ste. victoire

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ste. victoire
ste. victoire
DONNERSTAG, 28. AUGUST 2008
Montagne St. Victoire
Montagne Sainte-Victoire
Der heilige Berg der Provence, die Montagne Sainte-Victoire, übt auf mich eine ungeheure
Anziehungskraft aus.
Jedes Mal, wenn ich da hinaufsteige, frage ich mich unterwegs, warum ich mir das antue.
Es ist eine elende Schinderei. Ich bin kein Wanderfreak und schon gar nicht wenn es endlos
steil bergauf geht.
Doch wenn ich dann oben angekommen bin, weiss ich, dass ich bei meinem nächsten
Aufenthalt in der Provence wieder da hinauf gehen werde.
Warum ist das so?
Genau beschreiben kann ich es nicht.
Aber seit ich Peter Handkes Text „Die Lehre der Sainte-Victoire“ vor vielen Jahren das erste
Mal gelesen habe (ich lese das Buch mindestens alle 2 Jahre wieder) und seit ich mich
angeregt von Handke mit Cézannes Bildern vom Sainte-Victoire befasst habe (soviel ich weiss,
gibt es von ihm noch 87 Bilder dieses Berges, 44 Ölbilder und 43 Aquarelle – wer zählt so
etwas?), zieht es mich auf und an den Berg. Das Besteigen des Berges und eigentlich auch
schon der Blick von Unten und von Ferne ist für mich eine elementare Erfahrung. Der Aufstieg
ist ein Weg der Erkenntnis, der Selbsterkenntnis und der Welterkenntnis.
Vielleicht liegt es an Handke und vielleicht wäre es ohne Handkes Text anders. Aber vielleicht
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auch nicht. Immerhin hat Cézanne lange vor Hanke auch diese elementare Kraft des Berges
gespürt und sie versucht festzuhalten in seinen Bildern.
Möglicherweise hängt diese Wirkung damit zusammen, dass dieser Berg nur zu Fuss und mit
eigener Kraft zu ersteigen ist.
Die Aussicht von oben ist grandios. Aber schöne Aussichten gibt es von vielen Bergen.
Wahrscheinlich kommt die Anziehungskraft daher (700.000 Menschen wandern jährlich auf
dem Sainte-Victoire), dass dieser Berg so eine besondere, schlichte Schönheit besitzt.
Diese Schlichtheit, das Elementare und das Grandiose führen den winzigen, komplizierten und
hässlichen menschlichen Betrachter und Besteiger, wenn er sich darauf einlässt zum tiefen
Nachdenken.
Mein Weg zum Kreuz der Provence in 950m Höhe führt von der weniger photogenen Nordseite
vom Dorf Vauvenargues, in dessen Schloss Picasso die letzten Lebensjahre verbrachte und in
dessen Park er begraben liegt (Picasso scherzte übrigens, dass er den Berg kaufen will, da er
ja bisher Cézanne gehörte!), auf einem etwa 5 bis 7 km langen Weg in etwa 2 Stunden hinauf.
Zunächst führt der Weg teilweise steil bergauf durch einen Wald. Manchmal ist der Weg so
steil, dass er betoniert werden musste, damit bei Regen das Gelände nicht weggespült wird.
Der Weg ist gesäumt von Garique mit Rosmarin, Thymian, Salbei und Lavendel und von Pinien
und Steineichen. Der Duft ist unbeschreiblich, fast, als würde ein provenzalischer Braten im
Ofen schmoren.
Nach 2/3 des Weges hören die Bäume auf und man steht am Fuss des Berges. Man kann
schon zum Greifen nah die kleine Kapelle des ehemaligen Klosters aus dem 17. Jahrhundert
und das Kreuz sehen. Der Weg führt dann in leichten Serpentinen noch eine halbe Stunde sanft
nach oben, allerdings ohne Schatten. Und schliesslich erreicht man das Tor ins Kloster und
nach weiteren 15 Minuten steilen Aufstieges im Gestein gelangt man zum riesigen 19 Meter
hohen Stahlkreuz, von dem man bis zum Mittelmeer im Südwesten, zum Massiv de la Sainte
Baume im Südosten, zum Mont Ventoux im Norden und zu den Alpen im Osten blicken kann.
Der Klosterhof lädt zum Picknick unter schattenspendenden Bäumen und zum langen
Verweilen ein.
"Mich ziehen die grenzenlosen Dinge der Natur an. Ich gehe sehr langsam vor, da sich die
Natur mir sehr komplex offenbart; und ein Bild ist niemals fertig."Das Malen ist für Cézanne ein
unaufhörlicher Entwicklungsprozess auf der Suche nach einer geheimen Harmonie, die Form,
Linie und Farbe miteinander verbindet. Jeder Strich ist entscheidend, jeder Strich stellt alle
anderen in Frage. Die Arbeit des Malers ist niemals beendet. Cézanne betrachtet fast alle seine
Werke als unvollendet. In den "Sainte Victoire"-Bildern der letzten Jahre, die in der
unmittelbaren Umgebung seines Ateliers in Lauves entstanden sind, wird der Berg zu einem
ganz anderen Gegenstand, zu einer Art Dreieck, das sich über eine Ebene erhebt, die selbst
durch ein Geflecht grober Striche in dichten und düsteren Tönen dargestellt ist.
Das fortwährende Suchen des Menschen nach der Vollkommenheit, die in der Natur und eben
für mich besonders in diesem Kalksteinbergrücken zu finden ist, veranlasste Cézanne den Berg
immer wieder zu malen und Handke, von Cézanne inspiriert, über sein Leben nachzudenken,
ebenso auf der Suche nach der Vollkommenheit.
Doch die Inspiration, ja ich möchte fast sagen, die Spiritualität des Berges liegt für mich
eigentlich in den Farben.
Von Ferne leuchtet der Bergzug in der Sonne in hellem Grau, an manchen Stellen fast Weiss.
Von Nahem finden sich alle Farben des Farbspektrums, hell leuchtend, Wärme und
Geborgenheit verbreitend.
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Nach einer halben Stunde Aufstieg vom Gut Les Cabassols bei Vauvenargues aus, kann man
beim Blick durch die noch hohen Bäume nach Westen den Stausee Barrage de Bimont und
später die Barrage Zola, die der Vater des berühmten Autors gebaut hat, Tiefblau bis
Dunkelgrün leuchtend liegen sehen.
Überhaupt alles leuchtet, es gibt nur leuchtende Farben, nichts Mattes oder Trübes, selbst die
vertrockneten Rosmarinbüsche leuchten noch.
Peter Handke schreibt: „Einmal bin ich dann in den Farben zu Hause gewesen. Büsche,
Bäume, Wolken des Himmels, selbst der Asphalt der Straße zeigten einen Schimmer, der
weder vom Licht jenes Tages noch von der Jahreszeit kam. Naturwelt und Menschenwerk, eins
durch das andere, bereiteten mir einen Beseligungsmoment, den ich aus den Halbschlafbildern
kenne (doch ohne deren das Äußerste oder, das Letzte ankündigende Bedrohlichkeit), und der
Nunc stans genannt worden ist: Augenblick der Ewigkeit. – Das Gebüsch war gelber Ginster,
die Bäume waren vereinzelte braune Föhren, die Wolken erschienen durch den Erddunst
bläulich, der Himmel (wie Stifter in seinen Erzählungen noch so ruhig hinsetzen konnte) war
blau. Ich war stehengeblieben auf einer Hügelkuppe der Route Paul Cézanne, die von
Aix-en-Provence ostwärts zum Dorf Le Tholonet führt. … Ja, dem Maler Paul Cézanne
verdanke ich es, daß ich an jener freien Stelle zwischen Aix-en-Provence und dem Dorf Le
Tholonet in den Farben stand und sogar die asphaltierte Straße mir als Farbsubstanz erschien.“
Ja, die Farben und das Licht machen die Inspiration dieses Berges aus.
Der Betrachter, der Wanderer, der diese Farben in sich aufnimmt, wird selbst zur Farbe, zum
Licht, tief ins Innere, in die Seele dringt dieses Leuchten ein.
Jesus sagt: „Ich bin das Licht der Welt!“ und „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf
einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben.“
Links zum Berg: fr.wikipedia.org/wiki/Montagne_Sainte-Victoire , www.aixenprovencetourism.c
om/aix-sainte-victoire.htm
, f
r.wikipedia.org/wiki/Paul_C%C3%A9zanne
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