene sieht das ein, fragt
nun aber, ob es denn in dieser determinierten Welt eine menschliche Willensfreiheit geben
könne. Die Philosophie bejaht dies mit dem Argument, der Mensch verfüge von Natur aus
über die Vernunft, mit der er das Wünschenswerte vom Schädlichen unterscheiden könne;
diese Fähigkeit sei aber nur dann sinnvoll, wenn sie mit der Freiheit des Wollens oder
Nichtwollens verknüpft sei.
Dagegen wendet der Gefangene ein, dass Gott in die Zukunft blicke und das Künftige
irrtumsfrei vorauswisse. Daher stehe schon jetzt notwendig fest, was geschehen wird,
einschließlich der Absichten und Entscheidungen der Menschen. Daran könne kein künftiger
Willensakt etwas ändern. Somit gebe es keine Freiheit des menschlichen Willens. Dann aber
seien auch alle Übel ein unmittelbarer Ausfluss des göttlichen Willens, was mit Gottes Güte
unvereinbar sei.
Die Philosophie erklärt, es handle sich um ein Scheinproblem, das sich daraus ergebe, dass
Gottes Wissen fälschlich wie ein menschliches Vorauswissens aufgefasst werde. Damit gerate
man auf einen Irrweg. Alles, was gewusst wird, werde nicht gemäß seiner eigenen Natur,
sondern gemäß der des Wissenden erkannt. Somit entspreche das göttliche Wissen der
Beschaffenheit der göttlichen Substanz. Diese sei durch Ewigkeit charakterisiert. Gottes
Wissen sei nicht ein Erfassen der Zukunft aus der Perspektive eines gegenwärtigen Moments
im Rahmen des Zeitablaufs; vielmehr sei es im Gegensatz zu einem menschlichen
Vorauswissen überzeitlich. Für Gott gebe es keine Zukunft, sondern nur ewige Gegenwart.
Daher seien zukunftsbezogene Begriffe wie „Vorauswissen“ und „Voraussehen“ gar nicht
angemessen.[10]
Rezeption
→ Hauptartikel: Boethius
Ausgaben und Übersetzungen
Kritische Ausgaben
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Claudio Moreschini (Hrsg.): Boethius: De consolatione philosophiae, opuscula
theologica. 2. Auflage, Saur, München 2005, ISBN 3-598-71278-2.
Ludwig Bieler (Hrsg.): Anicii Manlii Severini Boethii Philosophiae Consolatio (=
Corpus Christianorum, Series Latina. Band 94). 2. Auflage, Brepols, Turnhout 1984,
ISBN 978-2-503-00941-4
Unkritische Ausgaben und Übersetzungen
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Ernst Gegenschatz, Olof Gigon (Hrsg.): Boethius: Trost der Philosophie. Consolatio
philosophiae. 6. Auflage, Artemis & Winkler, Düsseldorf und Zürich 2002, ISBN 37608-1662-2 (Ausgabe mit Übersetzung).
Ernst Neitzke (Hrsg.): Boethius: Trost der Philosophie. Insel, Frankfurt a. M. 1997,
ISBN 978-3-458-32915-2 (Ausgabe mit Übersetzung).
Karl Büchner: Boethius: Trost der Philosophie. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 978-315-003154-4 (nur Übersetzung, mit Einführung von Friedrich Klingner;
Erstveröffentlichung Leipzig 1926).
Literatur
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Joachim Gruber: Kommentar zu Boethius, De consolatione philosophiae. 2., erweiterte
Auflage. De Gruyter, Berlin/New York 2006, ISBN 978-3-11-017740-4.
Helga Scheible: Die Gedichte in der Consolatio Philosophiae des Boethius. Winter,
Heidelberg 1972, ISBN 3-533-02246-3.
Matthias Baltes: Gott, Welt, Mensch in der Consolatio Philosophiae des Boethius. In:
Matthias Baltes: Dianoemata. Kleine Schriften zu Platon und zum Platonismus.
Teubner, Stuttgart 1999, ISBN 3-519-07672-1, S. 51−80.
Frank Regen: Praescientia. Vorauswissen Gottes und Willensfreiheit des Menschen in
der Consolatio Philosophiae des Boethius. Duehrkohp & Radicke, Göttingen 2001,
ISBN 978-3-89744-163-7.
Volker Schmidt-Kohl: Die neuplatonische Seelenlehre in der Consolatio Philosophiae
des Boethius. Hain, Meisenheim am Glan 1965.
Weblinks
•
Consolatio philosophiae deutsch
Gott ist das Höchste – Ein Beitrag zur
natürlichen Theologie
1. Gott ist das höchste Wesen (summum essentia)… [Anselm]
2. Gott ist die höchste Substanz (summum substantia)… [Spinoza]
3. Gott ist das höchste Sein (summum esse)… [Anselm]
Gott
Summum esse
Sein
esse
Nicht-Sein
non esse
4. Gott ist das höchste Seiende (summum ens)… [Anselm]
Gott
Summum ens
Seiendes
ens
Nicht-Seiendes
non ens
5. Gott ist der höchste Akt (summum actus)… [Ich]
Gott
Summum actus
Akt
actus
Nicht-Akt
non actus
6. Gott ist die höchste Potenz (summum potentia)… [Ich]
Gott
Summum potentia
Potenz
potentia
Nicht-Potenz
non potentia
7. Gott ist das höchste Gut (summum bonum)… [Boethius]
8. Gott ist das höchste Glück (summum fortuna)… [Boethius]
Das höchste Gut ist das höchste Glück…Summum bonum summum fortuna est…
9. Gott ist das Höchste
Gott ist das höchste Wesen (summum essentia).
Gott ist die höchste Substanz (summum substantia)
Gott ist das höchste Sein
(summum esse).
Gott ist das höchste Seiende (summum ens).
Gott ist der höchste Akt
(summum actus).
Gott ist die höchste Potenz (summum potentia).
Gott ist das höchste Gut
(summum bonum).
Gott ist das höchste Glück (summum fortuna).
10. Gott ist die höchste Macht… [Francis Bacon]
11. Gott ist das höchste Wissen… [Francis Bacon]
Wissen ist Macht… Gott ist allwissend… Also ist Gott auch allmächtig…
12. Gott ist das Gute, das Schöne und das Wahre… [Platon]
13. Gott ist das Gute, Schöne und Wahre… [Platon]
Joachim Stiller
Münster, 2014/15
Ende
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